7

Muradin Bronzebart, der Bruder von König Magni und Botschafter im Menschenreich von Lordaeron, schritt die Korridore des königlichen Palastes hinab. „All diese Ecken, Kurven, Kanten und Windungen“, murmelte der Zwerg.

Wenn er sich recht erinnerte, befand sich die Wendeltreppe, die ihn zu den Privatgemächern des Königs und den Balkonen führen würde, hier irgendwo. Er meinte, sich zu entsinnen, dass, wenn er durch die Rüstungshalle ging und...

„He!“

Muradin zuckte zusammen, obwohl er erkannte, dass es die Stimme eines Kindes war, die gerufen hatte. Sein Lächeln wurde von seinem dichten, buschigen Bart verdeckt, als er um die Ecke linste und den kleinen Prinz Arthas sah, der vor einer Rüstung auf einem kleinen Podest stand. Der Prinz war zwölf Jahre alt, ein ansehnliches Kerlchen, das gern lachte, goldene Locken und rosige Wangen hatte.

Obwohl – augenblicklich schaute Prinz Arthas eher ernst. Sein Holzschwert zielte auf die Kehle der „gegnerischen Rüstung.“

„Glaubst du, du könntest einfach hier durchspazieren, du abscheulicher Orc?“ schrie Arthas. „Du befindest dich auf dem Boden der Allianz! Dieses Mal lasse ich noch Gnade walten. Aber verschwinde und komm niemals wieder!“

Obwohl Muradin hungrig und spät dran war, beobachtete er das Schauspiel und lächelte. Für so etwas hatten sie gekämpft. Er, Magni, sein Bruder Brann und die Menschen Lothar – Friede seiner Asche! – und Turalyon. Sie hatten zusammen gekämpft, um Eisenschmiede am Ende des Zweiten Krieges zu retten. Dann waren Muradin und Brann mit den Menschen zum Dunklen Portal gezogen, um mitzuerleben, wie es zerstört wurde. Sie hatten die Schwachen schützen und ihnen allen eine Zukunft ermöglichen wollen.

Arthas versteifte sich. „Wie? Du willst nicht gehen? Ich wollte dir eine faire Chance geben, aber jetzt... jetzt kämpfe!“

Mit einem wilden Schrei stürmte der kleine Prinz vor. Er war schlau genug, die antike Rüstung nicht tatsächlich anzugreifen, was ohne Zweifel das Missfallen seines Vaters erregt hätte. Stattdessen attackierte er seinen imaginären Feind mit angetäuschten Hieben.

Muradins Lächeln erlosch. Was war das denn? Wer in aller Welt bildete den Jungen aus? Wie offen und unkontrolliert seine eigene Deckung war! Und der Waffengriff... ach, falsch, alles völlig ungeschickt!

Er runzelte finster die Stirn, als Arthas nach einem kräftigen Schlag durch die Luft sein Schwert verlor und es durch den Raum flog, um schließlich laut scheppernd zu Boden zu gehen.

Arthas holte Luft und sah sich um, um festzustellen, ob er die Aufmerksamkeit von jemandem erregt hatte. Seine Wangen wurden rot, als er Muradins Blick bemerkte.

„Oh... Herr Botschafter... Ich habe gerade...“

Muradin hüstelte und war mindestens so verlegen, wie Arthas es umgekehrt war. „Ich suche deinen Vater, Junge. Kannst du mir sagen, wo ich da hinmuss? Dieser teuflische Ort hat zu viele Gänge und Windungen.“

Arthas wies auf eine Treppe zu seiner Linken. Muradin nickte und hastete die Wendeltreppe hinauf, bemüht, schnell wegzukommen.

Er traf gerade rechtzeitig ein, um Thoras Trollbann brüllen zu hören, was, wie er vermutete, kaum etwas Außergewöhnliches war.

„Handel treiben? Mit euch? Ihr verdammten Sympathisanten der Horde!“

Was ging hier vor? Muradin sprang auf den Balkon und erwartete... nun, er war sich nicht sicher, was genau er erwartete, aber sicherlich kein kleines, grünes Wesen mit großen, fledermausähnlichen Ohren und riesigen Augen, die voller Furcht waren. Es war völlig haarlos und trug Hosen, ein weißes Hemd mit Weste und ein Monokel, das heftig an der Kette baumelte, die an seinem Körper befestigt war.

„Nein, nein, nein, nein!“, japste die grüne Kreatur mit kreischender Stimme und fuchtelte wild mit den Händen. Sie stand auf Augenhöhe mit dem Frühstückstisch, an dem Trollbann und König Terenas saßen, und spielte mit dem Monokel. „Ihr habt mich falsch verstanden! So ist das doch gar nicht!“

„Wirklich nicht, Krix?“ Die Milde, mit der Terenas sprach, verriet Muradin, dass keine echte Gefahr drohte. Der König nahm sich ein Stück Brot und bestrich es mit Butter.

„Nein!“, schrie Krix. Er sah angegriffen aus. „Gut. Ein Händler, ja. Hat – es – gemacht.“ Er hüstelte. „War mit der Horde verbündet. Aber es war nur ein sehr dummer Händler, und selbst der ist nach dem Zweiten Krieg zur Vernunft gekommen. Doch der Rest der Goblins ist zu dem Entschluss gelangt, dass es viel besser ist, neutral zu bleiben. Viel besser, für euch, für uns, für alle! Freier Handel lässt alles erblühen, und ein jeder profitiert davon.“

Muradins Miene verfinsterte sich. Er wusste jetzt, mit was für einer Kreatur er es zu tun hatte: einem Goblin. „Was macht dieses goldgierige Ding an unserem Frühstückstisch, Terenas?“, fragte er.

Bevor der König antworten konnte, plapperte der Goblin los: „Krix Wiklish, erfreut, dich zu treffen. Wie ich sehe, seid Ihr ein Zwerg.“

„Sehr gut beobachtet“, knurrte Trollbann.

„Vielleicht würde Euer Volk gern einen Handelsvertrag mit uns abschließen? Diese beiden Menschen scheinen nicht sehr erpicht darauf zu sein. Denkt darüber nach.“ Krix lächelte schmeichelnd. Der Effekt wurde nur ein wenig durch die Schärfe der Zähne verdorben. „Ihr seid uns ähnlich. Wir reißen auch gern Bäume aus. Das ist die perfekte Geschäftsbeziehung! Unsere Schredder können das Land abholzen...“

„Danke, Krix, das reicht“, unterbrach Terenas. „Jetzt, da Botschafter Muradin eingetroffen ist, müssen wir uns unseren Angelegenheiten zuwenden. Wir sprechen heute Nachmittag weiter und sehen uns die Papiere an, die Ihr mir zeigen wolltet.“

„Was?“ Muradin sah Terenas finster an. „Dieser miese Knilch handelt mit beiden Seiten, Terenas. Ich würde eher einem... he!“

Krix bewegte sich nicht mehr, das Aprikosenküchlein in der Hand, auf dem halben Weg zum Mund. Er lächelte schwach.

Muradin sah ihn an. Innerhalb eines Monats nach seiner Ankunft stand der Zwerg auf Du und Du mit allen Köchen des Palastes. Und besondere Mühe hatte er sich gegeben, die Freundschaft der Konditoren zu gewinnen. Dieses Vorgehen trug nun, wenn die Küchlein als Indiz dafür gelten konnten, süße, köstliche Früchte.

Und jetzt verschlang dieser Goblin seine Leckereien!

„König Terenas bat Euch zu gehen“, sagte er. Krix nickte. Das Monokel fiel ihm wieder herunter. Er steckte das Backwerk in den Mund, verneigte sich und lief hinaus.

„Ein übler Schmarotzer, der Kerl“, knurrte Muradin.

„Aber unterhaltsam“, erwiderte Terenas. „Und seine Vorschläge sind nicht schlecht. Doch nun, da Ihr hier seid, Botschafter, befürchte ich, dass wir über weniger amüsante Dinge zu reden haben. So wie die Sache mit König Perenolde.“

„König, pah! Das Wort kommt mir nur schwer über die Lippen. Das ist ein Frevel!“, brüllte Trollbann. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und ließ Tassen, Krüge und Teller tanzen. „Er hat uns verraten und fast vernichtet – und mehr passiert ihm nicht?“ Sein langes Gesicht hatte sich mehr und mehr verfinstert. „Ich fordere den Kerker, wenn nicht gleich die Hinrichtung!“

„Ja. Ich würde einen Verräter auch nicht in den goldenen Käfig stecken“, sagte Muradin. Er nahm kein Blatt vor den Mund. Er sagte, was er dachte, und interessierte sich nicht dafür, wen das beleidigen könnte. Muradin wusste, dass dieses Verhalten einigen Königen der Allianz peinlich war, aber auch, dass seine beiden Freunde Terenas und Trollbann es erfrischend fanden.

Die drei saßen an einem kleinen Tisch auf einem der Balkone, von denen aus man den See hinter der Stadt sehen konnte, die Berge als Hintergrundkulisse. Es war eine einmalige Aussicht, aber sie hatte auch mit ihrem Gesprächsthema zu tun, weil es dieselben Berge waren, über die Orgrim Schicksalshammer die Horde geführt hatte, ermöglicht durch den Verrat von Alteracs Herrscher Aiden Perenolde.

Nach dem Krieg war Terenas mit Truppen nach Alterac marschiert, hatte das Kriegsrecht verhängt und Perenolde, über den Trollbann sich ereiferte, in Haft genommen. Aber Terenas hatte den ehemaligen König einfach unter Hausarrest gestellt, ihn und seine ganze Familie in den eigenen Palast gesperrt. Darüber hinaus war seitdem nichts mehr geschehen.

Damit war Trollbann nicht einverstanden. Als Perenoldes nächster Nachbar hatte er die verschlagenen Winkelzüge von Alteracs König schon lange ertragen müssen. Und es war nur Trollbanns schneller Auffassungsgabe zu verdanken, dass die Bergpässe blockiert und so ein Teil der Horde vom Gros abgeschnitten worden war. Sonst wäre die ganze orcische Streitmacht in die Ebene und in die Hauptstadt selbst gestürmt. Und wahrscheinlich wäre die Stadt gefallen.

„Ich stimme dir zu. Er verdient ein viel schlimmeres Schicksal“, sagte Terenas vorsichtig. Offensichtlich wollte er seinen Freund beruhigen. Muradin nahm sich ein Küchlein und ein hartgekochtes Ei. „Aber er ist, oder war zumindest, ein unabhängiger König“, fuhr Terenas fort. „Wir können ihn nicht einfach ins Exil schicken oder einkerkern. Ansonsten müsste jeder andere König befürchten, dass wir es mit ihm genauso machen, wenn er nicht so will wie wir.“

„Das werden wir auch, wenn sie uns verraten, wie er es getan hat!“, ereiferte sich Trollbann, doch erregte sich schnell wieder ab. Er war alles andere als dumm, das wusste Muradin. Das plumpe Äußere beherbergte einen wachen Geist mit scharfem Verstand.

„Ja, es ist eine knifflige Angelegenheit“, sagte Muradin und beschloss, sich noch ein Küchlein zu gönnen. „Wir können ihn nicht von der Klippe werfen, ohne das Vertrauen der anderen zu verlieren. Aber wir können ihn mit dem, was er getan hat, auch nicht durchkommen lassen.“

„Wir müssen ihn zum Abdanken zwingen“, meinte Terenas, doch es war nicht das erste Mal, dass sie dieses Gespräch führten. „Wenn er erst mal kein König mehr ist, können wir ihn vor Gericht zerren und exekutieren, wie einen ganz normalen Adeligen der Allianz.“

Er strich sich durch den Bart. „Das Problem ist nur, er weigert sich.“

Trollbann schnaubte. „Natürlich tut er das! Er weiß, dass das seinen Tod bedeutet. Nur müssen wir etwas unternehmen, und zwar bald. Momentan hat er zu viele Freiheiten, und das wird uns Ärger bereiten.“

Terenas nickte. „Das Ganze geht sicherlich schon viel zu lange so“, stimmte er zu. „Etwas muss wegen Alterac geschehen, besonders jetzt, da neue Probleme aufziehen.“ Er seufzte.

„Das Letzte, was wir brauchen können, ist ein neuer Krieg, während wir uns gleichzeitig um Verrat sorgen müssen.“

„Und was ist mit dem Jungen?“, fragte Muradin und entfernte einen verirrten Krümel aus seinem majestätischen Bronzebart. „Wird er nicht den Thron besteigen?“

„Meinst du Aliden?“ Trollbann schnaubte. „Der ist aus demselben Holz geschnitzt wie sein Vater.“

„Ich traue dem jungen Aliden auch nicht viel zu“, gestand Terenas ein. „Er wurde in seiner Kindheit viel zu sehr behütet. Er hat nie Mühsal und Not leiden müssen und stand nie einer Gefahr gegenüber. Ich befürchte, dass er kein guter Anführer wäre. Aber welchen Grund hätten wir, ihm den Thron zu verweigern? Er ist Aidens Erbe, Alteracs Kronprinz. Wenn sein Vater abdankt, fällt die Krone ihm zu.“

„Es gibt keinen Beweis dafür, dass er vom Verrat seines Vaters wusste“, sagte Trollbann widerwillig. „Nicht, dass ignorant viel besser als hinterhältig wäre. Aber immerhin spricht das doch für ihn.“

In diesem Moment erschien ein Diener an der Tür. Muradin runzelte die Stirn und fürchtete, dass der nervtötende Goblin wieder mit ihm reden wollte. Stattdessen hatte der Diener gute Neuigkeiten. „Lord Daval Prestor bittet um Audienz, Euer Majestät“, sagte er Terenas.

„Ah, schick ihn rein, Lavin“, antwortete Terenas. Er wandte sich an Trollbann und Muradin. „Habt ihr schon Lord Prestor kennengelernt?“

„Ja, ein feiner Kerl“, antwortete Muradin. „Und für ihn spricht, dass er überlebt hat, trotz allem, was ihm zugestoßen ist.“

Trollbann nickte zustimmend.

Lord Prestor war vom Schicksal übel mitgespielt worden, erinnerte sich Muradin, als er in das Ei biss. Der Zwerg hatte, bevor er ihn kennenlernte, nie von dem Mann gehört... aber er interessierte sich auch nicht sonderlich für die verworrenen Verhältnisse im Adel. Doch nach dem, was ihm berichtet worden war, war Prestor der Herrscher einer kleinen Grafschaft in den Bergen Lordaerons gewesen. Er konnte einen Stammbaum vorweisen, der bis zur Königsfamilie von Alterac zurückreichte, und war ein entfernter Vetter von Perenolde. Prestors Reich war während des Zweiten Krieges einem Überfall der Drachen zum Opfer gefallen. Und nur er und ein paar nahe Verwandte hatten fliehen können. Prestor hatte den ganzen Weg zur Hauptstadt ohne Diener oder Wachen zurückgelegt, mit wenig mehr als den Kleidern auf dem Leib und seinem guten Namen. Seine Abstammung hatte ihm Zugang zu den adeligen Kreisen ermöglicht, und sein einnehmendes Wesen hatte ihm Freunde beschert. Die drei am Tisch gehörten dazu.

Es war Prestors Vorschlag gewesen, das Kriegsrecht über Alterac zu verhängen. Und nicht nur Terenas, sondern auch der Rest der Allianz waren sich einig darüber, dass dies eine gute vorübergehende Lösung des Problems war.

Prestor trat einen Moment später auf den Balkon und machte eine anmutige, tiefe Verbeugung. Seine schwarzen Locken wirkten fast blau im warmen, frühen Licht. „Eure Majestäten“, sagte Prestor. Sein voller Bariton klang angenehm. „Und der verehrte Botschafter. Schön, euch alle zu sehen.“

„Das ist es fürwahr“, sagte Terenas freundschaftlich. „Setzt Euch zu uns. Hättet Ihr gern etwas Tee?“

„Die Aprikosenküchlein sind heute ganz ausgezeichnet“, meinte Muradin und bedeckte seinen Mund mit der Hand, als er unabsichtlich ein paar Krümel ausspuckte. Etwas an Prestors Sauberkeit ließ ihn sich immer ein wenig... tumb fühlen.

„Vielen Dank, werte Lords.“ Prestor setzte sich anmutig, jedoch nicht ohne vorher mit der Serviette schnell den Staub vom Sitz zu fegen, und goss sich eine Tasse Tee ein. Muradin bot ihm den Teller mit den Küchlein an, doch Prestor lächelte und hielt seine manikürten Hände in höflicher Ablehnung hoch. „Ich hoffe, ich störe nicht?“

„Aber nicht im Geringsten“, versicherte ihm Terenas. „Eigentlich ist Euer Timing exzellent. Wir besprechen uns gerade wegen Alterac.“

„Ah ja, natürlich.“ Prestor nippte an seinem Tee. „Zweifellos habt Ihr schon von dem kleinen Isiden gehört?“ Er schien überrascht über die fragenden Blicke zu sein. „Einer von Lord Perenoldes Neffen. Noch sehr jung.“

„Ah, ja. Ist nach Gilneas geflohen, richtig?“, fragte Trollbann.

„Allerdings, kurz bevor Ihr das Kriegsrecht in Alterac verkündet habt. Gerüchten zufolge wirbt er dort um Unterstützung für seine Ansprüche auf den Thron.“

„Graumarn erwähnte so etwas“, erinnerte sich Terenas. „Aber er hat sich nicht mit dem Jungen getroffen noch ihn sonstwie unterstützt.“

Prestor schüttelte den Kopf. „Es ist tatsächlich sehr ehrenhaft von König Graumarn“, sagte er leise, „etwas zu übersehen, was so leicht seinem Vorteil dienen könnte. Alles, was er tun müsste, wäre Isidens Thronanspruch zu unterstützen, und Gilneas erhielte einen direkten Anteil an Alteracs Wohlergehen. Und zweifellos würde ihm bevorzugter Durchgang durch die vielen Bergpässe des Königreichs gewährt.“

Muradin kratzte sich am Bart. „Ja, das ist wirklich kaum abzulehnen“, stimmte er zu.

Terenas und Trollbann warfen sich Blicke zu. Graumarn war gerissen genug, um sich solch eine Gelegenheit nicht entgehen zu lassen. Dennoch behauptete er, nicht mit dem Jungen gesprochen zu haben. Hatte er gelogen? Oder spielte er ein durchtriebeneres Spiel?

„Was meint Ihr, sollte wegen Alterac passieren?“, fragte Terenas Prestor.

„Warum fragt Ihr mich, Sire?“

„Der Blickwinkel eines Außenstehenden ist nützlich, und wir schätzen Eure Meinung.“

Prestor errötete leicht. „Wirklich? Das ehrt mich. Nun... ich finde, Ihr solltet Alterac selbst beanspruchen, Euer Majestät. Ihr seid immerhin der Führer der Allianz, tragt den Hauptteil der Kosten. Deshalb steht Euch auch eine Belohnung für Eure Aufwendungen zu.“

Terenas lachte. „Nein, danke“, sagte er und hielt eine Hand in gespieltem Entsetzen hoch. „Ich habe hier in Lordaeron mehr als genug zu tun, ich möchte meine Probleme nicht verdoppeln, indem ich ein zweites Königreich regiere!“

Muradin wusste, dass er natürlich über die Idee nachgedacht hatte, und aus einigen Blickwinkeln erschien sie durchaus lohnenswert. Aber der Ärger, der daraus entstehen würde, nicht zuletzt unter den anderen Herrschern, würde die Vorteile aufheben, zumindest sah Terenas es so.

„Wie wäre es dann mit Euch, Euer Majestät?“, schlug Prestor dem König von Stromgarde vor. „Euer schnelles Eingreifen stoppte Perenoldes Verrat. Ich weiß genau, dass Ihr Männer bei der Verteidigung der Pässe vor den Orcs verloren habt.“

Ein Anflug von Schmerz flackerte über das Gesicht des jungen Adligen. Und alle drei Freunde zuckten leicht zusammen, wussten sie doch, woran ihn das erinnern musste. Vielleicht war er deshalb so pingelig.

Wenn Muradin gezwungen gewesen wäre, aus einer Stadt zu fliehen, die von Drachenfeuer zerstört worden war, und eine Ewigkeit lang dieselben dreckigen Kleidungsstücke getragen hätte, wäre er wohl auch so geworden.

Trollbann furchte gedankenvoll die Stirn, aber bevor er etwas sagen konnte, unterbrach ihn Terenas leise. „Weder Thoras noch ich könnten Alterac beanspruchen. Es geht nicht einfach darum, dass ein Königreich ein anderes erobert. Wir sind alle Mitglieder der Allianz, und wir müssen zusammenarbeiten, um unsere Welt und unsere Länder zu schützen. Die Allianz als Ganzes hat die Horde besiegt und den Krieg gewonnen. Das bedeutet, dass alle Kriegsbeute, einschließlich Alterac, auch der Allianz zufällt.“ Er schüttelte den Kopf. „Wenn einer von uns Alterac annektieren würde, würden sich die anderen Herrscher hintergangen fühlen – und das zu Recht.“

„Ja“, pflichtete Muradin bei. „Es muss einstimmig beschlossen werden – oder gar nicht.“ Er lächelte. „Obwohl eine gute Idee zu präsentieren, die Sache erleichtern könnte.“

Prestor nickte und stellte seine Tasse ab. „Entschuldigt, wenn ich vermessen war“, sagte er, „oder Euch beleidigt habe.“ Er lächelte ein wenig. „Ich weiß, dass ich noch viel zu lernen habe, bevor ich darauf hoffen darf, Euch an Weisheit und diplomatischem Geschick ebenbürtig zu sein.“

Terenas schob die Entschuldigung beiseite. „Ist ja nichts passiert, mein Junge. Ich habe nach Eurer Meinung gefragt, und Ihr habt sie uns wissen lassen. Unter anderem haben wir drei uns hier versammelt, weil wir diese Sache besprechen wollten. In der Hoffnung, einen Weg zu finden, alle zufriedenzustellen und trotzdem Alterac sicher zu halten.“ Er lächelte. „Unser Freund Muradin hat recht. Wenn wir den anderen einen guten Plan präsentieren können, würde uns das Zeit und langwierige Diskussionen ersparen.“

„Natürlich. Ich hoffe nur, dass meine kleinen Anmerkungen hilfreich waren.“ Prestor stand auf und verneigte sich tief. „Wenn Ihr mich jetzt bitte entschuldigen wollt. Ich überlasse Euch Euren schweren Beratungen, welche, wie ich fürchte, weit über meine Fähigkeiten hinausgehen.“

Er wartete auf Terenas’ Entlassungsnicken, dann warf er allen ein Lächeln zu und verließ den Balkon.

Trollbann sah dem jungen Lord nach und furchte die Stirn. „Prestor ist vielleicht naiv“, sagte er, „aber er hat recht. Vielleicht sollte Alterac Reparationen zahlen.“

„Wovon denn?“, warf Muradin ein. „Sie sind genauso ausgeblutet wie wir alle. Außerdem klingt das zu sehr nach Blutgeld, was nach Rache riecht.“

„Das meiste Gold geht in den Wiederaufbau“, führte Terenas aus. „Wir haben Alteracs Schatzkammern denen der Allianz angeschlossen, als wir das Königreich übernahmen.“

„Ja, und die Internierungslager für die Orcs sind auch nicht billig“, fügte Muradin hinzu. „Wenn wir alles Gold in die Lager, die Reparaturen und die schöne, neue Festung am Portal stecken, was bleibt da noch für Reparationen übrig?“

Trollbann seufzte. „Ihr habt recht. Ich finde nur, dass sie irgendwie sühnen sollten. Alteracs Verrat hat so viele Leben gekostet.“

„Perenoldes Verrat“, korrigierte Terenas leise, aber bestimmt. „Das dürfen wir nicht vergessen. Nur sehr wenige von Alteracs Bürgern wussten vom Verrat ihres Königs. Perenolde hat sie nur von einigen Pässen abgezogen und machte so die Durchgänge der Horde zugänglich. Es ist weniger Alterac, das der Horde geholfen hat, als sein König, der den Orcs freien Durchgang gewährte und seine eigenen Bürger aus allem heraushielt.“

„Wohl wahr“, stimmte Trollbann zu. „Ich kenne viele Menschen aus Alterac, die meisten sind anständige Leute. Nicht so wie ihr doppelzüngiger König.“ Er schüttelte den Kopf, leerte den Krug und wischte sich mit dem Handrücken über den Bart. „Ich denke noch einmal darüber nach“, versprach er.

„So wie wir alle“, versicherte ihm Muradin und angelte sich ein letztes Küchlein vom Teller, als sie alle aufstanden. „Keine Angst, wir finden schon eine Lösung.“

„Das werden wir ganz bestimmt“, stimmte Terenas zu. „Ich hoffe nur, wir lösen dieses Problem, bevor uns wichtigere Angelegenheiten beschäftigen.“

Seine beiden Begleiter wussten, was er meinte. Sie hatten Khadgars Warnung erst vor wenigen Tagen erhalten und warteten nun auf Nachricht von Turalyon.

Wenn die Horde tatsächlich angriff, wenn sich das Portal erneut öffnete, dann würden schon bald alle Fragen, Alterac betreffend, irrelevant sein. Doch solange Perenolde unter Hausarrest stand und das Königreich sich unter der Kontrolle der Allianz befand, konnten sie sich später darüber Gedanken machen... falls sie überlebten.

Muradin dachte düster über die Demonstration von Arthas’ Kampfkünsten an der Rüstung nach und hoffte inständig, dass der Prinz noch nicht so bald den Geschmack echten Krieges zu spüren bekommen würde.

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