24

„Ho, Kameraden!“

Turalyon sah überrascht auf. Es war bewölkt, und jemand kam in diesem Moment aus den schweren Wolken herabgeflogen.

Der Ruf hielt Alleria und ihre Waldläufer gerade noch davon ab, auf die niederstürzende Gestalt zu feuern. Turalyon wollte schon seine Männer zur Verteidigung rufen, ließ es aber bleiben, als er erkannte, wer sich da näherte. Er stemmte, mit einem Lächeln auf den Lippen, die Hände in die Hüfte, als Sky’ree ihre Flügel ausbreitete und zur Landung ansetzte.

Kurdran stieg bereits von Sky’rees Rücken ab, während sich ihre Krallen noch tief in die Erde gruben. Er lief zu Turalyon, wo Khadgar und Alleria warteten. Turalyons Freude, den Zwerg wiederzusehen, schwand, als er dessen steifen, langsamen Gang bemerkte. Verwirrt beobachtete er die merkwürdige, gebeugte Gestalt, die ebenfalls abstieg und hinter Kurdran herschritt.

„Ah, ich freue mich, euch alle zu sehen“, sagte Kurdran, schüttelte Turalyon und Khadgar die Hände und gab Alleria einen Handkuss. „Das war eine verdammt knappe Sache, weil diese grünen Bestien mich gefangen genommen hatten.“

Turalyon furchte die Stirn und beobachtete seinen kleinen Freund. „Ich bin froh, dass du entkommen bist.“

„Das stimmt nicht ganz. Ich wurde gerettet – und vollständig geheilt“, korrigierte ihn Kurdran. „Freund Danath half mir und erstürmte ihre ganze Ruine. Die Orcs nannten sie Auchindoun. Wir fanden einen merkwürdigen Freund dort, der dir das eine oder andere über das Heilen mithilfe des Lichts beibringen könnte. Ich... ahm... um mich stand es nämlich nicht zum Besten.“

Turalyon sah seinen Freund voller Zuneigung an. Kurdrans Erzählung klang, als wäre er dem Tod gerade noch einmal von der Schippe gesprungen. „Ich freue mich“, sagte er eifrig.

„Der nächste Teil wird dich nicht so erfreuen. Ner’zhul ist uns entkommen. Er und seine Todesritter haben einen Zauber gewirkt, der sie an einen anderen Ort brachte. Sie nennen ihn den Schwarzen Tempel. Wir konnten sie leider nicht aufhalten.“

Turalyon seufzte und legte eine Hand auf Kurdrans Schulter. „Kein Sorge, Kurdran. Ich weiß, dass ihr, du und Danath, euer Bestes gegeben habt. Ich bin froh, dass ihr es geschafft habt, hierher zu finden.“ Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Schwarzer Tempel, das klingt nicht gut. Was wissen wir darüber?“

„Nicht viel. Aber diese gefiederte Kreatur hier wird uns hinbringen.“ Kurdran wies auf die Gestalt, die ihn auf Sky’rees Rücken begleitet hatte. Sie verneigte sich unterwürfig. „Das ist Grizzik. Er führte Danath nach Auchindoun hinein.“

„Grizzik kennt Weg“, sagte das Wesen mit hoher Stimme. „Ich erzähle euch von Schwarzem Tempel. Ich weiß, was und wo!“

„Ist das dein Wohltäter?“, fragte Alleria. „Der, der dich geheilt hat?“

„Nein, nein, das war ein Draenei – eine lange Geschichte.“

„Was bist du dann?“, fragte Alleria leise, und Turalyon erkannte, dass ihre Elfenaugen die Schatten der tiefen Kapuze durchdrungen hatten, die Grizziks Gesicht verdeckte.

„Ich Arakkoa“, antwortete Grizzik und schob die Kapuze zurück. Turalyon versuchte seinen Schrecken angesichts des langen Schnabels und des Gefieders zu verbergen. „Wir geboren auf dieser Welt, so wie Orcs. Lange Arakkoa blieben unter sich. Wenig wir haben Kontakt zu Orcs oder Draenei. Dann Orcs kämpften, schlossen zusammen sich. Schlachteten Draenei ab.“

„Auchindoun war eine Begräbnisstätte der Draenei“, erklärte Kurdran. „Das hat Grizzik mir erzählt.“

„Und Schwarzer Tempel gehört auch ihnen“, fügte Grizzik hinzu. „Obwohl er damals anders genannt wurde. Dort Draenei schlugen letztes Gefecht, und dort meine Artgenossen und ich auch gegen Orcs gekämpft.“ Seine Augen glänzten vor Wut, obwohl Turalyon auch ein wenig Heimtücke zu erkennen glaubte. „Wir versagt. Obwohl nicht durch Mangel an Waffen. Orcs hatten Zauberer, Gul’dan. Er sehr stark. Er verändert Erde, erhebt großen Vulkan in unserer Mitte.“ Seine kleinen Augen glommen vor Wut.

„Gul’dan, hmm?“ Khadgar nahm einen Beutel von der Schulter und holte den Schädel heraus. „Das ist alles, was von ihm übrig geblieben ist. Er wird euch keinen Ärger mehr machen“, sagte der alt wirkende, tatsächlich aber junge Magier dem Arakkoa, bevor er den Schädel mit einem hastig verborgenen Ausdruck der Erleichterung zurücksteckte.

Grizziks Augen weiteten sich. „Du getötet Gul’dan?“, fragte er, seine Stimme ein gehauchtes Flüstern.

„Nein“, gestand Turalyon ein. „Jemand anders hat ihn zuerst erwischt. Aber wir haben die Macht der Horde gebrochen und eine ihrer wichtigsten Festungen eingenommen. Jetzt müssen wir nur noch zum Schwarzen Tempel, Ner’zhul finden und ihn ebenfalls töten.“

Der Arakkoa bewegte den Kopf ruckartig. „Ich kann zeigen euch Weg“, versicherte er ihnen.

Turalyon sah Kurdran an, und der Anführer der Wildhammerzwerge zuckte die Achseln. Turalyon verstand. Der schlaue Zwerg war sich nicht sicher, ob man Grizzik vertrauen konnte, aber sie hatten keine andere Wahl. „Danke“, sagte er dem Arakkoa. „Wir freuen uns über deine Hilfe.“ Er wandte sich an Kurdran. „Wir zeichnen heute Abend eine grobe Karte, die auf Grizziks Informationen basiert. Ich will, dass du morgen zu Danath zurückfliegst. Wir müssen uns entscheiden, wo wir uns treffen, um von dort aus in die Schlacht zu ziehen.“

Kurdran nickte. „In Ordnung, Kumpel, ein guter Plan. Aber wer hat jetzt ein Bier für mich und was zum Essen? Wenn ich mich ein wenig erholt habe, berichte ich dir alles über unsere Reise und die Schlacht bei Auchindoun.“

Turalyon lächelte. „Ich kann es kaum abwarten“, sagte er dem Zwerg. Und es stimmte. Er sah Alleria an und lächelte, als sie ihre Hände in seine legte. Morgen würden sie wieder gemeinsam losziehen, aber heute wenigstens konnten sie beisammensitzen, trinken und der fraglos spannenden Geschichte des Wildhammerzwergs lauschen.

Einige Tage später ritten sie durch zwei niedrige Bergzüge und sahen ein weites Tal, das sich vor ihnen erstreckte. Als Kurdran sie gefunden hatte, hatten sie sich gerade auf gleicher Höhe mit der Höllenfeuerzitadelle und dem Dunklen Portal befunden, wie die Orcs diese Orte nannten. Grizzik hatte sie weiter nach Süden geführt und war dann nach Osten abgebogen. Schließlich hatten sie die Verschlingende See erreicht – so bezeichnete der Arakkoa das Meer. An dessen Ufer stand der Schwarze Tempel, wo das Schattenmondtal in die Berge überging. Und hier warteten Danath und der Rest der Allianzarmee auf sie.

Danath und seine Leute waren nicht untätig gewesen. Das bemerkte Turalyon beim Näherkommen. Ein einfaches, aber effektives Lager entstand in der südwestlichen Ecke des Tals. Dicke Wände aus Baumstämmen waren schon halb hochgezogen.

„Das war Kurdrans Idee“, sagte Danath und drückte Turalyons Hand. „Er meinte, wir brauchten einen Ort, wo wir das Tal im Auge behalten konnten. Und diese Stelle erschien uns beiden hoch genug gelegen.“

Turalyon nickte. Es stimmte. Von hier aus konnte man das ganze Land überblicken, inklusive des riesigen Vulkans in der Mitte, der Rauch, Asche und Lava spie.

„Und dazu müssen wir das Tal nicht mal betreten“, fügte Kurdran hinzu. „Die Lava ist grün, und der ganze Boden ist damit durchtränkt.“

Khadgar nickte, und Turalyon bemerkte den gequälten Gesichtsausdruck seines Freundes. „Teufelsmagie“, flüsterte er. „Die reinste Form, der ich je begegnet bin.“ Der Erzmagier schüttelte den Kopf. „Ich möchte gar nicht erst wissen, was für Zauber Gul’dan dafür wirken musste. Das ist wider die Natur. Kein Wunder, dass diese Welt stirbt.“ Er schaute düster zu Kurdran. „Halt deine Leute davon so fern wie möglich“, ermahnte er ihn. „Und geht nicht öfter als unbedingt nötig ins Tal.“

„Klar, verstanden, wir bleiben da weg“, versicherte ihm Kurdran. „Außerdem haben wir das Tal bereits erkundet.“ Er holte ein Pergament hervor und zeigte ihnen die Karte, die er gezeichnet hatte. „Der Schwarze Tempel ist hier, am östlichen Rand“, sagte er und wies auf das massive, dunkle Gebäude, das man deutlich durch das Tal erkennen konnte. „Der einzige Weg dahin führt hier durch. Die Senke wirkt wie ein großes Hufeisen und ist zu dieser Seite offen.“

„Irgendein Zeichen von Ner’zhul?“, fragte Alleria.

„Ja, er befindet sich hier“, antwortete Kurdran. „Und auch diese Todesritter. Dazu einige Orcs, aber nicht viele.“ Er grinste. „Wir haben sie festgesetzt. Die gehen nirgendwohin.“

Turalyon sah zu Danath, der nickte. „Wir belagern den Tempel, sobald wir dort ankommen“, erklärte er. „Ich will nicht riskieren, dass sie Verstärkung erhalten.“

„Gut.“ Turalyon wandte sich an die anderen. „Wir müssen selbst sehen, wie wir dahinüber kommen. Khadgar, du bist der Schlüssel. Du musst Ner’zhul ausschalten und diesen Zauber aufhalten. Alleria, du und deine Waldläufer beschützt ihn mit euren Bögen. Schießt auf alles, was auch nur in seine Richtung schaut. Ich werde mich um alles in seiner Nähe kümmern. Wir schlagen uns durch ihre Verteidigung, finden Ner’zhul, töten ihn, holen die Artefakte und sind wieder weg. Einverstanden?“

„Absolut“, stimmte Khadgar zu, und die anderen nickten.

„Gut“. Turalyon seufzte, sprach ein schnelles Gebet und rief das Heilige Licht um Schutz für sie alle an. Er spürte, wie der Segen über sie kam, warm und beruhigend, und dafür dankte er. Er fasste Kurdran, Danath und Khadgar an den Händen. Dann wandte er sich Alleria zu. Sie lächelte ihn tapfer an, aber sie kannte die Risiken.

Dem Licht sei Dank waren sie nicht so töricht gewesen, immer einander weiter aus dem Weg zu gehen. Stattdessen hatten sie Stärke und Trost beieinander gefunden. Er hielt sie einen Moment lang ganz fest, legte sein Kinn auf ihr schimmerndes Haar, dann hob er ihren Kopf an, um sie zu küssen. Schließlich schenkte er ihr sein fröhlichstes Lachen und schulterte den Hammer. „Auf geht’s.“

Sie stürmten ins Tal. Die übrigen Allianzstreitkräfte waren direkt hinter Turalyon. Nur eine Handvoll Männer blieb zurück, um das Lager zu bewachen.

Als sie um den Vulkan herumkamen, sah Turalyon den Schwarzen Tempel zum ersten Mal aus der Nähe, und nur sein Glaube bewahrte ihn davor, sein Pferd herumzureißen und in die entgegengesetzte Richtung davonzugaloppieren.

Der Ort war gewaltig, er überragte sogar den Vulkan. Der Stein, aus dem der Tempel gehauen war, war vielleicht früher einmal hell gewesen. Aber nun bedeckten ihn Asche und verdorbene Substanzen, die jegliches Licht verschluckten. Das Gebäude ragte wie ein Schatten auf, der Gestalt angenommen hatte. Gedrungen, hässlich und gefährlich verhöhnte es die Armee, die gegen seine Mauern anrannte.

Turalyon erkannte, dass jede Mauer mit Symbolen verziert war, obwohl er keine Details erkennen konnte. Auf der Spitze ragte etwas hervor, das wie eine nach dem Himmel greifende Hand aussah. Noch während Turalyon diesen Anblick verdaute, stolperte sein Pferd, und er wurde beinahe zu Boden geworfen. Blitze – grün, laut und unheilvoll, erfüllt mit Dunkelheit statt Licht – überzogen den Himmel. Sein Pferd wieherte vor Angst und richtete sich auf. Sein Reiter war kaum weniger eingeschüchtert, tat aber sein Bestes, um das Tier zu beruhigen.

„Was ist los?“, rief er Khadgar über das Donnern zu.

„Der Himmel ist in Ordnung“, gab Khadgar zurück. „Ich fürchte, dass...“

Ihm wurden die Worte abgeschnitten, als die Erde erneut bebte und der Himmel grün aufblitzte.

Turalyon sah noch einen Blitz, und sein Kopf fuhr hoch.

Die nach oben greifende Hand glühte rot.

„O nein“, stöhnte er und wandte sich an Khadgar.

„Ich hatte recht“, rief Khadgar. „Ner’zhul hat mit dem Zauber begonnen.“

„Können wir ihn aufhalten?“

„Ich kann es“, antwortete Khadgar grimmig. „Verschaff mir nur etwas Zeit.“

„Wird erledigt.“ Turalyon hob seinen Hammer und rief seinen Glauben an. Die so gewonnene Kraft leitete er in die gesegnete Waffe. Die Oberfläche des Hammers begann zu leuchten, und das Licht breitete sich aus, bis es heller als der Vulkan strahlte. Orcs und Todesritter, die vor dem Schwarzen Tempel kämpften, schauten geblendet weg. Aber die Allianzkrieger beeinflusste das Licht nicht. Deshalb jubelten seine Soldaten, als Turalyon an ihnen vorbeigaloppierte und sein Hammer eine Schneise durch die Verteidiger des Tempels schlug.

Bis ihm eine Gestalt in den Weg trat.

„Dein kleines Licht macht mir keine Angst!“, rief Teron Blutschatten. Er hielt einen juwelenbesetzten Stab in der Hand. Jeder, der es sehen konnte, merkte, dass der Todesritter log. Er hatte seine Kapuze nach hinten gestreift, und sein hässliches, verwesendes Gesicht und die brennenden roten Augen waren sichtbar geworden. Das Gesicht war schmerzverzerrt und sein Körper angespannt. Blutschatten hob die merkwürdige Waffe. Sie leuchtete in vielen Farben, und die Strahlen kämpften gegen Turalyons Leuchten an, versuchten gar, es zu übertreffen.

„Das Heilige Licht ist all das, was du nicht bist, Monster“, rief Turalyon zur Antwort, richtete den Hammer auf Blutschatten und strahlte das Licht auf ihn ab. „Wenn du es nicht fürchtest, dann heiße es willkommen!“

Der Stoß traf Blutschatten, aber der hielt seinen Stab vor sich und fing damit Turalyons Angriff ab. Er zerteilte das weiße Licht wie ein Prisma in viele Farbstrahlen. Dann schlug der Todesritter zu. Er deutete mit dem Stab auf Turalyon. Daraufhin entstand an der Spitze ein Schatten, der den Kommandeur der Allianz umgab.

Turalyon spürte, wie die Finsternis ihn zu zerquetschen versuchte. Sie begrub sein Licht und seine Glieder gleichzeitig. Er kämpfte dagegen an und wand sich, um freizukommen. Die Luft rauschte an ihm vorbei, und er knallte hart auf die Erde. Der Angriff hatte ihn offenbar vom Pferd geworfen. Aber die Finsternis lastete weiter auf ihm und presste ihn zu Boden.

Er schnappte nach Luft, doch seine Lungen weigerten sich zu atmen, weigerten sich, seinen Befehlen zu gehorchen. Er war zusammengebrochen.

Das hatte ja so kommen müssen, er war nicht einmal in der Lage, sich auf seinem Pferd zu halten. Was für ein General war er eigentlich? Auch seine Männer würden sterben. Er hatte sie direkt in den Tod geführt. Lothar wäre so enttäuscht von ihm...

Turalyon zuckte am Boden, wollte atmen, aber die Ranken der Finsternis umgaben seine Brust und zogen sich immer enger zusammen. Wie eine Schlange wanden sie sich um ihn herum, fixierten seine Arme an der Seite, erzwangen sich den Zugang zu Mund, Nase, Augen... ah, wie es brannte! Tränen liefen aus seinen geschlossenen Lidern, sie schürten aber nur das Feuer.

Und so würde er sterben – weil er versagt hatte, eine Katastrophe. Er war für alle Toten verantwortlich, für all die Unschuldigen auf anderen Welten, erstarrt vor Furcht, wenn die grüne Flut über sie kam. Die Männer, die ihm geglaubt hatten, als er ihnen versprach, das Licht sei mit ihnen. Licht... welches Licht... wo war es jetzt, da er es brauchte...?

Alleria!

Auch sie wäre tot, träfe ihre Familie und würde ihn verfluchen, egal, an welche Form des Lebens nach dem Tod die Elfen auch immer glauben mochten. Sie hatte ihn nie geliebt, das erkannte er jetzt. Er war nur ein Spielzeug gewesen, eins, das sie überleben würde, eins, das sie weggeschmissen hätte. Khadgar – Kurdran – Danath –

Die dunklen Ranken zogen sich zusammen. Turalyon öffnete die Augen, er starrte ins Leere.

Es tut mir leid, Lothar. Ich habe dich enttäuscht. Ich bin nicht du. Ich habe...

Er blinzelte.

Er hatte sie so gut geführt, wie er konnte. Nein, er war nicht Anduin Lothar, der Löwe von Azeroth. Nur Lothar konnte Lothar sein. Es wäre der Gipfel der Arroganz, etwas anderes zu behaupten. Er war Turalyon, und das Licht war mit ihm. Es hatte ihn bislang nicht enttäuscht, nicht, wenn er aus vollem Herzen gebetet hatte.

Frag nur. Du musst nur fragen, mit reinem Herzen. Deshalb hat Lothar dich erwählt. Nicht, weil er glaubte, du wärst er, sondern weil er wusste, dass du immer du selbst sein würdest.

Turalyon atmete flach, behindert von den dunklen Ranken, und betete. Er öffnete die Augen und wusste – ohne zu verstehen, warum –, dass sie reines, weißes Licht abstrahlten. Er sah auf die Ranken hinab, und sie vergingen. Sie wichen von ihm, so wie Schatten immer vor Licht weichen mussten. Er atmete tief ein, sein Brustkorb hob und senkte sich, er kam auf die Beine, ergriff seinen Hammer und erschlug, was von den Schatten noch übrig geblieben war.

Der Angriff hatte nur wenige Sekunden gedauert, aber er hatte sich wie eine Ewigkeit angefühlt. Blutschatten hatte die Ablenkung genutzt, um näher heranzukommen. Und als Turalyon wieder einen freieren Blick hatte, erkannte er, dass der Todesritter nur noch ein paar Schritte von ihm entfernt war. Dessen rote Augen weiteten sich, als Turalyon vortrat. Er hatte offensichtlich nicht damit gerechnet, dass sich der junge Kommandeur der Allianz so schnell befreien konnte. Deshalb war er auf den kräftigen Schlag nicht vorbereitet, mit dem Turalyon ihn auf der Brust traf. Turalyon war sich sicher, dass er Knochen brechen hörte. Der Todesritter taumelte, fiel aber nicht.

„Du kannst nicht gewinnen“, zischte Blutschatten durch seine gefletschten Zähne. „Ich bin bereits tot... was kannst du mir schon antun?“

Sein Stab stieß vor, erwischte Turalyon am Bauch und warf ihn um. Blutschattens Hand streifte über Turalyons Helm. Schmerzen durchzuckten seinen Schädel, als hätte ein Schraubstock den Helm zerquetscht. Sterne explodierten vor seinen Augen, und er spürte, wie die Welt kippte.

In seiner Verzweiflung schlug er erneut mit dem Hammer zu, ein mächtiger, beidhändig geführter Hieb. Und er spürte, wie der schwere Hammerkopf etwas Festes streifte. Es klapperte, dann holte er tief Luft, und der Schmerz verging.

Turalyon blinzelte die Sterne weg und atmete tief durch, um einen klaren Kopf zu bekommen. Er blickte gerade rechtzeitig auf, um Blutschatten taumeln zu sehen, ein Arm hing an der Seite herunter. Als der Todesritter das Gleichgewicht verloren hatte, stürmte Turalyon mit erhobenem Hammer nach vorne. Er beschwor seinen Glauben, und das Licht brach aus ihm und dem Hammer hervor. Es war zu hell, um hineinblicken zu können.

Der Todesritter schrie und hob seine Hände, um seine Augen vor der Strahlung zu schützen, die gerade sein Fleisch versengte.

„Beim Licht!“, brüllte Turalyon. Es war gleichermaßen Lobpreisung, Gebet und Versprechen. Das Licht leuchtete grell. Er schlug mit dem Hammer zu und zerstörte nicht nur den wiederbelebten Körper. Er spaltete ihn regelrecht, und das Licht schnitt durch Teron Blutschatten, bis er ein durchnässter, rauchender Klumpen war.

Ein schreckliches Heulen drang an Turalyons Ohren, und er starrte mit Schrecken und Unglauben auf das kreischende Irrlicht, das Teron Blutschattens Seele davontragen wollte.

Der Paladin hob den leuchtenden Hammer und schlug noch einmal zu. Aber der Hieb kam etwas zu spät, und der Geist war fort, floh vor Schmerz und Frustration schreiend hinauf in den knisternden grünschwarzen Himmel.

„Weiter geht’s!“, riss Allerias Stimme Turalyon aus seinen Gedanken. Sein Herz wollte sie sehen. Eilig kletterte er auf sein Pferd und galoppierte zu ihr.

Vor ihnen ritt Khadgar, und sie holten ihn schnell ein. Der Todesritter war der letzte Verteidiger des Tempels gewesen. Jetzt befanden sie sich im Schwarzen Tempel selbst und sahen die lange Wendeltreppe, die nach oben führte, wo ein fahles Licht herableuchtete.

Alleria... Khadgar... Danath... Kurdrun – verdammt, sie waren schließlich nicht hier, um zu sterben. Mit einem Kopfschütteln brach Turalyon den letzten Bann, den der Schatten über ihn gelegt hatte, nahm seinen Hammer und ritt seiner Bestimmung entgegen.

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