21

Es war kein Orc.

Danath hatte so ein Wesen noch nie zuvor gesehen. Die Gestalt war groß und breitschultrig und hatte blassblaue Haut, die im trüben Fackelschein fast leuchtete. Ihre Gesichtszüge waren streng und edel, denen der Elfen ähnlich, aber derber. Sie hatte kleine, spitze Ohren und große, schräg stehende Augen. Eine Reihe gezahnter Plättchen bedeckte die Stirn des Wesens und endete knapp über den ernsten Augenbrauen; dicke Tentakel hingen an einem kleinen, buschigen Bart vom Kinn. Silbernes Haar umgab den Kopf und fiel über die Schultern des reich geschmückten, aber abgetragenen Gewandes. In der Hand hielt das Geschöpf einen verzierten Stab. Hufe ragten unter dem ausgefransten Saum hervor. Zudem bemerkte Danath, dass diese merkwürdige Gestalt auch einen Schwanz hatte.

Das Wesen sprach mit tiefer, sanfter Stimme und hob den Stab, dessen Spitze blassviolett leuchtete. Der Glanz spiegelte sich in seinen Augen wider. Diese Augen sahen Grizzik an, der hinter Danath kauerte, und sie verengten sich. Die Gestalt sprach erneut in wütendem Tonfall, und Grizzik antwortete in der gleichen Sprache.

„Was ist das für ein Wesen? Was will es?“, rief Danath. „Es ist offensichtlich nicht erfreut, dich zu sehen.“

„Ich ihm sagen, ich führe edle Krieger hierher, das ist alles.“

Das Wesen wandte sich ihnen erneut zu und spießte Danath mit seinem Blick auf. Dann murmelte es etwas, und sein Stab glühte erneut. Es öffnete die Augen und antwortete – wobei es ihre Sprache perfekt beherrschte.

„Diese... Kreatur... hat mir erzählt, dass sie euch hierher geführt hat. Was seid ihr, und was wollt ihr hier im Kreise der verehrten Toten?“

Danath senkte den Schild und steckte das Schwert zurück. Er war schockiert, dass sein Gegenüber seine Sprache beherrschte. Aber es war ihm wichtiger, das Wesen davon zu überzeugen, sie vorbeizulassen, als herauszufinden, wie es dieses Kunststück bewerkstelligte.

„Ich entschuldige mich für mein Eindringen“, begann er. „Wir wollen weder eure Toten noch dich stören. Aber die Horde hat in diesen Tunneln Zuflucht gefunden und hält unseren Freund gefangen. Wir wollen ihn befreien und die Orcs schlagen.“

Das Wesen – Danath nahm an, dass es ein Draenei war, weil Grizzik berichtet hatte, dass es deren Tempel war – schaute bei der Erwähnung der Horde auf, nickte aber, als Danath fertig war. „Ja, die Orcs sind in unsere Tunnel eingedrungen“, bestätigte es, senkte seinen Stab und stellte ihn auf den Boden. „Sie befinden sich im Schattenlabyrinth, dem tiefsten Teil von Auchindoun. Dem Bereich, der am wenigsten beschädigt ist. Dorthin werden sie euren Freund gebracht haben. Außerdem hält sich dort die Hauptstreitmacht der Horde auf.“

„Die Hauptstreitmacht?“, fragte Danath und beugte sich neugierig vor.

„Einige der Orcs befinden sich schon seit Längerem hier“, antwortete der Draenei. „Seit der Zeit kurz vor der Explosion. Sie wohnen in einem anderen Tunnel.“ Er schüttelte den Kopf. Eine Mischung aus Wut und Trauer war auf seinen edlen Gesichtszügen zu sehen. „Sie haben den Tempel schon zu lange mit ihrer Anwesenheit beschmutzt.“

„Wir werden uns schon bald darum kümmern.“

„Ihr habt mir euer Anliegen genannt. Jetzt sagt mir, was für eine Art von Geschöpf ihr seid. Ich bin viel herumgekommen, aber so etwas wie euch habe ich noch nie erblickt.“

„Ich bin ein Mensch“, antwortete Danath. „Wir stammen von Azeroth, einer anderen Welt. Die Orcs haben ein Tor zwischen unserer Welt und Draenor geöffnet und sind bei uns eingedrungen. Aber wir haben ihre Armee geschlagen und sie zurückgetrieben. Jetzt wollen wir das Portal für immer schließen, um unsere Heimat und unser Volk zu schützen.“

Der Draenei beobachtete ihn. Die großen Augen blinzelten nicht. Danath spürte, dass der Fremde irgendwie den Wahrheitsgehalt seiner Worte überprüfte. Schließlich nickte er. „Das ist ein edles Ziel“, sagte er, trat aus dem Türrahmen und stellte sich vor Danath. „Ich bin Nemuraan, einer der letzten Auchenai“, stellte er sich vor. „Wir waren die Priester unseres Volkes und kümmerten uns um die Toten in Auchindoun.“

Danath stellte sich und Talthressar vor und verbeugte sich.

„Ich heiße euer Unternehmen gut, sowohl die Rettung eures Freundes als auch die Vernichtung der Horde“, fuhr Nemuraan fort. „Ich kann euch bei beiden Aufgaben helfen, wenn ihr wollt.“

„Dafür wäre ich dankbar“, antwortete Danath aufrichtig erfreut. Er zeigte dem Auchenai die grobe Karte, die Grizzik gezeichnet hatte. „Das ist alles, was ich von Auchindoun kenne.“

Nemuraan untersuchte die Skizze und lachte bitter. „Hat der da die Karte für euch gezeichnet?“, fragte er und zeigte mit einem schnellen Zucken seines tentakelbewehrten Kinns auf den Arakkoa. Grizzik befand sich, als wollte er Deckung suchen, inmitten der Allianzkrieger.

Danath nickte. „Er streift seit Jahren durch unsere Hallen“, fuhr der Auchenai fort, „aber er weiß wenig, außer, wo sich Gegenstände finden, die er stehlen kann.“

„Ich wollte nichts Böses“, protestierte Grizzik. „Ich nicht wusste, dass noch jemand lebt in Auchindoun. Ich hätte nie genommen etwas, wenn ich geglaubt hätte...“

„Wenn du geglaubt hättest, dabei erwischt zu werden?“, unterbrach ihn Nemuraan. „Seid vorsichtig mit ihm“, warnte er Danath. „Die Arakkoa waren schon immer eine verschlagene Rasse und sind sehr selbstsüchtig.“

„Bislang hat er die Wahrheit gesagt“, antwortete Danath, „und ich glaube ihm, dass er die Horde hasst.“

„Ja!“, bestätigte Grizzik eifrig. Seine dunklen Augen glitzerten. „Ich hasse sie alle! Bitte, bitte! Wir haben gemeinsamen Feind!“

„Das stimmt“, bestätigte Nemuraan nach einem Moment. „Nun gut, Arakkoa, dann machen wir von jetzt an einen Neubeginn.“

Der Auchenai wandte sich wieder Danath zu, nahm das Pergament aus seiner Hand und zog einen kleinen, schwarzen Stift aus seinem Gewand hervor. Mit einigen schnellen Markierungen änderte er ein paar Linien, verband ein paar Tunnel und erweiterte die Karte beträchtlich. „Die Orcs sind hier“, erklärte er und wies auf eine Sektion. „Kommt. Ich werde euch dorthin führen.“

Ohne ein weiteres Wort warf er Danath die Karte zu und wandte sich ab. Dann kletterte er die Stufen hinauf, wobei das Klackern seiner Hufe auf dem Steinboden nachklang.

Danath sah Talthressar und Rellian an, die beide nickten. Er atmete tief ein und folgte dem Draenei nach Auchindoun hinein.

„Hast du hier die ganzen Jahre allein gelebt?“, fragte er Nemuraan leise, als der sie in einen zweiten Gang führte und dann durch eine Reihe sich windender Korridore.

„Es gab noch andere“, erwiderte der Auchinai, der seinen Stab erhoben hatte, um den Weg zu leuchten. „Einige von uns überlebten den Angriff der Horde und flohen in die Tunnel. Andere Draenei, die Schutz vor dem plötzlichen Ansturm der Horde suchten, kamen später dazu. Viele davon starben bei der Explosion, und andere werden seitdem vermisst. Nur eine Handvoll ist noch da.“

Danath sah sich um und fragte sich, wo die anderen wohl sein mochten. Aber vor ihm schüttelte Nemuraan den Kopf.

„Du wirst sie nicht sehen. Obwohl du edel und ehrlich wirkst, wäre es nicht sehr klug, den Rest meines Volkes in Gefahr zu bringen. Sie bleiben versteckt, während ich euch helfe. Damit, falls ihr mich verratet, unsere Rasse weiterbesteht.“

„Eine weise Vorsichtsmaßnahme“, erkannte Danath an. „Ich hätte dasselbe getan.“

Sie gingen noch eine Weile weiter und blieben schließlich vor einer Tür stehen. „Hier beginnt das Schattenlabyrinth“, erklärte Nemuraan. „Hinter dieser Tür befindet sich die Horde.“ Er beobachtete Danath genau, sein Gesicht wirkte düster, aber in seinen Augen leuchtete so etwas wie Anteilnahme oder Freude. „Ich würde euch gern weiterhelfen, wenn ihr gestattet“, bot er leise an. „Obwohl ich euch warnen muss, denn diese Hilfe könnte für einige beunruhigend sein.“

Danath furchte die Stirn und hob dabei eine Augenbraue. „Was meinst du?“

Der Auchenai neigte den Kopf. „Ich bewache die Seelen all derer, die von uns gegangen sind“, erklärte er bescheiden, die Hände umfassten den Stab. „In Zeiten der Not kann ich sie rufen. Ich würde das jetzt tun, sie würden es genießen, diese heiligen Hallen von den Orcs zu befreien.“

Danath war vor allem über den nüchternen Ton, mit dem dieses Angebot unterbreitet wurde, erstaunt. Er wusste, dass die Todesritter der Horde Geister von Orcs waren, die in menschlichen Körpern steckten. Also konnten Geister eindeutig den Tod überleben. Aber er hatte gelernt, dass man die Dahingeschiedenen besser ruhen ließ.

Doch wenn Nemuraan der Beschützer der Toten war... war es sicher in Ordnung, wenn er sie um Hilfe bat – oder nicht? Danath hatte Turalyon einmal gesagt, dass die Geister der gefallenen Männer mit ihm kämpfen würden, wenn sie die Orcs gefunden hatten. Aber das war nur metaphorisch gemeint gewesen. Jetzt sah es so aus, als ob die Geister anderer Gefallener tatsächlich kämpfen würden.

Danath zuckte die Schultern. Diese Überlegungen waren etwas für Menschen mit einem esoterischeren Verständnis der Welt. Vom militärischen Standpunkt aus betrachtet konnte er sicherlich jede Hilfe brauchen.

„Ich bin geehrt“, sagte er, an Nemuraan gewandt. „Und wenn es sie nicht stört oder verärgert, nehmen wir die Hilfe gern an.“

Nemuraan nickte und verneigte sich tief. Er war offensichtlich zufrieden mit Danaths Antwort. Dann straffte er sich und erhob seinen Stab. Violettes Licht strahlte den Gang entlang, erfüllte ihn mit Helligkeit, und die Decke begann zu schimmern. Dieser Schimmer wurde heller, seine Farben veränderten sich von Violett zu Blau, Grün und Gold, als sie niedersanken und größer wurden und... Gestalt annnahmen.

Unmittelbar neben Danath und Nemuraan verwandelte sich eins dieser Lichter in eine feste Form. Eindeutig ein Draenei, der aber kräftiger als Nemuraan gebaut war. Er trug einen geschmückten Plattenpanzer statt eines Gewands, einen riesigen Kriegshammer über der Schulter, und ein langer Mantel wehte hinter ihm her. Andere nahmen ebenfalls Gestalt an und füllten den Raum.

Und sie alle sahen Danath und seine Leute an.

Wind entstand aus dem Nichts, strich durch Danaths Mantel und verwirbelte Talthressars langes Haar. Eine schneidende Kälte erfasste Danath, und er begann unkontrolliert zu zittern. Die Geisterkrieger traten vor, schön und unerbittlich. Danath war vor Schreck wie versteinert. Ihr Anführer streckte die Hand aus und berührte Danaths Stirn. Der Mensch schrie auf, als Bilder in seinem Geist auftauchten. Der junge Farol und Vann bei den Ställen vor dem Aufbruch. Vanns Worte, die abgeschnitten wurden, als ein Orc-Knüppel ihn für immer ruhigstellte. Er selbst über sein Pferd gebeugt, lebend, damit die Toten ihren Frieden fanden. Leichen... so viele, meine Jungs, meine Jungs. Es tut mir leid, so leid...

Das Bild der Horde, stark und bewaffnet, die über fruchtbare Felder rannte. Allerdings handelte es sich nicht um Azeroth. Hunderte Felder, Hunderte Welten, unschuldige Leute starben, als die grüne Flut, die nicht dorthin gehörte, das Leben aus ihnen heraussog.

Dann zog sie auf die nächste Welt weiter und auf die nächste...

„Deine Seele ist betrübt, Danath Trollbann von der Allianz“, sagte der Geist, obwohl sich sein Mund nicht bewegte. Die Worte erklangen in Danaths Geist. „Du trauerst um die Gefallenen. Gleichwohl du mit Trauer und Wut in deinem Herzen hierhergekommen bist, sind die wahren Gründe, die dich antreiben, nobel. Finde Frieden. Ich bin Boulestraan, einst war ich bekannt als das Blendende Licht. Meine Armee und ich helfen dir in deinem Kampf.“

Die kalte Angst verschwand, wurde ersetzt von einer merkwürdigen Art Frieden. Danath blinzelte. Er sah den Geist erneut an und bemerkte, dass dessen Augen aus reinem Gold bestanden und dass goldenes Licht auf seiner Stirn lag.

„Wir stehen in eurer Schuld“, sagte Danath. Es war schwer, die Worte herauszubringen oder den Blick von der Gestalt abzuwenden. Danath fragte sich, ob es ähnlich war, wenn Turalyon vom Ruhm des Heiligen Lichtes sprach. Boulestraan und seine Geisterkrieger wirkten plötzlich nicht mehr erschreckend, sondern erhaben, golden, leuchtend und schön. Danath erkannte, dass er geprüft worden war. Erleichterung überkam ihn, als er sah, wie die toten Draenei schützend vor ihm im Raum schwebten.

Schnell schüttelte er den Kopf, um wieder klar denken zu können. Danath befestigte den Schild an seinem Arm. Er zog sein Schwert und umfasste den mit Leder umwickelten Griff. Dann blickte er zu Talthresar und Rellian.

„Wenn wir da draußen sind, bleibt ihr bei mir“, sagte er. „Wir müssen Kurdran finden.“ Schließlich wandte er sich an die Männer unter seinem Kommando. „Die Orcs sind hinter dieser Tür. Sie wissen nicht, dass wir hier sind. Und sie erwarten sicherlich keinen Angriff vor dem Morgengrauen. Wir haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Lasst es uns nutzen. Wenn ihr durch diese Tür geht, greift den nächstbesten Orc an. Brüllt und tretet Dinge um, die euch im Weg stehen. Wir wollen sie verwirren, in Panik versetzen. Sie sollen nicht abschätzen können, wie vielen Feinden sie gegenübertreten.“ Er grinste. „Das macht sie zu leichten Zielen.“ Die Männer nickten und erhoben ihre Fäuste zu einem stillen Jubeln.

Danath hob ebenfalls die Faust und hielt die Fackel hoch. Dann wandte er sich wieder der Tür zu und nickte Nemuraan zu, sie zu öffnen.

Der Auchenai drückte die Klinke, dann riss er die Tür mit überraschender Kraft auf. Es ertönte ein dumpfes Schaben von Stein auf Stein, und etwas knackte. In dem engen Raum dröhnte dieses Geräusch wie Donnerhall.

„Für die Söhne Lothars!“, rief Danath, als er durch die Öffnung sprang. Die Tür führte in einen Tunnel mittlerer Größe, nicht weit hinter einer provisorischen Wand. Es waren vielleicht ein Dutzend Orcs anwesend, die herumlagen, schliefen oder Ausrüstung reparierten. Sie sahen erschreckt auf, als er vorwärtsstürmte. Mehrere Orcs kamen auf die Beine und suchten nach ihren Waffen. Aber sie waren zu langsam. Danaths erster Hieb erwischte einen Orc an der Kehle, als der gerade Alarm schlagen wollte. Er wirbelte herum, traf einen weiteren Orc über der Stirn und stach der Kreatur mit dem Schwert ins Herz, als sie den Kopf schüttelte, um die Sicht klar zu bekommen.

Jetzt waren mehrere seiner Männer bei ihm.

Dann kamen die leuchtenden, goldenen Toten herein, unerbittlich und schön, ihre Waffen feinstofflich, aber tödlich. Die Orcs verfielen in Panik, als sie die Toten sahen, und schrien vor Angst. Viele ließen ihre Waffen fallen und warfen sich auf den Boden, wo sie schnell erledigt wurden. Die meisten Orcs waren gar nicht vollständig gerüstet.

„Vorwärts!“, schrie Danath seinen Männern zu, selbst als der letzte Orc fiel. „Vorwärts! Tötet jeden Orc, den ihr seht!“ Er blickte zu Boulestraan. „Schick deine Krieger mit ihnen“, sagte er, und der Kommandeur der Draenei nickte. Seine Geisterkrieger teilten sich bereits auf, um Danaths Männer zu begleiten. „Nemuraan... weise mir den Weg zu dem Gefangenen!“

Der Auchenai nickte und öffnete eine Tür im hinteren Bereich. Dann führte er Danath und zwei elfische Waldläufer durch einen kurzen, schmalen Gang. Grizzik folgte ihnen dichtauf. Sie gingen weiter und gelangten in einen großen Raum am Ende des Korridors. Hier saßen weitere Orcs und schliefen oder aßen. Glücklicherweise hielten beide Waldläufer ihre Bogen bereit, und die Pfeile flogen, von ihren anmutigen Händen abgefeuert, und töteten bereits mehrere Orcs, bevor die auch nur merkten, dass sie nicht mehr allein waren.

Dann war Danath mittendrin. Sein Schwert schlug tiefe Wunden, und die Schreie und das Stöhnen seiner Opfer vermischten sich mit den Geräuschen des Chaos, die er aus den Räumen hinter sich hörte, wo seine Männer dieselbe grausige Arbeit erledigten.

Grizzik war auch nicht untätig. Der Vogelmann vollführte einen merkwürdigen gleitenden Sprung, der ihn geräuschlos hinter mehrere Orcs beförderte. Seine krallenartigen Hände schossen vor und durchtrennten einem Orc die Kehle. Ein zweiter Orc wandte sich um, seine Axt erhoben, aber der Arakkoa duckte sich darunter hinweg und wirbelte herum. Dann pickte er dem Orc die Augen aus, bevor er auch ihm die Kehle zerfetzte. Was immer der Arakkoa auch sein mochte, dachte Danath, der ihn aus den Augenwinkeln wahrnahm, wehrlos war er nicht.

„Hier lang!“, drängelte Nemuraan, nachdem die Verteidiger des Raumes gefallen waren. Er führte sie durch die blutverschmierte Kammer zu einer weiteren Tür. Der Auchenai hatte selbst keinen Orc angegriffen, obwohl seine Präsenz und das ausgestrahlte Licht es ihnen erleichtert hatten, die Orcs zu verwirren und zu erledigen. Die neue Tür führte sie in einen viel kleineren Raum, dessen eine Hälfte ein merkwürdiges Holzgestell mit Querträgern beanspruchte.

Daran festgebunden war eine kleine, muskulöse Gestalt. Überall war vertrocknetes Blut, selbst auf ihrer Haut. Sie hing bewusstlos in den Fesseln, und Danath, ganz der erfahrene Krieger, schaute einen Moment lang erschreckt auf, angesichts der Gräueltaten, die seinem Freund angetan worden waren.

Ein einziger, schwerer Orc lehnte an der Wand. Er trug eine Keule mit Dornen und sollte den Gefangenen bewachen. Der Krieger stieß sich von der Wand ab, als Danath in den Raum stürmte. Überraschung lag auf seinem plumpen Gesicht. Seine Augen weiteten sich noch mehr, als die Elfen zwei Pfeile in seine Brust jagten. Ein dritter Pfeil steckte genau zwischen seinen Augen, und der Orc starb, bevor er etwas sagen konnte.

Danath hackte bereits auf die Fesseln ein, die seinen Freund festhielten. „Kurdran!“, rief er und berührte ihn. „Kurdran!“

Talthressar murmelte etwas in seiner melodischen Sprache, aber auch er war blass, als er Danath half, den Wildhammerzwerg auf den Tisch zu legen. Danath stand immer noch unter Schock. Beide Arme des Zwerges waren auf unnatürliche Weise verdreht, und sein muskelbepackter Körper schien mehr Wunden und Schnitte als Tätowierungen aufzuweisen. Seine Hände und Beine waren gebrochen, als hätte jemand mit einem Knüppel darauf eingedroschen. Das einzige Lebenszeichen war ein schwaches Heben und Senken der Brust. Der Zwerg sah wie ein Stück Fleisch in einer Schlachterei aus. Was hatten die Orcs ihm nur angetan?

„Licht... Ich weiß nicht einmal, wo ich anfangen soll“, sagte Danath, seine Stimme klang belegt, als er auf den blutigen Körper schaute.

„Ich werde helfen... wenn du es mir erlaubst.“ Danaths Kopf fuhr hoch. Nemuraan trat vor, sein Stab glühte. „Ich bin ein Priester meines Volkes. Ich tue, was ich kann, um ihn zu heilen. Aber ihr solltet wissen... der Geist eures Freundes hängt nur noch schwach am Leben. Ich kann versuchen, ihn zu heilen, oder ich kann ihm den Übergang erleichtern. Wenn ihr ihn lieber sterben...“

„Nein!“, schrie Danath. „Das habe ich zu oft erlebt... bitte. Wenn du ihn heilen kannst, tu es.“

Danath und Talthressar traten zurück, als der Draenei seine Hand ausstreckte. Er legte sie auf Kurdrans Kopf, der mit getrocknetem Blut überzogen war, und hob seinen Stab. Der Draenei schloss die Augen und begann zu beten.

Danath schnappte nach Luft, als Nemuraans Körper zu leuchten begann. Er kannte die Worte nicht, aber sie beruhigten sein Herz. Das Glühen wurde an den Fingerspitzen des Draenei heller, dort, wo sie auf Kurdrans Stirn lagen. Schließlich war das Licht so grell, dass Danath widerstrebend die Augen schließen musste.

Er hatte das schon zuvor erlebt. Das Wesen von einer anderen Welt, dieser Draenei, der so merkwürdig aussah, benutzte das Licht ebenso wie Turalyon.

Ein Grunzen ließ Danath die Augen öffnen. „He, was...?“, murmelte Kurdran, sein Kopf warf sich von einer Seite auf die andere. „Macht doch, ihr grünhäutigen Bestien!“ Er öffnete die Augen und sah auf, als die blaue Gestalt sich über ihn beugte.

„Es ist alles in Ordnung“, versicherte Danath ihm, bevor er kämpfen konnte, und legte dem Zwerg eine Hand auf die Schulter. Nemuraan trat zurück, das Licht um ihn herum wurde blasser, und er lächelte. „Er... Wird er wieder...?“

„Ich habe getan, was ich konnte. Er ist zum größten Teil geheilt. Aber ich konnte nicht alle Narben entfernen, vor allem, wenn es sich um alte Brüche handelte.“

„Wer ist gebrochen?“, knurrte Kurdran. Er setzte sich langsam auf, streckte die Hände und Füße aus und befühlte seinen Körper. „He, ich wusste gar nicht, dass ich so viel Blut in mir hatte.“ Er schaute zu Danath. „Ah, Danath, Kumpel!“, sagte er, als er erkannte, wer da neben ihm stand. Sein breites Gesicht verzog sich zu einem Grinsen. „Du bist es, wie? Und absolut zur richtigen Zeit! Keine Sorge, diese Bestien haben kein Wort aus mir herausgekriegt. Hast du meinen Hammer mitgebracht?“

„Er sollte sich ausruhen“, ermahnte der Draenei.

„Pah! Ausruhen ist etwas für Tote“, knurrte Kurdran.

„Und manchmal nicht einmal für die“, sagte Talthressar und schaute Nemuraan an.

„Er ist ein Wildhammerzwerg“, sagte Danath, an den Priester gewandt. Das war die beste Erklärung, die er geben konnte. „Ich habe ihn dabei, Kurdran. Hier.“ Der Hammer war bei Sky’ree gewesen, als der Greif zurückgekehrt war. Danath hatte ihn in weiser Voraussicht mit in den Tunnel genommen. Er reichte dem Zwerg die Waffe und musste grinsen, als der den schweren Hammer nahm und ihn schulterte. Allerdings bewegte er sich dabei langsamer und steifer als zuvor.

„Gut.“ Kurdran inspizierte den Hammer schnell, dann nickte er zustimmend. „Nun, wie sieht der Plan aus, Kumpel? Und wer sind deine Freunde?“ Er nickte mit dem Kopf zu Grizzik und Nemuraan. Danath entging die Abscheu im Gesicht des Auchenai nicht, weil er mit dem Arakkoa im selben Atemzug genannt wurde.

„Nemuraan ist ein Auchenai, ein Totenpriester der Draenei“, erklärte Danath schnell. „Er ist einer der letzten Wächter hier. Du verdankst ihm dein Leben. Er hat dich geheilt.“

„Ah“, sagte Kurdran und verstand endlich. „Danke, Kumpel. Die Wildhammerzwerge vergessen so etwas nicht.“ Nemuraan neigte seinen Kopf.

„Und das ist Grizzik, der Arakkoa“, fuhr Danath fort. „Er hasst Orcs und hat uns aus dem Wald hierher geführt. Und der Plan?“ Er hob sein Schwert. „Die Truppen stürmen die Tunnel. Der Rest wird schon bald angreifen und die Orcs ablenken. Und wir werden Ner’zhul finden und seinen Kopf auf einem Spieß zurückbringen.“

„Ah, das ist ein Plan nach meinem Geschmack. Wo ist dieser Orc-Schamane denn?“

Sie sahen beide Nemuraan an, der den Kopf zur Seite neigte. „Der am leichtesten zu verteidigende Raum ist unsere frühere Gebetskammer“, sagte der Auchenai nach einem Moment. „Wahrscheinlich findet ihr ihn dort.“

„Dann auf dahin!“, sagte Danath. Nemuraan nickte. Er führte sie aus dem Raum hinaus und durch einen kurzen Gang zu einer breiten, schweren Steintür, die kunstvoll verziert war.

„Hier“, sagte er ihnen. „Hinter dieser Tür liegt die Gebetskammer.“ Trauer stand in seinem Blick. „Hierher kamen wir, um den Toten unseren Respekt zu zollen und mit ihnen zu reden.“

Rellian probierte die Türklinke aus. „Abgeschlossen“, sagte er.

„Tritt zurück, Kumpel“, drängelte Kurdran, als er den Hammer hob. „Das kann ein wenig splittern.“ Er war immer noch ziemlich unsicher auf den Beinen. Doch Danath schluckte den Protest hinunter. Er würde nicht versuchen, Kurdran aufzuhalten. Der Wildhammerzwerg musste sich selbst davon überzeugen, dass er noch kämpfen konnte. Danath hielt den Atem an, als der Zwerg Aufstellung nahm und dann mit dem Sturmhammer gegen die Tür drosch.

Der Donnerschlag, der dem Aufschlag folgte, warf Danath fast um. Ein lautes Krachen ertönte, und eine Staubwolke stieg auf. Als sie sich gelegt hatte, erkannte Danath, dass der Hieb die Tür zerschmettert hatte. Er konnte einen großen, runden Raum erkennen und zahlreiche Gestalten in dessen Mitte. Mehrere Orcs sahen überrascht auf, aber zwei waren sofort wieder auf den Beinen – ein massiger, einäugiger Orc und sein älter wirkender Klanbruder, auf dessen Gesicht ein Totenkopf prangte. Das musste Ner’zhul sein.

Ihre Blicke trafen sich kurz. Bevor Danath angreifen konnte, sagte Ner’zhul etwas zu dem einäugigen Orc, wandte sich ab und lief durch eine Tür am anderen Ende des Raumes.

„Nein, das tust du nicht!“, brüllte Danath und hetzte hinter Ner’zhul her. Aber der einäugige Orc blockierte ihm den Weg. Eine lange Narbe lief an einer Gesichtshälfte herab, und eine Klappe bedeckte das Auge. Doch das andere schaute Danath furchtlos an.

„Ich bin Kilrogg Totauge“, verkündete er stolz. Er sprach mit breitem Akzent und hämmerte mit der Hand gegen seine Brust, während er gleichzeitig die schwere Kriegsaxt hob. „Ich bin Häuptling des Klans des blutenden Auges. Ich habe viele Menschen getötet. Und du wirst nicht der letzte sein. Ich werde dich nicht vorbeilassen, das... schaffst du nicht.“

Danath beäugte den Feind vorsichtig. Er erkannte an den Strähnen grauen Haars und den Falten im Gesicht, dass Kilrogg älter als er selbst war. Aber sein Körper hatte immer noch viele Muskeln, und er bewegte sich mit der Anmut des geborenen Kriegers. Er schien den Begriff der Ehre zu kennen. Deshalb antwortete Danath ihm entsprechend.

„So sei es“, erwiderte er. Er hob sein Schwert hoch, um seinen Gegner zu grüßen. „Ich bin Danath Trollbann, Kommandeur der Allianzarmee. Ich habe viele Orcs getötet, und du wirst nicht der letzte sein. Und ich werde an dir vorbeikommen!“ Dann griff er an, den Schild vor sich haltend. Das Schwert ließ er bereits niedersausen.

Kilrogg blockte den Schlag mit der Axt ab und schlug Danath damit fast das Schwert aus der Hand, denn dessen Klinge verkantete sich zwischen der Schneide und dem Griff. Danath verlangsamte nicht, und sein Schild krachte ungebremst auf Kilroggs Brust. Der Orc taumelte einen Schritt zurück. Danath nutzte den Vorteil, um sein Schwert freizubekommen und erneut anzugreifen. Dieses Mal zielte er niedriger. Der Schlag erwischte Kilrogg knapp über der Taille, und der Häuptling grunzte, als Blut floss.

Die Wunde ließ ihn aber nicht erlahmen. Kilrogg antwortete mit einem eigenen Angriff. Er schlug mit der Faust vor Danaths Schild und verbeulte das schwere Metall. Danath wankte. Dann wirbelte Kilrogg mit der Axt herum und traf mit einem lässig geführten Schlag direkt unter den Rand von Danaths Schild. Danath musste zurückweichen, damit ihm nicht der Bauch aufgeschlitzt wurde. Die Axt drang durch den Schild, dabei war der Aufprall so hart, dass es Danath beinahe den Arm verdrehte.

Die Blicke der beiden trafen sich. Der Mensch bemerkte seine eigene widerwillige Bewunderung, als Kilrogg nickte. Jeder hielt den anderen für einen würdigen Gegner.

Die Temperatur fiel plötzlich, und Danath grinste. Schreie stiegen von überall im Raum auf. Sie zeugten nicht nur von Schmerz, sondern auch von der Furcht der Orcs vor den neuen Angreifern. Wieder einmal kamen Boulestraans Geistersoldaten den Allianztruppen zu Hilfe. Talthressar und Rellian schossen Pfeil auf Pfeil und trafen Orcs mit wohlplatzierten Schüssen. Kurdran hatte sich derweil auf die Orcs im vorderen Teil des Raumes konzentriert. Der Wildhammerzwerg hielt sie mit einer Hand in Schach und warf seinen Sturmhammer. Sein Kampfgeist war ungebrochen, obwohl die Orcs ihr Bestes gegeben hatten, ihn zu brechen.

Auch Kilrogg bemerkte, dass sich das Blatt wendete. Er brüllte vor Wut und griff an. Allerdings nicht Danath, sondern eine Gruppe von Männern an dessen Seite. Die schwere Axt durchpflügte in rasendem Tempo die Luft, traf, und zwei der Männer fielen um. Blut spritzte überall, als ihre Kameraden zurücksprangen und sich verzweifelt gegen den Anführer der Orcs wehrten. Die Geister der Draenei näherten sich ihm. Aber Kilrogg wich ihren Angriffen aus. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Menschen. So schnell Danaths Männer auch die Orcs erledigten, so schnell riss Kilrogg Schneisen in ihre Reihen.

Plötzlich taumelte Danath. Ein dröhnendes Geräusch pochte in seinem Kopf. Er sah sich um, konnte aber nichts entdecken. Dann erkannte er, dass es von der Tür herkam, durch die Ner’zhul kurz zuvor geflohen war. Unter der Tür glühte es. Die Geräusche waren Gesang, wie Danath nun erkannte. Seine Nackenhaare richteten sich auf. Danath wusste, dass hier irgendeine Magie gewirkt wurde.

Beim Licht, öffnete Ner’zhul das Portal etwa direkt hier?

„Wir müssen an ihnen vorbei!“, rief er seinen Männern zu. „In den nächsten Raum! Schnell!“

Doch Kilrogg verstellte immer noch den Weg. Der Häuptling war jetzt so gut wie allein. All seine Krieger waren von den Elfen, Zwergen, Menschen und Draenei niedergemacht worden. Aber er zeigte keine Anzeichen einer Niederlage. Danath vermutete, dass der große Orc bereit war, sich selbst zu opfern, um Ner’zhul die notwendige Zeit für seinen Zauber zu verschaffen.

Eine Stimme rief plötzlich etwas vom anderen Ende der Tür her. Danath konnte die gutturale Sprache nicht verstehen, doch das musste er auch gar nicht.

Was immer Ner’zhul hatte tun wollen, war bereits geschehen.

Ein berstendes Geräusch erklang plötzlich, und das Glühen unter der Tür verstärkte sich. Auf einmal war der Raum mit Licht und Geräuschen erfüllt. Doch beides schwand schnell. Der Raum wirkte nun dunkler als zuvor.

Kurdran schaffte es an dem stämmigen Orc vorbei. Keuchend schlug er gegen die nunmehr geschwärzte Tür. Sie zersplitterte mit lautem Krachen, und der Anführer der Wildhammerzwerge trat die Reste beiseite. In dem kleinen Raum befand sich auf dem Steinboden ein mit Runen versehener Kreis. Ansonsten war er leer.

Kilrogg sah auch zur Tür und grinste. „Du bist an mir vorbeigekommen... das gestehe ich dir zu. Gut gekämpft, Mensch. Doch am Ende hast du versagt. Mein Meister ist fort zum Schwarzen Tempel, wo er seinen Zauber wirken wird. Du kannst ihn nicht mehr aufhalten, und Welten ohne Ende werden unter dem unaufhaltsamen Marsch der Horde erbeben.“

„Beim Licht, zumindest du wirst ihm nicht folgen!“ Danath griff erneut an, Wut durchströmte ihn. Er schlug immer wieder zu. Doch jede Attacke wurde von dem gerissenen alten Krieger abgewehrt. Kilrogg schob Danaths Schild beiseite und schlug mit der Axt das Schwert des Allianzstreiters weg, bevor es seinen Bauch treffen konnte. Dann grinste er Danath an und zeigte seine langen Hauer, die aus seinem Unterkiefer ragten.

„Da musst du dich aber schon mehr anstrengen, Mensch“, neckte ihn der Orc. Er nahm die Axt in beide Hände, schlug erneut nach Danaths Gesicht und zog die Axt dann wieder zurück. So zwang er Danath, entweder zurückzuweichen oder den Kopf zu verlieren.

Beim nächsten Schlag duckte sich Danath und riss seinen Schild hoch. Er krachte in Kilroggs Arme und drückte sie ebenfalls nach oben, was den Orc aus dem Gleichgewicht brachte. Dann stieß Danath vor, sein Schwert erwischte den Orc am Bauch und versank tief darin. Er war fast überrascht, dass er es geschafft hatte.

Schreiend drückte Kilrogg seine Unterarme nach unten, wodurch der Schild auf Danaths Kopf krachte. Der taumelte zurück. Der Orc blutete stark, aber das schien ihn nur noch wütender zu machen. Er hob seine Axt erneut und traf Danaths Schild. Die Klinge steckte tief in dem schützenden Metall. Er sprang zurück, der Lederriemen des Schildes riss, und Danath war plötzlich ohne Verteidigung.

„Jetzt treten wir uns Klinge gegen Klinge gegenüber“, sagte Kilrogg, zog den Schild von der Axt und schleuderte ihn beiseite. „Und nur einer wird überleben und das Lied des Siegers singen.“

„Mir soll es recht sein“, murmelte Danath durch zusammengebissene Zähne. Er nahm das Schwert in beide Hände und stürmte mit hoch erhobener Waffe auf Kilrogg zu. Aber gerade als der Orc-Häuptling vorschnellte, blieb Danath stehen und nutzte das Bewegungsmoment, um sich um die eigene Achse zu drehen. Dann wechselte das Schwert von der einen in die andere Hand. Dadurch erwischte der Angriff Kilrogg nun von seiner blinden Seite.

Die blitzende Klinge überraschte den Orc, traf ihn am Hals und schnitt durch seine Kehle. Kilrogg stolperte, die Axt glitt ihm aus der Hand. Er presste die Finger auf die Wunde, um den Blutfluss zu stoppen. Aber der Häuptling vom Klan des blutenden Auges lachte, als er auf die Knie ging.

„Bei meinem Blut... die Horde... lebt“, keuchte er, seine Stimme wurde zu einem Flüstern. „Ihr Ahnen... ich komme...“ Dann verdrehten sich seine Augen, und Kilrogg Totauge fiel auf den Steinboden des Gebetsraums. Danath keuchte, erhob jedoch das Schwert als Ehrenbezeugung für den gefallenen Feind.

„Gut gemacht, Kumpel“, sagte Kurdran, trat neben Danath und schlug ihm auf die Schulter.

Aber Danath schüttelte den Kopf. „Ich habe versagt“, sagte er bitter und schaute auf Kilroggs Leichnam. „Er hatte recht. Er hat getan, was er sollte... er hat ihnen genug Zeit zur Flucht verschafft.“ Danath schaute finster und fletschte die Zähne. „Welchen Zauber sie auch immer gewirkt haben mögen, er hat sie zu einem Ort namens Schwarzer Tempel geführt! Wie können wir sie nur aufhalten? Ich weiß nicht einmal, wo das ist.“

Der Arakkoa wandte sich ihm mit glänzenden Augen zu. „Grizzik weiß! Kann euch hinbringen!“

„Du weißt, wo...?“

„Herr Kommandant!“ Einer von Danaths Männern stürmte in den Raum. Nemuraan folgte ihm zusammen mit den schwebenden Gestalten der toten Draenei. „Die Orcs sind auf der Flucht! Einige sind tiefer in die Tunnel geflohen!“ Er wartete offensichtlich auf eine Antwort und schien irritiert, als Danath nichts sagte. „Herr Kommandant?“

Kurdran stieß Danath an. „Du bist der Anführer, Kumpel“, erinnerte ihn der Wildhammerzwerg leise. „Selbst wenn du glaubst, dass du versagt hast, musst du das nicht die Truppen spüren lassen, oder?“

Er hatte natürlich recht. Danath nickte und straffte sich. Dann sah er den Soldaten an. „Lasst die Orcs fliehen“, sagte er. „Wir wissen, wohin Ner’zhul verschwunden ist, und wir werden ihm folgen. Wir reiten zu einem Ort, der der Schwarze Tempel genannt wird.“

„Der Schwarze Tempel?“

Danath bemerkte die Wut, die in der Stimme von Boulestraan schwang. Der Geist blickte finster. „Dieser Ort hieß einst Karabor und war unsere heiligste Stätte. Aber die Orcs beschmutzten ihn, wie sie alles beschmutzen, was sie berühren.“ Seine Hände umfassten seinen Hammer fester, der immer noch völlig sauber war, trotz der ganzen Orcs, die er damit erschlagen hatte. „Ich bete darum, dass ihr die Orcs von dem heiligen Boden vertreibt.“

Danath nickte. „Das ist der Plan. Danke für deine Hilfe. Es war mir eine Ehre, mit dir zusammen zu kämpfen.“

„Das war es auch für uns“, antwortete Boulestraan und verneigte sich. „Du und deine Allianz, ihr seid edle Krieger und ehrbare Menschen. Ich wünsche dir Erfolg, Danath Trollbann. Wir werden wieder ruhen, bis man uns erneut ruft.“ Dann verschwanden er und seine Krieger. Zurück blieb nur ein schwaches Leuchten, und auch das verlosch schnell.

Danath wandte sich an Nemuraan. Impulsiv sagte er: „Komm mit uns. Das hier ist kein Ort zum Leben, und du kannst deinem Volk besser dienen, wenn du in die Welt zurückkehrst. Wir nehmen dich sogar nach Azeroth mit, wenn du willst.“

Nemuraan lächelte. „Deine Welt muss wirklich ein wundersamer Ort sein, wenn von dort solche Menschen wie du kommen“, sagte er, „und ich bedanke mich für das Angebot. Aber mein Platz ist hier. Unsere Toten bleiben auf dieser Welt, sie ruhen hier in Auchindoun oder liegen verteilt in den Wäldern. Manche bilden sogar das Material für den Weg, den die Orcs fälschlicherweise ,Pfad des Ruhms’ nennen. Sie befinden sich hier auf Draenor, und hier kümmere ich mich um sie. Das Heilige Licht hat uns aus einem Grund hierher geschickt, und eines Tages wird es triumphieren. Bis dahin erfreue ich mich an der Gewissheit, dass ich euch geholfen habe und dass du und deine Leute auch das Licht in euch tragt. Schreite voran und treibe durch deinen Mut und deine Stärke die Orcs wie Spreu vor dem Sturm her. Und wer weiß, vielleicht bekämpfen unsere beiden Völker solche Übel ja eines Tages einmal gemeinsam.“ Er zögerte. „Um eines möchte ich dich vor dem Abschied noch bitten.“

Danath nickte. „Worum geht es?“

„Lass nicht vergehen, was das Licht geschaffen hat. Er ist ein edler und wilder Kämpfer, aber Weisheit zeichnet den wahren Krieger mehr aus als Tapferkeit.“ Er wies auf Kurdran, der finster schaute und errötete. Trotz seiner Besorgnis brachte Danath ein Lächeln zustande.

„Ich tue, was ich kann. Aber du weißt ja, wie dickköpfig er ist.“

„Pah, was ihr immer habt!“

„Komm schon, du wandelnde Wunde“, sagte Danath zu Kurdran. „Wir müssen den Schwarzen Tempel einnehmen.“ Mit einem letzten Nicken in Richtung des Auchenai kehrte Danath Trollbann zurück in die Gänge der Totenstadt. Er hoffte, dass Nemuraans Gebete für die Allianz Gehör finden würden.

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