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„Was?“ Turalyon, General der Allianzstreitkräfte und Paladin der Silbernen Hand, starrte höchst erstaunt auf die kleine Gestalt, die vor ihm saß.

„Eine Rattenplage!“, erklärte der Gnom.

„Als Ihr gesagt habt, Ihr hättet ein Problem mit der Natur, die den ganzen Untergrundbahnbau gefährden könnte“, sagte Turalyon langsam, „nahm ich an, dass Ihr Probleme mit einem unterirdischen See hättet – oder vielleicht Kreaturen...“ Turalyons Stimme wurde leiser. „Aber Ihr habt schon Ratte gesagt, oder?“

„Allerdings!“ Der Tüftler Gelbin Mekkadrill, Konstruktionschef des mechanischen Transportsystems zwischen Sturmwind und Eisenschmiede, schauderte. „Schrecklich, dieses Ungeziefer. Einige dieser Biester waren so groß!“

Mekkadrill hielt die Hände etwa fünfzehn Zentimeter weit auseinander. Wenn man seine kleinwüchsige Gestalt berücksichtigte, mochte das durchaus beachtlich sein. Aber hatte der Ingenieur wirklich wegen eines Problems mit Ratten eine Krisensitzung mit dem General der Allianz einberufen?

Turalyon war sich immer noch nicht sicher, was er von den kleinen Kerlen halten sollte, die gute Freunde der Zwerge waren.

Wenn Mekkadrill, der vor ein paar Jahren auf Empfehlung des Zwergenkönigs Magni Bronzebart nach Sturmwind gekommen war, ein typischer Vertreter seiner Art war, mussten sie ein neugieriges Völkchen sein. Mekkadrill redete schnell und benutzte dabei Begriffe, die Turalyon völlig fremd waren. Der Gnomenabgeordnete reichte Turalyon nicht einmal bis zur Hüfte und wurde von dem großen Stuhl, in dem er jetzt saß, fast verschluckt. Seine Augen ragten gerade so über den Tischrand, und als Mekkadrill kurzzeitig verärgert war, hüpfte er einfach auf den Tisch, um auf der Bauskizze, die er zwei Minuten nach seinem Eintreffen auf dem Tisch ausgebreitet hatte, etwas zu zeigen.

„Sie haben den Prototyp vollständig eingenommen und die Verkabelung durchgebissen, und zwar hier, hier und hier“, fuhr Mekkadrill fort und wies mit seinem kleinen Finger auf die Konstruktionszeichnung. „Wir kommen da nicht ran, und selbst wenn, können wir es nicht reparieren, ohne dass wir noch mehr Leute verlieren. Die letzte Mannschaft, die wir reingeschickt haben... nun, das war kein sehr schöner Anblick.“ Sein Blick wirkte ernst.

Turalyon nickte. Die Idee, eine Bahn zu bauen, war ihm brillant erschienen, als sie kurz nach dem Zweiten Krieg aufgekommen war. Der Wiederaufbau von Sturmwind kam nur langsam voran.

Es war eine lange und gefährliche Reise von Eisenschmiede nach Sturmwind, und König Bronzebart hatte sich über die Verspätungen beim Nachschub mächtig aufgeregt.

Wie immer fühlte sich Turalyon den technischen Planungen nicht gewachsen, wenn Mekkadrill mit Fortschrittsmeldungen oder Problemen zu ihm kam. Er war ein Paladin, ein Krieger durch Bestimmung und Priester aufgrund seiner Ausbildung. Er wusste kaum etwas über einfache Konstruktionen, und diese Bahn überforderte ihn deutlich. Besonders wenn Mekkadrill so schnell redete.

Turalyon hatte erkannt, dass Gnome ungeheuer intelligent waren, und er war gewillt, an den Nutzen zu glauben, wenn diese... neumodische Apparatur auch nur einen Teil von dem konnte, was Mekkadrill versprach.

Er erinnerte sich an ihr erstes Gespräch.

„Wie sicher ist das?“, hatte er gefragt.

„Nun... also, wir arbeiten im Grenzbereich der aktuellen Technologie, das müsst Ihr verstehen“, hatte Mekkadrill gesagt und sich durch den Backenbart gefahren. „Aber ich bin bereit, darauf zu wetten, dass es so sicher ist wie die sicherste gnomische Konstruktion!“

Etwas am Klang der Stimme erregte in Turalyon den Verdacht, dass das nicht viel zu besagen hatte. Doch er war kein Konstrukteur, und es war ja auch vorangegangen.

Bis zu diesem Rattenproblem.

„Ich verstehe, dass Ratten für Euch viel größer sind und deshalb für Eure Leute bedrohlicher als auf meine wirken“, sagte Turalyon so diplomatisch, wie er nur konnte. Obwohl er sich fragte, warum Bronzebart das Problem nicht von der Eisenschmiedeseite her gelöst hatte. „Und es geht natürlich nicht an, dass sie sich durch die Kabel fressen. Ich werde einige meiner Männer nach Eisenschmiede schicken. Sie... nun, werden die Ratten jagen und Euch bei den Reparaturen helfen.“

Turalyon hätte Altvater Winter sein können, so wie Mekkadrill reagierte. „Danke, danke! Das ist ausgezeichnet. Damit sind wir binnen Kürzestem wieder im Plan. Und dann können wir endlich dieses leidige Unterwasserproblem angehen.“ Der Gnom rutschte vom Stuhl und hielt Turalyon seine Hand entgegen, dann schüttelte er sie wild.

„Sprecht mit Aramil“, sagte Turalyon und verwies ihn an die ehemalige Wache der Burg, die jetzt als Turalyons Assistent in nichtmilitärischen Angelegenheiten agierte. „Er wird sich darum kümmern.“

Turalyon sah den Gnom gehen und wandte sich wieder dem Papierkram zu. Dutzende Briefe von so vielen Leuten, die alle etwas von ihm wollten. Er fuhr sich mit der Hand durch das kurzgeschorene, blonde Haar und seufzte. Ein Spaziergang würde ihm gut tun.

Die Luft war sauber und klar, als er nach draußen trat, obwohl die Wolken tief hingen. Er ging den Kanal entlang und schaute kurz auf sein Spiegelbild in dem jetzt sauberen Wasser. Turalyon war bis zu dem Tag vor zwei Jahren, als er und seine Männer in die Stadt gekommen waren, noch nie in Sturmwind gewesen. Und weil er die Stadt vorher nicht gekannt hatte, litt er auch nicht so ob ihres Zustands. Die berühmten Kanäle waren mit Steinen und Müll verstopft gewesen, mit Dreck... mit geschändeten Leichen.

Sie hatten die Toten respektvoll begraben, den Dreck entfernt. Jetzt konnten die Kanäle wieder ungehindert fließen und die verschiedenen Bereiche der Stadt verbinden. Turalyon richtete seinen Blick auf die roten Dächer und den weißen Stein, der im schwindenden Licht grau wirkte. Der Zwergenbereich beherbergte zahlreiche hart arbeitende Männer, die mit Mekkadrill gekommen waren. Sie lebten in der Nähe des Bereichs rund um die Kathedrale.

Es donnerte, als er dort eintraf. Er schaute auf das erhabene Gebäude, eines der ersten, das bereits völlig fertig gestellt war. Die Orcs hatten es schwer beschädigt, aber selbst da war die Kathedrale noch ein Hort der Sicherheit gewesen. Der Feind hatte nicht erkannt, dass darunter große Räume und Katakomben lagen. Dutzende Menschen hatten sich dort versteckt, geschützt von den Steinen, während über ihnen der Terror regierte.

Es war eines der wenigen Gebäude, das groß genug war, um die Flüchtlinge im Frühstadium des Wiederaufbaus unterzubringen. Und selbst jetzt kamen die Leute in Scharen, wenn sie krank waren, verletzt oder nur ein wenig Erleuchtung durch das Licht brauchten.

So wie Turalyon.

„Uff!“ Er stolperte. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er zwei Kinder nicht gesehen hatte, bis sie in ihn hineingerannt waren.

„Verzeihung!“, rief der Junge. Das Mädchen sah mit ernsten, braunen Augen zu ihm auf. Turalyon lächelte und strich ihr durchs Haar, während er mit dem Jungen redete. „Mit dieser Stärke wirst du eines Tages ein guter Soldat“, sagte er.

„O ja, das hoffe ich doch. Glaubt Ihr, dass alle Orcs tot sind, bevor ich alt genug bin, um sie töten zu können?“

Turalyons Lächeln verschwand. „Ich bin mir sicher, du wirst der Allianz gut dienen“, sagte er und umging die Frage. Dieses feurige Verlangen nach Kampf und die Wut, die es im Herzen hervorrief, hatten Turalyon jemanden gekostet, den er liebte. Er würde nichts tun, um Rassenhass in einem Kind zu fördern.

Mit der Hand auf dem Kopf des Mädchens murmelte er einen Segen. Licht erschien um ihren Kopf, und einen Moment lang leuchtete das Kind. Turalyon hob die andere Hand und segnete den Jungen ebenfalls. Ehrfurcht strahlte in beiden Augenpaaren, die ihn ansahen.

„Das Licht segne euch beide. Und jetzt geht ihr am besten nach Hause. Es sieht nach Regen aus.“

Der Junge nickte und nahm die Hand seiner Schwester. „Danke, Herr Paladin!“ Die beiden liefen heim. Es war nicht weit. Turalyon erkannte, dass sie im Haus neben der Kathedrale lebten. Dem Waisenhaus.

So viele Waisen. So viele Leben verloren.

Es donnerte erneut, und die ersten Regentropfen fielen. Dann goss es in Strömen. Turalyon seufzte, zog seinen Umhang um sich, lief die Stufen zur Kathedrale hinauf und wurde selbst auf diesem kurzen Stück nass bis auf die Knochen. Der Geruch von Weihrauch und der leise, fast unhörbare Gesang von irgendwo aus dem Gebäude beruhigten ihn sofort.

Er war daran gewöhnt, Befehle zu erteilen und Schlachten zu schlagen. Oftmals endeten sie damit, dass er von seinem eigenen Blut oder dem der Orcs bedeckt war. Es tat gut, zurück zur Kirche zu kommen und sich seiner Wurzeln als einfacher Priester zu erinnern.

Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, als er seine Brüder sah, die Ritter der Silbernen Hand, die hier ihren Dienst genauso wie auf dem Schlachtfeld versahen. Erzbischof Alonsus Faol hatte den Orden vor drei Jahren gegründet. Und auf seinen Befehl hin dienten die Paladine nun der Allgemeinheit, die vom Krieg gebeutelt worden war.

Als er sich umsah, erblickte Turalyon seinen alten Freund Uther, dem er den Titel „Lichtbringer“ verliehen hatte. Turalyon war daran gewöhnt, den kräftig gebauten Mann in voller Rüstung zu sehen. Dessen ozeanblaue Augen leuchteten vor Begeisterung, wenn das Licht zu ihm in Form mächtiger Attacken kam. Jetzt trug Uther normale Kleidung. Er hörte einer Frau zu, die erschöpft und ausgezehrt wirkte. Er tupfte ihr sanft mit einem feuchtem Tuch die Stirn und hielt etwas in der Hand.

Als Turalyon näher kam, erkannte er, dass das Bündel, das Uther so vorsichtig trug, ein Neugeborenes war, die Haut immer noch rot von der Geburt. Die Mutter lächelte müde, aber glücklich und griff nach ihrem Kind. Sein gesundes Weinen war der süße Gesang der Hoffnung.

Uther legte eine Hand auf die Frau und segnete sie und ihr Kind, so wie Turalyon es vorhin bei den Waisen gemacht hatte. Turalyon bemerkte, dass, obwohl Uther eigentlich auf dem Schlachtfeld zu Hause war und das Licht zum Kämpfen nutzte, er hier in der Kathedrale gleichermaßen seinen Platz gefunden hatte.

Das entsprach der Gegensätzlichkeit der Paladine. Sie waren Krieger und Heiler. Uther schaute auf und lächelte. Dann erhob er sich, um seinen Freund zu begrüßen.

„Turalyon“, sagte er mit seiner tiefen, rauen Stimme. Die beiden Paladine schüttelten sich die Hände. „Schön, dich zu sehen. Wurde aber auch Zeit, dass du mal herkommst.“ Uther knuffte den jüngeren Mann spielerisch.

„Du hast recht“, stimmte Turalyon zu und lachte. „Es tut gut, hier zu sein. Man verliert sich viel zu leicht im Tagesgeschäft, und einiges bleibt unerledigt liegen. Wie zum Beispiel dieses Rattenproblem.“

„Wie bitte?“

„Das erzähle ich dir später. Aber zuerst mal, wie kann ich helfen?“ Das zählte jetzt, überlegte er. Er wollte sich nicht hinter dem Papierkram verschanzen.

Uthers Augen verengten sich leicht, als er über Turalyons Schulter blickte. „Ich glaube, etwas von den unerledigten Dingen eilt gerade herbei“, sagte er.

„Oh?“ erwiderte Turalyon und drehte sich um.

Es war, als hätte er einen Geist gesehen, als hätte man einen Moment aus dem Raum-Zeit-Gefüge herausgerissen und an falscher Stelle wieder eingefügt.

Sie stand vor ihm. Gesicht, Haar und Kleidung nass, die smaragdfarbenen Augen auf seine gerichtet. Sie war in den Regen geraten, beinahe genauso wie in jener Nacht vor zwei Jahren. Sie kam jetzt zu ihm wie damals...

Alleria Windläufers Augen zogen sich zusammen, als würde auch sie sich an die Nacht erinnern und die Vorstellung als unangenehm empfinden. Turalyon spürte einen Schauder seinen Rücken hinablaufen, der nicht auf seine nasse Kleidung zurückzuführen war.

Sie verneigte sich steif, zuerst vor Uther, dann vor ihm. „Lichtbringer, General.“

Ah. So sollte es also laufen. Er erwiderte: „Waldläuferin.“

Er war überrascht, wie ruhig seine Stimme klang. Er hatte fast erwartet, dass er vor Aufregung kein Wort herausbringen würde. „Was führt dich zu uns?“

„Neuigkeiten“, sagte sie, „und zwar der schlimmsten Sorte.“ Ihre Augen wanderten zu Turalyon, dann zurück zu Uther. „Ansonsten wäre ich sicherlich nicht gekommen.“

Turalyon spürte einen Muskel an der Wange zucken und biss die Zähne zusammen. „Dann schieß schon los.“

Die Elfe sah sich leicht verächtlich um. „Ich frage mich, ob ich nicht am falschen Ort bin, um Hilfe zu suchen. Ich hätte nicht erwartet, dass sich Generäle, Ritter und heilige Krieger um Babys in einer Kirche kümmern.“

Turalyon freute sich über die Wut, die seine trüben Erinnerungen verscheuchte. „Wir dienen, wo wir gebraucht werden, Alleria. Wir alle. Ich bin mir aber sicher, du bist nicht den langen Weg gekommen, um uns zu beleidigen. Sprich.“

Alleria seufzte. „Vor kurzer Zeit habe ich mich mit Khadgar und den Herrschern der Allianz getroffen, einschließlich deines eigenen Königs. Es scheint, dass es einen Dimensionsspalt gibt, wo einst das Dunkle Portal stand. Khadgar glaubt, dass schon sehr bald Orcs, vielleicht sogar die ganze Horde, dort durchkommen könnten. Er hat mich auf einem Greif hierher geschickt, um dich darüber zu informieren.“

Jetzt hatte sie die Aufmerksamkeit der beiden Männer. Sie hörten schweigend zu, als die Elfe wiederholte, was sie erfahren hatte. Nicht zum ersten Mal seit dem Tod des Löwen von Azeroth wünschte sich Turalyon, dass Anduin Lothar hier wäre. Das wünschte er sich meist dann, wenn er sich einer schwierigen Entscheidung oder einer bevorstehenden Schlacht gegenübersah, oder wenn er einfach mit jemandem reden musste. Lothar hätte auf der Stelle geantwortet, ruhig, aber entschieden, und alle anderen wären ihm gefolgt.

Dass die Veteranen des Krieges sich als die Söhne Lothars bezeichneten, gefiel Turalyon nicht. Er fühlte sich nicht als ein Sohn des großen Mannes, obwohl er Lothars Ideale bis zum letzten Atemzug verteidigen würde. Er dachte immer noch darüber nach, als Alleria fertig war und ihn erwartungsvoll ansah.

„Nun?“, fragte sie herausfordernd.

„Was sagen denn die Wildhammerzwerge dazu? Was meint Kurdran?“

„Ich bezweifle, dass er davon weiß“, gab Alleria zu. Die blonde Waldläuferin hatte zumindest den Anstand, bei dieser Bemerkung verlegen zu wirken.

„Was? Du bist auf einem Greif hierher geflogen, um mich zu informieren, und niemand hat dem Anführer der Wildhammerzwerge gesagt, was los ist?“

Sie zuckte erneut die Achseln, und Turalyon hielt einen Fluch zurück. Während des Zweiten Krieges hatte die Allianz, bestehend aus Elfen, Menschen und Zwergen, gemeinsam gekämpft. Letztere stammten sowohl vom Wildhammerstamm als auch aus Bronzebarts Volk. Aber in den vergangenen Jahren schienen sich die Herrscher der Menschen von ihnen distanziert zu haben. Die Elfen nahmen immer noch an der Verteidigung von Nethergarde teil. Aber das beruhte eher auf ihrer Faszination an allem Magischen als auf dem Willen, den Menschen zu helfen.

Die Bronzebartzwerge hatten einen Botschafter, Muradin Bronzebart, in Lordaeron, und deshalb existierten enge Bindungen zu König Terenas. Und es gab den fröhlichen, kleinen Mekkadrill und seine Helfer in Sturmwind.

Turalyon fühlte sich beschämt angesichts seines Amüsements über die Opfer der Gnome, weil Mekkadrill und seine Leute einen unbezahlbaren Dienst an Fremden leisteten. Aber trotz all der Tapferkeit und Loyalität der Wildhammerzwerge waren die Greifenreiter für die meisten Menschen immer noch Wilde.

„Willst du darauf warten, dass die Zwerge dir Anweisungen erteilen? Oder vielleicht der Geist Lothars?“

Turalyon furchte die Stirn. Allerias Wangen wurden rot, und sie schaute zu Boden, als sie merkte, dass sie zu weit gegangen war.

„Die Wildhammerzwerge sind treue Verbündete“, sagte Turalyon mit leiser, aber fester Stimme. „Sie gehören zur Allianz, wie alle anderen auch. Ich werde mich darum kümmern, dass sie so schnell wie möglich informiert werden.“

„Wir müssen sofort los“, sagte Alleria. „Der Greif bringt dich nach Lordaeron. Ich folge auf anderem Weg.“

Sie würde sich also nicht dazu herablassen, mit ihm zu reiten. Turalyon antwortete nicht sofort. Er schaute zu Uther, der sich zurückhielt. Sie sahen sich kurz an. Der größere Mann nickte und wandte sich der jungen Mutter und ihrem Kind zu.

„Du bringst die Mitglieder deines Ordens mit, ja?“, sagte Alleria fast beiläufig, als würde sie die Antwort bereits kennen. Als Turalyon den Kopf schüttelte, stand ihr Mund offen. „Was? Warum nicht?“

„Der Erzbischof will, dass sie hier und in Lordaeron bleiben. Damit sie sich um die Menschen kümmern, die sie brauchen.“

„Du hast nicht einmal gefragt.“

„Das weiß ich auch so. Keine Angst. Wenn sie gebraucht werden, kommen sie. Komm, lass uns ein wenig reden.“

„Wir sollten...“

„Fünf Minuten mehr oder weniger werden nichts ändern.“ Sie furchte die Stirn. Er erkannte, dass sie zitterte. Ein Regentropfen lief aus ihrem nassen Haar über ihr Gesicht. Er wirkte wie eine Träne, war aber bei Weitem nicht so weich. In dem Moment wollte er sie unbedingt in die Arme schließen. Diese Kälte, diese bittere Bosheit, die ihre Worte vergiftete und ihr schönes Gesicht vor Hass verzerrte... Er wusste, woher das kam. Und er wusste, warum sie den Hass mit sich herumschleppte.

Dieses Wissen war wie ein Dolch in seinem Herzen.

„Ich habe dir geschrieben. Aber du hast nie geantwortet“, sagte er leise.

Sie zuckte die Achseln, zog den Umhang enger um ihren schlanken Körper. Offensichtlich brauchte sie trockene Kleidung. „Ich war unterwegs. Unser letzter Auftrag lautete, in den Bergen von Alterac zu patrouillieren“, sagte Alleria. „Es gab Gerüchte, dass sich dort Orcs verborgen halten.“ Sie lachte grimmig. „Wir haben zehn aufgespürt.“

Turalyon musste nicht fragen, was sie und ihre Waldläufer mit den entdeckten Orcs gemacht hatten. Er überlegte, ob sie begonnen hatten, Trophäen zu sammeln. Einst hatte er gesehen, wie sie sich über einen toten Orc gebeugt hatte, ein wildes Lächeln auf dem Gesicht. Er war schockiert von ihrer Freude gewesen.

„Alleria“, sagte er leise. „Ich habe dir geschrieben, doch du hast nie geantwortet. Du schuldest mir nichts, das weiß ich. Aber wenn... das, was zwischen uns geschehen ist, bedeutet, dass du nicht länger mit mir zusammenarbeiten kannst, dann muss ich das wissen. Ich bin dein Kommandeur. Ich... die Allianz... wir können es uns nicht leisten, dass du auf dem Schlachtfeld nicht zuhörst oder nicht gehorchst.“ Er wartete, bis sie ihn ansah. „Hast du ein Problem damit?“

„Es gibt kein Problem“, antwortete die blonde Elfe scharf. „Die Allianz will jeden Orc töten. Und das will ich auch. Wir können also zusammenarbeiten.“

„Das ist alles, was wir für dich sind... ein Mittel zum Zweck. Eine Methode, um schneller mehr Orcs zu töten.“

„Was gibt es denn noch?“, fragte sie. „Khadgar hat mich nur gefunden, weil meine Leute und ich Orcs in Alterac gejagt haben. Ich stimmte dem Treffen mit ihm in Nethergarde zu, weil sein Bote meinte, dass es um die Orcs geht. Und ich habe dir diese Nachricht aus demselben Grund überbracht.“ Sie furchte die Stirn. „Und je eher wir in Lordaeron ankommen, desto eher kann ich mehr von diesen grünen Missgeburten aufspüren und das Land von ihrer Plage befreien!“ Ihre Stimme hob sich vor Begeisterung, und ihre Augen blitzten. Ein paar Leute schauten sich nach ihr um. „Ich will sie töten, jeden Einzelnen von ihnen. Und wenn es hundert Jahre dauert.“

Turalyon lief ein Schauer über den Rücken. „Alleria“, begann er und hielt seine Stimme gesenkt. „Du redest von Völkermord.“

Das Lächeln auf ihrem Mund wurde grausam. „Es ist nur Völkermord, wenn es sich um vernunftbegabte Wesen handelt. Wir aber vernichten Ungeziefer.“

Er erkannte schockiert, dass sie das völlig ernst meinte. Für sie waren die Orcs keine fühlenden Wesen. Sie betrachtete sie als Missgeburten, Monster... Ratten. Turalyon wusste, dass auch er etliche Orcs getötet hatte. Sogar mit großer Wut im Herzen angesichts dessen, was sie seinem Volk angetan hatten. Aber das hier... Alleria wollte keine Gerechtigkeit. Sie wollte die Orcs nicht für ihre Verbrechen bezahlen lassen, sie wollte ihnen wehtun. Eine ganze Rasse auslöschen, wenn sie das konnte.

Er trat auf sie zu, reichte ihr seine Hand und hoffte, dass sie sie ergriff. „Du hast so viel verloren. Das weiß ich.“

Alleria schlug seine Hand weg. „Ha! Ein Mensch spricht von Verlust? Was weißt du schon davon? Eure Leben sind so kurz, dass ihr niemals erfahrt, was es heißt, jemanden wirklich zu lieben!“

Turalyon spürte, wie er bleich wurde. Einen Moment lang konnte er nicht antworten. Sie sah ihn an, atmete schnell und provozierte eine Antwort.

„Nur weil ihr länger lebt, bedeutet das nicht, dass ihr auch mehr fühlt“, sagte er. „Vertrau mir.“ Er warf ihr einen flehenden Blick zu. Ihr Gesicht versteinerte nur noch mehr.

„Also bist du besser als ich, weil du so kurz lebst?“ Sie sah ihn herausfordernd an und schnipste mit dem Finger. „Oder bist du besser, weil du deinem heiß geliebten Licht dienst?“

„Alleria, ich will, dass die Gerechtigkeit siegt. Das weißt du. Aber du willst keine Gerechtigkeit, du willst Rache. Und ich sehe, was dir das antut. Das Licht gehört nicht mir. Es gehört allen. Es geht ums Heilen. Es...“

„Wage es nicht, mich zu belehren!“, warnte sie ihn. Ihre Stimme war ein eiskaltes Zischen. „Dein Heiliges Licht hielt die Orcs nicht davon ab, einen Weg in diese Welt zu finden, oder? Das Licht kann mein verwüstetes Heimatland nicht wiederherstellen oder mir meine...“ Sie schloss den Mund.

Turalyon starrte sie einen Moment lang an, dann seufzte er tief. „Waldläuferin“, sagte er förmlich. „Dies sind meine Befehle: Im Moment bleibt Ihr hier in Sturmwind, mit der Hälfte meiner Streitmacht und mit mir. Schickt nach Euren Leuten, dass sie sich hier sammeln. Die Stadt kommt gerade erst auf die Beine, ich werde sie nicht ungeschützt lassen.“

Ihre Zähne knirschten. „Also sitzen wir den Krieg hier wie Feiglinge aus?“

Turalyon ging nicht darauf ein. „Ich fordere Unterstützung an, und wenn die eintrifft, reiten wir los. Aber bis dahin bleiben wir hier.“

Sie nickte. „Du schützt eine Stadt, wenn es deine eigene ist. Das verstehe ich jetzt. Habe ich die Erlaubnis zu gehen, um meine Waldläufer zu sammeln, Euer Gnaden!“

Allerias Worte waren dazu gedacht zu verletzen, und das taten sie auch. Aber Turalyon war besorgter über das, was mit Alleria geschehen war oder, besser gesagt, was sie sich selbst antat. Sie hatte sich stark verändert. Traurig erinnerte er sich, wie sie einst aufeinander reagiert hatten. Er stammelnd, erschlagen von ihrer Anmut und Schönheit und später von ihren vollendeten Fähigkeiten. Und sie, amüsiert, fasziniert und leicht hochmütig. Er hatte etwas von seiner Scheu verloren, nicht alles, das würde er niemals, aber etwas, und sie hatte mehr Respekt vor ihm bekommen. So hatte sie ihn lieben gelernt. Sie suchte seine Gesellschaft. Sie wollte ihn an ihrer Seite im Kampf haben. Und, so hatte er einst geglaubt, wollte ihn auch auf eine intimere Art.

Aber von dieser Frau schien nur noch wenig übrig zu sein. Heute konnte er sich nur noch um sie sorgen und sich fragen, ob ihr Hass auf die Orcs ihre Urteilsfähigkeit beeinflusste. Beim Licht... wenn sie wegen ihrer Rücksichts-losigkeit starb...

Turalyon sah sie gehen und fragte sich, ob er die richtige Entscheidung getroffen hatte. Was hätte Lothar getan? Hätte er auf das Eintreffen der Verstärkung gewartet, oder hätte er sich in die Schlacht gestürzt? Verschwendete er seine Zeit, oder handelte er klug? Reichte es, seinen Stellvertreter Danath Trollbann und die Hälfte seiner Männer jetzt nach Nethergarde zu entsenden?

Er schüttelte den Kopf, um ihn frei zu bekommen. Er konnte sich solche Zweifel jetzt nicht erlauben, und seine Entscheidung schien die richtige zu sein. Er musste ein paar Boten ausschicken. Einen zu den Wildhammerzwergen, um sie über die Lage zu informieren. Den anderen nach Lordaeron.

Und einen, dachte er mit einem leichten Lächeln, zu Mekkadrill, um ihn wissen zu lassen, dass die Männer, die als Rattenfänger beim Bahnbau gedacht waren, nun leider doch nicht kommen würden.


Alleria kehrte nicht zur Burg zurück, wie sie es gesagt hatte. Stattdessen begann sie, nachdem sie die Kathedrale verlassen hatte, leichtfüßig zu laufen. Sie bewegte sich fast lautlos, als sie entlang der Straßen auf die großen Tore der Stadt zurannte. Dabei ignorierte die Elfe aufgeschreckte Blicke und versuchte, durch das dumme Glotzen nicht noch ärgerlicher zu werden.

Schließlich eilte sie durch die Tore in den Wald dahinter. Alleria lief, bis sie einen kleinen Fluss erreichte, und dort, unter den Ästen der schützenden Bäume, sank sie auf den durchgeweichten Boden.

Ihr war kalt, sie war durchnässt. Aber sie ignorierte die Unannehmlichkeiten.

Es war noch schlechter gelaufen, als sie befürchtet hatte. Wie konnte es sein, dass ein einfacher Mensch sie derart aufzuwühlen vermochte? Er war verglichen mit ihr noch ein Kind, ein rüdes, lautes Kind, das...

Als sie die Worte dachte, wusste sie, dass sie nicht stimmten. Turalyon war erschreckend jung, verglichen mit ihr. Aber er galt etwas unter den Seinen, und er war freundlich, weise und klug.

Und einst, es schien ihr unendlich lange her zu sein, hatte sie geglaubt, ihn zu lieben.

Alleria knurrte und legte die geballte Faust auf ihr Herz als Ermahnung an sich selbst, nicht weich zu werden. Ihre Finger berührten die silberne Halskette, die drei wertvolle Steine enthielt. Sie hatte die Kette von ihren Eltern erhalten, es war eine Verbindung zu einer Welt, die vergangen war. Eine Welt voller Anmut, Schönheit und einem perfekten Gleichgewicht. Eine Welt, die die Orcs für immer zerstört hatten.

Die Bäume waren nicht dieselben wie im Immersangwald. Diese schönen, goldbelaubten Patriarchen, auf deren Ästen sie, ihre Schwestern und...

Sie kniff die Augen zu und flüsterte einen Namen: „Lirath.“

Ihr jüngster Bruder. Sie erinnerte sich an ihn, wie er beim letzten Treffen ausgesehen hatte. Schön, lachend unter den goldenen Blättern tanzend, während ein Spielmann ein lustiges Lied gepfiffen hatte. Jung, so jung. Er wollte ein Waldläufer werden wie seine Schwestern. In jenem Moment hatte sie ihn für immer in ihren Gedanken aufgenommen. Alleria sah, wie er sich des Lebens erfreute.

Die Orcs hatten ihn abgeschlachtet, löschten sein Leben aus wie eine Flamme, brutal zwischen Daumen und Zeigefinger zerquetscht.

Sie hatten so viele getötet, zu viele Verwandte, Vettern, Tanten, Onkel, Nichten... hatten Freunde getötet, die sie länger kannte, als Turalyon lebte...

Und dafür würden sie bezahlen. Ihre Hand umfasste die Kette fester. Sie würden leiden, so wie der freundliche junge Lirath. So wie ihr Volk, ihre Stadt und ihr Land. Sie würden die tausendfachen Schmerzen erleiden, die sie ihnen angetan hatten. Es würde süß sein... süß wie Blut, das sie einst nach einem Kampf neugierig von ihrer Hand geleckt hatte. Turalyon hätte sie beinahe dabei erwischt. Jetzt, sagte sie sich selbst, durfte er davon nichts wissen.

Er durfte sie nicht aufhalten.

Er durfte ihr Herz nicht erweichen, so wie es beinahe geschehen wäre.

Alleria Windläufer würde ihre Rache bekommen – um welchen Preis auch immer.


Draußen fiel Regen, aber die Ställe waren trocken, auch wenn sie dampften. Der Geruch nach Pferden und Leder erfüllte die feuchte Luft. Die Tiere wieherten und scharrten auf dem heubedeckten Kopfsteinpflaster unter ihren Hufen, als die Reiter die Sättel auflegten. Es waren ausgebildete Kriegsrösser, und sie waren seit einiger Zeit nicht mehr in der Schlacht gewesen. Sie schienen ebenso bestrebt zu sein aufzubrechen wie Danath Trollbann.

Danaths Männer waren weniger erfahren.

Sein eigenes Pferd war schnell gesattelt und bereit gemacht worden, und jetzt bewegte er sich unter den Soldaten. „Beeilt euch!“ Er starrte einen der Männer, der Probleme mit den Steigbügeln hatte, finster an. „Das wird kein Vergnügungs-ausritt.“

Turalyon hatte ihm die Wahl unter der Hälfte der Streitkräfte in Sturmwind gelassen. Er hatte Kavallerieeinheiten gewählt, von denen er wusste, dass sie die Strecke schnell überwinden würden und sich auch rasch in Formation begeben konnten. Sie mussten schnell sein, allerdings auch darauf achten, die Pferde nicht zu sehr zu ermüden. Er vermutete, dass sie nicht den Luxus hatten, sich zu erholen, um sich zu reorganisieren und neu zu gruppieren. Aber die meisten Männer, mit denen er bereits zusammen gekämpft hatte, waren verteilt über die Territorien der Menschen, und er hatte keine Zeit, alle Veteranen zusammenzurufen.

„Wir wollen doch die Schlacht nicht verpassen“, sagte ein Soldat grinsend und nahm die Zügel seines Reittiers. Er war kaum mehr als ein Junge, zu jung, um im Zweiten Krieg gekämpft zu haben. Einer von vielen, die sich erst nach Ende des Krieges der Armee angeschlossen hatten, um die Reihen zu schließen, die beim Kampf so stark gelichtet worden waren.

Danath schüttelte seinen Glatzkopf und fuhr sich mit der Hand durch den silbernen Bart. Dabei versuchte er sich an den Namen des Jünglings zu erinnern. Farol, ja, so hieß er.

„Du hast bislang noch keinen Orcs gegenübergestanden, oder, Farol?“, polterte er.

„Nein!“, antwortete Farol breit grinsend, wodurch noch deutlicher wurde, wie unreifer tatsächlich war. „Aber ich bin schon gespannt darauf.“

„Ich nicht“, antwortete Danath.

Der Soldat atmete hörbar ein und schaute ihn an.

„Ihr nicht?“, fragte der Jüngling, und seine Stimme schwankte ein wenig, als er den grimmigen Gesichtsausdruck des Kommandeurs sah. „Aber warum nicht? Wir werden sie niedermachen, nicht wahr? Ich habe gehört, dass es gar nicht mehr so viele Orcs gibt. Und dass sie sich in den Wäldern und Bergen wie wilde Tiere verstecken!“

„Das sind diejenigen, die zurückgeblieben sind, seit das Dunkle Portal zerstört wurde“, stimmte ihm Danath zu. „Doch mit denen haben wir es nicht zu tun. Man glaubt, dass das Dunkle Portal sich erneut öffnet. Weißt du, was das bedeutet?“

Der Soldat schluckte, und Danath erhob die Stimme, um sicherzustellen, dass ihn auch die anderen Soldaten verstehen konnten, die um ihn herum ihre Pferde sattelten. „Das bedeutet, dass wir keiner zerlumpten Gruppe von überlebenden Orcs gegenüberstehen, Junge. Wir treten gegen die Horde an, die größte Streitmacht, die es je gegeben hat. Und sie wurde niemals wirklich besiegt.“

„Aber wir haben doch den Krieg gewonnen, Herr Kommandeur!“, protestierte einer der anderen Männer, Vann, wie Danath sich erinnerte. „Wir haben sie geschlagen!“

„Das stimmt“, gestand Danath ein. „Aber nur, weil ein Teil ihrer Streitkräfte sich gegen sie selbst gewandt hatte und wir sie auf See besiegen konnten. Am Schwarzfels bekämpften wir nur einen Teil der wahren Horde, und selbst das war eine knappe Sache.“ Er schüttelte den Kopf. „Nach allem, was wir wissen, könnte es mehr als ein Dutzend weiterer Klans auf ihrer Heimatwelt geben, die nur darauf warten durchzubrechen.“ Er hörte das Murmeln und Raunen, das durch seine Männer ging.

„Es stimmt, Kameraden“, verkündete er laut. „Es könnte sein, dass wir in unseren Tod reiten.“

„Herr Kommandant? Warum sagen Sie uns das?“, fragte Farol leise.

„Weil ich euch nicht belügen will“, antwortete er. „Ihr habt ein Recht zu wissen, was euch erwartet. Und ich möchte nicht, dass ihr glaubt, es würde leicht. Erwartet harte Kämpfe und bleibt vorbereitet“, sagte er mehr als Ratschlag denn als Befehl. „Erwartet Probleme, und ihr werdet überleben.“ Plötzlich grinste er. „Und dann könnt ihr euch Söhne Lothars nennen.“

Die Männer um ihn herum nickten ernüchtert. Es waren gute Männer, wenn auch nicht so erfahren, wie er sich das gewünscht hätte. Er bedauerte jetzt schon die Toten, die es sicherlich geben würde, wenn sich das Portal tatsächlich öffnete. Aber sie waren darauf eingeschworen, die Allianz zu verteidigen, selbst wenn es ihr Leben kostete.

Er hoffte nur, dass sie nicht umsonst starben. Auch wenn wertvolle Zeit verrann, sah sich Danath die Männer eine Weile an, um sich die Gesichter und Namen einzuprägen. Er hatte keine eigenen Kinder, aber solange sie unter seinem Kommando standen, war er der Vater dieser Burschen.

Auch wenn sie alle Söhne von Lothar waren.

Der Gedanke ließ ihn schmunzeln. „Aufsitzen!“

Zwei Minuten später galoppierten sie über das Kopfsteinpflaster von Sturmwind aus den Haupttoren hinaus.


„Warte mal, hast du das gehört?“

Randal lachte. „Du wirst schreckhaft, William“, sagte sein Freund. „Das ist nur der Wind.“ Er sah sich um, spähte über die verödete Landschaft und erschauerte. „Nichts, was uns beunruhigen sollte.“

William nickte, schien sich aber immer noch unwohl zu fühlen. „Vielleicht hast du recht“, stimmte er zu und rieb sich mit der behandschuhten Hand über das Gesicht. „Ich hasse diesen Job. Warum müssen wir dieses Ding überhaupt bewachen? Sollten sich darum nicht die Magier kümmern?“

Beide Soldaten sahen sich um. Wenn sie die Augen zusammenkniffen, konnten sie ein Leuchten in der Luft erkennen, genau über den Überresten des Tors. Die Verzerrung war schmal, vielleicht so breit wie ein Mensch, aber doppelt so hoch. Man hatte ihnen gesagt, dass der Spalt alles war, was vom Dunklen Portal noch existierte. Und dass es ihre Aufgabe war, es zu bewachen.

„Keine Ahnung“, antwortete Randal. „Du meinst, dass die Magier eher erkennen, ob sich etwas zusammenbraut?“ Er zuckte mit den Achseln. „Zumindest ist es leichte Arbeit. Und unsere Schicht ist in einer Stunde vorbei.“

William wollte etwas sagen, doch dann brach er ab, und seine Augen weiteten sich. „Da!“, flüsterte er. „Hast du das gehört?“

„Was gehö...“

William unterbrach ihn aufgeregt. Einen Augenblick lang verharrten sie völlig regungslos und lauschten angestrengt.

Es klang wie ein tiefes Klagen, dann folgte ein schrilles Pfeifen, als würde der Wind über eine weite Ebene brausen, bevor er durch das Tal gebrochen wurde.

Randais Augen wanderten zum Spalt zurück. Er schnappte nach Luft und ließ beinahe Schild und Speer fallen.

Der Spalt hatte sich geweitet!

„Schlag Alarm!“, forderte er William hektisch auf. Aber sein Freund war vor Angst wie erstarrt. Seine Augen hingen an dem Bild, das sich ihnen bot. „William, schlag Alarm!“

Als William endlich gehorchte, glühte der Spalt erneut, doch diesmal heller. Farben flossen entlang der sich erweiternden Kanten. Er schien sich auszudehnen, wie ein Mund, der Nahrung aufnahm, und Schatten umgaben ihn. Sie verbreiteten sich schnell.

Randal blinzelte und konnte den Spalt schon nicht mehr erkennen. Selbst William war verschwunden, obwohl er hören konnte, wie sein Freund das Horn blies und so die anderen Wachen alarmierte.

Randal versuchte, etwas in der Finsternis auszumachen. Speer und Schild hielt er bereit. War da nicht etwas? Oder dort? Er lauschte angestrengt.

War da ein Geräusch? Ein Aufschlagen, als wäre etwas gerollt oder fallen gelassen worden. War es da nicht schon wieder?

Ja, er war sich sicher, dass er etwas gehört hatte. Er wandte sich in die Richtung, aus der er das Geräusch zu hören meinte, hob seinen Speer leicht an und instinktiv auch den Schild...

... und schrie auf, als ihn etwas Schweres wie einen Halm unter sich begrub. Der Aufprall erschütterte seinen Arm.

Den Schmerz ignorierend, stieß Randal den Speer vor, aber etwas packte die Waffe an ihrem langen Schaft und drehte sie ihm aus der Hand. Ein Gesicht erschien aus der Finsternis, direkt vor seinem eigenen... ein breites, riesiges Gesicht mit einer markanten Stirn, platter Nase und zwei scharfen Hauern, die aus dem Unterkiefer ragten.

Eine furchterregende Grimasse grinste Randal an, und er sah, dass noch etwas anderes aus den Schatten auf ihn zukam, etwas Breites, Flaches...


Die anderen Wachen sammelten sich, von Williams Horn alarmiert. Aber es war bereits zu spät. Die Finsternis erfüllte das Tal, und während die Menschen verwirrt wurden, strömten Orc-Krieger und Todesritter aus dem sich neu erweiternden Spalt und zermalmten alles, was ihnen im Weg stand. Es glich mehr einem Abschlachten als einem echten Kampf. Binnen Minuten war jeder menschliche Verteidiger tot oder gerade dabei zu sterben.

Danach kontrollierten die Orcs das Dunkle Portal auch auf der Seite von Azeroth.

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