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»Endlich sind wir unterwegs, du fauler Sleen«, sagte Boabissia erzürnt, die auf dem Kutschbock durchgeschüttelt wurde. »Ich hatte schon jede Hoffnung aufgegeben.«

»Bitte«, sagte Mincon. »Mein Kopf.«

»Es ist schon weit nach Mittag!« rief Boabissia.

»Wie geht es dir?« fragte ich Mincon.

»Ich bin wieder nüchtern. Endlich sehe ich nur noch eine Straße vor mir.«

»Du hast dich gut gehalten«, gratulierte mir Hurtha. »Ich hätte nicht gedacht, daß ein Mann aus der Stadt soviel trinken kann.«

»Wir können viele erstaunliche Dinge, wenn wir richtig Lust dazu haben«, sagte ich. Mit geschlossenen Augen fiel es leichter, dem Glanz des von den Steinen widergespiegelten Lichts zu entgehen. Man konnte sich mit einer Hand am Fuhrwerk festhalten. Natürlich erhöhte es das Risiko, in Schlaglöcher zu treten.

Hurtha fiel gegen die Seite des Wagens. »Alles in Ordnung?« fragte ich.

»Aber sicher.«

»Ihr seid alle Ungeheuer und faule Sleen«, schimpfte Boabissia. »Wir werden die anderen niemals einholen, jedenfalls nicht bis nach Einbruch der Dunkelheit.«

»Das ist meine Sorge«, sagte Mincon blinzelnd und schüttelte den Kopf.

»Dann schlage ich vor, du tust etwas dagegen!«

»Bitte!« flehte Mincon.

»Ich glaube, ich werde euch alle dem Nachschuboffizier melden«, fuhr sie fort. »Er wird bestimmt etwas über eure großzügige Einstellung zum Zeitplan zu sagen haben, von den unentschuldbaren Verspätungen und der Pflichtvergessenheit ganz zu schweigen. Glaubt ihr, ihr werdet fürs Rasten bezahlt? Ihr habt Waren zu liefern!«

»Bitte!« flehte Mincon. »Bitte!«

Boabissia war schon den ganzen Morgen über unerträglich gewesen. Sie hatte uns kaum Schlaf gegönnt. Schon vor Einbruch der Morgendämmerung, als die anderen ihr Frühstück zubereiteten und schließlich das Lager abbrachen, hatte sie uns ständig zur Eile angetrieben.

»Wir sind ganz allein auf der Straße«, sagte Boabissia. »Euretwegen haben wir die Sicherheit der Kolonne verloren. Das könnte gefährlich werden! Warum hört ihr nicht auf mich? Was ist, wenn wir von Straßenräubern überfallen werden?«

Ich hoffte, daß das nicht geschähe, da ich mir nicht sicher war, ob ich mein Schwert finden würde. Aber dann spürte ich es; es steckte in seiner Scheide, hinter der linken Schulter. Schwierig wäre es nur, es zu ziehen.

»Euch können die Räuber ja bloß töten«, jammerte Boabissia. »Aber ich bin eine freie Frau! Ich habe viel mehr zu befürchten! Man könnte mir den Kragen anlegen und mich zur Sklavin machen! Wie die beiden Schlampen da hinten. Ihr hättet Rücksicht auf mich nehmen können! Nie nehmt ihr Rücksicht auf mich!«

Ich grübelte über die Frage nach, wie es wohl kam, daß jedesmal, wenn ich den Fuß wieder auf die Straße setzte, mir der Schädel schmerzte. Das war erstaunlich. War es normal? Soviel mir bekannt war, stand nichts im Kodex der Krieger, das ausdrücklich den Widerstand gegen Straßenräuber verlangte, obwohl es vermutlich einfach vorausgesetzt wurde. Das war eine wichtige Frage, die der Auslegung bedurfte, vielleicht sogar der Aufmerksamkeit des Hohen Rates. Falls mich das Schwert eines Räubers enthauptete, wäre ich die Kopfschmerzen los. Natürlich läßt sich diese Medizin nur einmal anwenden. Das spricht gegen sie. Es entsprach auch nicht der Wahrheit, daß wir auf Boabissia keine Rücksicht nahmen. Wir dachten oft an sie. Tatsächlich dachte ich in diesem Augenblick an sie.

»Männer sind Tiere«, sagte sie. »Tarsk! Elende, besoffene Sleen!«

Tula und Feiqa hatten sich nicht wohl gefühlt. Sie schliefen beide hinten auf der Ladefläche. Hurtha und ich hatten sie nur mit Mühe dort hinaufschaffen können. Natürlich hätten wir sie niemals zurückgelassen. Dafür waren wir zu klug. Außerdem hätte sich das auch nicht gehört. Tula und Feiqa waren viel zu begehrenswert, viel zu sinnlich. Sicher, wir hatten am Abend vergessen, sie anzuketten – eigentlich war es ja schon Morgen gewesen –, aber soweit wir wußten, hatte keine mit dem Gedanken an Flucht gespielt.

»Au!« rief Hurtha.

»Warte!« sagte ich Mincon.

Ich kehrte zu der Stelle zurück, wo Hurtha von der Straße abgekommen war, und zog ihn mit beiden Händen aus dem Graben, der glücklicherweise nicht tief war. »Halt dich am Wagen fest!« riet ich ihm. Er packte die obere Kante der Ladefläche mit beiden Händen. Einen Augenblick später waren wir wieder unterwegs.

»Ihr seid alle betrunkene Tarsks!« zeterte Boabissia.

Davon konnte natürlich überhaupt keine Rede sein. Gestern abend, nun, da waren wir möglicherweise leicht beschwipst gewesen.

»Möchtest du einen Schluck Paga?« fragte Hurtha großzügig, während er sich eisern am Wagen festklammerte.

»Nein.«

»Es ist auch keiner mehr da«, sagte Boabissia.

»Alles weg?« fragte Hurtha verzweifelt.

»Ja«, erwiderte Boabissia.

»Wirklich alles?« Er ließ nicht locker.

»Ja doch.«

Mich beunruhigte diese Nachricht nicht.

»Das ist natürlich durchaus vorstellbar«, sagte Hurtha. »Ich bin ein Alar.«

Tula drehte sich herum und stöhnte. Im Licht des Feuers waren sie wunderschön gewesen, nackt bis auf den Kragen. Mehr als nur einmal hatten wir sie vom Ka-la-na trinken lassen. Wie wunderschön und begehrenswert sind doch die Frauen! Wie wunderbar sind Sklavinnen!

Boabissia wandte sich wieder Mincon zu. »Hättest du auf mich gehört, wären wir bereits vor vier Ahn auf der Straße gewesen!«

Ich schwang mich auf den Kutschbock und betrachtete die Ladefläche.

»Dann wären wir bestimmt nicht so weit hinter den anderen … Was!«

Boabissia starrte mich ungläubig und voller Wut an.

Mincon sagte: »Gut!«

Ich schob ihr das Säckchen mit dem Daumen tiefer zwischen die Lippen, bis ihr hübscher, wenn auch manchmal nervtötender Mund ausgefüllt war. Das Säckchen hatte eine Schnur zum Zubinden. Ich nahm sie, zog sie zwischen ihren Zähnen nach hinten und knotete sie im Nacken fest zusammen. Es war nicht zu verstehen, was Boabissia sagte.

»Sei still.«

Sie verstummte.

»Du wirst das so lassen, bis einer der Männer es für richtig erachtet, es wieder zu entfernen.«

Sie sah mich an.

»Solltest du den Knebel selbst entfernen oder es auch nur versuchen, wird er sofort wieder angebracht, außerdem wirst du ausgezogen, in Sklavenketten gelegt und bekommst die Hände auf den Rücken gefesselt. Dann wirst an ein Seil gebunden, damit du hinter dem Wagen hergehen kannst, in Ketten und geknebelt wie eine Sklavin. Hast du das verstanden? Wenn ja, nicke!«

Boabissia starrte mich wütend an. Dann nickte sie mit Tränen in den Augen. Ich stieg wieder zur Straße hinunter.

»Jetzt ist es viel friedlicher«, sagte Hurtha.

Boabissia schlug mit den Fäusten auf den Deckel des Wagenkastens, der als Kutschbock diente. Aber sie unternahm keinen Versuch, den Knebel zu entfernen, der sie in Übereinstimmung mit dem Willen der anderen Männer zum Schweigen gebracht hatte.

»Stimmt«, sagte ich.

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