5

»Was willst du?« fragte ich Hurtha.

»Ich komme mit dir«, sagte er. »Ich will die Welt sehen, mein Glück machen.«

»Du hast kein Tharlarion«, bemerkte ich.

»Du auch nicht.«

Ich mußte lächeln. »Das ist wahr.«

»Ich habe ihn im Lager verkauft. Es schien nicht praktisch, ihn mitzunehmen. Hier gibt es nur wenige Reittiere. Außerdem weiß ich nicht, wohin die Reise geht oder was wir tun werden.«

»Vor mir liegt ein schwerer Weg«, sagte ich. »Es könnte gefährlich werden.«

»Großartig.«

Ich sah ihn an.

»Ich langweile mich rasch.«

»Ach so.«

»Du hast doch nichts dagegen, daß ich dich begleite, oder?«

»Nein.«

»Dann ist die Angelegenheit damit erledigt«, verkündete er.

»Aber du darfst dich zu nichts verpflichtet fühlen, du kannst mich jederzeit wieder verlassen«, sagte ich. Ich hatte keine Lust, ihn in Gefahr zu bringen.

»Wenn du darauf bestehst.«

»Ich fürchte, ich habe keine andere Wahl.«

»Ich nehme deine Bedingung an.«

»Gut.«

»Du bist ein harter Verhandlungspartner.«

»Danke.«

»Die Hälfte von meinem Geld gehört dir«, sagte er. »Nimm es ruhig.«

»Das ist sehr großzügig.«

»Dafür gehört dann die Hälfte deines Geldes mir.«

Ich sah ihn verblüfft an.

»Da wir doch zusammen reisen.«

»Wieviel Geld hast du?«

»Siebzehn Kupfertarsk und zwei Tarskstücke.«

»Das ist alles?« fragte ich.

Er nickte.

»Aber du hast doch gerade dein Tharlarion verkauft, und gestern abend hat dir Genserix genau wie mir auch einen Silbertarsk gegeben.«

»Das ist richtig, aber ich habe das meiste davon gebraucht, um alte Schulden zu bezahlen. Du würdest doch nicht wollen, daß ich das Wagenvolk verlasse, obwohl ich noch Schulden habe?«

»Natürlich nicht«, sagte ich.

»Außerdem habe ich dieses großartige Schwert erworben.« Er zog es aus der Scheide und fuchtelte damit herum. Er schwang es ohne Mühen. Um ein Haar hätte er dabei einen vorbeigehenden Kutscher geköpft. Es handelte sich um ein langes Schwert mit scharfer Klinge, das beim Wagenvolk den Namen spatha trug. Auf dem Rücken eines Tharlarion ist es nützlicher als das gladius. Unter Hurthas Besitztümern befand sich noch ein sacramasax, ein kurzes Schwert zum Zustechen, das dem gladius sehr ähnelt und zweifellos davon abstammt. »Darum habe ich nur siebzehn Münzen«, sagte er und schob das Schwert in die Scheide. »Wieviel besitzt du?«

»Etwas mehr ist es schon.«

»Großartig. Wir werden vermutlich jedes Tarskstück brauchen.«

»Wieso?«

»Ich habe einen teuren Geschmack«, erklärte er. »Außerdem bin ich ein Alar, und wir Alar sind ein großzügiges, edles Volk.«

»Das ist eine allseits bekannte Tatsache.«

»Wir haben einen Ruf aufrechtzuerhalten.«

»Zweifellos.«

»Wenn uns das Geld ausgeht, kann ich noch immer jemandem eins über den Schädel geben und mir seinen Geldbeutel nehmen.«

»Sicherlich verhältst du dich im Lager deines Volkes anders«, sagte ich.

»Natürlich!« erwiderte er ziemlich überrascht. »Es sind doch Alar.«

»Ich verstehe.«

»Keine Außenseiter, keine Städter.«

»Ich muß dich warnen«, sagte ich. »Außerhalb der Wagenkolonne sieht man es gar nicht gern, wenn man jemanden eins über den Schädel gibt und seinen Geldbeutel nimmt.«

»Ach ja?«

»Ja. Viele Männer haben da ganz bestimmte Vorstellungen.«

»Bemerkenswert.«

»Du lieferst dich doch auch nicht gern niedergeschlagen, oder?«

»Natürlich nicht.«

»Siehst du.«

»Aber ich bin ein Alar.«

»Und welchen Unterschied macht das?«

»Jeden Unterschied der Welt«, sagte er. »Kannst du mir das Gegenteil beweisen?«

»Nein.«

»Siehst du.«

»Ich versichere dir, es gefiele den Leuten nicht, und man könnte dich pfählen oder in Stücke schneiden.«

»Ich bin nicht uneinsichtig, was solche Überlegungen angeht«, sagte er. »Aber ich war der Ansicht, wir besprächen hier bloß Probleme der Moral.«

»Du solltest nicht einmal an Raubzüge denken.«

»Ich versichere dir, für mich ist so etwas keineswegs anstößig. Außerdem steht mir ein derartiges Verhalten durchaus zu.«

»Wieso denn das?«

»Ich bin ein Alar«, antwortete er.

»Da ich nicht die geringste Lust verspüre, gepfählt oder in Stücken an die Sleen verfüttert zu werden, wüßte ich es für die Dauer unserer Reise zu schätzen – sozusagen als persönlichen Gefallen –, wenn du darauf verzichten könntest, gewisse deiner Vorrechte als Alar auszuüben.«

»Aber du hast doch nichts dagegen, wenn mir jemand etwas leiht oder mir Geschenke macht.«

»Natürlich nicht. Wer sollte dagegen etwas haben?«

»Großartig«, sagte er.

Ich entspannte mich.

»Ich hatte schon Angst, du könntest irgendwelche ausgefallene Vorbehalte pflegen.«

»Ich doch nicht.«

»Großartig«, sagte er herzlich.

Wir befanden uns im Lager der Kutscher, die den Nachschub für die Soldaten aus Cos und die cosischen Söldner transportierten. Es war kurz vor Sonnenaufgang. Das Frühstück war vorbei, die Kutscher bereiteten die Wagen vor und schirrten die Tharlarion an. Einige waren sogar schon aufgebrochen. Weder schienen die Fuhrwerke numeriert zu sein, noch gab es Lageraufseher. Trotz der Länge der Kolonne und der so unterschiedlichen Ladung schien alles nur oberflächlich organisiert zu sein. Das war ein krasser Gegensatz zu der Disziplin, die ich beim Transport und dem Schutz solcher Waren erwartet hätte. Ich konnte nicht verstehen, daß Ar derart zögerte, diese Schwächen auszunutzen.

»Bist du bereit?« fragte Mincon, unser Kutscher. Er zurrte das Geschirr des Tharlarion fest.

»Gleich«, sagte ich. »Feiqa, halt still.«

In Mincons Nähe kniete Tula. Das war ein Mädchen aus seinem früheren Dorf, das er gestern abend während meines Besuchs bei den Alar zu seiner Sklavin gemacht hatte. Sie hatte um Nahrung gebettelt. Er stieß sie beiseite. Tula trug eine Tunika, die Mincon für sie gefertigt hatte. Aus weißer Wolle war sie, kurz und ärmellos. Tula hatte prächtige Beine. Anscheinend hatte Mincon ihre einstige Kleidung als freie Frau für ihre Sklavinnentracht benutzt. Sie besaß jetzt auch eine Art Schal, den sie umlegen konnte, wenn der kalte Wind wehte. Aus einem anderen Stück hatte er behelfsmäßige Schuhe gemacht, die sie sich um die kleinen Füße gebunden hatte. Im Se’Kara wären die Pflastersteine der Straße kalt. Ich warf noch einen Blick auf Tulas Beine. Die neue Tunika enthüllte sie auf bemerkenswerte Weise, wie es sich für eine Sklavin gehörte.

Auf Gor entblößen nur die Sklaven die Beine, und obwohl sie es für gewöhnlich voller Stolz und bereitwillig tun, ist ihnen doch klar, das sie letztlich keine andere Wahl haben. Solche Dinge obliegen dem Herrn. Man muß über solche Entscheidungen nicht lange nachsinnen, denn die meisten goreanischen Sklavenhalter sind kraftvolle, starke, überlegene Männer. Es ist daher üblich, daß Sklavinnen, die sowieso nur die Kleidung tragen, die ihr Herr erlaubt hat, ihre Beine und den damit verbundenen prickelnden Reiz ihrer Oberschenkel, Waden und zarten Fesseln zur Schau stellen.

Freie Frauen hingegen würden niemals die Beine entblößen. Sie würden es einfach nicht wagen. Allein der Gedanke würde sie entsetzen. Der durch diese Handlung ausgelöste Skandal würde ihren Ruf zerstören. Es gibt auf Gor das Sprichwort, daß jede Frau, die ihre Beine enthüllt, eine Sklavin ist. In manchen Städten würde eine freie Frau, die derart verantwortungslos handelt, vom Magistrat festgenommen und zur Fesselung verurteilt; man würde ihr den Status nehmen – manchmal sogar öffentlich –, sie zur Ware degradieren und an einen Sklavenhändler übergeben. Damit die Gefühle der freien Frauen nicht verletzt werden, transportiert man die neue Sklavin mit Kapuze, Sklavenkragen und in Ketten zu einem fernen Markt, wo sie nach dem Verkauf ein neues Leben beginnt.

»Au!« rief Feiqa.

»Halt still!« befahl ich und stieß ein letztes Mal mit der Nadel zu. Dann steckte ich sie in mein Nähzeug zurück.

»Laß die Finger von den Wunden.«

Feiqa sah mich an. Ihre Augen schimmerten feucht, und sie schien Angst zu haben. In ihrem Blick lag eine ganz bestimmte Überraschung, als begreife sie nur mit Mühe, was eigentlich mit ihr geschehen war.

»Tut es weh?« fragte ich.

»Nein.«

Ich wischte die winzigen Blutströpfchen weg. Dann befestigte ich die kleinen Gegenstände.

»Sie sind wunderschön«, sagte Hurtha voller Bewunderung.

»Sie sind billig«, erwiderte ich.

»Das ist schon in Ordnung«, meinte er.

Ich wollte vermeiden, daß freie Frauen ihre Wut an Feiqa ausließen und die Ohrringe abrissen.

Ich drehte Feiqas Kopf von einer Seite zur anderen. Ja, sie sahen wirklich schön aus.

»Wir sind soweit«, sagte ich zu Mincon. »Du darfst aufstehen, Feiqa.«

»Stell dich hinter den Wagen«, befahl Mincon seiner Sklavin.

Ich band ein Seil um Feiqas Hals und befestigte es an der Wagenseite.

»Muß ich dich festketten?« fragte Mincon sein Mädchen.

»Nein, Herr«, erwiderte sie.

»Das ist meine Entscheidung«, sagte er. Dann nahm er eine Kette aus dem Wagen und befestigte sie mit einem schweren Vorhängeschloß um ihren Hals. Das andere Ende der Kette befestigte er an einem Ring am Wagenende. Tula mußte hinter dem Wagen hergehen.

»Ja, Herr«, sagte sie mit einem Lächeln und senkte den Kopf.

Hurtha warf seine Habseligkeiten auf die Ladefläche. Darunter befand sich auch die schwere Alar-Kriegsaxt. Für diejenigen, die es interessiert: In der Sprache der Alar nennt man diese Axt die francisca. Jene, die sie zu fürchten gelernt haben, nennen sie ebenfalls bei diesem Namen.

Ich entschied mich, eine Zeitlang neben dem Fuhrwerk herzugehen. Auf dem Kutschbock war neben Mincon nicht genug Platz für Hurtha und mich.

»Ho!« rief Mincon seiner Echse zu, riß mit der Linken an den Zügeln und ließ mit der Rechten die Peitsche knallen. Der Wagen setzte sich mit einem Ruck in Bewegung, die Räder versanken in den Spurrillen der anderen Fuhrwerke, und wir fuhren langsam auf die Straße zu.

»Halt an!« rief ich Mincon zu, als wir den Straßenrand erreichten. Er riß an den Zügeln.

Die freie Frau eilte auf uns zu. »Ich wußte nicht, wo ich euch fände«, sagte sie atemlos. »Ich wußte nur, daß ihr diesen Weg kommt. Ich habe auf euch gewartet.«

»Kennst du die Frau?« wollte Mincon wissen.

»Ja«, sagte ich.

Mincon hatte es eilig. Seine Hand verkrampfte sich um die Tharlarionpeitsche. Falls es sich bei dieser Frau nur um eine weitere Bettlerin handelte, war er bereit, sie zu vertreiben.

»Du trägst ein Kleid«, sagte Hurtha.

»Ja«, antwortete sie.

»Hast du es geschafft, dich allein zu befreien?«

Sie wurde rot. »Nein, ich konnte mich nicht befreien. Ich war völlig hilflos.«

Hurtha musterte sie.

»Genserix hat mich losgeschnitten.«

»Da ist eine freie Frau«, sagte ich zu Feiqa. Sie kniete sofort nieder. »Den Kopf auf den Boden«, flüsterte ich ihr zu. Sie gehorchte sofort. Tula folgte eingeschüchtert ihrem Beispiel. In gewisser Weise war der Kragen für sie beide etwas Neues. Sie mußten eben lernen, wie sie sich in Gegenwart einer freien Person zu verhalten hatten.

Hurtha sagte: »Du trägst ein Kleid. Ich habe dich noch nie zuvor in einem Kleid gesehen.«

»Und?«

»Nichts. Ich bin nur überrascht, dich so zu sehen.« Boabissia trug weder Fell noch Leder. Sie hatte eines der einfachen wollenen Kleider der Alar angelegt; es hatte lange Ärmel, wurde in der Mitte von einem Gürtel gehalten und reichte bis zu den Knöcheln. Es war braun. Der Gürtel saß sehr eng. Sie hatte die Kordel, die im Nacken eingenäht war, zum Brustansatz heruntergezogen, sie dort gekreuzt und dann zwischen den Brüsten hindurchgeführt, sie unter ihnen wieder nach hinten gezogen und an den Seiten des Gürtels stramm festgebunden. Diese Mode traf man bei den Frauen der Alar häufiger an. Obwohl sie frei sind, lassen sie es sich nicht nehmen, ihre Männer daran zu erinnern, daß sie Frauen sind. Es ist eine einfache Mode, aber nicht unansehnlich. Sie bedeckt fast alles mit der nötig erscheinenden Schicklichkeit, das aber auf eine Weise, die den Mann daran denken läßt, das Kleid auszuziehen. Boabissia war sich dessen vermutlich gar nicht bewußt. Von ihrem Standpunkt aus gesehen hatte sie nichts anderes getan, als sich in der Tracht der Alar zu kleiden. Doch allein schon die Tatsache, daß sie ein Kleid angezogen hatte, schien auf einen grundsätzlichen Wandel in ihrer Einstellung hinzudeuten. Wie schon in der Nacht zuvor trug sie einen Dolch im Gürtel.

»Ich habe ein Recht, mich auf diese Weise zu kleiden«, sagte sie verteidigend.

»Dann bist du eine Frau«, sagte Hurtha.

Sie hielt es nicht für nötig, darauf eine Antwort zu geben.

»Bist du eine Frau?«

»Ja«, erwiderte sie wütend. »Ich bin eine Frau!«

»Dann ist es angemessen, daß du ein Kleid trägst.«

»Vielleicht.« Sie sah ihn finster an.

»Wann hast du erkannt, daß du eine Frau bist? Letzte Nacht?«

Sie gab keine Antwort.

»Ja«, sagte er nachdenklich. »Zweifellos.«

Ihre kleinen Fäuste ballten sich.

»Warum bist du hier?«

»Ich will mit euch kommen«, sagte sie und senkte den Kopf.

»Wir müssen los«, meinte Mincon. Andere Wagen verließen das Lager, fuhren die kleine Anhöhe hinauf und rollten auf die Straße. Die beiden Sklavinnen knieten noch immer. Sie hatten noch nicht die Erlaubnis erhalten, ihre Haltung zu ändern.

»Du bleibst besser in der Sicherheit des Wagenvolkes«, sagte Hurtha. »Das da draußen ist eine große Welt. Du weißt nicht, welche Zukunft dich dort erwartet.«

»Ich habe keine Angst«, erwiderte sie.

»Du könntest getötet werden.«

»Ich habe keine Angst«, wiederholte sie.

»Du könntest in Gefangenschaft geraten, in Ketten gelegt werden.«

»Das fürchte ich am meisten«, sagte sie. »Das wäre ein Schicksal, tausendmal schlimmer als der Tod.«

Feiqa, die mit gesenktem Kopf an meiner Seite kniete, unterdrückte ein Kichern. Ich versetzte ihr einen leichten Tritt, um sie zum Schweigen zu bringen.

»Bleib beim Wagenvolk«, schlug Hurtha vor.

»Nein.«

»Du bist recht hübsch.«

»Beleidige mich nicht.«

»Ich frage mich, wie du als Sklavin aussähest, nackt, in Ketten, mit einem Kragen um den Hals.«

»Bitte, Hurtha!« sagte sie.

»Glaubst du, du könntest einem Mann Freude bereiten?«

»Ich habe kein Interesse daran, einem Mann Freude zu bereiten.«

»Aber könntest du es?«

»Ich weiß es nicht!«

»Bleib beim Wagenvolk.«

Sie sah Hurtha an, dann mich, dann wieder Hurtha. Die ganze Zeit über spielte sie an dem Anhänger herum der Kupferscheibe, die man bei ihr als Säugling gefunden hatte, die Scheibe, auf der der Buchstabe ›Tau‹ und eine Zahl eingraviert war. »Nein«, sagte sie.

Ein weiterer Wagen rollte die Anhöhe hinauf in Richtung Straße.

Hurtha sah mich an. Ich zuckte mit den Schultern. Sie war hübsch, und sie war frei. Sie konnte tun, was sie wollte. Sie war keine Sklavin wie Feiqa oder Tula.

»Hast du Geld?« fragte Hurtha.

»Nein.«

»Trägst du das Kleid in der Art der Alar?«

Sie errötete und nickte.

Noch war Se’Kara und nicht Winter. Darum würde sie nur das Kleid tragen. Und nichts darunter.

Hurtha trat auf sie zu und knüpfte die Bänder auf, die die Dolchscheide hielten.

»Was tust du da?«

»Ich nehme den Dolch«, sagte er. »Ich werde ihn fortwerfen, hier, am Straßenrand. Keine Angst. Er wird seinen Zweck schon erfüllen. Zweifellos wird ihn jemand finden.«

»Aber dann bin ich ja völlig schutzlos!« protestierte Boabissia.

»Eine solche Waffe kann dir den Tod bringen. Es ist besser, wenn sie nicht trägst.«

»Aber ohne sie bin ich schutzlos!« beharrte sie.

»Du warst schutzlos mit der Waffe, nur hast du es nicht gewußt. Glaubst du wirklich, jemand, der dich nehmen oder dir etwas antun will, ließe sich von diesem winzigen Dolch abhalten? Gib dich keiner Selbsttäuschung hin. Nur wenige Männer würden es als Scherz betrachten, es könnte einen Angreifer sogar so wütend machen, daß er ihn dir ins Herz stößt. Doch wie dem auch sei, auf jeden Fall würde man dich streng für die Anmaßung bestrafen, eine Waffe zu tragen.«

»Worin liegt dann mein Schutz?« fragte sie.

»In den Tugenden deines Geschlechts.«

»Ach ja?«

»Denn das bist du, Boabissia, eine Frau.«

»Ich verstehe.«

»Fügsamkeit und völliger Gehorsam.«

»Ich verstehe.«

»Kehr zum Wagenvolk zurück.«

»Nein.«

Er sah sie an.

»Ich will mit euch kommen.«

»Wenn du uns begleiten willst, dann als Frau.«

»Dann wäre ich hilflos.«

»Das bist du schon immer gewesen, Boabissia, auch wenn du es beim Wagenvolk vielleicht nicht erkannt hast.«

»Ich wäre auf dich angewiesen, auf Männer, nur um beschützt zu sein.«

»Ja«, sagte Hurtha. Sklaven sind Ware. Ob sie beschützt werden, richtet sich nach den Entscheidungen freier Personen, genau wie der Schutz anderer Güter, wie zum Beispiel Gold, abgerichtete Tharlarion, Kisten voller Sandalen. Viele Karawanen konnten sich retten, indem sie ihre hübschesten Sklavinnen zurückließen, um die Verfolger aufzuhalten. Mehr als ein Kaufmann hat seinen Hals gerettet, indem er Schönheiten absetzte, die zu sinnlich waren, als daß die Straßenräuber sie hätten zurücklassen können. Besser, nur einen Teil der Ladung zu verlieren als alles.

»Willst du uns begleiten?« fragte Hurtha.

»Ja.«

»Willst du uns als Frau begleiten?«

»Ja. Ich werde … als Frau mit euch kommen.«

Hurtha warf den Dolch mitsamt Scheide fort.

Sie sah ihm nach. Ich nahm sie beim Arm und führte sie zu der Stelle, an der Tula kniete. »Das ist eine freie Frau«, sagte ich zu Tula. »Sie wird uns begleiten.« Tula flüsterte: »Herrin.«

Dann führte ich Boabissia zu Feiqa, der ehemaligen Lady Charlotte von Samnium, einer hochrangigen Lady von adliger Geburt und Erziehung, die aus einer der besten Familien auf der Straße der Münzen stammte. »Herrin«, flüsterte Feiqa.

»Als einer freien Frau stehen dir die Sklavinnen zur Verfügung«, sagte ich Boabissia. »Andererseits, sie gehören nicht dir. Deshalb darfst du ihnen nichts antun, was einen körperlichen Schaden hinterläßt. Es sei denn, sie verweigern dir den Gehorsam.«

»Ich verstehe«, sagte Boabissia.

»Und selbst dann wird erwartet, daß du zuerst die Erlaubnis ihres Herrn einholst.«

»Das verlangt die übliche Höflichkeit«, bestätigte Boabissia. Dann rief sie: »Oh!«

Hurtha hatte sie einfach unter den Achseln gepackt und auf den Kutschbock gehoben.

»Gut«, sagte Mincon. »Wir müssen los.«

Die restlichen Wagen waren bereits mehr als eine Pasang entfernt.

»Die werden wir nie einholen«, sagte Mincon.

»Hoch mit euch!« befahl ich den Sklavinnen.

Tula und Feiqa sprangen auf.

»Darf ich sprechen, Herr?« fragte Feiqa.

»Ja.«

Sie berührte die Ohrringe. Ich sah, daß sie sehr erfreut war, sie zu besitzen. Die Schmuckstücke waren nicht nur schön, sondern bestätigten in goreanischen Augen ihren Status. Feiqas Begeisterung war unübersehbar. »Herr, bekomme ich Sklavenseide?«

Ich lächelte. Nur eine Sklavin würde es wagen, Sklavenseide zu tragen. Der Stoff ist so wunderschön und durchsichtig, daß er eine Frau noch nackter als nackt erscheinen läßt, er kann einen Mann so verrückt vor Leidenschaft machen, daß er sich kaum noch beherrschen kann. »Vielleicht«, sagte ich.

»Danke, Herr«, flüsterte sie glücklich.

Mir entging nicht, wie sich Boabissias Fäuste ballten.

»Stimmt etwas nicht?« fragte ich.

»Mach sie hinter dem Wagen fest, wo sie hingehört.«

»Höre ich ein Bitte?«

»Ja, bitte«, erwiderte Boabissia ärgerlich.

»Also gut.« Ich entschied, Boabissia den Wunsch zu erfüllen, zumindest diesmal. Schließlich war sie eine freie Frau. Vermutlich wollte sie neben sich keine schöne, leichtbekleidete Sklavin sehen.

»Herr?« fragte Feiqa.

»Sei still.«

»Ja, Herr.«

Ich machte sie los und führte sie zur Rückseite des Wagens. Dort waren drei Ringe angebracht; der mittlere Ring, an dem Tula befestigt war, wurde meistens dafür gebraucht, um Vieh anzubinden, während an den anderen beiden Ringen oft weitere Wagen befestigt wurden. Ich band Feiqa rechts an. Sie lächelte. Vermutlich genoß sie es, daß sie Boabissia störte.

»Wir sind soweit!« rief ich.

»Ho!« brüllte Mincon der Zugechse zu. Er schüttelte die Zügel und ließ die Peitsche knallen. Der Wagen fuhr an und rollte auf die Straße des Genesian. Hurtha und ich gingen nebenher. Boabissia saß auf dem Kutschbock und paßte sich den Bewegungen des Wagens an. Tula und Feiqa folgten hinten.

»Die holen wir nie ein«, brummte Mincon. Dann ließ er die Peitsche erneut knallen.

Загрузка...