13

Das Weinen verwirrter, ängstlicher Kinder und das Wehklagen von Frauen erfüllten die Luft.

»Da entlang, geht da entlang!« sagte ein Soldat und versperrte den Weg.

Es herrschte ein unglaubliches Gedränge. Soldaten lenkten den Verkehr. Viele Menschen mit Bündeln auf dem Rücken bewegten sich auf das große Stadttor von Torcodino zu.

»Du da, paß auf!« rief eine Stimme.

Ich trat beiseite, um einen mit Habseligkeiten beladenen zweirädrigen Wagen vorbeizulassen, der von einem Mann gezogen wurde. Die Straßen waren mit Flüchtlingen überfüllt.

»Folgt mir«, hatte Mincon gesagt. »Euch wird nichts geschehen. Bleibt dicht zusammen.«

»Ich will meine Axt zurück«, verlangte Hurtha.

»Bleibt zusammen!« befahl ich. »Laßt euch nicht trennen.«

Wir waren an einer Anzahl von Gebäuden vorbeigekommen, die man mit Seilen abgesperrt hatte. Gelegentlich konnten wir durch offenstehende Türen oder Fenster einen Blick hineinwerfen. Schreie und Geräusche wie zerberstende Möbel ertönten. Soldaten plünderten die Häuser. Aus dem etwa zwölf Meter hohen, geöffneten Fenster eines anderen Gebäudes hing ein Mann mit dem Rücken zur stuckverzierten Wand.

»Was soll das?« fragte ich Mincon.

»Ich kann nicht lesen«, antwortete er. »An seinem Hals hängt ein Schild. Was steht da?«

»Plünderer!« las ich vor.

»Dann wird es das gewesen sein«, meinte Mincon.

»Hier wird viel geplündert«, bemerkte ich. »In mehr als einem Haus konnten wir dabei zusehen.«

»Es war ein Zivilist«, erklärte Mincon. »Es ist Zivilisten verboten zu plündern.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

»In Torcodino muß Ordnung herrschen«, sagte Mincon.

»Natürlich.«

»Ich will meine Axt zurückhaben«, murrte Hurtha.

»Bleibt in der Nähe«, erwiderte ich.

Wir hatten unsere Waffen am Eingang des Wagenhofs abgegeben, den wir in Mincons Begleitung vor ein paar Ehn verlassen hatten. Man hatte in Torcodino eine strenge Waffenkontrolle eingeführt. Der Besitz einer nicht genehmigten Waffe stellte ein Kapitalverbrechen dar, das jeder Soldat auf der Stelle bestrafen konnte, wenn ihm der Sinn danach stand. Die Krallen des Silbertarns griffen fest zu. Dennoch hatte man sich bei dem Verbot streng an den Buchstaben des Gesetzes gehalten. In meinem Geldbeutel steckte ein Zettel mit einer Nummer, die mit der Nummer übereinstimmte, die bei meinen Waffen auf dem Tisch am Eingang des Hofs zurückgeblieben war.

Man rempelte uns an.

»Hier entlang«, gestikulierte ein Soldat, »hier entlang!«

Es roch nirgendwo nach Rauch. Unsere Augen brannten und tränten nicht. Man konnte mühelos atmen. Manchmal spürte man nach der Erstürmung einer Stadt die Hitze brennender Häuser noch Blocks weiter. Aber Torcodino brannte nicht.

»Hier entlang«, sagte ein anderer Soldat.

Wir eilten weiter.

Ein kniendes Sklavenmädchen war an einen Sklavenring gefesselt, der etwa einen halben Meter oberhalb des Straßenpflasters an einer festgeschraubten Platte in der Häuserwand befestigt war. Das Gesicht des Mädchens war tränenverschmiert. Es umklammerte verzweifelt die Halskette. Ich wußte nicht, ob ihr Herr sie dort festgemacht hatte mit der Absicht, zu ihr zurückzukehren, oder ob man sie ausgesetzt hatte. Sie war nackt. Da man sie angekettet hatte, würde sie dort bleiben müssen.

»Kommt schon!« drängte Mincon. Wir schoben uns weiter an den vielen Menschen vorbei. »Bleibt zusammen!« Das taten wir auch, so gut wie möglich. Ich hielt mich dicht hinter ihm, dann kamen Hurtha und Boabissia. Hinter der Alar gingen Feiqa und Tula, die an den Kragen befestigten Seile endeten in Hurthas Hand. Die Sklavinnen waren vor Angst wie erstarrt, als sie am Morgen erfahren hatten, daß die Stadt einen neuen Herrn hatte. Sie hatten sich voller Entsetzen angesehen. Doch strenggenommen hatten die Sklavinnen wenig zu fürchten. Wir hatten sie nicht etwa deshalb festgebunden, weil wir befürchteten, sie könnten in der Menschenmasse einen Fluchtversuch unternehmen, sondern um sicherzugehen, daß sie nicht von uns getrennt oder einfach entführt wurden. Ganz in der Nähe ertönte das Blöken von zwei domestizierten Verr. Eine Frau zerrte sie hinter sich her.

»Es geht nicht mehr richtig weiter«, sagte ich zu Mincon.

»Man hält die Flüchtlinge zurück«, sagte er. »Es gibt mehrere Straßensperren. Danach hat man voneinander getrennte Korridore eingerichtet, die zum Stadttor führen. Dort werden alle durchsucht, damit keine Wertsachen verschwinden.«

»Die Zivilbevölkerung wird aus der Stadt vertrieben.«

»Genau. Laßt uns weitergehen. In einer Reihe.«

Wir bahnten uns langsam einen Weg durch die Menge.

»Wohin bringst du uns?« fragte ich Mincon.

»Zum Semnium.«

»Warum?«

»Ich will euch Passierscheine besorgen.«

»Das wüßte ich zu schätzen.«

Er drehte sich zu mir um. »Ihr müßt sie nicht nehmen, wenn ihr nicht wollt.«

»Warum sollten wir sie nicht wollen?«

»Die Entscheidung bleibt euch überlassen.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Folgt mir!« sagte er nur und schob sich weiter.

Schließlich kamen wir zu einer Straßensperre. Sie bestand aus mehreren Pfählen, die auf Dreibeinen ruhten, und blockierte die Hauptstraße. Hier mußten alle anhalten. Die Leute, die ganz vorn standen, stemmten sich gegen ihre Hintermänner, um nicht gegen die Sperre gedrückt zu werden.

»Halt!« rief der Soldat hinter der Sperre, der einen Speer quer vor den Körper hielt.

Mincon flüsterte ihm eine Parole zu. Die Sperre wurde geöffnet. Es war eine Erleichterung, wieder ungehindert gehen zu können. Etwa sechzig Meter weiter wartete eine Gruppe vor der nächsten Kontrolle. Ein paar Ehn später hatten wir auch dieses Hindernis überwunden; kurz darauf kamen wir zum dritten Kontrollpunkt.

Neben der zweiten Straßensperre türmten sich Gegenstände auf: Möbel, Kissen, Teppiche, Wandbehänge, Kleidung, Truhen, Kisten und Haushaltsgegenstände. Ein Soldat trat heran und leerte einen Kissenbezug aus. Der Inhalt, einige Becher, die scheppernd zu Boden prasselten, fiel in der Masse der angesammelten Gegenstände kaum auf. Der Berg erreichte eine Höhe von über drei Metern. Es war eher wertlose Beute, die vermutlich en gros an Händler verkauft würde, mit denen vorher Verträge abgeschlossen worden waren.

»Seht!« rief Boabissia und zeigte nach links, als wir hinter der dritten Kontrolle eine Kreuzung überquerten.

Vor der Ziegelwand eines öffentlichen Gebäudes – die Ziegel gehörten zu der flachen, schmalen Sorte, die üblicherweise in der goreanischen Architektur des Südens verbaut wurden – knieten etwa einhundert bis einhundertfünfzig Frauen. Alle waren nackt. Man hatte sie an den Hälsen zusammengekettet. Zwei mit Peitschen ausgerüstete Soldaten bewachten sie.

»Noch mehr Beute«, sagte Mincon.

»Sklavinnen!« zischte Boabissia verächtlich.

»Oder zukünftige Sklavinnen«, ergänzte Mincon.

»Oh«, murmelte Boabissia. Das machte ihr angst.

»Das sind doch bestimmt alles Sklavinnen«, meinte ich.

»Viele davon sind die Frauen und Töchter derjenigen, die in Torcodino Anhänger von Cos waren. Deshalb wurden sie gefangengenommen, um das Brandzeichen und den Kragen zu erhalten.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

»Die Gefangenenlisten wurden schon vor Wochen vorbereitet.«

»Natürlich.« Eine Aktion, wie sie zur Zeit in Torcodino stattfand, bei der die Zivilbevölkerung einer wohlüberlegten Säuberung unterzogen wird, bedarf einiger Vorbereitungen, die Fingerspitzengefühl verlangen.

Wir näherten uns den Frauen.

Eine von ihnen stand auf, doch sofort traf sie die Peitsche, und sie sackte schluchzend zurück auf die Knie.

»Hände auf die Hüften!« rief der Soldat. »Den Rücken gerade, das Kinn hoch, die Beine gespreizt!« Er drückte ihr das Kinn mit dem Peitschenstiel hoch. Sie starrte geradeaus, während ihr die Tränen die Wangen hinunterliefen. Jetzt, da wir näher heran waren, sah ich, daß die Frauen alle an einer Kette hingen; man hatte sie ihnen als Schlinge um den Hals gelegt, die dann von einem stabilen Vorhängeschloß verschlossen wurde. Das ist eine einfache, praktische und billige Fesselung.

»Erwartet ihr, alle Frauen auf eurer Liste zu finden?« fragte ich den Soldaten.

»Die meisten schon«, antwortete er. »Einige werden uns zweifellos entkommen, zumindest für kurze Zeit.«

»Viele wird man an den Toren festnehmen«, vermutete Mincon. »Sie werden nicht wissen, daß sie auf einer Liste stehen. Dort werden sie dann ausgezogen, gefesselt, mit einer Nummer versehen und zu einem der Sammelpunkte gebracht.«

»Ab übermorgen dürfen sich keine Zivilisten ohne Erlaubnis in der Stadt aufhalten. Die Strafe für einen sich ungesetzlich hier aufhaltenden Mann ist die sofortige ehrenvolle Hinrichtung, eine Frau wird ebenfalls getötet oder – wenn sie ansehnlich genug ist – zur Sklavin gemacht«, erklärte der Soldat.

»Der Versuch, sich in der Stadt zu verbergen, ist ziemlich sinnlos«, sagte Mincon. »Alle Häuser werden durchsucht. Wenn Flüchtlinge hungrig genug sind, werden sie des Nachts hervorgekrochen kommen, um etwas zu essen zu suchen. Früher oder später wird man sie dann mit Hilfe von Jagdsleen erwischen.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

»So, wie Torcodino nun einmal gebaut ist, mit der Stadtmauer und unseren Kontrollen, ist es höchst wahrscheinlich, daß wir schließlich aller auf der Liste befindlichen Frauen habhaft werden«, ergänzte der Offizier.

Ich nickte. Die aufgelisteten Frauen hatten kaum eine Möglichkeit zur Flucht. Sicher, noch waren sie keine Sklavinnen. Doch sobald eine goreanische Sklavin erst einmal Kragen und Brandzeichen trägt, ist jede Flucht unmöglich. Sollte sie dem einen Herrn entwischen – was schon unwahrscheinlich genug ist –, wird sie sich bald in den Ketten eines anderen wiederfinden. Nur daß der neue Herr weiß, daß sie eine entflohene Sklavin ist, und sie dementsprechend grob behandeln wird. Er wird dafür sorgen, daß die Sleen ihren Geruch kennen. Die Strafen für eine Flucht sind sehr schwerwiegend, beim zweiten Versuch wird man den Sleen zum Fraß vorgeworfen.

»Was geschieht dann mit den Frauen?« wollte ich wissen.

»Die meisten werden gruppenweise an Händler verkauft.«

»Wie die andere Beute auch?«

»Ja. Die Verträge, die die Regelung des Abtransports, Ertragsprognosen und ähnliches enthalten, wurden schon vor Wochen abgeschlossen.«

Ich musterte die Frauen. In den letzten Wochen waren sie ihrem Tagwerk nachgegangen, sorglos, ahnungslos, ohne zu wissen, daß sie in den Plänen ihrer neuen Herren eine Rolle als Ware spielten. Zweifellos hatten sie sich ihren täglichen Beschäftigungen, ihren Spielen, Eitelkeiten und Sorgen gewidmet. Die ganze Zeit über hatten sie nicht gewußt, daß ihre Namen bereits auf Gefangenenlisten standen und daß die unauslöschbare Tinte schon getrocknet war.

»Kommt«, sagte Mincon, »wir müssen ins Semnium!«

Wir gingen wieder los.

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