4

Plötzlich ertönte der zögernde, erstickte Schrei eines Neugeborenen.

Genserix blickte von dem Feuer auf, um das wir saßen; er war breitschultrig und kräftig, hatte dichte Augenbrauen und einen herabhängenden langen Schnurrbart; das lange Blondhaar war zu Zöpfen geflochten. Das Gebrüll kam aus einem der Wagen.

Es klang bereits wesentlich lebhafter.

»Das Kind wird leben«, sagte einer der Krieger, die in der Nähe saßen.

Genserix zuckte mit den Schultern. Das müßte sich erst noch erweisen. Feiqa kniete hinter mir. Wir befanden uns in der Wagenburg von Genserix, einem Häuptling der Alar, viehzüchtenden Nomaden, die wie die Einwohner von Torvaldsland für ihr Geschick mit der Axt bekannt sind. Die Wagenburg der Alar bestand aus einem geschlossenen Kreis, in dessen Innern sich die Zugtiere sowie die Frauen und Kinder aufhielten. Manchmal kommen auch die Verr, Tarsk und Bosk hinzu; das kommt auf die Größe der Herden an, ob der Zug durch gefährliches Gebiet führt. Abwässer und Abfall stellen kein Problem dar – obwohl man das eigentlich erwarten könnte –, da die Lager ständig verlegt werden.

»Es ist ein Sohn«, sagte eine der Frauen, die sich aus dem Wagen dem Feuer näherten.

»Noch nicht«, erwiderte Genserix.

Die Wagenvölker sind ständig unterwegs. Die Bosk brauchen neue Weidegründe. Tarsk und Verr brauchen frische Schößlinge und Wurzeln. Die Bedürfnisse der Tiere, die für die Alar die Lebensgrundlage darstellen, dienen den Nomaden als ständige Rechtfertigung für ihre Reisen, die manchmal zu richtigen Völkerwanderungen werden. Man muß wohl nicht näher darauf hinweisen, daß diese Wanderungen, vor allem wenn sie dichter besiedelte Gegenden berühren, die Wagenvölker in Konflikt mit den Bauern bringen, woraus sich wiederum Schwierigkeiten mit den Städtern ergeben, da diese auf die Nahrungsmittelproduktion der Bauern angewiesen sind. Vom rechtlichen Standpunkt aus gesehen stellen die Nomadenwanderungen eine Invasion dar, zumindest aber Gebietsverletzungen, da sich die Nomaden ohne Erlaubnis in den Herrschaftsbereich der Städte begeben.

Manchmal zahlen sie für das Privileg, durch ein Land ziehen und die Weiden benutzen zu dürfen, aber das ist eher die Ausnahme. Die Alar sind ein wildes Volk, und es bedürfte schon einer mutigen Stadt, auf die Angemessenheit einer solchen Maßnahme hinzuweisen. Genausogut könnte man von den Alar verlangen, für die Atemluft zu bezahlen, schließlich ist beides lebenswichtig. ›Ohne Gras werden die Bosk sterben‹, sagen sie. ›Und die Bosk werden leben‹, fügen sie dann hinzu. Meistens berühren sie nur die Grenzen eines der Stadtstaaten, aber manchmal, wenn es das Wetter oder der Zustand des Weidelandes vorschreiben, dringen sie auch tiefer in das Gebiet ein. In der Regel nimmt die offizielle Seite wenig Notiz von ihnen, man tauscht keine Kriegserklärungen aus, sondern betrachtet sie als unwillkommene Wanderer, als unberechenbare, gefährliche Besucher auf Zeit, mit denen die Bewohner des Landes eine unbehagliche Zeitlang zusammenleben müssen. Es gibt kaum einen Dorf- oder Stadtrat, der nicht aufatmet, wenn die Wagen ihr Land verlassen.

Die Frau, die Genserix die Nachricht überbracht hatte, drehte sich um und kehrte zu dem Wagen zurück.

Wird ein Land von Schwäche oder Chaos heimgesucht, werden die normalen sozialen Strukturen so zerstört, daß die öffentliche Ordnung mit ihrer Disziplin und Verantwortlichkeit zusammenbricht, ist es nur natürlich, daß Völker wie die Alar kommen. Sie haben die Neigung, über solche Orte herzufallen. Manchmal können sie sich dort ansiedeln und den Ackerboden zu dem ihren machen; manchmal nehmen sie die Verhaltensweisen und Vorrechte von adligen Erobern an und werden schließlich zu Begründern einer neuen Zivilisation. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, daß das von der cosischen Invasion verursachte Chaos daran schuld war, daß sich die Alar so weit nach Süden gewagt hatten. Andererseits hatte mir Mincon – bei dem ich auf der Straße des Genesian mitgefahren war – erzählt, daß man die Alar offiziell gebeten hatte, dem Heer als Kutscher und Nachschubbesorger zu dienen. In dieser Eigenschaft hielten sie sich in dieser Nähe zur Straße auf. Da sich die Alar auf dieses Angebot eingelassen hatten, befanden sie sich in der hervorragenden Position, die Geschehnisse zu verfolgen und – wenn es praktisch erschien – sofort etwas zu unternehmen. Hier konnten sie nach territorialen oder finanziellen Gelegenheiten Ausschau halten. Vielleicht hatten die Männer aus Cos, die keine Narren waren, sie eingeladen, damit sie in der Gegend blieben und so den Streitkräften Ars die Zurückeroberung erschwerten. Vielleicht hofften sie, die Alar durch Landschenkungen zu dankbaren, durch Treueide gebundenen Verbündeten zu machen.

In einem der Wagen waren Bewegungen zu hören. Ein Frau mit einem Armvoll Kleidung und Wasser kletterte hinein. Das Kind schrie wieder.

Neben der Axt vertrauen die Nomaden auf das Alar-Schwert, eine lange, schwere, zweischneidige Waffe. Ihre Schilde sind meistens von ovaler Form wie die der Turianer. Zum Reiten benutzen sie den mittelschweren Satteltharlarion, der zwar kleiner und schwächer als der normale Hohe Tharlarion, dafür aber wesentlich schneller und flinker ist. Die Sättel verfügen über Steigbügel und ermöglichen deshalb den Einsatz der eingelegten Stoßlanze. Manche Städte setzen die Alar als Tharlarionkavallerie ein. Aber es gibt auch viele, die davon nichts wissen wollen und die Nomaden nicht einmal als Hilfssoldaten einstellen würden, geschweige denn als reguläre Truppen. Wenn die Alar in die Schlacht reiten, haben sie zumeist ihre Wagenburg im Rücken, in die sie sich im Fall der Niederlage schnell zurückziehen können. Auf offenem Feld sind es wilde, gefürchtete Krieger. Sie verstehen jedoch nur wenig von Politik oder Belagerungstechnik. Die angegriffene Stadt muß lediglich die Tore schließen und darauf warten, daß die Nomaden weiterziehen, was wegen der Bedürfnisse ihrer Tiere unausweichlich ist.

Eine Frau stieg aus dem Wagen, ein kleines Bündel im Arm. Sie kam zum Feuer, und Genserix gab ihr mit einer Geste zu verstehen, daß sie das Bündel zwischen ihm und dem Feuer auf den Boden legen sollte. Sie gehorchte. Dann bückte er sich und schob mit den großen Händen behutsam die Decke beiseite. Das winzige Kind lag nun vor ihm; es war kaum dazu in der Lage, den Kopf von einer Seite auf die andere zu drehen; nur Minuten alt, schnappte es in winzigen Zügen nach Luft. Die furchteinflößende neue Erfahrung des Atmens hatte nach der nun unwiederbringlich verlorenen Zuflucht des Mutterleibs noch nichts von ihrem Schrecken eingebüßt; das galt auch für das Durcheinander der vielen anderen Eindrücke. Die Nabelschnur war durchtrennt und am Bauch abgebunden worden. Der kleine, heiße, krebsrote Körper war von Blut und allen anderen Flüssigkeiten gesäubert worden. Dann hatte man ihn mit Tierfett eingerieben. Wie winzig waren Kopf und Finger! Wie überraschend und wunderbar schien es, daß so ein zartes Wesen überhaupt leben konnte! Genserix sah es eine Zeitlang an, drehte es dann um und betrachtete es noch länger. Dann legte er es wieder auf den Rücken. Er stand auf und blickte auf das Neugeborene hinab.

Die um das Feuer sitzenden Krieger, die Frau und ihre beiden Geschlechtsgenossinen, die ebenfalls den Wagen verlassen hatten, sahen ihn an.

Genserix bückte sich und hob das Kind auf. Die Frauen stießen Begeisterungsschreie aus, die Männer grunzten zustimmend. Glücklich hielt Genserix das Kind fest, wobei es fast in seinen großen Händen verschwand, und hob es dann hoch über den Kopf.

»Ho!« riefen die Krieger und standen auf. Die Frauen strahlten.

»Es ist ein Sohn!« rief eine der Frauen.

»Ja!« erwiderte Genserix. »Es ist ein Sohn.«

»Ho!« riefen die Krieger. »Ho!«

»Was geschieht da?« fragte Feiqa.

»Das Kind wurde begutachtet«, erklärte ich. »Es ist für gut befunden worden. Es darf leben. Jetzt gehört es zu den Alar. Außerdem hat er das Kind hochgehoben. Damit erkennt er es als das seine an.«

Genserix reichte das Kind einem der Krieger. Er zog ein Messer.

»Was tut er denn jetzt?« stieß Feiqa hervor.

»Sei still!« befahl ich.

Genserix machte vorsichtig zwei Schnitte in das Gesicht des Säuglings, einen auf jede Wange. Das Kind fing an zu schreien. Blut lief die Wangen hinunter, den Hals entlang, bis auf die kleinen Schultern. »Bringt ihn zu seiner Mutter«, verlangte Genserix.

Die Frau, die das Kind ans Feuer gebracht hatte, hob die Decke auf, wickelte den Säugling wieder darin ein, nahm ihn dem Krieger ab und kehrte zum Wagen zurück.

»Das ist ein Kriegervolk«, sagte ich zu Feiqa. »Das Kind ist ein Alar. Bevor es die erste Milch erhält, muß es lernen, Schmerzen zu erdulden.«

Feiqa zuckte zusammen, voller Angst, sich in Gegenwart solcher Männer aufzuhalten. Auf Genserix’ Wangen waren genau wie auf den Gesichtern der Umstehenden schmale weiße Narben zu sehen, die der Welt verkündeten, daß er zu seiner Zeit die gleiche Zeremonie erduldet hatte. An solchen Narben konnte man die Alar erkennen.

»Ich freue mich über dein Glück«, sagte ich zu Genserix, der seinen Platz am Feuer wieder eingenommen hatte. Genserix neigte lächelnd den Kopf und breitete die Hände aus.

»In Zeiten solchen Glücks kann man darauf verzichten, dich zu töten, weil du ohne Einladung in unser Lager gekommen bist«, sagte ein Mann, der sein langes schwarzes Haar mit einem perlenverzierten Lederband zurückgebunden hatte.

»Nicht so schnell!« wandte ich voller Unbehagen ein. »Im Lager der Kutscher, die den Nachschub für Cos transportieren, sagte man mir, daß ich hier vielleicht Arbeit finden könnte.«

Ein paar der Männer schlugen sich belustigt auf die Schultern.

»Also nehme ich an, daß das nicht der Wahrheit entspricht«, sagte ich.

»Sollen wir ihn trotzdem umbringen?« fragte einer der Krieger.

»Es kommen doch sicher oft Leute vorbei«, meinte ich.

»Du darfst Parthanx und Sorath nicht beachten«, meinte ein breitschulteriger großer Mann, der mit überkreuzten Beinen neben mir saß. Wie Genserix hatte er langes blondes, zu Zöpfen geflochtenes Haar und einen Schnurrbart. Er hatte auch blaue Augen. Helle Haut, blonde Haare und blaue Augen sind unter den Alar weitverbreitet. »Sie machen nur Spaß. Sie sind unsere Scherzbolde. Wie du weißt, kommen viele Leute zu den Wagen, Informanten, Sklavenhändler, Kaufleute, Schmiede, Handwerker, Bauern, die Lebensmittel für Häute und Schmuckstücke eintauschen wollen, und noch viele mehr. Andernfalls besäßen wir weder die Dinge, die wir nun einmal besitzen, noch erführen wir Neuigkeiten. Wir wären von der Welt abgeschnitten und könnten unsere Angelegenheiten niemals so wohlüberlegt regeln, wie das unsere Art ist.«

Ich nickte. Völker wie die Alar ziehen durch besiedelte Gebiete. Sie müssen sich nicht auf große Ebenen beschränken wie beispielsweise einige der subäquatorialen Stämme der Wagenvölker wie die Tuchuks oder Kassar.

Parthanx und Sorath stießen sich freundschaftlich an, erfreut über ihren Scherz.

»Bringt Armreifen!« rief Genserix.

»Ich bin Hurtha«, sagte der blonde Mann an meiner Seite. »Du darfst uns nicht für Barbaren halten. Erzähl uns von den Städten.«

»Was möchtest du gern wissen?« fragte ich, obwohl ich es mir denken konnte. Er würde sich für den Zustand ihrer Mauern, die Anzahl der Tore, ihre Verteidigung, die Stärke ihrer Garnisonen und ähnliches mehr interessieren.

»Ist Ar so schön, wie man sich erzählt?« fragte er. »Und wie ist es, dort zu leben?«

»Ar ist sehr schön«, sagte ich. »Und obwohl ich weder Bürger von Ar noch von Telnus bin, der Hauptstadt von Cos, ist das Leben dort zweifellos einfacher als hier zwischen den Wagen. Warum fragst du?«

»Hurtha ist ein Schwächling und ein Dichter!« lachte Sorath.

»Ich bin Krieger und ein Alar«, sagte Hurtha. »Aber es ist richtig, daß ich Gedichte mag.«

»Buchstaben und Waffen sind nicht unvereinbar«, sagte ich. »Oft sind die größten Soldaten begabte Männer.«

»Ich habe daran gedacht, dorthin zu gehen, um mein Glück zu suchen«, sagte er.

»Was tätest du dort?«

»Mein Arm ist stark, und ich kann reiten.«

»Würdest du dich bei einem Hauptmann verdingen?«

»Ja«, antwortete er. »Wenn möglich, bei dem besten.«

»Auf Gor gibt es viele Streitigkeiten«, sagte ich. »Wie auch viele Hauptmänner.«

»Zuerst könnte ich mich bei irgend jemandem verdingen.«

»Viele Hauptmänner wählen ihre Aufträge auf den Waagen der Kaufleute aus«, sagte ich. »Sie wägen Eisen gegen Gold ab. Sie kämpfen für den Ubar mit dem umfangreichsten Geldbeutel, fürchte ich.«

»Ich bin ein Alar«, sagte Hurtha. »Die Städte führen ständig Krieg gegen uns. Es ist immer das Land gegen die Mauern. Gleichgültig, in welche Richtung ich mich wende oder gegen wen ich antrete, es wäre ein Schlag gegen den Feind.«

»Auf gewisse Weise bin ich ein Söldner«, sagte ich. »Aber für gewöhnlich habe ich mir meine Kämpfe mit Sorgfalt ausgesucht.«

»Das sollte man auch tun«, stimmte Hurtha mir zu. »Sonst geschieht es, daß man sein Glück nicht fördert.«

Ich sah ihn an.

»Ich kann mit der Vorstellung vom Vorhandensein der richtigen Seite nichts anfangen, wenn du davon sprichst«, sagte Hurtha. »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob es so etwas wie die richtige Seite überhaupt gibt. Ich habe sie noch nie geschmeckt oder gesehen, oder gar gefühlt. Sollte es tatsächlich so etwas geben, dann bestimmt bei beiden Parteien, so wie das Sonnenlicht oder die Luft. Es hat mit Sicherheit noch keinen Krieg gegeben, in dem nicht beide Parteien behauptet hätten und auch davon überzeugt waren, im Recht zu sein. Wenn sich also beide Seiten stets für die richtige Seite halten, kann man also nichts Falsches tun, wenn man sich für eine davon entscheidet. Und wenn das der Fall ist, warum sollte man dann nicht auch für die Wagnisse bezahlt werden, die man eingeht?«

»Hast du jemals die Ehre gesehen, gefühlt oder gar geschmeckt?« fragte ich.

»Ja«, erwiderte Hurtha. »Ich habe die Ehre geschmeckt, sie gesehen und sie gefühlt, aber das ist nicht so, als würde man Brot schmecken, einen Felsen sehen oder eine Frau spüren. Es ist anders.«

»Vielleicht ist das bei der Schwierigkeit mit der richtigen Seite so ähnlich.«

»Vielleicht«, sagte Hurtha. »Aber das scheint mir eine sehr vertrackte, schwierige Angelegenheit zu sein.«

»Den Eindruck habe ich auch. Ich bin oft überrascht, warum anderen das anscheinend so leicht fällt.«

»Das ist wahr.«

»Vielleicht haben sie eine Gabe, dies zu spüren«, dachte ich laut nach.

»Schon möglich. Aber warum herrscht dann soviel Zwietracht unter ihnen?«

»Diese Frage kann ich nicht beantworten«, gab ich zu.

Die Armbänder wurden gebracht, schwere Armbänder aus Silber und Gold, und Genserix verteilte sie an hochrangige Gefolgsleute. Aus derselben Kiste holte er Münzen, die er unter den anderen verteilte. Selbst ich erhielt einen Silbertarsk. Offenbar besaß das Wagenvolk große Schätze. Der Tarsk kam aus Telnus. Diese scheinbar unbedeutende Tatsache bestärkte mich in der Überzeugung, daß zwischen den Manövern von Cos und dem Zug der Alar zur Straße des Genesian ein Zusammenhang bestand.

»Gibt es in den Städten solche Frauen?« fragte Hurtha und deutete auf Feiqa.

»Tausende.«

»Wir sollten uns mit den Belagerungstechniken besser vertraut machen«, lächelte Hurtha.

Feiqa zuckte zusammen.

»Man kann solche Frauen in der Stadt kaufen, auf Sklavenmärkten oder bei Kaufleuten. Sicherlich fändest du auch bei den Wagen welche, du mußt nur nach ihnen suchen. Du könntest sie scharenweise vorführen lassen, damit man sie sich ansieht, sie untersucht und bei Zufriedenheit erwirbt.« Interessanterweise waren mir in dieser Wagenburg noch keine Sklaven begegnet. Bei den Wagenvölkern im fernen Süden war das ganz anders. Dort waren wunderschöne Sklavinnen – in schamlos enthüllenden Chatkas und Curlas – mit winzigen Ringen in den Nasen etwas Alltägliches. »Du hast doch eben davon gesprochen, daß unter anderem auch Sklavenhändler zu euren Wagen kommen.«

»Ja«, sagte er. »Aber gewöhnlich nur um die Beute zu erwerben, die wir bei Raubzügen oder Kämpfen machen.«

»Warum gibt es hier so wenig Sklavinnen?«

»Die freien Frauen töten sie.«

Feiqa keuchte auf. Vermutlich war es vernünftiger, bald aufzubrechen. Sie war eine Schönheit, die Männer erotisch erregen konnte, und zwar auf eine unvorstellbare, betörende Weise. Ich hatte keine Lust, ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Sie war genau die Art von Frau, die mit ihrer Hilflosigkeit, ihrem Kragen, ihrer Verletzlichkeit und der kurzen Tunika eifersüchtigen Haß hervorrufen konnte, einen Haß, der bei freien Frauen manchmal schon an Wahnsinn grenzte, vor allem bei den Häßlichen und sinnlich Unbefriedigten.

»Oh!« rief Feiqa aus, als Sorath sie beim Oberarm packte. Sein Griff war fest, unmißverständlich. Er wollte sie haben.

»Warte«, sagte ich und legte ihm die Hand auf den Arm.

»Ich soll warten?« fragte er.

»Ja«, sagte ich. »Warte.«

»Du bist kein Alar«, sagte er. »Ich werde sie mir nehmen.«

»Nein.«

»Das ist unser Lager.«

»Sie ist meine Sklavin.«

»Gib sie mir«, verlangte er. »Wenn ich sie dir zurückgebe, wird sie viel glücklicher sein.«

»Nein.«

»Im Lager tue ich das, was ich will.«

»Daran habe ich meine Zweifel.«

Er stand auf. Ich schloß mich ihm an. Er war ein Stück kleiner als ich, dafür aber außerordentlich breit und kräftig. Kein ungewöhnlicher Körperbau bei den Alar.

»Du hast von unserem Essen gegessen«, sagte Sorath.

»Und das habe ich gern getan. Vielen Dank.«

»Du bist hier Gast«, sagte Sorath.

»Und ich erwarte den damit verbundenen Respekt und die Höflichkeit.«

»Überlaß sie ihm doch für ein paar Ehn«, schlug Hurtha vor.

»Er hat nicht gefragt.«

»Dann frag ihn«, mischte sich ein Mann ein.

»Nein«, sagte Sorath.

Ich zuckte mit den Schultern.

»Holt zwei Äxte«, schlug Sorath vor.

»Er kennt sich mit der Axt nicht aus«, sagte Hurtha. »Er gehört nicht zum Wagenvolk.«

»Dann holt Schwerter!« brüllte Sorath.

»Eine Axt ist schon in Ordnung«, sagte ich. Ich hatte den Gebrauch der Waffe in Torvaldsland gelernt. Es war eigentlich unvorstellbar, daß es jemanden geben sollte, der den Torvaldsländern im Gebrauch der Axt überlegen war.

»Nehmt Äxte ohne Klingen«, befahl Genserix. Das war ein überraschender Vorschlag, aber ich hieß ihn willkommen. Es schien eine anständige Geste zu sein, die Genserix da machte. Nicht jeder Anführer der Alar wäre so rücksichtsvoll gewesen. So würde der Verlierer schlimmstenfalls einen aufgeschlagenen Kopf davontragen. Die Männer am Feuer grunzten zustimmend. Es schienen alle ziemlich anständige Burschen zu sein. Zu meiner Freude war Sorath einverstanden. Offenbar hegte er, nachdem sein Jähzorn verraucht war und er Zeit zum Nachdenken gehabt hatte, nicht den Wunsch, mich zu töten. Er wäre vermutlich damit zufrieden, mich bewußtlos zu schlagen. Am Morgen würde ich dann nackt und an einen Holzpflock außerhalb der Wagenburg gefesselt aufwachen. Ein paar Tage später, nachdem ich ausreichend über meine Undankbarkeit nachgegrübelt hätte, während ich wie ein Tarsk von Wasser aus einem Erdloch und Küchenabfällen gelebt hätte, ließe man mich vielleicht wieder frei, wenn die Wagen weiterführen; man gäbe mir die oft benutzte Feiqa zurück, möglicherweise mit einem frischen Alar-Brandmal, damit ich mich von Zeit zu Zeit an den Zwischenfall erinnerte.

Zwei sehr lange schwere Axtschäfte wurden gebracht.

Ich wog einen in der Hand. Er war gut ausbalanciert.

»Paß auf dich auf, Freund«, sagte Hurtha. »Sorath ist ein vorzüglicher Axtkämpfer.«

»Danke.«

Feiqa wimmerte.

»Bereite dich in Gedanken schon einmal auf deine Zukunft vor«, sagte ich.

»Herr?« fragte sie verblüfft.

»Soll die Frau gefesselt werden?« fragte einer der Krieger.

»Das ist nicht nötig«, sagte ich. »Bleib auf den Knien, Feiqa!«

»Ja, Herr.« Sie würde gehorchen.

Sorath spuckte in die Hände und ergriff den Schaft. Er ließ ihn ein paarmal durch die Luft pfeifen. Ich begab mich zu einer freien Stelle in der Nähe des Feuers.

»Hast du gesehen?« sagte einer der Krieger. »Er hat eine Stellung eingenommen, in der er das Feuer im Rücken hat.« Die anderen Männer nickten, es war ihnen durchaus nicht entgangen.

Nach Möglichkeit – es richtet sich natürlich nach den Gegebenheiten des Terrains – sorgt ein Krieger dafür, daß er Sonne und Wind stets im Rücken hat. Der Glanz der Sonne kann, selbst wenn er nicht blendet, den Feind ermüden, besonders wenn der Kampf eine Ahn lang dauert. Die Vorteile, die es mit sich bringt, den Wind im Rücken zu haben, sind offensichtlich. Die Reichweite eines abgeschossenen Pfeils vergrößert sich, jede vorwärtsgerichtete Bewegung wird verstärkt, jeglicher Staub, den der Wind möglicherweise mit sich trägt, behindert eher den Feind.

Sorath hieb wild mit dem Axtschaft auf mich ein, und ich blockte den Schlag ab. Es war ein einfacher, offensichtlicher Hieb gewesen, und wenn es nicht seine Absicht gewesen war, mir die Kraft zu rauben oder den Schaft zu zerbrechen, ergab er wenig Sinn. Er trat zurück und überdachte seine Taktik.

»Einen Alar hättest du auf diese Weise bestimmt nicht angegriffen«, sagte ich. Es konnte ihm nicht entgangen sein, daß ich seine offene Deckung nicht ausgenutzt und keinen Hieb nach seinem Hals geführt hatte, einen Hieb, der zumindest mit einer Torvaldslandaxt einem Mann den Kopf von den Schultern trennen kann.

»Das stimmt, Fremder«, sagte da eine Frauenstimme. Ich trat zurück, in dem sicheren Wissen, daß zwischen Sorath und mir in diesem Augenblick Waffenstillstand herrschte; trotzdem behielt ich ihn im Auge. Er konnte seinen Standpunkt nicht verändern, ohne daß es mir entging.

»Ich habe Tharlarion gesehen, die besser mit einem Axtschaft umgehen können«, sagte sie. Sorath errötete wütend. Allem Anschein nach war sie eine freie Frau der Alar, obwohl sie im Gegensatz zu den anderen Frauen keines der rauhen, schweren, bodenlangen Kleider trug. Sie trug Männerkleidung, Felle und Leder. In ihrem Gürtel steckte sogar ein Messer. Sie war von betörender Schönheit, obwohl sie nach ihrer Miene und ihrem Benehmen zu urteilen eine derartige Bemerkung nicht als Kompliment aufgefaßt hätte. Sie hatte etwa Feiqas Größe, war vielleicht ein wenig kleiner und hatte dunkles Haar und dunkle Augen.

Von ihrer Bemerkung aufgestachelt, machte Sorath einen wilden, unkontrollierten Ausfall. Ich blockte die Schläge ab, da ich seinen Leichtsinn nicht ausnutzen wollte. Ich versetzte ihm keinen Schlag. Wären es richtige Äxte mit scharfem Eisen gewesen, hätte ich ihn mehrfach töten können. Ich weiß nicht, ob ihm das bewußt war, aber einigen der Zuschauer blieb es nicht verborgen. Hurtha und Genserix zum Beispiel schienen sich da keinen Täuschungen herzugeben, wenn ich ihre besorgten Mienen richtig deutete. Gut, bei richtigen Äxten hätte Sorath vielleicht mit größerer Umsicht gekämpft.

Er wich keuchend zurück.

»Kämpf, Sorath!« verspottete ihn die Frau. »Er ist ein Außenseiter. Bist du kein Alar?«

»Schweig, Frau!« murrte Genserix.

»Ich bin eine freie Frau«, erwiderte sie. »Ich kann sagen, was ich will.«

»Halt dich aus Männerangelegenheiten heraus«, verlangte Genserix.

Sie betrachtete die Gruppe von ihrem Standpunkt auf der anderen Seite des Feuers aus. An den Füßen trug sie Fellstiefel. Ihre Arme waren aufsässig unter der Brust verschränkt. »Sind hier denn Männer?« fragte sie. »Das sollte mich doch wundern.«

Die versammelten Krieger stießen ein ärgerliches Gemurmel aus. Aber niemand unternahm etwas, um die Frau in die Schranken zu weisen. Natürlich war sie frei. Bei den Alar haben freie Frauen einen hohen gesellschaftlichen Stellenwert.

»Hältst du dich für einen Mann?« fragte einer der Krieger.

»Ich bin eine Frau, aber ich unterscheide mich durch nichts von dir.«

Erneutes ärgerliches Gemurmel.

»Tatsächlich bin ich mehr Mann als jeder von euch.«

»Gebt ihr eine Axt!« befahl Genserix.

Man reichte der Frau eine typische Alar-Axt, mit langem Schaft und schwerer Eisenklinge. Sie nahm sie, konnte sie aber nur mit Mühe halten. Es war klar, daß die Waffe zu schwer für sie war. Sie konnte sie kaum hochheben, geschweige denn damit kämpfen.

»Du könntest diese Klinge nicht einmal fürs Holzhacken schwingen«, sagte Genserix.

»Wie ist dein Name?« fragte ich.

»Tenseric«, sagte sie.

»Das ist ein Männername.«

»Ich habe ihn selbst ausgesucht. Ich trage ihn mit Stolz.«

»Hat man dich schon immer so genannt?« wollte ich wissen.

»Man rief mich bis zum Zeitpunkt meiner Reife Boabissia. Dann habe ich mir selbst einen Namen ausgesucht.«

»Du bist noch immer Boabissia«, sagte einer der Krieger.

»Nein!« widersprach sie. »Ich bin Tenseric.«

»Du bist doch eine Frau, oder?« fragte ich.

»Sicher«, sagte sie ärgerlich. »Und?«

»Bedeutet das denn nichts?«

»Nein. Es bedeutet gar nichts.«

»Also gibt es keinen Unterschied zwischen dir und einem Mann?« fragte ich.

»Nein!«

Die Krieger am Feuer lachten.

»Es braucht mehr als Felle und Leder und einen großspurig im Gürtel getragenen Dolch, um ein Mann zu sein.«

Sie sah mich wütend an.

»Du bist eine Frau!« rief einer der Männer. »Benimm dich auch so!«

»Nein!« schrie sie.

»Zieh dir ein Kleid an!«

»Niemals! Ich will keine jener armseligen Kreaturen sein, die euch auf jede erdenkliche Weise bedienen müssen!«

»Bist du eine Alar?« fragte ich.

»Ja!«

»Nein«, sagte Genserix. »Sie ist keine Alar. Wir haben sie vor Jahren als Säugling am Straßenrand gefunden, zurückgelassen in einer Decke, inmitten der brennenden Reste einer überfallenen Karawane.«

»Waren es die Alar?« fragte ich.

»Nein«, sagte ein Krieger und kicherte.

»Ich wünschte, die Karawane wäre uns in die Hände gefallen«, sagte sein Nachbar. »Nach ihrer Größe zu urteilen, wäre es eine beträchtliche Beute gewesen.«

»Bei unserem Eintreffen war kaum noch etwas da.«

»Laß dich nicht in die Irre führen«, grinste Hurtha.

»Wir gehen nicht oft auf Raubzüge. Das stört die guten Beziehungen zu den Städtern.«

Das ergab einen Sinn. Die Alar und ähnliche Völker können bei der Suche nach Weidegründen angriffslustig und kriegerisch sein, aber wenn man sie gewähren läßt, veranstalten sie nur selten Raubzüge.

»Wir nahmen das Kind auf und zogen es groß«, erklärte Genserix. »Wir nannten es Boabissia, ein guter alarischer Name.«

»Dann gehörst du eigentlich gar nicht richtig zum Wagenvolk«, sagte ich zu dem Mädchen. »Aller Wahrscheinlichkeit nach bist du eine Frau aus der Stadt.«

»Nein! Ich bin eine Angehörige des Wagenvolks!« sagte sie. »Ich habe mein ganzes Leben bei ihnen verbracht.«

»Sie gehört nicht zum Wagenvolk, nicht durch das Blut«, sagte ein Mann.

Boabissia starrte ihn wütend an. »Bringt mir Gesichtsnarben bei!« rief sie.

»Wir zerschneiden die Gesichter unserer Frauen nicht«, erwiderte der Mann.

»Schneidet mich!« verlangte sie.

»Nein«, sagte Genserix.

»Dann werde ich es selbst tun!«

»Laß es!« verlangte Genserix mit strenger Stimme.

»Also gut«, sagte sie. »Ich werde tun, was mein Häuptling befiehlt.«

Mir war klar, daß sie sich in Wirklichkeit gar nicht nach Art der Krieger verstümmeln wollte. Bemerkenswert. Die Männer wollten es natürlich auch nicht. Zum einen gehörte sie nicht zu den Kriegern und hatte darum auch gar kein Anrecht auf dieses Standeszeichen; hätte sie es als Frau getragen, wäre es für Außenstehende ständiger Anlaß zum Spott gewesen und hätte die Alar in Verlegenheit gebracht. Es hätte die Bedeutung geschmälert und etwas Anstößiges daraus gemacht. Die Ehrenzeichen der Männer werden genau wie ihre Kleidung zu bedeutungslosen, verachtenswerten Dingen, wenn man sie Frauen zugesteht. So etwas führt schließlich zur Entmännlichung des männlichen Geschlechts und zur Entfraulichung des weiblichen Geschlechts, eine Widernatürlichkeit, der Goreaner grundsätzlich ablehnend gegenüberstehen – ob dies nun der Wahrheit entspricht oder nicht, sei dahingestellt.

Davon abgesehen war Boabissia eine schöne Frau, und die Krieger wollten sie nicht entstellt sehen.

»Dein Häuptling dankt dir«, sagte Genserix ironisch.

Sie errötete und senkte den Kopf. In ihrer Wut hatte sie kaum eine andere Wahl als vorzutäuschen, daß sie seine Bemerkung ohne Hintergedanken hinnahm. Ich fragte mich, warum Genserix ihr nicht einfach die Kleidung wegnahm und sie ein paar Tage unter einem Wagen ankettete. Sie starrte mich wütend an.

»Ich bin eine Alar«, wiederholte sie.

Einige der Krieger lachten.

»Mir erscheint es wahrscheinlicher, daß du eine Frau aus der Stadt bist«, sagte ich.

»Nein! Nein!«

»Betrachte deine Hautfarbe, denk an deine Größe, dein dunkles Haar, deine Augen. Bedenke die bemerkenswerten weiblichen Formen, die sich unter den Fellen und dem Leder andeuten.« Die meisten Frauen der Alar waren ziemlich groß, flachbrüstig, kalt, blond und blauäugig. »Du erinnerst mich an viele Frauen, denen ich auf Sklavenmärkten begegnet bin.«

Das rief bei den Kriegern lautes Gelächter hervor.

»Nein!« schrie Boabissia sie an. »Nein!« schrie sie mich an.

»Es stimmt.«

»Nein!« rief sie.

Die Männer lachten noch lauter.

»Ich bin eine Alar! Ich bin eine freie Frau!« rief sie mit einem haßerfüllten Blick in Feiqas Richtung, die sich zitternd zusammenduckte.

»Heb die Axt, die du trägst«, sagte Genserix. »Hoch, über den Kopf, als wolltest du jemanden damit schlagen. Halt sie am Griffende!«

Sie versuchte es. Aber schon einen Augenblick später konnte sie das Gewicht nicht länger halten, sie wand sich und die Axt sauste herab und bohrte sich in den Boden. Die Krieger waren darüber nicht erfreut. Wütendes Gemurmel erhob sich.

»Ich schaffe es nicht«, erklärte Boabissia.

Ich persönlich hätte sie auf die Knie gezwungen und dafür gesorgt, daß sie die Axt säuberte. Für eine Sklavin kann es auf Gor bereits ein Kapitalverbrechen sein, eine Waffe auch nur zu berühren.

»Heb sie hoch, schwing sie!« befahl Genserix streng.

Sie versuchte die Axt zu heben, und dann noch einmal. Schließlich senkte sie die Waffe und hielt sie wie vorhin mühsam mit beiden Händen. »Ich kann es nicht.«

»Dann leg sie nieder und geh«, sagte Genserix.

»Ja, mein Häuptling.« Sie legte die Axt auf den Boden und stürzte wütend in die Dunkelheit davon. Ich konnte mir denken, was mit ihr geschehen war. Vermutlich hatte sie in ihrer Jugend kaum eine Verwandtschaft zu den Frauen der Alar verspürt. Auf jeden Fall hatte sie sich geweigert, sich mit ihnen gleichzusetzen. Und da sie nicht vom Blut der Alar war, hatten die Nomaden sie im Gegenzug niemals richtig anerkannt. Ich hatte den Eindruck, daß sie, wie es bei den Kindern der Nomaden häufig der Fall ist, mit großer Nachsicht erzogen worden war. Unfähig, sich mit den Frauen zu identifizieren oder von ihnen anerkannt zu werden, entwickelte sie einen bitteren Neid auf die Männer, ihre Stellung und ihr Ansehen, so daß sie versuchte, sich ihnen als gleichberechtigt zu erweisen. Sie nahm männliche Verhaltensweisen an, trug die gleiche Kleidung und versuchte auf diese Art verzweifelt und wütend, einen Platz unter dem Wagenvolk zu finden. Und das Ergebnis war, daß sie von keinem der beiden Geschlechter anerkannt wurde. Sie erschien mir verwirrt und furchtbar unglücklich. Ich glaubte nicht, daß sie ihre Identität kannte, daß sie wußte, wer sie in Wirklichkeit war. Vermutlich kannten einige der Männer sie besser als sie sich selbst.

»Laßt uns den Kampf fortsetzen«, schlug Genserix vor.

Zustimmendes Gemurmel erhob sich.

Sorath und ich traten wieder gegeneinander an. Diesmal, da er nicht von der Frau verspottet wurde, kämpfte er außerordentlich gut. Wie Hurtha mich gewarnt hatte, war Sorath ein Meister der Axt. Jetzt, da sich sein Temperament abgekühlt hatte, kämpfte er mit Schnelligkeit und Genauigkeit. Der Leichtsinn und das manchmal unvernünftig auflodernde Temperament von Männern wie Sorath waren unter den stolzen Alar nichts Ungewöhnliches; sie wären klug beraten gewesen, sich dagegen zu wappnen. Zu oft riß es solche Völker in den Untergang. Hunderte von Malen erwiesen sich schon nüchtern durchdachte Verteidigungslinien und verantwortungsvolle Taktiken roher Kraft und Wut gegenüber als überlegen. Der Mut der Barbaren richtet nur selten etwas gegen einen kühl denkenden, entschlossenen, vorbereiteten Feind aus. Aber die Bewohner der Städte sollten besser bei dem Gedanken erzittern, daß eines Tages jemand unter den Horden aufsteigt, der den Sturm bändigen und den Blitzschlag lenken kann.

Ich wich seitwärts aus, wirbelte den Axtschaft herum und traf Sorath in den Solarplexus, jenes Netzwerk aus Nerven hoch oben in der Magengrube, das vor dem oberen Teil der Unterleibsaorta liegt. Ich stieß nicht fest genug zu, um ihn zu verletzen, seinen Leib aufzureißen oder die Ader zum Platzen zu bringen, sondern gerade so hart, daß ich ihn ausschaltete. Um gänzlich sicherzugehen, brachte ich das linke Stück des Schaftes nach oben und ließ es auf seinen Nacken niedersausen, als er sich wie erwartet gehorsam und stöhnend zusammenkrümmte. Ich schlug nicht hart genug zu, um ihm die Wirbelsäule zu brechen. Er sackte auf die Knie, erbrach sich und fiel dann halb bewußtlos vornüber. Da stand ich bereits hinter ihm, das Holz am Griffende festhaltend. Von dieser Position aus kann man mit einem Schlagstock dem Gegner den Hals brechen oder ihm den Schädel einschlagen. Wäre der Schaft mit der Axtklinge ausgestattet gewesen, hätte man ihn natürlich köpfen können. Sorath war schnell. Ich war schneller.

»Töte ihn nicht«, sagte Genserix.

»Natürlich nicht«, sagte ich. »Er ist einer meiner Gastgeber.« Ich trat von Sorath zurück.

»Du hast gut gekämpft«, sagte Genserix.

»Sorath ist sehr gut, findest du nicht auch?« fragte Hurtha.

»Ja«, sagte ich. »Er ist ganz gut.«

»Dein Können hat gezeigt, daß du die Gastfreundschaft der Alar wert bist«, sagte Genserix. »Willkommen in unserem Lager. Willkommen beim Licht und bei der Wärme unseres Feuers.«

»Danke«, sagte ich und warf den Axtschaft weg.

»Lebst du noch?« fragte Parthanx seinen Freund fürsorglich.

»Ja«, erwiderte Sorath.

»Dann sei nicht so faul. Steh auf.« Parthanx schien den Kampf wie die anderen auch genossen zu haben.

»Laß mich dir helfen«, sagte ich, gab Sorath die Hand und schleifte ihn fast bis zu seinem Platz am Feuer. Er sah kopfschüttelnd zu mir hoch. »Gut gemacht«, sagte er.

»Danke. Aber du warst auch nicht schlecht.«

»Danke.«

Ich sah mich um. »Ich nehme an, ich bin hier jetzt willkommen.«

»Ja«, sagte Genserix.

»Ja«, sagte Sorath.

Die anderen murmelten beifällig.

»Danke«, sagte ich. »Ich bin dankbar für eure Gastfreundschaft. Ich danke euch auch für das Essen und Trinken, das ich hier bekommen habe, für die Wärme und das Licht des Feuers, für eure Kameradschaft. Eure Gastfreundschaft entspricht dem, was ich über die Alar gehört habe. Ich täte jetzt gern etwas für euch, aus freiem Willen, wie jetzt allen klar sein dürfte, etwas, das in geringem Ausmaß dazu dienen soll, meinen Dank auszudrücken.«

Genserix und seine Krieger sahen sich verblüfft an.

Ich wandte mich an Feiqa. »Zieh dich aus.«

»Herr?« fragte sie.

»Muß ich den Befehl wiederholen?«

»Nein, Herr!« rief sie. Im Nu war sie nackt.

»Steh gerade«, sagte ich. »Heb die Arme über den Kopf.« Sie gehorchte augenblicklich. Im Licht des Feuers bot sie einen wunderschönen Anblick.

»Solche Frauen kann man in den Städten kaufen«, sagte ich.

Anerkennendes Gemurmel erhob sich, als sich die Männer an der vom Feuerschein erleuchteten Schönheit der nackten Sklavin erfreuten.

»Tanz!« befahl ich.

»Ja, Herr.«

Einer der Krieger fing an zu singen und klatschte dabei in die Hände.

Feiqa tanzte.

Die Männer stießen Begeisterungsrufe aus, viele stimmten in das Lied ein und gaben den Rhythmus mit den Händen vor. Ich war unglaublich stolz auf Feiqa. Wie oft kam es vor, daß die ungehobelten Viehtreiber der Alar solch eine willige Schönheit in ihrem Lager und ihren Armen hatten? Solche Frauen waren hier bestimmt nicht erlaubt. Dafür sorgten schon die freien Frauen. Vermutlich verbargen sie sie in den Wagen, bis sie verkauft oder getötet werden konnten. Wie schön Feiqa war! Welch unglaubliche Macht sie über die Männer ausübte! Wie sie sie erfreute und ihnen Beifallsstürme entlockte! Wie unglaublich lebendig und unverfälscht sie war.

»Das ist ekelhaft!« schrie plötzlich Boabissia, die zum Feuer zurückgekehrt war. Die freie Frau war noch immer in Fell und Leder gekleidet. Sie stürmte in den Kreis, eine kurze dicke Peitsche in der Hand. Sie schlug auf Feiqa ein, die schreiend auf die Knie fiel. »So etwas wie dich erlauben wir nicht im Lager der Alar!« schrie die freie Frau. Feiqa senkte den Kopf. Schläge regneten auf sie herab.

Mit einem Satz stand ich neben Boabissia, riß ihr die Peitsche aus der Hand und warf sie wütend fort. Die freie Frau starrte mich voller Zorn an, sie konnte nicht fassen, daß ich gewagt hatte, hier einzugreifen. »Mit welchem Recht mischst du dich ein?« verlangte sie zu wissen.

»Mit dem Recht eines Mannes, der über dein Benehmen nicht erfreut ist, Frau«, erwiderte ich.

»Frau?« brüllte sie wütend.

»Ja.«

Ihre Hand zuckte zu dem Dolch in ihrem Gürtel. Ich sah sie nur an. Ängstlich nahm sie die Hand vom Dolchgriff und machte ihrer Wut mit einem Schrei Luft. Dann hob sie die Fäuste, um auf mich einzuschlagen. Nur um erneut aufzuschreien, als ich mühelos ihre Handgelenke packte. Sie konnte nichts dagegen tun. »Halt!« schrie sie dann protestierend auf, als ich sie langsam auf die Knie zwang. Ich drehte sie um, warf sie auf den Bauch und setzte mich auf ihre Hüften. Dort entfernte ich den Dolch aus seiner Scheide. »Nein!« rief sie, als ich ihr mit ihrem eigenen Dolch die Kleider vom Leib schnitt.

»Ein Seil«, verlangte ich, ohne aufzusehen; ich streckte einfach nur die Hand aus. Jemand reichte es mir, und einen Augenblick später waren ihr die überkreuzten Hände sicher zusammengefesselt. Ich hatte sie wie eine Sklavin gebunden.

»Hilfe!« rief sie den Kriegern zu. »Hilfe!«

Aber keiner rührte sich, um Boabissia beizustehen. Ich verlagerte meine Position auf ihrem Körper, so daß ich jetzt in Richtung der Füße sah. Ich packte die Fußgelenke, zog sie heran, bis die Unterschenkel einen Winkel von etwa fünfzig Grad eingenommen hatten, überkreuzte sie und band sie mit dem Seilende, das von den Handgelenken herabbaumelte, fest zusammen. »Bitte!« wandte sie sich an die Krieger, aber niemand beachtete sie. Ich hob sie auf die Knie und drückte ihren Körper zurück, bis ihr Haar den Boden berührte, damit die Krieger die geschwungene Linie ihrer ganzen Schönheit bewundern konnten.

»Sie ist hübsch«, sagte ein Mann. »Ja«, sagte ein anderer. Es stimmte. Boabissia hatte einen wunderschönen Körper. Bis jetzt hatte die Männerkleidung ihn verborgen, obwohl Fell und Leder zumindest angedeutet hatten, welche schönen, aufregenden Formen sich darunter befanden. »Kommt her, seht euch Boabissia an, gebunden wie ein Tarsk!« rief ein Krieger. Leute kamen angelaufen, darunter sogar einige freie Frauen. Boabissia, die mittlerweile aufrecht knien durfte, kämpfte vergeblich gegen die Fesseln an. Sie war hilflos.

»Feiqa wird jetzt tanzen«, sagte ich. »Wenn du willst, wird man dir die Augen verbinden oder dir eine Kapuze über den Kopf ziehen.« Sie starrte mürrisch und wütend zu Boden, schüttelte dann den Kopf. »Solltest du etwas sagen, wirst du geknebelt. Hast du das verstanden?«

»Ja.«

Mein Blick fiel auf ihren Hals. Dort hing eine Lederschnur, an der eine kleine Kupferscheibe befestigt war. »Was ist das?« fragte ich sie. Boabissia antwortete nicht. Ich stieß sie auf den Rücken, beugte mich über sie und hob die Scheibe an, um sie im Feuerlicht besser betrachten zu können. Boabissia wehrte sich nicht. Gefesselt, wie sie war, konnte sie sowieso nichts unternehmen. Die in der Mitte durchstoßene Kupferscheibe war nicht besonders groß, der Durchmesser betrug etwa drei Zentimeter. Eingeprägt waren der Buchstabe ›Tau‹ sowie eine Zahl.

»Was ist das?« fragte ich Genserix und zeigte auf die Kupferscheibe.

»Das wissen wir nicht«, sagte er. »Es war um ihren Hals gebunden, als wir sie vor Jahren in die Decke gehüllt in den Trümmern der Karawane fanden.«

»Du hast dir darüber doch sicherlich deine Gedanken gemacht«, sagte ich zu Boabissia.

Sie sah wortlos weg.

»Es muß der Schlüssel zu deiner Herkunft sein«, sagte ich.

Sie schwieg.

Ich ließ die Kupferscheibe an dem Lederband los. Sie stellte nun ihre ganze Bekleidung dar, von den Fesseln einmal abgesehen.

Feiqa kniete noch immer an Ort und Stelle, auf ihrem Rücken zeichneten sich noch deutlich die Aufmerksamkeiten der freien Frau ab.

»Du darfst jetzt weitertanzen, Feiqa«, sagte ich.

»Ja, Herr.«

Die Männer gaben ihrer Begeisterung Ausdruck und schlugen sich auf die linke Schulter, die goreanische Art des Beifalls. Da Feiqa sich nicht länger vor der freien Frau zu fürchten brauchte, dauerte es nicht lange, bis sie wieder eine lebendige, sinnliche Vorstellung gab, zugleich wunderbar und unterwürfig, begierig und freudig, allein mit der Absicht, ihren Herrn zu erfreuen. Ich war so erregt, daß es schon weh tat. Ich konnte es kaum erwarten, sie zurück ins Lager der Kutscher zu führen. Gelegentlich warf ich Boabissia einen Blick zu. Sie lag zusammengeschnürt auf der Seite und sah Feiqa zu. In ihren Augen funkelte Ehrfurcht und das Begreifen, was eine Frau zustande bringen konnte.

Einige Ahn später – es war fast schon Morgen – kehrte ich ins Lager zurück. Feiqa ging langsam hinter mir her; sie war erschöpft und hatte die winzige Tunika über die linke Schulter geworfen. Kurz vor dem Lager drehte ich mich zu ihr um. »Bevor du dich zurückziehen darfst, kommst du noch unter meine Decke.«

Sie lächelte. »Ja, Herr.«

Dann hatten wir Mincons Wagen erreicht und zogen uns für den Rest der Nacht zurück.

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