6

»Hurtha, was hast du da?« fragte ich.

»Obst, getrocknetes und frisches, Süßigkeiten, Nüsse, vier Sorten Fleisch, frisches Brot, ausgesuchte Kuchen, einen ausgezeichneten Paga und köstlichen Ka-la-na«, erwiderte er schwerbeladen.

»Wo hast du das alles her?«

»Es war für die Messe der hohen Offiziere bestimmt, ein Stück weiter die Straße entlang.«

»Offenbar sind sie nicht eingetroffen.«

»Keine Angst«, sagte er. »Ich habe alles ehrlich erworben.«

»Du hast es heimlich von Marketendern gekauft«, spekulierte ich.

»Es stimmt schon, die Verhandlungen fanden hinter einem Wagen statt. Andererseits steht es mir nicht zu, die Verkaufspraktiken solcher Burschen zu kritisieren oder wo und wie sie ihre Geschäfte abwickeln.«

»Ich verstehe.« Sollten diese Geschäfte auffliegen, konnte man nur hoffen, daß Strafen wie Foltern und Pfählen allein an den Marketendern und nicht auch an ihren Kunden vollzogen wurden. Und vor allen Dingen nicht an Leuten, die in Gesellschaft der Kunden reisten. Zugegebenermaßen wurden unerbittliche Strafen wie Verstümmelung oder Hinrichtung, die die Aufdeckung derartiger Tätigkeiten technisch gesehen zur Folge hatten, selten tatsächlich vollzogen; gewöhnlich schafften Geschenke oder Bestechungen solche Schwierigkeiten aus der Welt.

»Greif nur zu!« sagte Hurtha und lud seine Erwerbungen neben dem Lagerfeuer ab, wobei er die Hälfte einfach fallen ließ.

»Das hättest du nicht tun sollen«, sagte ich.

»Unsinn«, erwiderte er geringschätzig. Er lächelte dabei, ein deutliches Signal, daß er keine übertriebene Dankbarkeit erwartete – gleichgültig, wie gerechtfertigt auch immer sie sein mochte.

»Das ist ein Mahl für Generäle«, sagte ich.

»Es ist ausgezeichnet.«

»Das ist ein Mahl für Generäle«, wiederholte ich.

»Für die ist noch genug übriggeblieben«, versicherte mir Hurtha.

»Du hättest das nicht tun sollen.«

»Es ist Zeit, daß ich meinen Anteil zu unseren Ausgaben beisteure.«

»Ich verstehe.« Dagegen ließ sich nur schwerlich etwas sagen.

»Das da sind Ta-Trauben, von den Terrassen von Cos, wie man mir versichert hat.«

»Stimmt. Zumindest sind es Ta-Trauben.«

»Cos ist eine Insel.«

»Das habe ich auch schon gehört.« Ich sah mir alles an. »Das alles muß doch schrecklich kostspielig gewesen sein.«

»Stimmt. Aber Geld spielt keine Rolle.«

»Das ist erfreulich.«

»Ich bin ein Alar«, erklärte Hurtha. »Nimm dir einen gefüllten Pilz.«

Ich fragte mich, was gefüllte Pilze auf dem Schwarzmarkt in einem Kriegsgebiet kosteten, das von den organisierten Beutezügen requirierender Soldaten fast in eine Wüste verwandelt worden war. Das heißt, eigentlich dachte ich über den Preis gefüllter Pilze nach, die vermutlich unter großem Risiko von der Tafel cosischer Generäle abgezweigt worden waren.

»Nimm dir zwei«, forderte Hurtha mich auf.

Plötzlich beschleunigte sich mein Pulsschlag erheblich. »Soviel Essen kostet doch mehr als siebzehn Kupferstücke und zwei Tarskstücke.« Das war, wenn ich mich richtig entsann, das Ausmaß der Barschaft, die Hurtha mitgebracht hatte, und wenn nicht genau die Summe, dann zumindest doch in dieser Größenordnung.

»Oh, es war sogar viel teurer«, meinte Hurtha.

»Das dachte ich mir.«

»Nimm dir einen Pilz. Sie sind ganz gut.«

»Was hat das alles gekostet?«

»Weiß ich nicht mehr. Aber die Hälfte des Wechselgeldes gehört dir. Vierzehn Kupfertarsk.«

»Behalt sie.«

»Auch gut.«

»Ich bin ziemlich hungrig, Hurtha«, sagte Boabissia. »Darf ich mir etwas zu essen nehmen?«

»Würdest du darum betteln?«

»Nein.«

»Na gut, dann nicht.« Er reichte ihr den Teller mit den Pilzen. Sie bediente sich – etwas zu großzügig, wie ich fand. »Ah, Mincon, mein Freund«, sagte Hurtha. »Komm, bedien dich!«

Er würde sich bestimmt auch auf die Pilze stürzen. Doch konnte ich ihm eine gewisse Gier nicht übelnehmen, denn er war ein guter Kutscher und ein prächtiger Bursche. Wir waren seit vier Tagen Reisegefährten. An jedem dieser Tage waren wir spät aufgebrochen, jedesmal noch später als am Vortag. Mit Sklavinnen wie Tula und Feiqa unter den Decken fiel es schwer, früh aufzustehen. Als freie Frau mußte Boabissia natürlich auf uns warten, während wir uns mit den Sklavinnen vergnügten. Ich hatte den Eindruck, daß ihr das nicht gefiel. Jedenfalls schien sie manchmal etwas ungeduldig zu sein. Ihre Gereiztheit war für mich ein Hinweis, daß sie ziemlich unter ihren eigenen Bedürfnissen litt.

Feiqa und Tula hockten ein Stück entfernt. Vermutlich wollten sie auch etwas zu essen haben. Ich wollte lieber gar nicht darüber nachdenken, wann der morgige Aufbruch stattfinden würde. Ich hoffte, daß es uns gelänge, Hurtha und Mincon gegen Mittag zu wecken. Es gab Paga und sogar Ka-la-na. Mincon nahm Pilze von dem Teller und fing an, Tula damit zu füttern. Hatte er vergessen, daß sie eine Sklavin war?

»Nimm dir von den Pilzen«, sagte Hurtha.

Mincon gab sogar Feiqa einen Pilz. Ich sah zu. Er war wirklich sehr großzügig, was diese Pilze anging.

»Nein, vielen Dank.« Ob man sich durch den Genuß eines Pilzes wohl unweigerlich zum Komplizen einer schrecklichen Tat machte?

»Die sind gut«, sagte Hurtha.

»Da bin ich mir sicher«, sagte ich. Gefüllte Pilze aß ich für mein Leben gern.

Die Sklavinnen würden keine Schwierigkeiten bekommen, das stand fest. Ihnen konnte niemand einen Vorwurf machen, man würde ja auch keinem Schoß-Sleen einen Vorwurf machen, wenn er einen ihm zugeworfenen Happen fraß.

Mincon und Boabissia würden sicher auch ungeschoren davonkommen. Schließlich wußten sie nicht, wo das Mahl herstammte. Mincon war ein hochgeschätzter Kutscher und ein allseits beliebter Bursche. Boabissia war frisch vom Wagenvolk gekommen. Ihr würde man vermutlich vergeben. Außerdem war sie hübsch. Blieb nur noch die Frage, ob man mich zu den Schuldigen zählen würde, gleichgültig, ob ich nun von den Pilzen gegessen hatte oder nicht. Schließlich war mir bekannt, woher sie stammten. Eigentlich wäre es nicht richtig, gepfählt zu werden, ohne vorher von den Pilzen gegessen zu haben. »Womit sind sie denn gefüllt?« fragte ich Hurtha.

»Wurst.«

»Tarsk?«

»Natürlich.«

»Meine Lieblingsfüllung«, sagte ich. »Ich werde mir doch einen nehmen.«

»Tut mir leid. Es ist keiner mehr da.«

»Oh.« Ich räusperte mich. »Sag mal, da scheint jemand bei den Wagen herumzulungern.«

Hurtha drehte sich um.

Es war ohne jeden Zweifel ein cosischer Nachschuboffizier. Vermutlich wäre es ein Fehler, ihm ein Messer zwischen die Rippen zu jagen. Doch zumindest einen Augenblick lang dachte ich fieberhaft darüber nach, welchen Nutzen uns diese Handlung brächte.

»He!« rief Hurtha dem Mann fröhlich zu.

Der etwas beleibte Mann zuckte zusammen, als hätte er sich erschreckt. Vielleicht war er doch kein Nachschuboffizier. Da fehlte zum Beispiel das Dutzend Wächter.

»Kennst du ihn?« fragte ich.

»Natürlich«, sagte Hurtha. »Er ist mein Wohltäter.«

Ich sah noch einmal hin.

»Komm!« rief Hurtha. »Setz dich zu uns! Willkommen!«

Es sah so aus, als würde sich der Mann auf dem Absatz umdrehen.

»Es tut mir leid, daß es keine Pilze mehr gibt«, sagte Hurtha an mich gewandt.

»Schon gut.«

»Probier doch einen gewürzten Verrwürfel.«

»Vielleicht später«, meinte ich unbehaglich. Der wohlbeleibte Bursche am Wagen kam nicht näher, war aber auch nicht gegangen. Er schien mit verstohlenen Zeichen meine Aufmerksamkeit erregen zu wollen. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein. Als Hurtha in seine Richtung sah, tat er jedenfalls nichts dergleichen. Der Mann war mir unbekannt, da war ich mir ziemlich sicher.

»Die sind wirklich gut, aber natürlich kein Vergleich zu den gefüllten Pilzen.«

»Entschuldige, aber ich glaube, der Kerl da drüben will mit dir sprechen«, sagte Mincon.

»Entschuldige mich«, sagte ich zu Hurtha.

»Na klar.«

Einen Augenblick später stand ich vor dem beleibten Fremden. »Ja bitte?«

»Ich will auf keinen Fall stören«, begann er, »aber kennst du zufällig den Mann, der da am Feuer sitzt?«

»Ja, warum? Das ist Mincon, ein Kutscher.«

»Nicht den. Den anderen.«

»Welchen anderen?«

»Den großen Kerl mit den blonden Zöpfen und dem Schnurrbart.«

»Ach, den meinst du?«

»Ja.«

»Er heißt Hurtha.«

»Reist du mit ihm?«

»Möglich, daß wir denselben Weg hatten«, sagte ich vorsichtig. »Man lernt unterwegs so viele Leute kennen. Du weißt ja, wie das ist.«

»Bist du für ihn verantwortlich?« fragte er.

»Das will ich nicht hoffen. Warum?«

»Es ist keine Ahn her, da sprang er hinter einem Wagen mit hocherhobener Axt aus der Dunkelheit hervor. Er rief: ›Die Alar kommen jetzt über dich. Zumindest einer von ihnen!‹«

»Das klingt ganz wie Hurtha«, mußte ich zugeben.

»Er war es«, beharrte der Mann.

»Vielleicht hast du dich getäuscht.«

»Von seiner Sorte gibt es hier nicht viele.«

»Aber vielleicht zumindest einen.«

»Er war es«, sagte der Mann. »Er hat die Axt geschwungen und mich heftig nach einem Darlehen bedrängt. Mir verschlug es vor Schreck die Sprache. Ich fürchtete, er könnte es als Zögern mißdeuten.«

»Ich verstehe«, sagte ich mitfühlend.

»Ich rief: ›Nimm meinen Geldbeutel, mein ganzes Gold!‹ ›Als Geschenk?‹ hat er dann scheinbar hocherfreut gefragt. Und ich habe nur noch ›Ja!‹ gerufen.«

»Ich verstehe.« Als Hurtha den Mann eben gesehen hatte, hatte er ihn nicht als ›Geldverleiher‹ bezeichnet, sondern überschwenglich als ›Wohltäter‹.

»Das war sehr nett von dir, ihm solch ein Geschenk zu machen«, sagte ich.

»Soll ich Wächter rufen? An der Straße weiter vorn lagert eine Abteilung.«

»Ich glaube nicht, daß das nötig ist.«

»Der Geldbeutel enthielt achtzehn Goldstater aus Tyros, drei goldene Tarnscheiben, zwei aus Ar und eine aus Port Kar, sechzehn Silbertarsk aus Tabor, zwanzig Kupfertarsk und etwa fünfzehn Tarskstücke.«

»Du führst genau Buch«, meinte ich.

»Ich komme aus Tabor.«

»Und vermutlich bist du ein Kaufmann.«

»Ja, das stimmt.«

Das hatte ich befürchtet. Die Kaufleute aus Tabor sind berühmt für die Genauigkeit ihrer Konten.

»Nun, was ist?«

»Möchtest du dich zu uns setzen?«

»Nein.«

»Es ist genug zu essen da.«

»Das überrascht mich nicht«, sagte er.

»Es ist nicht meine Schuld, wenn du aus freiem Willen heraus entscheidest, meinem Freund ein großzügiges Geschenk zu machen.«

»Soll ich die Wächter rufen?«

»Nein.«

»Also? Was ist nun?«

»Hast du ein von Zeugen beglaubigtes Dokument, das den angeblichen Inhalt deines Geldbeutels bestätigt?« fragte ich. »War der Geldbeutel mit einem numerierten Siegel verschlossen, das mit der Registrierungsnummer auf dem Dokument übereinstimmt?«

»Ja.«

»Oh«, meinte ich.

»Hier«, sagte er. »Ich glaube, du wirst keine Beanstandungen haben.«

Ich hatte vergessen, daß der Kerl aus Tabor kam.

»Das Dokument scheint mir doch ein bißchen alt zu sein«, sagte ich nach einem kurzen Blick. »Zweifellos ist es nicht länger gültig und damit kein legales Papier mehr. Das Datum ist zwei Wochen alt. Wohin willst du?«

»Die Wächter holen.«

»Ich glaube, mit dem Dokument ist doch alles in Ordnung.«

Dann gab ich dem sturen Kerl die volle Summe zurück, die er vorher aus freien Stücken – wie ich nicht vergaß, ihn zu erinnern – meinem Freund Hurtha geschenkt hatte. Ich tat es mit wenig Begeisterung.

»Ich hätte gern eine Entschädigung für meine Schwierigkeiten«, sagte er. »Ein Silbertarsk würde reichen.«

»Natürlich«, sagte ich. Er ging zufrieden. Wie wenig doch ausreicht, um manche Leute zufriedenzustellen. Ich entschied, daß ein Gespräch mit Hurtha fällig war. Ich kehrte zum Lagerfeuer zurück.

»Ich nehme einen der gewürzten Verrwürfel«, verkündete ich.

»Die haben wir aufgegessen«, sagte Hurtha. »Du hättest meinen Freund einladen sollen.«

»Das habe ich getan. Aber er wollte nicht.«

»Vielleicht ist es auch besser so«, meinte Hurtha. »Es ist nicht mehr viel übrig. Was wollte er?«

»Oh, nichts.«

»Schön zu hören«, sagte Hurtha nachdenklich.

»Er wollte sich nur vergewissern, daß es dir gut geht.«

»Ein großartiger Bursche.«

»Was ich noch sagen wollte: Bevor du dich entscheidest, um ein Darlehen zu bitten oder ein ungewöhnlich großzügiges Geschenk anzunehmen, besonders wenn eine Axt im Spiel ist, wüßte ich es zu schätzen, wenn du dich mir vorher anvertraust. Zumindest solange wir zusammen reisen.«

»Aber natürlich, mein geschätzter Freund«, sagte Hurtha. »Was immer du willst.«

Ich sah ihn an.

»Habe ich etwas falsch gemacht?«

»Nein.«

»Welche Erleichterung. Man muß so vorsichtig sein, wenn man mit Leuten aus der Zivilisation zu tun hat.«

»Hurtha …«, fing ich an.

»Ja?«

»Nichts.«

»Wenn ich mich richtig erinnere, hast du mir gesagt, keiner könnte etwas dagegen haben, wenn mir jemand etwas leiht oder etwas zum Geschenk macht. Zumindest mußte ich das nach deinen Aussagen glauben.«

»Das stimmt.«

»Es ist nicht mein Fehler, wenn mich ein völliger Fremder nett findet und sich spontan entscheidet, mir ein schönes Geschenk zu machen.«

»Natürlich nicht«, sagte ich.

»Siehst du.«

»Frag mich das nächste Mal einfach vorher, ja?«

»Aber natürlich, mein Freund.«

»Ich bin jetzt fast völlig mittellos.«

»Keine Angst«, sagte er. »Die Hälfte meines Geldes gehört dir!«

»Das wären dann etwa sieben Kupfertarsk, wenn ich mich recht erinnere.«

»Stimmt genau«, sagte Hurtha.

»Ist noch etwas zu essen da?« fragte ich.

»Ich fürchte, nicht viel«, sagte Hurtha.

»Haben wir noch Paga?«

Er nickte.

»Gib ihn her.«

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