24

»Tritt ein!« sagte die Frau.

Es war der Abend des Tages, an dem Boabissia in das Haus mit dem ›Tau‹ neben der Klingelschnur geeilt war. Das ›Tau‹ war das Zeichen Tenalions, eines bekannten Sklavenhändlers, da sein Name mit diesem Buchstaben anfing. Ich hatte es sofort erkannt. Das Schild entsprach dem an der Pforte seines Geschäftshauses, eines beeindruckenden großen Gebäudes im Herzen von Ars Sklavendistrikt, an dem ich während meines damaligen Aufenthaltes in der Stadt häufig vorbeigegangen war. Ich hatte sein Emblem auch oft auf den Sardarmärkten gesehen.

Jedoch war ich ihm bis zum heutigen Tag niemals persönlich begegnet. Nachdem Boabissia aus dem Zimmer entfernt worden war, hatte er Hurtha und mir einen ausgezeichneten Paga angeboten. Mittlerweile war sie zweifellos gebrandmarkt worden, hatte den Kragen erhalten und war irgendwo angekettet. Tenalion, der uns beim Abschied gesagt hatte, wir seien stets herzlich in seinem Haus willkommen, schien ein angenehmer Bursche zu sein. Der Buchstabe auf Boabissias Anhänger hatte mich vermutlich an sein Handelszeichen erinnert.

»Tritt ein«, sagte die Frau, »tritt ein in den Tunnel!«

Ich senkte den Kopf, trat durch die niedrige Eisentür und ging die schlecht beleuchtete Rampe in eine Art Vorraum hinunter. An ihrem Ende stand die nächste Frau.

»Der Eintritt kostet ein Tarskstück.«

Auf einem kleinen Tisch stand eine Kupferschale; ich warf die Münze hinein. Rechts neben der Frau war ein Gittertor; es stand offen. In solchen Etablissements sind diese Tore nichts Ungewöhnliches; sie werden bei Geschäftsbeginn geöffnet und bei Geschäftsschluß geschlossen. Auf der anderen Seite der Schwelle hing ein schwerer Vorhang aus rotem Samt.

Der Tunnel war eines von Ludmillas Freudenhäusern, nach denen die Gasse benannt worden war. Dabei gehörten Ludmilla nicht einmal alle dieser Etablissements; sie führte nicht einmal die besten von ihnen. Allerdings war Ludmilla Besitzerin von genau fünf Bordellen, während die anderen Betreiber höchstens zwei derartige Häuser ihr eigen nannten. Vermutlich war das der Grund, warum die Gasse ihren Namen trug. Ihr gehörte das Goldene Ketten – angeblich der beste ihrer Läden, wo der Eintritt wie auch in den meisten Paga-Tavernen einen Kupfertarsk betrug –, und die billigen Tarskstück-Bordelle ›Seidenschnur‹, ›Rote Peitsche‹, ›Lustgestell‹ und ›Tunnel‹. An dieser Straße gab es neben den anderen Bordellen auch Läden und einige Mietskasernen, unter anderem das Insula des Achiates.

Ich schob den Vorhang beiseite.

»Willkommen«, sagte eine Frau, »willkommen im Tunnel.«

Ich trat ein und ließ den Vorhang hinter mir zurückfallen. Sofort kam eine Frau auf mich zugeeilt. »Hier entlang. Ich bin deine dir zugeteilte Gastgeberin.«

Sie war eine kräftige große Frau mit herben Gesichtszügen. Sie trug nichts als eine Ledertunika, die Ähnlichkeit mit der eines Kriegers hatte; die Arme schmückten breite Reifen. Am Gürtel baumelte eine Peitsche. Ein nützliches Instrument, um Sklaven zu befehligen. Sie führte mich an einigen niedrigen Tischen, Matten, Sklavenringen und ineinander verkrallter, sich bewegender Körper vorbei zu einem freien Platz. Ich hörte Keuchen, einen leisen Schmerzensschrei, dem ein ebenso leiser Aufschrei der Unterwerfung folgte, das Klirren von Ketten auf Steinfliesen. Der Raum war gut besucht. In der Luft lag das gedämpfte Gemurmel zahlreicher Unterhaltungen; Musikanten spielten im Halbdunkel. Viele dieser Freudenhäuser unterscheiden sich kaum von gewissen Paga-Tavernen. Auch dort bestellt man die Mädchen zusammen mit den Getränken, nur die Tänzerinnen werden gesondert bezahlt. Mein Tisch stand in der zweiten Reihe vor einer Tanzfläche, an deren rechter Seite die Musikanten spielten. Es dauerte ein wenig, bis sich die Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten; der Raum wurde vom rötlichen Flackern winziger Tharlarionöl-Lampen erhellt, die auf ausgesuchten Tischen in einer roten Glasummantelung standen. Ein solches Licht zeichnet aufregende Muster sich ständig verändernder rötlicher Schattierungen auf die weiße Haut der Mädchen, die je nach Glasfarbe von dunklem Rosa bis zu cremigem Scharlachrot reichen. Es gab auch viele dunkle Nischen und undurchdringliche Schatten. Einige Männer wollen an einem solchen Ort ungestört und ungesehen bleiben.

»Ist der Platz zufriedenstellend?« fragte die Gastgeberin.

»Ja«, sagte ich und setzte mich mit untergeschlagenen Beinen vor den Tisch.

»Bist du Tarl aus Port Kar?«

»Warum?«

»Man hat mir befohlen, nach einem Mann mit diesem Namen Ausschau zu halten.«

»Und wer hat dir das befohlen?« Ich war nur deshalb im Tunnel, weil Achiates eine Botschaft an mich weitergegeben hatte. Er hatte sie unter der Tür durchgeschoben gefunden – wenn er die Wahrheit sagte, und ich hatte eigentlich keinen Grund, daran zu zweifeln.

Die Frau sah sich um. »Ich sehe ihn nicht«, sagte sie dann. »Bist du dieser Tarl aus Port Kar?«

»Man nennt mich Bosk.«

»Oh.« Diese Information schien sie nicht weiter zu berühren. Ich beobachtete sie. Soweit ich erkennen konnte, stand sie mit niemandem im Blickkontakt. Allerdings konnte ich mir sowieso nicht vorstellen, daß sie mehr als die Überbringerin einer Botschaft war.

Ich sah mich um. Nach uns waren noch mehrere Männer eingetreten. Frauen, die ähnlich wie meine Gastgeberin gekleidet waren, führten die neuen Gäste an verschiedene Plätze. Hinter der Tanzfläche gab es mehrere niedrige Durchgänge, die in die verschiedenen Tunnel mit ihren Alkoven führten, von denen das Etablissement seinen Namen hatte.

Die Musikanten legten eine Pause ein.

»Bist du an Frauen interessiert?«

Ich zuckte mit den Schultern.

Die Gastgeberin sah zur linken Seite der Tanzfläche, wo mehrere Frauen kauerten. Es war in dem Licht schwer zu sehen, aber ich hielt sie für nackt. Sie ließ die Peitsche knallen, und alle eilten herbei und knieten vor dem Tisch nieder. Sie waren nackt.

Ich musterte sie. Alle waren von einer atemberaubenden Schönheit und Sinnlichkeit, zart und verletzlich. Es war nicht einfach so, daß sie bis auf den Stahlkragen unbekleidet waren, nein, es war etwas anderes, kaum Faßliches, das zu sagen schien: Wir gehören dir, Herr. Tu mit uns, was du willst.

Die Gastgeberin ließ die Peitsche erneut knallen. Die Mädchen traten in einer Reihe an. »Haltet euch gerade.

Ihr kniet vor einem Mann!« Sie berührte mehr als nur eine mit dem Peitschenstiel, korrigierte hier eine Pose, schob dort ein Kinn in die Höhe. Dann wandte sie sich wieder mir zu. »Die sind frei«, sagte sie. »Vielleicht findet ja eine dein Gefallen.«

Ich betrachtete die Mädchen.

»Sind sie nicht hübsch?«

»Doch, das sind sie.«

Sie hob die Peitsche und gab den Musikanten ein Zeichen. Sie fingen an zu spielen. Dann ließ sie die Peitsche erneut knallen, und die Mädchen sprangen auf und fingen an zu tanzen.

»Yartel«, sagte sie, und eines der Mädchen tänzelte nach vorn. Sie war eine üppige Blondine mit heller Haut und kurzen Beinen. Vielleicht ist erwähnenswert, daß sich der Geschmack der Goreaner von dem der Männer auf der Erde auf manche Weise unterscheidet; so sind Goreaner zum Beispiel wesentlich toleranter. Zumindest im Vergleich zu Angehörigen der westlichen Zivilisation. So würde es viele irdische Frauen, die durch die ständige unterschwellige Medienbeeinflussung zu dem Schluß gekommen sind, daß sie die kulturell anerkannten Normen weiblicher Schönheit nicht erfüllen, vermutlich erstaunen und entsetzen, daß sie auf einem goreanischen Sklavenmarkt einen hohen Preis erzielen würden.

»Louise«, sagte die Gastgeberin.

Ein kleine, schlanke, entzückende, hellhäutige und rothaarige Frau tanzte auf mich zu.

Louise ist ein Erdenname. Ich fragte mich, ob sie von der Erde kam. Allerdings verleiht man goreanischen Sklavinnen oft Erdennamen. Ich sah mir das Mädchen genauer an. Ihre Brüste waren klein und schön geformt. Das rötliche Licht mit seinen sich verändernden Schattierungen umschmeichelte die helle Haut auf besonders aufregende Weise.

»Kommst du von der Erde?« fragte ich.

»Ja«, sagte sie überrascht.

»Hör nicht auf zu tanzen«, befahl ich in englischer Sprache.

»Stammst du von der Erde?« stieß sie heftig hervor.

»Ja. Aber das ist lange her.«

»Ich bin eine Frau der Erde! Sieh den Kragen!«

»Er steht dir gut.« Sie ballte die Fäuste und tanzte zurück in die Reihe.

»Birsen.«

Ein hochgewachsenes dünnes Mädchen mit schulterlangem braunen Haar trat vor. Mit ihrer Schönheit hätte sie auf der Erde ein hochbezahltes Model werden können.

»Demet.«

Ein mittelgroßes, fülliges, dunkelhäutiges Mädchen mit langen schwarzen Haaren tanzte nach vorn, an dessen Weiblichkeit kein Zweifel bestand. Sie hatte weiche, volle, zu einem Schmollmund verzogene Lippen von der Art, die für den Kuß eines Mannes wie geschaffen schienen. Ich rief mir mit einiger Mühe ins Gedächtnis zurück, daß ich nur gekommen war, weil man mir eine Botschaft zugespielt hatte. Ich hatte Hurtha zusammen mit Feiqa im Insula zurückgelassen, obwohl er mittlerweile bestimmt unterwegs war. Ich wußte nicht, ob ich in Gefahr schwebte oder nicht, doch ich hatte es nicht für angebracht gehalten, meinen warmherzigen Gefährten in meine Angelegenheiten zu verstricken.

»Ich sehe, daß Demet gefällt«, stellte meine Gastgeberin fest. »Sie war einst in der Tahari eine Lady von hohem Rang.«

Ich betrachtete die Bewegungen ihrer süßen breiten Hüften. »Sie soll zurückgehen«, sagte ich dann. »Sie alle.«

»Ihr habt es gehört!«

»Ja, Herrin«, sagten sie wie aus einem Mund und eilten zurück in die Schatten, um auf den nächsten Kunden zu warten.

»Es tut mir leid.«

»Hast du noch andere anzubieten?« fragte ich und sah mich dabei im Raum um. Bis jetzt hatte noch keiner den Versuch unternommen, sich mit mir in Verbindung zu setzen. Ich ging davon aus, daß mich die Unbekannten entweder bei der Audienz am Zentralzylinder gesehen hatten oder eine genaue Beschreibung besaßen. Natürlich wäre es mir lieber gewesen, ich hätte sie zuerst gesehen.

»Wenn du warten willst«, sagte sie. »Einige der anderen Mädchen, die gerade auf dem Rücken oder dem Bauch auf den Matten liegen, werden irgendwann frei sein.«

»Wer ist diese Frau da?« fragte ich und zeigte auf ein wohlproportioniertes barfüßiges Mädchen in einem knielangen, ärmellosen weißen Gewand mit tiefem Ausschnitt, das an einem Tisch ganz in der Nähe einem Mann Gesellschaft leistete. Sie fiel mir auf, da sie an diesem Ort bekleidet umherlief, obwohl sie offenbar nicht zum Personal gehörte. Sie trug Armreifen aus Gold.

»Sie ist eine freie Frau«, sagte die Gastgeberin.

»Hier?«

»Sie hat ihr Tarskstück bezahlt. Nimm dich vor ihr in acht.«

Die Frau lächelte den Mann an.

»In Ludmillas Freudenhäusern ist jeder willkommen.«

»Wer ist Ludmilla eigentlich?« fragte ich.

»Ich habe sie nie kennengelernt.«

Auf dem Tisch stand eine Flasche Ka-la-na-Wein mit zwei Gläsern. Plötzlich sackte der Mann zusammen, legte den Kopf auf die Arme und schlief ein. Mit einer blitzschnellen Bewegung griff die Frau nach seinem Geldbeutel, durchtrennte die Schnüre und schob ihn sich ins Gewand. An ihrer linken Hand blitzte ein Ring auf, der mir zuvor nicht aufgefallen war. Ich sah einen solchen Ring nicht zum erstenmal.

»Möchtest du etwas trinken? Eines der Mädchen bringt dir etwas.«

Ich nickte. »Die da«, sagte ich und zeigte auf Louise.

»Gut.« Die Gastgeberin schnippte mit den Fingern, und Louise kam zum Tisch und kniete nieder.

»Was hättest du gern?«

Ich hatte an ein Glas Paga gedacht, aus der Brauerei von Temus, falls das hier zu haben war. Aber als ich an die freie Frau in dem ziemlich freizügigen Gewand dachte, änderte ich meine Meinung.

»Ich glaube«, sagte ich, »ich werde doch etwas warten, bis ich zu trinken bestelle.«

»Wie du wünschst«, sagte die Gastgeberin. Sie wandte sich Louise zu. »Solltest du entlassen werden, kehrst du auf deinen Platz zurück. Vernachlässige deine Pflichten nicht. Wenn unser Gast etwas bestellen möchte, bedienst du ihn.«

»Ja, Herrin«, sagte Louise.

»Vielleicht will ich eine Flasche haben«, sagte ich.

»Der Eintritt hat nur ein Tarskstück gekostet«, erinnerte mich die Frau.

»Entschuldigung.« Ich nahm fünf Kupfertarsk aus meinem Geldbeutel, und zwar ziemlich auffällig. Der freien Frau mit dem tiefen Ausschnitt entging das nicht. Wie ich erwartet hatte. Sie warf dem schnarchenden Kerl neben sich einen Blick zu. Er würde noch lange schlafen, mindestens eine Ahn.

»Oh!« sagte die Gastgeberin. »Du bist großzügig! Für soviel Geld gehört alles dir, was dir in diesem Haus gefallen könnte!«

»Vielen Dank!«

Sie ging. Ich sah Louise an. »Du kannst gehen«, sagte ich. Sie gehorchte sofort, kniete aber in Rufweite nieder.

»Wie ich sehe, hast du eine Sklavin fortgeschickt«, sagte die Frau mit dem tiefen Ausschnitt.

»Ja.«

»Kommst du von außerhalb?«

»Stimmt.« Der Ring steckte nicht länger auf ihrem Finger.

»Und, gefällt dir Ar?«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Für einen Fremden kann es hier sehr einsam sein.«

»Möchtest du dich zu mir setzen?«

»Es tut mir leid«, erwiderte sie. »Das wäre nicht schicklich. Ich kenne dich ja nicht einmal.«

»Entschuldige bitte«, sagte ich. »Ich wollte nicht unverschämt sein.«

Sie bewegte den linken Fuß und ließ die Glöckchen an dem Ring klingeln. Die meisten freien Frauen hätten so etwas niemals getragen. Sie schob die Armreifen hoch, dann strich sie mit der Hand das Haar zurück. Es war offen. Normalerweise trugen nur Sklavinnen ihr Haar offen. Sie bewegte sich wie zufällig, und plötzlich schien etwas mit dem Kleid nicht mehr zu stimmen. Beinahe reumütig zog sie einen der Träger zurecht, und sie tat es auf eine Weise, als dächte sie sich nichts dabei, dabei brachte sie mit dieser Bewegung ihre wunderbaren, aufregenden Brüste zur Geltung.

»Schon in Ordnung«, sagte sie.

»Es tut mir wirklich sehr leid.«

»Es war mein Fehler«, sagte sie mit einem Lächeln. »Ich hätte nicht so forsch sein dürfen. Ich hätte dich nicht ansprechen dürfen.«

»Bitte setz dich zu mir«, lud ich sie ein.

Sie kniete sich an den Tisch.

»Ich habe nur etwas gesagt, weil es mich freute, daß du die Sklavin weggeschickt hast. Ich wünschte, sie gäben ihnen etwas zum Anziehen.«

»Sie tragen den Kragen.«

Sie lachte. »Das ist allerdings wahr.«

»Möchtest du wirklich nichts trinken?«

Sie schien darüber nachzudenken, und dann, einige Augenblicke später, lächelte sie. »Also gut.«

»Was hättest du denn gern?«

»Vielleicht ein winziges Glas Ka-la-na, unter Freunden.«

Ich sah in Louises Richtung. Sie sprang sofort auf und kam zum Tisch, wo sie niederkniete.

»Eine kleine Flasche aus den Gärten des Anesidemus.«

Die Augen der freien Frau leuchteten auf. »Ich habe gehört, das soll ein ausgezeichneter Ka-la-na sein. Aber teuer.«

»Bring mir eine Flasche!« verlangte ich von Louise.

»Ja, Herr«, erwiderte sie, stand auf und eilte zum Ausschank.

»Das ist doch die Sklavin, die du eben weggeschickt hast«, bemerkte die Frau.

»Kann sein.«

»Du hast sie kaum beachtet«, sagte sie zufrieden.

Ich zuckte mit den Schultern.

»Ich bin froh, einen Mann wie dich kennengelernt zu haben.«

»Tatsächlich?«

»Einen Mann, der eine freie Frau zu schätzen weiß. So viele Männer fühlen sich nur zu Sklavinnen hingezogen.«

»Wirklich?«

»Ja!« sagte sie. »Ich verstehe das nicht.«

»Das merke ich«, sagte ich.

»Was sieht ein Mann bloß in diesen Schlampen?«

»Eine Sklavin.«

»Genau! Widerwärtig!«

»Einigen Männern gefällt das.«

»Wollen das die Männer wirklich?« fragte sie. »Eine Frau, die ihnen gehört, die ihnen hilflos ausgeliefert ist, die ihnen in allen Dingen dienen muß?«

»Ich fürchte, es gibt Männer, denen so etwas gefällt«, gab ich zu.

»Ich glaube, du interessierst dich für freie Frauen.«

»Aber ja.«

»Herr«, sagte Louise, das schlanke, rothaarige, nackte Sklavenmädchen von der Erde, und stellte eine kleine Flasche Ka-la-na und zwei winzige Gläser auf den Tisch.

»Sie ist ein hübsches kleines Ding«, bemerkte die freie Frau.

Ich schickte Louise mit einer Handbewegung weg, ohne sie anzusehen. Das schien meiner neuen Bekannten zu gefallen.

Ich goß ein.

»Auf dich«, sagte sie und hob das Glas.

»Nein«, erwiderte ich. »Auf dich.«

»Danke.« Ich sah, daß sie sich darüber freute. Sie glühte förmlich. Ihre Brüste waren sehr schön.

Wir stießen an und tranken.

»Oh, das ist ein wunderbarer Ka-la-na«, seufzte sie. Ich war davon überzeugt, daß sie eine solche Marke noch nie zuvor getrunken hatte. Kein Wunder, kostete er doch drei Kupfertarsk – ein Preis, den manche Sklaven nicht einbringen.

»Ich freue mich, daß er dir schmeckt.«

»Ich bin Lady Tutina aus Ar«, sagte sie in einem einschmeichelndem Tonfall und beugte sich vor.

»Das ist ein hübscher Name«, sagte ich.

Sie sonnte sich in meinem Lob.

»Ich heiße Tarl.«

»Oh«, sagte sie etwas mißbilligend. »So ein wilder Name.«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Es ist ein Name aus dem Norden, nicht wahr?«

»Man findet ihn oft im Norden, vor allem in Torvaldsland.«

»Männer aus Torvaldsland machen mir angst«, sagte Tutina. »Sie behandeln ihre Frauen so schlecht. Du kommst doch nicht etwa aus Torvaldsland?«

»Nein.«

Tutina lächelte. »Das ist schön. Und wo her kommst du gerade?«

»Torcodino.«

»Ach ja?« Es klang enttäuscht.

»Stimmt etwas nicht?« wollte ich wissen.

»Du bist doch kein Flüchtling, oder?«

»Warum?«

»Dann dürftest du eine schwierige Reise hinter dir haben.«

»Ich verstehe.«

»Ich glaube nicht, daß es in Torcodino so schlimm steht, wie alle sagen.«

»Nein?«

»Nein. Sie wollen uns nur Angst einjagen.« Mir entging nicht, daß ihr Blick auf meinem Geldbeutel ruhte.

»Ich bin in einer Überlandkutsche gekommen.« Das gefiel ihr. Es war ein Hinweis, daß ich Geld hatte.

»Bist du ein Kaufmann?«

»Ich habe schon öfter Dinge gekauft und wieder verkauft.« Das gefiel ihr ebenfalls. Ich fügte nicht hinzu, daß viele dieser Dinge Frauen wie sie waren.

»Darf ich dich Tarl nennen?«

»Aber natürlich«, sagte ich. Schließlich war sie eine freie Frau. Ich schenkte Ka-la-na nach.

Tutina trank. Sie stützte die Ellbogen auf den niedrigen Tisch und beugte sich vor. Ihre Brüste schienen nur darauf zu warten, von mir berührt zu werden. Ihre Lippen waren warm und weich. »Es gab noch einen anderen Grund, warum ich an deinen Tisch getreten bin.«

»Tatsächlich?«

»Ich fühle mich zu dir hingezogen!«

»Ich verstehe.« Ich warf einen Blick auf den Burschen, der noch immer auf der Tischplatte schlummerte.

»Und ich bin so einsam«, flüsterte sie. Ihre Hand berührte die meine. Ich spürte Erregung in mir aufsteigen, doch ich beherrschte mich.

»Tarl«, flüsterte sie.

»Ja?« Sie verstand ihr Handwerk, das mußte man ihr lassen.

Unvermittelt zog sie sich zurück, scheinbar um eine Träne aus dem Augenwinkel zu wischen. »Ich darf so etwas nicht zu dir sagen.«

»Was denn?« fragte ich sanft.

»Ich muß gehen. Sofort!« Tutina stemmte die Hände auf den Tisch, damit ich sie nehmen und sie mit sanfter Überredung am Aufstehen und Gehen hindern konnte. Aber da ich neugierig war, was nun geschehen würde, tat ich so, als würde ich es nicht bemerken.

Sie blieb knien.

»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, stieß sie hervor und schüttelte den Kopf.

»Ist etwas nicht in Ordnung?« fragte ich scheinbar besorgt.

»Du mußt mich für eine schreckliche Frau halten«, sagte sie und wischte eine weitere angebliche Träne weg.

»Aber nicht doch.« Ganz im Gegenteil, ich hielt sie für sehr verführerisch.

»Ich war anmaßend«, sagte sie. »Ich bin an deinen Tisch gekommen. Ich habe dich angesprochen. Ich habe zugelassen, daß du, ein Mann, den ich kaum kenne, mir Ka-la-na gekauft hast. Ich schäme mich so.«

»Dafür gibt es keinen Grund.«

»Aber was noch viel schlimmer ist: Ich habe dir meine Gefühle enthüllt. Ich habe von meiner unaussprechlichen Einsamkeit erzählt. Bist du auch einsam?«

»Wie könnte ich einsam sein, in deiner Gesellschaft?«

»Welch schönes Kompliment!«

Das fand ich auch. Gut, es hatte schnelles Nachdenken erfordert.

»Aber am meisten schäme ich mich über meine Dreistigkeit.«

»Was meinst du?«

»Als ich zugegeben habe, daß ich mich zu dir hingezogen fühle.«

»Ich verstehe«, erwiderte ich. »Du fühltest dich zu mir hingezogen, weil du den Eindruck hattest, ich sei vielleicht ein netter, verständnisvoller Bursche, der bis zu einem gewissen Grad deine Einsamkeit und deinen Schmerz lindern könnte, ein Gesprächspartner.«

»Es war mehr als das«, flüsterte Tutina und senkte den Blick, als würde sie es nicht wagen, mich anzusehen.

»Tatsächlich?«

Sie sah gequält auf. »Ich habe mich zu dir hingezogen gefühlt«, sagte sie und senkte beschämt den Kopf, »wie eine Frau zu einem Mann!«

Ich schwieg.

»Auch freie Frauen haben Bedürfnisse, weißt du«, flüsterte sie.

»Das bezweifle ich nicht«, sagte ich.

»Es ist nett von dir, daß du mich deswegen nicht auslachst«, sagte Tutina. Sie sah zu mir hoch. »Manchmal sind diese Bedürfnisse sehr stark.«

»Davon bin ich überzeugt.«

»Du bist wirklich nett.« Sie hielt inne. »Darf ich dir etwas sagen?« fragte sie dann zögernd.

»Nur zu.«

»Ich dachte daran, daß ich dir gestatte, meinen Körper anzusehen«, sagte sie. »Daß ich dir vielleicht sogar erlaube, mich zu berühren. Daß ich mich dir hingebe, da du so nett bist und ich mich zu dir hingezogen fühle.«

»Ich bin über alle Maßen beeindruckt«, sagte ich. Das schien eine angebrachte Erwiderung zu sein, schließlich war sie eine freie Frau. Es ist schwer, das Richtige zu sagen, wenn man etwas so Lächerliches hört.

»Wie nett du doch zu einer Frau bist, die du an einem solchen Ort kennengelernt hast, eine Frau, die so arm ist, daß sie sich nicht einmal Sandalen, ein richtiges Gewand und einen passenden Schleier leisten kann. Stört es dich, daß ich so aufreizend gekleidet bin, daß ich keinen Schleier trage, wie es sich gehört?«

»Nein«, erwiderte ich. »Zweifellos ist das ein unvermeidliches Zugeständnis an die Härten der Armut.«

»Ja«, klagte sie. »Vielleicht könntest du dir einfach vorstellen, ich sei verschleiert.«

»Das ist ein Gedanke.« Das war nicht einmal gelogen. Ich stellte mir vor, wie sie wohl nackt aussah, in engen Ketten, mit dem Sklavenkragen, den sie verdiente.

Tutina sah mich dankbar an. In meiner Vorstellung zog ich die Fesseln noch enger.

»Stimmt es, daß du dich zu mir hingezogen fühlst?« fragte ich.

»Ja«, flüsterte sie und wagte es, meine Hand zu berühren.

»Dann sollten wir gehen. Vielleicht in deine Wohnung?«

Tutina zuckte sofort zurück. Wie erwartet fand sie diesen Vorschlag nicht annehmbar. Sie wollte nicht, daß ihre Adresse bekannt wurde. Das konnte sie der Gnade ihrer wütenden Opfer ausliefern. Außerdem würde es den durch Anzeigen alarmierten Stadtwächtern erleichtern, sie zur Befragung abzuholen und ihre Personalien festzustellen; in ihrem Fall würden darauf bestimmt eine Anhörung und die unausweichliche Versklavung folgen.

»Wie wäre es dann mit meinem Zimmer?« schlug ich vor. »Es ist ganz in der Nähe.«

Sie schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. Wie ich mir gedacht hatte, sagte ihr dies auch nicht zu. Sie zog es vor, ihr Werk hier zum Abschluß zu bringen, wo es anscheinend geduldet wurde. Sie arbeitete verstohlen mit Drogen, statt die Beute mit draußen wartenden Komplizen teilen zu müssen oder das Risiko einzugehen, von Personen gesehen zu werden, die in der unmittelbaren Nähe des Opfers lebten. »Für welche Art von Mädchen hältst du mich?«

»Vergib mir«, sagte ich ernst. »Ich wollte dich nicht beleidigen.« Sie war sehr geschickt in dem Spiel, eine Erwiderung des Mannes herauszufordern, um dann zu behaupten, sie sei mißverstanden worden. Derart beleidigt, verwirrte sie den Mann und sorgte dafür, daß es auch so blieb; auf diese Weise konnte sie mit einem Blick oder einer Träne erreichen, daß alles nach ihrem Willen verlief. Sie verstand es auf sehr weibliche Weise, ihre Ziele zu verfolgen. Das mußte ich ihr zugestehen.

»Ich wußte, ich hätte nicht herkommen sollen«, schluchzte sie und wischte eine nichtvorhandene Träne aus dem Augenwinkel. Dann tat sie so, als wolle sie aufstehen, blieb aber doch sitzen, als ich nichts dagegen unternahm.

»Ich war sehr ungeschickt«, sagte ich.

»Ich mache dir ja gar keinen Vorwurf«, schluchzte sie. »Was solltest du auch denken, da du mich an diesem Ort kennenlernst? Sicherlich hältst du mich für eines dieser losen Weiber.«

»Nein, bestimmt nicht. Du unterscheidest dich von ihnen.«

»Danke«, flüsterte sie.

Ich nickte. Natürlich unterschied sich von ihnen. Zum einen war sie noch bekleidet. Außerdem trug sie noch keinen Sklavenkragen.

»Vielleicht hast du dich ja schon gefragt, was ich, eine Frau aus gutem Haus, ausgerechnet hier verloren habe?«

»Schon möglich«, sagte ich ermutigend und versuchte, nachdenklich auszusehen. Dabei hatte ich eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was sie in dem Freudenhaus tat.

Tutina blickte zu Boden. »Ich glaube, der wahre Grund, warum ich, eine Frau, der es verzweifelt nach Liebe verlangt, es gewagt habe, diesen schrecklichen Ort zu betreten, an dem – wie ich wußte – Männer verkehren, war mein verzehrender Wunsch, einen freundlichen Mann kennenzulernen. Es war die Einsamkeit, die mich fast meines freien Willens beraubt und hierher getrieben hat.«

»Tatsächlich?«

»Aber ich hätte niemals kommen dürfen.«

»Doch dann hätten wir uns niemals kennengelernt«, wandte ich ein.

»Ja«, flüsterte sie und berührte wieder meine Hand. »Das stimmt.«

»Du hast von einem wahren Grund gesprochen, der mit deinem Verlangen nach Liebe zu tun hat. Daraus schließe ich, daß es noch einen anderen, zumindest vorgeschobenen Grund für dein Kommen gibt.«

Tutina lächelte reumütig. »Ja«, sagte sie, »ich bin eine stolze freie Frau. Ich konnte nicht zulassen, mir solche Dinge wie Einsamkeit oder der Hunger nach Liebe einzugestehen. Ich mußte mir einreden, daß es noch einen anderen Grund gibt.«

»Und was ist das?«

»Ich brauche dringend Geld«, sagte sie. »Ich habe einen Ring. Ich habe mir eingeredet, daß ich versuchen will, ihn zu verkaufen.«

»Ich verstehe.«

»Aber ich habe mich nicht dazu überwinden können, mich davon zu trennen. Er gehört zu den wenigen Dingen, die mir aus der Zeit übrig geblieben sind, als ich stolz und wohlhabend war. Er steckt voller Erinnerungen.«

»Ach, so ist das.«

»Möchtest du ihn sehen?«

»Das ist nicht nötig.«

»Bitte, laß ihn mir dir zeigen«, sagte sie.

»Also gut.« Sie holte den Ring aus einem winzigen Beutel, der an ihrem Gürtel hing, und streifte ihn über den Finger.

»Wunderschön«, sagte ich. Der ovale Stein war aus weißem Porzellan und steckte in einer roten Metallfassung. Auf dem Porzellan war die winzige rote Abbildung eines Tur-Baumes. Der Ring war aus Gold.

»Er wurde in Turia gefertigt.« Das glaubte ich ihr. Auf dem Stein war der Tur-Baum zu sehen, das Emblem Turias, einer Stadt der südlichen Hemisphäre. Außerdem wußte ich, daß man dort solche Ringe herstellte. Ich hatte sie dort sogar mit eigenen Augen gesehen. Doch in Ar, einer Stadt der nördlichen Hemisphäre, waren Ringe dieser Machart selten; die meisten Männer würden keinen Verdacht hegen, wozu er dienen mochte. Vermutlich hatte Tutina ihn in einem Importladen auf der Straße von Turia gekauft. Natürlich war es andererseits nicht auszuschließen, daß der Stein massiv und nicht hohl war. Die meisten derartigen Ringe sind völlig harmlos.

»Würdest du ihn mir verkaufen?« fragte ich. »Du kannst das Geld doch sicher brauchen.«

»Führ mich nicht in Versuchung«, lächelte sie. »Ich könnte es nicht über mich bringen, mich davon zu trennen.«

»Es tut mir leid.«

»Welch ein Glück, daß ich einen Mann wie dich kennengelernt habe«, sagte Tutina. »Wie verständig du bist.«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Ich bin so aufgeregt«, flüsterte sie.

»Wirklich?«

»Ich möchte dich auf dein Zimmer begleiten«, flüsterte sie.

»Dann laß uns gehen.«

»Oh, der Wein ist alle«, sagte sie enttäuscht.

Das stimmte.

»Können wir noch etwas Wein trinken?« bettelte sie. »Er würde mir helfen, in noch bessere Stimmung zu geraten. Noch ein kleiner Schluck, und ich weiß nicht, ob ich mich beherrschen kann. Vielleicht liefe ich hinter dir her, wie eine liebestolle Sklavin.«

»Ich besorge noch Wein«, sagte ich, sah mich um und hob die Hand. Louise sprang auf und kam an den Tisch gelaufen. Der Mann am Nachbartisch schlief noch immer. Ich winkte Louise heran und bestellte flüsternd eine weitere Flasche Wein.

Lady Tutina lächelte mich an.

Ich erwiderte das Lächeln.

»Magst du mich?« fragte sie.

»Ja.« Mit der richtigen Ausbildung gäbe sie eine ausgezeichnete Sklavin ab.

»Wenn diese Sklavin sich doch nur beeilen würde!«

»Sie ist sicher gleich da.«

»Vielleicht solltest du sie auspeitschen«, schlug Tutina vor.

»Ein ausgezeichneter Vorschlag, aber wir wollen ihr noch ein paar Ihn geben.«

»Ich glaube, daß ich bald in der richtigen Stimmung bin«, flüsterte sie vertraulich.

»Ausgezeichnet«, entgegnete ich. Ihr ganzes Gerede belustigte mich. Ich fragte mich, ob sie in den ersten Ihn in Ketten – bis die Hand oder die Peitsche ihres Herrn sie anderweitig lehrte – noch immer der festen Überzeugung wäre, den Herrn auf sein Vergnügen warten lassen zu können, bis sie ›in der richtigen Stimmung‹ war.

Sie sah mir tief in die Augen. »Ich glaube«, wisperte sie, »dieses Treffen könnte mein ganzes Leben verändern.«

»Das erscheint mir nicht unmöglich«, erwiderte ich.

»Herr«, sagte Louise und kniete vor dem Tisch nieder, eine kleine Flasche Wein auf dem Tablett. Ich nahm sie und stellte sie in meiner Nähe ab. Dann schickte ich Louise wieder fort.

Ich goß zwei Glas Wein ein. Dabei fragte ich mich, wie geschickt Lady Tutina wohl wäre. Ich erinnerte mich an einen Freund namens Boots Tarskstück, der wunderbar begabt war, was Taschenspielertricks anging.

»Sie ist hübsch, nicht wahr?« fragte Lady Tutina und sah Louise nach. Das nackte Sklavenmädchen war in dem flackernden Rotlicht kaum auszumachen; sie hielt das Tablett über den Kopf und bahnte sich einen Weg an den Tischen und Matten vorbei. »Auf die unterwürfige Weise, die Sklaven so an sich haben«, fügte Tutina hinzu.

Ich sah Louise hinterher. »Schon möglich.«

»Der Mann scheint jedenfalls der Meinung zu sein«, sagte Tutina. Ein Gast griff nach Louises Schenkel, als sie an ihm vorbeiging. Sie wich ihm geschickt aus und eilte weiter. Der Mann sackte betrunken auf die Seite.

»Ja«, sagte ich. Louise war in der Tat ein hübsches Mädchen.

»Laß uns trinken!« schlug Tutina vor. Ich fand, daß sie doch nicht so geschickt war wie angenommen. Es ist nicht besonders schwer, jemandem, der gerade nicht hinsieht, etwas ins Glas zu schütten. Boots hätte es bestimmt geschafft, während er der betreffenden Person ins Gesicht gesehen hätte. Er war natürlich ungewöhnlich gut in solchen Dingen.

»Auf dich«, hauchte Lady Tutina mit einem Lächeln.

»Nein«, sagte ich. »Auf dich.«

Sie trank von dem Wein. Ich hob das Glas lediglich an die Lippen und stellte es wieder ab.

»Das ist nicht derselbe Wein«, sagte sie und senkte das Glas. »Er schmeckt anders.«

»Ja. Magst du ihn?«

»Aber ja. Er schmeckt großartig!« Sie lächelte. Dann fügte sie vorwurfsvoll hinzu: »Aber du hast ihn ja kaum angerührt!«

»Komm her!« bat ich.

Sie trat um den Tisch und kniete neben mir nieder. Es war das erste Mal, daß sie mir gehorcht hatte. Das gefiel mir.

»Näher.«

Sie rückte näher an mich heran.

»Noch näher.«

Sie schmiegte sich an mich. Ihre Brüste waren aufregend. Ich legte den Arm um sie, damit ich sie an mich drücken konnte. Sie sah mir in die Augen. »Du hast deinen Wein nicht angerührt«, schnurrte sie.

»Nein?«

»Trink, trink!« versuchte sie mich zu überreden, ergriff das Glas und hob es mir an die Lippen. »Trink!« flüsterte sie. »Dann können wir auf dein Zimmer eilen, wo ich dir wie eine Sklavin dienen werde.«

»Du bist sinnlich und verführerisch«, sagte ich.

»Trink!«

Ich zwang mich dazu, nicht zu vergessen, daß sie für den anderen Mann bestimmt war, der zusammengesunken auf dem Tisch schlief.

Ich nahm ihr das Glas ab und stellte es auf den Boden.

»Was ist los?« fragte sie.

»Ermuntere mich!« befahl ich.

Tutina fing an, mich zu küssen und zu lecken, im ganzen Gesicht und am Hals. Sie war recht geschickt. Nach der Sklavenausbildung würde sie es noch besser können.

»Weißt du, welcher Wein das ist?« fragte ich.

»Nein«, murmelte sie beschäftigt.

Ich drehte die Flasche so hin, daß sie das Etikett lesen konnte. Es war eine kleine Flasche von Boletas Nektar der öffentlichen Sklavengärten. Boleta ist in Ar und Umgebung ein bekannter Weinbauer, der für die Produktion großer Mengen einigermaßen guter Ka-la-na berühmt ist. Der Nektar war seine vielleicht beste Marke; sie wurde in Ars öffentlichen Sklavengärten ausgeschenkt. Ursprünglich war sie allein für diesen Markt hergestellt worden. Daher rührte auch der Name.

»Oh«, sagte sie.

»Ich hoffe, er schmeckt dir.«

»Ja, er ist gut.«

»Das freut mich.«

»Hier«, sagte sie und nahm mein Glas. »Trink schnell. Ich habe es eilig, auf dein Zimmer zu kommen.«

»Dann laß uns sofort gehen«, sagte ich. Ich hatte beschlossen, ihr diese Gelegenheit zu geben, sich zu retten. Willigte sie ein, würde ich sie am Morgen vom Ring losbinden.

»Beeil dich!« flüsterte sie. Sie hielt mir das Glas an die Lippen. »Trink!« flüsterte sie verführerisch.

Innerlich mußte ich lächeln. Sie hatte ihre Gelegenheit gehabt. Zugeben, ich hatte sie ihr nur zu meiner Erheiterung angeboten, in dem Wissen, daß sie ablehnen würde.

»Trink!«

Ich nahm ihr das Glas aus der Hand und sagte: »Aber das ist für dich!«

»Was?«

»Ich habe den Wein für dich gekauft.«

»Aber ich habe doch schon getrunken.«

»Dann trink noch mehr.«

»Du kannst mir ja noch etwas eingießen«, sagte sie unbehaglich.

»Nimm meinen«, schlug ich vor.

»Das ist doch nicht möglich.«

»Aber sicher doch.«

»Ich habe wirklich genug getrunken«, sagte sie. Sie stemmte sich gegen meine Umarmung.

»Nein, du hast nicht genug getrunken.«

Sie sah mich ängstlich an. »Ich will nichts mehr trinken.«

»Stimmt etwas nicht mit dem Wein?« fragte ich.

»Wieso? Der Wein ist gut.«

»Dann trink!« Ich hielt ihr das Glas an die Lippen. Sie versuchte, ihm auszuweichen. »Was ist?«

»Nichts«, sagte sie.

»Trink!«

»Nein.«

»Du wirst das hier trinken«, sagte ich.

»Nein!« Mein Griff war gnadenlos. »Hör auf. Bitte!«

Ich griff mit der Linken in ihr Haar und zog ihr den Kopf nach hinten. »Öffne den Mund! Verschütte keinen Tropfen!«

Sie wand sich hilflos. Die Zähne hatte sie zusammengebissen.

»Du willst also schwierig sein«, sagte ich.

Tutina verstärkte ihre Anstrengungen, aber meinem Griff konnte sie nicht entkommen. Sie drückte die Lippen fest aufeinander. Ich schloß daraus, daß sie nicht einmal einen Tropfen der Flüssigkeit in den Mund bekommen wollte. Das Mittel mußte also ziemlich stark sein. Außerdem war die Dosis für einen Mann bestimmt gewesen.

Ich sah auf und bemerkte Louise, die vom Ausschank zurückgekommen war. Sie stand da und starrte uns entsetzt an.

»Wir werden ihr etwas zu trinken geben«, sagte ich.

»Herr?« fragte Louise ängstlich.

»Mit einer einfachen, durchaus angebrachten Methode«, sagte ich. Lady Tutina starrte mich gehetzt an. »Nein!« stieß sie durch die zusammengepreßten Lippen hervor. Ich stellte das Weinglas auf dem Boden ab.

»Sklavin, nimmt Lady Tutinas Gürtel und fessle ihr die Hände auf den Rücken!« befahl ich Louise.

»Aber Herr!« protestierte sie entsetzt.

»Nein!« kreischte Tutina.

»Sie ist eine freie Frau!« flüsterte Louise.

»Muß ich den Befehl wiederholen?« fragte ich.

Sie schlug den Blick nieder. »Nein, Herr.«

Dann knotete sie Tutinas Gürtel auf, nahm ihn ab, zwang ihr die Hände auf den Rücken und fesselte sie zusammen.

»Gut«, sagte ich. Tutina, die am Boden kniete, wand sich mit den gefesselten Händen. Vergeblich.

Louise stöhnte voller Angst auf. »Herr!« bettelte sie.

»Hier«, sagte ich und reichte ihr das kleine Glas. »Gehorch mir!«

»Ja, Herr!« wisperte sie.

»Nein!« stieß Tutina hervor. Doch sie verstummte, als ich ihr Haar losließ und ihr mit den Fingern der linken Hand die Nase zuhielt. Jetzt bekam sie keine Luft mehr durch die Nase. Mit demselben Griff zwang ich ihren Kopf nach hinten. Möglich, daß ich dabei nicht so sanft vorging, wie es angebracht gewesen wäre; schließlich war sie eine freie Frau. Sie schnappte nach Luft, und ich schob ihr den rechten Daumen und Zeigefinger in den sich öffnenden Mund, ließ die restlichen Finger nachfolgen und hielt ihn offen, aber so, daß sie nicht zubeißen konnte.

»Jetzt«, befahl ich Louise.

Lady Tutina wimmerte. Sie wand sich, versuchte, den Kopf zu schütteln, aber ich hielt sie fest. Vorsichtig goß Louise ihr den Wein in den schönen Mund.

»Gut!«

Louise sah mich dankbar an.

Ich hielt Tutinas Kopf weiterhin fest. Da ich den richtigen Moment abgepaßt hatte, war nicht mehr genug Atem in ihren Lungen, daß sie die Flüssigkeit ausspucken konnte. Sie starrte mich fassungslos an.

»Ich nehme an, daß du früher oder später Luft holen willst. Doch um das zu tun, mußt du zuerst den Wein hinunterschlucken.«

Sie wimmerte vor Protest.

»Es ist wirklich sinnlos, daß du den Atem anhältst«, befand ich.

Sie gab noch ein Stöhnen von sich.

»Du bist sehr schön«, gestand ich ihr.

Tränen traten ihr in die Augen, und sie schluckte den Wein trotzig hinunter, würgte, hustete und rang keuchend nach Luft.

»Du darfst die Hände der Lady Tutina losbinden«, befahl ich Louise.

Sie beeilte sich, meinem Befehl nachzukommen.

»O nein, Lady Tutina«, sagte ich und hielt ihre zuschlagenden Hände fest. »Das ist keine gute Idee.«

Sie kämpfte erfolglos gegen den Griff an. »Ich hasse dich!« rief sie. »Ich hasse dich!«

»Du hast doch nichts zu befürchten«, erwiderte ich. »Es sei denn, es wäre etwas in dem Wein gewesen.«

»Ich hasse dich!« schluchzte sie und warf dem Mann am Nachbartisch einen entsetzten Blick zu. Er war noch immer ohne Bewußtsein. Tutina hatte sichtlich Angst. Die Dosis, die sie geschluckt hatte, war – wenn tatsächlich etwas in den Wein gemischt worden war – zweifellos für einen Mann berechnet gewesen. Darum würde sie vermutlich mehrere Ahn lang bewußtlos sein, mehr als genug Zeit, um sie in eine Zelle des Praetors zu schleppen. Sie versuchte erneut, sich aus dem Griff zu befreien, aber ich ließ nicht los.

»Ich hasse dich!« zischte sie.

»Und was ist mit deiner Einsamkeit, deinem Verlangen nach Liebe?«

»Sleen! Sleen!« stieß sie hervor. Sie kämpfte wieder gegen den Griff an, aber diesmal schien es bereits weniger energisch als beim letztenmal zu sein. Es war also etwas im Wein gewesen. Plötzlich schien sie unsicher auf den Beinen zu werden.

»Was wirst du mit mir tun?« fragte sie.

»Wenn du erwachst, wirst du schon merken, was man mit dir getan hat«, erwiderte ich.

»Ich liebe dich«, sagte sie unvermittelt. »Bring mich auf dein Zimmer. Es war nicht nötig, mir etwas einzuflößen. Ich wäre gern mitgegangen.«

»Das freut mich.«

»Ich liebe dich. Du wirst mich doch mit auf dein Zimmer nehmen, oder?«

Ich sah sie wortlos an.

»Ich werde dir dienen – wie eine Sklavin!« flüsterte sie. »Und morgen früh läßt du mich gehen.«

Ich schwieg.

»Was hast du mit mir vor?« flüsterte sie.

»Ich werde dir überhaupt nichts tun«, sagte ich.

Tutina sah mich verblüfft an. Und schwankte plötzlich.

Ich warf dem Mann, der auf dem Tisch schlief, einen bezeichnenden Blick zu.

»Nein«, stieß sie hervor. »Nein! Bitte! Nicht!«

»Das ist ein schöner Ring«, sagte ich. Ich streifte ihn ihr vom Finger und warf ihn zu Boden. Tutina sank in sich zusammen. Ich glaubte nicht, daß sie noch aufstehen konnte. Sie sah zu, wie ich den Ring mit dem Absatz zertrat.

Dann sackte Tutina bewußtlos zu Boden.

Ich packte sie bei den Handgelenken und zerrte sie zu dem Tisch, an dem ihr früheres Opfer bewußtlos schlummerte. Am Boden war ein schwerer Sklavenring befestigt. Dort legte ich sie auf die Matte, schob ihr Kleid bis zu den Oberschenkeln hoch und fand wie erwartet den Geldbeutel. Ich band ihn ihr um den Hals, holte die drahtverstärkte Schnur aus der Gürteltasche und fesselte ihr die Handgelenke an den Ring.

Ich sah auf sie hinunter. Tutina lag dort auf dem Bauch, halbnackt, die Arme über den Kopf gestreckt, die Handgelenke über Kreuz an den Sklavenring gefesselt, den Geldbeutel um den Hals. Wenn der Mann das Bewußtsein wiedererlangte, wüßte er sofort, was er mit ihr zu tun hatte.

Das war erledigt. Ich sah mich um. Eine Nachricht hatte mich an diesen Ort gelockt. Ich hatte gewartet, aber offenbar hatte niemand den Versuch unternommen, Kontakt mit mir aufzunehmen. Dafür mochte es verschiedene Gründe geben. Allerdings war das Treffen sicherlich nicht daran gescheitert, daß man mich nicht erkannt hatte. Die Personen – oder die Person –, die dahintersteckten, wußten, wie ich aussah, entweder vom Platz am Zentralzylinder her oder anhand einer Beschreibung. Das deutete darauf hin, daß sie bis jetzt noch nicht auf mich zugetreten waren, weil es sich um eine vertrauliche Angelegenheit handelte. Vielleicht um eine geheime Information oder, was wahrscheinlicher war, um den verstohlenen Einsatz gezückter Dolche, das Geschäft des Attentäters.

Es würden nicht mehr als zwei Männer sein. Ich faßte die Durchgänge zu den Tunneln ins Auge. Der Bordelleingang stand ganz bestimmt unter Beobachtung. Doch in einem der Tunnel gab es mit Sicherheit einen Hinterausgang. Wenn sie glaubten, ich würde mich danach auf die Suche machen, mußten sie schnell handeln. In dem Tunnel wäre es dunkel. Ich ging los. Einen Augenblick später hatte ich den niedrigen Durchgang zu dem Al-Ka-Tunnel erreicht, dem ersten Tunnel. Ich blickte zurück. In dem Dämmerlicht war nicht zu erkennen, ob mich jemand beobachtete. Doch irgendwie hatte ich das Gefühl, daß mein Eintritt nicht unbeobachtet blieb.

Загрузка...