3

»Weg mit den Kapuzen, herunter mit den Schleiern, ihr Frauen!« lachte der Kutscher.

Die Frauen, die sich hinter dem Fuhrwerk drängelten – viele streckten die Hände aus, und die Ärmel der Gewänder rutschten zurück –, schrien bestürzt auf.

»Wenn ihr was zu essen haben wollt!« fügte er hinzu.

Die Frauen waren vermutlich Neuankömmlinge, die einen langen Marsch hinter sich hatten. Sie kamen aus Dörfern, durch die das cosische Heer gezogen war, aus einem Umkreis von vielleicht fünfzig Pasang, das übliche Einzugsgebiet für berittene Soldaten mit dem Auftrag, alles zu requirieren, was von Nutzen war. Die meisten der dem Wagenzug folgenden Frauen, die ich bis jetzt gesehen hatte, hatten mittlerweile gelernt, sich den Fuhrwerken mit entblößtem Haupt zu nähern, als Bittstellerinnen. Sie bemühten sich, den Männern zu gefallen, die möglicherweise dazu bewegt werden konnten, ihnen etwas zu essen zu geben, indem sie mit gelöstem und deutlich sichtbarem Haar ankamen – wie Sklavinnen. Viele hatten die Schleier bereits weggeworfen oder verborgen; das galt auch für die Zeit, da sie nicht bettelten. Sie trugen sie nicht einmal mehr in ihren winzigen stinkenden Lagern, die sie in unmittelbarer Nähe der Wagen aufschlugen und die manchmal nicht einmal über ein Feuer verfügten, Lager, denen die Männer manches Mal einen Besuch abstatteten. Sie hatten entdeckt, daß eine Frau, die man mit Schleier antrifft – selbst wenn sie ihn gesenkt und sich damit auf solch bedauernswerte Weise selbst entblößt hat –, bedeutend weniger Aussichten hat, etwas zu essen zu bekommen, als eine Frau ohne Schleier. Ebenso, wie sie rasch gelernt hatten, daß die Kutscher ihr Vergnügen wesentlich seltener bei den Verschleierten suchten. Die Männer auf den Wagen gestanden den Frauen die mit dem Schleier verbundene Würde nicht zu. Und damit behandelten sie sie natürlich wie Sklavinnen.

»Bitte!« rief eine Frau, schlug die Kapuze zurück und riß den Schleier herunter. »Gib mir zu essen! Bitte! Gib mir doch zu essen!« Die anderen folgten schnell ihrem Beispiel, jede schien die Nachbarin an Eile übertreffen zu wollen, wobei einige entsetzt aufstöhnten und ihr Elend beklagten.

»So ist das schon besser«, lachte der Kutscher.

Viele der Frauen weinten.

»Gib uns zu essen!« riefen sie ihm auf mitleiderregende Weise zu, mit ausgestreckten Armen und erhobenen Händen, während sie sich am Hinterteil des Wagens drängten. »Wir bitten um Nahrung!« – »Wir haben Hunger!« – »Bitte!« – »Gib uns zu essen!« – »Bitte!«

Ich sah mir ihre Gesichter an. Es schienen einfache Frauen zu sein, Bäuerinnen und ihre Töchter.

»Hier!« rief der Kutscher lachend und holte Brot aus einem Sack, das er erst einer und dann einer anderen Frau zuwarf. Das erste Stück bekam die Frau, die als erste Gesicht und Haare entblößt hatte, vielleicht als Belohnung für ihre Klugheit und Bereitwilligkeit. Die nächsten Stücke bekamen diejenigen, die am hübschesten waren und am energischsten gebettelt hatten. Doch es geschah oft, daß die stämmigeren, derberen Frauen den hübscheren, weiblicheren Geschlechtsgenossinnen die Beute einfach entrissen. Wo es keine Männer gibt, die schöne Frauen beschützen, werden sie in einer grotesken Perversion der Natur von den körperlich stärkeren Frauen beherrscht und ausgebeutet.

»Mehr, mehr, bitte!« flehten die Frauen.

Der Kutscher warf, wohl um sich zu amüsieren, ein paar Brotstücke in die Luft und sah dann zu, wie die Verzweifelten sich gegenseitig wegstießen, drängelten oder hochsprangen, um sie aufzufangen.

»Mehr, mehr!« schrien sie.

Ich sah, wie eine große Frau mit breiten Hüften einer schwächeren ein Stück Brot aus der Hand riß. Sie stopfte es sich mit beiden Händen in den Mund und kämpfte sich vornübergeneigt einen Weg durch die Menge zu einer Stelle, wo sie es allein und in Ruhe essen konnte. Niemand hätte es geschafft, ihr das Brot abzunehmen. Mit Ausnahme eines Mannes natürlich.

»Das ist alles!« lachte der Kutscher.

»Nein!« schrien die Frauen.

»Brot!«

Es war offensichtlich, daß der Sack den Worten des Mannes zum Trotz noch nicht leer war. Er grinste und fuhr sich mit dem Arm übers Gesicht. Es war ein Scherz gewesen.

»Noch eine Kruste, bitte!« bettelte eine Frau.

»Gib uns zu essen!« rief eine andere.

»Ihr seid die Herren!« schluchzte eine plötzlich. »Gebt uns zu essen!«

Der Mann lachte und zog eine Handvoll Krusten aus dem Sack, die nun anscheinend tatsächlich den Rest darstellten. Er warf sie weit über die Köpfe der Frauen hinweg. Sie drehten sich um, liefen zu der Stelle und warfen sich in den Staub, wo sie auf Händen und Füßen kriechend lautstark um das Brot kämpften.

Der Kutscher sah ihnen eine Zeitlang belustigt zu. Dann wandte er sich ab, stieg über die Säcke auf der Ladefläche und begab sich zum Wagenkasten. Dieser Kasten dient gleichzeitig als Kutschbock und Stauraum, in dem für gewöhnlich Ersatzteile, Werkzeuge und persönliche Besitztümer untergebracht sind. Normalerweise ist er verschlossen. Er hob den als Sitz dienenden Deckel, warf den leeren Sack hinein und klappte ihn wieder zu. Dann ergriff er eine Tharlarionpeitsche, die in Nähe der Fußbank steckte. Anscheinend hatte er mit den Bettlerinnen seine Erfahrungen.

»Schluß!« sagte er ärgerlich. »Es gibt nichts mehr.«

Die Frauen kamen wieder heran, verzweifelt, mitleiderregend, die Gewänder schmutzig und zerknittert vom Kriechen im Staub, wo sie um jeden Krümel gekämpft hatten. Die Peitsche knallte über ihren Köpfen. Sie wichen zurück.

»Mehr!« riefen sie. »Bitte!«

»Es ist nichts mehr da«, sagte der Kutscher. »Alles ist weg! Verschwindet, ihr Schlampen!«

»Du hast doch noch Brot«, weinte eine Frau. Das entsprach der Wahrheit. Die Ladung des Fuhrwerks bestand aus Sa-Tarna-Brot; zufälligerweise transportierte er auch Sa-Tarna-Getreide und -Mehl. Die Räder ächzten unter etwa neunhundert goreanischen Kilogramm des Nahrungsmittels. Diese Vorräte waren natürlich nicht für Vagabunden oder Reisende bestimmt, denen man unterwegs begegnete, sondern für die Feldküchen der verschiedenen Nachtlager.

»Zurück, ihr Schlampen!« rief er. »Ich transportiere Verpflegung für die Soldaten.«

»Bitte!«

»Ich sehe schon, es war ein Fehler, daß ich euch überhaupt etwas gegeben habe!« rief er wütend.

»Nein, nein!« rief eine der Frauen. »Es tut uns leid! Wir bitten dich um Verzeihung, edler Herr!«

»Erbarmen, mehr Brot!« schluchzten andere.

Er hob drohend die Peitsche. Es war eine Tharlarionpeitsche. Ich hätte nur ungern einen Schlag damit abbekommen.

»Zurück!« rief er.

Ein paar von ihnen kamen noch näher an den Wagen heran. Die Peitsche fuhr zwischen sie, und sie schrien schmerzerfüllt auf und wichen zurück.

»Morgen werdet ihr gar nichts bekommen!« brüllte der Mann wütend.

»Nein! Bitte!«

»Kniet euch hin!« verlangte er. Sie ließen sich auf die Knie fallen. »Köpfe in den Staub!« befahl er. Sie gehorchten. Meiner Meinung nach war es nicht richtig, freien Frauen auf diese Art zu befehlen. So wurden nur Sklavinnen herumkommandiert.

»Ihr dürft die Köpfe wieder heben«, sagte er. »Bereut ihr euer Handeln?«

»Ja«, stöhnten einige der Frauen.

»Seid ihr bereit, mich um Verzeihung zu bitten?«

»Ja, ja!«

»Nun«, sagte er scheinbar besänftigt, »wir werden sehen.« Er senkte die Peitsche und setzte sich auf den Kutschbock. Mit der linken Hand löste er die Bremse, indem er den Hebel zurückzog, der über eine Achse den lederbeschlagenen Bremsschuh vom linken Vorderrad entfernte. »Hü!« brüllte er dem Tharlarion zu; die Peitsche knallte, Holz knarrte, das Geschirr klirrte, das Tier grunzte, und das Fuhrwerk setzte sich in Bewegung. Ich schaute einen Augenblick lang zu, wie es auf den eisenbeschlagenen hölzernen Speichenrädern über die Straße polterte. Dann band ich ein Seil um Feiqas Hals. »Komm!«

Wenige Augenblicke später hatte ich das Fuhrwerk eingeholt. Ich sah zurück. Die Frauen kamen jetzt erst auf die Füße. Zweifellos litten sie noch immer großen Hunger. Viele schienen auch müde und benommen zu sein. Offenbar waren sie erst an diesem Morgen aus ihrem Dorf gekommen. Sie hatten die erste Lektion erhalten, was es für eine Frau bedeutete, dem Wagenzug zu folgen.

Ich nahm Feiqa das Gepäck ab und warf es zusammen mit Speer und Schild auf die Ladefläche. Dann stieg ich neben dem Kutscher auf den Kutschbock. Er unternahm keinen Versuch, mich daran zu hindern. »Tal«, sagte er und sah zu mir herüber. »Ich bin Mincon.«

»Tal. Ich heiße Tarl«, erwiderte ich den Gruß, während ich Feiqas Seil an der Seite festmachte. Sie drückte sich eng an den Wagen, beinahe so eng, daß ich sie berühren konnte. Sie hatte Angst. Daran waren vermutlich die Blicke schuld, die sie von einigen der freien Frauen am Straßenrand erhalten hatte.

»Nein!« sagte Mincon mehr als nur einmal und hob die Peitsche, als die Frauen aufstanden, als wollten sie näher kommen. Natürlich hatten sich nicht alle der Kolonne angeschlossen. Einige kamen ohne jeden Zweifel aus ihren Dörfern – oder den Ruinen der Dörfer – an den Straßenrand, um dort zu betteln. In diesen Dörfern gab es vermutlich noch Nahrung. Man konnte davon ausgehen, daß die Frauen ihre Besitztümer erst dann zusammenschnüren und sich den Wagen anschließen würden, wenn die Vorräte aufgebraucht waren. Eine der Sitzenden kam mit einer Rute heran und schlug wütend dreimal auf Feiqa ein. Meine Sklavin duckte sich und versuchte Gesicht und Körper zu schützen. Zwischen freien Frauen und Sklavinnen herrscht wenig Liebe, besonders in solchen Zeiten. Plötzlich schrie Feiqa auf, als sie von einem Stein getroffen wurde. Sie ging weinend weiter und drückte sich fast gegen den Wagen. Natürlich konnte sie nicht im entferntesten daran denken, sich gegen eine solche Behandlung zu wehren. In der vergangenen Nacht hatte sie in der Hütte der freien Frau lernen müssen, daß sie eine Sklavin war. Ich fragte mich, ob die einstige reiche junge Frau aus Samnium Sklavinnen auf die gleiche Weise behandelt hatte. Vermutlich schon. Für freie Frauen ist das kein ungewöhnliches Verhalten. Als Sklavin begriff sie nun, wie es war, einer solchen Behandlung ausgesetzt zu sein. Vielleicht würden freie Frauen den Sklaven anders begegnen, wenn ihnen klar wäre, daß sie möglicherweise selbst eines Tages den Kragen tragen müssen. Es bestand keine Gefahr, daß Feiqa bei diesen Angriffen ernsthaft verletzt oder verstümmelt wurde. Darum nahm ich nach außen hin auch keine Notiz davon.

Die Fuhrwerke des Nachschubzugs verteilten sich über die ganze Straße. Die Abstände dazwischen waren unregelmäßig, gelegentlich hielt eines von ihnen auch an. Wir waren am frühen Morgen in die Nähe der Straße des Genesian gekommen. Wir hatten eine Anhöhe erklommen, und da war sie gewesen, weit unter uns in der Ferne, mit der langen Wagenkolonne. Dann waren wir durch das feuchte Gras langsam den Hügel hinabgegangen, bis wir den Straßenrand erreicht hatten. Ich hatte eine recht genaue Vorstellung von der Größe der Streitmacht aus Cos, die gegen Anfang Se’Kara in Brundisium gelandet war. Ich war Zeuge gewesen, wie die Invasionsflotte in den sicheren Hafen einlief. Meines Wissens nach hatte es noch nie zuvor auf Gor ein so großes Heer gegeben. Es war nicht die Invasion eines Heeres gewesen, sondern die ganzer Heerscharen. Zugegeben, viele der Kontingente bestanden nicht aus cosischen Soldaten, sondern setzten sich aus Söldnern zusammen, die diversen unabhängigen Hauptmännern für eine gewisse Zeit gegen Bezahlung den Treueid geleistet hatten. Es ist schwierig, solche Männer unter Kontrolle zu halten. Sie kämpfen nicht für den Heimstein. Oft ist es wenig mehr als bewaffneter Pöbel. Viele sind kaum besser als Diebe und Halsabschneider. Sie müssen sehr gut bezahlt werden, außerdem muß man ihnen reichlich Beute versprechen. Darum haben Taktik und Aufmarsch solcher Gruppen – Angelegenheiten, für die Hauptmänner zuständig sind, die ihre Männer gut kennen und in Schach halten müssen – oftmals nur wenig mit militärischen Überlegungen wie Strategie und Ähnlichem zu tun als vielmehr mit organisiertem Straßenraub. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß solche Männer gegen die gut gedrillten Soldaten aus Ar bestehen könnten, nicht einmal mit ihrer Übermacht.

»Du bist doch kein Straßenräuber, oder?« fragte Mincon, ohne mich anzusehen.

»Nein«, antwortete ich.

»Du würdest hier auch keine große Beute machen, vom Sa-Tarna mal abgesehen.«

»Ich bin kein Straßenräuber.«

»Bist du vor irgendeinem Hauptmann auf der Flucht?«

»Nein.«

»Du bist ein kräftiger Bursche«, sagte er. »Bist du in der Armee?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Willst du dich irgendwo verdingen?«

»Auch das nicht.«

»Gehören die Waffen dir?«

Ich nickte.

»Raymond aus Rive-de-Bois rekrutiert«, sagte er.

»Conrad von Hochburg und Pietro Vacchi auch.« Diese Männer waren Söldnerführer. Es gab Dutzende solcher Kompanien. Brachte jemand seine eigenen Waffen mit, mußte er natürlich nicht auf Kosten der Kompanie bewaffnet werden. Außerdem konnte man in diesem Fall davon ausgehen, daß er damit umzugehen verstand. Solche Männer werden in gewisser Weise vorgezogen, wenn es um die Aufnahme in die Stammrolle geht. In aller Regel handelt es sich bei ihnen um erfahrene Soldaten und nicht um grüne Jungs, die gerade von einem Bauernhof kommen. Übrigens kennen viele Söldnerkompanien weder Uniformen noch Standardausrüstungen. Aus praktischen Gründen löst man sie während des Winters auf, und die Hauptmänner behalten nur eine aus Offizieren und Berufskämpfern bestehende Stammtruppe. Im Frühling fangen sie nach Erhalt eines Kriegskontraktes, der manchmal in offenem Wettbewerb ersteigert werden muß, mit dem Rekrutieren und der Ausbildung wieder von vorn an.

Es war sehr ungewöhnlich, daß Männer wie Raymond und Conrad im Se’Kara rekrutierten. Das war eine Zeit, da die meisten goreanischen Soldaten an die Annehmlichkeiten des Winterquartiers oder die Rückkehr in ihre Heimatdörfer und -städte dachten. Für die Zwangsrekrutierungen, der einige der Bauern zum Opfer gefallen waren, gibt es gewöhnlich mehrere Gründe. Manchmal will ein vorbeiziehendes Heer nur seine Stärke vergrößern oder Verluste ausgleichen, besonders bei den leichteren Waffengattungen wie den Bogenschützen, den Schleuderern oder den Speerwerfern. Manchmal benötigt man statt Soldaten nur Arbeitskräfte, die Schanzwerke und befestigte Lager errichten. Es kann auch vorkommen, daß die Söldnerführer, die den abgeschlossenen Kontrakten zufolge eine bestimmte Anzahl von Bewaffneten stellen müssen, gar keine andere Wahl haben, als irgendwelche zögernden Männer zu überreden, wenn sie die notwendige Truppenstärke zusammenbekommen wollen. Mehr als ein armer Teufel hat den Treueid mit einem Schwert am Hals geleistet. Die meisten Söldner stellen sich ihrem Hauptmann natürlich aus freien Stücken zur Verfügung. Tatsächlich müssen erfahrene und berühmte Hauptmänner, die für ihr militärisches Geschick und einträgliche Feldzüge bekannt sind, die Rekrutierungstische oft bereits schon Anfang En’Kara schließen.

»Dietrich von Tarnburg sucht ebenfalls noch Männer«, sagte Mincon.

»Ach ja? Für welche Seite?«

»Wer kann das schon wissen?« kicherte er.

Dietrich von Tarnburg aus der ehrenwerten Stadt Tarnburg, etwa zweihundert Pasang nordöstlich von Hochburg – beides stattliche Bergfestungen in den südlicheren und zivilisierteren Ausläufern der Voltai –, war den Kriegern von Gor wohlbekannt. Sein Name war fast schon Legende. Er hatte auf den Schlachtfeldern von Piedmont und Cardonicus den Sieg davongetragen, er hatte den Marsch der Vierzig Tage angeführt, um dem belagerten Talmont zur Hilfe zu eilen, er hatte 10 122 C.A. – damals hatte ich mich in Torvaldsland aufgehalten – den Keibel-Hügel nachts evakuiert und den Issus erfolgreich überquert. Er war der Sieger in den Schlachten von Rovere, Kargash, Edington, des Teveh-Passes, der Gordon-Höhen und der Ebenen von Sanchez. Seine Feldzüge wurden auf sämtlichen Kriegsschulen eifrig studiert. Ich selbst kannte ihn aus den Schriftrollen, die ich vor Jahren in Ko-ro-ba gelesen hatte, sowie aus den Werken meiner Bibliothek in Port Kar wie den Kommentaren des Minicius und den anonymen Analysen in ›Den Tagebüchern‹, die manche dem Militärhistoriker Carl Commenius aus Argentum zuschreiben, der Gerüchten zufolge einst selbst Söldner gewesen sein soll.

Es war Dietrich von Tarnburg, der als erster auf Gor die ›Egge‹ in die Feldschlacht eingeführt hatte; diese Formation war nach dem harkenähnlichen großen Werkzeug aus der Landwirtschaft benannt worden, mit dem man nach dem Pflügen den Boden glättet oder auf großen Bauernhöfen das Saatgut bedeckt. Diese Formation sieht wie folgt aus: Bogenschützen bilden Spitzen, die weit aus der ersten Schlachtenreihe mit den schwerbewaffneten Kriegern und der Reserve herausragen; dabei werden sie durch eisenbeschlagene Piken und Sleengruben geschützt. Diese Formation ist außerordentlich wirkungsvoll bei der Abwehr eines Tharlarion-Kavallerieangriffs. Die einzelnen Spitzen bilden Todeskorridore, durch die die Kavallerie reiten muß und in denen sie gewöhnlich dezimiert wird, bevor sie die Reihen der Verteidiger erreicht. Ist die Kavallerie durch das gegnerische Feuer zerschlagen und so verwirrt, daß die Disziplin zusammenbricht und sie zum Rückzug wendet, können die ausgeruhten und kampfbereiten Verteidiger zum Angriff übergehen.

Dietrich hatte auch den ›schrägen Vorstoß‹ in die goreanische Taktik eingeführt. Große Abteilungen rücken gegen wichtige Teile des Feindheeres vor, solange die Masse des Gegners noch nicht in Kampfhandlungen verwickelt ist. Diese Formation ermöglicht es, nur bestimmte, zahlenmäßig unterlegene Kompanien anzugreifen; auf diese Weise kann man ein an Stärke vielleicht dreifach überlegenes Heer angreifen, seine Flanke bedrängen und Verwirrung stiften, wenn nicht gar eine wilde Flucht auslösen. Falls der Angriff scheitert, kann die vorgerückte Streitmacht in dem beruhigenden Wissen zurückfallen, daß der größte Teil des Heeres, der noch ausgeruht und frisch bis jetzt in keine Kämpfe verwickelt war, bereit ist, den Rückzug zu decken.

Am meisten jedoch hatte mich Dietrich von Tarnburgs Koordination der Luft- und Bodenstreitkräfte beeindruckt sowie die Anpassung bestimmter Belagerungstechniken und -waffen für den Kampf im Feld. Dem Luftangriff von Tarnkämpfern begegnet man normalerweise mit der militärischen Taktik des ›Schilddachs‹ oder der ›Schildhütte‹, einer Formation, die große Ähnlichkeit mit der auf der Erde bekannten römischen testudo oder ›Schildkröte‹ hat. Die Schilde bilden eine Mauer für das äußerste Glied und ein Dach für die Männer im Innern. Dies ist hauptsächlich eine Verteidigungsformation, kann aber auch für den Vorstoß unter gegnerischem Feuer verwendet werden. Die übliche goreanische Verteidigungstaktik gegen einen Tharlarionangriff – sofern man ihm auf offenem Gelände begegnen muß – ist das stationäre Karree, das mit gesenkten, in den Boden gerammten Lanzen verteidigt wird. Bei Rovere und Kargash hatte Dietrich seine Luft- und Bodenkavallerie derart koordiniert, daß der Gegner gezwungen wurde, widerstandsfähige, jedoch ziemlich unbewegliche große Karrees zu bilden. Dann ließ er die Bogenschützen in langen einkreisenden Linien vorrücken; auf diese Weise bot der Gegner eine wesentlich breitere Front für das niedrig gehaltene, aus nächster Nähe erfolgende Feuer als mit den kleinen Karrees.

Dann setzte Dietrich bei Rovere und später bei Kargash zum ersten Mal in einer goreanischen Feldschlacht mobiles Belagerungsgerät ein, auf fahrenden Plattformen errichtete Katapulte, die über die Köpfe der Zugtiere schießen konnten. Die bis zu diesem Zeitpunkt allein bei Belagerungen eingesetzte Artillerie wurde zu einer überraschenden, verheerenden neuen Waffe, zu einer Feldartillerie; Töpfe mit brennendem Pech und loderndem Öl, Belagerungsspeere und riesige Felsbrocken regneten als zerstörerische Flut auf die unbeweglichen Abwehrkarrees herab. Die Schildhütte zerbrach. Die Geschosse der Bogenschützen trafen die verwirrten, glücklosen Verteidiger. Sogar bewegliche von Tharlarion gezogene Belagerungstürme wälzten sich auf sie zu, die Wälle voller Bogenschützen und Speerwerfer. Die Karrees zerbarsten. Dann stürmte die gewaltige, donnernde, brüllende, grunzende Tharlarionkavallerie heran, ließ die Erde erbeben und brach durch die Reihen, als handle es sich um trockenes Stroh, gefolgt von Wellen schwerbewaffneter schreiender Speerträger. Die Ränge des Feindes zerbrachen endgültig. Die Luft war von panischen Schreien erfüllt. Eine wilde, unkontrollierte Flucht setzte ein. Speere und Schilde wurden weggeworfen, damit die Männer schneller laufen konnten. Danach war nur noch wenig zu tun. Die Kavallerie kümmerte sich um den zurückweichenden Feind.

»Ich hatte eigentlich daran gedacht, mich eine Zeitlang als Kutscher zu verdingen«, sagte ich.

»Es werden Kutscher gesucht«, erwiderte Mincon. »Kannst du mit einem Tharlarion umgehen?«

»Ja. Ich kann reiten.« Vor langer Zeit war ich als Wächter in der Karawane Mintars geritten, eines Kaufmanns aus Ar.

»Ich spreche von Zugtieren.«

»Mit denen komme ich schon zurecht.« Ich konnte mir nicht vorstellen, daß ich Schwierigkeiten haben sollte, diese fügsamen, langsamen Bestien zu lenken, während ich doch ihren wesentlich temperamentvolleren Bruder, den Satteltharlarion, gebändigt hatte.

»Sie brauchen viele Schläge auf Kopf und Nacken«, erklärte er.

Ich nickte. Das war beim Satteltharlarion nicht viel anders. In der Regel lenkt man die Echsen mit Befehlen und Hieben mit dem Speerschaft. Im Vergleich zu Säugetieren scheinen Tharlarion ein sehr langsam reagierendes Nervensystem zu besitzen, das gegen Schmerzen fast immun zu sein scheint. Die meisten der größeren Vertreter dieser Spezies verfügen über zwei Gehirne – oder genauer gesagt, ein Gehirn und ein kleineres gehirnähnliches Organ. Das Gehirn befindet sich im Kopf, das Organ an der Basis der Wirbelsäule.

Ich blickte zu Feiqa hinab, die neben dem Wagen herging. »Tharlarion«, sagte ich zu ihr, um Mincons Bemerkung zu erklären, »zeigen sich wenig empfänglich für Schmerzen.«

»Ja, Herr«, gab sie zur Antwort.

»Darin ähneln sie Sklavinnen.«

»O nein, Herr«, rief sie, »nein!«

»Nein?«

»Nein.« Sie blickte ängstlich und ernst zugleich zu mir hoch. »Wir sind sogar schrecklich empfänglich für Schmerzen.«

»Ist das so?« Ich lächelte.

Sie senkte zerknirscht den hübschen Kopf. »Der Herr macht sich über seine Sklavin lustig.«

»Vielleicht.«

Sie errötete. Mit dem Stahlkragen um den Hals sah sie wunderschön aus.

Ich griff nach unten, hob sie bei den Armen hoch und setzte sie im Wagen ab. Das Gehen hatte sie sicherlich ermüdet. »Vielen Dank, Herr«, sagte sie erfreut. Dann kniete sie hinter uns auf ein paar zusammengefalteten Säcken nieder, das Seil, das sie an den Wagen fesselte, hing noch immer an ihrem Hals. Ich dachte darüber nach, auf welche Weise ich sie am Abend nehmen würde.

»Brot! Brot!« rief eine Frau am Straßenrand. Dort hatte ein weiterer Sa-Tarna-Wagen angehalten. Der Kutscher hatte wohl das Geschirr des Tharlarion richten müssen und saß nun wieder auf dem Kutschbock, Zügel und Peitsche in der Hand.

»Vorwärts!« schrie er.

Die Frau warf sich vor den Wagen und schrie: »Brot!« Er ließ die Peitsche knallen, und das Tharlarion setzte sich ruckartig in Bewegung. Die Frau schrie auf und konnte im letzten Moment aus dem Weg kriechen. Ich war fest davon überzeugt, daß sie, hätte sie sich nicht in Bewegung gesetzt, überfahren worden wäre.

»Die versuchen so gut wie alles«, sagte Mincon, als wir an der Frau vorbeifuhren. Sie zitterte am ganzen Leib; sie war gerade dem Tod oder der Verstümmelung entkommen. »Sie schicken ihre Kinder zum Betteln, während sie sich in den Büschen am Straßenrand verbergen. Manchmal werfe ich ihnen dann was zu, manchmal auch nicht. Wenn sie Brot haben wollen, sollten sie selbst kommen.«

»Vielleicht wollen sie nur nicht dafür zahlen – nach Art der Frauen, meine ich«, meinte ich.

»Die zahlen schon, wenn sie hungrig genug sind.«

Das entsprach sicher der Wahrheit. Mincon schien ein anständiger, gutherziger Bursche zu sein. Ich war Zeuge gewesen, wie er angehalten und den Bettlerinnen zu essen gegeben hatte. Und das, obwohl er dabei zweifellos einen Teil der Ladung weggegeben hatte. Viele Kutscher verhielten sich anders, davon war ich überzeugt. Außerdem hatte er nichts dagegen gehabt, daß ich bei ihm mitfuhr und Feiqa auf den Wagen gesetzt hatte. Ja, er schien ein anständiger Kerl zu sein.

»Wie weit vor uns sind die Truppen?« fragte ich.

»Die Aufmarschlinien erstreckten sich über viele Pasang, dazwischen gibt es große Lücken, ebenfalls viele Pasang breit.«

Ich nickte. Die Heere würden Tage brauchen, um das Land zu durchqueren. Sie waren offenbar so weit vom Feind entfernt, daß sich niemand Sorgen wegen möglicher Befehle zum Sammeln machte. Soweit ich wußte, hatte es bis jetzt nicht einmal kurze Vorstöße des Gegners gegeben, um den Vormarsch zu stören. Die Invasoren hätten genausogut zu Friedenszeiten durch ihr eigenes Land marschieren können.

»Die hinteren Abteilungen der vor uns befindlichen Einheiten sind etwa zehn Pasang entfernt«, sagte er.

»Wie groß ist das Heer eigentlich?«

»Groß. Bist du ein Spion?«

»Nein.«

»Sieh mal da!«

Ich schaute nach rechts. Auf einer Anhöhe kamen sieben oder acht Tharlarionreiter mit Tharlarionlanzen. Die Krallen der Reitechsen rissen den Boden auf. Die Männer trugen Helme und waren in staubiges, schmutziges Leder gekleidet, das sie vor der Schuppenhaut der Echsen schützte. Zwei Reiter hatten die Schilde auf den Rücken geschlungen, bei den anderen baumelten sie links am Sattel. Sie machten einen heruntergekommenen, bösartigen Eindruck. Um den Hals der Echsen und hinter den Sätteln hingen Tragekörbe voller Getreide und Netzsäcke mit getrocknetem Larma und braunen Suls. Ein Reiter transportierte zwei Verr quer über dem Sattel, deren Hinterläufe zusammengebunden und deren Kehlen durchschnitten waren; das Blut schimmerte braun auf der Tharlarionhaut. Sein Kamerad hütete einen verschnürten Korb voller Vulos; um den Hals hing ihm eine Wurstkette.

Die Abteilung trieb keine Tarsk oder Bosk vor sich her. Diese Tiere waren mittlerweile vermutlich sehr selten geworden, zumindest im Umkreis von zwei Tagesritten. Doch die Männer schienen Erfolg gehabt zu haben. Zweifellos hatten sie besser abgeschnitten als andere Kameraden. Mir fiel auch auf, daß ihre Aufmerksamkeit nicht allein Lebensmitteln gegolten hatte. Bei mehreren hingen Armreifen, Tassen und Schüsseln mit zwei Henkeln am Sattel. Ein Reiter hielt ein langes Seil in der Hand, das an den über Kreuz gefesselten Handgelenken einer Frau endete. Zweifellos hatte man sie als anziehend genug für den Sklavenkragen befunden. Neben dem umherstampfenden Tharlarion des Anführers liefen zwei kräftige Bauernburschen in weißen Gewändern. Ihre Handgelenke waren zusammengebunden, zwischen den angewinkelten Ellbogen und dem Rücken steckten kräftige Balken. Alles war mit einem Seile an den Leib gefesselt. Sie würden Rekruten für einen Hauptmann abgeben, der Lücken in seinen Rängen aufzufüllen hatte. Sie würden ihren Häschern vermutlich einen Kupfertarsk pro Kopf einbringen.

Die Tharlarionreiter sahen zu der Kolonne herüber und ritten dann die Anhöhe hinunter. Hinter ihnen kamen einige Frauen in Sicht, die ihnen anscheinend zu Fuß aus irgendeinem Dorf gefolgt waren. Einer der Reiter rief ihnen wütend etwas zu, wendete das Tharlarion und trieb es lanzenschwingend die Anhöhe wieder hinauf, auf die Frauen zu. Sie wichen vor ihm zurück; er gab die Verfolgung auf und holte seine Kameraden ein. Die Frauen blieben stehen, sie wagten es nicht, den Männern weiter zu folgen. Ich sah den Reitern nach, die bereits ein paar Fuhrwerke vor uns waren; die beiden Bauernburschen und die Frau stolperten hinter ihnen her.

Ich drehte mich nach Feiqa um. Sie mied meinen Blick.

»Die vor uns liegenden Einheiten bilden doch bestimmt die Rückhut des Heeres.«

»Nein.«

»Nicht?«

»Da gibt es Einheiten«, sagte er, »und Fuhrwerke und dann wieder neue Einheiten. Ich weiß nicht, wie weit es sich erstreckt.«

Das brachte mich zum Schweigen. Es mußte sich hier um eine unglaubliche Anzahl von Männern handeln. Mir war natürlich bekannt, daß in Brundisium eine beträchtliche Streitmacht an Land gesetzt worden war. Ich wußte nur nicht, wie sich diese Truppen zur Zeit verteilten.

»Du bist sicher, daß du kein Spion bist?«

»Ja«, lächelte ich. »Da bin ich mir sicher.« Man konnte davon ausgehen, daß sich Ar bemühte, über Bewegungen des Feindes auf dem laufenden zu bleiben. Bei den Truppen oder den Nachschubzügen gäbe es Spione. Es ist nicht schwer, Spione in Söldnertruppen einzuschleusen, wo die Männer alle einen anderen Hintergrund aufweisen und den verschiedensten Kasten und Städten entstammen. Von ihnen wird kaum mehr verlangt als gewisse Fertigkeiten im Umgang mit den Waffen und der Wille zum Gehorsam. Falls Ar jedoch Männer entsandt hatte – oder Männer bezahlte –, um genaue Berichte und Einschätzungen zu liefern, waren keine Gegenmaßnahmen erfolgt, sei es aus mangelnder Vorbereitung oder anderen Gründen.

Ich betrachtete die endlose Wagenkolonne.

Wie sehr sich das alles von den Aufmärschen der Streitkräfte Ars oder anderer großer Städte unterschied! Wann immer zum Beispiel die Männer Ars marschierten – wobei sie nach Möglichkeit eine der großen Militärstraßen wie die Viktel Aria benutzten –, taten sie dies im Marschschritt, der vom Trommelschlag vorgegeben wurde, und legten jeden Tag eine berechenbare Strecke zurück, gewöhnlich etwa vierzig Pasang. In Abständen von vierzig Pasang legte man an den Militärstraßen befestigte Lager an, die im voraus mit ausreichend Proviant ausgestattet wurden. Einige dieser Lager dienten als Grundstein für Dörfer und später für richtige Städte. Die Straßen mit ihren Lagern ermöglichten nicht nur einen schnellen und wirksamen Truppentransport, sondern halfen auch bei der militärischen Planung. Man konnte beispielsweise genau vorhersagen, wieviel Zeit benötigt wurde, um eine bestimmte Anzahl von Männern an einen bestimmten Ort zu bringen. Die ständigen Garnisonen spielten eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung des Friedens im äußeren Einflußbereich der Stadtstaaten. In diesen Lagern fand oft auch die Rekrutierung und Ausbildung statt. Man konnte von den Streitkräften Cos’ nicht erwarten, ein paar Monate damit zu verbringen, entlang der Aufmarschroute ständige Lager zu errichten. Doch nach der Art der Nachschubzüge zu urteilen, ging der Vormarsch sehr langsam fast schon gemütlich voran, so als fürchteten sie nichts. Vermutlich hatte ihre Anzahl ihnen Mut gemacht. Ich fragte mich nur, warum Ar nicht gehandelt hatte.

»Hast du Tarnsmänner am Himmel gesehen?« fragte ich.

»Nein.« Cos würden natürlich Tarnsmänner zur Verfügung stehen. Aber nicht einmal die patrouillierten die Aufmarschlinien.

»Warum ist die Kolonne unbewacht? Das ist doch ungewöhnlich.«

»Ich weiß nicht«, antwortete er. »Darüber habe ich mich auch schon gewundert. Vielleicht hält man es für unnötig.«

»Hat es denn keine Angriffe gegeben?« Man konnte doch wohl davon ausgehen, daß Ar Tarnsmänner zum Einsatz brachte, um die feindlichen Nachrichten- und Nachschublinien zu zerstören. Vielleicht hatten es die Tarnsmänner nicht bis zu den Wagenzügen geschafft. Hätte in Ar die Befehlsgewalt in den Händen Marlenus gelegen, wäre bereits ein Gegenschlag erfolgt. Davon war ich fest überzeugt. Doch hielt sich Marlenus nicht in Ar auf, wenn man den Berichten Glauben schenkte. Angeblich leitete er eine Strafexpedition in den Voltai, gegen die Räuberhorden von Treve. Ich verstand nur nicht, warum man ihn, falls möglich, nicht zurückgeholt hatte.

»Was tätest du, wenn Tarnsmänner aus Ar kämen?«

Er kicherte. »Mit einem Sprung unter dem Wagen verschwinden. Und wenn sie landen – laufen, so schnell ich kann.«

»Du würdest deine Ladung nicht verteidigen?«

»Das ist nicht meine Aufgabe«, erwiderte er. »Man bezahlt mich fürs Fahren. Und genau das tue ich auch.«

»Und die anderen Kutscher?«

»Die täten vermutlich dasselbe. Wir sind Kutscher, keine Soldaten.«

»Der ganze Nachschubzug wäre einem Angriff also schutzlos ausgesetzt. Und doch hat Ar nichts unternommen. Das ist bemerkenswert.«

»Wenn du meinst.«

»Warum eigentlich nicht?«

Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Vielleicht können sie nicht bis hierher vordringen.«

»Nicht einmal mit Kommandotrupps, als Bauern verkleidet?«

»Keine Ahnung. Was weiß ich?«

Das Tageslicht schwand. An den Straßenrändern sah man gelegentlich die winzigen Lager der freien Frauen. In manchen flackerten kleine Feuer. Es gab gelegentlich behelfsmäßige Unterkünfte, kaum mehr als über Stöcke gelegte Planen oder Decken. Als wir vorbeifuhren, kam es vor, daß eine der Frauen vom Feuer aufstand und uns hinterhersah. Mir fiel die freie Frau wieder ein, die ich in der vergangenen Nacht in ihrer Hütte kennengelernt hatte. Wir hatten sie schlafend zurückgelassen. Ich hatte noch etwas von meinem Proviant neben sie gelegt, dem Kind hatte ich eine goldene Tarnscheibe aus Port Kar in die Ecke seiner Decke eingerollt. Damit könnte sie vieles kaufen. Vielleicht gelänge es ihr mit dem Geld sogar, es bis zu einem anderen Dorf zu schaffen, weit abseits von dem Heerzug, wo sie es als Brautgeld verwenden, es also im Prinzip dazu benutzen könnte, sich einen Gefährten zu kaufen, einen guten Mann, der sich um sie und das Kind kümmerte. Im Gegensatz zu den Frauen der Stadt sind Bäuerinnen in solchen Dingen eher praktisch veranlagt. Sie hatte mir ihre Gastfreundschaft erwiesen.

»Wir haben das Lager bald erreicht«, sagte Mincon.

Plötzlich keuchte Feiqa entsetzt auf und wich zurück. Am rechten Straßenrand hatte man einen Mann gepfählt. Kopf und Gliedmaßen baumelten herab. Der Pfahl war etwa drei Meter hoch, mit einem Durchmesser von zehn Zentimetern. Man hatte ihn mit Felsbrocken und Steinen fest im Boden verkeilt. Das obere Ende war mit einem Breitbeil spitz zugehauen worden. Dann hatte man das Opfer über diese Spitze gehalten und es mit großer Kraft durchbohrt, so daß das Holz etwa einen knappen Meter aus dem Bauch aufragte.

»Vielleicht ein Spion«, sagte ich.

»Eher ein Deserteur oder ein Nachzügler«, meinte Mincon.

»Schon möglich.« Das war heute das erste echte Zeichen, daß vor uns tatsächlich Soldaten marschierten.

»Ist das Lager noch weit entfernt?«

»Nein«, sagte er.

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