26

»Pst!« zischte der Bursche in dem Hauseingang.

Einen Augenblick später erkannte ich ihn: Es war der kleine Achiates, der Besitzer des schäbigen Insula, in dem ich wohnte und das nur einen Steinwurf von Ludmillas Freudenhausgasse entfernt lag.

Ich trat zu ihm. Die vierzehnte Ahn war längst vorbei; es war bereits später Nachmittag. Ich hatte, nachdem ich unerkannt aus dem Tunnel verschwunden war, in einer Paga-Taverne den Morgen abgewartet und dann den Sklavenhändler Tenalion beim Wort genommen und ihm einen Besuch abgestattet. Genauer gesagt, einer neuen, noch namenlosen Sklavin, die ihr Leben im Lager der Alar fast schon vergessen hatte. Ich dachte noch immer an ihre Leidenschaft, die Weichheit ihrer Lippen, ihre Bereitwilligkeit und ihre Begeisterung.

»Es ist doch sicher nicht schon wieder die Miete fällig?« fragte ich.

»Komm schon, komm aus dem Licht heraus!« flüsterte er.

Ich trat in den dunklen Eingang. Er sah sich auf der Straße um und zog schnell den Kopf zurück.

»Was ist denn los?«

»Was hast du angestellt?«

»Nichts!« Ich halte es grundsätzlich für eine gute Regel, seine Unschuld mit Nachdruck zu beteuern.

»Komm, sag schon!«

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, erwiderte ich. »Ich habe einiges unternommen. Denkst du an etwas Bestimmtes? Ist das Zimmer beschädigt worden?« Ich hatte die Befürchtung, daß Hurtha mit der Axt geübt hatte. Eine weitere besorgniserregende Möglichkeit war natürlich, daß er einen anderen Mieter – unabsichtlich oder völlig bewußt – geköpft hatte, vielleicht jemanden, der so mutig war, sich über die öffentliche Deklamation von Gedichten im Treppenhaus zu beschweren. Hurtha hatte die Gewohnheit, seine Verse lautstark zu schmieden. Doch das wäre etwas gewesen, das er getan hatte, nicht ich.

»Nein«, sagte Achiates nervös.

»Gut.«

»Sie warten auf dich.«

Eine freie Frau ging vorbei, einen Sack Suls auf dem Rücken.

»Hurtha und die Sklavin?« fragte ich und mußte blinzeln. Vielleicht hatte ich in der vergangenen Nacht nicht genug Schlaf bekommen. Eigentlich hatte ich gar nicht geschlafen.

»Nein!« sagte er.

»Willst du die Miete erhöhen?«

»Nein!«

Aber mir war das Aufleuchten in seinen Augen nicht entgangen. Das hätte ich nicht sagen dürfen. Vermutlich war der Schlafmangel daran schuld. Man muß vorsichtig sein, wenn man mit Vermietern spricht. Man darf ihnen keine Ideen in den Kopf setzten. Am besten ist es, sich oft und laut zu beschweren, damit sie in der Defensive bleiben, so daß allein der Gedanke, unter solchen Umständen die Miete zu erhöhen, als unvorstellbare Unverschämtheit erscheint.

»Und wer wartet dann?« Auf der Straße ging eine Sklavin vorbei. Ihr Unterleib war in die Schatten getaucht, der Oberkörper badete im Licht der Nachmittagssonne. Sie beschattete die Augen. Das dunkle Haar fiel ihr über den engsitzenden Kragen. Vermutlich war sie auf einem Botengang. Ein Geldbeutel war ihr um den Hals gebunden. Manchen Sklaven ist es verboten, Geld zu berühren. Andererseits befördern viele Geld im Mund. Das ist auf Gor allerdings nichts Ungewöhnliches, sogar freie Menschen tun dies. Goreanische Gewänder haben keine Taschen. Die Sklavin ging barfuß.

»Soldaten«, sagte Achiates.

»Was?« Ich horchte auf. Plötzlich schien es sich um eine ernste Angelegenheit zu handeln.

»Männer der Stadtwache?«

»Nein. Soldaten.«

»Taurentianer?«

»Soldaten!«

»Was wollen sie von mir?«

»Ich weiß es nicht.«

»Hast du sie denn gefragt?«

»Ja. Aber sie haben nichts gesagt, wollten nur wissen, wann du zurückkommst.«

»Und was hast du ihnen gesagt?«

»Daß ich es nicht weiß.«

»Wie lange warten sie schon?«

»Nicht lange.« Das war gut zu wissen. Normalerweise nimmt man geplante Verhaftungen im Morgengrauen vor.

»Und warum erzählst du mir das?«

»Du bist mein Mieter«, antwortete er. »Außerdem hast du deine Miete bezahlt. Ich will nicht, daß in meinem Insula eine Verhaftung stattfindet. Das könnte sich schlecht auf meinen Ruf auswirken.«

»Danke«, sagte ich und drückte ihm eine Münze in die Hand.

»Das ist nicht nötig«, sagte er, nahm sie aber trotzdem an. Schließlich war er Geschäftsmann.

»Bist du Tarl aus Port Kar?« fragte ein Mann.

Achiates stöhnte entsetzt auf.

»Ja, Hauptmann«, sagte ich.

»Darf ich bitte dein Schwert haben?« bat er. Hinter ihm standen fünfzehn oder zwanzig Mann. In dem Hauseingang war nicht viel Platz, die Klinge zu ziehen, geschweige denn mit ihr auszuholen. Doch noch zielte keine Armbrust auf mich. Auch hatte keiner der Männer die Lanze gesenkt oder die Waffe gezogen.

»Mit welcher Berechtigung?« fragte ich.

»Du stehst unter Arrest!«

Achiates stöhnte.

»Du darfst gehen, Bürger«, erlaubte der Hauptmann dem Vermieter. Achiates setzte sich in Bewegung, wie ein Urt, das eine Lücke zwischen Sleen entdeckt, und eilte auf das Insula zu.

»Dein Schwert, bitte!« Sicherlich wußte der Hauptmann, daß kein Mann ohne weiteres seine Waffen hergibt. Genau wie ihm klar sein mußte, daß ich mir einen Weg aus dem Eingang erzwingen und einen Augenblick später auf offener Straße das Schwert in der Hand halten konnte. Ich fragte mich, ob er es genau darauf abgesehen hatte, nur um den Einsatz der Waffen rechtfertigen zu können. Aber eigentlich war das Unsinn. Jetzt, da Achiates fort war und wir allein waren, konnten sie ohne weiteres angreifen und hinterher ihre Berichte so schreiben, wie sie es für richtig hielten. Sie hatten Achiates gehen lassen, obwohl er offensichtlich im Begriff gewesen war, mich vor ihnen zu warnen. Dennoch glaubte ich nicht, daß er ihr Mann war. Denn sonst hätte er mich vor dem Insula nicht aufgehalten – und ich wäre mitten in sie hineingelaufen.

Ich hatte auch nicht den Eindruck, daß der Offizier eine gewöhnliche Verhaftung vornahm, allein schon wegen der Tatsache, daß er Achiates hatte unbehelligt gehen lassen. Außerdem schien er nicht mit Widerstand zu rechnen.

»Bitte«, sagte er.

Ich übergab ihm das Schwert mitsamt Scheide, die ich mit den Riemen umwickelt hatte.

»Danke.«

»Ich wünsche nicht, gefesselt zu werden«, sagte ich.

»Das wird auch nicht nötig sein.«

Da kam Hurtha heran. »Was geht hier vor?«

»Misch dich nicht ein!« wehrte ich ihn ab.

Hurtha nahm die Axt von der Schulter. »Es hat den Anschein, als sei hier ein Kampf bis zum Tod angebracht.«

»Wer ist das?« fragte der Hauptmann.

»Mein Freund.«

»Ich grüße dich«, sagte der Hauptmann.

»Ich grüße dich«, erwiderte Hurtha. Er war ein freundlicher Alar, keiner von der mißtrauischen, mürrischen, stillen Sorte. Er pflegte gern gute Beziehungen zu den Männern, mit denen er bis zum Tod kämpfen wollte.

»Wohin gehen wir?« fragte ich.

»An einen geheimen Ort.«

»Und was geschieht an diesem geheimen Ort?«

»Man erwartet dich.«

»Wer?«

»Eine hochgestellte Persönlichkeit.«

»Wer?«

»Seine Exzellenz Gnieus Lelius, Regent von Ar!«

Hurtha grinste. »Ich begleite dich.«

»Er soll allein kommen«, sagte der Hauptmann.

Ich sah Hurtha an. »Paß auf Feiqa auf«, bat ich ihn.

»Glaub bloß nicht, daß du einen treuen Kameraden so leicht loswirst«, verkündete Hurtha. »Ich bin ein Alar.«

»Bitte, mach die Sache nicht noch schwerer, als sie ohnehin schon ist.«

»Ich weigere mich, zurückgelassen zu werden.«

»Bitte. Versuch doch, es zu verstehen.«

»Was haben wir nicht alles zusammen durchgestanden!«

»Hurtha«, flehte ich ihn an. Ich wollte nicht weinen. Also nahm ich zwei Silbertarsk aus dem Geldbeutel und drückte sie ihm in die Hand. Ich hatte sie den Attentätern abgenommen.

»Wo hast du die her?«

»Sagen wir, ich habe etwas verkauft.«

»Aber doch wohl nicht Feiqa!«

»Nein.«

»Gut. Nun, dann Leb wohl.«

»Leb wohl?« fragte ich.

»Ja.«

»Können wir gehen?« fragte der Hauptmann.

Ich nickte. Plötzlich verspürte ich eine gewisse Gereiztheit.

Die Soldaten nahmen mich in die Mitte. Der Hauptmann führte sie an, mein Schwert in der Scheide über die Schulter gelegt. Ich warf einen letzten Blick zurück. Hurtha stand vor dem Eingang von Achiates Insula und winkte mir fröhlich zu. Ich fragte mich, ob das Töten eines Alar – in diesem Fall das Töten Hurthas – rechtlich gesehen als Mord zählte oder ob solch eine Tat in eine weniger schwerwiegende, den Umständen eher entsprechende Kategorie fiel. Dann wandte ich meine Gedanken angenehmeren Erinnerungen zu, wie den Freuden, die Sklavinnen Männern bereiten können. Ich dachte da an eine ganz bestimmte Frau, wie sie auf dem Strohlager ausgesehen hatte, ihre glühenden Küsse und Berührungen, die Freude in ihren Augen.

»Laßt uns schneller ausschreiten!« schlug der Hauptmann vor.

Wir gingen schneller.

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