15

Ich riß den Kopf zur Seite. Die Klinge verfehlte mich und grub sich mit einem dumpfen Laut in den Türrahmen.

»Ausgezeichnet! Du hast eine Ausbildung genossen.«

Ich sah zum anderen Ende des Raumes. Hinter einem Schreibtisch stand ein Soldat.

»Könnte es sein, daß du der Scharlachroten Kaste angehörst?«

»Vielleicht.« Ich zog das Messer aus dem Holz, ohne den Mann hinter dem Schreibtisch dabei aus den Augen zu lassen.

»Du bist schnell«, sagte er. »Ausgezeichnet. Mincon hat sich nicht geirrt. Sein Urteil ist zuverlässig. Du bist ein Soldat.«

»Ich habe gekämpft«, sagte ich. »Zur Zeit stehe ich in niemandes Sold.«

»Tal, Rarius«, begrüßte er mich dann. »Grüße, Krieger.«

Ich musterte ihn. Er schien mir nicht zu jenen Männern zu gehören, die Passierscheine und Reisegenehmigungen ausstellten oder bürokratische Arbeiten erledigten.

Er trug keine Rangabzeichen. Seine Männer mußten sein Gesicht kennen. Seine Anwesenheit unter ihnen wäre nichts Unvertrautes; sie kannten ihn, ob im Feld oder beim Marsch, in den Minen, auf den Wehrmauern oder in den Gräben. Und er kannte sie. Er war ein hochgewachsener, eher hagerer Mann mit hohen Wangenknochen und grauen Augen. Das dunkle Haar wurde grau an den Schläfen, für Goreaner sehr ungewöhnlich. Er erinnerte mich leicht an Centius von Cos, allerdings fehlte ihm dessen Sanftheit. Er strahlte praktischen Verstand, Härte, Klugheit und Macht aus. Auf dem Tisch vor ihm lag ein Schwert, quer über den Staatsdokumenten.

»Tal, Rarius«, flüsterte ich.

»Tritt näher. Es war nur eine Probe. Ich habe sogar deine linke Seite genommen, um es dir zu erleichtern. Hab keine Angst.«

Ich ging auf ihn zu. Er setzte sich.

An der linken Schreibtischseite lag eine angekettete nackte Frau auf dem Boden. Sie war dunkelhaarig und wunderschön. Das überraschte mich nicht. Er war offensichtlich ein Mann von großer Kraft. Viele Goreaner glauben, daß die Frau ein Geschenk der Natur an den Mann ist, daß die Natur sie allein für seine Anregung, sein Vergnügen und zu seiner Verfügung geschaffen hat. Deshalb zögern Männer auch nur selten, sich dieses Geschenks zu bemächtigen. Sie sind sehr empfänglich für das Vergnügen, das Macht mit sich bringt, und der Versuch, sie zu erringen, ist etwas ganz Normales; sie wissen sie zu schätzen und zu genießen. Goreaner schämen sich solcher natürlicher und biologischer Triebe nicht. Tatsächlich wäre es vom Standpunkt eines Goreaners aus gesehen Wahnsinn, wegen solcher tiefsitzender, grundsätzlicher Bedürfnisse Schuldgefühle zu haben. Der Mann ist der Überlegene, es sei denn, er wäre krank. Ohne Herrschaft kann es keine richtige Erfüllung geben, und bemerkenswerterweise gibt es ohne die richtige männliche Erfüllung auch keine befriedigende weibliche Erfüllung.

»Wie nennst du dich?« fragte er.

»Tarl.«

»Du kommst aus Port Kar?«

»Ich habe dort Besitz.«

»Spionierst du für Ar?«

»Nein.«

»Oder für Cos?«

»Auch das nicht.« Ich legte das Messer vor ihn auf den Tisch.

»Aber ich vermute einmal, daß deine Sympathien bei Ar liegen.«

»Ich empfinde keine besondere Liebe für Ar«, antwortete ich. Einst hatte man mich aus der Stadt verbannt und mir Brot, Salz und Feuer verweigert.

»Gut«, sagte er. »So wird es dir leichter fallen, den Überblick zu behalten.«

»Du bist kein einfacher Offizier, von dem man Passierscheine bekommt.«

»Und du bist kein einfacher Soldat«, antwortete er. »Zur Zeit kaufen Dutzende Hauptmänner Kämpfer ein. Aber du stehst bei niemandem im Sold. Außerdem habe ich von Mincon erfahren, daß deine Finanzen recht beschränkt sind.«

Ich schwieg.

Er stand auf und versetzte der Frau einen Tritt. Sie zuckte zusammen und wimmerte; die Ketten klirrten.

»Was meinst du, Lady Cara?« fragte er.

»Ja, Herr. Ich halte es für möglich, Herr.«

Ich hatte den Eindruck, daß er tatsächlich ihre Meinung wissen wollte. Sie war noch keine Sklavin.

»Sie ist noch frei«, bemerkte ich.

»Ja.«

»Beschäme mich nicht, indem du mich in diesem Zustand hältst«, schluchzte sie. »Gib mir den Kragen und das Brandzeichen, damit ich in aller Öffentlichkeit stolz das sein kann, was ich sowieso schon bin.«

»Willst du die Peitsche spüren, Lady Cara?« fragte er.

Sie senkte den Blick.

»Das ist Lady Cara aus Venna«, stellte er sie vor. »Einst wurde sie dabei belauscht, wie sie verächtliche Bemerkungen über Tarnburg machte. Vielleicht nehme ich sie eines Tages dorthin mit und halte sie als Haussklavin.«

Die Frau stöhnte.

»Wenn du in Port Kar Besitz hast, dann gehe ich davon aus, daß du für Cos nicht viel übrig hast.«

»Das stimmt.« Ich hatte auf See gegen Cos und Tyros gekämpft. Beim letzten Karneval in Port Kar hatte ihr Ubar, Lurius von Jad, mir einen Attentäter auf den Hals gehetzt. Ich hatte ihm den eigenen Dolch ins Herz gejagt.

»Trotzdem bist du mit einer cosischen Nachschubkolonne gereist und hast diese Deckung dazu benutzt, dich in schwierigen Zeiten nach Süden durchzuschlagen. Das war eine verwegene, einfallsreiche und mutige Tat. Ich respektiere solche Taten.«

Das bezweifelte ich nicht. Und ich wußte auch, mit wem ich hier sprach. Diesen Mann bewunderte ich schon seit Jahren. Ich hatte seine Feldzüge und seine Strategien studiert. Und doch hatte mich nichts auf die Macht der Persönlichkeit vorbereitet, die ich in diesem Raum spürte, einem einfachen, kargen Raum mit einem großen Fenster, der gerade eben eines kleinen Funktionärs innerhalb von Torcodinos Bürokratie würdig war. Es erschien unpassend, daß ich diesem Mann hier begegnete statt auf einem Staatsbankett, einer Strategiebesprechung oder einem blutbefleckten Schlachtfeld. Er schien die Macht förmlich auszustrahlen. Das ist nur schwer zu erklären, man muß es spüren. Vielleicht hätte ich es in einer anderen Situation gar nicht wahrgenommen. Ich weiß es nicht. Es hatte nichts damit zu tun, daß er seine Autorität hervorkehrte oder sich prahlerisch benahm, denn dies war nicht der Fall. Oberflächlich gesehen schien er kaum mehr als einen einfachen Soldaten darzustellen, höchstens einen bescheidenen, aufmerksamen, tüchtigen Offizier. Doch unter dieser Oberfläche spürte ich mehr. Vielleicht waren es unterbewußt aufgenommene Hinweise. Ich bezweifelte nicht, daß er sehr warmherzig, charmant und gastlich sein konnte, wenn er wollte. Vielleicht hatte er sogar seinen Spaß an Witzen, vielleicht machte es Spaß, mit ihm zu trinken. Seine Männer würden für ihn sterben. Ich vermutete, daß er sehr einsam war. Und es bedeutete zweifellos den Tod, wenn man sich seinem Willen widersetzte.

»Ich vermute, du wolltest nach Ar.«

»Ich habe dort Geschäfte zu erledigen.«

»Kennst du das Voskdelta?«

»Ich habe es einmal durchreist.«

»Erzähl mir davon.«

»Es ist tückisch und hat keine Straßen. Es bedeckt über tausend Quadratpasang. Es ist verseucht mit Insekten, Schlangen und Tharlarion. Im Schilf schwimmen sogar Marschhaie herum. Es gibt wenig festen Grund. Die Gewässer sind gewöhnlich seicht und reichen einem großen Mann selten höher als bis zur Brust. Der Boden ist trügerisch. Es gibt viel Treibsand. Das Voskdelta trennt Port Kar vom Osten ab. Allein ein paar Schilfbauern finden sich dort zurecht. Aus praktischen Beweggründen hält man es für Verkehr und Handel verschlossen.«

»Den Eindruck hatte ich auch.«

»Warum fragst du?«

»Verstehst du etwas von militärischen Dingen?« wollte er wissen.

»Ein wenig.«

»Weißt du, wer ich bin?«

»Ich glaube schon.«

»Warum haben wir Torcodino eingenommen?«

»Um die Invasion aufzuhalten«, sagte ich. »Um Ar die Zeit zu verschaffen, die es braucht, um zu den Waffen zu greifen. Es ist ein mächtiger und entscheidender Schlag. Torcodino ist Cos’ wichtigstes Depot für Vorräte und Belagerungsgerät. Das alles gehört jetzt dir. Mit diesen Vorräten kannst du Torcodino auf unbegrenzte Zeit halten. Cos fehlt jetzt die Ausrüstung, um dich zu vertreiben. Wegen des akuten Mangels an Nachschub wird Cos einige seiner Truppen aus der Gegend zurückziehen müssen. Vermutlich wird man die Verbände teilen müssen, man wird sie in alle möglichen Gegenden entsenden, um neue Lebensmittel herbeizuschaffen. So hast du deinen Feind auseinandergerissen und verstreut. Ich vermute, daß die Ausbürgerung der Zivilbevölkerung Torcodinos nicht nur politischen Beweggründen entspringt, um öffentlich Sorge, Großzügigkeit und Gnade zu zeigen. Es hat auch nicht nur praktische Gründe, um Lebensmittel zu sparen und mögliche cosische Sympathisanten aus deinem Rücken zu entfernen. Nein, die Zivilisten werden die Nachschubprobleme des Feindes noch verstärken.«

»Sehr gut.«

»Cos wird es nicht wagen, die Flüchtlinge verhungern zu lassen, denn es sind Bürger einer Stadt, die auf seine Seite übergewechselt ist. Sollte Cos nicht für sie sorgen, wäre das eine dunkle Lektion für jede noch schwankende oder unentschlossene Stadt und jedes Dorf im Umkreis eines Dutzends Horizonte. Es würde Ar stärken.«

»Richtig«, stimmte er mir zu.

»Was ist mit Torcodinos Garnison geschehen?« fragte ich.

»Die meisten Soldaten wurden im Schlaf überrascht. Man hat ihre Waffen ergriffen. Widerstand war sinnlos. Wir haben sie entwaffnet aus der Stadt getrieben.«

»Also werden sie wie die Bürger die Schwierigkeiten der Invasoren noch verschlimmern.«

»Genau.«

»Hast du sie durch das Joch marschieren lassen?« Dieses ganz besondere Joch besteht aus drei Speeren: Zwei hält man senkrecht, der dritte wird waagrecht an ihnen festgebunden. Die Gefangenen marschieren dann in Zweierreihen hindurch. Sie können unter dem waagrechten Speer – der Waffe des Feindes – nicht aufrecht gehen, sondern sind gezwungen, den Kopf zu senken und den Rücken zu krümmen. Manche Krieger wählen eher den Tod, bevor sie sich diesem Ritual unterwerfen. Manchmal verwendet man ein ähnliches Joch auch für die gefangenen Frauen einer Stadt, aber es ist viel niedriger, so daß sie meistens auf dem Bauch darunter herkriechen müssen. Allerdings besteht dieses Joch nicht aus Speeren, sondern aus Besenstielen, die aus der eroberten Stadt stammen, und von der Querstange baumeln Sklavenperlen.

»Nein«, sagte er, »es sind brave Jungs. Vielleicht werden einige von ihnen eines Tages in meiner Kompanie dienen.«

»Ich verstehe.«

Er wandte sich um und trat ans Fenster. Von hier aus sah man die Stadtmauer und eines der Aquädukte. Dann drehte er sich wieder zu mir um. »Du hast nicht versucht, mich zu töten.«

»Noch eine Probe?«

»Ja.«

»Das habe ich mir gedacht. Sonst hättest du einem unbekannten Fremden auch nicht den Rücken zugekehrt.«

Er lächelte. »Stimmt.«

»Ich habe es aber in Erwägung gezogen.«

»Es wäre schwierig gewesen, über den Tisch oder an eine der Waffen zu gelangen, ohne daß das Papier geraschelt hätte.«

»Und du hast mit einem möglichen Angriff gerechnet«, sagte ich. »Unter solchen Umständen fällt es schwer, sich an eine Person heranzuschleichen. Davon abgesehen hätte die Frau vermutlich einen Warnschrei ausgestoßen.«

»Hättest du mich gewarnt, Lady Cara?« fragte er.

»Ja!« stieß sie hervor.

»Trotz allem, was ich dir angetan habe?«

»Gerade weil du es mir angetan hast!« weinte sie. »Ich würde für dich sterben!«

»Warum das?«

»Eine Sklavin schuldet alles ihrem Herrn, ihre Leidenschaft, ihr Selbst, ihr Leben, alles! Es gehört dir, Herr!«

Er wandte sich wieder an mich. »Ich konnte mir nicht vorstellen, daß du mich angreifen würdest. Du bist zu vernünftig veranlagt. Außerdem hättest du keinen ausreichenden Grund. Und dann vermutest du, obwohl du dir nicht sicher bist, daß wir gemeinsame Ziele verfolgen.«

»Es gibt noch andere Gründe«, sagte ich. »Selbst wenn mir ein Angriff gelänge, ich käme kaum lebendig aus dem Semnium heraus.«

»Da ist das Fenster«, sagte er. »Aber du hast vorher nicht nachsehen können, ob es einen Sims gibt. Es gibt keinen. Aber du sagtest etwas von Gründen.«

»Da wäre noch der Respekt, den ich für dich empfinde, der Respekt vor dem Soldaten, dem Befehlshaber.«

»Bei vielen Männern behindern die Gefühle das Zweckmäßige. Vielleicht auch bei dir?«

»Manchmal, vielleicht.«

»Das werde ich mir merken. Vielleicht ist es mir irgendwann einmal von Nutzen.«

»Dein Eindringen durch die Aquädukte war eine großartige Idee«, sagte ich. »Und dann auch noch beide zu benutzen, wobei eins davon praktisch als Versicherung diente.«

»Es ist eine offensichtliche Strategie. Ich habe bereits seit Jahren darüber nachgedacht, sie jedoch bis jetzt nicht gebraucht.«

»Sonst wäre diese Taktik in die Militärgeschichte eingegangen, Teil der Heldentaten geworden, die man mit deinem Namen verbindet. Alle Garnisonen derart gefährdeter Städte wären vorgewarnt und unternähmen Schritte, um es zu verhindern.«

»Natürlich«, sagte er.

»Du hast dir diese Strategie für eine Gelegenheit aufgespart, die es wert war.«

»Für Torcodino.«

»Richtig.«

»Die Cosianer haben mittlerweile die Aquädukte geschlossen!«

»In der Stadt gibt es keine Wasserknappheit«, sagte ich. »Du greifst auf die ursprünglichen Brunnen zurück, die aus der Zeit vor den Aquädukten stammen. Die Vertreibung der Zivilbevölkerung sorgt dafür, daß sie für deine Zwecke mehr als nur reichen.«

Er lächelte.

»Aber ich fürchte, du hast nicht alle Möglichkeiten bedacht.«

»Das kann man so gut wie nie tun.«

»Mich stören da gewisse Schwierigkeiten, die auf der Hand liegen.«

»Sprich.«

»Es gibt keine Straße, die von Torcodino fortführt. Es hat den Anschein, als hättest du dich hier selbst festgesetzt. Die Stadtmauern sind umzingelt. Dein Heer ist klein. Cos wird eine beträchtliche Streitmacht in der Gegend belassen, zumindest im Vergleich mit deiner Mannstärke. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es dir gelänge, dir den Weg freizukämpfen. Und ich glaube auch nicht, daß du genug Tarns hast, um deine Soldaten über den Luftweg zu evakuieren.«

»Bemerkenswerte Gedanken.«

»Offenbar hast du mit Ar genau abgesprochene Pläne geschmiedet.«

»Nein. Ich habe nichts mit Ar abgesprochen.«

»Du stehst nicht im Sold von Ar?« fragte ich erstaunt. »Du hast alles auf eigene Initiative getan?«

»Ja«, antwortete er. »Die Macht von Ar und Cos muß ausgeglichen bleiben. Der Sieg einer der beiden Städte bedeutet das Ende der freien Söldnerheere.«

»Aber du rechnest doch sicher damit, daß Ar die Belagerung beendet.«

»Natürlich.«

»Und wenn das nicht der Fall sein sollte?«

»Das wäre sehr unerfreulich.«

»Du könntest mit den Cosianern verhandeln«, schlug ich vor. »Ich bin davon überzeugt, daß sie zu fast allen Bedingungen einlenken würden, daß sie dir und deinen Truppen Sicherheitsgarantien überließen, nur um Torcodino zurückzubekommen.«

»Glaubst du tatsächlich, daß sie uns nach allem, was wir hier getan haben, nach allen Schwierigkeiten, die wir ihnen bereitet haben, einfach auf Torcodino herausspazieren ließen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Ich auch nicht«, sagte er mit einem Lächeln.

»Alles hängt also von Ar ab«, faßte ich zusammen. »Du hast für diese Stadt große Wagnisse auf dich genommen.«

»Für mich und die freien Söldner.«

»Ar hat scheinbar keine andere Wahl, als so zu reagieren, wie du erwartest.«

»So sieht es zumindest aus.«

»Und doch scheinst du dir Sorgen zu machen.«

»Das ist richtig. Komm mit.«

Wir traten durch eine Seitentür in einen Nebenraum. »Was hältst von diesem Vögelchen?« fragte er.

»Das ist schwer zu sagen.«

Er vergrub die Hand in ihrem Haar und riß ihren Kopf hoch. Sie schrie auf.

»Hübsch«, sagte ich. Sie trug Kragen und Brandmal. Als er ihr den Kopf zurückzog, wurde ihr Rücken gegen den kurzen Holzstab gedrückt, an den ihre angewinkelten Ellbogen gefesselt waren. Der Stab war an einem senkrechten Pfahl befestigt, das Ganze bildete ein ›T‹. Der Pfahl wiederum steckte in einer halben Meter hohen Plattform, auf der sie kniete. Die Fußgelenke waren zusammengefesselt, die Ketten um den Pfahl geschlungen. Handschellen und eine Kette, die um ihren Leib führte, vollendeten die Fesselung, die ihre Arme unverrückbar an Ort und Stelle hielten. »Sie könnte die Frau eines Hauptmanns sein.«

»Sie ist sogar noch mehr«, bemerkte er. »Sie war die Frau eines Generals.«

Die Gefangene wimmerte. Ihre Augen waren fast glasig vor Angst. Er ließ sie los. Ihr Kopf sackte nach unten, das lange schwarze Haar verhüllte ihren Körper.

Ich sah sie mir in Ruhe an. Sie trug weder schmückende Juwelen noch Sklavenseide. Es waren keine Kosmetika zu sehen, die einen anstachelten, sie ihr von den Lippen zu lecken und zu küssen. Es war kein Parfüm zu riechen, sondern nur Schweiß und Furcht. Sie war geschlagen worden, eine seltene Erfahrung für eine hochrangige Sklavin. Falls sie einst einen juwelenbesetzten goldenen Kragen getragen hatte, war er nicht länger vorhanden. Jetzt trug sie einen einfachen Eisenkragen, der mit einem Hammerschlag verschlossen worden war, einen Kragen, wie ihn jede Frau tragen konnte, die ein beliebiger Soldat aus einer brennenden Stadt mitgenommen hatte.

»Wie ist dein Namen, Liebes?« fragte er.

»Ich habe keinen Namen!« sagte sie schnell.

»Und wie war dein Name?«

»Lucilina.«

Er sah mich an. »Kennst du den Namen des Befehlshabers der cosischen Streitmacht im Süden?«

»Myron, Polemarkos aus Temos, Vetter des Lurius von Jad, des Ubars von Cos.«

»Und wie lautete der Name seiner Lieblingssklavin?«

»Lucilina, nehme ich an.«

»Sie war so habgierig, wie sie schön ist«, sagte er. »Sie hatte große Freiheiten im cosischen Lager, sie hatte sogar ihr eigenes Quartier, in dem Polemarkos sie besuchen konnte. In diesem Quartier gebot sie über eine Macht, die einer Ubara gleichkam, inmitten ihrer Kissen und Seide, umgeben von Schmuckkästchen, bedient von Sklavinnen, die ihr überlassen worden waren und über die sie grausam herrschte. Der Gunst ihres mächtigen und adligen Herrn sicher, geschätzt und verwöhnt, sammelte sie Macht, obwohl sie nur eine Sklavin war.«

Das Gehörte machte mich wütend. Eine Sklavin hatte keine Macht zu haben. Im Gegenteil.

»Ihr Einfluß auf Polemarkos wurde weithin bekannt. Sie besaß sein Ohr. Ein Wort reichte, und sie konnte eine Laufbahn fördern oder beenden. In ihren Zelten empfing sie Besucher und Bittsteller. Dutzende, die ihre Machtfülle erkannten, kamen bald und buhlten um ihre Gunst. Es gab Geschenke. Ihre Schmuckschatullen quollen über vor kostbaren Juwelen. Man brachte ihr Ringe, die einen Ubar aus der Gefangenschaft ausgelöst hätten. Ihre Kosmetikschatullen schmückten Parfüme, um die sie jede Ubara beneidet hätte.«

»Man hätte ihr besser eine Peitsche und Ketten gebracht.«

»Eines Tages kam ein Bittsteller, der ein Geschenk versprach, einen angeblich nur in Legenden existierenden Wein, den seltenen Falarian, einen Wein, der nur in Kennerkreisen bekannt ist, der so selten und kostbar ist, daß man mit ihm eine ganze Stadt kaufen könnte. Sie mußte den Wein natürlich kosten. Obwohl sie nur eine Sklavin war, wollte sie davon trinken.«

»Hochmütige Sklavin!« stieß ich hervor. Lucilina senkte zitternd den Kopf noch tiefer. Keine Sklavin trinkt Wein ohne die Erlaubnis des Herrn. Und selbst wenn sie es auf seinen Befehl hin tut, dann nur in seiner Anwesenheit und auf den Knien.

»Der Wein war natürlich zu kostbar, als daß ihn der Bittsteller mit sich führte«, fuhr er mit der Erzählung fort. »Er befand sich in seinem Zelt. Sie ruft ihre Sänfte, eine verdeckte Palankin, mitsamt den Sklaven und läßt sich dorthin tragen. Auf diese Weise kann sie alles vor ihren Dienern geheimhalten. Die Sklaven tragen sie oft in der verschlossenen Palankin im cosischen Lager umher. Das ruft nur noch wenig Aufmerksamkeit hervor. Im Zelt des Fremden kostet sie den Wein, verlangt sogar, daß er ihn ihr eingießt. Sie trinkt. Dann sieht sie den Fremden voller Überraschung an. Kann dieser Wein, der wie billiger Ka-la-na schmeckt, der seltene Falarian sein? Einen Augenblick später ist sie besinnungslos. Mit den Sänftenträgern ist natürlich vorher ein Abkommen getroffen worden. Sie erhalten ihre Freiheit. Das hätte auch anders gelöst werden können, aber so ist es besser. Die Männer waren bekannt. Hätten wir sie ausgetauscht, hätten wir nur das Wagnis erhöht. Zurückgelassen, wären sie vermutlich getötet worden, und zwar von den Cosianern, meiner Meinung nach eine unnötige und dumme Verschwendung guter Männer. Ich habe jetzt vier dankbare, treue Burschen mehr in meinen Rängen, von denen jeder freudig für mich stürbe.«

»Natürlich.«

»Man bringt die Sänfte ins Zelt. In der Zwischenzeit wird die Gefangene ausgezogen. Man legt sie bewußtlos in die Sänfte – gefesselt. Wenn sie erwacht, wird sie entdecken, daß sie kaum ein Glied rühren kann. Sie bekommt einen Knebel. Zum Abschluß werden die Vorhänge der Sänfte geschlossen. Jetzt kann sie transportiert werden.«

»Sie hat natürlich ein Betäubungsmittel getrunken.«

»Aber kein schweres«, sagte er. »Sie wird nur ein paar Ehn lang bewußtlos bleiben, nur wenig länger, als es dauert, sie auszuziehen, zu fesseln und zu knebeln. Wir wollen, daß sie hilflos dort liegt, in vollem Bewußtsein, was mit ihr geschieht.«

»Ausgezeichnet.«

»Mein Mann hat einmal nach ihr gesehen. Ihre Augen hatten einen wilden Ausdruck, sie kämpfte gegen den Knebel an. Mein Mann hat danach die Vorhänge wieder geschlossen.«

»Es ist ein einmaliges Bravourstück, Polemarkos von Temos Lieblingssklavin zu stehlen.«

»Wärst du nicht so habgierig und hochmütig gewesen, hätten wir nicht so leicht Erfolg gehabt, nicht wahr, meine Liebe?« fragte er an die Frau gewandt.

»Nein, Herr.«

»Aber heute bist du nicht mehr so hochmütig und habgierig, nicht wahr, meine Liebe?«

»Nein, Herr!«

»Wir brachten sie nach Torcodino. Wie du dich vielleicht erinnerst, hatte sie, obwohl sie eine Sklavin war, meinem Mann befohlen, ihr Wein einzuschenken.«

»Das habe ich nicht vergessen.«

»Natürlich durfte er sie als erster auspeitschen.«

»Ausgezeichnet.«

»Nach weiteren Bestrafungen war sie dann zum Verhör bereit.«

»Zum Verhör?«

»Aber selbstverständlich. Glaubst du etwa, ich hätte an dieser Schlampe ein persönliches Interesse?«

»Ich könnte verstehen, daß es einigen Männern so geht.«

»Sie ist eitel und oberflächlich«, sagte er. »Nicht wahr, meine Liebe?«

»Ja, Herr.«

»Ich dachte, du hättest sie stehlen lassen, um Myron den Polemarkos zu beleidigen.«

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Für ein solch unnötiges und willkürliches Unternehmen setze ich nicht das Leben meiner Männer aufs Spiel. Mein Augenmerk gilt der schnellen Verwirklichung bestimmter Ziele. Ich gönne mir nur selten solch flüchtige Eitelkeiten, es sei denn, sie unterstützen jene Ziele oder schaffen zumindest keine neuen Hindernisse. Solch eine Beleidigung, sosehr sie im Augenblick auch verletzen mag, würde keinen Feind sosehr mit Rachedurst erfüllen, daß er einen Fehler begeht. In dieser besonderen Situation würde diese Tat höchstens jeden Handel mit dem Polemarkos zusätzlich erschweren; dabei muß ich ihm bald glaubhaft vormachen, daß mir an ernsthaften Verhandlungen gelegen ist.«

»Und so wirst du dir Zeit erkaufen können.«

Er nickte. »Außerdem habe ich persönlich nichts gegen den Polemarkos. Er ist ein kluger, wenn auch schwacher Befehlshaber.«

»Trotzdem, wenn du mit dem Raub dem Polemarkos keine Beleidigung zufügen wolltest, warum hast du ausgerechnet sie stehlen lassen, wenn es dir nur um Informationen ging? Sie ist doch nur eine Sklavin.«

»Jetzt ist sie bloß eine Sklavin, aber zuvor war sie die Vertraute des Polemarkos. Mit ihrer Schönheit und ihrer Tücke hat sie sich beim ihm eingeschmeichelt, und es gab nur wenige Staatsgeheimnisse, die sie nicht auf die eine oder andere Weise in Erfahrung brachte. Sie war sogar bei einigen Strategiebesprechungen anwesend, verborgen hinter einem Schicklichkeitsschirm. Wie du dir sicherlich vorstellen kannst, fühlten sich einige der Offiziere dadurch sehr unwohl. In gewisser Weise lag es sogar an ihren verächtlichen Bemerkungen, die einigen Spionen zu Ohren gekommen waren, daß ich überhaupt erst auf sie aufmerksam wurde und ihre Bedeutung erkannte.« Er hielt inne. »Bist du jetzt noch wichtig, meine Liebe?«

»Nein, Herr!«

»Was bist du jetzt?«

»Eine Sklavin, nur eine Sklavin.«

»Wie lautete dein Name?«

»Lucilina!« keuchte sie.

»Luchita gefällt mir besser.«

»Ja, Herr, ich heiße Luchita.«

Er wandte sich ab und verließ den Raum. Ich schloß mich ihm an, warf jedoch noch einen Blick zurück über die Schulter. Die Sklavin Luchita sah ihm voller Ehrfurcht nach. Sie war wirklich hübsch.

»Was hast du von ihr erfahren?« fragte ich, nachdem die Tür wieder geschlossen war.

»Du darfst knien, Lady Cara!« befahl er.

Die Frau aus Venna erhob sich mit klirrenden Ketten vom Boden und nahm die Haltung einer Vergnügungssklavin ein, auf den Fersen hockend, den Rücken gerade, die Hände auf den Oberschenkeln, die Beine gespreizt.

»Wir haben eigentlich recht viel erfahren«, sagte er, »obwohl uns das meiste bereits aus anderen Quellen bekannt war oder wir es vermutet hatten. Zwei Dinge jedoch waren eine Überraschung.«

»Darf ich es erfahren?«

»Natürlich. Sonst hätte ich dich nicht kommen lassen. Allein aus diesem Grund bist du hier.«

Ich sah ihn aufmerksam an.

»Die Hauptstreitmacht von Cos befindet sich zur Zeit in der Nähe von Torcodino und belagert es.«

»Das ist doch sicher allgemein bekannt«, warf ich ein.

»Das sollte man annehmen. Aber wir haben von unserer kleinen Informantin nebenan zwei Dinge in Erfahrung gebracht – leider erst heute morgen –, die mich verblüffen und stören. Erstens bewegen sich mehrere cosische Regimenter von Brundisium aus ostwärts, und zwar parallel zum Vosk.«

»Auf Ar-Station zu?« dachte ich laut. Das war Ars Bollwerk am Südufer des Vosk, östlich von Jorts Fähre und westlich von Waldhafen, beides Städte am gegenüberliegenden Ufer.

»Das ist möglich.«

»Es muß ein Ablenkungsmanöver sein.«

»Ar-Station könnte bei einem Angriff von einer kleinen Streitmacht befreit werden«, sagte er, »und ein Marsch zur Küste würde die Cosianer von ihrer Basis in Brundisium abschneiden.«

»Das ist richtig.«

»Warum bereitet sich Ar dann darauf vor – und das ist die zweite interessante Information, sollte sie stimmen –, den größten Teil seines Heers nach Norden marschieren zu lassen, und zwar auf Ar-Station zu?«

»Das wäre verrückt.«

»Das haben cosische Spione aus Ar dem Polemarkos übermittelt.«

»Sie müssen sich irren.«

»Vielleicht«, meinte er nachdenklich.

»Die Hauptstreitmacht von Cos befindet sich hier in der Nähe von Torcodino«, erklärte ich. »Wenn Ar sein Heer nach Norden schickt, wäre der Weg nach Ar frei, von den Belagerungsgräben Torcodinos bis zu den Toren der Stadt. Das Land zwischen hier und Ar wäre ohne jede Verteidigung, von der Stadt selbst ganz zu schweigen.«

»Dafür gibt es nur eine vernünftige Erklärung. Der Hohe Rat von Ar weiß nicht, daß das Heer von Cos hier lagert.«

»Das kann ich kaum glauben.«

»Hast du eine andere Erklärung?« fragte er.

»Die Spione des Polemarkos haben sich einfach geirrt.«

»Vielleicht.«

»Es gibt natürlich noch eine andere Möglichkeit«, sagte ich. »Verrat in Ar.«

»Ein Verrat dieser Größenordnung?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Sicherlich hast du diesen Gedanken doch auch schon erwogen.«

»Ja, das habe ich in der Tat.«

»Warum hast du mich nach dem Voskdelta gefragt?«

»Weil ich den Marsch auf Ar-Station für ein Ablenkungsmanöver halte«, antwortete er. »Und weil die Cosianer ohne große Mühe von Brundisium abgeschnitten werden könnten.«

»Glaubst du, sie ziehen sich ins Flußdelta zurück?«

»Ich täte es«, sagte er.

Ich nickte. Er hatte recht. Ich hätte es auch getan.

»Und die Hauptstreitmacht Ars marschiert möglicherweise auf Ar-Station zu«, fuhr er finster fort.

Mich überlief eine Gänsehaut.

»Aber man wird sie nicht ins Delta locken können!« sagte ich. »Kein geistig gesunder Befehlshaber gäbe den Befehl, das ganze Heer ins Delta zu schicken. Zumindest nicht ohne vorher Führer und Transportmittel zu besorgen, sich um die Sicherstellung des Nachschubs zu kümmern, mit den Einwohnern der Gegend ein Abkommen zu schließen und dergleichen mehr.«

»An einem solchen Ort könnte ein ganzes Heer spurlos verschwinden.«

»Ar wird niemals in voller Heeresstärke nach Norden marschieren«, sagte ich. »Nicht, solange sich Cos vor Torcodino verschanzt.«

»Warum hat Ar bis jetzt noch nichts unternommen?«

»Das weiß ich nicht.«

»Ich kann Cos hier den ganzen Winter festhalten«, sagte er. »Aber das ist vermutlich auch schon alles.«

»Was soll ich tun?«

»Gnieus Lelius, Hoher Berater und Erster Minister von Ar, ist in Abwesenheit von Marlenus der Regent. Ich habe hier einen Brief, den er erhalten soll. Er beschreibt die Stellungen der Cosianer und die Situation in Torcodino. Ich habe auch einen Brief für Seremides, den Hohen General von Ar. Sie tragen das Siegel des Silbertarns. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es dir damit schwerfallen dürfte, eine Audienz zu bekommen.« Ich hatte einmal einen Seremides in Ar gekannt. Doch es war ein häufiger Name.

»Ich verstehe.«

»Den Briefen lege ich natürlich Passierscheine bei«, versprach er.

»Wie sollen wir durch die cosischen Linien kommen?« fragte ich. »Solche Papiere haben in Ar bestimmt ihr Gewicht, aber die Cosianer werden sie kaum beeindrucken.«

»Du und deine Begleiter werden mit anderen Zivilisten aus der Stadt gebracht, etwa tausend Personen, die man bis morgen festhält. Ich kann mir nicht vorstellen, daß du besondere Aufmerksamkeit auf dich ziehst. Cos unterstützt die Weiterreise dieser Flüchtlinge, da es wenig Lust verspürt, sich um sie zu kümmern.«

»Ich verstehe.«

»Wolltest du nicht sowieso nach Ar?« fragte er.

»Das schon«, mußte ich ihm recht geben.

»Du wirst für deine Mühen natürlich bezahlt werden.« Er warf einen prall gefüllten Geldbeutel auf den Tisch. Ich sah ihn an.

»Das ist hauptsächlich Silber«, sagte er. »Und ein paar Kupfermünzen. Gold würde nur Verdacht erregen.«

»Ich nehme an, ich bin nicht der erste, den du mit dieser Mission beauftragst.«

»Nein«, sagte er. »Du bist der fünfte. Ich habe sie schon von Tarnburg aus mit Briefen und Warnungen ausgesandt, und kürzlich von den Ufern des Issus aus.«

»Dann müssen deine Botschaften doch angekommen sein.«

»Anscheinend nicht. Zumindest habe ich bis jetzt noch keine Antwort erhalten.«

»Es könnte gefährlich werden«, gab ich zu bedenken.

»Das ist schon möglich. Ich an deiner Stelle würde mich vorsehen.«

»Und was ist, wenn ich es nicht tun möchte?«

»Niemand zwingt dich«, sagte er. »Ich würde dir Passierscheine ausstellen, die dich und deine Begleiter sicher durch meine Linien bringen.«

»Das ist sehr großzügig«, bemerkte ich. »Aber ich werde es tun.«

»Das habe ich gewußt.«

»Hast du mich darum nicht unter Druck gesetzt?«

»Natürlich. Du teilst meine Ansichten, was diese Überlegungen angeht.«

»Wünschst du, daß ich einen Eid ablege?«

»Das ist nicht nötig. Solltest du Erfolg haben, werde ich dir natürlich sehr dankbar sein.«

»Natürlich.«

»Ich habe den Ruf, gnadenlos zu meinen Feinden zu sein, zumindest wenn es meinen Zwecken dient«, sagte er. »Aber ich habe auch den Ruf, meinen Freunden gegenüber sehr großzügig zu sein.«

»Davon habe ich gehört.«

»Ich brächte meine Dankbarkeit zum Ausdruck. Vielleicht einen Beutel Gold oder hundert erstklassige cosische Frauen?«

»Nein, ich übernehme diesen Dienst aus freien Stücken und verfolge meine eigenen Ziele.«

»Krieger!« sagte er.

»Krieger!« erwiderte ich und salutierte.

Ich warf einen Blick auf die Papiere, die auf dem Tisch lagen.

»Verbring die Nacht im Semnium!« schlug er vor.

»Warum?«

»Es ist sicherer.«

»Was ist mit meinen Waffen und Habseligkeiten und mit den Dingen meiner Begleiter?«

»Gib dem Offizier draußen eure Quittungen. Morgen früh bringt man euch eure Habseligkeiten.«

»Warum ist es sicherer, im Semnium zu schlafen?« wollte ich wissen.

»Wer weiß schon, wem man vertrauen kann?«

Er setzte sich an den Tisch und begann damit, mehrere Dokumente zu unterschreiben. Die Unterschrift war energisch.

»Soll ich auf die Briefe warten?«

»Nein, Kapitän.«

»Kapitän?«

»Bestimmt hast du bei irgendeiner Gelegenheit in diesem oder einem entsprechenden Rang gedient.«

»Woher weißt du das?«

»Deine Haltung ist die eines Kapitäns.«

Es gab natürlich keinen Grund, die Briefe vor meiner Abreise zu erhalten. Ich spürte jedoch mehr als je zuvor, daß er sie in Sicherheit wissen wollte und wie wichtig sie waren. Während der Nacht konnten sich Zwischenfälle ereignen, die klugerweise einen nachträglichen Einschub rechtfertigten.

»Ich mußte die Erfahrung machen, daß man ein vorschnell getroffenes Urteil im Licht späterer Betrachtung manchmal bereut.«

»Hauptmann?«

»Denk heute nacht sorgfältig darüber nach, ob du diese Briefe tatsächlich überbringen willst.«

»Ich habe meine Zustimmung bereits gegeben«, erwiderte ich. Meine Handflächen sowie mein Rücken waren plötzlich schweißfeucht. Offensichtlich war diese Botentätigkeit viel gefährlicher, als ich bis jetzt angenommen hatte.

»Ich erwarte deine Entscheidung morgen früh.«

»Und sollte ich es mir bis dahin anders überlegt haben?«

»Du kannst die Münzen behalten«, sagte er. »Außerdem bekommt ihr eure Passierscheine.«

»Du bist ungewöhnlich großzügig.«

»Eigentlich nicht. Was kosten schon ein paar Blatt Papier und etwas Tinte?«

»Das Geld.«

»Eine Spende aus der Kasse Torcodinos.«

»Falls ich den Auftrag ablehne, werde ich sie dir zurückgeben.«

Er lächelte. »Wie du willst.«

Ich nahm den Geldbeutel an mich.

Das Geld reichte aus, um mich und die anderen, sollten sie mich begleiten wollen, nach Ar zu bringen.

Er schob die unterschriebenen Papiere zusammen und stand auf. »Du darfst gehen.«

»Noch eine Frage. Kürzlich wurde nördlich von Torcodino aus der Straße des Genesian ein Teil des cosischen Nachschubzuges angegriffen und ein Massaker verübt. Waren deine Männer dafür verantwortlich?«

»Nein.«

»Weißt du, wer es war?«

»Nein.«

»Aber es waren Söldner.«

»Zweifellos.«

Ich drehte mich um und ging. Als ich die Tür öffnete, hörte ich, wie Ketten klirrten. Ich drehte mich noch einmal um. Lady Cara drückte sich eng an ihn und sah ihm in die Augen. Dann warf er sie bäuchlings auf den Tisch, auf die Staatspapiere. Ich verließ den Raum.

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