Perrin wäre schneller geritten, als Rand es tat, obwohl er wußte, daß die Pferde das nicht lange durchgehalten hätten. Sie ritten die Hälfte der Zeit im Trab und führten ihre Tiere die übrige Zeit. Rand schien niemand anderen wahrzunehmen, außer daß er stets eine Hand für Min hatte, wenn sie stolperte. Für die anderen war er in einer fernen Welt verloren und blinzelte überrascht, wenn er Perrin oder Loial bemerkte. Dobraines und Haviens Männer blickten starr geradeaus und hingen ihren eigenen Gedanken darüber nach, was ihnen bevorstehen würde. Die Leute von den Zwei Flüssen waren von Perrins düsterer Stimmung durchdrungen. Sie mochten Faile - einige verehrten sie sogar -, und wenn sie irgendwie Schaden erlitten hatte... Sogar Arams Begierlichkeit verblaßte, als er erkannte, daß Faile in Gefahr sein könnte. Jedermann konzentrierte sich auf die vor ihnen liegenden Meilen, auf die voraus liegende Stadt. Natürlich jedermann außer den Asha'man. Sie ritten dicht hinter Rand - wie ein Schwärm Raben - und beobachteten das Land, durch das sie ritten, da sie noch immer auf einen Hinterhalt gefaßt waren. Dashiva war wie ein Sack im Sattel zusammengesunken und murrte düster vor sich hin, als er laufen sollte. Seinem Blick nach hätte man glauben können, er hoffe auf einen Hinterhalt.
Aber ein Angriff war kaum zu befürchten. Sulin und ein Dutzend Far Dareis Mai befanden sich in Perrins Sichtweite der Kolonne voraus, ebenso viele waren noch weiter vorausgeeilt, um den Weg zu überprüfen, und auch die Flanken wurden gedeckt. Einige Männer hatten ihre Kurzspeere in die Gurte gesteckt, die die Bogenköcher auf ihren Rücken hielten, so daß die Speerspitzen über ihren Köpfen wippten. Statt dessen hatten sie die kurzen Hornbogen hervorgenommen und Pfeile eingelegt. Sie hielten ebenfalls aufmerksam nach allem Ausschau, was den Car'a'carn bedrohen könnte, und achteten auch auf Rand selbst, als argwöhnten sie, er könne erneut verschwinden. Wenn eine Falle wartete, irgendeine Gefahr bevorstand, würden sie diese entdecken.
Chiad war eine der Töchter des Speers bei Sulin, eine große Frau mit dunkelrotem Haar und grauen Augen. Perrin starrte ihren Rücken an, wollte sie zwingen, zurückzubleiben und mit ihm zu reden. Sie gewährte ihm hin und wieder einen Blick, aber ansonsten mied sie ihn, als hätte er drei Krankheiten gleichzeitig. Bain befand sich nicht bei der Kolonne. Die meisten der Töchter des Speers folgten mit Rhuarc und den Algai'd'siswai auf dem gleichen Weg, aber sie kamen wegen der Wagen und der Gefangenen langsamer voran.
Failes schwarze Stute trottete hinter Traber her, ihre Zügel an seinen Sattel gebunden. Die Leute von den Zwei Flüssen hatten Schwalbe aus Caemlyn mitgebracht, als sie sich Rand vor den Brunnen von Dumai anschlossen. Jedes Mal, wenn er die Stute betrachtete, die hinter ihm herstolzierte, stieg das Gesicht seiner Frau vor seinem geistigen Auge auf, ihre kühne Nase, die vollen Lippen und die blitzenden dunklen Augen, die schräg über hohen Wangenknochen angeordnet waren. Sie liebte das Tier, vielleicht ebenso sehr wie ihn. Sie war eine Frau, die genauso stolz wie schön und genauso leidenschaftlich wie stolz war. Davram Basheres Tochter würde nichts verbergen oder auch nur verheimlichen, nicht so wie Colavaere.
Sie machten vier Mal Rast, damit sich die Pferde ausruhen konnten, und er knirschte wegen dieser Verzögerung mit den Zähnen. Da es seine zweite Natur war, sich gut um die Pferde zu kümmern, überprüfte er Traber geistesabwesend und gab dem Hengst mechanisch ein wenig Wasser. Schwalbe versorgte er sorgfältiger. Wenn Schwalbe Cairhien sicher erreichte... Ein Gedanke hatte sich in seinem Kopf festgesetzt. Wenn er ihre Stute nach Cairhien brachte, würde es Faile gutgehen. Es war ein lächerlicher Gedanke, der Phantasie eines Jungen entsprungen, aber er wollte nicht vergehen.
Bei jeder Rast versuchte Min, ihn zu beruhigen. Sie sagte mit neckischem Grinsen, er sähe aus wie der Tod an einem Wintermorgen, der nur darauf wartete, daß jemand sein Grab zuschaufelte. Sie sagte ihm, daß Faile ihm die Tür vor der Nase zuschlagen würde, wenn er seiner Frau mit diesem Gesicht gegenüberträte. Aber sie mußte auch zugeben, daß keine ihrer Visionen versprach, daß Faile unbeschadet sei.
»Licht, Perrin«, sagte sie schließlich verärgert, während sie ihre grauen Reithandschuhe zurechtzog, »wenn jemand dieser Frau zu schaden versucht, wird sie ihn noch warten lassen, bis sie Zeit für ihn hat.« Er hätte sie beinahe angefahren, obwohl sie sich eigentlich mochten.
Loial erinnerte Perrin daran, daß sich die Jäger des Horns um sich selbst kümmern konnten und daß Faile sogar die Trollocs überlebt hatte. »Es geht ihr gut, Perrin«, dröhnte er zuversichtlich, während er mit seiner langen Streitaxt über den Schultern neben Traber herlief. »Ich weiß es.« Aber das hatte er schon zwanzig Mal gesagt, und es klang jedes Mal etwas weniger aufrichtig.
Der letzte Ermutigungsversuch des Ogiers ging weiter, als er es beabsichtigt hatte. »Faile kann auf sich selbst aufpassen, Perrin. Sie ist nicht wie Erith. Ich kann es kaum erwarten, daß Erith mich zu ihrem Ehemann macht, damit ich mich um sie kümmern kann. Ich glaube, ich würde sterben, wenn sie ihre Meinung änderte.« Danach blieb ihm der Mund offenstehen, und seine großen Augen traten hervor. Er stolperte mit aufgeregt zuckenden Ohren über seine eigenen Stiefel und fiel beinahe hin. »Das wollte ich gar nicht sagen«, bemerkte er rauh, während er weiter neben Perrins Pferd herschritt. Seine Ohren bebten noch immer. »Ich bin nicht sicher, daß ich ... ich bin zu jung, um...«
Er schluckte heftig und sah Perrin und auch den voranreitenden Rand anklagend an. »Es ist einfach gefährlich, wenn man in Gegenwart zweier Ta'veren den Mund öffnet. Alles könnte hervordringen!« Aber nichts, was er nicht ohnehin gesagt hätte, wie er nur zu gut wußte, und was auch jederzeit hätte geschehen können, wenn keine Ta'veren dabeigewesen wären. Loial wußte auch das, und dieser Umstand schien ihn zu erschrecken. Es verging geraume Zeit, bevor die Ohren des Ogiers zu beben aufhörten.
Zwar dachte Perrin ausschließlich an Faile, aber er war nicht völlig blind. Als sie Richtung Südwesten ritten, drang das erste, was er unbewußt bemerkte, nur allmählich auf ihn ein. Es war nicht heiß gewesen, als er vor weniger als zwei Wochen von Cairhien nach Norden geeilt war, aber jetzt schien es, als hätte der Dunkle König einen festeren Zugriff auf das Land erlangt und schinde es noch härter als zuvor. Sprödes Gras knisterte unter den Pferdehufen, verkümmerte braune Kriechgewächse überzogen die Felsen an den Hängen wie Spinnweben, und kahle Zweige - nicht nur unbelaubt, sondern verdorrt - knackten, wenn der trockene Wind in Böen heranwehte. Immergrüne Föhren und Lederblattbäume waren zur Hälfte braun und gelb verfärbt.
Nach wenigen Meilen tauchten Bauernhöfe auf, einfache, quadratisch angelegte Gebäude aus dunklem Stein, die ersten auf abgelegenen Lichtungen im Wald, dann mehrere, als der Wald sich lichtete und kaum noch diesen Namen verdiente. Eine Wagenstraße hatte sich hierher verirrt, verlief über die Schultern und Kämme der Hügel und paßte sich eher den von Steinmauern eingefaßten Feldern als dem Gelände an. Die meisten dieser zunächst zu sehenden Bauernhöfe wirkten verlassen, hier ein umgestürzt vor einem Wohngebäude liegender Stuhl mit leiterförmiger Rückenlehne, dort eine Stoffpuppe an der Straße. Magere Rinder und träge Schafe sprenkelten Weiden, auf denen sich häufig Raben über Kadavern zankten. Auf kaum einer Weide waren weniger als ein oder zwei Kadaver zu sehen. Wasserläufe liefen nur noch als Rinnsale durch vertrockneten Schlamm. Ackerboden, der jetzt von Schnee hätte bedeckt sein sollen, war fast überall zu Staub zerfallen.
Eine hoch aufragende Staubsäule kennzeichnete den Weg der Kolonne, bis der schmale Erdweg auf die breite, gepflasterte Straße vom Jangai-Paß führte. Hier waren Menschen unterwegs, wenn auch nur wenige und diese oft teilnahmslos und mit matten Augen. Obwohl die Sonne inzwischen halbwegs untergegangen war, war die Luft noch immer heiß wie in einem Backofen. Gelegentlich verließen Ochsenkarren oder Pferdewagen eilig die Straße, wichen in schmale Pfade oder sogar auf Felder aus und machten Platz. Die Wagenlenker und die Handvoll Bauersleute auf den Feldern beobachteten mit ausdruckslosen Gesichtern, wie die drei Banner vorüberzogen.
Nahezu eintausend bewaffnete Männer waren Grund genug zu starren. Eintausend bewaffnete Männer, die zu einem bestimmten Zweck irgendwohin unterwegs waren. Grund genug zu starren und dankbar zu sein, wenn sie außer Sicht gelangten.
Kurz vor dem Horizont führte die Straße auf eine Anhöhe, von der aus man Cairhien zwei bis drei Meilen voraus liegen sah. Rand verhielt sein Pferd, und die Töchter des Speers, die jetzt alle zusammen waren, kauerten sich an Ort und Stelle nieder.
Nichts bewegte sich auf den fast baumlosen Hügeln um die Stadt, die eine gewaltige, im Westen zum Alguenya hin abfallende, eckige Mauern und kantige Türme aufweisende und starr wirkende Masse grauen Steins war. Schiffe aller Größen hatten im Fluß Anker geworfen, und einige hatten an den Docks am entgegengesetzten Ufer festgemacht, wo sich die Getreidespeicher befanden. Einige Schiffe fuhren mit gesetzten Segeln dahin. Sie vermittelten den Eindruck von Frieden und Wohlstand. Da keine Wolke am Himmel stand, war die Luft klar, und Perrin konnte die großen, auf den Türmen der Stadt wehenden Banner deutlich erkennen, als der Wind sie entfaltete: das scharlachrote Banner des Lichts und das weiße Drachenbanner sowie die goldene, aufgehende Sonne von Cairhien mit ihren wellenförmigen Strahlen auf blauem Grund. Und ein viertes Banner, das ebenso ins Auge sprang wie die anderen. Es zeigte einen Silberdiamant auf einem gelb und rot karierten Feld.
Dobraine senkte das kleine Fernglas und verstaute es stirnrunzelnd in einer an seinem Sattel befestigten Lederhülle. »Ich hatte gehofft, die Wilden hätten sich geirrt, aber wenn das Haus Saighan die aufgehende Sonne hißt, hat Colavaere den Thron inne. Sie wird jeden Tag in der Stadt Geschenke verteilt haben: Geld, Nahrung, Putz. Das ist bei den Krönungsfeierlichkeiten Tradition. Ein Regent ist niemals beliebter als in der Woche nach seiner Thronbesteigung.« Er sah Rand von der Seite an. Die bemühte Offenheit ließ sein Gesicht hohl wirken. »Die Bürgerlichen könnten sich erheben, wenn ihnen Eure Handlungsweise nicht gefällt. Die Straßen könnten von Blut erfüllt werden.«
Haviens grauer Wallach reagierte auf die Ungeduld seines Reiters mit Unruhe. Der Mann schaute ständig zwischen Rand und der Stadt hin und her. Es war nicht seine Stadt. Er hatte schon früher deutlich gemacht, daß es ihn wenig kümmerte, was in deren Straßen vor sich ging, solange sein Regent in Sicherheit war.
Rand betrachtete die Stadt lange Zeit versonnen. Zumindest schien es so. Aber was auch immer er sah -sein Gesicht blieb ausdruckslos. Min musterte ihn besorgt und vielleicht auch ein wenig mitleidig. »Ich werde versuchen, dafür zu sorgen, daß das nicht geschieht«, sagte er schließlich. »Flinn, bleibt mit den Soldaten hier. Min...«
Sie unterbrach ihn heftig. »Nein! Ich gehe dahin, wo du hingehst, Rand al'Thor. Du brauchst mich, und das weißt du.« Letzteres klang mehr nach einer Bitte als nach einem Anspruch, aber wenn eine Frau auf ihre Art die Fäuste in die Hüften stemmte und angespannt dreinsah, bat sie nicht.
»Ich gehe auch mit«, fügte Loial hinzu, der auf seiner langstieligen Streitaxt lehnte. »Du unternimmst immer etwas, wenn ich gerade woanders bin.« Seine Stimme nahm einen klagenden Unterton an. »Das geht nicht, Rand. Es wird für das Buch nicht genügen. Wie kann ich über Dinge schreiben, die ich nicht miterlebt habe?«
Rand sah noch immer Min an, hatte die Hand halbwegs zu ihr ausgestreckt, ließ sie dann aber wieder sinken. Sie hielt seinem Blick gleichmütig stand.
»Das ist ... verrückt.« Dashiva hielt die Zügel starr in der Hand und führte die gedrungene Stute näher an Rands Schwarzen heran. Sein Gesicht zeigte einen widerwilligen Ausdruck. Vielleicht bereitete es sogar Asha'man Unbehagen, Rand nahe zu sein. »Es braucht nur irgendwo ein Mann mit einem ... einem Bogen oder Dolch zu lauern, den Ihr nicht rechtzeitig seht. Schickt einen der Asha'man, das zu tun, was getan werden muß, oder auch mehr, wenn Ihr es für notwendig haltet. Es könnte ein Wegetor zum Palast eröffnet werden, bevor irgend jemand erkennt, was geschehen ist.«
»Und wir müßten bis nach Einbruch der Dunkelheit hier warten«, unterbrach Rand ihn und wendete seinen Hengst, um Dashiva anzusehen, »bis sie diesen Ort ausreichend gut kennen, um eines zu eröffnen. Auf diese Weise gibt es bestimmt Blutvergießen. Man hat uns von den Mauern aus bereits gesehen, es sei denn, sie sind blind. Sie werden früher oder später jemanden schicken, um herauszufinden, wer und wie viele wir sind.« Die restliche Kolonne hielt sich hinter dem Hügel verborgen, und auch die Banner waren dort zurückgeblieben, aber Reiter auf einem Hügelkamm in Begleitung von Töchtern des Speers würden schon genügend Neugier erwecken. »Ich werde dies auf meine Art handhaben.« Seine Stimme wurde vor Verärgerung lauter, und er roch nach kaltem Zorn. »Niemand wird sterben, wenn es zu verhindern ist, Dashiva. Ich habe genügend Tote gesehen. Versteht Ihr mich? Niemand wird sterben!«
»Wie mein Lord Drache befiehlt.« Der Bursche neigte den Kopf, aber er klang ungehalten, und er roch...
Perrin rieb sich die Nase. Der Geruch ... unberechenbar, ein wilder Wechsel von Angst und Haß und Zorn und einem Dutzend weiterer Empfindungen, fast zu schnell aufeinanderfolgend, um sie zu bestimmen. Perrin bezweifelte nicht mehr, daß der Mann wahnsinnig war, welch unschuldiges Gesicht er auch zeigte. Es kümmerte ihn aber nicht mehr wirklich. So nahe...
Er grub Traber die Fersen in die Flanken, hielt auf die Stadt und Faile zu, ohne auf die anderen zu warten, und bemerkte kaum, daß Aram dicht hinter ihm war. Er mußte Aram nicht sehen, um zu wissen, daß er es war. Er konnte nur noch an Faile denken. Wenn er Schwalbe sicher in die Stadt brachte... Er zwang sich, Traber nur in schnellem Schritt laufen zu lassen. Ein galoppierender Reiter zog Blicke und Fragen auf sich, was Verzögerungen bedeutet hätte.
In diesem Tempo holten diejenigen, die mit in die Stadt kamen, Aram und ihn nur allzu schnell ein. Min hatte anscheinend ihren Weg gefunden und Loial ebenso. Die Töchter des Speers verteilten sich voraus, und einige warfen Perrin mitfühlende Blicke zu, während sie vorüberritten. Chiad blickte nur zu Boden.
»Dieser Plan gefällt mir noch immer nicht«, murrte Havien neben Rand. »Verzeiht, mein Lord Drache, aber so ist es.«
Dobraine auf Rands anderer Seite brummte. »Das haben wir bereits besprochen, Mayener. Wenn wir Euren Vorstellungen gefolgt waren, hätte man die Tore vor uns geschlossen, bevor wir auch nur eine Meile zurückgelegt hätten.« Havien grollte leise, worauf sein Pferd unruhig wurde. Er hatte erreichen wollen, daß jeder einzelne Mann Rand in die Stadt folgte.
Perrin schaute über die Schulter und an Aram vorbei. Damer Flinn, an seinem Umhang zu erkennen, und einige wenige Männer von den Zwei Flüssen waren auf dem Hügelkamm zu sehen, wo sie mit ihren Pferden standen. Perrin seufzte. Er hätte nichts dagegen gehabt, einige von ihnen mitzunehmen. Aber Rand hatte wahrscheinlich recht, und Dobraine hatte ihn auch unterstützt.
Einige wenige Männer konnten in die Stadt gelangen, was einem kleinen Heer nicht gelingen würde. Wenn die Tore geschlossen waren, würden die Aiel die Stadt stürmen müssen, und dann begann das Töten erneut. Rand hatte das Drachenszepter in einer der Satteltaschen des Pferdes verstaut, so daß nur der geschnitzte Knauf hervorsah, und sein Umhang sah nicht aus wie ein Kleidungsstück des Wiedergeborenen Drachen. Was die Asha'man betraf, so wußte keiner der Stadtbewohner, was ein schwarzer Umhang bedeutete. Einige wenige Männer waren auch leichter zu töten als ein kleines Heer, auch wenn die meisten von ihnen die Macht lenken konnten. Perrin hatte gesehen, wie ein Shaido-Speer einen Asha'man durchbohrt hatte, und der Mann war nicht schwerer gestorben als jeder andere auch.
Dashiva brummte leise etwas. Perrin hörte ›Held‹ und ›Narr‹ in gleichermaßen verächtlichem Tonfall. Wäre Faile nicht gewesen, hätte er vielleicht zugestimmt. Rand spähte in Richtung des sich zwei oder drei Meilen östlich der Stadt über die Hügel erstreckenden Aiel-Lagers, und Perrin hielt den Atem an, aber was Rand auch immer dachte - er ritt zumindest weiter. Nichts war wichtiger als Faile. Nichts, ob Rand der gleichen Meinung war oder nicht.
Ungefähr eine halbe Meile vor den Toren ritten sie in ein anderes Lager ein, eines, das Perrin stirnrunzelnd betrachtete. Es war groß genug, daß es eine Stadt hätte sein können, ein dichtes Band von baufälligen Reisighütten und aus Fetzen gefertigten, wackeligen Zelten, auf verbranntem Boden und an hohe graue Mauern gedrängt, so weit man sehen konnte. Dieser Bereich war einst das Vortor genannt worden - ein übervölkerter Bezirk mit gewundenen Straßen und Gassen -, bevor die Shaido ihn niederbrannten. Einige Menschen beobachteten schweigend, wie die seltsame Gesellschaft vorüberzog, der Ogier und die Aiel-Töchter des Speers, aber die meisten kümmerten sich hastig und mit verdrossenem Gesicht um ihre Angelegenheiten und achteten darauf, nichts wahrzunehmen, was sich nicht unmittelbar vor ihnen ereignete. Die bunten Farben und der häufig abgelegte Putz, die die Vorortbewohner trugen, vermischten sich mit der für die Cairhiener gebräuchlicheren düsteren Kleidung und den einfachen dunklen Kleidern der Dörfler und Bauern. Die Vorortbewohner waren in der Stadt gewesen, als Perrin sie verlassen hatte, zusammen mit Tausenden von Flüchtlingen aus dem tieferen Landesinneren. Viele jener Gesichter wiesen jetzt Quetschungen, Schnitte und Risse auf, die häufig unverbunden waren. Colavaere mußte sie vertrieben haben. Sie hätten den Schutz der Mauern nicht freiwillig verlassen. Vorortbewohner und Flüchtlinge fürchteten die Rückkehr der Shaido gleichermaßen.
Die Straße verlief mitten durch das Lager bis zu den Jangai-Toren, drei hohe, eckige, von Türmen flankierte Bögen. Männer mit Helmen schlenderten oben auf den Festungsmauern umher und spähten durch Lücken in den Steinzacken herab. Einige blickten zu den Männern auf dem Hügelkamm, und hier und da hielt ein Offizier mit einem Con ein Fernglas an die Augen. Rands kleine Gruppe zog fragende Blicke auf sich. Männer zu Pferde und Aiel-Töchter des Speers - keine gewöhnlichen Gefährten. Armbruste tauchten auf der gezacken Mauer auf, aber niemand erhob die Waffe. Die eisenbeschlagenen Tore standen offen. Perrin hielt den Atem an. Er wäre am liebsten im Galopp zum Sonnenpalast und zu Faile geeilt.
Unmittelbar innerhalb der Tore stand ein aus Stein erbautes viereckiges Wachhaus, wo sich Stadtfremde anmelden sollten. Ein cairhienischer Offizier mit kantigem Gesicht beobachtete mit verärgertem Stirnrunzeln, wie sie vorüberritten, und beäugte die Töchter des Speers unbehaglich. Er stand einfach nur da und schaute.
»Wie ich Euch gesagt habe«, bemerkte Dobraine, als sie das Wachhaus hinter sich gelassen hatten. »Colavaere hat für die Krönungsfeierlichkeiten freien Zugang zur Stadt gewährt. Das ist Tradition.« Es klang jedoch erleichtert. Min seufzte hörbar, und Loial ließ einen Atemzug ausströmen, den man noch zwei Straßen weiter hätte hören können. Perrins Brust war noch zu angespannt, als daß er hätte seufzen können. Schwalbe war in Cairhien. Wenn er sie jetzt nur noch zum Königlichen Palast bringen könnte.
Cairhien hielt aus der Nähe, was es aus der Ferne versprochen hatte. Der höchste Hügel lag innerhalb der Mauern, aber die Hügel waren terrassenförmig angeordnet, wodurch sie gar nicht mehr wie Hügel wirkten. Breite, bevölkerte Straßen trafen in rechten Winkeln aufeinander. In dieser Stadt bildeten sogar die Gassen Gitter. Die Straßen hoben und senkten sich zum Teil mit den Hügeln, schnitten aber auch häufig einfach durch sie hindurch. Alle Gebäude von den Läden bis zu den Palästen waren starre Quadrate und strenge Rechtecke, auch die großen, durch Strebepfeiler gestützten Türme auf den Hügelkämmen, deren jeder von einem Gerüst umgeben war: die einst legendären Türme von Cairhien, die noch immer im Wiederaufbau begriffen waren, nachdem sie im Aiel-Krieg verbrannt waren. Die Stadt schien härter als Stein, ein erdrückender Ort, und Schatten erstreckten sich über alles, was diese Wirkung noch erhöhte. Loials Pinselohren zuckten fast unaufhörlich. Er runzelte besorgt die Stirn, und seine herabhängenden Augenbrauen streiften seine Wangen.
Es waren nur wenige Anzeichen der Krönungsfeierlichkeiten oder für Hoch Chasaline zu erkennen. Perrin wußte nicht, was das Fest mit sich bringen würde, aber in den Zwei Flüssen war der Tag der Besinnung eine Zeit der Freude und des Vergessens der Öde des Winters. Hier aber herrschte, trotz der vielen Menschen, fast Stille. Anderenorts hätte Perrin vielleicht geglaubt, die unnatürliche Hitze bedrücke die Menschen, aber Cairhien war bis auf das Lager der Vorortbewohner ein nüchterner, strenger Ort. Zumindest oberflächlich. Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, was darunter lag. Die Straßenhändler und Wagenhöker, an die er sich erinnerte, waren aus den Straßen verschwunden, wie auch die Musikanten und Akrobaten und Puppenspieler. Sie hielten sich jetzt gewiß im Lager des Pöbels außerhalb der Mauern auf. Einige wenige geschlossene, dunkle Wagen fädelten sich durch die stille Menschenmenge, einige mit etwas größeren Hausbannern als der Con, der starr über allem stand. Sie bewegten sich genauso langsam voran wie die Ochsenkarren mit den nebenher laufenden, den Stachelstock schwenkenden Führern, und ihre Achsen quietschten in der Stille. Fremde fielen auf, gleichgültig wie dunkel ihre Hautfarbe war, weil nur wenige Menschen außer den Fremden ritten. Die fast unvermeidlich kleineren Einheimischen wirkten in ihrer dunklen Kleidung wie blaßgesichtige Krähen. Natürlich fielen auch Aiel auf. Ob sie allein oder zu zehnt waren - sie durchschritten stets Freiräume in der Menge. Blicke wurden ruckartig abgewendet, und Lücken eröffneten sich um sie herum, wohin auch immer sie gingen.
Aielgesichter wandten sich der Gruppe zu, während sie sich langsam ihren Weg durch die Menge bahnte. Auch wenn nicht alle Rand in seinem grünen Umhang erkannten, wußten sie doch, wer ein großer, von Töchtern des Speers begleiteter Feuchtländer sein mußte. Die Gesichter verursachten Perrin eine Gänsehaut. Jetzt war er dankbar dafür, daß Rand alle Aes Sedai zurückgelassen hatte. Abseits der Aiel bewegte sich der Wiedergeborene Drache durch einen Strom der Gleichgültigkeit, der sich für die Töchter des Speers teilte und sich hinter den Asha'man wieder schloß.
Der Königliche Palast von Cairhien, der Sonnenpalast, der Palast der prachtvoll aufgehenden Sonne - die Cairhiener waren gut darin, Namen zu ersinnen, deren jeder noch ausgefallener war als der vorige - stand auf dem höchsten Hügel der Stadt, eine dunkle Masse kantiger Blöcke mit alles überragenden Stufentürmen. Die Straße wurde zu einer langen, breiten, zum Palast hinaufführenden Rampe, und Perrin atmete tief durch, als sie den Aufstieg begannen. Faile war dort oben. Sie mußte dort sein. Und sie mußte in Sicherheit sein. Was auch immer sonst sie vorfinden würden - sie mußte in Sicherheit sein. Er berührte den Knoten, mit dem Schwalbes Zügel an seinem Sattelknauf befestigt waren, und strich über die Streitaxt an seiner Taille. Die beschlagenen Pferdehufe hallten auf den Pflastersteinen laut wider, während die Töchter des Speers überhaupt kein Geräusch verursachten.
Die Wächter an den großen geöffneten Bronzetoren beobachteten ihre langsame Annäherung und wechselten Blicke. Sie wirkten für cairhienische Soldaten farbenfreudig, zehn Männer mit der goldenen aufgehenden Sonne auf den Brustharnischen und den unter die Spitzen ihrer Hellebarden gebundenen Tüchern in den Farben des Hauses Saighan. Perrin hätte ihre Gedanken aufschreiben können. Dreizehn Reiter, die es nicht eilig hatten und von denen nur zwei Harnische trugen, einer im Rot der Mayener. Mögliche Probleme würden durch Caraline Damodred und Toram Riatin entstehen. Außerdem war da eine Frau, und ein Ogier. Sie wollten sicherlich keine Schwierigkeiten machen. Dennoch liefen ungefähr drei Dutzend Töchter des Speers den Pferden voran, die nicht so aussahen, als kämen sie zum Tee. Die Situation hing einen Moment in der Schwebe. Dann verschleierte sich eine Tochter des Speers. Die Wächter zuckten zusammen, als wären sie gestochen worden, und einer neigte seine Hellebarde und kam eilig auf die Tore zu. Er tat zwei Schritte und blieb dann starr wie eine Statue stehen. Alle Wächter blieben starr stehen. Nur ihre Köpfe bewegten sich noch.
»Gut«, murmelte Rand. »Jetzt bindet die Ströme ab und laßt sie für später zurück.«
Perrin zuckte unbehaglich die Achseln. Die Asha'man hatten sich hinter ihnen verteilt und fast die gesamte Breite der Rampe eingenommen. Sie benutzten offensichtlich die Macht. Sehr wahrscheinlich könnten diese acht den ganzen Palast auseinandernehmen -was Rand vielleicht auch allein gelänge. Aber wenn jene Türme Armbrustpfeile zu speien begannen, würden auch sie zusammen mit allen anderen sterben, auf dieser freiliegenden Rampe gefangen, die auf einmal nicht mehr so breit wirkte.
Niemand beschleunigte seinen Schritt. Aller auf die hohen, schmalen Fenster des Palastes und auf die hoch über ihnen gelegenen Säulengänge gerichteten Augen konnten nichts Ungewöhnliches entdecken. Sulin verständigte sich schnell in der Zeichensprache der Töchter des Speers, und die Tochter des Speers, die sich verschleiert hatte, senkte das schwarze Tuch mit gerötetem Gesicht eilig wieder. Es war ein langsamer Zug, der die Steinrampe hinaufschlich. Einige der Wächter schüttelten mit rollenden Augen die behelmten Köpfe. Ein Wächter schien ohnmächtig geworden zu sein, da er mit dem Kinn auf der Brust aufrecht zusammengesunken war. Ihre Münder waren geöffnet, aber kein Laut drang hervor. Perrin wollte lieber nicht darüber nachdenken, was sie geknebelt hatte. Sie zogen langsam durch die geöffneten Bronzetore und in den Haupthof.
Hier waren keine Soldaten zu sehen. Die Steinbalkone rund um den Hof waren unbesetzt. Livrierte Diener eilten mit gesenkten Blicken herbei, um die Zügel der Pferde zu übernehmen und die Steigbügel zu halten. Rote, gelbe und silberne Streifen verliefen die Ärmel ansonsten dunkler Gewänder hinab, und jeder Diener trug eine kleine aufgehende Sonne auf der linken Brustseite. Das war eine größere Farbenpracht, als Perrin bisher bei cairhienischen Dienern gesehen hatte. Sie konnten die Wächter draußen nicht sehen, hätten aber auch kaum anders gehandelt, wenn sie diese hätten sehen können. In Cairhien spielten Diener ihre eigene Version von Daes Dae'mar, dem Spiel der Häuser, und gaben vor, die Taten der über ihnen Stehenden nicht zu bemerken. Wenn man zu offensichtlich bemerkte, was unter den Bessergestellten vor sich ging - oder dabei ertappt wurde -, mochte man miteinbezogen werden. In Cairhien und vielleicht auch in den meisten anderen Ländern konnten gewöhnliche Menschen dort, wo die Mächtigen entlangschritten, unbemerkt zertreten werden.
Eine stattliche Frau führte Traber und Schwalbe davon, ohne Perrin auch nur einmal richtig anzusehen. Schwalbe war im Sonnenpalast - und es bedeutete keinen Unterschied. Er wußte noch immer nicht, ob Faile lebte oder tot war. Die törichte Phantasie eines dummen Jungen.
Er verlagerte die Streitaxt an seiner Taille, folgte Rand die breite graue Treppe am Ende des Hofes hinauf und nickte Aram zu, als dieser erneut über die Schulter griff, um sein Schwert zurechtzurücken. Livrierte Männer öffneten schwungvoll die großen Türen oben an der Treppe, die ebenso aus Bronze bestanden wie die äußeren Tore und großzügig mit der aufgehenden Sonne von Cairhien gekennzeichnet waren.
Früher hätte die Eingangshalle Perrin mit ihrer Pracht beeindruckt. Dicke kantige Pfeiler aus dunklem Marmor hielten eine eckig gewölbte, zehn Fuß über abwechselnd dunkelblauen und tiefgoldenen Bodenfliesen aufragende Decke. Vergoldete aufgehende Sonnen waren um die Gesimse angeordnet, und in die Wände gemeißelte Friese zeigten cairhienische Triumphe. Die Halle war leer, bis auf eine Handvoll junger Männer, die unter einem der Friese zusammenstanden und in Schweigen versanken, als Perrin und die anderen eintraten.
Dann erkannte Perrin, daß nicht alle Männer waren. Zwar trugen sie alle Schwerter, aber vier der sieben waren Frauen, in Umhängen und engen Hosen, die Mins sehr ähnlich waren, und ihr Haar war genauso kurz geschnitten wie das der Männer, was nicht besonders kurz bedeutete. Männer und Frauen hatten es gleichermaßen zu einer Art Pferdeschwanz zusammengenommen, der bis auf die Schultern reichte und mit einem dunklen Band gebunden war. Eine der Frauen trug ein etwas helleres Grün als bei Cairhienern üblich, und eine andere ein strahlendes Blau. Die übrigen waren in dunkle Farben mit wenigen hellen Streifen über der Brust gekleidet. Sie betrachteten Rands Gruppe - und besonders ihn, wie Perrin erkannte; seine gelben Augen überraschten die Menschen, obwohl er es kaum noch bemerkte, es sei denn, jemand zuckte zurück oder machte Aufhebens davon -, musterten sie schweigend, bis auch der letzte Asha'man die Halle betreten hatte und die Türen zufielen. Einen Moment überlagerte das Dröhnen der sich schließenden Türen das kurzzeitige heftige Flüstern. Dann stolzierten sie näher heran, wobei die Frauen noch anmaßender einherschritten als die Männer, was schon eine Leistung war. Sogar ihr Niederknien wirkte anmaßend.
Die grün gekleidete Frau schaute zu der Frau in Blau, die den Kopf senkte und sagte: »Mein Lord Drache, ich bin Camaille Nolaisen. Selande Darengil führt unsere Gruppe an...« Sie blinzelte, als die Frau in Blau ihr einen scharfen Blick zuwarf. Trotz des Blicks roch Selande zutiefst verängstigt, wenn Perrin richtig herausgespürt hatte, zu wem der Geruch gehörte. Camaille räusperte sich und fuhr fort: »Wir dachten nicht... Wir hatten nicht erwartet, daß Ihr ... so bald zurückkehrt.«
»Ja«, sagte Rand leise. »Ich bezweifle, daß irgend jemand erwartet hat, daß ich ... so bald zurückkehre. Niemand von Euch hat Grund, mich zu fürchten. Überhaupt niemand. Wenn Ihr etwas glauben wollt, dann das.« Bei diesen Worten sah er überraschenderweise direkt Selande an. Ihr Kopf ruckte hoch und sie betrachtete ihn, während der Angstgeruch verging. Nicht vollständig, aber weitgehend. »Wo ist Colavaere?« fragte Rand.
Camaille öffnete den Mund, aber Selande antwortete.
»In der Großen Halle der Sonne.« Ihre Stimme wurde beim Sprechen bestimmter und der Angstgeruch schwächer. Seltsamerweise war kurzzeitig leichte Eifersucht im Spiel, nur einen Augenblick, als sie Min ansah. Manchmal war Perrins Geruchssinn eher verwirrend als erleuchtend. »Dort findet die dritte Sonnenuntergangsversammlung statt«, fuhr sie fort. »Wir sind nicht wichtig genug, um daran teilnehmen zu dürfen. Außerdem glaube ich, daß wir Colavaere Unbehagen bereiten.«
»Die dritte Versammlung«, murmelte Dobraine. »Es ist bereits der neunte Sonnenuntergang nach ihrer Krönung. Sie hat keine Zeit verschwendet. Zumindest werden sie alle zusammen sein. Niemand irgendeines Ranges oder mit irgendwelchen Ansprüchen wird die Versammlung versäumen, gleichgültig ob Cairhiener oder Tairener.«
Selande richtete sich auf, und es gelang ihr, den Eindruck zu erwecken, als würde sie Rand offen ansehen. »Wir sind bereit, die Klingen für Euch tanzen zu lassen, mein Lord Drache.« Sulin zuckte zusammen und schüttelte den Kopf, und eine andere Tochter des Speers stöhnte hörbar. Mehrere wirkten und rochen bereit, auf der Stelle Gewalt anzuwenden. Die Aiel konnten sich nicht entscheiden, was mit diesen jungen Feuchtländern zu tun sei. Aus der Sicht der Aiel bestand die Schwierigkeit darin, daß sie in gewisser Weise Aiel zu sein und dem Ji'e'toh zu folgen versuchten - allerdings auf ihre Art. Diese Sieben waren nicht alle. Es gab mindestens Hunderte dieser Schwachsinnigen, die überall in der Stadt anzutreffen waren, in Gemeinschaften organisiert, und eine Nachahmung der Aiel darstellten. Die Hälfte der Aiel, die Perrin sie hatte erwähnen hören, wollten helfen, und die andere Hälfte wollten sie erwürgen.
Perrin kümmerte es nicht, ob sie das Ji'e'toh entehrten. »Wo ist meine Frau?« verlangte er zu wissen. »Wo ist Faile?« Die jungen Narren wechselten vorsichtige Blicke. Vorsichtige!
»Sie ist ebenfalls in der Großen Halle der Sonne«, sagte Selande zögernd. »Sie ist eine von Königin ... von Colavaeres Zofen.«
»Hör auf zu starren«, flüsterte Min. »Sie muß einen guten Grund dafür haben. Du weißt, daß es so sein muß.«
Perrin zuckte in seinem Umhang die Achseln und versuchte sich zusammenzureißen. Eine von Colavaeres Zofen? Welchen Grund auch immer sie dafür hatte -es mußte wirklich ein guter Grund sein. Soviel wußte er mit Bestimmtheit. Aber was mochte der Grund dafür sein?
Selande und die anderen wechselten erneut vorsichtige Blicke. Einer der Männer, ein junger Bursche mit spitzer Nase, flüsterte heftig: »Wir haben geschworen, es niemandem zu sagen! Niemandem! Beim Wassereid!«
Bevor Perrin Aufklärung verlangen konnte, sprach Rand. »Selande, führt uns zur Großen Halle. Es werden keine Klingen gezogen werden. Ich bin hier, damit alle, die es verdienen, Gerechtigkeit erfahren.«
Etwas in seiner Stimme ließ Perrins Nackenhaare sich aufrichten. Eine unendliche Härte hatte darin mitgeklungen. Faile hatte einen guten Grund. Sie mußte ihn haben.