Der Tarasin-Palast erstrahlte in schimmerndem Marmor und weißem Putz mit geschützten Balkonen aus weiß bemaltem Schmiedeeisen und Säulengängen bis vier Stockwerke über dem Boden. Tauben schwirrten um spitz zulaufende Kuppeln herum, und hohe, mit Balkonen verzierte Erker, die durch rote und grüne Ziegel miteinander verbunden waren, glänzten in der Sonne. Prächtige Bogentore im Palast selbst führten auf verschiedene Höfe, und weitere befanden sich in den hohen Mauern, die die Gärten verbargen; tiefe, schneeweiße, zehn Spann breite Stufen führten auf die dem Mol-Hara-Platz gegenüberliegende Seite zu großen, mit gehämmertem Gold belegten Türen hinauf, die wie die Balkongitter mit gewundenen Mustern verziert waren.
Die ungefähr ein Dutzend Wächter, die sich vor diesen Türen aufgereiht hatten und in der Sonne schwitzten, trugen vergoldete Brustharnische über grünen Umhängen und sackartigen weißen Hosen, die in dunkelgrünen Stiefeln steckten. Grüne Schnüre sicherten dichte Geflechte weißen Stoffs um Goldhelme, deren lange Enden ihre Rücken hinabhingen.
Selbst die Hellebarden und die Scheiden ihrer Dolche und Kurzschwerter schimmerten golden. Wächter, die imponieren, aber nicht kämpfen sollten. Aber als Mat ihnen nahe kam, konnte er die SchwertkämpferSchwielen an ihren Händen erkennen. Er war zuvor stets durch einen der Stallhöfe hereingekommen, um die Palastpferde im Vorbeigehen zu überprüfen, aber dieses mal betrat er den Palast, wie ein Lord es tun würde.
»Das Licht segne Euch alle«, sagte er zum wachhabenden Offizier, einen Mann, der nicht viel älter war als er selbst. Ebou Dari waren höfliche Menschen. »Ich bin gekommen, um Nynaeve Sedai und Elayne Sedai eine Nachricht zu hinterlassen. Oder sie ihnen zu überbringen, falls sie schon zurückgekehrt sind.«
Der Offizier sah ihn bestürzt an und blickte dann auf die Stufen. Die goldenen Schnüre wie auch das Grün an seinem Spitzhelm bezeichneten einen Rang, den Mat nicht kannte, und er trug ein vergoldetes Stangenbajonett anstatt einer Hellebarde, die ein scharfes Ende und einen Haken wie ein OchsenTreibstock aufwies. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte niemand den Palast jemals auf diesem Weg betreten. Er betrachtete Mats Umhang, sann sichtlich darüber nach und beschloß letztendlich, ihn nicht abweisen zu können. Der Mann erwiderte seufzend Mats Segenswunsch, fragte ihn nach seinem Namen, öffnete dann eine kleine Tür in einer der größeren Türen und führte ihn in eine gewaltige Eingangshalle, die von fünf mit Steinbrüstungen versehenen Balkonen unter einer kuppelartigen, wie ein Himmel mit Wolken und einer Sonne bemalten Decke umgeben war.
Der Wächter schnippte mit den Fingern und rief so eine schlanke junge Dienerin in einem weißen Gewand herbei, das auf der linken Seite hochgenäht und über der linken Brust mit grünem Anker und Schwert bestickt war. Sie kam eilig über den rotblauen Marmorboden heran und vollführte vor Mat und dem Offizier jeweils einen Hofknicks. Kurzes schwarzes Haar umrahmte ein liebliches, hübsches Gesicht mit seidiger olivfarbener Haut, und ihre Bedienstetentracht wies den tiefen, schmalen Ausschnitt auf, der allen Frauen Ebou Dars, außer den Adligen, eigen war. Aber dieses Mal bemerkte Mat es nicht. Als sie hörte, was er wollte, weiteten sich ihre großen schwarzen Augen noch mehr. Aes Sedai waren in Ebou Dar nicht unbeliebt, aber die meisten Ebou Dari würden dennoch einen weiten Umweg machen, um sie zu meiden.
»Ja, Schwert-Leutnant«, sagte sie und versank erneut in einen Hofknicks. »Natürlich, SchwertLeutnant. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt, mein Lord?« Mat wollte.
Außen funkelte Ebou Dar weiß, aber innen sprühte es vor Farben. Es schien im Palast Meilen breiter Gänge zu geben, in denen hier die hohen Decken blau und die Wände gelb und dort die Wände hellrot und die Decken grün waren, was sich nach jeder Biegung änderte, wenn Farbzusammenstellungen geboten wurden, die jedes Auge, außer dem eines Kesselflickers, beleidigten. Mats Stiefel klangen auf den Bodenfliesen, die in zwei oder drei oder manchmal auch vier Farben Rhomben- oder Stern- oder Dreiecksmuster bildeten, laut wider. Wo auch immer Gänge kreuzten, bestand der Boden aus einem Mosaik winziger Fliesen in komplizierten Wirbeln und Windungen und Schleifen. Einige wenige Seidengobelins zeigten Meeresszenen, und gewölbte Nischen bargen geschliffene Kristallschalen, kleine Statuen und gelbes Meervolk-Porzellan, das überall gutes Geld bringen würde. Gelegentlich eilte ein livrierter Diener schweigend vorbei, manchmal mit einem Gold- oder Silbertablett.
Normalerweise empfand Mat die Zurschaustellung von Reichtum als tröstlich, denn wo Geld war, könnte auch etwas an seinen Fingern haften bleiben. Doch dieses Mal empfand er mit jedem Schritt mehr Ungeduld. Und Angst. Als er die Würfel in seinem Kopf das letzte Mal so hart hatte fallen spüren, hatte er sich unmittelbar darauf mit dreihundert Mitgliedern der Bande und eintausend von Gaebrils Weißen Löwen auf einem Bergkamm vor sich wiedergefunden, sowie weiteren Tausend Mann, die eilig den Weg hinter ihm herankamen, obwohl er nur versucht hatte, dem ganzen Durcheinander zu entkommen. Damals war er dem Schlag durch die Gunst der Erinnerungen anderer Menschen und mehr Glück, als ihm zustand, ausgewichen. Die Würfel bedeuteten fast immer Gefahr und noch etwas, was er noch nicht herausgefunden hatte.
Die Vorstellung, den Schädel eingeschlagen zu bekommen, genügte nicht, aber die bevorstehende Wahrscheinlichkeit von Mat Cauthons auf irgendeine aufsehenerregende Weise eingetretenem Tod schien der üblichste Grund. Das war im Tarasin-Palast eher unwahrscheinlich, aber diese Unwahrscheinlichkeit ließ die Würfel nicht verschwinden. Er würde seine Nachricht loswerden, Nynaeve und Elayne am Kragen packen, wenn er die Gelegenheit dazu bekam, ihnen die Leviten lesen und dann gehen.
Die junge Frau glitt vor ihm dahin, bis sie auf einen kleineren, gedrungenen Mann trafen, der ein wenig älter als sie war, ein weiterer Diener in einer engen weißen Hose, einem weißen Hemd mit weiten Ärmeln und einer langen grünen Weste mit dem Anker und Schwert des Hauses Mitsobar in einer weißen Scheibe. »Meister Jen«, sagte sie und vollführte erneut einen Hofknicks, »dies ist Lord Mat Cauthon, der eine Nachricht für die geehrte Elayne Aes Sedai und die geehrte Nynaeve Aes Sedai hinterlassen möchte.«
»Sehr gut, Haesel. Ihr könnt gehen.« Er verbeugte sich vor Mat. »Wenn Ihr mir bitte folgen wollt, mein Lord?«
Jen führte ihn nur bis zu einer dunklen Frau mit grimmigem Gesichtsausdruck, die ungefähr in mittlerem Alter war, und verbeugte sich. »Herrin Carin, dies ist Lord Mat Cauthon, der eine Nachricht für die geehrte Elayne Aes Sedai und die geehrte Nynaeve Aes Sedai hinterlassen möchte.«
»Sehr gut, Jen. Ihr könnt gehen. Wenn Ihr mir bitte folgen wollt, mein Lord?«
Carin führte ihn eine gewundene Marmortreppe hinauf, deren Stützen gelb und rot bemalt waren, zu einer mageren Frau namens Matilde, die ihn einem gedrungenen Burschen namens Bren übergab, der ihn zu einem bereits kahl werdenden Mann namens Madie führte, wobei jeder ein wenig älter war als der vorige. An einer Stelle, an der sich fünf Gänge wie die Speichen eines Rads trafen, ließ Madie ihn bei einer rundlichen Frau namens Laren, deren Haar an den Schläfen bereits ergraute, und bei einer stattlichen Kutsche zurück. Wie Carin und Matilde trug auch sie, was die Ebou Dari einen Hochzeitsdolch nannten, der mit dem Heft nach unten von einer engen Silberhalskette zwischen den mehr als drallen Brüsten herabhing. Fünf weiße Steine im Heft, zwei rot eingefaßt, und vier rote Steine, einer schwarz eingefaßt, besagten, daß drei ihrer neun Kinder tot und davon zwei Söhne im Duell gestorben waren, Laren beendete ihren Hofknicks vor Mat und wollte dann einen der Gänge entlangeilen, aber er ergriff schnell ihren Arm.
Sie wölbte leicht die dunklen Augenbrauen, als sie auf seine Hand sah. Sie besaß keinen anderen Dolch als den Hochzeitsdolch, aber er ließ sie dennoch augenblicklich los. Der Brauch besagte, daß sie diesen Dolch nur gegen ihren Ehemann benutzen durfte, aber man mußte nichts herausfordern. Er dämpfte seine Stimme jedoch nicht. »Wie weit muß ich noch laufen, um eine Nachricht zu hinterlassen? Bringt mich zu ihren Räumen. Zwei Aes Sedai sollten nicht so schwer zu finden sein. Dies ist nicht die verdammte Weiße Burg.«
»Aes Sedai?« sagte eine Frau hinter ihm mit schwerem illianischem Akzent. »Wenn Ihr zwei Aes Sedai sucht, so habt Ihr zwei gefunden.« Larens Gesichtsausdruck änderte sich nur unmerklich. Ihre beinahe schwarzen Augen blickten eilig an ihm vorbei, und er war sich sicher, daß sie angespannte Sorge zeigten.
Mat nahm seinen Hut ab und wandte sich mit unbekümmertem Lächeln um. Da er den silbernen Fuchskopf um den Hals trug, konnten ihm Aes Sedai absolut nichts anhaben. Nun, nicht allzu viel.
Die beiden ihm gegenüberstehenden Frauen hätten nicht unterschiedlicher sein können. Die eine war schlank, mit einem einnehmenden Lächeln, in grüngoldenem Gewand, das einen seiner Meinung nach hübschen Busen erahnen ließ. Wäre das alterslose Gesicht nicht gewesen, hätte er vielleicht erwogen, eine Unterhaltung zu beginnen, denn es war ein hübsches Gesicht mit großen Augen, in denen ein Mann versinken konnte. Schade. Auch die andere Frau wies diese Alterslosigkeit auf, aber es dauerte einen Moment, bis er sie erkannte. Er dachte, sie runzele die Stirn, bis er gewahr wurde, daß dies ihr normaler Gesichtsausdruck sein mußte. Ihr dunkles, fast schwarzes Gewand bedeckte sie bis auf Handgelenke und Kinn, wofür er dankbar war. Sie wirkte dürr wie ein alter Brombeerstrauch. Sie sah auch aus, als würde sie nur Brombeeren zum Frühstück essen.
»Ich versuche, eine Nachricht für Nynaeve und Elayne zu hinterlassen«, belehrte er sie. »Diese Frau...« Er blinzelte und blickte sämtliche Gänge entlang. Diener eilten vorbei, aber Laren war nirgends zu sehen. Er hätte nicht gedacht, daß sie sich so schnell bewegen konnte. »Wie dem auch sei, ich wollte eine Nachricht hinterlassen.« Und plötzlich vorsichtig geworden, fügte er hinzu: »Seid Ihr Freundinnen von ihnen?«
»Nicht wirklich«, sagte die Hübsche. »Ich bin Joline, und dies ist Teslyn. Und Ihr seid Mat Cauthon.« Mats Magen verkrampfte sich. Neun Aes Sedai im Palast - und er mußte den beiden begegnen, die Elaida folgten. Und eine von ihnen war noch dazu eine Rote. Nicht, daß er etwas zu befürchten hätte. Er ließ seine Hand wiedersinken, bevor sie den Fuchskopf unter seiner Kleidung berühren konnte.
Diejenige, die Brombeeren aß - Teslyn - trat näher an ihn heran. Sie war Thom zufolge eine Sitzende, obwohl selbst Thom nicht verstand, was eine Sitzende hier wollte. »Wir wären ihre Freundinnen, wenn wir könnten. Aber sie brauchen keine Freundinnen, Meister Cauthon, genauso wenig wie Ihr.« Ihr Blick versuchte in seine Gedanken einzudringen.
Joline trat neben ihn und legte eine Hand auf sein Revers. Bei einer anderen Frau hätte er ihr Lächeln als Einladung aufgefaßt. Sie gehörte der Grünen Ajah an. »Sie befinden sich auf gefährlichem Boden und sehen nicht, was unter ihren Füßen liegt. Ich weiß, Ihr seid ihr Freund. Ihr könntet es beweisen, indem Ihr ihnen sagt, sie sollen mit diesem Unsinn aufhören, bevor es zu spät ist. Törichte Kinder, die zu weit gehen, können sich eine ernstliche Strafe einhandeln.«
Mat wäre am liebsten zurückgewichen. Selbst Teslyn stand nahe genug, daß sie ihn fast berühren konnte. Statt dessen setzte er sein unverschämtestes Grinsen auf. Das hatte ihn früher zu Hause stets in Schwierigkeiten gebracht, aber jetzt schien es angemessen. Die Würfel in seinem Kopf konnten nichts mit diesen beiden zu tun haben, sonst hätten sie aufgehört, sich zu drehen. Und er hatte das Medaillon. »Ich würde sagen, sie sehen recht gut.« Nynaeve mußte dringend zur Vernunft gebracht werden, und Elayne noch dringender, aber er würde nicht dastehen und zuhören, wie diese Frau Nynaeve niedermachte. Wenn das bedeutete, daß er auch Elayne verteidigen müßte, dann sollte es so sein. »Vielleicht solltet Ihr mit Eurem Unsinn aufhören.« Jolines Lächeln schwand, aber jetzt lächelte Teslyn - ein rasiermesserscharfes Lächeln.
»Wir wissen über Euch Bescheid, Meister Cauthon.« Sie schien bereit, jemanden zu häuten, und wer auch immer zur Verfügung stand, würde genügen. »Es wird behauptet Ihr wärt ein Ta'veren. Welch gefährliche Verbindungen Ihr pflegt. Es scheint mehr als nur ein Gerücht zu sein.«
Jolines Miene war eisig. »Ein junger Mann in Eurer Position, der seine Zukunft sichern möchte, könnte etwas weitaus Schlechteres tun, als den Schutz der Burg zu suchen. Ihr hättet ihn niemals verlassen sollen.«
Sein Magen verkrampfte sich noch stärker. Was wußten sie noch? Sicherlich nichts über das Medaillon. Nynaeve und Elayne wußten davon, und Adeleas und Vandene, und nur das Licht wußte, wem sie davon erzählt hatten, aber gewiß nicht diesen beiden. Es gab jedoch Schlimmeres als Ta'veren oder den Fuchskopf oder sogar Rand, soweit es ihn betraf. Wenn sie von dem verdammten Horn wußten...
Er wurde so plötzlich von ihnen fortgerissen, daß er stolperte, und fast hätte er seinen Hut fallen lassen. Eine schlanke Frau mit glattem Gesicht und fast weißem, im Nacken zusammengenommenen Haar hielt ihn an Ärmel und Revers fest. Als Reflex hielt Teslyn ihn auf der anderen Seite auf die gleiche Art fest. Er erkannte die gerade eingetroffene Frau mit dem geraden Rücken in gewisser Weise an ihrem einfachen grauen Gewand. Sie war entweder Adeleas oder Vandene, zwei Schwestern - wirkliche Schwestern, nicht nur Aes Sedai -, die genausogut hätten Zwillinge sein können. Er konnte sie niemals mit Gewißheit auseinanderhalten. Sie und Teslyn starrten einander an, kalt und ernst, zwei Katzen, die dieselbe Maus gefangen hatten.
»Ihr braucht mir nicht die Jacke zu zerreißen«, grollte er und versuchte sich freizuwinden. »Meine Jacke?« Er war nicht sicher, daß sie ihn gehört hatten. Er war selbst mit dem Fuchskopf um seinen Hals nicht bereit, so weit zu gehen, ihre Finger gewaltsam zu lösen, es sei denn, er mußte es tun.
Zwei andere Aes Sedai begleiteten sie, welche der Schwestern auch immer es war, obwohl die eine der beiden, eine dunkle, stämmige Frau mit neugierigen Augen, nur durch den Großen Schlangenring und die Stola mit den braunen Fransen, die sie trug und die auf der Rückseite die weiße Flamme Tar Valons zwischen Weinranken zeigte, gekennzeichnet war. Sie schien nur wenig älter als Nynaeve zu sein, weshalb sie Sareitha Tomares sein mußte, die erst seit ungefähr zwei Jahren eine Aes Sedai war.
»Laßt Ihr Euch jetzt schon dazu herab, Menschen in den Gängen zu entführen, Teslyn?« sagte die andere. »Ein Mann, der nicht die Macht lenken kann, dürfte für Euch wohl kaum von Interesse sein.« Klein und blaß, in spitzenverziertem Grau mit blauen Schlitzen, war sie die pure, kühle, alterslose Eleganz und lächelte zuversichtlich. Ihr cairhienischer Akzent wies sie aus. Mat hatte wohl die Aufmerksamkeit der Höchsten auf sich gezogen. Thom war sich nicht sicher gewesen, ob Joline oder Teslyn Elaidas Abordnung anführten.
Teslyn behielt ihr rasiermesserscharfes Lächeln bei. »Macht mir nichts vor, Merilille. Mat Cauthon ist von erheblichem Interesse. Er sollte nicht frei herumlaufen.« Als würde er nicht daneben stehen und zuhören!
»Streitet Euch nicht wegen mir«, sagte er. Obwohl er an seiner Jacke zog, ließen beide nicht los. »Es gibt genug andere Gründe.«
Fünf Augenpaare ließen ihn sich wünschen, daß er den Mund gehalten hätte. Aes Sedai hatten keinerlei Sinn für Humor. Er zog ein wenig fester, und Vandene - oder Adeleas - zog ausreichend fest dagegen, daß ihm die Jacke aus der Hand gerissen wurde. Es war Vandene, entschied er. Sie war eine Grüne, und er hatte stets erwartet, daß sie ihn auf den Kopf stellen und das Geheimnis des Medaillons aus ihm herausschütteln würde. Aber welche auch immer sie war, sie lächelte - zum Teil wissend, zum Teil belustigt. Er konnte nichts Komisches entdecken. Die anderen sahen ihn nicht lange an. Er hätte genausogut verschwunden sein können.
»Er muß in Gewahrsam genommen werden«, sagte Joline entschieden. »Zu seinem eigenen Schutz und auch aus anderen Gründen. Drei Ta'veren, die aus einem einzigen Dorf kommen? Und einer davon der Wiedergeborene Drache? Meister Cauthon sollte sofort zur Weißen Burg geschickt werden.« Und er hatte sie hübsch gefunden!
Merilille schüttelte nur den Kopf. »Ihr überschätzt Eure Situation, Joline, wenn Ihr glaubt, ich würde Euch den Jungen einfach mitnehmen lassen.«
»Ihr überschätzt die Eure, Merilille.« Joline trat näher, bis sie auf die andere Frau hinabsah. Sie verzog die Lippen, überlegen und herablassend. »Oder glaubt Ihr, nur der Wunsch, Tylin nicht zu beleidigen, hielte uns davon ab, Euch alle bei Brot und Wasser zu halten, bis Ihr zur Burg zurückgeschickt werden könnt?«
Mat hätte erwartet, daß Merilille ihr ins Gesicht lachen würde, aber sie drehte nur leicht den Kopf, als wollte sie tatsächlich Jolines Blick ausweichen.
»Das würdet Ihr nicht wagen.« Sareitha trug die Aes-Sedai-Gelassenheit wie eine Maske auf dem glatten Gesicht, während ihre Hände die Stola richteten, aber ihre gehauchte Stimme verkündete schreiend, daß es tatsächlich eine Maske war.
»Das sind Kinderspiele, Joline«, bemerkte Vandene gelassen. Genau das war sie. Sie war die einzige der drei, die wirklich gelassen schien.
Hellrote Flecke erschienen auf Merililles Wangen, als hätte die weißhaarige Frau zu ihr gesprochen, aber ihr Blick wurde fest. »Ihr könnt kaum von uns erwarten, daß wir demütig einhergehen«, belehrte sie Joline entschieden, »und wir sind fünf. Und sieben, wenn Ihr Nynaeve und Elayne dazurechnet.« Letzteres war eindeutig eine nachträgliche Überlegung, wenn auch eher widerwillig.
Joline wölbte eine Augenbraue. Teslyns knochige Finger lösten ihren Griff nicht weiter als Vandenes, und sie beobachtete Joline und Merilille mit unlesbarem Gesichtsausdruck. Aes Sedai waren Fremdland, bei dem man niemals wußte, was man erwarten sollte, bis es zu spät war. Es gab hier tieferliegende Strömungen. Aes Sedai umgebende tiefliegende Strömungen konnten einen Mann ergreifen und zu Tode bringen, ohne daß sie es auch nur bemerkten. Vielleicht war es an der Zeit die Finger gewaltsam zu lösen.
Larens plötzliches Wiederauftauchen ersparte ihm jedoch die Mühe. Die dralle Frau rang nach Atem, als wäre sie gerannt, und versank in einen deutlich tieferen Hofknicks als zuvor. »Verzeiht, wenn ich Euch störe, Aes Sedai, aber die Königin ruft Lord Cauthon zu sich. Verzeiht, bitte. Es wäre ungehörig, wenn ich ihn nicht sofort zu ihr brächte.«
Die Aes Sedai sahen Laren an, sie alle, bis sie nervös zu werden begann. Dann sahen zwei Gruppen einander an, als wollten sie prüfen, welche Aes Sedai welche übertrumpfen konnten. Und dann sahen sie ihn an. Er frage sich, ob irgend jemand zurückstecken würde.
»Ich kann die Königin nicht warten lassen«, stellte er vergnügt fest. Ihrem Naserümpfen nach zu urteilen hätte man glauben können, er hätte eine von ihnen ins Gesäß gezwickt. Sogar Laren wölbte mißbilligend die Augenbrauen.
»Laßt ihn los, Adeleas«, sagte Merilille schließlich.
Er runzelte die Stirn, als die weißhaarige Erau der Aufforderung nachkam. Die beiden sollten kleine Schilder mit ihren Namen oder unterschiedliche Haarbänder oder sonst etwas tragen, wodurch man sie unterscheiden könnte. Sie sah ihn erneut belustigt und wissend an. Erhaßte das. Es war die List einer Frau, nicht nur einer Aes Sedai und sie wußten üblicherweise überhaupt nichts über das, was sie einen glauben lassen wollten. »Teslyn?« fragte er. Die grimmig dreinblickende Rote hielt seine Jacke noch immer mit beiden Händen fest. Sie spähte zu ihm hoch und achtete auf niemand anderen. »Die Königin?«
Merilille öffnete den Mund, zögerte dann aber und sagte etwas anderes als ursprünglich beabsichtigt. »Wie lange wollt Ihr hier noch stehen und ihn festhalten, Teslyn? Vielleicht wollt Ihr Tylin erklären, warum ihr Ruf unbeachtet bleibt.«
»Überlegt Euch gut, an wen Ihr Euch bindet, Meister Cauthon«, sagte Teslyn, die ihn noch immer ansah. »Die falsche Wahl kann in eine unerfreuliche Zukunft führen, selbst für einen Ta'veren. Überlegt es Euch gut.« Dann ließ sie ihn los.
Als er Laren folgte, verbarg er sein Verlangen, eilig davonzukommen, aber er wünschte, die Frau würde ein wenig schneller gehen. Sie glitt wie eine Königin vor ihm dahin. Königlich wie jede Aes Sedai. Als sie die erste Biegung erreichten, schaute er über die Schulter. Die fünf Aes Sedai standen noch immer da und sahen ihm nach. Als sei sein Blick ein Zeichen gewesen, wechselten sie schweigend Blicke und gingen dann, jede in eine andere Richtung, davon. Adeleas kam auf ihn zu, aber ein Dutzend Schritte vor ihm lächelte sie ihn nur erneut an und verschwand dann durch eine Tür. Tiefliegende Strömungen. Er zog es vor zu schwimmen, auch wenn seine Füße den Boden des Teiches berühren konnten.
Laren wartete um die Ecke, die Hände in die breiten Hüften gestemmt und das Gesicht viel zu glatt. Er vermutete, daß sie unter ihren Röcken ungeduldig mit dem Fuß wippte. Er gönnte ihr sein gewinnendstes Lächeln. Kichernde Mädchen oder grauhaarige Großmütter - bei diesem Lächeln wurden Frauen schwach. Es hatte ihm Küsse eingebracht und ihn schon häufiger aus mißlichen Lagen gerettet, als er zählen konnte. Es war fast so gut wie Blumen. »Das war gut gemacht, ich danke Euch. Gewiß will die Königin mich nicht wirklich sehen.« Wenn dem so wäre, wollte er es aber nicht. Alles, was er über Adlige dachte, galt für das Königtum in dreifachem Maße. Nichts, was er in den alten Erinnerungen gefunden hatte, konnte daran etwas ändern, und einige jener Burschen hatten erhebliche Zeit in der Nahe von Königen und Königinnen und dergleichen verbracht. »Wenn Ihr mir jetzt einfach zeigen würdet, wo ich Nynaeve und Elayne finden kann...«
Seltsamerweise schien sein Lächeln überhaupt keine Wirkung zu zeigen. »Ich würde nicht lügen, Lord Cauthon. Das würde mich zuviel kosten. Die Königin wartet, mein Lord. Ihr seid ein sehr tapferer Mann«, fügte sie hinzu, wandte sich um und sagte dann leise noch etwas; »Oder ein sehr großer Narr.« Er bezweifelte, daß er letzteres hatte hören sollen.
Er hatte die Wahl zwischen der Möglichkeit, die Königin aufzusuchen, oder Meilen von Gängen zu durchwandern, bis er auf jemanden stieße, der ihm sagen würde, was er wissen wollte. Er ging zur Königin.
Tylin Quintara, durch die Gnade des Lichts Königin von Altara, Herrin der Vier Winde, Wächterin des Meers der Stürme, Hochsitz des Hauses Mitsobar, erwartete ihn in einem Raum mit gelben Wänden und einer hellblauen Decke, wo sie vor einem gewaltigen weißen Kamin mit einem maritim gestalteten Steinsturz stand. Er entschied, daß sie recht betrachtenswert war. Sie war nicht mehr jung - das glänzende schwarze Haar, das ihr über die Schultern fiel, wurde an den Schläfen bereits grau, und um ihre Augenwinkel bildeten sich netzartige Linien -, und sie war auch nicht im eigentlichen Sinne hübsch, obwohl die beiden dünnen Narben an ihren Wangen mit dem Alter fast verschwunden waren. Ansehnlich traf es eher. Aber sie war ... eindrucksvoll. Große dunkle Augen betrachteten ihn würdevoll, die Augen eines Adlers. Sie hatte nur wenig reale Macht - man konnte innerhalb von zwei bis drei Tagen aus ihrem Einfluß-bereich herausreiten und hätte noch immer einen großen Teil Altaras vor sich -, aber er vermutete, daß sie sogar eine Aes Sedai zurückweichen lassen könnte. Wie Isebele von Dal Calain, welche die Amyrlin Anghara zu sich befohlen hatte. Das war eine der alten Erinnerungen. Dal Calain war in den Trolloc-Kriegen verschwunden.
»Majestät«, sagte er, schwang seinen Hut in weitem Bogen und bauschte einen imaginären Umhang, »ich folge Eurem Ruf.« Ob eindrucksvoll oder nicht - es fiel ihm nicht leicht, den Blick von dem üppigen, spitzenverzierten Oval abzuwenden, in das ihr in einer weißen Scheide steckender Hochzeitsdolch herabhing. Es war in der Tat eine sehr hübsch gerundete Ansicht, aber je mehr Busen eine Frau zeigte, desto weniger wollte sie ihn betrachtet wissen. Zumindest nicht offen. Eine weiße Scheide ... aber er wußte bereits, daß sie Witwe war. Nicht, daß es von Bedeutung gewesen wäre. Er würde sich mit einer Königin ungefähr genauso bereitwillig einlassen wie mit der fuchsgesichtigen Schattenfreundin. Es war schwer, gar nicht hinzusehen, aber es gelang ihm. Höchstwahrscheinlich würde sie eher Wächter rufen als den mit Edelsteinen versehenen Dolch ziehen, der hinter einem zu der Halskette mit dem Hochzeitsdolch passenden Gürtel aus geflochtenem Gold steckte. Vielleicht rollten deshalb die Würfel in seinem Kopf noch immer. Die Möglichkeit einer Begegnung mit dem Scharfrichter würde sie am ehesten in Bewegung versetzen.
Schichten von Seide kräuselten sich weiß und gelb, als sie den Raum durchquerte und langsam zu ihm herankam. »Ihr sprecht die Alte Sprache«, stellte sie fest, als sie erneut vor ihm stehenblieb. Ihre Stimme war dunkel und melodiös. Die Königin glitt ohne auf eine Antwort zu warten, zu einem Sessel und setzte sich hin, während sie ihre grünen Röcke richtete. Eine unbewußte Geste. Ihr Blick blieb auf ihn geheftet. Er hatte das Gefühl, daß ihn dieser Blick durchdrang. »Ihr wollt eine Nachricht hinterlassen. Ich habe alles Notwendige hier.« Der Spitzenbesatz an ihrem Handgelenk schwang, als sie auf einen kleinen Schreibtisch unter einem goldgerahmten Spiegel deutete. Alle Möbel waren vergoldet und mit floralen Ornamenten verziert.
Hohe dreigeteilte Bogenfenster führten auf einen schmiedeeisernen Balkon und ließen eine Meeresbrise herein, die überraschend wohltuend wirkte, wenn auch nicht wirklich kühl, und doch fühlte sich Mat erhitzter als auf der Straße, und es hatte nichts mit ihrem Blick zu tun. Deyeniye, dyu ninte concion ca'lyet ye. Das hatte er gesagt. Die verdammte Alte Sprache strömte wieder aus seinem Mund, ohne daß er es merkte. Er dachte, er hätte dieses kleine Problem unter Kontrolle. Er wußte nicht, wann diese verdammten Würfel zum Stillstand kommen würden und warum. Er sollte sich besser auf sich besinnen und so weit wie möglich den Mund halten. »Ich danke Euch, Majestät.« Er sprach diese Worte sehr bewußt aus.
Dicke Blätter hellen Papiers warteten bereits auf einem schrägen Tisch mit bequemer Schreibhöhe. Er lehnte seinen Hut gegen das Tischbein. Er konnte sie im Spiegel sehen. Sie beobachtete ihn. Warum hatte er seine Zunge nicht im Zaum gehalten? Er tauchte eine goldene Feder ein - womit sonst würde eine Königin schreiben? - und formulierte, was er zu Papier bringen wollte, zunächst in Gedanken, bevor er sich mit einem um das Blatt gelegten Arm darüberbeugte. Seine Hand bewegte sich unbeholfen. Er schrieb nicht gern.
Ich bin einer Schattenfreundin bis zu einem Palast gefolgt, den Jaichim Carridin gepachtet hat. Sie hat mich einmal zu töten versucht, und vielleicht auch 'Rand. Sie wurde wie eine alte Freundin des Hauses begrüßt.
Er betrachtete die Zeilen einen Moment und kaute auf dem Ende der Feder, bevor er erkannte, daß er das weiche Gold einkerbte. Vielleicht würde Tylin es nicht bemerken. Sie mußten von Carridin erfahren. Was noch? Er fügte schließlich einige sachlich formulierte Zeilen hinzu. Er wollte sie nicht verärgern.
Seid vernünftig. Wenn Ihr hier herumlungern müßt, laßt mich Euch wenigstens einige Männer schicken, die verhindern können, daß man Euch die Köpfe einschlägt. Wäre es übrigens nicht an der Zeit, daß ich Euch zu Egwene zurückbringe? Hier gibt es nur Hitze und Fliegen, und davon können wir auch in Caemlyn genug finden.
So. Freundlicher hätte er es nicht ausdrücken können.
Er löschte die Seite sorgfältig mit Streusand ab und faltete sie viermal. Sand in einer kleinen goldenen Schale bedeckte ein Stück Kohle. Er blies darauf, bis sie glühte, benutzte sie dann zum Entzünden einer Kerze und nahm ein Stück rotes Wachs auf. Als das Siegelwachs auf das Papier tropfte, fiel ihm plötzlich ein, daß er einen Siegelring in der Tasche trug. Nur ein Probestück des Ringmachers, der sein Können zeigen wollte, aber besser als ein ungesiegelter Klumpen Wachs. Der Ring war ein wenig breiter als der sich bereits erhärtende Wachsfleck, aber der größte Teil des Motivs war dennoch zu sehen.
Er konnte zum ersten Mal genau betrachten, was er gekauft hatte. In einer Umgrenzung großer Halbmonde schreckte ein Fuchs im Lauf anscheinend zwei Vögel auf. Das ließ ihn grinsen. Zu schade, daß es keine Hand für die Bande war, aber es paßte ausreichend. Er mußte gewiß schlau wie ein Fuchs sein, um mit Nynaeve und Elayne mitzuhalten, und wenn sie nicht regelrecht leichtsinnig waren, nun... Außerdem hatte er durch das Medaillon Gefallen an Füchsen gefunden. Er kritzelte Nynaeves Namen außen auf das Blatt, und dann, als nachträgliche Überlegung, auch Elaynes. Die eine oder die andere sollte die Nachricht bald lesen.
Er wandte sich mit dem versiegelten Brief in Händen um und zuckte zusammen, als seine Knöchel Tylins Busen streiften. Er taumelte gegen den Schreibtisch zurück, sah sie an und versuchte, nicht rot zu werden. Er blickte ihr ins Gesicht, nur ins Gesicht. Er hatte sie nicht herankommen hören. Er sollte die Berührung am besten einfach ignorieren, um sie nicht auch noch in Verlegenheit zu bringen. Sie hielt ihn jetzt wahrscheinlich für einen ungeschickten Flegel. »Es steht etwas in diesem Briet das Ihr wissen solltet, Majestät.« Es war zu wenig Raum zwischen ihnen, um den Brief hochzuheben. »Jaichim Carridin nimmt Schattenfreunde auf, und ich meine damit nicht, daß er sie einsperrt.«
»Seid Ihr Euch dessen gewiß? Natürlich seid Ihr es. Niemand würde diese Anschuldigung aussprechen, ohne sicher zu sein.« Sie furchte die Stirn, schüttelte dann aber den Kopf, und das Stirnrunzeln schwand wieder. »Sprechen wir von erfreulicheren Dingen.«
Er hätte am liebsten aufgeschrien. Er berichtete ihr, daß der Weißmantel-Gesandte ihres Hofes ein Schattenfreund war, und sie verzog nur das Gesicht.
»Seid Ihr Lord Cauthon?« Sie sprach den Titel ein wenig fragend aus. Ihre Augen erinnerten ihn mehr denn je an die eines Adlers. Eine Königin konnte niemanden mögen, der als Lord zu ihr kam. »Nur Mat Cauthon.« Etwas sagte ihm, daß sie eine Lüge hören wollte. Außerdem war es nur eine List, die Leute wissen zu lassen, daß er ein Lord war, eine List, ohne die er auch ganz gut zurechtgekommen wäre. In Ebou Dar konnte jedermann jederzeit zu einem Duell herausgefordert werden, aber nur wenige forderten Lords heraus - außer anderen Lords. Infolgedessen hatte er im letzten Monat auf mehrere Schädel eingeschlagen, vier Männer verletzt und war eine halbe Meile gelaufen, um einer Frau zu entkommen. Tylins Blick machte ihn nervös. Die Würfel rollten noch immer in seinem Kopf umher. Er wollte hier herausgelangen. »Wenn Ihr mir sagen würdet, wo ich den Brief lassen soll, Majestät...?«
»Die Tochter-Erbin und Nynaeve Sedai erwähnen Euch selten«, sagte sie, »aber man lernt zu hören, was nicht gesagt wird.« Sie hob beiläufig die Hand und berührte seine Wange. Er hob seine Hand ebenfalls unsicher. Hatte er sich dort mit Tinte beschmiert, als er an der Feder gekaut hatte? Frauen brachten alle möglichen Dinge gern in Ordnung, einschließlich Männern. Vielleicht galt das auch für Königinnen. »Was sie nicht sagen, was ich aber höre, ist, daß Ihr ein ungezähmter Schurke seid, ein Spieler und Frauenheld.« Ihr Blick hielt seinen fest, ihr Gesichtsausdruck änderte sich keinen Deut, und ihre Stimme blieb fest und kühl, aber ihre Finger strichen jetzt auch über seine andere Wange, während sie sprach. »Ungezähmte Männer sind häufig die interessantesten. Um mit ihnen zu reden.« Ein Finger zog die Konturen seiner Lippen nach. »Ein ungezähmter Schurke, der mit Aes Sedai reist, ein Ta'veren, der ihnen, glaube ich, ein wenig Angst einjagt. Oder sie sich zumindest unbehaglich fühlen läßt. Es erfordert einen Mann mit ausgeprägtem Temperament, Aes Sedai Unbehagen zu bereiten. Wie werdet Ihr das Muster in Ebou Dar beugen, wenn Ihr nur Mat Cauthon seid?« Ihre Hand lag an seinem Hals. Er konnte den Puls an ihren Fingern pochen Sein Kinn sank herab. Der Schreibtisch in seinem Rücken berührte klappernd die Wand, als er zurückzuweichen versuchte. Der einzige Ausweg war, sie beiseite zu schieben oder über ihre Röcke zu steigen. Frauen, benahmen sich nicht so! Oh, einige der alten Erinnerungen vermittelten ihm einen anderen Eindruck, aber es waren hauptsächlich Erinnerungen an Erinnerungen, daß diese Frau dies oder jene Frau jenes getan hatte. Er erinnerte sich hauptsächlich an Kämpfe, und hier gab es keinerlei Hilfe. Sie lächelte, ein leichtes Kräuseln ihrer Lippen, das das raubtierhafte Schimmern in ihren Augen nicht schmälerte. Sein Kopfhaar wollte sich aufrichten.
Ihr Blick glitt flackernd über seine Schulter zum Spiegel, und sie wandte sich abrupt um, so daß er nur noch ihren Rücken anstarren konnte, als sie von ihm fort trat. »Ich muß es einrichten, erneut mit Euch zu sprechen, Meister Cauthon. Ich...« Sie brach offensichtlich überrascht ab, als die Tür aufschwang, aber dann erkannte er, daß sie im Spiegel gesehen hatte, wie sie sich bewegt hatte.
Ein schlanker junger Mann trat ein, der leicht hinkte, ein dunkler Bursche mit scharfem Blick, der ohne innezuhalten an Mat vorbeieilte. Schwarzes Haar hing ihm bis auf die Schultern, und er trug eine dieser Jacken, die niemals dazu gedacht waren, sie einfach um die Schultern gelegt zu tragen, aus grüner Seide, mit einer Goldkette über der Brust und in die Aufschläge eingearbeiteten goldenen Leoparden. »Mutter«, sagte er, verbeugte sich vor Tylin und berührte mit den Fingern seine Lippen.
»Beslan.« Sie sprach den Namen herzlich aus und küßte ihn auf beide Wangen und Lider. Der feste, sogar eisige Ton, den sie Mat gegenüber angeschlagen hatte, hätte genausogut niemals gewesen sein können. »Ich sehe, daß es gutgegangen ist.«
»Nicht so gut, wie es hätte sein können.« Der Junge seufzte. Er hatte trotz seiner Augen eine weiche Art und eine sanfte Stimme. »Nevin hat beim zweiten Durchgang meinen Arm geritzt und glitt dann im dritten aus, so daß ich ihn ins Herz anstatt seines Schwertarms getroffen habe. Der Angriff war das Töten nicht wert, und jetzt muß ich seiner Witwe kondolieren.« Er schien das genauso sehr zu bedauern wie den Tod dieses Nevin.
Tylins strahlendes Gesicht schien einer Frau, deren Sohn ihr gerade berichtet hatte, daß er einen Menschen getötet hatte, nicht angemessen. »Halte den Besuch kurz. Ich könnte schwören, daß Davindra eine jener Witwen sein wird, die Trost fordern, und dann wirst du sie entweder heiraten oder ihre Brüder töten müssen.« Ihrem Tonfall nach zu urteilen, war die erste Möglichkeit bei weitem die schlimmere und die zweite nur ein Ärgernis. »Dies ist Meister Mat Cauthon, mein Sohn. Er ist ein Ta'veren. Ich hoffe, du wirst dich mit ihm anfreunden. Vielleicht werdet ihr beide zusammen zu den Festlichkeiten gehen.«
Mat zuckte zusammen. Das letzte, was er wollte, war, mit einem Burschen irgendwohin zu gehen, der Duelle ausfocht und dessen Mutter ihm die Wange streicheln wollte. »Ich mag Bälle nicht sehr«, sagte er eilig. Ebou Dari liebten Feste. Hier war Hoch Chasaline gerade vorüber, und sie feierten in der nächsten Woche noch fünf Feste, zwei davon ganztägige, nicht nur Abendfestlichkeiten. »Ich tanze lieber in Tavernen. Ich fürchte, ich bevorzuge die rauhere Art. Es würde Euch nicht gefallen.«
»Ich ziehe ebenfalls Tavernen der rauheren Art vor«, verkündete Beslan mit dieser sanften Stimme lächelnd. »Die Bälle sind für Ältere und ihre Schönen gedacht.«
Danach ging alles rasend schnell. Bevor Mat wußte, wie ihm geschah, hatte Tylin ihn in der Falle. Er und Beslan würden zusammen an Festlichkeiten teilnehmen. An allen Festlichkeiten. Beslan nannte es Jagen, und als Mat ohne nachzudenken sagte, daß er wohl die Jagd auf Mädchen meine - er hätte dies niemals in Gegenwart der Mutter eines jungen Mannes gesagt, wenn er darüber nachgedacht hätte -, lachte der Junge und sagte: »Ein Mädchen oder ein Kampf, schmollende Lippen oder eine blitzende Klinge. Jeweils der Tanz macht am meisten Spaß, den man gerade tanzt. Meint Ihr nicht auch, Mat?« Tylin lächelte Beslan zärtlich an.
Mat rang sich ein schwaches Lachen ab. Dieser Beslan war wahnsinnig, er - und auch seine Mutter.