OBERMACKA OFFSEWÖRLD

Um acht Uhr morgens rief Loki an, um mir mitzuteilen, dass das Duell für heute anberaumt sei.

»Wir kommen um elf«, sagte er. »Halte dich bereit. Und nimm nicht so viel Flüssigkeit zu dir.«

Er legte gleich wieder auf, mir blieb keine Zeit nachzufragen. Als ich zurückzurufen versuchte, gab es keine Verbindung.

In den drei Stunden, die verblieben, drehte meine Phantasie durch.

Klingen oder Pistolen?

Ich malte mir aus, wie die tödliche Kugel mich ereilt. Ich stellte es mir wie einen glühenden Peitschenhieb vor. Eine Regel besagt, dass Vampire einander nicht in den Kopf schießen dürfen; Mitra würde mir einen Bauchschuss verpassen wie Puschkin ...

Oder doch Florett? Was fühlt ein Mensch, wenn die Klinge ihn durchstößt? Vielleicht ist es ein ähnlicher Schmerz, wie wenn man sich mit dem Brotmesser schneidet, nur tief drinnen, am Herzen ... Ich versuchte ein paarmal, es mir vorzustellen, es durchzuckte mich jedes Mal.

Im Übrigen versetzten mich diese Phantasien nicht in Panik, im Gegenteil, ich zerstreute mich damit. Derlei Varianten drohten mit Sicherheit nicht: Es würde eine Spezialwaffe geben, von der Loki erzählt hatte. Vor dem eigentlichen Duell musste ich keine Angst haben.

Gefahr ging von Mitras Duellorder aus. Daran mochte ich gar nicht denken. Was, wenn er mir tatsächlich eine Begegnung mit Gott verschrieb, damit ich herausfand, wer recht hatte: Osiris oder sein Red-Liquid-Provider. Und selbst wenn dieser Kelch an mir vorüberging - Mitra würde sich unter Garantie eine unerhörte Fiesigkeit ausdenken, die ich mir lieber nicht vorzustellen versuchte ... Wenn mein Siegeswille bis hierhin noch geschwächelt hatte - dieser Gedanke half.

Eine halbe Stunde vor elf fiel mir plötzlich ein, dass die Kleiderfrage noch nicht entschieden war. Ich stürzte zum Schrank und fand darin einen schwarzen Anzug, der mir jedoch etwas zu groß war. Umso mehr Bewegungsfreiheit! dachte ich. Dazu wählte ich ein paar Halbschuhe mit harter Spitze - ich rechnete zwar nicht ernsthaft mit einer Prügelei, doch es konnte nicht schaden. Dann schmierte ich mir Gel ins Haar, trank einen Schluck Whisky für den Mut, setzte mich in den Sessel und wartete auf meine Gäste.

Punkt elf klingelte es an der Tür.

Loki und Baldur waren frisch rasiert, dufteten nach Kölnischwasser und taten sehr festlich und offiziell. Loki hatte einen dicken schwarzen Reisekoffer dabei.

»Wir sehen anscheinend ziemlich verdächtig aus«, verkündete er fröhlich. »Ein Polizist wollte unsere Ausweise sehen. Direkt vor der Haustür.«

»Und mit so superklugen Augen!«, fügte Baldur hinzu. »Er versteht alles, kann es nur nicht ausdrücken.«

Ich mochte den beiden an Frohsinn und Übermut nicht nachstehen.

»Wahrscheinlich dachte er, ihr seid Immobilienmakler. Hier taucht des Öfteren solches Gesindel auf und schnüffelt herum. Wohnlage still und zentral.«

Baldur und Loki setzten sich in die Sessel.

»Mitra wollte, dass das Duell im Zirkus stattfindet«, sagte Baldur.

»Na gut«, erklärte Loki sich bereit. »Also, die Bedingungen des Duells fordern, dass du und dein Widersacher je ein Gedicht zu verfassen habt. Die Form des Gedichts ist vorgeschrieben: ein vampirisches Sonett.«

»Was soll das sein?«

Loki sah Baldur fragend an.

»Haben wir dir das etwa vorenthalten?«, wunderte sich dieser. »Ein bedauerlicher Lapsus! Das vampirische Sonett besteht aus zwölf Zeilen. Verslänge, Reim oder nicht Reim -das bleibt alles dir überlassen. Hauptsache, die letzte Zeile ist so gebaut, dass sie allen vorausgehenden gewissermaßen den Sinn absaugt, ihn auf einen kürzesten Nenner bringt. Sie muss die Quintessenz des Gedichts enthalten. Das steht symbolisch für die Sublimation von roter Flüssigkeit zu Bablos, das du dann der Muse aller Jungstecher in ritueller Form kredenzt. Kapiert?«

»So ungefähr«, sagte ich.

»Aber diese Vorgabe ist eher lyrischer Natur«, fuhr Baldur fort. »Das heißt, sie ist nicht sehr streng. Jeder entscheidet selbst, wie er den Sinn des Gedichts in einer einzigen Zeile zusammenfasst. Denn letztlich kennt nur er diesen Sinn, nicht wahr?«

Loki nickte eifrig.

»Und noch eine Regel hat das vampirische Sonett. Es ist als Treppenleiter rückwärts geschrieben. Sozusagen stufenweise tastet sich der Vampir von Sinn zu Sinn, bis ganz hinauf zum Allerhöchsten ... Auch das ist, nebenbei gesagt, nicht zwingend vorgeschrieben.«

»Treppenleiter rückwärts, wie soll ich das verstehen?«

»Wie bei Majakowski, nur umgekehrt«, erläuterte Baldur.

Ich begriff nicht ganz, was er meinte, fragte aber nicht weiter - wenn die Regel nicht zwingend vorgeschrieben war, musste ich sie nicht kennen.

Loki blickte zur Uhr.

»Wir sollten jetzt anfangen. Ich bereite alles vor. Geh in der Zwischenzeit noch mal aufs Klo. Wenn du Pech hast, bist du die nächsten vierzig Stunden paralysiert.«

Er stellte den Koffer auf den Tisch. Ich verließ den Raum und ging zur Toilette.

Irgendwo las ich, viele bedeutende Menschen seien von ihren großen Ideen auf dem Örtchen heimgesucht worden. Daran scheint etwas zu sein - denn ausgerechnet dort kam mir nun ein zwar nicht ganz koscherer, doch verheißungsvoller Gedanke.

Verheißungsvoll genug, dass ich keine Sekunde zögerte, ihn auszuführen. So wie ein elender Obdachloser in der Metro nach einer am Boden liegenden Geldbörse greift.

Ich ging zurück auf den Korridor und von da auf Zehenspitzen zum Kabinett, dessen Tür ich leise aufzog. Eilte zum Schreibsekretär, klappte die Lade herunter (was, anders als bei den Schüben der Archivwand, ohne Knirschen und Knarren abging) und griff aufs Geratewohl, bemüht, auch hier kein Geräusch zu machen, nach dem erstbesten der dort herumliegenden Reagenzgläschen. Es war Tjuttschew + alban, source code. Genau das Richtige! dachte ich und kippte mir den Inhalt in den Mund.

»Rama, wo bleibst du denn?«, rief Loki aus dem Wohnzimmer.

»Komme sofort!«, rief ich zurück. »Ich will hier nur noch die Fenster schließen. Für alle Fälle.«

Sekunden später betrat ich das Wohnzimmer.

»Aufgeregt?«, fragte Baldur. »Du bist so blass.«

Ich sagte nichts darauf. Schon deshalb nicht, weil die geschluckte Probe etwas sehr reichlich gewesen war; es konnte leicht passieren, dass ich Unpassendes zusammenlallte.

»So«, sagte Loki. »Das hätten wir.«

Ich blickte zum Tisch.

Dort stand eine merkwürdige Anlage aufgebaut: das Notebook verkabelt mit einem Handy sowie dem Gerät, das ich im Koffer gesehen hatte; jetzt blinkte an der Box ein rotes Lämpchen. Neben ihr lag ein schwarzes Stoffband mit Häkchen und Gummizügen. An dem Band war eine Injektionsspritze befestigt, an ihr wiederum viel komplizierte Elektromechanik. Von dieser verliefen zwei Kabel zur blinkenden Box. Außerdem lag da noch eine Batterie Einmalkanülen mit grünen Muffen auf dem Tisch.

»Was ist das denn?«, fragte ich.

»Also«, sagte Loki. »Siehst du die Spritze hier? In ihr ist das Nervengift. Es führt zu einer praktisch vollständigen Lähmung des Körpers, die circa vierzig Stunden andauert. Die Spritze wird über einen Elektroantrieb betätigt, der vom Computer angesteuert wird. Deine Lyrik wird unverzüglich einer dir bekannten Person zugeleitet, die jedoch nicht erfährt, welches Gedicht von dir ist und welches von Mitra. Hat sie beide gelesen und den Sieger gekürt, wird die Entscheidung genauso schnell zurückübermittelt. Dann wird bei einem von euch der an der Spritze hängende Servomotor in Gang gesetzt. Nach der Injektion wird die Duellorder verlesen und umgehend zur Ausführung gebracht. Noch Fragen?«

»Nein.«

»Dann setz dich bitte an den Computer.«

Ich gehorchte.

»Den Ärmel hochkrempeln!«

Als dies getan war, tränkte Loki einen Wattebausch mit Alkohol und schickte sich an, mir damit über die Armbeuge zu reiben.

»Ich glaube, mir wird gleich schlecht«, sagte ich mit matter Stimme.

Ich kokettierte durchaus nicht. Die aufsteigende Übelkeit rührte allerdings weniger von Lokis Verrichtungen her als von dem geschluckten Präparat.

»Du hast es nicht anders gewollt«, sagte Loki. »Hättest du vorher ein bisschen nachgedacht ... Gleich gibt es einen kleinen Pieks.«

»Au!«, rief ich und zuckte zurück.

»Gut, gut. Jetzt mal den Arm stillhalten, ich will die Binde festziehen. So ...«

»Wie soll ich mit dem Arm denn schreiben?«

»Das geht schon. Behutsam und akkurat! Zeit hast du mehr als genug, da kannst du getrost mit einem Finger tippen ... Sieh her auf den Bildschirm.«

Ich tat es.

»In der oberen Ecke siehst du eine Uhr. Die wird in dem Moment gestartet, wo Mitra und dir die Themen für die Gedichte verkündet werden.«

»Sind es denn verschiedene Themen?«

»Das werden wir sehen. Jeder von euch hat exakt dreißig Minuten Zeit. Wer nach dreißig Minuten kein Gedicht präsentiert hat, verliert automatisch. Bist du bereit?«

Ich zuckte die Schultern.

»Also. Fertig.«

Loki zog sein Handy aus der Tasche, tippte eine Nummer, hielt es sich ans Ohr.

»Funktioniert alles bei euch?«, fragte er. »Sehr schön. Dann wollen wir mal.«

Er legte das Handy zur Seite und drehte sich zu mir um.

»Die Zeit läuft!«

Auf dem Bildschirm des Notebooks waren zwei Rechtecke aufgetaucht. Über dem linken stand Mitra, über dem rechten Rama. Nun erschienen in ihnen - Buchstabe für Buchstabe, so als schriebe jemand Schreibmaschine - die Themen für die Gedichte. Mitras Thema hieß: Die Mücke. Meines: Der Fürst dieser Welt.

Wie günstig! dachte ich mir. Dazu hatte dieser Tjuttschew, mit dem ich schon die ganzen letzten Minuten spürbar in Kontakt stand, eine Menge zu sagen.

Ein Problem bestand nur darin, dass die zur Verpackung meiner Gedanken mitgelieferten Worthülsen erstaunlich beschränkt und eintönig waren. Der im russischen Internet grassierende Neusprech, das sogenannte »Albanische«, schien trotz seiner Jugend bereits eine tote Sprache zu sein. Aber gut, um die Form des Ganzen wollte ich mich zuletzt bekümmern - erst einmal musste ich mit dem Inhalt zurechtkommen. Also ging ich daran, die mir aufgetanen geistigen Horizonte gründlich auszuloten.

Vom Leben im neunzehnten Jahrhundert erfuhr ich nicht viel Spannendes. Dafür begriff ich sehr schnell, was jener berühmte Tjuttschewsche Vierzeiler besagen wollte:

Verstand wird Russland nie verstehn,


Kein Maßstock sein Geheimnis rauben;


So wie es ist, so lasst es gehen -


An Russland kann man nichts als glauben.

Der Dichter wollte nämlich annähernd auf dasselbe hinaus wie die Schöpfer meiner geliebten Filmtrilogie Aliens.

Der Film zeigt, wie im Inneren eines fremden Organismus eine effektive Form von Leben entsteht, das sich nach einiger Zeit auf originelle und überraschende Weise bemerkbar macht. In der Geschichte Russlands geschah Vergleichbares, nur dass dieser Prozess nicht einmalig, sondern zyklisch wiederkehrend war; im Bauch des einen Monsters wuchs das nächste heran. Die Leute damals spürten das instinktiv -doch was Sentenzen wie:

Aus der bröckelnden Routine imperialer Politik traten die flammenden Konturen einer neuen Welt hervor.

oder:

Bereits von den siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts an ging Russland mit der Perestroika schwanger.

recht eigentlich zu bedeuten hatten, war ihnen wohl selbst nicht immer klar.

So wie es ist - so aufregend war es; die Anatomie des Neugeborenen ließ sich nicht vorhersehen. Während Europa doch immer eine Kungelei aus ewig gleichem Personal vorstellte, das seine klapprigen Karren nach den jeweiligen Erfordernissen des Augenblicks auszurichten bemüht war, blieb Russland allzeit jung - doch war diese Jugend erkauft durch den völligen Verzicht auf Identität, denn jedes neue Monster hatte seinen Vorgänger bei der Geburt in blutige Fetzen gerissen (und war, den Gesetzen der Physik entsprechend, am Anfang klein, nahm aber rasend schnell an Gewicht zu). Das war ein gänzlich anders gearteter, unstetig-sprunghafter Evolutionsmechanismus, der dem sorgenvollen Beobachter schon im neunzehnten Jahrhundert nicht verborgen blieb. Ein kartesianischer Verstand, orientiert auf das persönliche Überleben, konnte dem freilich wenig Hoffnung abgewinnen - und so kam der Dichter zu der Ansicht, an Russland könne man nichts als glauben.

Nach dieser Erleuchtung begriff ich wieder einmal, wie viel Mut und Entschlossenheit es brauchte, um in diesem Land ein Vampir zu sein. Zugleich wuchs meine Verachtung gegenüber der chaldäischen Elite immer noch mehr: diesen klep-tomanischen Koprophagen, die die Überreste der zerfetzten Leiche in sich hineinschlangen und meinten, so »kontrollierten« sie die Lage oder »entschärften« sie gar. Im Übrigen stand ihnen die Begegnung mit ihrem Neugeborenen erst noch bevor, das einstweilen noch still im Inneren der Schottenwand hockte und Kräfte sammelte.

Derlei Gedanken schossen mir ein, zwei Minuten lang durch den Kopf. Bis ich auf einmal spürte, dass da ein düsteres, mystisches Mahngedicht aus mir hervorwollte - und just zum geforderten Thema.

Ich schrieb auf, was mir in den Sinn kam. Auf »Albanisch« war das schwierig, wie gesagt - weil besagter Netzjargon kaum über geeignete Konstruktionen verfügt, um die vor meinem inneren Auge vorüberziehenden Bilder in ihrer Subtilität und ihrem Gedankenreichtum wiederzugeben; doch alle übrigen Sprachregister waren blockiert, und jedes einzelne Wort musste ich mühselig vom Grunde meines Verstandes heraufklauben. Notgedrungen griff ich auf etwas sehr grobe Analogien zurück, die der raffinierten Bilderwelt des neunzehnten Jahrhunderts bei Weitem nicht genügten, doch dadurch gewann der Vers wenigstens an Expressivität. Als ich fertig war, blieben mir ganze fünf Minuten, um das Geschriebene noch einmal zu überlesen. Und da stand nun das Folgende:

Smith & Wesson der Archonten


Sprich, Obermacka Offsewörld:


Geht jetzt dein Laden insse Binzzen?


Wer wohl dein Mahnen noch erhört?


Hu kärs? Und wer kassiert die Zinsen?


Die Stimmung, Scheff, wird imma trüba.


Tschamp insse Buuz, Män! Trutz dem Leu!


Oder ist dir, o Herr, wer über?


Wer hat den Größten? Glawmosstroi?


Juar weri kuhl. Disst die Auguren,


die’s Unheil in die Welt geraunt.


Ättenschn, Alta. Deine Spuren


Skännt schon BiggBosz© im Andegraund.

Ich las die finstere Prophetie dreimal durch, verbesserte Schreibfehler. Nachdem aus dem jetzt noch ein izzt gemacht war, hatte ich das stolze Gefühl, mein eigenes Gedicht nicht mehr zu durchschauen. Klar war nur, wo die Überschrift herrührte: Es gab einen gnostischen Text, der Das Wesen der Archonten hieß, wir hatten ihn im Diskurs durchgenommen. (Damals hatte ich nicht viel mehr als einen passenden Namen für den gehobenen Innenstadtgriechen darin gesehen, Das Essen der Archonten oder so.) Nun hatte meine Streitmuse ihn mir aus dem Gedächtnis gekramt und umgekämmt.

Ich fand, das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die wesentlichen Konflikte des Zeitgeschehens kamen vor, die wichtigsten Player - Bin Laden und Glawmosstroi, die tonangebende Moskauer Baufirma - waren benannt. Dazu gleich doppelt der obskure »Fürst dieser Welt«: erst in Form eines dezenten historischen Verweises - die gnostische Schlange mit dem Löwenkopf -, und dann noch einmal im modernistisch geballten Klartext der letzten Zeile, wie das Reglement es verlangte. So begegneten sich in der Seele eines einfachen russischen Vampirs die großen Epochen unserer Geschichte und drückten einander verschwiegen die Hand.

Zwanzig Sekunden, bevor der nunmehr signalrot gefärbte Sekundenzeiger auf meinem Schirm über den Zielstrich rutschte, klickte ich auf SEND.

Ich hatte es geschafft.

Der Bildschirm flackerte und erlosch. Als er neu aufflammte, war er von einem senkrechten Balken in zwei Hälften geteilt. Rechts erschien mein Gedicht, links das von Mitra verzapfte. Und das ging so:

COOLicidae

mücke

auf der flachen hand,


winzig zwar, doch


in den proportionen des


körpers


wie ein mächtiger krieger,


gedankenversunken ...


kopf gar nicht groß,


rumpf lang und rund.


wär sie ein mensch,


sie wäre


HEROS.



Mitra war auf Nummer sicher gegangen.

Der manierliche, politisch korrekte Erguss eines ungeflügelten Karrieristen! Zweifellos die infamste aller Kampfstrategien. Es klang nach Huldigungen an den jungen Lenin aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Die Mücke war für Vampire seit jeher das, was der Kirschblütenzweig für die Japaner ist: Sinnbild für Schönheit, perfekt in seiner Vergänglichkeit. Und ein bisschen Mystik war wohl auch im Schwange: Das Fresko in Enlil Maratowitschs Hamlet zum Beispiel, das von Graf Draculas Tod handelte, zeigte den edlen Ritter im schwarzen Harnisch mit geöffneter Brust, aus der die demütige Mücke der Seele ergeben in den grauen Himmel entfleucht.

Auch hatte Mitra seinem Gedicht die von Baldur angesprochene Gestalt einer Treppenleiter rückwärts gegeben - ich begriff nun endlich, was damit gemeint war.

Nur mit Zeile zwölf haperte es bei ihm. Gut, die Mücke einen Heros zu nennen - wer hätte da zu widersprechen gewagt. Hoch soll sie leben! Aber korrekt hätte es heißen müssen: ... sie wäre ein Heros.

Aber dann sah ich es: Hinter das O hatte Mitra den Schatten von einem A gelegt; zwei, nein, drei Wörter schwebten in- und übereinander. Er nannte die Mücke nicht nur einen Heros, er verglich sie mit Hera! (Ein Brachialkompliment, das den langen, runden Rumpf und den kleinen Kopf vergessen ließ. Genauso gut konnte man seine Freundin als Engel titulieren.) Und den Eros hatte er auf diese Weise auch noch ins Spiel gebracht...

Wenn schon, dachte ich tapfer. Dafür geht es bei mir ums Wesentliche. Grundlegende weltanschauliche Ebenen sind angeschnitten, die Dramen des menschlichen Geistes sichtbar gemacht, und vor allem sind alle relevanten kulturellen und existenziellen Probleme der menschlichen Zivilisation vollständig enthalten. Und aus den Versen atmet poetische Kraft! ...

Doch im Grunde meines Herzens wusste ich schon, dass ich verloren hatte. Mitras Gedicht war besser als meines, das hätte jeder Vampir so gesehen. Blieb die Hoffnung, dass Hera mich am Schreibstil erkannte - und wenn sie es nur wollte, dann ...

Plötzlich fing der Bildschirm wieder zu flackern an, und ich begriff, dass sich mein Schicksal in den nächsten Sekunden entscheiden würde. Zuerst wurde die eine Hälfte etwas dunkler - die, wo Mitras Gedicht gestanden hatte -, und es erschien ein diagonaler Schriftzug, quer über das Gedicht hinweg, wie mit dem Marker direkt auf den Schirm geschrieben:

Schmazz!!

Das muss noch nichts bedeuten! dachte ich trotzig. Eine Sekunde später dunkelte auch meine Bildschirmhälfte ein, und in schwungvollen Buchstaben erschien die Zeile:

Mowl haltn! Abfaaaaaaaaahrt!

Ich verspürte einen leichten Schmerz im Bereich der Armbeuge, wo die Kanüle unter der Haut saß. Wahrscheinlich war die Binde durch eine ungeschickte Bewegung verrutscht. Ich wollte die andere Hand benutzen, um ihren Sitz zu korrigieren - doch sie gehorchte nicht. Und dann kam eine Welle zwingender Müdigkeit über meinen Geist, nichts um mich her ging mich noch etwas an.

An die folgenden ein, zwei Stunden kann ich mich nur bruchstückhaft erinnern. Die Gesichter von Baldur und Loki tauchten mehrmals vor mir auf. Loki zog die Kanüle aus meinem Arm, und Baldur trug mit amtlicher Stimme Mitras Duellorder vor, die folgenden Inhalts war:

An Loki IV. von Mitra VI.


Dienstlich!



Duellorder


Rama II. benimmt sich dumm und dreist, aber er kann einem nur leidtun. Im Falle meines Sieges in diesem dämlichen Wettstreit bitte ich ihn an die Sprossenwand zu fesseln, von der ich ihn schon einmal losband, um ihn in unsere Welt einzuführen. Vor ihm auf dem Tisch soll ein Monitor stehen, auf den die Bilder einer Kamera übertragen werden, die an meiner Krawattennadel hängt. Ich möchte, dass Rama II. mein Date mit der Person, deren Geduld und Gutmütigkeit er so anmaßend strapaziert hat, in allen Einzelheiten mitverfolgt. Dies hat mehrere Beweggründe. Erstens möchte ich, dass er erfährt, wie sich ein wohlerzogener Mann im Umgang mit einer Dame zu verhalten hat. Zweitens will ich damit für seine Unterhaltung sorgen; man kennt ja seine diesbezügliche Schaulust. Und es wird höchste Zeit, dass die exklusive Verbindung zum Nazi-Fliegerass Rudel, in der Rama II. sein Heil vor der Einsamkeit sucht, einmal Abwechslung bekommt.

Dafür bin ich bereit, vor Gott zu treten.

Mitra VI.

Selbst noch in diesem trübseligen Trancezustand spürte ich die helle Wut in mir hochsteigen. Doch sie reichte nicht aus, um auch nur einen Finger rühren zu können.

Loki und Baldur rissen mich vom Stuhl hoch, schleppten mich ins Kabinett. Beide Nabokovs schauten unverwandt auf mich herab. Die Abscheu in ihren Gesichtern kannte keine Grenzen - so als wollten sie mir die Niederlage niemals verzeihen.

Ich wurde an die Sprossenwand gefesselt. Den harten Griff der beiden nahm ich kaum wahr. Nur einmal, als sie mir den Arm etwas arg unsanft verdrehten, spürte ich, wie durch Watte hindurch, einen dumpfen Schmerz. Dann ließ Baldur mich mit Loki allein.

Loki baute sich vor mir auf. Als Erstes untersuchte er gründlich mein Auge, indem er das Lid mit dem Finger nach oben zog. Dann zwickte er mich heftig in den Bauch, was auf einmal doch höllisch wehtat - offenbar hatte der Bauch seine Schmerzempfindlichkeit bewahrt. Ich wollte aufstöhnen, aber das gelang mir nicht. Loki zwickte mich ein zweites Mal, Hoch viel kräftiger. Der Schmerz war unerträglich, ihn zu äußern unmöglich.

»Du Idiot«, sagte Loki. »Du verdammter Idiot! Was gibst du hier für eine jämmerliche Vorstellung? Smith & Wesson der Archonten - was soll das? Wer bist du überhaupt? Willst du ein Stecher sein, oder gibst du den linken Denker? Fürst dieser Welt und Mücke - das ist doch das gleiche Thema! Haargenau dasselbe, nur verschieden formuliert! Hast du das nicht kapiert, Mann?«

Dabei zwickte er mich schon wieder, und zwar so, dass mir Hören und Sehen verging.

»Wir waren uns alle sicher, dass du gewinnst«, fuhr er fort. »Alle! Wir haben dir extra noch Zeit gegeben, ins Kabinett zu gehen und ein passendes Präparat auszusuchen. Ich habe auf dich das ganze verfügbare Bablos gesetzt, fünf Gramm! So viel schafft einer sein Lebtag nicht auf die Seite! Du elender Schuft!«

Ich war darauf gefasst, dass er mich noch einmal zwickte, doch stattdessen begann er plötzlich leise und kraftlos zu weinen. Greisentränen, die er sich anschließend mitsamt der verrutschten Schminke aus dem Gesicht wischte.

»In jedem Hamlet steckt ein dänischer Prinz, heißt es«, sprach er dann, und es klang schon fast wieder einlenkend, »das versteht man. Aber deiner, Rama, schlägt über alle Stränge. Über den ist inzwischen schon beinahe jeder in deiner Umgebung gestolpert. Wird Zeit, dass du Schluss machst mit der linken Eierei! Werd endlich erwachsen! Denn du bist auf dem Holzweg, das sag ich dir als alter Genosse! Du kennst doch das Lied von diesem Zoi: Himmel ... Erde ... Zwischen Himmel und Erde ist Krieg ... Hast du dir mal überlegt, worum es da eigentlich geht? Soll ich es dir sagen? Krieg ist deswegen, weil gar keiner weiß, wo Himmel ist und wo Erde. Es gibt zwei Himmel. Sie liegen einander gegenüber, und beide sind oben. Und ständig will einer den anderen nach unten kippen. Erde wird man das erst in dem Moment nennen, wo die Frage entschieden ist. Aber wie, das kann keiner sagen. Und du, falls du es noch nicht weißt, bist in dem Krieg Feldkommandeur. Der Fürst dieser Welt, das bist du! Und wenn du das nicht kannst, dann geh in den hintersten Schützengraben und erschieß dich. Aber vorher musst du noch die Zunge weiterreichen. Und vor allem: Erschieß dich nicht in irgendeinem blöden Gedicht, sondern in Echtzeit! Fertig.«

Ich seufzte schwer. Im selben Moment kniff mich Loki mit solcher Gewalt in den Nabel, dass mir schwarz vor Augen wurde. Für Sekunden verlor ich das Bewusstsein vor Schmerz. Wahrscheinlich hatte Loki ein Todesbonbon intus. Als ich wieder zu mir kam, hatte er sich halbwegs beruhigt.

»Entschuldige«, sagte er. »Es ist nur wegen dem Bablos. Das musst du verstehen ...«

Ich verstand. Darum empfand ich große Erleichterung, als Baldur ins Zimmer zurückkehrte.

Er rückte den Tisch vor mich hin und legte das Notebook darauf ab, von dem aus etliche verschlungene Kabel auf den Korridor hinausführten. Den Bildschirm drehte er so, dass ich bequem daraufschauen konnte.

»Kannst du gut sehen?«, fragte er überflüssigerweise und dann, die Hand hinter das Ohr legend: »wie?«, als rechnete er ernsthaft mit einer Antwort; da keine kam, fuhr er selbst fort: »Schweigen ist auch eine Antwort, hi-hi ... So. Die Order ist ausgeführt. Ich muss schon sagen, Rama, du kannst von Glück reden, immer noch gesund und munter zu sein, du hättest schon viele Male tot sein können. Bist davongekommen mit einem blauen Fleck am Arm. Gratuliere, Freundchen!«

Ich konnte den Bildschirm gut sehen. Auf ihm flimmerte es grau. Keine aussagekräftigen Formen.

»Mitra startet die Übertragung selbst. Viel Spaß!«

Ich rechnete damit, dass Loki mich zum Abschied noch einmal kräftig knuffen würde, doch nichts dergleichen geschah. Die Tür fiel ins Schloss, und ich war allein.

Lange Zeit lief über das Notebook vor mir auf dem Tisch nur das graue Geflimmer, das man vom Fernseher kennt, wenn die Feinabstimmung des Senders noch fehlt. Dann wurde es von einer waagerechten Linie zerschnitten, die sich rasch verbreiterte, bis sie den ganzen Schirm einnahm -und ich sah Mitra beziehungsweise sein Spiegelbild, denn er stand vor dem Spiegel und kämmte sich.

»Hier sieben, hier sieben! Fünf bitte kommen!«, sagte er und lächelte. »Wie ist der Empfang?«

Er zeigte auf die blitzende Nadel an seinem Schlips, strich mit dem Finger darüber. Es hörte sich an wie ein fernes Donnergrollen.

»Das ist schon phantastisch, wie weit die moderne Technik fortgeschritten ist ... Und trotzdem hat der Fortschritt seine Grenzen. Ich habe mich schon immer gefragt, ob man unseren Flug wohl mit der Kamera aufnehmen kann? Heute werden wir es erfahren. Hera hat unser Date nach Heartland verlegt, ganz unten am Grund. Das Mädchen hat Stil. Du weißt, bis dort hinab gelangt man nur auf den Flügeln der Liebe. Ob dein Enthusiasmus dafür ausgereicht hätte, frage ich mich.«

Er drehte sich vom Spiegel weg, so dass ich ihn nicht mehr sah. Stattdessen blickte ich nun in einen großen Raum mit schrägen Fenstern - schätzungsweise irgendein Loft. Möbel gab es so gut wie keine, dafür längs der Wand eine Reihe von Statuen prominenter Menschen: Mick Jagger, Schamil Bassajew, Bill Gates, Madonna. Sie sahen aus wie in schwarze Eisblöcke eingefroren, Leidensmienen in den Gesichtern. Ich wusste, dass diese Dinger in Moskau Mode waren, es musste mit den Chroniken von Narnia zu tun haben; eine Designerfirma hatte sich auf diese Innenausstattung spezialisiert, es war nicht mal besonders teuer.

Dann sah ich Mitras Hände. Sie hielten ein Flakon in

Form einer Fledermaus mit eingeklappten Flügeln; Mitra hob es extra vor die Kamera an seiner Brust, damit ich es besser sah. Dann entschwebte es meinem Blickfeld. Kurz darauf hörte ich Glas auf dem Boden zerschellen - Mitra hatte das Gefäß hinter sich geschmissen wie ein leeres Schnapsglas nach dem Trinkspruch.

Ich sah einen weißen Ledersessel. Er kam näher, rutschte gegen den Rand des Bildschirms, verschwand. Vor mir war nun das Gitter des Kamins, das sich lange Zeit nicht bewegte - vermutlich, weil Mitra im Sessel still saß. Und dann kam das Bild abhanden, graue Störstreifen wanderten über den Bildschirm. Auch der Ton war weg.

Die Sendepause zog sich hin - zwei Stunden mindestens. Ich döste zwischendurch weg. Irgendwann kam das Bild wieder, aber ohne Ton. Gut möglich, dass ich etwas verpasst hatte.

Ein schmaler, in Fels gehauener Gang kam auf mich zu. Das war schon Heartland. Immer wenn Mitra in einen Altarraum kam, verneigte er sich vor dem Schrumpfkopf in der Nische. Dass sich das ziemte, hatte ich nicht gewusst - es hatte mir ja auch keiner gesagt.

In einem der Räume stand plötzlich Hera neben dem Altar. Trotz der für sie ungewöhnlichen Tracht erkannte ich sie sofort: Sie trug ein langes weißes Kleid, das sie wie ein Schulkind aussehen ließ. Es stand ihr sehr gut. Wäre ich imstande gewesen, den Computer auszuschalten, ich hätte es jetzt getan. Doch die Augen zuzukneifen brachte ich nicht über mich.

Hera kam nicht erst auf Mitra zu; sie drehte sich gleich um und verschwand in einer Seitentür, hinter der es dunkel war. Mitra folgte ihr.

Eine Weile blieb der Bildschirm schwarz. Dann tauchte ein Lichtfleckchen auf, das sich allmählich zu einer Türöffnung vergrößerte. Hera kam wieder ins Blickfeld. Dem Anschein nach betrübt, mit gesenktem Kopf, lehnte sie an einer Wand. Sie glich jetzt einem zarten Bäumchen, einem Weidenschößling vielleicht, der sich Mühe gab, am Ufer eines alten Flusses anzuwachsen. Baum des Lebens, der noch nicht weiß, dass er ein Baum des Leben ist. Oder es schon weiß, aber ... Mitra war stehen geblieben, und ich spürte, dass der Anblick ihm genauso naheging wie mir.

Dann verschwand Hera wieder.

Mitra betrat einen neuen Raum. Dort waren Menschen. Doch ehe ich sie näher betrachten konnte, geschah etwas.

Zacken und Streifen wischten über den Bildschirm, kurz ein Gesicht, verschleiert und mit Sonnenbrille, und auf einmal schien die Kamera gegen die Wand gefahren: Man sah getrocknete Farbkrümel und -bläschen, nichts weiter.

Ein paar Minuten schaute ich mir das an. Dann vollzog die Kamera einen Schwenk, und ich sah ins grelle Deckenlicht. Die Decke rutschte langsam nach rechts; es war, als würde Mitra irgendwohin geschleift. Ein stählerner Tisch blitzte auf, dahinterstehende Menschen trugen chirurgische Gewänder, sie hantierten mit Metallgegenständen, die eher wie Aztekenwerkzeuge aussahen, nicht wie chirurgisches Gerät.

Dann fuhr von der Seite her eine weiße Stellwand vor den Chirurgentisch. Doch eine Sekunde zuvor hatte ich noch eine Hand durch das Bild schweben sehen, die einen runden Gegenstand gepackt hielt, in Fußballgröße. Wie sie ihn hielt, war irgendwie sonderbar, es dauerte seine Zeit, bis ich es erfasste: Sie hielt ihn an den Haaren. Die Kugel war bereits wieder verschwunden, als ich begriff, was ich gesehen hatte.

Es war Mitras abgeschnittener Kopf.

Lange Zeit blieb das Kameraauge auf die vom unterirdischen Luftzug flatternde Bespannung der Stellwand gerichtet. Manchmal meinte ich Stimmen zu hören und hätte nicht sagen können, woher - aus den Notebooklautsprechern oder aus der Nachbarwohnung, wo laut der Fernseher lief. Mehrmals verfiel ich in einen Dämmerzustand. Ich weiß nicht, wie viel Stunden vergangen waren, als ich merkte, dass die Wirkung des Nervengiftes nachzulassen begann -ich konnte die Finger wieder ein wenig rühren. Nach kurzer Zeit gelang es mir, das Kinn ein paarmal zu heben und zu senken.

Währenddessen suchten mich viele Gedanken heim. Der interessanteste war, ob es sein konnte, dass Mitra mich gar nicht von der Sprossenwand losgebunden, ich demnach alles seither Geschehene im Verlauf weniger Minuten halluziniert hatte. Diese Vorstellung schockierte mich umso mehr, als sie meinem Körpergefühl entsprach: Ich hing exakt genauso an diesen Sprossen wie seinerzeit, da ich, aus der Ohnmacht erwachend, Brahma vor mir auf dem Sofa sitzen sah ... Aber nein: Das Notebook auf dem Tisch sprach eine andere Sprache. Und wie um die Authentizität meiner Wahrnehmung zu bekräftigen, schob sich jetzt auf dem Bildschirm der weiße Paravent zur Seite.

Wieder sah ich denselben grell erleuchteten Raum wie zuvor. Aber der Stahltisch und die Chirurgen fehlten nun. Und so ließ sich erkennen, dass es ein normaler Altarraum in Heartland war, allerdings ein neuer - noch ganz leer (von einigem Technikschrott am Fußboden abgesehen), ohne Altartisch. Vor der Nische in der Wand ragte eine monströse medizintechnische Apparatur auf, die von einem gelochten Aluminiumrahmen gehalten wurde. Neben den vielen Geräten stützte dieser Rahmen den mit schneeweißen Binden umwickelten Kopf.

Die Augen an dem Kopf waren geschlossen. Große Blutergüsse darunter. Ein getrocknetes Blutrinnsal unter der Nase, nur flüchtig abgewischt. Ein weiteres am Mundwinkel. Der Kopf atmete schwer durch zwei in den Nasenflügeln steckende transparente Plastikschläuche, die zu irgendeinem Medizinschrank führten. Sieh an! dachte ich, den Spitzbart haben sie Mitra abrasiert. Noch während ich dies dachte, merkte ich, dass das gar nicht Mitra war.

Es war Hera.

Und just in dem Moment, da mir dies bewusst wurde, schlug sie die Augen auf und schaute mich an - besser gesagt, in die Kamera. Von dem geschwollenen Gesicht waren schwerlich Emotionen abzulesen, und dennoch meinte ich einen Ausdruck darin zu gewahren, der zwischen Schreck und Mitleid lag. Schließlich fuhr der bandagierte Kopf zur Seite, geriet aus dem Bild, und alles wurde schwarz.

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