Er brauchte viel länger als die vereinbarte Stunde, um den Fuß des Bergmassivs zu erreichen, in das Caran hineingebaut war: die Höhle und das Felsplateau waren voller flüchtender Quorrl gewesen, die ihm entgegenkamen und es ihm fast unmöglich machten, auch nur von der Stelle zu kommen. Die Frist, die Ennart ihm gegeben hatte, war längst abgelaufen, ehe er auch nur aus dem Berg heraus war, und sie verstrich ein weiteres Mal, bis es ihm gelang, das Felsplateau zu überwinden und den eigentlichen Abstieg zu beginnen.
Aber Ennart griff nicht an. So, wie er Skar durch den magischen Spiegel hindurch gesehen hatte, schien er auch jetzt zu wissen, daß er auf dem Wege zu ihm war. Vielleicht las er ja seine Gedanken. Drask hatte es gekonnt - wieso sollten die, die die Zauberpriester geschickt hatten, nicht über die gleiche Macht verfügen?
Aber Skar gestattete sich auch diesmal nicht, diesen Gedanken weiter zu verfolgen. Wenn es so war, dann wäre es ohnehin müßig, noch irgend etwas tun zu wollen - welche Chance hatte er gegen einen Gegner, der seine geheimsten Wünsche und Pläne kannte, im gleichen Moment, in dem sie in seinem Kopf entstanden ...
Oder der unsterblich ist, Bruder?
... und wenn es nicht so war - nun, er hatte Ennart schon einmal getötet, unter Voraussetzungen, die nicht viel besser gewesen waren als heute. Und er hatte nicht vor, sein Leben zu verschenken.
Sein Blick suchte die Schatten zwischen den Felsen ab, die den Weg flankierten. Hier und da glaubte er eine Bewegung wahrzunehmen, aber es war jedes Mal nur ein Schatten oder eine Sinnestäuschung, wenn er genauer hinsah. Ennart schien Wort gehalten zu haben: die Garde hatte die flüchtenden Quorrl nicht verfolgt.
Dann begriff er, daß es gar nicht die Quorrl aus Ninga waren, nach denen er suchte. Wonach er mit klopfendem Herzen Ausschau hielt, das war ein dürres schwarzes Ding ohne Gesicht und mit tödlichen Klauen, sein schwarzer Schutzengel, von dem er sich vergeblich einzureden versuchte, daß er Angst vor seinem Anblick hätte. Das hatte er längst nicht mehr - ganz im Gegenteil. Er sehnte ihn fast herbei. Und nicht erst seit heute. Vielleicht hatte es erst dieser dramatischen Entwicklung bedurft, damit er bereit war, sich selbst gegenüber die Wahrheit einzugestehen: er hatte längst damit angefangen, mit der Kraft des Daij-Djan zu kalkulieren. Du brichst unser Abkommen, Bruder. Du tust es unentwegt, denn du zwingst mich, dich zu beschützen, ohne den Preis zu bezahlen.
Aber irgendwie wußte er, daß es jetzt soweit war. Der Daij-Djan war da. Er war ganz nahe, so nahe bei ihm wie vielleicht nie zuvor. Skar spürte sein Dasein, und er spürte die entsetzliche Kraft, die ihn begleitete, bereit, auf ein Wort, einen Gedanken hin auf ihn überzugehen. Noch nicht, Bruder, dachte er. Noch nicht. Aber bald.
Bald.
Der Daij-Djan flüsterte lautlos seine Zustimmung, und die Schatten rings um Skar wurden wieder ein wenig heller. Er fühlte sich stark. Allein das Wissen, selbst Ennart überlegen zu sein, wenn er es nur wollte, verlieh ihm neue Kräfte.
Der Ssirhaa erwartete ihn allein. Seine beiden Begleiter und er waren von den Rücken ihrer zyklopischen Reittiere gestiegen, aber es war nur Ennart, der ihm entgegenkam. Die beiden anderen Riesengestalten hatten sich ein Stück zurückgezogen; ebenso wie ihre Tiere. Zusammen mit den Quorrl, die sich in respektvollem Abstand zu den riesigen Drachenwesen versammelt hatten, bildeten sie fast so etwas wie eine lebende Arena, als wären sie bemüht, einen würdigen Rahmen für das Zusammentreffen zwischen Skar und ihrem Herrn zu schaffen.
Skars Blick glitt flüchtig über die Gesichter der Quorrl-Soldaten. Nur wenige blickten in seine Richtung. Die meisten starrten die beiden schwarzgepanzerten Riesen und ihre entsetzlichen Reittiere an, und plötzlich begriff Skar, daß auch diese Krieger vor Angst halb wahnsinnig waren. Ihre Furcht vor Ennart und seinen Begleitern war kein bißchen kleiner als die der Quorrl in Caran oder die von Titchs Kriegern.
Das war es, was sie erwartete, dachte er. Angst. Das Lebenselixier der Sternengeborenen, die Energie, die ihre furchtbare Vernichtungsmaschinerie antrieb. Die Quorrl würden vielleicht etwas erleben, was keinem anderen Volk auf dieser Welt je widerfahren war - von ihren eigenen Göttern beherrscht zu werden, nicht im übertragenen Sinne, sondern wortwörtlich. Aber sie würden einen entsetzlichen Preis dafür zahlen. Und er glaubte zu spüren, daß manche von ihnen es bereits wußten.
Langsam trat er auf Ennart zu. Der Ssirhaa hatte seine schwarze Rüstung abgelegt und trug jetzt wieder die Kleider, in denen Skar ihn im Turm kennengelernt hatte: eine knöchellange Toga aus fließendem Gold unter einem lose fallenden, bestickten Umhang der gleichen Farbe, und wieder hatte Skar dasselbe irrationale Gefühl, lachen zu müssen, das ihn schon einmal überkommen hatte bei Ennarts Anblick. Die Kleider unterstrichen die ehrfurchtgebietende Gestalt des Ssirhaa noch, aber alles an ihm schien eine Spur zu machtvoll, eine Winzigkeit übertrieben, um wirklich noch göttlich zu sein.
Er näherte sich dem Ssirhaa bis auf drei Schritte und blieb stehen. Seine Hand griff nach dem Schwert im Gürtel, strich fast liebevoll über seinen Griff und verharrte darauf. Ennarts Blick folgte der Bewegung. Er lächelte, aber seine Augen blieben kalt. »Es hat lange gedauert, bis wir uns wiedersehen«, sagte er, und auch dieser Satz war etwas, das Skars Mißtrauen eher noch stärkte.
»Ja«, sagte er. Seine Hand schloß sich fester um das Schwert. Er beobachtete Ennart genau, und das sonderbare Gefühl wurde immer stärker. Etwas an Ennart war... falsch. »Was willst du?«
»Dasselbe, was ich schon einmal von dir wollte, Satai«, antwortete Ennart.
»Den Tod?« Skar zog das Schwert eine Handspanne weit aus der Scheide und ließ die Klinge mit einem hörbaren Geräusch wieder zurückfallen. »Vielleicht waren Titch und ich das letzte Mal nicht gründlich genug«, sagte er böse. »Aber ich kann versuchen, es besser zu machen.«
Für Bruchteile von Sekunden blitzte es in Ennarts Augen böse auf, und für die gleiche Zeitspanne verlor der Ssirhaa auch die Kontrolle über seine Züge. Wut verzerrte das goldene Antlitz des Quorrl-Gottes, schien es zu etwas anderem zu machen, etwas, das nicht Quorrl oder Mensch war, eine Maske hinter einer Maske, und auch dahinter nicht sein wirkliches Antlitz, sondern das Gesicht eines Wesens, das kein Gesicht hatte, und ... Ein stählerner Besen schien durch Skars Kopf zu fahren und den Gedanken davonzuwirbeln. Das Gefühl, zu wissen, was sich hinter Ennarts Maske verbarg, verging, aber etwas blieb: das Wissen, daß da etwas war.
Es ist alles gelogen, Bruder. Sie sind Meister der Lüge. Dann gewann der Ssirhaa seine Fassung zurück, und mit der Wut auf seinem Gesicht verschwand auch das Flüstern seines Dunklen Bruders aus Skars Gedanken. Skar löste die Hand vom Schwert, zog sie aber nicht sehr weit zurück. Seine Finger blieben in Griffweite der Waffe, und Ennart registrierte auch das; und auch das nicht ganz so unbeeindruckt, wie Skar erwartet hatte. »Ich wiederhole mein Angebot, Skar«, sagte Ennart. »Ich bin gekommen, um dich zu holen. Du hast keine Wahl. Nur die, als Gefangener oder als freier Mann mit uns zu kommen.«
»Das hatten wir schon einmal, nicht?« fragte Skar bissig. Ennart schwieg. Nur in seinen Augen regte sich etwas. Etwas Böses, Lauerndes.
»Du kannst mich nicht zwingen, Ssirhaa«, fuhr er fort. »Du hast es schon einmal versucht. Es ist dir nicht gelungen, und es wird dir auch jetzt nicht gelingen. Ist ein Tod nicht genug, um daraus zu lernen?«
»Die gleiche Frage könnte ich dir stellen, Satai«, antwortete Ennart mit großem Ernst. »Ich habe den höchsten Preis bezahlt, den du dir denken kannst. Das Leben.«
»Eigentlich siehst du ganz munter aus«, sagte Skar. Er spürte, daß er den Boden unter den Füßen zu verlieren begann. Ennart hatte sich verändert, aber etwas war gleich geblieben: die Unmöglichkeit, ihn mit Worten zu besiegen. Sie sind Meister der Lüge. »Ihr habt mich getötet, Titch und du«, antwortete Ennart. »Ich bin ein Gott, Satai, und für mich und meine Brüder gelten andere Gesetze als für dich oder die Quorrl. Aber dieser Körper ist sterblich, und er kann Schmerzen verspüren. Ihr habt mir Schmerz zugefügt, schlimmer, als du dir vorstellen kannst, und ich habe den Tod kennengelernt, durch euch. Und trotzdem bin ich bereit, dir zu vergeben. Was soll ich noch tun, um dein Vertrauen zu erringen?«
»Wie wäre es, wenn du dein Schwert nimmst und dir die Kehle durchschneidest?« schlug Skar vor.
»Du kannst nicht gewinnen, Skar«, sagte Ennart ernst.
»Das will ich auch nicht«, antwortete Skar. »Es reicht mir völlig, wenn ich verhindere, daß ihr gewinnt.«
Ennart seufzte. Seine Stimme nahm den Ausdruck an, den man einem uneinsichtigen Kind gegenüber anschlägt. »Was muß noch geschehen, damit du einsiehst, wie sinnlos dein Kampf ist, Satai?« fragte er. »Wie viele Leben willst du noch vernichten? Wie viel Unglück willst du noch verbreiten, du und das Ding, das in dir steckt?«
Skar erschrak. »Du ... weißt -?«
»Ich bin ein Gott«, wiederholte Ennart mit einem milden Lächeln. Er streckte die Hand aus. Skar machte einen raschen Schritt zurück und griff wieder nach seiner Waffe, und Ennart zog den Arm mit einem bedauernden Seufzen wieder zurück. Skar machte einen weiteren Schritt nach hinten und zog die Waffe vollends aus dem Gürtel.
Ennart hob die Hand, und hinter ihm erklang ein Skar wohlvertrautes, warnendes Geräusch: der Laut, mit dem Dutzende von Pfeilen auf Bögen gelegt und die Sehnen straffgezogen wurden.
»Versuch es nicht, Satai«, sagte Ennart. »Ich fürchte den Tod dieses Körpers nicht, aber er wäre sinnlos. Es würde Zeit kosten, ihn neu zu schaffen. Und wir haben nicht mehr viel Zeit, du und ich.«
»Dann zaubere dir doch welche«, knurrte Skar.
»Selbst uns sind Grenzen gesetzt«, sagte Ennart lächelnd. »Nicht einmal ein Gott kann die Zeit besiegen. Steck das Schwert ein - ich bitte dich. Ich bin nicht hier, um zu kämpfen. Ich will nur reden.«
»Was willst du von mir?« fragte Skar. Ennart antwortete nicht, und das Scharren und Schleifen hinter Skar wiederholte sich. Widerstrebend ließ er die Klinge wieder in die lederne Hülle an seinem Gürtel gleiten. »Du willst mich? Dann komm und hole mich! Oder gib deinen Kriegern ein Zeichen, mich zu erschießen.« Würde er schnell genug sein? Er wollte nicht sterben, selbst jetzt noch nicht. Skar fragte sich, ob die unendlich kurze Zeitspanne, die ein Pfeil brauchte, um von der Sehne zu schnellen und sein Ziel zu treffen ausreichte, seinen dunklen Bruder um Hilfe zu rufen. »Ich will nicht deinen Tod, Satai«, sagte Ennart geduldig. »Wir brauchen dich. Enwor braucht dich. Deine Macht.«
»Ihr braucht mich, um zu gewinnen.«
»Nein«, antwortete Ennart, und trotz allem spürte Skar, daß der Ssirhaa die Wahrheit sagte. »Es gibt keinen Zweifel mehr an unserem Sieg. Die Frage ist nur, wie wir gewinnen - ob Enwor uns kampflos zurückgegeben wird oder sein Widerstand in einem Meer von Blut ertrinkt. Diese Welt gehört uns. Sie hat uns immer gehört, und wir werden sie zurückbekommen. Aber es ist deine Entscheidung, wie.«
»Enwor gehört euch nicht«, antwortete Skar. »Vielleicht hat es euch einmal gehört. Aber wenn, dann habt ihr diesen Anspruch verspielt, indem ihr es zerstört habt.«
Ennart seufzte. Er wirkte... traurig. Nicht zornig oder aufgebracht, sondern eher enttäuscht, ein Mann, der eine Antwort bekommen hatte, die er vorher kannte.
»Es ist zu spät, Skar«, sagte er. »Die Sternenkreatur ist bereits zu stark. Sie wird erwachen, so oder so. Bald!«
»Und du fürchtest, daß ihr ihrer nicht mehr Herr werdet«, vermutete Skar. »Ist es so?«
»Vielleicht«, gestand Ennart mit überraschender Offenheit ein. »Ja, vielleicht hattest du recht mit dem, was du mir im Tal der Drachen prophezeit hast. Die Kreatur ist stark, viel stärker, als wir glaubten. Die Zerstörung des Turmes kam zu spät. Vielleicht verlieren wir die Kontrolle über sie, wenn sie erst einmal wirklich erwacht ist. Was nicht heißt«, fügte er etwas lauter und mit deutlich veränderter, jetzt wieder durch und durch hochmütiger Stimme hinzu, »daß wir sie fürchteten. Wir haben sie erweckt, und wir können sie auch wieder zerstören. Jederzeit.«
»Und euch damit eure einzige Waffe nehmen?« fragte Skar spöttisch.
»Das ist sie nicht«, antwortete Ennart, und wieder wußte Skar mit unerschütterlicher Gewißheit, daß der Ssirhaa die Wahrheit sagte. »Es ist unsere einzige Waffe, euch zu besiegen, Mensch. Die anderen würden euch vernichten. Willst du das?«
»Ich will wissen, warum du hier bist!« sagte Skar, ohne direkt auf Ennarts Frage zu antworten. Seine Stimme zitterte. Die Berge schienen sich um ihn zu drehen. Alles wurde unwirklich. Etwas ... nagte an seinen Gedanken. Da war ein Wissen, ein unerschütterliches, uraltes Wissen, tief in ihm, das ihm sagte, daß Ennart nicht log. Daß er nur die Wahl hatte, diesen Bestien Enwor kampflos zu übergeben, oder zuzusehen, wie sie es zerstörten. War denn alles, was er tat, falsch?!
»Um dir eine letzte Chance zu geben, Skar«, antwortete Ennart. »Dir und dieser ganzen Welt. Enwor wird uns gehören. Wir werden es neu schaffen, so wie es war, ehe deine Vorfahren kamen und es uns wegzunehmen versuchten. Es spielt keine Rolle, ob es eine tote oder eine lebende Welt ist, die wir neu formen. Aber wir wollen euren Tod nicht.«
»Unseren Tod. Du meinst -«
»Was Elay vernichtete«, unterbrach ihn Ennart leise, »könnte auch anderen Städten widerfahren. Ikne. Ninga. Oder Caran, in dem ihr euch sicher fühlt. Das Sternenfeuer ist keine Legende, Skar. Es existiert, und es liegt in unserer Macht, es zu entfesseln. Willst du das? Willst du, daß ganz Enwor verbrennt?«
Skar schauderte. Er dachte an eine Stadt voller toter Errish, eine Stadt voller grauem Staub, der tötete, sofort und barmherzig wie Kiinas Schwestern, oder langsam und qualvoll, wie die Margoi. Und ihn. »Das ... das würdet ihr nicht tun«, sagte er. »Wir haben keine andere Wahl mehr, Skar«, sagte Ennart traurig. »Die Kreatur ist bereits zu stark. Wir können ihr Erwachen nicht mehr verhindern, selbst, wenn wir es wollten.«
»Ich dachte, ihr wärt allmächtige Götter«, sagte Skar voller bösem Hohn.
»Wir waren es, und wir werden es wieder sein«, antwortete Ennart. »Aber die, die die Sternenkreatur erschaffen haben, waren ebenso mächtig wie wir. Sie ist stark. Unendlich stark und voller Bosheit und Haß auf alles Leben. Und wenn sie den Zauber bricht, den wir um ihren Geist gewoben haben...«
Er brach ab, sah Skar sekundenlang durchdringend und stumm an und machte eine komplizierte Bewegung mit der linken Hand, die zugleich Skar als auch den Kriegern hinter ihm galten. Skar hörte, wie sich die Quorrl wieder zurückzogen.
»Nun?« Ennart machte eine weitere Handbewegung, die diesmal ihm galt.
»Du ... läßt mir keine große Wahl, wie?« fragte Skar; eigentlich nur, um Zeit zu gewinnen. Er war verwirrt, verstört und erschrocken wie niemals zuvor im Leben. Was Elay vernichtet hat, könnte auch andere Städte treffen. Die Drohung war ernst gemeint. Sie würden tun, was Ennart ihm prophezeite, wenn er nicht...
... die verriet, die ihm vertrauten? Er dachte an das Versprechen, das er Titch gegeben hatte, und das zweite, gewichtigere, das er sich selbst gegenüber abgelegt hatte.
»Nein«, sagte er. Seine Hand sank wieder auf das Schwert, und als er zu Ennart aufsah, war etwas in seinem Blick, das dem Ssirhaa klarmachte, wie ernst er seine Worte meinte. »Du kannst mich zwingen, dich zu begleiten, aber du kannst mich nicht zwingen, euch zu helfen. Töte mich, oder laß mich gehen.« Der Ausdruck von Trauer in Ennarts Blick vertiefte sich, und für eine Sekunde fragte sich Skar, ob nicht er es war, der sich irrte. Er hatte die Unfehlbarkeit nicht gepachtet. Vielleicht hatte er von Anfang an auf der falschen Seite gestanden, und es waren die Ssirhaa, die im Recht waren; ganz einfach, weil man eine Welt nicht stehlen konnte wie einen Edelstein oder ein Stück Land.
»Das ist dein letztes Wort?« vergewisserte sich Ennart.
Und vielleicht war es das, diese... ja: beinahe Verzweiflung, die aus Ennarts Worten sprach, die Skar endgültig überzeugte, daß das Wesen mit der goldenen Haut kein Gott war. Ein Gott bat nicht, wo es nichts mehr zu bitten gab.
Ohne zu antworten, drehte sich Skar herum und ging langsam den Weg zurück, den er gekommen war; angespannt, gefaßt auf das Peitschen von Bogensehnen und den heißen Schmerz, der Sekundenbruchteile danach kommen mußte. Ein unsichtbarer Schatten schien sich zu ihm zu gesellen, aber der Daij-Djan schwieg, als wisse er, daß auch er verloren hatte, daß Skar sich nicht mehr wehren würde, wenn Ennart jetzt den Befehl gab, ihn zu töten.
Aber der tödliche Pfeil kam nicht. Ungehindert erreichte Skar den ersten Felsen und ging weiter.
»Satai!«
Er hatte sich vorgenommen, sich nicht noch einmal umzudrehen, ganz gleich, was geschah, aber in Ennarts Stimme war eine so zwingende Macht, daß er doch stehenblieb und zu dem Ssirhaa zurücksah. Ennarts Gestalt hatte nichts Göttliches mehr, aus zwanzig Schritten Entfernung betrachtet. Er wirkte nur klein und verloren und so hilflos, wie sich seine Stimme angehört hatte.
Was Skar schaudern ließ, das war nur noch die Erinnerung an das, was er gesagt hatte: Was Elay zerstört hat, kann auch andere Städte treffen. Für einen kurzen, entsetzlichen Moment glaubte er, eine furchtbare Veränderung an dem Ssirhaa zu sehen: sein Körper schien sich aufzulösen, zu einem tobenden Chaos aus Millionen und Abermillionen winziger wirbelnder Funken zu werden, ein lodernder Dämon aus Feuer, der die Welt in Brand stecken würde.
Hatte er es wirklich gesehen? Skar zweifelte jetzt daran. Er war nicht mehr sicher, ob es den Flammendämon in Ennarts Turm wirklich gegeben hatte, oder ob es nur eine Warnung gewesen war, eine verschlüsselte Vision dessen, was kommen würde.
»Satai!« rief der Ssirhaa noch einmal, und seine Stimme zerbrach den Bann. »Du hast dich entschieden! Was ab jetzt geschieht, ist allein dein Werk!«
Skar starrte den Ssirhaa sekundenlang wortlos an. Er fühlte nichts mehr als Verachtung. Dann hob er die Hand, wie zu einem spöttischen Gruß, und ging weiter.