7

»Und dann«, sagte Strigan, während wir aßen, ein letzter Punkt in der langen Liste von Klagen gegen die Radchaai, »wäre da noch der Vertrag mit den Presger.«

Seivarden lag still da, die Augen geschlossen, gleichmäßig atmend, verkrustetes Blut auf der Lippe und am Kinn, ein paar Spritzer davon auf der Vorderseite ihres Mantels. Über ihrer Nase und der Stirn lag ein Korrektiv.

»Sie ärgern sich über den Vertrag?«, fragte ich. »Wäre es Ihnen lieber, die Presger wären frei, all das zu tun, was sie schon immer getan haben?« Den Presger war es gleichgültig, ob eine Spezies Intelligenz und Bewusstsein besaß oder nicht. Das Wort, das sie verwendeten — oder zumindest der Begriff, da sie meines Wissens nicht in Worten sprachen —, wurde üblicherweise als Signifikanz übersetzt. Und nur die Presger waren signifikant. Sie hatten das Recht, alle anderen Lebewesen als Beute, Besitz oder Spielzeug zu benutzen. Menschen waren ihnen meistens völlig egal, aber manche von ihnen stoppten gern Schiffe und nahmen sie — und ihren Inhalt — auseinander.

»Es wäre mir lieber, wenn die Radch keine verbindlichen Versprechen im Namen der gesamten Menschheit abgeben würde«, antwortete Strigan. »Wenn sie nicht die Politik für jede einzelne menschliche Verwaltung diktieren würde, um uns dann zu sagen, dass wir ihr dafür dankbar sein sollten.«

»Die Presger verstehen solche Unterscheidungen nicht. Alles oder nichts, etwas anderes kam nicht infrage.«

»Der Radch ging es doch nur darum, ihren Herrschaftsbereich weiter auszudehnen, und das auf eine Weise, die billiger und leichter ist als eine totale Eroberung.«

»Sie wären vielleicht überrascht, dass einigen hochrangigen Radchaai dieser Vertrag genauso zuwider ist wie Ihnen.«

Strigan zog eine Augenbraue hoch und stellte ihren Becher mit stinkender fermentierter Milch ab. »Irgendwie bezweifle ich, dass ich diese hochrangigen Radchaai sympathisch finden würde.« Ihr Tonfall war verbittert und leicht sarkastisch.

»Richtig«, antwortete ich. »Auch ich glaube, dass Sie sie nicht mögen würden. Und sicherlich könnten sie wenig mit Ihnen anfangen.«

Sie blinzelte und betrachtete konzentriert mein Gesicht, als würde sie versuchen, etwas aus meinem Ausdruck herauszulesen. Dann schüttelte sie den Kopf und machte eine wegwerfende Geste. »Was Sie nicht sagen.«

»Wer Ordnung und Zivilisation im Universum schaffen möchte, lässt sich nicht zu Verhandlungen herab. Vor allem nicht mit Nicht-Menschen.« Was eine recht große Zahl von Leuten einschloss, die sich selbst als menschlich betrachteten, aber das war ein Thema, das ich in diesem Augenblick lieber aussparen wollte. »Warum sollte man ein Abkommen mit einem derart unversöhnlichen Feind schließen? Vernichten und fertig.«

»Könnten Sie das?«, fragte Strigan ungläubig. »Hätten Sie die Presger vernichten können?«

»Nein.«

Sie verschränkte die Arme und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Warum führen wir dann überhaupt diese Debatte?«

»Ich dachte, das wäre offensichtlich«, antwortete ich. »Manchen fällt es schwer zuzugeben, dass die Radch fehlbar oder dass ihre Macht begrenzt sein könnte.«

Strigan blickte zur anderen Seite des Raumes, zu Seivarden. »Aber das ist bedeutungslos. Eine Debatte. Als ob eine echte Debatte möglich wäre.«

»Gewiss«, stimmte ich ihr zu. »Sie sind die Expertin.«

»Oh ho!«, rief sie aus und setzte sich etwas gerader auf. »Ich habe Sie wütend gemacht.«

Ich war mir sicher, dass ich meinen Ausdruck nicht verändert hatte. »Ich glaube nicht, dass Sie jemals in der Radch waren. Ich glaube nicht, dass Sie viele Radchaai kennen, zumindest nicht persönlich. Nicht besonders gut. Sie sehen sie nur von außen, und Sie sehen Konformität und Gehirnwäsche.« Endlose Reihen von identischen Soldatinnen in silbernen Rüstungen, ohne eigenen Willen, ohne eigenes Bewusstsein. »Und es stimmt, dass die niedrigsten Radchaai sich allen Nicht-Bürgerinnen weit überlegen fühlen. Was Leute wie Seivarden von sich selbst halten, ist unerträglich.« Strigan gab ein kurzes, amüsiertes Schnaufen von sich. »Aber sie sind Personen, und zu bestimmten Dingen haben sie unterschiedliche Ansichten.«

»Ansichten, die keine Rolle spielen. Anaander Mianaai erklärt, was sein wird, und so wird es sein.«

Dieses Thema war wesentlich komplizierter, als ihr bewusst war, dessen war ich mir sicher. »Was nur zu ihrer Frustration beiträgt. Stellen Sie sich vor, Ihr ganzes Leben wäre auf die Eroberung und die Erweiterung des Radchaai-Territoriums ausgerichtet. Sie sehen Mord und Vernichtung in einem unvorstellbaren Ausmaß, aber die Radchaai sehen die Ausbreitung von Zivilisation, Gerechtigkeit und Anstand, zum Nutzen des Universums. Tod und Vernichtung sind unvermeidliche Nebenprodukte des guten, absoluten Ziels.«

»Ich glaube nicht, dass ich viel Sympathie für ihre Perspektive aufbringen kann.«

»Ich bitte Sie auch nicht darum. Stellen Sie es sich vor und schauen Sie es sich für einen Moment an. Nicht nur Ihr Leben, sondern das Ihres ganzen Hauses und Ihrer Vorfahren über tausend Jahre oder mehr sind in diese Vorstellung eingeschlossen, in diese Aktionen. Amaat will es so. Die Göttin will es so, das Universum selbst will all das. Und dann sagt Ihnen eines Tages jemand, dass Sie sich geirrt haben. Und Ihr Leben wird nicht mehr so sein, wie Sie es sich vorgestellt haben.«

»So etwas passiert ständig«, sagte Strigan, die sich von ihrem Sitz erhob. »Nur dass sich die meisten von uns nicht einbilden, eine große Bestimmung zu haben.«

»Die Ausnahme ist keine unbedeutende«, gab ich zu bedenken.

»Und Sie?« Sie stand neben dem Stuhl, den Becher und die Tasse in den Händen. »Sie sind definitiv eine Radchaai. Ihr Akzent, wenn Sie Radchaai sprechen« — jetzt sprachen wir in ihrer Muttersprache —, »klingt, als würden Sie von der Gerentate stammen. Aber im Moment haben Sie fast gar keinen Akzent. Sie könnten einfach nur sehr gut mit Sprachen sein — unmenschlich gut, wie ich vielleicht sogar sagen würde …« Sie hielt inne. »Nur mit dem Genus verraten Sie sich. Nur eine Radchaai würde Leute falsch gendern, so wie Sie es tun.«

Ich hatte falsch geraten. »Ich kann nicht unter Ihre Kleidung blicken. Und selbst wenn ich es könnte, wäre das nicht immer ein zuverlässiger Indikator.«

Sie blinzelte, zögerte einen Moment, als würde das, was ich gesagt hatte, keinen Sinn für sie ergeben. »Ich habe mich oft gefragt, wie sich Radchaai reproduzieren, wenn sie alle das gleiche Geschlecht haben.«

»Das haben sie nicht. Und sie reproduzieren sich wie alle anderen auch.« Strigan zog eine skeptische Augenbraue hoch. »Sie gehen zu den Ärztinnen«, fuhr ich fort, »und lassen sich ihre kontrazeptiven Implantate deaktivieren. Oder sie benutzen einen Tank. Oder unterziehen sich einer Operation, um eine Schwangerschaft austragen zu können. Oder sie engagieren jemanden, um es für sie zu tun.«

All das unterschied sich kaum von dem, was andere Spezies taten, aber Strigan schien leicht schockiert zu sein. »Sie sind definitiv eine Radchaai. Und definitiv sehr vertraut mit Kapitän Seivarden, aber Sie sind nicht wie er. Ich habe mich von Anfang an gefragt, ob Sie eine Hilfseinheit sind, aber ich kann keine Implantate erkennen. Wer sind Sie?«

Sie würde viel genauer hinschauen müssen, als sie es bereits getan hatte, um die Hinweise darauf zu erkennen, was ich war — für einen flüchtigen Beobachter sah ich aus, als hätte ich ein oder zwei kommunikative und optische Implantate von der Art, wie Millionen von Leuten sie ganz selbstverständlich trugen, ob sie Radchaai waren oder nicht. Und während der letzten zwanzig Jahre hatte ich Mittel und Wege gefunden, die Hinweise auf das, was ich hatte, zu vertuschen.

Ich nahm mein Geschirr auf und erhob mich ebenfalls. »Ich bin Breq von der Gerentate.« Strigan schnaufte ungläubig. Die Gerentate war weit genug von allen Orten entfernt, an denen ich mich in den letzten neunzehn Jahren aufgehalten hatte, um alle kleinen Fehler zu verbergen, die ich vielleicht begangen hatte.

»Nur eine Touristin«, stellte Strigan fest, in einem Tonfall, der unmissverständlich verriet, dass sie mir kein Wort glaubte.

»Ja«, stimmte ich zu.

»Welches Interesse haben Sie also an …« Sie deutete erneut auf Seivarden, die immer noch schlief und langsam und gleichmäßig atmete. »Nur ein streunendes Tier, das gerettet werden musste?«

Ich antwortete nicht. Und wenn ich ehrlich war, wusste ich selbst keine Antwort darauf.

»Ich bin Leuten begegnet, die Streuner sammeln. Ich glaube nicht, dass Sie dazu gehören. Sie haben etwas … etwas Kaltes an sich. Etwas Kantiges. Sie sind viel selbstbeherrschter als alle Touristen, die ich je gesehen habe.« Und natürlich wusste ich, dass sie die Waffe hatte, von deren Existenz niemand außer ihr selbst und Anaander Mianaai hätte wissen sollen. Aber das konnte sie nicht sagen, ohne zuzugeben, dass sie sie hatte. »In siebzehn Höllen gibt es keine Chance, dass Sie eine Touristin von der Gerentate sind. Was sind Sie?«

»Wenn ich es Ihnen sage, würde ich Ihnen damit den Spaß verderben«, erwiderte ich.

Strigan öffnete den Mund, um etwas zu erwidern — wahrscheinlich etwas Wütendes, wenn ich nach ihrer Miene ging —, als ein Alarmton erklang. »Besucher«, sagte sie stattdessen.

Als wir unsere Mäntel angezogen hatten und durch die zwei Türen hinausgegangen waren, hatte sich ein Kriecher einen zerklüfteten Weg zum Haus hinauf gesucht. Er zog einen weißen Graben durch den vom Moos gefärbten Schnee und kam schlingernd zum Stehen, wobei er meinen Flieger nur um wenige Zentimeter verfehlte.

Die Tür sprang auf, und eine Nilter glitt heraus, kleiner als die meisten, denen ich bisher begegnet war, eingewickelt in einen scharlachroten Mantel, der in Hellblau und einem schreienden Gelbton bestickt war, aber auch von dunklen Flecken überzogen — von Schneemoos und Blut. Die Person blieb für einen Moment stehen und sah uns dann am Eingang zum Haus stehen.

»Doktor!«, rief sie. »Hilfe!«

Bevor sie zu Ende gesprochen hatte, stapfte Strigan bereits durch den Schnee. Ich folgte ihr.

Als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass die Fahrerin noch ein Kind war, kaum vierzehn Jahre alt. Auf dem Beifahrersitz lag eine Erwachsene, bewusstlos, die Kleidung in Fetzen, stellenweise durch alle Schichten aufgerissen. Blut tränkte den Stoff und den Sitz. Ihr fehlte das rechte Bein unterhalb des Knies und der linke Fuß.

Zu dritt schafften wir die Verletzte ins Haus und in die Krankenstation. »Was ist geschehen?«, fragte Strigan, während sie die blutigen Fetzen des Mantels entfernte.

»Ein Eisteufel«, sagte das Mädchen. »Wir haben ihn nicht gesehen!« Tränen standen in ihren Augen, liefen aber nicht heraus. Sie schluckte schwer.

Strigan lobte die behelfsmäßigen Aderpressen, die offenbar vom kleinen Mädchen angebracht worden waren. »Du hast alles getan, was du tun konntest«, sagte sie und nickte zur Tür zum Hauptraum. »Ich werde mich um alles Weitere kümmern.«

Wir verließen die Krankenstation, obwohl sich das Mädchen meiner Anwesenheit gar nicht bewusst zu sein schien, auch nicht der von Seivarden, die immer noch still auf ihrer Pritsche lag. Sie stand ein paar Sekunden lang mitten im Zimmer, verunsichert, anscheinend paralysiert, bis sie sich auf eine Bank sinken ließ.

Ich brachte ihr einen Becher mit fermentierter Milch, und sie zuckte zusammen, als wäre ich plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht. »Bist du verletzt?«, fragte ich sie. Diesmal hatte ich richtig gegendert — ich hatte zuvor gehört, wie Strigan das weibliche Anredepronomen benutzt hatte.

»Ich …« Sie verstummte und betrachtete den Becher Milch, als könnte sie sie beißen. »Nein, nein … nur ein wenig.« Sie schien kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen. Vielleicht kam es tatsächlich dazu. Nach Radchaai-Maßstäben war sie noch ein Kind, aber sie hatte gesehen, wie diese Erwachsene verletzt wurde. War sie ein Elternteil, eine Cousine, eine Nachbarin? Jedenfalls hatte sie die Geistesgegenwart besessen, ein wenig Erste Hilfe zu leisten, sie in einen Kriecher zu verfrachten und hierherzukommen. Es wäre keine Überraschung, wenn sie jetzt völlig zusammenbrach.

»Was ist mit dem Eisteufel geschehen?«, fragte ich.

»Ich weiß es nicht.« Sie blickte zu mir auf, vom Milchbecher, den sie immer noch nicht angenommen hatte. »Ich habe ihn getreten. Ich habe mit meinem Messer nach ihm gestochen. Er zog sich zurück. Ich weiß es nicht.«

Ich brauchte ein paar Minuten, um weitere Informationen aus ihr herauszuholen — dass sie den anderen in ihrem Familienlager eine Nachricht hinterlassen hatte, aber dass niemand nahe genug gewesen war, um helfen zu können, um schnell genug zu ihr zu kommen. Während wir sprachen, schien sie sich zu sammeln, zumindest ein bisschen, zumindest so weit, dass sie die Milch annahm, die ich ihr anbot, und davon trank.

Nach einigen Minuten schwitzte sie und zog ihre beiden Mäntel aus, die sie neben sich auf die Bank legte. Dann saß sie still und verlegen da. Mir fiel nichts ein, was ihre Verzweiflung lindern konnte. »Kennst du irgendwelche Lieder?«, fragte ich sie.

Sie blinzelte verdutzt. »Ich bin keine Sängerin«, sagte sie.

Vielleicht war es ein sprachliches Missverständnis. Ich hatte nicht besonders auf die Sitten in diesem Teil der Welt geachtet, aber ich war mir ziemlich sicher, dass man nicht zwischen Liedern unterschied, die jede sang, und solchen, die — normalerweise aus religiösen Gründen — nur von Spezialistinnen gesungen wurden, jedenfalls nicht in den Städten in der Nähe des Äquators. Vielleicht war es hier so weit im Süden anders. »Entschuldige bitte«, sagte ich, »anscheinend habe ich ein falsches Wort benutzt. Wie nennst du es, wenn du arbeitest oder spielst oder versuchst, ein Baby einschlafen zu lassen? Oder nur …«

»Oh!« Das plötzliche Verständnis belebte sie, wenn auch nur für einen Moment. »Du meinst Lieder!«

Ich lächelte aufmunternd, aber sie verfiel wieder in Schweigen. »Versuch dir keine zu großen Sorgen zu machen«, sagte ich. »Strigan ist sehr gut. Und manche Dinge muss man einfach den Gottheiten überlassen.«

Sie saugte ihre Unterlippe ein und biss darauf. »Ich glaube an keinen Gott«, sagte sie mit leichtem Nachdruck.

»Trotzdem. Die Dinge geschehen, wie sie geschehen.« Sie machte eine flüchtige zustimmende Geste. »Spielst du Counters?«, fragte ich. Vielleicht konnte sie mir das Spiel zeigen, für das Strigans Brett gedacht war, obwohl ich bezweifelte, dass es von Nilt stammte.

»Nein.« Und damit hatte ich bereits die wenigen Mittel erschöpft, mit der ich sie hätte unterhalten oder ablenken können.

Nach zehn Minuten Schweigen sagte sie: »Ich habe ein Tiktik-Set.«

»Was ist Tiktik?«

Sie sah mich mit großen runden Augen in ihrem runden, blassen Gesicht an. »Wie kannst du nicht wissen, was Tiktik ist? Du musst von sehr weit weg sein!« Ich stimmte dem zu, und sie fuhr fort: »Das ist ein Spiel. Hauptsächlich ein Spiel für Kinder.« Ihr Tonfall implizierte, dass sie kein Kind war, aber ich wollte sie lieber nicht fragen, warum sie ein Spielset für Kinder dabei hatte. »Du hast wirklich noch nie Tiktik gespielt?«

»Niemals. Dort, woher ich komme, spielen wir meistens Counters und mit Karten und Würfeln. Aber selbst diese Spiele sind an verschiedenen Orten sehr unterschiedlich.«

Darüber dachte sie einen Moment lang nach. »Ich kann es dir beibringen«, sagte sie schließlich. »Es ist ganz einfach.«

Zwei Stunden später, als ich meine Handvoll winziger Würfel aus Bov-Knochen warf, ertönte der Besuchsalarm. Das Mädchen blickte überrascht auf. »Da ist jemand«, sagte ich. Die Tür zur Krankenstation blieb geschlossen, Strigan reagierte nicht auf den Alarm.

»Mama«, sagte das Mädchen mit einem leichten Zittern der Hoffnung und Erleichterung in der Stimme.

»Ich hoffe es. Ich hoffe, dass es kein weiterer Patient ist.« Sofort wurde mir klar, dass ich diese Möglichkeit nicht hätte erwähnen sollen. »Ich werde nachsehen.«

Es war Mama, ohne jeden Zweifel. Sie sprang aus dem Flieger, mit dem sie gekommen war, und rannte mit einem Tempo, das ich nicht für möglich gehalten hätte, durch den Schnee zum Haus. Sie stürmte an mir vorbei, ohne meine Existenz in irgendeiner Weise zur Kenntnis zu nehmen. Sie war recht groß für eine Nilter und breit wie alle, in Mäntel gehüllt, und die Anzeichen für ihre Verwandtschaft zum Mädchen waren ihrem Gesichtsausdruck deutlich anzusehen. Ich folgte ihr nach drinnen.

Als sie das Mädchen sah, das nun neben dem Tiktik-Brett stand, sagte sie: »Und? Was ist?«

Radchaai-Eltern hätten die Arme um ihre Tochter gelegt, sie geküsst, ihr gesagt, wie erleichtert sie waren, dass es ihrer Tochter gutging, und vielleicht hätten sie sogar geweint. Manche Radchaai hätten diese Mutter für kalt und gefühllos gehalten. Aber ich war mir sicher, dass das ein Fehler gewesen wäre. Sie setzten sich zusammen auf eine Bank, wobei sich ihre Körper berührten, und das Mädchen berichtete, was sie über den Zustand der Patientin wusste und was draußen im Schnee mit der Herde und mit dem Eisteufel geschehen war. Als sie fertig war, klopfte die Mutter ihr zweimal auf das Knie, recht forsch, und es hatte den Anschein, als wäre sie plötzlich ein ganz anderes Mädchen, größer und stärker, nachdem sie nun, wie es schien, nicht nur durch die Anwesenheit ihrer Mutter gestärkt und getröstet war, sondern auch deren Anerkennung genoss.

Ich brachte ihnen zwei Becher mit fermentierter Milch, und Mamas Blick zuckte zu mir, aber nicht, wie ich glaubte, weil ich für sie von irgendeinem besonderen Interesse war. »Sie sind nicht der Doktor«, sagte sie, nicht mehr als eine bloße Feststellung. Ich erkannte, dass ihre Aufmerksamkeit immer noch ihrer Tochter galt, ihr Interesse an mir betraf nur die Frage, inwiefern ich eine Gefahr oder eine Hilfe für sie sein mochte.

»Ich bin hier nur zu Gast«, erklärte ich ihr. »Aber der Doktor ist beschäftigt, und ich dachte, Sie möchten vielleicht etwas trinken.«

Ihr Blick ging zu Seivarden, die immer noch schlief, genauso wie in den letzten paar Stunden, mit dem zitternden schwarzen Korrektiv über der Stirn, nur noch ein paar Reste als Flecken um den Mund und die Nase.

»Sie ist von sehr weit weg«, sagte das Mädchen. »Sie hatte keine Ahnung, wie man Tiktik spielt!« Der Blick ihrer Mutter streifte das Set auf dem Boden, die Würfel, das Brett und die flachen bemalten Steine, mitten im Zug erstarrt. Sie sagte nichts, aber ihr Gesichtsausdruck änderte sich, nur ein wenig. Sie nickte fast unmerklich und nahm die Milch von mir an.

Zwanzig Minuten später wachte Seivarden auf, wischte sich das schwarze Korrektiv vom Gesicht und rieb gereizt an ihrer Oberlippe, blickte auf die Krümel aus getrocknetem Blut, die sich gelöst hatten. Sie schaute zu den zwei Nilter, die schweigend Seite an Seite auf einer Bank saßen und sowohl sie als auch mich absichtlich ignorierten. Keine von beiden schien es seltsam zu finden, dass ich nicht zu Seivarden ging oder irgendetwas zu ihr sagte. Ich wusste nicht, ob sie sich erinnerte, warum ich sie geschlagen hatte, oder auch nur, dass ich es getan hatte. Manchmal beeinträchtigt ein Schlag gegen den Kopf die Erinnerung an die Augenblicke kurz davor. Aber sie schien sich entweder erinnert zu haben oder etwas zu vermuten, denn sie vermied es, mich anzusehen. Nachdem sie eine Weile herumgezappelt hatte, stand sie auf und ging zur Küche, wo sie einen Schrank öffnete. Sie starrte dreißig Sekunden lang hinein, nahm sich dann eine Schüssel und hartes Brot, das sie hineinlegte, holte Wasser, das sie darüber goss, und stand dann reglos da, während sie darauf wartete, dass es weich wurde, ohne etwas zu sagen, ohne jemanden anzusehen.

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