9

Strigan kam aus der Krankenstation, mit blutiger Jacke, und das Mädchen und ihre Mutter, die sich leise in einer Sprache unterhalten hatten, die ich nicht verstand, verstummten und blickten erwartungsvoll zu ihr auf.

»Ich habe getan, was ich konnte«, sagte Strigan ohne Vorrede. »Er ist außer Gefahr. Sie müssen ihn nach Therrod bringen, um seine Gliedmaßen nachwachsen zu lassen, aber ich habe bereits ein paar vorbereitende Behandlungen vorgenommen, sodass sie sich recht schnell rekonstruieren lassen werden.«

»Zwei Wochen«, sagte die Nilter teilnahmslos. Als wäre es nicht das erste Mal, dass so etwas geschehen war.

»Das lässt sich nicht vermeiden«, antwortete Strigan auf etwas, dass ich nicht gehört oder verstanden hatte. »Vielleicht hat jemand ein paar Hände, die er erübrigen kann.«

»Ich werde ein paar Cousins anrufen.«

»Tun Sie das«, sagte Strigan. »Sie können ihn jetzt sehen, wenn sie möchten, aber er schläft.«

»Wann können wir ihn transportieren?«, fragte die Frau.

»Jetzt, wenn Sie möchten«, antwortete Strigan. »Je früher, desto besser, schätze ich.«

Die Frau machte eine zustimmende Geste, dann standen sie und das Mädchen auf und gingen ohne ein weiteres Wort in die Krankenstation.

Wenig später brachten wir die verletzte Person nach draußen zum Flieger der Mutter und verabschiedeten uns von ihnen. Dann trotteten wir zurück ins Haus und warfen unsere äußeren Mäntel ab. Seivarden war inzwischen zu ihrer Pritsche auf dem Boden zurückgekehrt und saß mit angezogenen Knien da, die Arme fest um die Beine gelegt, als müsste sie sie mit großer Kraftanstrengung festhalten.

Strigan sah mich mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an, den ich nicht zuordnen konnte. »Sie ist ein gutes Kind.«

»Ja.«

»Nach dieser Sache wird sie einen guten Namen bekommen. Und eine gute Geschichte, die sie dazu erzählen kann.«

Ich hatte die Lingua franca gelernt, von der ich gedacht hatte, dass sie hier sehr nützlich sein würde, und ich hatte mir ein paar allgemeine Informationen verschafft, die man benötigt, um sich auf einer unvertrauten Welt bewegen zu können, aber ich wusste fast nichts über die Leute, die in diesem Teil des Planeten Bovs hüteten. »Hat das etwas mit dem Erwachsenwerden zu tun?«

»Sozusagen. Ja.« Sie ging zu einem Schrank und nahm einen Becher und eine Tasse heraus. Ihre Bewegungen waren schnell und sicher, aber irgendwie erhielt ich den Eindruck von Erschöpfung. Vielleicht aufgrund der Haltung ihrer Schultern. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie sich besonders für Kinder interessieren. Außer sie zu töten, meine ich.«

Ich widerstand dem Köder. »Sie ließ mich wissen, dass sie keineswegs ein Kind ist. Obwohl sie ein Tiktik-Set dabei hatte.«

Strigan setzte sich an ihren kleinen Tisch. »Sie haben zwei Stunden lang mit ihr gespielt.«

»Es gab sonst nicht viel zu tun.«

Strigan lachte kurz und verbittert. Dann deutete sie auf Seivarden, die uns zu ignorieren schien. Sie konnte uns ohnehin nicht verstehen, da wir kein Radchaai sprachen. »Er tut mir nicht leid. Aber ich bin nun mal Arzt.«

»Das sagten Sie bereits.«

»Ich glaube, dass er auch Ihnen nicht leidtut.«

»Richtig.«

»Sie machen es einem niemals leicht, nicht wahr?« Strigan klang ein wenig verärgert. Gereizt.

»Das kommt darauf an.«

Sie schüttelte leicht den Kopf, als hätte sie mich nicht richtig verstanden. »Ich habe schon Schlimmeres erlebt. Aber er braucht ärztliche Behandlung.«

»Die Sie ihm nicht geben wollen«, sagte ich. Es war keine Frage.

»Ich versuche immer noch, Sie zu verstehen«, sagte Strigan, als hätte ihre Bemerkung etwas mit meiner zu tun, auch wenn ich mir sicher war, dass dem nicht so war. »Ich überlege sogar, ob ich ihm noch etwas gebe, das ihn ruhigstellt.« Ich sagte nichts dazu. »Sie sind dagegen.« Es war keine Frage. »Er tut mir nicht leid.«

»Auch das sagten Sie bereits.«

»Er hat sein Schiff verloren.« Höchstwahrscheinlich hatte ihr Interesse an Garseddai-Artefakten sie dazu veranlasst, sich so gut wie möglich über die Ereignisse zu informieren, die zur Vernichtung von Garsedd geführt hatten. »Schlimm genug«, fuhr Strigan fort, »aber Radchaai-Schiffe sind nicht nur Schiffe, nicht wahr? Und seine Besatzung. Es ist vor tausend Jahren geschehen, aber für ihn … Eben noch ist alles so, wie es sein sollte, und im nächsten Moment ist alles weg.« Mit einer Hand machte sie eine frustrierte, ambivalente Geste. »Er braucht ärztliche Behandlung.«

»Wenn er nicht aus der Radch geflohen wäre, hätte er sie bekommen.«

Strigan zog eine graue Augenbraue hoch und setzte sich auf eine Bank. »Übersetzen Sie für mich. Mein Radchaai ist nicht gut genug.«

Eine Hilfseinheit hatte Seivarden in eine Suspensionskapsel gestoßen, und im nächsten Moment war sie frierend aufgewacht, hatte die Kapselflüssigkeit durch Mund und Nase ausgewürgt und sich in der Krankenstation eines Patrouillenschiffs wiedergefunden. Als Seivarden es beschrieb, konnte ich ihre Aufregung erkennen, ihre kaum unterdrückte Wut. »Irgendeine schmutzige kleine Gnade mit einer schäbigen, provinziellen Kapitänin.«

»Ihre Miene ist fast vollkommen ausdruckslos«, sagte Strigan mit einem Blick in mein Gesicht. Nicht auf Radchaai, damit Seivarden es nicht verstand. »Aber ich kann Ihre Temperatur und Herzfrequenz sehen.« Und mithilfe der medizinischen Implantate, über die sie wahrscheinlich verfügte, noch ein paar andere Dinge.

»Das Schiff hatte eine menschliche Besatzung«, sagte ich zu Seivarden.

Das bestürzte sie noch mehr — ob es Wut oder Scham oder etwas anderes war, konnte ich nicht sagen. »Das war mir nicht klar. Nicht sofort. Die Kapitänin nahm mich beiseite und erklärte es mir.«

Ich übersetzte das für Strigan, worauf sie einen ungläubigen Blick zu Seivarden warf und dann mich nachdenklich ansah. »Ist es leicht, einen solchen Fehler zu begehen?«

»Nein«, antwortete ich knapp.

»Das war der Moment, als sie mir schließlich sagen musste, wie viel Zeit vergangen war«, sagte Seivarden, die ganz mit ihrer Geschichte beschäftigt war und auf nichts anderes achtete.

»Und was danach geschehen ist«, vermutete Strigan.

Ich übersetzte, aber Seivarden hörte mir gar nicht zu, sondern redete weiter, als hätte keine von uns etwas gesagt. »Irgendwann legten wir an dieser winzigen Grenzstation an. Sie kennen so etwas bestimmt, eine Stationsverwalterin, die entweder in Ungnade gefallen ist oder den Posten als nichtsnutziger Emporkömmling bekommen hat, eine übereifrige Inspektorin, die sich an den Docks als Tyrannin aufspielt, und ein halbes Dutzend Sicherheitskräfte, deren größte Herausforderung darin besteht, Hühner aus dem Teeladen zu vertreiben.

Ich fand, dass schon die Kapitänin der Gnade einen schrecklichen Akzent hatte, doch in der Station konnte ich niemanden verstehen. Die KI der Station musste für mich übersetzen, aber meine Implantate funktionierten nicht mehr. Zu antiquiert. Also konnte ich nur über Wandkonsolen zu ihr sprechen.« Wodurch es äußerst schwierig gewesen sein dürfte, eine vernünftige Unterhaltung zu führen. »Und selbst wenn die Station mir etwas erklärte, ergab das, was die Leute sagten, für mich kaum einen Sinn.

Sie teilten mir ein Apartment zu, ein Zimmer mit Pritsche, kaum groß genug, um aufrecht darin zu stehen. Ja, sie wussten, wer ich war, nachdem ich es ihnen gesagt hatte, aber sie hatten keine Informationen über meine finanziellen Verhältnisse, und es würde Wochen dauern, bis sie möglicherweise eintrafen. Vielleicht sogar länger. In der Zwischenzeit erhielt ich Essen und Unterkunft, wie es jeder Radchaai zustand. Es sei denn, ich war bereit, mich noch einmal auf meine Eignung prüfen zu lassen, damit mir eine neue Aufgabe zugewiesen wurde. Weil sie die Daten meiner Prüfung nicht hatten, und selbst wenn, wären sie zweifellos veraltet gewesen. Veraltet«, wiederholte sie in verbittertem Tonfall.

»Waren Sie bei einem Arzt?«, fragte Strigan. Als ich Seivardens Gesicht beobachtete, hatte ich eine Ahnung, was sie letztlich aus dem Radchaai-Territorium vertrieben hatte. Sie musste bei einer Ärztin gewesen sein, die entschieden hatte abzuwarten und zu beobachten. Körperliche Verletzungen waren kein Problem, weil sich darum zweifellos die Ärztin der Gnade gekümmert hatte, die sie aufgelesen hatte, aber psychische und emotionale Schäden waren etwas anderes. Vielleicht lösten sie sich von selbst, und wenn nicht, brauchte die Ärztin die Daten der Eignungsprüfung, um sie effektiv behandeln zu können.

»Sie sagten, ich könnte eine Nachricht an meine Hausherrin schicken und um Hilfe bitten. Aber sie wussten nicht, wer sie war.« Offensichtlich hatte Seivarden nicht die Absicht, über die Stationsärztin zu sprechen.

»Hausherrin?«, fragte Strigan.

»Das Oberhaupt ihrer weitläufigen Familie«, erklärte ich. »In der Übersetzung klingt es sehr hochtrabend, was es aber nicht ist, es sei denn, das Haus ist sehr wohlhabend oder prestigeträchtig.«

»Und ihres?«

»War beides.«

Das entging Strigan nicht. »War.«

Seivarden fuhr fort, als hätten wir gar nichts gesagt. »Aber Vendaai gab es nicht mehr, wie sich herausstellte. Mein gesamtes Haus existierte überhaupt nicht mehr. Alles, Vermögen und Verträge, alles von Geir absorbiert!« Damals hatte es alle überrascht, vor etwa fünfhundert Jahren. Die zwei Häuser, Geir und Vendaai, hatten sich gehasst. Geirs Hausherrin hatte hinterlistig die Spielschulden von Vendaai sowie ein paar unkluge Verträge ausgenutzt.

»Sie haben sich auf den neuesten Stand der Ereignisse gebracht?«, fragte ich Seivarden.

Sie ging nicht darauf ein. »Es war nichts mehr da. Und was noch übrig war, fühlte sich an, als wäre es fast richtig. Aber die Farben stimmten nicht, oder alles war im Vergleich zu vorher ein Stück nach links verschoben. Die Leute sagten Sachen, und ich verstand sie einfach nicht, oder ich wusste, dass es tatsächliche Wörter waren, aber mein Verstand konnte sie nicht erfassen. Alles kam mir so unwirklich vor.«

Vielleicht war es doch eine Antwort auf meine Frage. »Was haben Sie für die menschlichen Soldatinnen empfunden?«

Seivarden runzelte die Stirn und blickte mich zum ersten Mal, seit sie aufgewacht war, direkt an. Ich bereute es, die Frage gestellt zu haben. Es war eigentlich gar nicht die Frage, die ich hatte stellen wollen. Was haben Sie gedacht, als Sie von Ime gehört haben? Aber vielleicht hatte sie gar nicht davon gehört. Oder wenn doch, war es für sie vielleicht unverständlich gewesen. Ist irgendjemand zu Ihnen gekommen, um über die Wiederherstellung der rechtmäßigen Ordnung der Dinge zu flüstern? Wahrscheinlich nicht, wenn ich es genauer bedachte. »Wie konnten Sie die Radch ohne Genehmigung verlassen?« Das war zweifellos nicht einfach gewesen. Zumindest hätte es Geld gekostet, das sie nicht gehabt haben dürfte.

Seivarden wandte den Blick von mir ab, schaute nach links unten. Sie wollte es mir nicht sagen.

»Alles war falsch«, flüsterte sie nach neun Sekunden Schweigen.

»Böse Träume«, sagte Strigan. »Beklemmung. Manchmal ein Zittern.«

»Instabil«, sagte ich. In der Übersetzung hatte es nur wenig Schärfe, aber auf Radchaai besagte es viel mehr, insbesondere für eine Offizierin wie Seivarden. Schwach, furchtsam, den Anforderungen ihrer Position nicht gewachsen. Zerbrechlich. Falls Seivarden instabil war, hatte sie ihre Stellung letztlich nicht verdient, war im Grunde nie für das Militär geeignet gewesen, ganz zu schweigen von der Führung eines Schiffs. Aber natürlich hatte Seivarden sich auf ihre Eignung prüfen lassen, und das Ergebnis hatte bestätigt, was ihr Haus schon immer von ihr vermutet hatte: Sie war stabil und zum Kommandieren und Erobern geeignet. Sie neigte keineswegs zu Zweifeln oder irrationalen Ängsten.

»Sie wissen gar nicht, wovon Sie reden«, knurrte Seivarden verächtlich. Die Arme immer noch um ihre Knie geschlungen. »Niemand aus meinem Haus ist instabil.«

Natürlich (dachte ich, sagte es aber nicht) hatten die verschiedenen Cousinen, die ein Jahr oder so während der einen oder anderen Annexion gedient hatten, sich danach nicht zur Ruhe gesetzt, einen Eid der Askese abgelegt oder damit begonnen, Teeservices zu bemalen, weil sie instabil gewesen waren. Auch wenn andere Cousinen bei den Prüfungen nicht wie erwartet abgeschnitten hatten, sondern ihre Eltern mit Positionen in den unteren Rängen der Priesterschaft oder in den Künsten überraschten, war das kein Hinweis auf irgendeine dem Haus angeborene Instabilität gewesen, nein, niemals. Und natürlich machte Seivarden sich auch nicht die geringsten Sorgen, welche neue Aufgabe sie nach einer Wiederholung der Eignungsprüfung erhalten würde und was das möglicherweise über ihre Stabilität aussagte. Natürlich nicht.

»Instabil?«, fragte Strigan, die das Wort, aber nicht den Kontext verstand.

»Den Instabilen«, erklärte ich, »mangelt es an einer gewissen Charakterstärke.«

»Charakter!« Strigans Empörung war ihr deutlich anzusehen.

»Natürlich.« Ich änderte meinen Gesichtsausdruck nicht, sondern wahrte eine nichtssagende, freundliche Miene, wie ich es in den vergangenen Tagen die meiste Zeit getan hatte. »Geringere Bürgerinnen brechen angesichts gewaltiger Schwierigkeiten oder unter Stress zusammen und benötigen deswegen ärztliche Behandlung. Aber andere Bürgerinnen haben bessere Anlagen. Sie brechen niemals zusammen. Auch wenn sie sich vielleicht früh zur Ruhe setzen oder ein paar Jahre künstlerische oder spirituelle Interessen verfolgen. Ein längerer Rückzug zur Meditation ist recht populär. Daran erkennt man den Unterschied zwischen hochgestellten Familien und solchen, die weiter unten stehen.«

»Aber die Radchaai sind sehr gut mit Gehirnwäschen. Zumindest habe ich das gehört.«

»Umerziehung«, korrigierte ich. »Wäre sie geblieben, hätte sie Hilfe bekommen.«

»Aber sie konnte sich nicht einmal eingestehen, dass sie Hilfe benötigt.« Ich stimmte weder zu noch widersprach ich, obwohl ich glaubte, dass Strigan recht hatte. »Wie viel kann eine … Umerziehung bewirken?«

»Eine ganze Menge«, sagte ich. »Obwohl vieles von dem, was Sie vermutlich gehört haben, maßlos übertrieben ist. Sie können nicht in etwas verwandelt werden, das Sie gar nicht sind. Jedenfalls nicht auf nutzbringende Weise.«

»Erinnerungen können gelöscht werden.«

»Sie werden eher unterdrückt, glaube ich. Und vielleicht neue hinzugefügt. Man muss wissen, was man tut, weil man den Leuten sonst großen Schaden zufügen könnte.«

»Zweifellos.«

Seivarden starrte uns stirnrunzelnd an, beobachtete uns, ohne zu verstehen, was wir sagten.

Strigan lächelte matt. »Sie sind kein Produkt einer Umerziehung.«

»Nein«, bestätigte ich.

»Es war Chirurgie. Ein paar Verbindungen trennen, ein paar neue verknüpfen. Einige Implantate installieren.« Sie hielt einen Moment inne und wartete, dass ich etwas dazu sagte, was ich aber nicht tat. »Sie wirken recht überzeugend. Meistens. Ihr Gesichtsausdruck, Ihr Tonfall sind immer passend, wirken aber auch immer irgendwie … einstudiert. Sie tun so, als ob.«

»Sie glauben, das Rätsel gelöst zu haben«, riet ich.

»Gelöst ist nicht das richtige Wort. Aber Sie sind eine Leichensoldatin, dessen bin ich mir ganz sicher. Erinnern Sie sich an irgendetwas?«

»An viele Dinge«, sagte ich, immer noch mit nichtssagendem Ausdruck.

»Nein, ich meine, an die Zeit davor.«

Ich brauchte fast fünf Sekunden, bis ich verstanden hatte, was sie meinte. »Diese Person ist tot.«

Seivarden stand plötzlich ruckhaft auf und ging durch die innere Tür, und wie es klang, auch durch die äußere.

Strigan blickte ihr nach, gab ein kurzes, gehauchtes Hm von sich und wandte sich dann wieder an mich. »Die Selbstwahrnehmung hat eine neurologische Basis. Eine kleine Veränderung, und man glaubt, man würde gar nicht mehr existieren. Aber man ist immer noch da. Ich glaube, dass Sie immer noch da sind. Warum dieses bizarre Verlangen, Anaander Mianaai zu töten? Warum sonst sollten Sie so wütend auf ihn sein?« Sie neigte den Kopf in Richtung des Ausgangs, auf Seivarden, die sich mit nur einem Mantel draußen in der Kälte aufhielt.

»Er wird den Kriecher nehmen«, warnte ich. Das Mädchen und ihre Mutter hatten den Flieger genommen und den Kriecher vor Strigans Haus zurückgelassen.

»Nein, das wird er nicht. Ich habe ihn funktionsunfähig gemacht.« Ich gestikulierte anerkennend, und Strigan fuhr fort, wandte sich wieder dem vorigen Thema zu. »Und die Musik. Ich glaube nicht, dass Sie eine Sängerin waren, nicht mit einer solchen Stimme. Aber Sie müssen vorher Musikerin gewesen sein oder wenigstens Musik geliebt haben.«

Ich überlegte, ob ich das verbitterte Lachen ausstoßen sollte, das als Reaktion auf Strigans Vermutung angemessen wäre. »Nein«, sagte ich stattdessen. »Eigentlich nicht.«

»Aber Sie sind eine Leichensoldatin, in diesem Punkt habe ich recht.« Ich sagte nichts dazu. »Sie sind irgendwie entkommen oder … kommen Sie von seinem Schiff? Dem von Kapitän Seivarden?«

»Die Schwert von Nathtas wurde vernichtet.« Ich war dabei gewesen, in der Nähe. Relativ gesehen. Nahe genug, um es zu beobachten. »Und das war vor tausend Jahren.«

Strigan blickte zur Tür und wieder zu mir. Dann runzelte sie die Stirn. »Nein. Nein, ich glaube, Sie sind eine Ghaonish, und die wurden erst vor einigen Jahrhunderten annektiert, nicht wahr? Das hätte ich nicht vergessen sollen. Das ist der Grund, warum Sie sich als jemand von der Gerentate ausgeben können, nicht wahr? Nein, Sie sind irgendwie entkommen. Ich kann Sie zurückbringen. Ich bin mir sicher, dass ich es kann.«

»Sie meinen, Sie können mich töten. Sie können meine Selbstwahrnehmung zerstören und sie durch eine ersetzen, die Sie akzeptieren können.«

Strigan hörte das nicht gern, wie ich deutlich erkannte. Die äußere Tür wurde geöffnet, dann trat Seivarden zitternd durch die innere. »Ziehen Sie nächstes Mal Ihre beiden Mäntel an«, sagte ich zu ihr.

»Sie können mich mal.« Sie nahm sich eine Decke von ihrer Pritsche und legte sie sich um die Schultern. Dann stand sie immer noch zitternd da.

»Sehr unanständige Ausdrucksweise, Bürgerin«, sagte ich.

Einen Moment lang sah sie aus, als würde sie die Beherrschung verlieren. Dann schien sie sich daran zu erinnern, was geschehen könnte, wenn sie es tat. »Leck.« Sie ließ sich auf die nächste Bank fallen. »Mich.«

»Warum haben Sie ihn nicht liegen gelassen, wo Sie ihn gefunden haben?«, fragte Strigan.

»Das wüsste ich auch gern.« Es war ein weiteres Rätsel für sie, aber keins, mit dem ich sie absichtlich konfrontiert hatte. Ich wusste es selbst nicht. Ich wusste nicht, warum es mir nicht egal war, ob Seivarden im Schneesturm erfror, warum ich sie mitgenommen hatte, warum es mir nicht egal war, ob sie mit einem fremden Kriecher flüchtete oder in die grünfleckige Eiswüste hinausmarschierte und starb.

»Und warum sind Sie so wütend auf ihn?«

Das wusste ich. Und wenn ich ehrlich war, war es Seivarden gegenüber nicht ganz fair, dass ich wütend war. Trotzdem änderte das nichts an den Fakten und auch nichts an meiner Wut.

»Warum wollen Sie Anaander Mianaai töten?« Seivarden drehte leicht den Kopf, als ihre Aufmerksamkeit durch den vertrauten Namen geweckt wurde.

»Das ist etwas Persönliches.«

»Etwas Persönliches.« Strigans Tonfall klang ungläubig.

»Ja.«

»Sie sind keine Person mehr. Das haben Sie mir selbst gesagt. Sie sind Ausrüstung. Eine Maschine. Das Anhängsel der KI eines Raumschiffs.« Ich sagte nichts, sondern wartete, dass sie über ihre eigenen Worte nachdachte. »Gibt es ein Schiff, das den Verstand verloren hat? In letzter Zeit, meine ich.«

Geistesgestörte Radchaai-Schiffe waren der Stoff für Melodramen, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Radchaai-Territoriums. Auch wenn entsprechende Unterhaltungsprogramme für gewöhnlich Historiendramen waren. Als Anaander Mianaai die Herrschaft über den Kern des Radchaai-Reichs übernommen hatte, hatten sich ein paar Schiffe nach dem Tod oder der Gefangennahme ihrer Kapitäninnen selbst zerstört, und Gerüchten zufolge sollten sich einige weitere seit dreitausend Jahren immer noch irgendwo im Weltraum herumtreiben, halb wahnsinnig und verzweifelt. »Nicht dass ich wüsste.«

Höchstwahrscheinlich verfolgte sie die Nachrichten aus der Radch, zu ihrer eigenen Sicherheit, wenn man bedachte, was sie meiner Überzeugung nach verbarg und welche Konsequenzen ihr drohten, sollte Anaander Mianaai jemals davon erfahren. Sie verfügte möglicherweise über alle Informationen, die sie brauchte, um mich zu identifizieren. Aber nach einer halben Minute gestikulierte sie zweifelnd, enttäuscht. »Sie werden es mir nicht einfach sagen.«

Ich lächelte ruhig und freundlich. »Wo bliebe dann der Spaß?«

Sie lachte, schien sich wirklich über meine Antwort zu amüsieren. Was ich für ein hoffnungsvolles Zeichen hielt. »Wann werden Sie also gehen?«

»Wenn Sie mir die Waffe geben.«

»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

Eine Lüge. Offenkundig eine Lüge. »Ihr Apartment in der Station Dras Annia. Es ist unberührt. Genauso, wie Sie es verlassen haben, soweit ich es einschätzen konnte.«

Strigans Bewegungen wurden bedächtiger, ein wenig langsamer — ihr Blinzeln, ihre Atemzüge. Die Hand, die sorgfältig Staub vom Ärmel ihres Mantels wischte. »Tatsächlich?«

»Es hat mich große Mühe gekostet hineinzukommen.«

»Woher hat eine Leichensoldatin überhaupt so viel Geld?«, fragte Strigan, immer noch angespannt. Aber mit aufrichtiger Neugier. Immer.

»Arbeit«, sagte ich.

»Lukrative Arbeit.«

»Und gefährliche.« Für dieses Geld hatte ich mein Leben aufs Spiel gesetzt.

»Die Ikone?«

»Hat damit zu tun.« Aber darüber wollte ich nicht reden. »Was muss ich tun, um Sie zu überzeugen? Ist das Geld unzureichend?« Ich hatte anderswo noch mehr, aber es zu sagen wäre dumm.

»Was haben Sie in meinem Apartment gesehen?«, fragte Strigan neugierig und verärgert.

»Ein Puzzle. Mit fehlenden Teilen.« Ich hatte die Existenz und die Natur dieser Teile korrekt deduziert. Ganz offensichtlich, denn jetzt war ich hier, und da war Arilesperas Strigan.

Strigan lachte wieder. »Ich mag Sie. Hören Sie zu.« Sie beugte sich vor, die Hände auf die Oberschenkel gestützt. »Sie können Anaander Mianaai nicht töten. Ich wünschte mir bei allem, was gut ist, dass es möglich wäre, aber das ist es nicht. Selbst mit … selbst wenn ich hätte, wovon Sie überzeugt scheinen, dass ich es habe, könnten Sie es nicht tun. Sie haben mir erzählt, dass fünfundzwanzig dieser Waffen nicht ausreichten …«

»Vierundzwanzig«, korrigierte ich.

Sie winkte ab. »Nicht ausreichten, um die Radchaai von Garsedd fernzuhalten. Warum glauben Sie, eine könnte mehr als ein geringfügiges Ärgernis bewirken?«

Sie wusste es besser, weil sie ansonsten nicht fortgerannt wäre. Sie hätte die Schläger nicht aufgefordert, mich zu erledigen, bevor ich an sie herankommen konnte.

»Und warum sind Sie so fest entschlossen, etwas so Lächerliches zu tun? Jeder außerhalb der Radch hasst Anaander Mianaai. Wenn er durch ein Wunder sterben sollte, würden die Feiern hundert Jahre dauern. Aber das wird nicht geschehen. Und es wird auf gar keinen Fall geschehen, weil irgendein Idiot eine Waffe hat. Ich bin mir sicher, dass Sie das wissen. Wahrscheinlich wissen Sie es sogar viel besser, als ich es jemals wissen könnte.«

»Richtig.«

»Also warum?«

Informationen sind Macht. Informationen sind Sicherheit. Pläne, die auf unzulänglichen Informationen basieren, sind fehleranfällig, und ob sie scheitern oder erfolgreich sind, kann vom Wurf einer Münze abhängen. Als mir zum ersten Mal klar geworden war, dass ich Strigan suchen musste, um ihr die Waffe abzunehmen, hatte ich gewusst, dass dies ein solcher Moment sein würde. Wenn ich Strigans Frage beantwortete — wenn ich sie vollständig beantwortete, was sie zweifellos verlangen würde —, würde ich ihr damit etwas geben, das sie gegen mich verwenden konnte, eine Waffe. Sie würde sich dabei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit selbst Schaden zufügen, aber dieser Aspekt war fast nie als Abschreckung geeignet.

»Manchmal …«, begann ich, um mich sogleich zu korrigieren. »Recht häufig erfährt jemand ein wenig über die Radchaai-Religion und fragt dann: Wenn alles nach dem Willen von Amaat geschieht, wenn nichts geschehen kann, das nicht bereits von der Göttin geplant wurde, warum soll man sich dann noch die Mühe machen, überhaupt irgendetwas zu tun?«

»Gute Frage.«

»Nicht besonders.«

»Nein? Wie lautet also die Antwort?«

»Ich bin«, sagte ich, »wie Anaander Mianaai mich gemacht hat. Anaander Mianaai ist, wie sie gemacht wurde. Wir beide werden die Dinge tun, für die wir gemacht wurden. Die Dinge, die wir noch tun sollen.«

»Ich bezweifle sehr, dass Anaander Mianaai Sie gemacht hat, damit Sie ihn irgendwann töten.«

Jede Antwort würde im Moment mehr enthüllen, als ich wollte.

»Und ich«, fuhr Strigan nach anderthalb Sekunden Schweigen fort, »bin gemacht, um Fragen zu stellen. Das ist einfach der göttliche Wille.« Sie machte eine Geste mit der linken Hand. Nicht mein Problem.

»Sie geben zu, dass Sie die Waffe haben.«

»Ich gebe gar nichts zu.«

Mir blieb nur noch ein riskanter Versuch, ein Schritt in die nicht einschätzbare Dunkelheit. Ich konnte nur abwarten, ob ich nach dem Münzwurf weiterlebte oder starb, ohne zu wissen, wie die Chancen standen. Meine einzige Alternative wäre, einfach aufzugeben, aber wie konnte ich jetzt aufgeben? Nach so langer Zeit, nach so vielen Mühen. Und ich hatte bereits genauso viel oder sogar mehr riskiert und war schon so weit gekommen.

Sie musste die Waffe haben. Sie musste. Aber wie konnte ich sie dazu bringen, sie mir zu geben? Was würde sie dazu bewegen, sie mir zu geben?

»Sagen Sie es mir«, forderte Strigan mich auf und beobachtete mich aufmerksam. Zweifellos sah sie meine Frustration und meine Zweifel mithilfe ihrer medizinischen Implantate, die Fluktuationen meines Blutdrucks, meiner Körpertemperatur, meiner Atmung. »Sagen Sie mir, warum.«

Ich schloss die Augen, spürte die Desorientierung, weil ich nicht mehr durch andere Augen sehen konnte, von denen ich wusste, dass ich sie früher einmal gehabt hatte. Ich öffnete sie wieder, atmete tief ein und sagte es ihr.

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