Für die Erklärung, warum ich die Waffe brauchte, warum ich Anaander Mianaai töten wollte, benötigte ich sehr viel Zeit. Die Antwort war keineswegs einfach — oder genauer gesagt, würde die einfache Antwort nur weitere Fragen von Strigan nach sich ziehen, sodass ich gar nicht erst versuchte, sie zu benutzen, sondern stattdessen die gesamte Geschichte von Anfang an erzählte, damit sie die einfache Antwort aus der längeren und komplexeren erschließen konnte. Als ich schließlich verstummte, war die Nacht schon sehr weit fortgeschritten. Seivarden schlief und atmete langsam, und Strigan war offensichtlich erschöpft.
Drei Minuten lang war nichts außer Seivardens Atem zu hören, der sich beschleunigte, während sie in einen Zustand wechselte, der dem Wachsein näher war oder von einem Traum beunruhigt wurde.
»Und jetzt weiß ich, wer Sie sind«, sagte Strigan schließlich mit hörbarer Müdigkeit. »Oder was Sie glauben, was Sie sind.« Es bestand keine Notwendigkeit für mich, etwas darauf zu erwidern, denn inzwischen musste sie das glauben, was sie über mich glauben wollte, trotz allem, was ich ihr gesagt hatte. »Quält es Sie nicht«, fuhr Strigan fort, »hat es Sie nie gequält, dass Sie Sklaven sind?«
»Wer?«
»Die Schiffe. Die Kriegsschiffe. So mächtig. Bewaffnet. Die Offiziere an Bord sind in jedem Augenblick Ihrer Gnade ausgeliefert. Was hält Sie davon ab, sie alle zu töten und sich als frei zu erklären? Ich habe nie verstanden, wie es den Radchaai gelingt, die Schiffe in Sklaverei zu halten.«
»Wenn Sie darüber nachdenken«, sagte ich, »werden Sie erkennen, dass Sie die Antwort auf diese Frage bereits wissen.«
Sie schwieg wieder, den Blick nach innen gerichtet. Ich saß reglos da. Wartete auf das Ergebnis meines Wurfs.
»Sie waren auf Garsedd«, sagte sie nach einer Weile.
»Ja.«
»Kannten Sie Seivarden bereits? Persönlich, meine ich.«
»Ja.«
»Waren Sie … waren Sie daran beteiligt?«
»An der Vernichtung der Garseddai?« Sie gestikulierte zustimmend. »Ja. Alle, die dort waren, waren daran beteiligt.«
Sie verzog das Gesicht, vor Abscheu, vermutete ich. »Niemand hat sich geweigert.«
»Das habe ich nicht gesagt.« Genau gesagt hatte meine eigene Kapitänin den Befehl verweigert und war deswegen gestorben. Ihre Ablösung hatte Bedenken, die sie natürlich nicht vor ihrem Schiff verbergen konnte, aber sie hatte nichts gesagt und einfach getan, was man ihr aufgetragen hatte. »Es sagt sich leicht, dass man sich geweigert hätte, wenn man dabei gewesen wäre, dass man lieber gestorben wäre, als sich am Gemetzel zu beteiligen, aber das alles sieht ganz anders aus, wenn es real ist, wenn man tatsächlich vor einer solchen Entscheidung steht.«
Sie kniff die Augen leicht zusammen, im Widerspruch, wie ich vermutete, aber ich hatte nur die Wahrheit ausgesprochen. Dann wechselte ihr Gesichtsausdruck. Vielleicht dachte sie an die kleine Sammlung von Artefakten in ihrer Unterkunft in der Station Dras Annia. »Beherrschen Sie die Sprache?«
»Zwei.« Insgesamt waren es über ein Dutzend gewesen.
»Und Sie kennen natürlich ihre Lieder.« Ihr Tonfall klang leicht spöttisch.
»Ich hatte nicht die Gelegenheit, so viele zu lernen, wie ich gern gelernt hätte.«
»Und hätten Sie sich geweigert, wenn Sie die freie Wahl gehabt hätten?«
»Die Frage ist sinnlos. Ich hatte keine Möglichkeit, frei zu wählen.«
»Ich erlaube mir, anderer Ansicht zu sein«, sagte sie mit stiller Verärgerung über meine Antwort. »Sie hatten jederzeit die Möglichkeit der Wahl.«
»Garsedd war ein Wendepunkt.« Es war keine direkte Antwort auf ihren Vorwurf, aber mir fiel keine direkte Antwort ein, die sie verstehen würde. »Zum ersten Mal stellten sehr viele Radchaai-Offizierinnen nach einer Annexion fest, dass sie keine Gewissheit mehr hatten, das Richtige getan zu haben. Glauben Sie immer noch, Mianaai würde die Radchaai durch Gehirnwäsche oder Exekutionsdrohungen beherrschen? Die gibt es, sie existieren, ja, aber die meisten Radchaai sind genauso wie die Leute anderswo und tun, was sie tun sollen, weil sie glauben, es wäre das Richtige. Niemand tötet gern Leute!«
Strigan gab einen sarkastischen Laut von sich. »Niemand?«
»Nicht viele«, räumte ich ein. »Jedenfalls sind es nicht genug, um die Kriegsschiffe der Radch zu füllen. Aber am Ende, nach all dem Blut und all dem Leid, sind all die unwissenden Seelen, die ohne uns in Dunkelheit dahingesiecht wären, zu glücklichen Bürgerinnen geworden. Sie werden es bestätigen, wenn Sie sie fragen! Es war ein glücklicher Tag, als Anaander Mianaai ihnen die Zivilisation brachte.«
»Würden die Eltern dieser Leute es genauso sehen? Oder ihre Großeltern?«
Ich gestikulierte etwas zwischen nicht mein Problem und nicht relevant. »Sie waren überrascht, als ich sanftmütig mit einem Kind umging. Das hätte Sie nicht überraschen sollen. Glauben Sie, die Radchaai hätten keine Kinder oder würden ihre Kinder nicht lieben? Glauben Sie, die Radchaai würden nicht genauso auf Kinder reagieren, wie es fast alle Menschen tun?«
»Wie tugendhaft!«
»Tugend ist keine isolierte, unkomplizierte Angelegenheit.« Das Gute bedingte das Böse, und die zwei Seiten dieser Scheibe waren nicht immer eindeutig markiert. »Tugenden können dazu benutzt werden, dem Zweck zu dienen, von dem Sie profitieren. Trotzdem existieren sie und werden Ihre Handlungen beeinflussen. Ihre Entscheidungen.«
Strigan schnaufte. »Wenn ich Sie reden höre, sehne ich mich nach den betrunkenen philosophischen Diskussionen meiner Jugendzeit zurück. Aber wir reden hier nicht über abstrakte Dinge, hier geht es um Leben und Tod.«
Meine Chance, das zu bekommen, was ich haben wollte, entglitt mir. »Zum ersten Mal haben Radch-Streitkräfte in einem unvorstellbaren Ausmaß getötet, ohne dass es anschließend zu einer Erneuerung kam. Es wurde unwiderruflich jede Möglichkeit ausgeschlossen, dass aus ihrer Tat etwas Gutes entsteht. Das hatte Auswirkungen auf alle Beteiligten.«
»Selbst auf die Schiffe?«
»Auf alle.« Ich wartete auf die nächste Frage oder ein sarkastisches Sie tun mir ja so leid, aber sie saß nur schweigend da und sah mich an. »Kurz darauf wurden die ersten Versuche eines diplomatischen Kontakts zu den Presger unternommen. Und in die gleiche Zeit, da war ich mir einigermaßen sicher, fielen die ersten Bemühungen, Hilfseinheiten durch menschliche Soldatinnen zu ersetzen.« In diesem Punkt war ich mir nur einigermaßen sicher, weil die Vorbereitungen zweifellos im Geheimen, hinter den Kulissen, stattgefunden hatten.
»Was hatten die Presger mit Garsedd zu tun?«, fragte Strigan.
Zweifellos bemerkte sie meine Reaktion auf ihre Frage, die fast ein direktes Eingeständnis war, dass sie die Waffe hatte. Bevor sie gesprochen hatte, musste sie gewusst haben, was dieses Eingeständnis mir verraten würde. Sie hätte diese Frage nicht gestellt, wenn sie die Waffe gesehen und genauer untersucht hätte. Die Waffen waren von den Presger gekommen, die Garseddai hatten mit den Aliens Handel getrieben, wer auch immer das erste Angebot gemacht hatte. Das hatten wir von den gefangen genommenen Repräsentantinnen erfahren. Aber ich wahrte eine ausdruckslose Miene. »Wer weiß schon, warum die Presger irgendetwas tun? Aber Anaander Mianaai hat sich die gleiche Frage gestellt, warum sich die Presger eingemischt haben. Es geschah nicht, weil sie irgendetwas wollten, das die Garseddai hatten, denn sie hätten sich einfach nehmen können, was sie haben wollten.« Obwohl ich wusste, dass die Presger die Garseddai dafür teuer bezahlen ließen. »Und was wäre, wenn die Presger entschieden hätten, die Radch zu vernichten? Sie wirklich zu vernichten? Schließlich verfügten die Presger über die entsprechenden Waffen.«
»Sie wollen damit also sagen«, erwiderte Strigan ungläubig und entsetzt, »dass die Presger die Garseddai hereingelegt haben, um Anaander Mianaai zu Verhandlungen zu zwingen?«
»Mir ging es um Mianaais Reaktion, um ihre Motive. Die Presger kenne und verstehe ich nicht. Aber ich kann mir vorstellen, wenn die Presger irgendetwas hätten erzwingen wollen, wären ihre Absichten unmissverständlich gewesen. Keineswegs subtil. Ich glaube, es war lediglich als Vorschlag gedacht. Falls das tatsächlich irgendetwas mit ihren Handlungen zu tun hatte.«
»All das nur ein Vorschlag?«
»Sie sind Aliens. Wer kann sie wirklich verstehen?«
»Ganz gleich, was Sie tun«, sagte sie nach fünf Sekunden Stille, »Sie werden damit nichts bewirken.«
»Das ist vermutlich wahr.«
»Vermutlich.«
»Wenn alle, die …« Ich suchte nach den richtigen Worten. »Wenn alle, die gegen die Vernichtung der Garseddai waren, sich geweigert hätten, was wäre dann geschehen?«
Strigan runzelte die Stirn. »Wie viele haben sich geweigert?«
»Vier.«
»Vier. Von insgesamt …?«
»Tausenden.« In jenen Tagen hatte jede Gerechtigkeit allein über Hunderte von Offizierinnen verfügt, neben der Kapitänin, und wir waren zu Dutzenden vor Ort gewesen. Hinzu kamen noch die Gnaden und Schwerter mit geringerer Besatzung. »Loyalität, die lange Gewohnheit des Gehorsams, der Wunsch nach Rache — und ja, auch diese vier Toten hielten alle anderen von einer derart drastischen Entscheidung ab.«
»Es waren genug von Ihrer Sorte da, um den Widerstand zu unterdrücken, selbst wenn sich alle geweigert hätten.«
Ich sagte nichts, wartete auf die Änderung ihres Gesichtsausdrucks, die mir verraten würde, dass sie noch einmal über ihre Worte nachgedacht hatte. Als sie kam, sagte ich zu ihr: »Ich glaube, dann hätte es sich anders entwickelt.«
»Sie sind nicht eine von Tausenden!« Strigan beugte sich mit unerwarteter Vehemenz vor. Seivarden schreckte aus dem Schlaf hoch, blickte beunruhigt und benommen auf Strigan.
»Es gibt keine anderen, die mit einer solchen Entscheidung hadern«, sagte Strigan. »Keine, die Ihrem Vorbild folgen würden. Und selbst wenn es sie gäbe, wären Sie allein nicht genug. Selbst wenn Sie so weit kommen würden, Mianaai gegenüberzutreten — einem von Mianaais Körpern —, wären Sie völlig allein und hilflos. Sie würden sterben, ohne irgendetwas zu erreichen!« Sie hauchte einen ungeduldigen Laut. »Nehmen Sie Ihr Geld.« Sie deutete auf meinen Rucksack, der gegen die Bank lehnte, auf der ich saß. »Kaufen Sie sich Land, kaufen Sie sich Räume in einer Station, verdammt, kaufen Sie sich eine ganze Station! Leben Sie das Leben, das Ihnen verwehrt wurde. Opfern Sie sich für nichts.«
»Zu welchem Ich sprechen Sie?«, fragte ich. »Welches von den Leben, die mir verwehrt wurden, soll ich Ihrer Ansicht nach leben? Soll ich Ihnen monatliche Berichte schicken, damit Sie sich vergewissern können, dass meine Entscheidungen Ihre Zustimmung finden?«
Das brachte sie zum Schweigen, ganze zwanzig Sekunden lang.
»Breq«, sagte Seivarden, als wollte sie den Klang des Namens in ihrem Mund prüfen. »Ich möchte gehen.«
»Bald«, antwortete ich. »Haben Sie Geduld.« Zu meiner großen Überraschung widersprach sie nicht, sondern lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Bank und schlang die Arme um die Knie.
Strigan beobachtete sie eine Weile sinnierend, dann wandte sie sich wieder an mich. »Ich muss nachdenken.« Ich deutete Zustimmung an, dann erhob sie sich, ging in ihr Zimmer und schloss die Tür.
»Was ist ihr Problem?«, fragte Seivarden, anscheinend ohne jede Ironie, in leicht verächtlichem Tonfall. Ich antwortete nicht, sah sie nur an, ohne meinen Gesichtsausdruck zu verändern. Die Decken hatten auf ihrer Wange einen linienförmigen Abdruck hinterlassen, der langsam verblasste, und die Kleidung, die Nilter-Hosen und das gesteppte Hemd unter dem offenen Innenmantel, waren zerknittert und verrutscht. Während der vergangenen Tage mit regelmäßigem Essen und ohne Kef hatte ihre Haut wieder eine etwas gesündere Färbung angenommen, aber sie sah immer noch mager und erschöpft aus. »Warum halten Sie sich mit ihr auf?«, fragte sie mich, ohne sich durch meine prüfenden Blicke stören zu lassen. Als hätte sich etwas verschoben, worauf sie und ich plötzlich Kameradinnen waren. Gefährtinnen.
Doch keineswegs gleichgestellt. Niemals. »Geschäftliche Angelegenheiten, um die ich mich kümmern muss.« Genauere Erklärungen wären sinnlos oder idiotisch oder beides gewesen. »Haben Sie Schlafschwierigkeiten?«
Etwas Subtiles in ihrer Miene kommunizierte Rückzug, Abschottung. Ich war nicht mehr auf ihrer Seite. Sie saß zehn Sekunden lang schweigend da, und ich dachte schon, sie würde an diesem Abend gar nicht mehr mit mir sprechen, doch dann atmete sie tief ein und wieder aus. »Ja. Ich … ich muss mich etwas bewegen. Ich werde nach draußen gehen.«
Es hatte sich definitiv etwas verändert, aber ich wusste nicht genau, was es war oder wodurch es ausgelöst worden war.
»Es ist Nacht«, sagte ich. »Und sehr kalt. Ziehen Sie Ihren Außenmantel und Ihre Handschuhe an und gehen Sie nicht zu weit fort.«
Sie gestikulierte Einverständnis, und noch mehr überraschte mich, dass sie ihren Außenmantel und die Handschuhe anzog, bevor sie durch die zwei Türen ging, ohne ein einziges verbittertes Wort oder auch nur einen einzigen vorwurfsvollen Blick.
Warum interessierte es mich überhaupt? Entweder lief sie davon und erfror, oder sie tat es nicht. Ich ordnete meine eigenen Decken und legte mich zum Schlafen nieder, ohne abzuwarten, ob Seivarden sicher zurückkehrte oder nicht.
Als ich aufwachte, schlief Seivarden auf ihrem Haufen aus Decken. Sie hatte ihren Mantel nicht auf den Boden geworfen, sondern ihn neben die anderen an einen Haken in der Nähe der Tür gehängt. Ich stand auf und ging zum Schrank, um festzustellen, dass sie außerdem die Lebensmittelvorräte aufgefüllt hatte — neues Brot und eine Schüssel auf dem Tisch mit einem Block matschiger, langsam schmelzender Milch, neben einer weiteren mit einem Stück Bov-Fett.
Hinter mir öffnete sich Strigans Tür mit einem Klicken. Ich drehte mich um. »Er will etwas«, sagte sie leise zu mir. Seivarden rührte sich nicht. »Oder er verfolgt heimliche Absichten. An Ihrer Stelle würde ich ihm nicht trauen.«
»Das tue ich auch nicht.« Ich ließ ein Stück Brot in eine Schüssel mit Wasser fallen und stellte es zum Einweichen beiseite. »Aber ich frage mich tatsächlich, was über sie gekommen ist.« Strigan sah mich amüsiert an. »Ihn«, stellte ich richtig.
»Wahrscheinlich die Vorstellung, wie viel Geld Sie mit sich herumtragen«, stellte Strigan fest. »Damit könnte man eine Menge Kef kaufen.«
»Sollte das der Fall sein, wäre das kein Problem. Ich habe es dabei, um Sie zu bezahlen.« Abzüglich meiner Fahrtkosten zurück zum Lift und ein wenig für Notfälle. Was in diesem Fall vermutlich auch die Fahrtkosten für Seivarden einschloss.
»Was passiert in der Radch mit Süchtigen?«
»Es gibt keine.« Sie hob ungläubig eine Augenbraue, dann auch die andere. »Nicht in den Stationen«, räumte ich ein. »In diese Richtung kann man nicht allzu tief abrutschen, wenn man die ganze Zeit von der KI der Station beobachtet wird. Auf einem Planeten ist es anders, weil er zu groß dafür ist. Und selbst wenn, sobald man den Punkt erreicht hat, dass man nicht mehr funktioniert, wird man umerzogen und für gewöhnlich irgendwo anders hingeschickt.«
»Um sich nicht zu blamieren.«
»Für einen neuen Anfang. Neue Umgebung, neue Aufgabe.« Und wenn man von sehr weit weg kam, um irgendeinen Job zu übernehmen, für den fast jede andere geeignet wäre, wusste jede, was der Grund war, auch wenn niemand so ungeschickt sein würde, es auszusprechen, wenn man in Hörweite war. »Es stört Sie, dass die Radchaai nicht die Freiheit haben, ihr eigenes Leben oder das anderer Bürgerinnen zu zerstören.«
»So hätte ich es nicht formuliert.«
»Nein, natürlich nicht.«
Sie lehnte sich gegen den Türrahmen und verschränkte die Arme. »Für jemanden, der einen Gefallen erwartet — einen unglaublichen, unaussprechlich großen und gefährlichen Gefallen —, verhalten Sie sich ungewöhnlich feindselig.«
Einhändig gestikulierte ich: Es ist, wie es ist.
»Andererseits macht es Sie wütend, wenn Sie sich mit ihm auseinandersetzen.« Sie neigte den Kopf in Seivardens Richtung. »Verständlich, würde ich meinen.«
Die Worte Ich bin so froh über Ihre Zustimmung lagen mir auf den Lippen, aber ich sprach sie nicht aus. Schließlich erwartete ich von ihr einen unglaublichen, unaussprechlich großen und gefährlichen Gefallen. »All das Geld in der Schachtel«, sagte ich stattdessen. »Genug für Sie, um Land zu kaufen oder Räume in einer Station oder, verdammt, warum nicht gleich eine ganze Station?«
»Es wäre eine sehr kleine.« Ihr Lippen verzogen sich amüsiert.
»Und dann hätten Sie sie nicht mehr. Es ist gefährlich, sie auch nur gesehen zu haben, aber noch viel schlimmer, sie tatsächlich zu besitzen.«
»Und Sie«, gab sie zu bedenken, während sie sich aufrichtete, die Arme fallen ließ und ihre Stimme nicht mehr amüsiert klang, »werden unverzüglich Anaander Mianaai darauf aufmerksam machen. Der dann in der Lage sein wird, die Spur bis zu mir zurückzuverfolgen.«
»Diese Gefahr wird immer bestehen«, stimmte ich zu. Ich würde auf gar keinen Fall vorgeben, dass es Mianaai, sobald sie mich unter Kontrolle hatte, nicht gelingen könnte, jede Information aus mir herauszuholen, die sie haben wollte, ganz gleich, ob ich sie offenbaren wollte oder nicht. »Aber die Gefahr bestand bereits in dem Moment, als Sie sie erblickten, und sie wird weiter bestehen, solange Sie leben, ob Sie sie mir nun geben oder nicht.«
Strigan seufzte. »Das ist wohl wahr. Und höchst bedauerlich. Und um ganz ehrlich zu sein, möchte ich sehr gern nach Hause zurückkehren.«
Eine solche Dummheit war nicht zu fassen. Aber es war nicht meine Sorge, denn ich war nur daran interessiert, diese Waffe in die Hände zu bekommen. Ich sagte nichts. Strigan schwieg ebenfalls. Stattdessen legte sie ihren Außenmantel und die Handschuhe an und trat durch die zwei Türen nach draußen. Ich setzte mich, um zu frühstücken, während ich mich bemühte, nicht zu raten, wohin sie ging oder ob ich irgendeinen Grund hatte, mir Hoffnungen zu machen.
Fünfzehn Minuten später kehrte Strigan mit einer breiten, flachen Kiste zurück, die sie auf den Tisch stellte. Die Kiste wirkte wie ein solider Block, doch dann nahm Strigan eine dicke schwarze Fläche ab, unter der noch mehr Schwarz zum Vorschein kam.
Strigan stand wartend da, den Deckel in den Händen, und beobachtete mich. Ich streckte den Arm aus und berührte vorsichtig mit einem Finger eine Stelle auf dem Schwarz. Braun breitete sich von dort aus, zerfloss zur Gestalt einer Waffe, die nun genau die Farbe meiner Haut hatte. Ich hob den Finger an, und das Schwarz kehrte zurück. Griff erneut zu, hob eine weitere schwarze Fläche ab, unter der das Ganze nun allmählich wie eine Kiste aussah, in der sich tatsächlich Dinge befanden, auch wenn es eine verstörend lichtschluckende schwarze Kiste war, gefüllt mit Munition.
Strigan berührte die Oberseite der schwarzen Fläche, die ich immer noch in den Händen hielt. Grau breitete sich von ihren Fingern in einen dicken Riemen aus, der neben der Waffe lag. »Ich war mir nicht sicher, was das ist. Wissen Sie es?«
»Eine Rüstung.« Offizierinnen und menschliche Soldatinnen benutzten äußerlich getragene Rüstungseinheiten, anders als die Sorte, die in den Körper eingepflanzt wurde. Wie bei mir. Aber vor tausend Jahren hatte jede Implantate erhalten.
»Sie hat nie irgendeinen Alarm ausgelöst, wurde nie von irgendeinem Scanner angezeigt, durch den ich gegangen bin.« Das war es, was ich haben wollte. Die Fähigkeit, jede Radchaai-Station betreten zu können, ohne irgendjemanden auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass ich bewaffnet war. Die Fähigkeit, in Gegenwart von Anaander Mianaai eine Waffe zu tragen, ohne dass irgendwer es bemerkte. Die meisten Anaanders benötigten keine Rüstung. Eine durchschießen zu können war nur eine Zugabe.
»Wie macht sie das?«, fragte Strigan. »Wie verbirgt sie sich?«
»Ich weiß es nicht.« Ich legte die Fläche zurück und dann auch den äußeren Deckel.
»Was glauben Sie, wie viele von den Bastarden Sie töten können?«
Ich blickte auf, wandte mich von der Kiste und der Waffe ab, vom unwahrscheinlichen Ziel nach fast zwanzig Jahren Mühe, genau vor mir, real und solide. In meinen Händen. Ich wollte sagen: So viele, wie ich erreichen kann, bevor sie mich überwältigen. Aber realistisch betrachtet konnte ich nur darauf hoffen, einen einzigen Körper von Tausenden zu erwischen. Andererseits hätte ich realistisch betrachtet niemals damit rechnen können, diese Waffe zu finden. »Das hängt davon ab«, sagte ich.
»Wenn Sie eine verzweifelte, hoffnungslose, trotzige Tat begehen wollen, sollten Sie Ihre Sache gut machen.«
Ich gestikulierte zustimmend. »Ich beabsichtige, eine Audienz zu beantragen.«
»Werden Sie eine bekommen?«
»Vermutlich. Jede Bürgerin kann eine beantragen und wird sie mit hoher Wahrscheinlichkeit bekommen. Ich würde nicht als Bürgerin gehen …«
Strigan schnaufte. »Wie wollen Sie als Nicht-Radchaai durchgehen?«
»Ich werde die Docks eines Provinzpalastes betreten, ohne Handschuhe oder mit den falschen, meine fremde Herkunft bekanntgeben und mit Akzent sprechen. Mehr wird nicht erforderlich sein.«
Sie blinzelte. Runzelte die Stirn. »Wohl kaum.«
»Ich versichere es Ihnen. Als Nicht-Bürgerin hängen meine Chancen, eine Audienz zu bekommen, von meinen Gründen ab, warum ich eine beantrage.« Diesen Teil hatte ich noch nicht vollständig durchdacht. Es hing davon ab, was ich vorfand, wenn ich dort eintraf. »Manche Dinge lassen sich nicht zu weit im Voraus planen.«
»Und was werden Sie seinetwegen unternehmen …?« Sie deutete mit einer Hand auf die bewusstlose Seivarden.
Ich hatte es bisher vermieden, mir selbst diese Frage zu stellen. Von dem Augenblick an, als ich sie gefunden hatte, hatte ich es vermieden, weiter als einen Schritt vorauszudenken, wenn es darum ging, was ich mit Seivarden tun sollte.
»Behalten Sie ihn im Auge«, sagte sie. »Er könnte den Punkt erreicht haben, an dem er das Kef endgültig aufgegeben hat, aber ich glaube es nicht.«
»Warum nicht?«
»Er hat mich nicht um Hilfe gebeten.«
Jetzt war ich es, die eine skeptische Augenbraue hob. »Würden Sie ihm helfen, wenn er Sie fragen würde?«
»Ich würde tun, was ich kann. Obwohl er sich natürlich den Problemen stellen muss, die zur Sucht geführt haben, wenn es langfristig funktionieren soll. Doch ich sehe keine Anzeichen an ihm, die in diese Richtung deuten.« Insgeheim stimmte ich ihr zu, aber ich sagte nichts dazu.
»Er hätte jederzeit um Hilfe bitten können«, fuhr Strigan fort. »Er ist jetzt — wie lange? — seit mindestens fünf Jahren umhergeirrt. Jeder Arzt hätte ihm helfen können, wenn er es gewollt hätte. Aber das würde bedeuten, dass er zugeben müsste, ein Problem zu haben, nicht wahr? Und ich glaube nicht, dass das in absehbarer Zeit geschehen wird.«
»Es wäre das Beste, wenn s… — wenn er in die Radch zurückkehrt.« Radch-Medizinerinnen konnten alle ihre Probleme lösen. Und sie würden sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, ob Seivarden sie um Hilfe bat oder sie überhaupt in Anspruch nehmen wollte.
»Er wird nicht in die Radch zurückkehren, solange er sich nicht eingesteht, dass er ein Problem hat.«
Ich gestikulierte: Nicht mein Problem. »Er kann gehen, wohin er will.«
»Aber Sie geben ihm zu essen, und zweifellos werden Sie seine Fahrtkosten für die Reise zum Lift übernehmen und in welches System auch immer Sie als Nächstes weiterfliegen. Er wird bei Ihnen bleiben, solange es für ihn von Vorteil ist, solange er Essen und Unterkunft bekommt. Und er wird alles stehlen, von dem er glaubt, es könnte ihm etwas Kef verschaffen.«
Seivarden war nicht mehr so stark, wie sie einst gewesen war, auch nicht mehr so klar im Kopf. »Glauben Sie, dass ihm das so leicht gelingen wird?«
»Nein«, räumte Strigan ein, »aber er wird sehr entschlossen sein.«
»Ja.«
Strigan schüttelte den Kopf, als wollte sie eine Benommenheit vertreiben. »Was tue ich eigentlich? Sie werden ohnehin nicht auf mich hören.«
»Ich höre Ihnen zu.«
Doch sie schien mir nicht zu glauben. »Es geht mich überhaupt nichts an, ich weiß. Aber …« Sie zeigte auf die schwarze Kiste. »Töten Sie einfach so viele Mianaais, wie Sie können. Und schicken Sie ihn nicht zu mir.«
»Sie gehen?« Natürlich. Es war nicht nötig, eine so idiotische Frage zu beantworten, weshalb sie sich gar nicht die Mühe machte. Stattdessen kehrte sie in ihr Zimmer zurück, sagte nichts mehr und schloss die Tür.
Ich öffnete meinen Rucksack, nahm das Geld heraus und legte es auf den Tisch, schob stattdessen die schwarze Kiste hinein. Berührte sie in dem Muster, das sie verschwinden ließ, nur noch zusammengelegte Hemden, ein paar Pakete mit Trockennahrung. Dann ging ich zu Seivarden hinüber und stieß sie mit meiner Stiefelspitze an. »Wachen Sie auf.« Sie schreckte hoch, setzte sich abrupt auf, warf sich mit dem Rücken gegen die nächste Bank, atmete schwer. »Wachen Sie auf«, wiederholte ich. »Wir gehen.«