»Der Große Rat Süden ist versammelt«, erklärte Ortega von seinem Büro aus feierlich, aber das war nur ein Ritual. Es bedeutete, daß sämtliche Botschaften in Zone jetzt zu einem komplizierten Kommunikationsnetz zusammengeschlossen waren. Die Wesen, die Wasser atmeten, diejenigen, die das eine oder andere Luftgemisch atmeten, und einige, die eigentlich gar nicht atmeten, konnten jetzt alle miteinander sprechen. Nicht alle Hexagons der südlichen Halbkugel waren vertreten, und manche, wie Gedemondas, schickten niemals Leute. Ihre Büros standen leer. Eine ziemlich große Anzahl von Räten, wie Ortega, waren Neuzugänge — Leute, die ursprünglich von anderen Orten und Rassen im riesigen Universum stammten und durch Zufall in markovische Tore geraten waren. Sie waren gute Ratsmitglieder; solche Leute waren in der Regel geschickter darin, Neulinge durchzuschleusen, da sie das persönlich erlebt hatten.
»Diese Sitzung ist auf mein Ersuchen anberaumt worden, weil ich es für unabdingbar halte, daß wir alle begreifen, was vorgeht, und uns auf eine gemeinsame Politik dagegen einigen«, fuhr Ortega fort. Er schilderte kurz die Lage, so, wie er sie sah, ohne etwas zu verschweigen.
Schließlich kam er zur Sache selbst.
»Wir haben mehrere Möglichkeiten«, erklärte er. »Die erste ist die, gar nichts zu tun. Das wird zu einer zeitweiligen Verdoppelung der Bevölkerung auf der Sechseck-Welt führen, zu einer starken Belastung — aber nur für kurze Zeit. Unbehindert würde Brazil zum Schacht gehen, tun, was er zu tun hat, und die Bevölkerung um denselben Faktor verringern, um den er sie erhöht hat. Das würde zu Unannehmlichkeiten führen, gewiß, aber nicht zu Dingen, mit denen wir nicht fertig werden könnten.«
»Wenn er die Neulinge nur dazu verwendet, um diese Neubesiedelung zu bewältigen«, stellte jemand fest. »Wenn er uns alle benützt, ist dies das Ende. Oder übrigens auch, wenn er nicht lange überlegt, ob es Neulinge oder Einheimische sind.«
Ortega nickte gewohnheitsmäßig, obwohl es keine Fernsehbilder gab.
»Das ist natürlich der springende Punkt. Ich kenne Brazil. Ich weiß, daß man auf sein Wort bauen kann. Aber wenn wir ganz offen sein wollen, wird er ganz allein etwas tun, das die Markovier als Rasse getan haben — und so ist das System nicht eingerichtet worden. Wir wissen nicht, ob er die nötige Beherrschung oder Zuversicht besitzt. Er wird das zum allererstenmal tun und kann es eigentlich selbst nicht wissen. Er ist ganz gewiß ein Markovier — ich habe ihn in seiner natürlichen Erscheinung gesehen. Aber wenn wir auf seine Behauptungen vertrauen — und obwohl ich sein Ehrenwort im allgemeinen akzeptiere, würde ich keiner seiner Geschichten ohne Beweise glauben —, war er nach seinen eigenen Angaben ein Techniker in Hex 41. Ein Techniker, aber nicht der Schöpfer. Die Tatsache, daß er auch behauptet, Gott zu sein, der Erste Beweger, der höchste Schöpfer des Universums, sollte Ihnen zeigen, was man eigentlich glauben kann.«
»Ich neige dazu, es zu glauben«, erklärte eine andere fremde Stimme. Die Schaltungen waren so eingerichtet, daß derjenige, der als erster auf die Sprechtaste drückte, die anderen allesamt blockierte, so daß immer nur einer sprechen konnte. Im anderen Fall hätte es ein zweites Babel gegeben.
»Daß er Gott ist?« fragte Ortega fassungslos.
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte der Botschafter. »Das ist eben der Punkt, verstehen Sie? Seine Behauptungen sind von grandiosester Art. Er behauptet, Gott zu sein, oder hält sich dafür. Jemand, der das behauptet, würde fast im Reflex behaupten, er sei der Schöpfer eines Hexagons, und nicht ein bloßer Techniker, wenn er sich gezwungen sähe, etwas zu erfinden. Das hat er nicht getan, so daß ich mich der Ansicht anschließe, daß er tiefer stand. Das stört mich natürlich noch mehr. Wir haben hier in Ragamin sehr fortschrittliche Computer. Wenn kleinere Reparaturen erforderlich sind, würde ich einem Techniker vertrauen. Sollte einer aber von Anfang an programmiert werden müssen und gäbe es keine Kopie des Urprogramms, dann würde ich auf einen Fachmann Wert legen. Brazil hat nichts programmiert, nicht einmal Hex 41 — wie können wir also darauf vertrauen, daß er weiß, was er macht, wenn es sich um den Schacht selbst handelt, etwas so Komplexes, daß kein Gehirn, das ich kenne, es sich vorstellen kann?«
Ortega schnitt jeden weiteren Kommentar ab.
»Guter Einwand. Ich sehe, daß eine ganze Anzahl von Ihnen sprechen möchte, aber wenn Sie erlauben, fahre ich fort, damit wir mit dieser Sitzung nicht die nächsten drei Wochen verbringen. Die Zeit drängt.«
Er machte eine Pause und wartete, bis die kleinen Lämpchen erloschen, als man seine Entscheidung, zumindest vorübergehend, hinnahm. Befriedigt sprach er weiter.
»Unsere zweite Möglichkeit besteht darin, Verbindung mit Brazil aufzunehmen und zu versuchen, mit ihm zu einer Einigung zu gelangen. Wenn es ihm gelingt, den Schacht zu erreichen, und er wütend auf uns ist, könnten wir uns zu einer Prophezeiung verleiten lassen, die sich selbst erfüllt. Muß er kämpfen, um hinzugelangen, dann wird er verdammt zornig auf uns alle und in der Lage sein, die Rechnung zu begleichen. Das müssen wir bedenken. Wenn er es schaffen kann, verwendet er vielleicht nur die Neulinge, falls er ohne Mühe hingelangt, oder er benützt uns, wenn wir ihm die ganze Zeit über Widerstand leisten, seinen Leuten Verluste zufügen und so weiter.«
»Könnten wir denn mit ihm überhaupt zu einer Einigung kommen?« fragte jemand.
»Vermutlich«, antwortete Ortega. »Wir könnten uns sein Wort geben lassen — das bisher immer Gültigkeit hatte. Aber wir könnten nicht erzwingen, daß er es hält. Als er das letztemal hier war, versuchten das einige von uns, wissen Sie. Wir gelangten in den Schacht, aber für uns war er damals so unverständlich, wie er es heute ist. Schlimmer noch, er war in Markoviergestalt und vollkommen in der Lage, praktisch alles mit dem Riesencomputer zu machen, was er wollte, einfach durch eine Art geistigen Kontakts.«
»Würden Sie ihm trauen?« warf jemand ein.
Ortega überlegte.
»Ja. Aber ich würde nicht unbedingt darauf vertrauen, daß er fähig wäre, sein Versprechen zu halten, aus den Gründen, die wir eben aufgeführt haben. Mit dem Schacht einige Einzelpersonen zu behandeln, ist eine Sache; den ganzen Computer zu reparieren und dann mit ihm auf das komplette Universum einzuwirken, eine völlig andere. Er ist ein kecker kleiner Halunke — ich bin überzeugt davon, er glaubt, daß er das kann. Aber ich bin nicht sicher, ob ich das auch glaube.«
Einen Augenblick lang flammten keine Lichter auf, als die anderen sich durch die Köpfe gehen ließen, was Ortega gesagt hatte. Dann versuchten alle gleichzeitig zu sprechen, und er mußte sie wieder unterbrechen.
»Die dritte Alternative, mit der Brazil rechnet, ist die, daß wir uns ihm widersetzen — ihn um jeden Preis daran hindern, daß er den Schacht erreicht. Seine Helfer sind schon hier, organisieren die Neuankömmlinge und nutzen die nationalen Eigeninteressen einer Anzahl verwundbarer Sechsecke, die ihn von sich aus unterstützen könnten. Seine Armee wird jetzt eingeschleust und steht im Begriff, sich um diese Organisatoren zu scharen. Wenn wir versuchen, ihn aufzuhalten, müssen wir uns mit verschiedenen nachteiligen Tatsachen befassen. Erstens können wir ihn gefangennehmen, einsperren, ihm alles mögliche Üble zufügen, aber töten können wir ihn nicht. Der Schacht läßt das nicht zu, gleichgültig, wie sehr wir uns anstrengen. Es geschieht immer etwas, das ihm einen Ausweg läßt. Deshalb sprechen wir von praktisch unbegrenzter Gefangenschaft. Zweitens haben wir es in einem solchen Fall mit einem schier unvorstellbaren Kampf zu tun. Wir sind uns noch nicht sicher, wo er ist, und bis jetzt ist er noch nirgends aufgetaucht. Letzteres ist vermutlich nur gut, weil wir wissen, daß er ein Typ 41 ist, wir kennen seine generelle äußere Beschreibung, und früher oder später würden wir es wissen. Er würde entdeckt werden, und wenn er sich dort befindet, wo er verwundbar ist, sagen wir, auf dem Meer, könnte man ihn sofort festnehmen. Wir müssen davon ausgehen, daß er irgendwo in oder bei Glathriel oder Ambreza ist, obwohl wir ihn dort bisher vergeblich gesucht haben. Er ist nicht so dumm, nicht für ein fast narrensicheres Versteck gesorgt zu haben. Wir müssen also warten, bis er sich zeigt. Er wird darauf warten, daß seine Armee oder Armeen ihn zum Handeln veranlassen, daß sie ihm die Kraft verleihen, nach Norden zu marschieren. Das heißt, es muß eine multinationale, vielrassige Gruppe von Armeen aufgestellt werden, verteilt an strategischen Orten, bereit, sich bei jeder Wendung gegen sie zu stellen. Da er sich den Weg aussucht, sind wir in der Logistik noch mehr im Nachteil als er, aber uns kommt die reine Zahl ebenso zugute wie das Gelände.« Er schwieg einen Augenblick und fügte hinzu:»Und drittens verurteilen wir uns, wenn wir das tun, natürlich dazu, zuletzt die einzigen Lebensformen in der ganzen Schöpfung zu sein.«
Wieder war die Tafel dunkel, der Lautsprecher lange Zeit still, bis plötzlich erneut alle gleichzeitig zu sprechen begannen. Sie redeten stundenlang, sie argumentierten, sie stritten, sie versuchten andere Wege zu finden. Ortega ließ sie reden, zeichnete alles auf und machte sich außerdem Notizen auf einer Karte der Sechseck-Welt, wenn die Sprecher ihren eigenen Neigungen nach erkannt werden konnten. Es war eine interessante Bilanz. Von der ungefähr siebenhundert vertretenen Hexagons war ungefähr ein Drittel entweder praktisch nutzlos — diejenigen, deren Bewohner ihre Heimatländer nicht verlassen konnten, wie die Pflanzenwesen, die wenig oder keine Beweglichkeit besaßen, und was dergleichen mehr war — oder unentschieden. Ein paarmal entdeckte er Andeutungen, daß einige der Sechsecke sich, wenn der Zufall es so ergeben sollte, Brazils Streitkräften anschließen mochten, und es war offenkundig, in welchen Hexagons Brazils Helfer am Werk gewesen waren. Beispielsweise hatte Marquoz die Hakazit in der Tasche. Die Dillianer, an sich keine sehr kampfeslustigen Leute, nahmen keine gemeinsame Haltung ein — bei ihnen gab es ohnehin nicht viel an Regierung — und ließen jeden für sich entscheiden.
Aber eine starke Mehrheit, so schien es, scherte sich keinen Deut um den Rest des Universums, dachte nur an die eigene Haut und war entschieden für den Kampf. Er wußte, daß das zu erwarten gewesen war. Wenn eine Nation vor der Wahl zwischen abstraktem Prinzip oder absolutem Eigeninteresse stand, trug letzteres jedesmal den Sieg davon.
Man würde kämpfen — oder jedenfalls gab es genug Stimmen dafür. Er konnte es nicht verhindern, und erst als die Rede auf Pogrome gegen die Neuzugänge kam, griff er wieder ein und warnte mit Nachdruck.
»Ich würde keine Massaker an diesen Neuzugängen empfehlen«, sagte er heftig. »Bedenken Sie: Sie müssen die durchaus reale Möglichkeit einbeziehen, daß Brazil trotz unserer Bemühungen den Schacht erreicht. Jede Rasse, die an diesem Punkt ihren Überschuß ausgerottet hat, wird notwendigerweise der völligen Auslöschung ausgesetzt sein. Sie können es sich nicht leisten, sie zu töten! Denken Sie an das Leben Ihrer Völker, an Ihr eigenes Leben! Sie können tun, was Sie wollen, nachdem wir Brazil in unsere Gewalt gebracht haben, doch erst dann!«
»Aber alle Neuzugänge sind auf seiner Seite«, klagte jemand, der für die Meinung vieler sprach. »Sie sagen damit, daß wir eine verräterische Armee aufnehmen müssen, eine, die uns töten wird.«
»So weit hat er uns gebracht«, räumte Ortega ein. »Aber vergessen Sie nicht, Sie brauchen ihnen nicht viel Freiheiten zu lassen, wenn überhaupt welche. Bringen Sie sie unter Kontrolle, so gut Sie können. Ich vermute, daß die meisten, sobald sie dazu in der Lage sind, zu einem vereinbarten Treffpunkt eilen werden — wenn Sie das zulassen. Verhindern Sie es. Reduzieren Sie seine Armee und halten Sie sie innerhalb Ihrer eigenen Grenzen in Schach. Es hängt von Ihnen ab, klug und verstohlen vorzugehen.«
Er wußte, daß nicht alle seinen Rat befolgen würden, aber doch die meisten. Eigeninteresse, auch hier. Sie mußten sich gegen alle Möglichkeiten absichern. Viele Unschuldige würden hingemetzelt werden, daran gab es für ihn keinen Zweifel, aber die meisten würden zögern und überlegen. Er hoffte es.
Schließlich kam es zur Abstimmung. Von den 713 vertretenen Hexagons stimmten 431 dafür, Brazil aufzuhalten, 184 dafür, eine Einigung mit ihm zu versuchen, und 98 enthielten sich der Stimme oder sprachen sich praktisch dafür aus, nichts zu tun. Das Endergebnis entsprach in bemerkenswerter Weise der Schätzung, die Ortega während der Debatte anhand seiner Karte aufgestellt hatte.
»Der Vorschlag ist also angenommen. Das heißt Krieg«, gab er schließlich bekannt. »Also gut. Da wir nicht die Macht haben, die Andersgesinnten dazu zu zwingen, daß sie die Haltung der Mehrheit unterstützen, muß ich in diesem Augenblick mehrere Maßnahmen ergreifen. Erstens muß ich jeden, der seine Wahlentscheidung ändern will, bitten, mir das anzuzeigen, wobei ich die in der Minderheit Befindlichen daran erinnern möchte, daß es böses Blut gegen jene Hexagons geben muß, die sich an diesem Unternehmen nicht beteiligen wollen, böses Blut, aus dem alle möglichen Nachteile entstehen könnten, wie Handelssanktionen und Boykottaufrufe, bis hin zu einer sehr gefühllosen Mißachtung eines neutralen oder gegnerischen Hexagons, das bei einem Kampf in die Mitte geraten sollte.« Das war keine müßige Drohung oder ein Versuch, Druck auszuüben; er glaubte, das aussprechen zu müssen, weil er es für wahr hielt. Sieg oder Niederlage, Nationen, die sich entschieden zum Kampf bekannt und in dessen Verlauf eigenes Leben und Hilfsmittel verloren hatten, würden denjenigen gegenüber, die abwartend zugesehen hatten, nicht freundlich gestimmt sein.
Interessanterweise schlossen sich drei von den Stimmenthaltungen und zwei von den eine Einigung anstrebenden Parteien den zum Krieg Entschlossenen an, und zwei der ursprünglich für Krieg abgegebenen Stimmen wurden zurückgezogen. Am Ende blieb ein Gewinn, aber das Ergebnis war erstaunlich.
Er nickte zerstreut.
»Also gut. Die Sechseck-Welt wird in militärische Zonen aufgeteilt, jede unter einem Gesamtbefehlshaber. Alle teilnehmenden Hexagons werden mobil machen und ihre eigenen Befehlshaber ernennen, aber sie unterstehen alle einem höchsten Sektor-Kommandeur, der von außerhalb des Sektors kommt, also von einer Rasse, die keine unter seinem Kommando stehenden Truppen entsendet. Der Krieg ist nicht etwas, woran wir gewöhnt wären — unser Gegner wird daran viel stärker gewöhnt sein. Trotzdem kann der Krieg geführt werden, und zwar erfolgreich. Der erste Krieg der Sechseck-Welt ging durch die Logistik verloren, aber dabei ging es um Eroberung, und unter den Teilnehmern bestand im Hinblick auf die Ziele keine Zusammenarbeit. Der zweite Krieg der Sechseck-Welt wurde für begrenzte Ziele geführt, um einen bestimmten Punkt zu erreichen, bevor das gegnerischen Armeen gelang. Wieder gab es nicht die Zusammenarbeit vieler Hexagons, die wir jetzt haben. Und wir handeln als Erwiderung auf eine andere Armee. In diesem Fall steht vieles auf unserer Seite — der Gegner hat ein Ziel, und alles, was wir anstreben müssen, ist, ihn daran zu hindern, daß er es erreicht. Die Nachteile liegen bei ihm, auch wenn er die Richtung des Weges bestimmt.«
Es gab noch eine ausführliche Diskussion, gefolgt von allgemeiner Zustimmung für den Plan. Alle wollten Vorschläge für die Posten der Sektorkommandeure unterbreiten und sie Ortega vorlegen, der die besten Computer in den Hochtech-Hexagons einsetzen sollte, um für jeden Posten den besten Mann auszuwählen.
»Ich werde außerdem den Norden unterrichten und eine Niederschrift zur Beurteilung durch den dortigen Rat übersenden«, erklärte er. »Brazil ist raffiniert — und Reisen in den Norden sind möglich, wenn auch unter großen Schwierigkeiten. Es sähe ihm ähnlich, dafür zu sorgen, daß hier unten der Teufel los ist, während er dorthin eilt — wo, wenn die Menge der Neuzugänge nicht nachläßt, der Schacht ebenfalls Leute unterbringen wird —, um von dieser Seite her eine Avenue zu erreichen.«
Obwohl bis jetzt noch unerhört, zeigte sich bereits, daß der Schacht der Seelen, das gigantische Computerherz der Welt, tatsächlich auf Kohlenstoff beruhende Neuzugänge in die unheimlichen, nicht auf Kohlenstoff basierende Hexagons des Nordens versetzte. So etwas sollte nicht vorkommen, aber der Schacht handelte rein aus Notwehr. Er mußte die beispiellose Menge von Neuzugängen über die ganze Welt so gleichmäßig verteilen, wie das nur ging, um gewiß zu sein, daß die Hilfsmittel ausreichten, um sie zu versorgen. Brazil hatte sich darauf verlassen — er mußte die Bevölkerung aller 1569 Hexagons verdoppeln, nicht nur im Süden.
Und was ihn selbst anging… Ortega ließ sich auf seinen riesigen Schlangenschwanz zurücksinken und verschränkte nachdenklich alle sechs Arme. Ulik würde sich natürlich der Mehrheit anschließen. Er hatte so abgestimmt, auf die Art, wie seines Wissens sein Volk abgestimmt hätte. Es würde bald durch einen Kurier unterrichtet werden, während er hierblieb, festgehalten in seinem Luxusgefängnis.
Das war es, entschied er. Ein Gefängnis. Nicht zum erstenmal dachte er in diesen Begriffen. Brazil würde in einem solchen Gefängnis festgesetzt werden, vermutlich in einer der leerstehenden Botschaften. Es ärgerte ihn, daß man dafür stimmte, mit Brazil das zu versuchen, was mit ihm geschehen war.
Der Haken bei der Sache war freilich der, daß er sich das selbst zugefügt hatte. Er hatte sich lieber in dieses kalte, sterile Gefängnis gesetzt, als den Tod über sich ergehen zu lassen. Spielzeugarmeen auf Tischen herumzuschieben, Nadeln in Karten zu stecken, das würde sein Kampf sein, sein Feldzug, sein Krieg. Er mochte ebensogut eine Milliarde Lichtjahre entfernt sein, dachte er. Aber dort hinauszugehen, bedeutete mit Gewißheit den Tod, vielleicht sogar den raschen Tod.
Er erinnerte sich an die alte Legende seines früheren Volkes, an die Sage von Faust. Als Mephisto in die Hölle zurückbefohlen worden war, hatte er geantwortet:»Aber das ist doch die Hölle, und ich habe sie nicht verlassen.«
Ortega schaute sich in seinem behaglich eingerichteten Büro um.
Aber das ist die Hölle, wiederholte er die alte Zeile zum millionstenmal in seinem Inneren, und ich habe sie nie verlassen.
Kein Wunder, daß Brazil nicht bei Sinnen war. Niemand versteht diesen Mann besser als ich, dachte er. Er wünschte sich, mit dem sonderbaren kleinen Mann jetzt sprechen zu können.
Er wünschte sich, mit irgend jemandem sprechen zu können.
Aber das ist die Hölle…