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»Da ist es!« Serge Ortega schlug mit einer Hand auf ein Stück Papier und zog die Brauen zusammen. Trotzdem klang seine Stimme befriedigt.

Der Dahbi hob den Kopf und warf einen Blick auf das Papier. Auf der Liste der erzielten Erkenntnisse war ein einziger Eintrag unterstrichen.

»Dampfer ›Königin von Chandur‹ rief die in Achrin registrierte ›Windbreaker‹ an. Gemischte Besatzung, an Deck Achrin sichtbar, aber ungewöhnlich hohe Zahl von glatthäutigen, affenartigen Wesen unter der Besatzung, die den Beschreibungen von Brazil entsprechen.«

»Und?« sagte der Dahbi. »Trotz der Beschreibungen scheint das etwas ganz Normales gewesen zu sein.«

»Menschen vom Typ 41«, stellte Ortega fest. »Das sind Landwirtschaftssklaven der Ambreza. Unterwürfig. Kindlich. Keine eigene Regierung. Werden praktisch nur ge- und verkauft. Was, zum Teufel, machen so viele von ihnen auf einem einzigen Schiff? Und noch wichtiger: Wer hat ihnen beigebracht, mit ihm zu segeln, und warum?«

Der Dahbi überlegte.

»Das klingt allerdings verdächtig. Sie haben sich natürlich bei den Achrin und Ambreza erkundigt?«

»Versteht sich«, gab Ortega gereizt zurück. »Die Ambreza hatten Unterlagen über den Verkauf einer Gruppe von dreißig Personen an eine Reederei für die Verwendung auf einem Segelschiff. Man erklärte, sie könnten mit den Segeln vielleicht besser umgehen und weniger Schwierigkeiten machen als bezahlte Matrosen.«

»Hört sich logisch an«, meinte der Dahbi.

»Es ist der zeitliche Zusammenhang«, sagte Ortega. »Das und die Tatsache, daß der Schiffseigner nicht auszumachen ist, ja, daß nicht einmal geklärt werden kann, in welchem Hex er sich befindet. Achrin ist ein Wasser-Hex, so daß es dort praktisch kein nennenswertes Schiffsregister gibt. Interessant ist auch, daß das Schiff in Mowrey gesichtet wurde. Nehmen wir einmal an — unterstellen wir das nur einmal! —, daß es ihnen auf irgendeine Weise gelungen ist, einen Doppelgänger von Brazil zu beschaffen.«

»Doppelgänger? Das habe ich nicht ganz begriffen.«

»Ein Duplikat, ein Double. Ich weiß nicht wie, aber das haben sie auch schon gemacht, als er hereingeschmuggelt worden ist, wenn Sie sich erinnern. Das Double als Zielscheibe aufbauen, damit wir hinter ihm herhetzen und seinetwegen große Schlachten schlagen. Während inzwischen der wahre Brazil, versteckt in einem ganzen Haufen von seiner eigenen Gattung auf einem Schiff, in aller Seelenruhe zur, sagen wir, Josele-Wahaca-Avenue hinaufsegelt. Verstehen Sie, was ich meine?«

»Hmmm… Ich weiß nicht…«

»Sie haben uns die ganze Zeit hereingelegt und an der Nase herumgeführt«, erinnerte er den Dahbi. »Sie haben uns im Kampf geschlagen, sie haben uns durch die Gegend gejagt, und jetzt gehen sie ganz anders vor, als wir erwartet haben, und können uns jederzeit mit neuen Hinfallen täuschen. Wozu dient diese Awbri-Armee? Sie steht einfach und vereinigt sich nicht mit anderen Truppen. Nein, nein, ich glaube, wir müssen dieses Schiff einholen und die Besatzung befragen. Finden Sie nicht auch?«

Die Stimme des weißen Wesens klang nun ein wenig hilflos.

»Ich zweifle im Ernst daran, daß wir jetzt tun können, was Sie vorschlagen«, erwiderte es langsam. »Das ist ein riesiges Meer, und wie Sie sicher wissen, sind die meisten Gattungen in diesen Hexagons, außer an den Küsten, Tiefsee-Geschöpfe. Wenn zutrifft, was Sie sagen, werden sie ihre Spuren sicherlich auch verwischt haben, indem sie das Schiff im Aussehen verändert oder es ausgewechselt haben. Das Beste, was wir nach meiner Meinung tun können, ist wohl dies, daß wir den Botschafter von Laibiria hier bitten, keine Schiffe durch sein Hex fahren zu lassen — soviel können die Leute durchsetzen —, um sie zu zwingen, vor ihrem Ziel anzulegen.«

Ortega zog eine Karte heraus und betrachtete sie gründlich.

»Vielleicht wird das jetzt alles deutlich. Da sie wußten, es würde uns klar sein, daß sie zu einer Avenue müssen, war ihnen auch bekannt, daß ihnen, sobald sie einmal eine bestimmte Richtung einschlugen, nur eine kleine Zahl von Avenuen offenstand. Sie führen also die Haupttruppen nach Norden, Richtung Yaxa-Harbigor, einen Brazil-Doppelgänger deutlich zu Schau stellend. Das bindet unser Hauptheer gegen das ihre. Mehr noch, es besteht die Versuchung, General Khutirs Streitkräfte, die an der Ellerbanta-Verion-Avenue Aufstellung genommen haben, aus dem Westen herzuholen, um das Hauptheer zu einem Entscheidungskampf zu stellen, bei dem Sanghs und Khutirs Truppen die gesamte Hauptarmee des Gegners, Brazil scheinbar eingeschlossen, zwischen sich haben. Was wird damit erreicht? Die Ellerbanta-Verion-Avenue bleibt praktisch unverteidigt, Brazil, der mit dem Schiff ankommt, steigt aus, marschiert achthundert Kilometer hinauf und ist an Ort und Stelle.« Seine Stimme nahm einen erregteren Klang an. »Ja! Natürlich! Und das erklärt, warum das Awbri-Heer unter dieser Yua sich nicht von der Stelle rührt. Wenn Khutir begreift und bleibt, wo er ist, kann ihre Armee den eigentlichen Kampf übernehmen und ihn angreifen, während Brazil hindurchschlüpft. Oder sie kann Brazil unterstützen und beschützen, wenn die Katze zu früh aus dem Sack gelassen wird. Und falls ihr Plan funktioniert, könnte sie statt dessen als Reserve hinter der Hauptstreitmacht dienen. Perfekt! Geradezu genial! Beinahe einzigartig!«

»Sie scheinen das zu bewundern«, stellte der Dahbi verwundert fest.

Er nickte.

»Allerdings. Eine krasse Irreführung. Ein Taschenspielertrick mit stehenden Heeren. Man weiß das besonders zu schätzen, wenn man sich das ansieht und sich sagt, nun, wir kämpfen Armee gegen Armee, während das in Wirklichkeit gar nicht zutrifft. Das ist kein Krieg. Es geht allein darum, einen Mann zu einer bestimmten Zeit an einen bestimmten Ort zu bringen. Um nichts anderes! Wirklich erstklassig!«

»Das geht aber alles davon aus, daß es tatsächlich ein Duplikat von Brazil gibt und der eigentliche Brazil sich auf dem Schiff befindet«, wandte der Dahbi ein. »Und das wird sich erst erweisen.«

»Da ist er«, erklärte Ortega entschieden. »Wenn nicht auf diesem Schiff, dann eben auf einem ähnlichen. Wir fordern alle Hexagons in der Gegend auf, besonders aufzupassen. Brazils Masken sind in offenem Gelände und in fremder Umgebung beschränkt. Es mag sein, daß er vorher durchgeschlüpft ist, ohne bemerkt zu werden, aber nicht mehr, wenn alle nach ihm Ausschau halten.«

»Und Khutirs Truppen?«

»Sollen bleiben, wo sie sind, wenn sie wissen, was gut für sie ist«, erwiderte Ortega. »Und unterrichtet Gunit Sangh über die neue Lage.«

»Das wird geschehen«, versicherte der Dahbi. »Aber ich bin mir ganz und gar nicht sicher, wie Seine Heiligkeit das aufnehmen wird.«

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