Makiem

Die Schlacht war brutal und hart gewesen. Die Hakazit hatten jetzt Pulver gerochen und viele der Zweifel in Marquoz beseitigt. Sie genossen den Kampf so sehr, daß es mühsam gewesen war, sie zu stoppen, selbst als festgestanden hatte, daß sie Sieger waren. Er begann sich Gedanken darüber zu machen, daß sie von jetzt an einfach aus Blutdurst Streifzüge der Verwüstung unternehmen würden. Daß er einer von ihnen war, verlieh ihm ein Gefühl der Sicherheit, aber nur in beschränktem Maße.

Die nichttechnischen Makiem, die Riesenfröschen glichen, waren grimmige, entschlossene Kämpfer, und ihnen hatten sich dreitausend Verbündete anderer Rassen angeschlossen, darunter die elektrische Schläge schleudernden Agitar auf ihren geflügelten Pferden, aber das hatte bei weitem nicht ausgereicht. Gunit Sangh hatte seine Streitkräfte in der Hauptsache weit im Norden zusammengezogen, in der Annahme, der Gegner werde sich mit den von Dillianern angeführten Truppen vereinigen und nach Norden zur Küste vorstoßen. So war es, nur zum Teil dank Brazils Nachricht, nicht gekommen. Jetzt hielten sie Makiem und seine wichtigen Häfen und warteten auf das Eintreffen der Dillia-Truppen.

Das Blutbad bei der Schlacht war grausig genug gewesen, aber nun wüteten die Truppen in Stadt und Land, plünderten, brandschatzten und zerstörten, was ihnen nicht gefiel, nur um der Vernichtung willen. Er versuchte das im Griff zu behalten, entdeckte aber, daß seine Macht begrenzt war. Es war traurig, solche Verwüstung einer Rasse zugefügt zu sehen, die nur ihre Heimat verteidigte. Praktisch das einzig Gute dabei war das warnende Beispiel, dachte er. Jene Hexagons, die sie hatten durchmarschieren lassen, waren praktisch unberührt geblieben, und das meiste an Vorräten, was man unterwegs aufgenommen hatte, war sogar bezahlt worden. Makiem, das Widerstand geleistet hatte, war gezwungen worden, einen furchtbaren Preis zu entrichten. Die Nachricht würde sich rasch verbreiten.

Außerdem gefiel ihm das Warten nicht. Je länger es dauerte, desto ärger wurde das Wüten und desto verwundbarer wurden natürlich seine eigenen Truppen. Sie hatten hier den Sieg hauptsächlich deshalb davongetragen, weil sie es in erster Linie mit Rekruten, mit Veteranen und Zivilisten ohne ordentliche Organisation zu tun gehabt hatten. Wären sie auf die Hauptstreitmacht des Rates gestoßen, die oben in Godidal massiert und organisiert wurde, hätte man sie niedergemetzelt. Und Sangh mußte inzwischen erkannt haben, daß man ihn übertölpelt hatte. Seine Truppen würden verlegt werden müssen, und sie konnten so rasch vorrücken wie Marquoz mit den seinen. Es war besser, wenn er als erster loszog.

Was Zigeuner Brazil anging — wie Marquoz ihn im stillen jetzt nannte —, so hatte er sich zusammen mit den menschlichen Neuzugängen ganz im Hintergrund gehalten, und sie hatten nur wenig miteinander gesprochen. Eigentlich enttäuschend; er wollte dem Mann so viele Fragen stellen, konnte es aber einfach nicht tun, nicht hier in dieser Umgebung, wo ein Ausrutscher, daß er nicht Brazil war, alles gefährden konnte. Marquoz hoffte, es würde später, wenn die beiden Armeen sich vereinigt hatten, besser werden.

Die anderen brauchten drei Tage, um zu ihm zu gelangen. Er konnte sehen, daß sie von der Verwüstung entsetzt waren, aber das hatte sich jetzt beruhigt. Die meisten der Frösche hatten Zuflucht im Meer gesucht, und alles, was man mitnehmen konnte, war geplündert. Mavra und Asam sahen gut aus, wirkten aber beim Anblick Tausender von Kampfechsen nicht wenig nervös.

Er konnte nur die Schultern hochziehen.

»Sie sind von Natur aus Tötungsmaschinen und hatten bis jetzt keine Gelegenheit, sich auszutoben. Man kann es ihnen im Grunde nicht verdenken.«

Sie gingen dorthin, wo die Dillianer ihr Kommandozelt aufgestellt hatten, und machten es sich bequem.

»Wo ist — äh — Brazil?« fragte Mavra.

»Ach, der wird gleich kommen«, versicherte Marquoz. »Ich habe Nachricht in sein Lager geschickt. Er ist fern der Kampfzone gut geschützt gewesen und war nicht einsam. Er hat achtzehn menschliche Frauen bei sich, die ihn für Gott halten und buchstäblich alles tun, was er verlangt.«

Sie lachte leise, aber ohne Humor, und dachte nicht nur an die ungeheuren Zerstörungen ringsum, sondern auch an den kostspieligen Kampf, den sie hinter sich hatten, an die vielen Toten und Verwundeten. So viel Blutvergießen… und Zigeuner amüsierte sich. Sie mußte das aussprechen.

»Nehmen Sie es ihm nicht übel«, sagte Marquoz. »Er spielt schließlich eine Rolle. Er tut, was Brazil tun würde, und wir behandeln ihn genauso. Vergessen Sie auch nicht, daß er sich zur Zielscheibe gemacht hat.«

»Das ist richtig«, bestätigte Asam. »Alle Truppen suchen ihn. Ich wette, daß er keine Nacht ruhig geschlafen hat, seitdem er bei Ihnen ist.«

Sie wollte noch etwas sagen, als der Gegenstand ihres Gesprächs hereinkam. Er war ein kleiner Mann, wirkte durch die Größe der anderen im Zelt noch kleiner und schaute sich nervös um.

»Ich komme mir vor wie ein Zwerg«, sagte er. »Mann, das kann einem einen Minderwertigkeitkomplex eintragen.«

Sie lachten alle leise, und er atmete auf in dem Gefühl, das Eis gebrochen zu haben.

»Okay, ich finde, wir sollten im Morgengrauen abrücken«, fuhr er fort. »Die Parmiter sind keine wirkliche Bedrohung. Ärgere Piraten werdet ihr nicht kennenlernen, obwohl sie wie üblich reagieren werden. Ein Heer von unserer Größe werden sie nicht angreifen. Sie sind keine Helden. Wie gewohnt, sichern sie sich gegen alle Seiten ab.«

»Ich entsinne mich«, sagte Mavra trocken. »Einer von den kleinen Halunken hat vor langer Zeit in Glathriel versucht, mich zu entführen oder umzubringen.«

Zigeuner Brazil ging nicht darauf ein.

»Na, dort sind wir vor Luftangriffen ziemlich sicher, weil die Cebu das Risiko nicht eingehen werden, in unsere Laserabwehr zu geraten, die dort funktioniert.«

Asam nickte.

»Der Plan ist mir klar, aber er gefällt mir nicht. Bei einem langsamen Marsch sind wir deutliche Zielscheiben.«

»Das sollen wir auch sein«, rief er ihnen ins Gedächtnis zurück. »Ich vermute, daß Sangh sein Heer dazu benützen wird, die Yaxa-Harbigor-Avenue zu bewachen. Es wird einfach für ihn sein, nach Lamotien hinaufzugehen und mit seiner Streitmacht und den Yaxa uns fernzuhalten.«

»Aber da sind die Truppen, die gerade im Westen gelandet sind«, warf Marquoz ein. »Sie sind schon unterwegs.«

Er nickte.

»Ja, und das ist das Problem. Da kommt der Augenblick, in dem wir es entweder schaffen oder nicht. Sie sollen die Ellerbanta-Verion-Avenue bewachen und blockieren. Wenn sie auf Nummer Sicher gehen und sich dort verschanzen, wird es problematisch für uns. Aber wenn sie beschließen, vorzustoßen, um uns den Garaus zu machen, wenn sie uns in die Zange nehmen, dann haben wir Erfolg. Darauf läuft alles hinaus. Darauf und auf ein bißchen Glück mit Nathan Brazil.«


* * *

Zigeuner Brazil schaffte das wenige an Habe, was er mitführte, zu den Dillianern und erklärte, abgesehen von Marquoz fühlte er sich bei ihnen ein wenig besser und sicherer als vorher bei den Hakazit.

Die meiste Zeit und vor allem auf dem Marsch verhielten sie sich steif und korrekt, wie es ihm als Brazil gebührte. Die Truppen fühlten sich geehrt, ihn dabeizuhaben. Vor allem für die Dillia-Truppen war das eine Art moralischer Aufrüstung, weil sie bis dahin nach der Löschung des Rachedurstes im Kampf mehr oder weniger nur ihre Pflicht getan hatten. Nun hatten sie das Gefühl, daß ihnen etwas Heiliges anvertraut worden war, und sie gedachten ihn nicht im Stich zu lassen.

Aber an den Abenden, wenn sie ihr Lager aufschlugen und zu schlafen versuchten, fand er sich manchmal allein mit Mavra Tschang.

Bei einer solchen Gelegenheit erklärte er:»Sie mögen Nathan Brazil nicht sehr, wie, Mavra? Ich merke das. Jedesmal, wenn Sie den Namen aussprechen, hört er sich an wie ein ganz erbärmliches Fluchwort.«

Sie lächelte schwach.

»Weshalb sollte ich ihn besonders mögen? Was hat er für mich je getan?«

Seine Brauen stiegen hoch.

»So, wie ich es gehört habe, hat er Sie vor einem schlimmeren Schicksal als dem Tod bewahrt, als Ihre Welt in den Kom-Bereich übernommen wurde, und er behielt Sie von da an stets im Auge.«

»Schönes Auge!« schnaubte sie. »Er hat nicht wirklich Zuneigung für mich empfunden. Das war in erster Linie eine Gefälligkeit um alter Zeiten willen für meine Großeltern. Wenn ich ihm wirklich wichtig gewesen wäre, warum hat er mich dann Makki Tschang überlassen?«

Er zog die Schultern hoch.

»Vielleicht wußte er nicht, was er mit Ihnen machen sollte. Er dachte wohl, daß eine Frau, die schon neun Kinder gehabt hatte, alle erwachsen, besser wußte, wie man Sie aufziehen mußte.«

»Und als Makki von der Polizei gefaßt wurde und ich im Schmutz ganz allein als Bettlerin leben mußte, um später zur Hure zu werden — da hat er mir freilich geholfen!«

»Sie haben sich gar nicht so schlecht herausgemacht«, stellte er fest. »Das hat Sie für ihr künftiges Leben auf jeden Fall gehärtet. Sie sind völlig unabhängig geworden, geistig blitzschnell reagierend, gefährlich sogar — aber auf gute Art und Weise.«

»Das habe ich aber nicht eigentlich ihm zu verdanken«, gab sie zurück. »Das war meine eigene Leistung.«

»Was hätte er denn für Sie tun sollen? Er kannte Sie nicht, kannte, glaube ich, nicht einmal Ihre Eltern. Also nimmt er Sie und zieht Sie selbst auf. Und was dann? Sollte er Sie an einen reichen Kerl verheiraten? Mavra, er war Ihnen nichts schuldig. Woran hapert es denn?«

Sie dachte darüber nach. Woran haperte es wirklich? An Brazils Stelle, gebeten, das Kind von Kindern alter Freunde zu übernehmen, hätte sie das natürlich getan. Aber was hätte sie mit dem Kind angefangen? Es selbst aufgezogen? Doch wohl kaum. Das hätte sie behindert, ihre Lebensweise verändert, sie zu sehr beengt. Sie war nicht einmal jetzt richtig dafür geeignet, ein Kind aufzuziehen.

»Ich… ich hasse ihn eigentlich gar nicht«, sagte sie beinahe so, als wolle sie sich entschuldigen. »Ich bin wohl von widerstreitenden Gefühlen erfüllt, was ihn angeht. Ich war ihm einmal sehr zugetan, aber das hat sich im Laufe der Jahre geändert. Ich kann es nicht erklären.«

»Und wenn Sie es sich nicht selbst erklären können, dann kann ich es Ihnen auch nicht klarmachen«, meinte er. »Früher oder später werden Sie schon dahinterkommen, wenn Sie genau in sich hineinsehen. Und wenn Sie es tun, falls Sie es tun, könnten Sie sich überlegen, daß das doch etwas sein könnte, woran er nie gedacht hätte.«

Sie sah ihn seltsam an.

»Möchten Sie mir das erklären?«

Er schüttelte den Kopf.

»Nicht ich. Aber ich glaube, Ihr ganzes Leben ist eine Suche nach etwas gewesen, das Sie nie erkannt haben — und wenn Sie es erkennen, könnten Sie es finden. Bis dahin wollen wir das Thema wechseln. Schon eine Nachricht von Dahir?«

Sie nickte.

»Ja. Sie ziehen sich zurück. Freier Durchzug. Sieht aber nach Anweisungen von oben aus. Sie wollen das nicht, soviel ist klar, so daß es Schwierigkeiten geben könnte, und das macht mich nervös. In Dahir gibt es Zauberei, wissen Sie?«

Er nickte.

»Ist mir durchaus klar. Es ist möglich, daß sie nicht kämpfen, aber wenn Gunit Sangh etwas versucht, dann dort.«

»Wir bewachen Sie ständig und scharf«, versicherte sie ihm. »Und so sehr verwundbar sind wir gar nicht. Gewiß, wir verfügen nicht selbst über Zauberei — selbst wenn wir Leute mit der nötigen Ausbildung hätten, würde ihr Zauber nur in ihren Heimathexagons wirken —, aber wir haben Gegenmittel. Ich glaube nicht, daß man an Sie herankommt.«

»Trotzdem«, gab er langsam zurück. »Trotzdem… ich habe gar kein gutes Gefühl dabei.« Er zog die Schultern hoch. »Aber was kann man verlangen, wenn man von Beruf Zielscheibe ist?«

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