Asam und Mavra Tschang blickten auf ihre Armee. Sie war nach den Maßstäben der Geschichte des Universums nicht riesig, aber für die Sechseck-Welt gewaltig.
»Sechs Wochen«, murmelte Asam vor sich hin, »all das in sechs Wochen.«
Sie hörte ihn, drehte sich um und lächelte.
»Wenn wir mehr Zeit hätten, würden wir noch mehr erreichen«, erwiderte sie. »Die Neuzugänge strömen immer noch herein.«
Es war in der Tat zum größten Teil eine Armee von Neuzugängen, eine Armee, bestehend aus Wesen, die flogen, krochen, glitten, wirbelten und sogar quollen. Ungefähr hundertfünfzig bis zweihundert von etwa achtzig Hexagons — achttausend fremde Wesen. Dazu kamen über tausend Dillianer, die besten von Asam ausgesucht, um die Ehre von Dillia zu rächen, und vielleicht noch einmal tausend einheimische Sechseck-Welt-Bewohner, die von sich aus oder auf Anraten ihrer Regierungen beschlossen hatten, auf dieser Seite am Kampf teilzunehmen.
Eine solche Armee hatte natürlich mit mehreren Problemen zu kämpfen, vor allem, was Kommunikation und Logistik anging. Dadurch, daß man einfach dafür gesorgt hatte, die Kommandeure jeder Rassenkompanie mit Übersetzer-Kristallen auszurüsten, und sie dadurch die Kom-Sprache gebrauchen konnten, war die Kommunikation ein wenig erleichtert worden.
Was die Ernährung der Massen anging, wollte man mitnehmen, was man konnte, und sich im übrigen aus der jeweiligen Umgebung versorgen. Es war keine Armee zur Eroberung, sondern eine marschierende; immerhin veranlaßte ihr Zielbewußtsein sie dazu, dort, wo man hinkam, Eigentumsrechte nicht sonderlich zu beachten. Nahezu die Hälfte der Soldaten waren Pflanzenfresser wie die Dillianer und konnten sich fast überall durchbringen, auch wenn die Kost nicht so gut schmeckte. Was die übrigen betraf, so hatten sie Vorräte dabei, aber diese würden für den langen Marsch niemals reichen oder auch nur frisch bleiben. Die Frage der Lebensmittel beunruhigte Mavra am meisten, besonders, weil einige Arten für andere durchaus eßbar waren.
Ein weiteres Problem bestand darin, daß sie zu viele aus dem Westen erhielten; überflüssige Leute, die sie besser dort gelassen hätten. Viele hatten sich an die Anweisungen einfach nicht gehalten, andere konnten es nicht. Man konnte nicht mehr als eine Milliarde Wesen ausreichend informieren.
Den Vogel schossen die Waffen ab, die zum Teil furchterregender Art waren. Nichttechnologische Hexagons erforderten Armbrust, Schwert, Axt und Pike. Die Dillianer konnten dabei bestehen, während einige von den anderen unterwegs ausgebildet wurden. Zusätzlich zu den Dillianern konnten auch noch andere mit Projektilwaffen umgehen. Es erforderte sehr wenige Kenntnisse, eine Maschinenpistole wirksam zu bedienen.
Es waren die Hochtech-Hexagons, die sie fürchteten. Dillia konnte diese Art von Rüstung nicht liefern, und durch eine Neulingsarmee, nackt auf dieser Welt wiedergeboren, ließ sich arg wenig kaufen oder stehlen. In sechs Wochen war da auch nicht viel zu erreichen.
»Es wundert mich nur, daß so viele von den Sechsecken, die gegen uns gestimmt haben, hier vertreten sind«, erklärte Mavra. »Ich hätte viel mehr Schwierigkeiten erwartet.«
Asam bewegte die Schultern.
»Nicht, daß viele Hexagons ihr Leben wirklich in die Schanze schlagen werden, gleichgültig, wo sie politisch stehen. Es gibt eine ziemlich starke gefühlsmäßige Reaktion, daß alles viel schöner wäre, wenn wir nur fortgehen würden, und genau das versuchen wir. Das wird sich noch verstärken, wenn ein Heer von dieser Größe Grenzen überschreitet. Man kann leicht mit dem Säbel rasseln, wenn der Feind fünftausend und mehr Kilometer entfernt ist.«
Sie nickte hoffnungsvoll, dann sagte sie:»Aber manche werden kämpfen.«
»Manche werden kämpfen«, bestätigte er. »Und die Entscheidungsschlacht, die zu erzwingen sie versuchen werden, wird eine scheußliche sein. Mach dir da nichts vor. Viele von diesen Leuten werden sterben, bevor das alles vorbei ist.«
Das war ein ernüchternder Gedanke, und sie schwieg eine Weile. Schließlich sagte sie:»Es heißt, daß auch eine Tiefsee-Armee aufgebaut wird. Hast du das gewußt?«
»Ich habe damit gerechnet«, gab er zurück. »Zigeuner sagte, wir wären nicht die einzigen — und jedes Hex nimmt gleich viele Neuzugänge auf. Vergiß nicht, Brazil hat viele alte Freunde gerufen, und da war die Besatzung deiner kleinen Welt. Ich nehme an, daß auch die Tiefsee-Streitkräfte nötig sein werden.« Er zog eine große Landkarte heraus und studierte sie.
»Du glaubst also, daß er wirklich übers Meer kommen wird?« fragte sie. »Die Josele-Wahace-Avenue herauf?«
»Erscheint mir logisch«, erwiderte Asam. »Auf jeden Fall kommt da irgend etwas. Dein Computer, der das alles geplant hat, scheint keine Raffinessen zu scheuen.«
Sie nickte.
»Was für eine Kombination! Obie, Brazil und Zigeuner!« Sie schwieg kurze Zeit. »Zigeuner… Ich würde gern mehr über ihn wissen. Wer er ist. Was er ist. Er macht mir Angst, obwohl er auf unserer Seite steht. Er gleicht selbst einem Obie, diese ganze Computerkapazität in einem einzigen Wesen.«
»Aber dein Computer hat das zumeist bei anderen Leuten gemacht«, betonte Asam. »Dieser Zigeuner kann es nur bei sich selbst.«
»Sagt er«, gab sie zurück. »Ich bin nicht sicher, ob ich ihm ganz traue.«
»Dein Computer hat ihm vertraut«, erklärte er.
Sie nickte.
»Aber wenn er ebenso mächtig ist wie Obie, könnte Obie getäuscht worden sein. Er ist allzu passend, zu gut, um wahr zu sein.«
»Wir können nichts dagegen tun«, sagte er gleichmütig. »Wenn die Zeit kommt, werden wir es wissen — und uns dann damit befassen, so gut wir können. Was bleibt uns sonst übrig?«
Sie nickte mürrisch. Bei der ganzen Sache gab es ohnehin schon zu viele anrüchige Dinge. Genug, um Ortega und den Rat zu täuschen? Sie war ihrer Sache nicht sicher. Wer machte eigentlich wem etwas vor?
Die Armee brach auf. Zunächst ging es verhältnismäßig leicht, hinauf durch Gedemondas auf genau erkundeten Wegen, in langen Reihen lagernd, wo es ging, mit Nachtwesen als Lagerposten. In Gedemondas rechnete man natürlich mit Widerstand, und es machte Asam Sorgen, daß sie so weit auseinandergezogen und in kalten, großen Höhen so verwundbar waren. Aber nichts stellte sich ihnen entgegen. Zigeuner hatte recht gehabt; sie würden nicht aufgehalten werden, bis irgendwo, irgendwann Brazil auftauchte.
Mavra hatte gehofft, unterwegs Gedemondaner zu treffen oder in ihre Reihen mit aufzunehmen, aber wie üblich ließen sie sich nicht blicken. Gelegentlich wurde einer weitab entdeckt, oder sie hörten die unheimlichen Rufe der riesigen weißen Wesen von Bergpässen und Felswänden zurückschallen, aber das war alles. Sie war mehr als enttäuscht; sie hatte das Gefühl, den ganzen verdammten Ausflug umsonst gemacht zu haben.
An der Westseite des Gebirges gab es eine Ebene, das einzige flache Gelände im ganzen Hex. Als sie vom hohen Steig aus darauf hinunterblickte, regte sich zum erstenmal ihre Erinnerung.
Diese Ebene, jetzt so leer und friedlich… Sie erinnerte sich an eine ferne Zeit, als ganz andere Armeen sich auf dieser Ebene zu einer grauenhaft blutigen Schlacht begegnet waren.
Unten auf der Ebene waren die Empfindungen noch stärker. Sie waren gerade noch durchgekommen, bevor die großen Armeen aufeinandergestoßen waren, erinnerte sie sich. Und dort drüben, an dieser Hütte waren sie ihrem dillianischen Führer begegnet — nein, nicht an dieser, sondern vielleicht an ihrer Vorgängerin. Und dort, aus dem Norden, waren auf mächtigen, schlagenden Orangeflügeln die Yaxa gekommen…
Sie sprach viel mit Asam darüber, der ihr engster Freund und Vertrauter geworden war. Er war warmherzig, gütig und verständnisvoll — und fasziniert von ihren Erinnerungen an ein großes Ereignis, das er nur aus Geschichtsbüchern kannte.
Alestol im Süden mit seinen fleischfressenden Pflanzen, die giftige und hypnotische Gase abgaben, ließen sie gern links liegen. Die Alestolier hatten sich an der Grenze in Massen aufgebaut, das traf zu, konnten aber an die Armee nicht heran, wenn sie die Grenze nicht überschritt. Obwohl beweglich, waren die Bewohner Pflanzen, sie mußten sich ab und zu in einem Boden verwurzeln, der eine bestimmte Mischung an Mineralen und Schwebstoffgasen enthielt, die für ihr Fortbestehen nötig waren.
Damit war Palim als Brennpunkt intensiver diplomatischer Tätigkeit geblieben. Der Rat hatte ebenso wie Mavras Streitmacht auf die riesenhaften Elefantenwesen eingewirkt. Sie besaßen ein hochmodernes Hochtech-Hex, und jeder der Bewohner wog über eine Tonne.
Aber sie waren sanfte Riesen; sie hatten sich zurückgezogen, als die kämpfenden Heere im Krieg des Sechseck-Welt nähergekommen waren, und hatten einem sicheres Geleit geboten, ohne Partei zu ergreifen. Im gesamten Hex gab es nie mehr als ungefähr zwanzigtausend Palim gleichzeitig, aus denen die gesamte Rasse bestand. Sie sahen keinen Gewinn im Kampf und hatten sich im Rat der Stimme enthalten. Sie hielten sich auch jetzt heraus.
Aber hundertzwanzig von ihnen, alles Neuzugänge, alles ehemalige Olympierinnen, schlossen sich dem Heer an. Sie waren willkommen. Als Pflanzenfresser würden sie die Vorräte nur wenig beanspruchen, aber sie konnten zehnmal soviel tragen wie jeder Dillianer, ohne das überhaupt zu spüren — und schon ihr Anblick war furchterregend.
Danach kam Olborn, das Mavra Tschang immer noch mit Alpträumen heimsuchte. Eine Theokratie, deren Zauberkünste Feinde, Andersdenkende und sogar harmlose Reisende in eselartige Lasttiere verwandeln konnten, hatte das mit ihr auch so gemacht. Viele Jahre lang hatte sie, halb Mensch, halb Esel, leiden müssen. Ihr einziger Trost war der, daß der weit zurückliegende Krieg sie nicht verschont hatte.
Und trotzdem hatten sie sich im Rat der Opposition angeschlossen. Sie mußte sich die Frage stellen, ob ihr Name nach all den Jahrhunderten in Olborn noch immer verflucht wurde.
Und tatsächlich berichteten ihnen an der Grenze ihre fliegenden Späher, daß eine große Streitmacht der Olbornier sie erwarte. Sie brachten sogar Fotografien mit von den aufmarschierten Truppen, großen Katzen, die aufrecht gingen und eine Art Livree trugen, was auf eine wohlorganisierte Armee hinwies.
»Sollte verhältnismäßig einfach sein«, meinte Mavra, als sie die Aufnahmen betrachtete. »Das sieht genauso aus wie damals vor tausend Jahren, als sie gegen die Makiem-Allianz unterlagen. Wir fallen ihnen in die Flanke und vernichten sie.«
Asam schüttelte besorgt den Kopf.
»Nein. Denk nach. Für mich und die meisten auf der Sechseck-Welt mag das weit in der Vergangenheit liegen, aber das war in ihrer Geschichte das bedeutsamste Ereignis, ganz zu schweigen davon, daß es auch das demütigendste gewesen ist. Ich glaube einfach nicht, daß sie so dumm sein und das noch einmal machen werden. Das ist natürlich nur ein Gefühl bei mir — aber hier stinkt etwas zum Himmel.«
»Ich weiß nicht…«, meinte sie zögernd.
»Wir gehen ganz nah an die Grenze heran, aber nicht gleich hinüber«, sagte er entschieden. »Ich will das Gebiet bei Tag und Nacht genauer erkunden lassen. Sie sehen Zielscheiben viel zu ähnlich.«
»Das sind Maschinengewehre, was sie da haben«, erklärte sie.
»Und Geschützstellungen. Mühelos geht das nicht — vor allem in dem Sumpfgebiet da, das über fünfzehnhundert Meter tief ist. Sie haben es gerodet, siehst du? Wir kommen da nach den Bäumen auf fünfzehnhundert Meter offenem Gelände an sie heran, wo es noch dazu sumpfig ist, vielleicht sogar schlammig.«
»Du denkst zuviel an die Vergangenheit«, sagte er. »Ich kenne mich hier ein bißchen aus. Dieser verdammte Krieg war für mich das Interessanteste in den Geschichtsbüchern, Himmel noch mal! Nachdem die Kätzchen von der Trelig-Allianz vernichtet worden waren, gab das ihrer Religion den Rest. Ich meine, wie kann man das auserwählte Volk der Sechseck-Welt sein und so niedergemacht werden? Sie wendeten sich gegen die Priester, es gab ein gewaltiges Massaker und eine echte Revolution. Schließlich übernahmen natürlich neue, starke Führer das Kommando. Man richtete erneut eine harte Herrschaft ein, diesmal mit dem Rest des Militärs und der Aristokratie. Sie wurden niedergetrampelt, weil sie sich mit anderen Leuten, anderen Hexagons nicht einließen. Niemand half ihnen. Jetzt sind sie Pragmatiker geworden, darauf kannst du dich verlassen. Und sie haben auch an ihrer Zauberei gearbeitet. Ich glaube, wir geraten in Schwierigkeiten, wenn wir hier das Erwartete tun. Ich brauche viel mehr Aufklärung — und gleich danach eine Stabsbesprechung.«
»Schon gut, schon gut«, sagte sie. »Wie du meinst.«
Asam betrachtete stirnrunzelnd die Aufnahmen.
»Wie viele Späher haben wir hinausgeschickt?« fragte er sorgenvoll.
»Fünfzehn, glaube ich«, erwiderte jemand. »Natürlich alle Flugbeobachter.«
Er nickte.
»Und wie viele sind zurückgekommen?«
»Na, alle«, erwiderte der Offizier, ebenfalls ein Dillianer. »Ich erinnere mich nicht einmal an eine Meldung, daß jemand beschossen worden wäre.«
»Das dachte ich mir«, murmelte Asam. »Verdammt! Das ergibt überhaupt keinen Sinn. Nicht den geringsten. Fünftausend Kätzchen säuberlich aufgereiht, damit sie leichter anzugreifen sind, und so auffällige Geschützstellungen, daß wir sie mit einem Luftangriff vernichten könnten. Und schießen sie auf uns, mit ihrer großen Feuerkraft? Versuchen sie uns vom Himmel zu holen? Tun sie nicht! Sie sitzen da und lächeln in die Kamera. Da ist etwas faul, sage ich euch. Das stinkt übler als ein Susafrit — bitte um Entschuldigung.«
Eine der Kommandierenden, ein fremdartiges, rundes Wesen mit kurzen, stachelartigen Haaren am ganzen Körper, zuckte nur die Achseln. Sie war daran gewöhnt; für alle außer ihren eigenen Genossen stank ihre Rasse dann wann sie wollte. Das drang aus den Hautporen.
»Also«, fuhr Asam fort, »sehen wir uns das noch einmal an. Was wäre nach Ihrer Meinung das angemessene, übliche Militärmanöver?«
»Unsere fliegenden Leute einsetzen und sie bombardieren«, sagte einer der Befehlshaber. »Wenn sie ihre Stellungen verlassen, auf beiden Seiten je ein—, zweitausend Mann angreifen lassen und die Zangenbewegung schließen, wenn wir mit der Hauptstreitmacht anrücken. Einschließen.« Es klang einfach.
»Und was würden Sie als letztes tun?« drängte er.
»Von vorn angreifen«, sagte jemand anderer. »Selbstmord.«
Er nickte.
»Und trotzdem habe ich genau das vor. Ein begrenzter Luftangriff und den Großteil des Heeres in Reserve halten, als Flankenschutz. Dann schicken wir zuerst unsere größten und am gefährlichsten aussehenden Truppen, von der Art, die dort nicht zum Stillstand gebracht wird. Außerdem möchte ich, daß ein Geschwader von Fliegern — diese Fledermauswesen sind geeignet — vor Morgengrauen jede Menge Felsbrocken und Schrot auf den Sumpf losläßt. Sehr viel — und aus großer Höhe.«
Mavra beobachtete ihn mit wachsender Bewunderung und Faszination. Das war seine erste Schlacht in großem Maßstab, aber er trat auf wie die großen Generäle der Vergangenheit. Knapp, erfahren, überlegt.
»Schrot?« warf jemand ein.
Er nickte.
»Da müssen Minen sein. Die Artillerie soll ihre Geschütze ebenfalls in Reihen auffahren lassen. Ich will einen Feuerschirm, der langsam fortschreitet, bis er das ganze Gebiet erfaßt — bevor unsere Truppen angreifen. Und machen Sie den Leuten klar, daß sie vorrücken müssen, solange sie kein Rückzugssignal hören. Verstanden? Die Reserven folgen der ersten Welle in Abständen, Welle um Welle. Führt sie hinein und laßt die Artillerie so rasch wie möglich nachrücken. Rechnet mit Flankenangriffen. Und wenn ihr bei den Bäumen seid, macht ihr folgendes…«
Mavra hörte seinen genauen Anweisungen verblüfft zu. Nachdem die Offiziere gegangen waren, um ihre Truppen zu unterrichten, sagte sie:»Wenn du dich irrst, kostet das viele ihr Leben.«
»Und wenn ich recht habe, auch«, erwiderte er ernsthaft. »Aber das wird unsere Prüfung sein, wie unsere Disziplin funktioniert, wie unsere Truppen zusammenwirken. Und wenn ich recht habe — und das habe ich —, werde ich das Genie sein, das die Schlacht gewonnen hat.«
Asam hatte recht gehabt, was die Minen anging, aber das Artillerie-Sperrfeuer brauchte er kaum. Die Olbornier verstanden inzwischen natürlich viel mehr vom Krieg, doch sie selbst hatten seit tausend Jahren keine praktische Erfahrung mehr. Nach der Theorie, daß man um so mehr Feinde tötete, je mehr Minen man hatte, hatten sie sie zu Hunderten im Sumpf versenkt. Als das Luftbombardement von Felsbrocken und Schrotkörnern endlich eine Mine traf, brachte sie fast alle anderen gleichzeitig zur Explosion; es sah aus, als flöge die ganze Welt in die Luft. Die Explosionen hallten auf Kilometer in allen Richtungen wider, waren für praktisch alle Seiten ohrenbetäubend und rissen beinahe mehrere geisterhafte Flieger vom Himmel.
Asam, der die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, befahl der Artillerie sofort, auf das Sperrfeuer zu verzichten und es weiter nach vorn zu verlagern. Er war jetzt gewiß, daß man die Minen in dichten Reihen ausgelegt hatte und eine einzige, die getroffen wurde, die ganze Reihe zur Explosion bringen mußte.
So war es.
Mavra, die so etwas noch nie gesehen hatte, blickte unruhig auf die explodierende, blubbernde Masse.
»Du erwartest, daß die Truppen da hineinstürmen?« fragte sie entsetzt.
Er nickte.
»Im Laufschritt und ununterbrochen feuernd.«
Als es hell wurde, gab er das Signal zum Angriff, und gleichzeitig starteten auf beiden Seiten fliegende Nachtwesen, während andere emporflogen und Explosivstoffe, vor allem Brandbomben, in die Bäume warfen.
Die Olbornier, obwohl in Verwirrung durch die Bomben, wußten, daß der Angriff begann, und gingen in ihre Stellungen. Sie hatten eine feste Abwehrlinie aufgebaut — aus der Luft war zu erkennen, daß sie Bastionen aufgeworfen hatten, sternförmige Redouten, die einander in jeder Richtung Deckung geben konnten. Um ein Gebiet zu sichern, mußte man gleichzeitig drei Bastionen einnehmen, während die anderen auf beiden Seiten noch immer von den weiter entfernten heftig beschossen wurden.
Die olbornische Artillerie wartete, bis die vorderste Linie die Mitte der freien Fläche fast erreicht hatte, bevor die auf ihr Ziel eingestellten Geschütze zu feuern begannen. Palim, Dillianer, Slongornier, Dymeks, Susafrits — alle begannen hinzustürzen. Wesen, die krebsartig waren, halfen Wesen von Insektenart; Wesen, die elefantenähnlich waren, schützten Zentaurenartiges. Und jede Welle rückte rasch heran, um an die Stelle der gefallenen Kameraden zu treten.
Asam beobachtete das Schlachtfeld durch einen Feldstecher und nickte anerkennend.
»Richtig. Sie halten zusammen, Ihre Leute.«
»Das sind religiöse Fanatiker«, murmelte sie zynisch. »Sie sterben gern für die große Sache.« Trotzdem konnte sie nicht bestreiten, daß sie im Inneren große Bewunderung für den hier bewiesenen Mut empfand.
Ein einen Meter langes Wesen mit Segmentkörper, Dutzenden von Beinen und sechs Paar durchsichtigen Flügeln kam herangesummt und warf Asam neue Luftaufnahmen vor die Füße. Die am Brustkorb befestigten Kameras versorgten ihn mit Informationen, von denen die Olbornier nur träumen konnten.
»Sie wanken«, sagte er zufrieden. »Bei Gott! Sie treten den Rückzug an!«
Sie lächelte ihn an.
»Das heißt, wir haben sie besiegt.«
Er schüttelte heftig den Kopf.
»Nein. Sie haben jetzt begriffen, daß ich ihr kleines Spiel durchschaut habe, und versuchen uns tiefer hineinzulocken, während sie die Befehle an die Flanken ändern. Ob wir siegen oder nicht, wird davon abhängen, ob da vorne das Befehlssystem so funktioniert, daß man tut, was ich für den Fall befohlen habe, wenn die Bäume erreicht werden.« Er nickte seinem Signalmann zu, der einen Scheinwerfer auf das Schlachtfeld gerichtet hatte.
»Kolonnen bilden«, knurrte er, und die Nachricht wurde abgesandt. »Ausschwärmen und Abwehrfront bilden.«
Dort unten konnten natürlich nicht alle durch eiserne Disziplin zusammengehalten werden. Auch für diese Soldaten war es der erste Kampf, und den Feind zurückweichen zu sehen, war für eine emotionell schon aufgeheizte Armee berauschend. Die Reihen dahinter, die in den Kampf noch nicht eingegriffen hatten, waren jedoch leichter zu führen, wobei Dillianer die Spitze übernahmen, und auf der freien Fläche wurde eine Abwehrfront gebildet, in die sich immer mehr Truppen ergossen, wobei manche vorrückten, die meisten aber nach rechts und links ausscherten.
Und plötzlich brachen aus dem Wald lebende Körper. Olbornier, ja, aber nicht nur Olbornier. Der Boden selbst schien lebendig zu werden unter Hunderten und Aberhunderten von Mäulern, alle vollgefüllt mit endlosen scharfen Zahnreihen.
Wieder wurden die vordersten Linien überrascht und niedergemäht, die hinteren aber bildeten Reserven, die nach beiden Seiten ausbrachen, um ihren angegriffenen Kameraden beizustehen.
Mavra blickte durch ihr Fernglas und schüttelte den Kopf. »Zu weit weg«, sagte sie seufzend. »Was sind das für Wesen?«
»Die von den Bäumen springen, sind natürlich auch Olbornier — und ich glaube, daß ich da oben noch viele Scharfschützen-Nester sehe. Aber sie haben den Wald und die natürliche Farbe ihrer Verbündeten dazu benützt, um die eigentliche Streitmacht zu tarnen.«
»Verbündete?« wiederholte sie verwirrt.
Er nickte.
»Riesenechsen mit den größten Mäulern und Bäuchen, die du je gesehen hast. Sie können tagelang regungslos liegen, aber wenn sie sich bewegen wollen, dann geht das wie der Blitz! Ich habe Zhonzhorpier auf zwei Beinen mit über zwanzig Kilometern in der Stunde laufen sehen — auf allen vieren können sie fast doppelt so schnell sein und hinter dir an einem Baum oder einer glatten Wand hinaufklettern.« Er blickte wieder durch das Glas. »Ha! Siehst du? Sie haben vergessen, daß ein Maschinengewehr kein Todesstrahler ist! Es kann Dauerfeuer abgeben, aber nur niedermähen, was es trifft, und es kann nicht alle treffen!« Er wandte sich an den Signalmann. »Alle Reserven Flankenangriff!«
Fast im selben Augenblick, als der Befehl hinausging, rückten die Reste ihres Heeres, ungefähr tausend Soldaten, aus einer Entfernung von je einem halben Kilometer beiderseits an und schlossen die Kämpfenden ein.
Asam seufzte und stellte sein Fernglas weg. Er wirkte plötzlich sehr alt und müde.
»Wir haben sie«, sagte er seufzend. »Wir haben gesiegt. Es muß noch viel gekämpft werden, aber wir sind die Sieger.«
Mavra sah ihn verwirrt an.
»Ich verstehe das alles immer noch nicht«, sagte sie.
Er griff nach einer Flasche, schraubte den Verschluß ab und trank einen großen Schluck. Es war viel stärker als Bier, aber er schluckte die Flüssigkeit wie Wasser.
Er hustete kurz, wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und ließ die Flasche, die an einer Kette um seinen Bauch befestigt war, fallen. Er seufzte und grinste.
»Verbündete«, sagte er. »Und wen konnten sie bekommen? Nicht Alestol — sie sitzen in ihrem Hex fest. Auch keine Palim. Also blieb Zhonzhorp im Westen. Ein Hochtech-Hex. Da wurden diese hervorragenden Gewehre und Geschütze hergestellt. Die Zhonnies haben auch gegen uns gestimmt — wie die meisten, versteht sich —, und sie möchten außerdem, daß der Kampf auf dem Gebiet von anderen ausgetragen wird. Da bleibt die Landschaft unberührt.«
Die Reserven griffen wieder an und rückten näher zusammen.
»Die Olbornier werden jetzt versuchen, sich zu sammeln und neu anzugreifen, aber das wird ihnen nichts nützen. Siehst du? Einige von unseren Fliegern zeigen es ihnen, gleich hinter den Bäumen. Wenn wir uns vereinigen, wird in unserer Gegend kaum noch ein Feind da sein, und unsere vereinigten Truppen werden die Olbornier zurückdrängen. Damit ist es aus. Nicht mal ein ganzer Tag.«
»Ich verstehe immer noch nicht ganz«, sagte sie beharrlich.
»Warum hast du so angegriffen?«
Er grinste.
»Wenn wir uns in drei Gruppen gespalten hätten, hätten vielleicht zwei- oder höchstens dreitausend Truppen die offene Fläche überquert. Die Kätzchen wären nach der Bombardierung ungefähr bei derselben Zahl gewesen, so daß es gleich auf gleich ausgesehen hätte: zwar ihr Gelände, aber unsere überlegene Kampfführung. Wenn die Flankentruppen unseren vordersten Reihen zu Hilfe gekommen wären, hätten die Zhonzorpier eingegriffen. Wieder wäre die Zahl gleich gewesen, aber sie hätten den Überraschungseffekt für sich gehabt. Ihre drei Gruppen hätten sozusagen Rücken an Rücken gekämpft. Wenn irgendeine sich durchgesetzt hätte, wäre sie dort in den Kampf geworfen worden, wo es für sie mulmig stand. Wir wären auseinandergerissen worden, eine feindliche Truppe zwischen je zwei von unseren. Sie hätten standgehalten.«
Sie stürzte auf ihn zu, umarmte und küßte ihn.
»Oh, Asam! Was hätte ich nur ohne dich gemacht?«
Er blickte auf sie hinunter und lächelte.
»Einen anderen Trottel gefunden«, erwiderte er trocken. Sie wußte nicht recht, ob er einen Witz machte oder nicht.