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Halver Smith betrachtete den Holoschirm, der eine Wand seines Büros einnahm. Er zeigte ein Flugzeug, das in viertausend Metern Höhe dreihundert Meilen südöstlich von Honshu, Japan, über dem Pazifischen Ozean kreiste. Das Bild wurde über einen von Smiths privaten Satellitenkanälen in die Zentrale der Sierra Corporation übertragen. Während das Flugzeug seine Kreise zog, testete der Kameramann seine Ausrüstung, indem er über den unter ihm liegenden Ozean schwenkte.
Das stahlblaue Wasser war mit weißen Schaumkronen gesprenkelt, die ein kalter Nordwind aufgeworfen hatte. Als Smith das Wetter in diesem Gebiet überprüft hatte, hatte er geschaudert und im Stillen dafür gedankt, dass er nicht selbst dort war. Er ließ seinen Blick über den Schirm schweifen, auf der Suche nach einer der winzigen schwarzen Formen, die auf der Meeresoberfläche tanzten. Drei riesige seetüchtige Schleppdampfer waren um einen fünf Kilometer durchmessenden Kreis herum angeordnet, der für jeglichen Oberflächenverkehr gesperrt worden war. Sie warteten auf eine Lieferung.
Als Smith weiter beobachtete, veränderte sich das Bild. Das Stahlblau des Meeres wurde durch das blasse Blau des Himmels ersetzt. Am Bildschirm war abzulesen, dass die Kamera jetzt nach oben und nach Westen zielte. Plötzlich erschien in der Mitte des Schirms ein schwarzer Punkt. Der Punkt vergrößerte sich rasch zu einer Scheibe, und als die Kamera das herabfallende Ziel näher heranholte, wurde daraus ein stumpfer Kegel. Smith wusste, dass der Kegel trotz seiner geringen Größe auf dem Schirm ziemlich groß war – rund zweihundertfünfzig Meter im Durchmesser. Bei seinem Sturz durch die Atmosphäre zog der Kegel einen langen Streifen überhitzter Luft hinter sich her.
Dann gab es einen Moment von Desorientierung, als der Erzcontainer am hochfliegenden Aufnahmeflugzeug vorbeiraste. Einen Augenblick lang blickte Smith auf die Oberseite des Kegels mit ihrem Gewirr innerer Verstrebungen. Dann wechselte das Bild zu einer Kamera an Bord eines der wartenden Schlepper. Die Oberflächenkamera folgte dem Container während der letzten paar Sekunden seines Flugs.
Der Kegel schlug weniger als einen Kilometer von dem wartenden Schiff entfernt auf und schickte eine gewaltige Fontäne von Dampf und Gischt himmelwärts. Wenige Sekunden später wurde das Kameraschiff von einem lauten Donnerschlag erschüttert. Das Geräusch übertrug sich auf den Lautsprecher in Halver Smiths Büro. Der Donner wurde von einer meterhohen Welle gefolgt, die vom Aufschlagpunkt aus davonjagte. Etliche Sekunden lang war nichts zu sehen außer der hektisch brodelnden See. Dann hob sich allmählich aus der Tiefe eine rostfarbene Masse ins Bild. Das Wasser darum herum brodelte heftig weiter, während der Erzcontainer friedlich auf der Meeresoberfläche tanzte.
Das Bild kippte plötzlich, als der Schlepper den Kurs änderte und direkt auf die Aufschlagstelle zuhielt. Halver Smith wartete den Rest nicht mehr ab. Es würde noch Stunden dauern, bis die Schlepper die Millionen Tonnen schwere Masse vertäut hatten, und eine weitere Woche oder mehr, bis die rostige Konstruktion bei der Schmelzhütte von Kyushu an Land gezogen werden konnte. Jedenfalls hatte Smith mit beiden Vorgängen nichts mehr zu tun. Die Sierra Corporation hatte ihre Verpflichtungen gegenüber Nippon Steel in dem Moment erfüllt, als der Erzcontainer an die Oberfläche gestiegen war. Von da an bereitete er ausschließlich der japanischen Gesellschaft Kopfschmerzen. Das war nur gerecht. Smith hatte eigene Sorgen.
Es gab Leute, die Halver Smith zu den reichsten Männern der Erde zählten. Bis zu einem gewissen Punkt hatten sie Recht. Das Problem dabei war, dass sie nicht weit genug dachten. Sie sahen seine Bauten, die sich über San Francisco erhoben, und seinen Besitz in Mexico, im Südpazifik, dem Vereinigten Europa und Australasien, und sie hielten ihn für reich. Sie nahmen seine achtundzwanzigprozentige Beteiligung an der Sierra Corporation zur Kenntnis oder seine von Schuldverschreibungen überfließenden Portefeuilles, seine Gemälde und Skulpturen, und sie beneideten ihn. Sie vermerkten seine luxuriösen Wagen und Flugzeuge, seine Privatyacht, die Sierra Seas, und sie erklärten ihn zum Megamagnaten – zu einem dieser begüterten Individuen, deren Lebenswandel von den weniger seriösen Massenmedien in den Schmutz gezogen wird. Was sie nicht sahen, das war die Tatsache, dass großer Reichtum große Verantwortung mit sich brachte, und dass ein Vermögen, das auf dem Papier steht, nicht immer bedeutet, auch liquide zu sein.
Halver Smith hatte etwas von einem Spieler an sich. Gleich nach dem College hatte er 100.000 geliehene Dollar auf einen unerprobten Prozess zur Extraktion von Samarium, Yttrium und Praseodym aus Spurenerzen gesetzt. Er hatte auf ganzer Linie gewonnen. Später hatte er alles darauf gesetzt, dass er einen Asteroiden würde einfangen können. Dieses Spiel würde sich in der Zukunft ordentlich auszahlen. Die Wasserung, die er gerade eben beobachtet hatte, war der Beweis dafür. Für den Moment jedoch hatte ihn das Projekt tief in Schulden gestürzt. Seine Zahlungsverpflichtungen belasteten die Sierra Corporation bis zur Grenze des Erträglichen. Halver Smith balancierte auf einem Drahtseil. Ein Fehltritt, und sein hart erarbeitetes Imperium würde um ihn herum zusammenbrechen.
Im Gegensatz zu den meisten anderen seiner Klasse musste Smith tatsächlich arbeiten, um zu leben. Des Morgens war er oft als Erster an seinem Schreibtisch, und am Abend war er der Letzte, der nach Hause ging. Er war immer schon eine Art von Workaholic gewesen, und nach dem Tod seiner Frau bei einem Bootsunfall vor fünf Jahren war es damit noch schlimmer geworden. Er erlaubte sich niemals zu vergessen, dass es Menschen gab, die auf ihn zählten.
Nun, da er eine weitere erfolgreiche Wasserung beobachtet hatte, wandte er sich wieder seinen Tagespflichten zu. Vor seiner Nachmittagsverabredung blieb ihm wenig mehr als eine halbe Stunde. In dieser Zeit würde er sich gut des Papierstapels vor ihm entledigen können.
Der erste Bericht trug die Überschrift ›Nachahmung ist die aufrichtigste Form des Schmeichelns‹. Mit dem Erscheinen des Felsens im fernen Erdorbit vor fünf Jahren hatte die Sierra Corporation einen Großteil des Marktes für Raffiniermetall für sich mit Beschlag belegt. Trotz horrender Investitionskosten konnte Smith den Hütten eine Tonne Eisen immer noch billiger liefern als die meisten Oberflächenminen. Wo seine Konkurrenten gezwungen waren, für jede Tonne Eisen hundert Tonnen Erz zu verarbeiten, lag das Verhältnis für Smith näher bei zwei zu eins. Selbst seine ›Schlacke‹ war wertvoll, enthielt sie doch Nickel, Iridium, Gold, Silber und eine Reihe weiterer kostbarer Metalle.
Das große Geld hatte nicht lange gebraucht, um zu begreifen, dass andere das, was die Sierra Corporation tat, kopieren konnten. Schon während der Überführung des Felsens waren mehrere Versuche unternommen worden, Asteroiden einzufangen. Doch allein System Resources, Südamerika, hatte bereits das Stadium der Orbitalverlagerung erreicht.
Ihr Asteroid hieß Avalon. Ursprünglich hatte er die Sonne nicht weit hinter der Venus umkreist, und er gehörte zu der Alten-Klasse kleinerer Planeten – so genannt, weil Alten der erste bekannte Asteroid gewesen war, dessen Umlaufbahn sich gänzlich innerhalb der Erde befand. Avalon war einer der Asteroiden, die Halver Smith in seiner Doktorarbeit in Betracht gezogen hatte. Er hatte wegen seiner Größe auf ihn verzichtet. Avalon maß neun mal zehn mal zwölf Kilometer und war unsymmetrisch wie eine Kartoffel geformt. Er besaß die vielfache Masse des Felsens und war entsprechend schwieriger zu bewegen.
Smith hatte die Fortschritte des Avalon-Projekts mit erheblichem Interesse verfolgt. System Resources hatte den Asteroiden während der letzten vier Jahre in eine weitere Umlaufbahn bugsiert. Gegenwärtig befand sich Avalon auf halbem Wege zwischen Erde und Venus. Aktuellen Schätzungen zufolge sollte er in fünf Jahren eintreffen.
Der Bericht, den Smith in der Hand hielt, war die monatliche Prognose der Sierra Corporation über die Auswirkungen von Avalon auf den Eisenmarkt. Der Preis für Eisen würde auf der Stelle schätzungsweise um zwanzig Prozent fallen und dann langsam in dem Maße, wie die beiden Projekte ihre volle Produktion aufnahmen, um weitere zehn Prozent heruntergehen. Als Smith die Monatsprognose las, fand er einen Anlass, die Stirn zu runzeln. Die Analytiker wiesen auf kürzlich von Carlos Sandoval, dem Geschäftsführer von System Resources, gemachte Äu ßerungen hin, wonach man mit dem Abbau bereits beginnen würde, während Avalon noch unterwegs war. Die ersten Erzcontainer sollten die Erde innerhalb eines Jahres erreichen.
Trotz seiner Absicht, den Papierkram zu erledigen, brütete Smith immer noch über diesem Problem, als die Anzeige der Uhr auf 16:00 sprang.
»Mr. Thorpe ist da wegen seines 16-Uhr-Termins«, sagte Smiths Sekretärin über die Sprechanlage.
»Schicken Sie ihn rein, Maria! Dann rufen Sie die Kantine an. Lassen Sie ein paar Brötchen, eine Kanne Kaffee und eine Kanne Tee raufbringen. Und wenn sie noch etwas von diesen Eclairs vom Mittagessen übrighaben, sollen sie davon auch noch zwei mitbringen. Es ist ein zu schöner Tag, um zu hungern!« Smith hatte Gewichtsprobleme, die er sporadisch bekämpfte. Seine Angestellten hatten amüsiert festgestellt, dass der fest entschlossene Beweger von Welten keine Willenskraft besaß, wenn es um Schokolade ging.
Halver Smith trat Tom Thorpe an der Tür seines Büros entgegen. Smith hatte Thorpe erst einmal vor einem Jahr über Bildtelefon gesehen. Als Erstes fiel ihm der abgezehrte Ausdruck eines Mannes auf, der dabei ist, sich von einer ernsten Verletzung zu erholen. Sonst hatte sich Thorpe wenig verändert. Die Größe des Bergbauingenieurs von ein Meter fünfundneunzig, sein muskulöser Körper und die kantigen Gesichtszüge gaben ihm das Aussehen eines professionellen Athleten. Smith wusste aus Thorpes Akte, dass er fünfunddreißig war. Er hätte gut und gerne fünf Jahre jünger sein können. Einziges Anzeichen seines Alters und seiner Verantwortung war eine Spur Grau in seinen braunen Locken.
»Hallo, Thomas«, sagte Smith freundschaftlich, während er die Hand ausstreckte. »Schön, Sie wohlauf zu sehen!«
»Danke, Sir. Sie sehen selbst prächtig aus!«
Smith tätschelte seine Hüfte. »Wenn es nur so wäre. Kommen Sie, setzen Sie sich. Was macht das Bein?«
»Ab und zu macht es sich noch mit einem Stechen bemerkbar. Die Ärzte meinen, das sei normal.«
Smith nickte. »Ich hatte einmal den Arm gebrochen. Der Juckreiz und die Schmerzen machten mich beinahe wahnsinnig. Irgendwann jedenfalls war er verheilt. Kommen Sie, nehmen Sie doch Platz!« Als sie beide in Automatiksesseln Platz genommen hatten, fragte Smith: »Wie war es auf Hawaii?«
»Großartig, Sir. Ich habe während der letzten Monate nichts anderes getan, als am Strand zu liegen, zu angeln und Frauen aufzureißen.«
»Irgendwas gefangen?«
»Ja, Sir. Beide Male, die ich draußen war.«
»Und die Frauen?«
»Uh, auch in dieser Beziehung hat es mit dem Angeln gut geklappt.«
»Schön! Wir sehen es gerne, wenn unsere Angestellten glücklich sind.« Smith lehnte sich in seinem Sessel zurück und spürte, wie sich die Polsterung automatisch justierte. Er stützte seine Ellbogen auf und blickte Thorpe durch die übereinandergelegten Finger hindurch an. »Sie haben mich fast zu Tode erschreckt, wissen Sie! Was, zum Teufel, haben Sie dort draußen eigentlich gemacht?«
»Meinen wöchentlichen Rundgang, Sir.«
»Im Bericht, den ich erhalten habe, steht, dass Sie verdammtes Glück hatten, Nina Pavolev bei sich zu haben.«
»Ja, Sir. Ich habe mir schon überlegt, wie ich ihr am besten dafür danken kann.«
»Was sie getan hat, verlangt mindestens nach einem original Pariser Modell.«
»Ja, Sir. Können Sie mir einen guten Laden in der Stadt empfehlen?«
Smith lachte. »Fragen Sie meine Sekretärin. Ich schwöre Ihnen, diese Frau gibt zweihundert Prozent ihres Einkommens für Kleidung aus.«
»Danke, Sir. Das werde ich tun.«
Smiths Stimmung veränderte sich. Er starrte seinen Untergebenen lange an, bevor er weitersprach. »Sie wissen natürlich, dass ich Berichte über Ihren Heilungsprozess bekommen habe.«
»Das war mir nicht bekannt, aber es überrascht mich keineswegs.«
»Die Ärzte stimmen alle darin überein, dass Ihre Genesung gute Fortschritte macht. Ich nehme an, Sie hatten Alpträume.«
Thorpe zögerte, dann nickte er langsam. »Zunächst jede Nacht, später dann nicht mehr so häufig.«
»Macht’s Ihnen was aus, mir davon zu erzählen?«
»Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Ich träume, dass ich unter Wasser bin. Ich mühe mich ab, an die Oberfläche zu kommen, schaffe es aber nie ganz. Wenn ich denke, jetzt ertrinke ich, wache ich auf und schnappe nach Luft. Mein Herz hämmert, und mein ganzer Körper ist von kaltem Schweiß bedeckt.«
Smith nickte. »Verständlich bei einem Mann, der eine explosive Dekompression überlebt hat. Jedenfalls frage ich mich, ob es klug ist, Sie so bald wieder in den alten Trott zurückzuschicken.«
»Sir, ich bin wieder auf dem Damm! Verdammt, die Alpträume rühren nicht von dem Unfall her. Ich habe auf der Erde nicht mehr ruhig schlafen können, seit ich das erste Mal im Weltraum war. Es ist die Schwerkraft, die mir zu schaffen macht!«
»Daran lässt sich etwas ändern. Seit über einem Monat trage ich mich mit Gedanken an ein spezielles Projekt. Ich hätte gern, dass Sie es übernehmen.«
»Sie wollen mich nicht wieder zum Felsen zurückschicken?«
Smith schüttelte den Kopf. »Nicht sofort. Eric Lundgren füllt Ihre Position im Moment ganz gut aus. Er wird sich um alles kümmern, bis Sie wieder fit sind.«
»Aber ich bin schon wieder fit!«
Smith seufzte. »Sie sind ein guter Mann, Tom, und ich weiß Ihren Wunsch, Ihre Arbeit wiederaufzunehmen, zu schätzen. Aber ich kann mich nicht über die Meinung der Ärzte hinwegsetzen. Sie meinen, Sie könnten sich übernehmen, wenn wir die Dinge überstürzen.«
»Sie irren sich, Sir. Ich fühle mich gut.«
»Schön. Das bedeutet, dass es keine Probleme geben wird, wenn ich Sie nach Luna schicke.«
»Auf den Mond, Sir? Warum, um Himmels willen?«
Smith erhob sich aus seinem Sessel, durchquerte den Raum und brachte mehrere Berichte von seinem Schreibtisch zurück. Einer von ihnen war der Bericht über Avalon. »Lesen Sie das! Wenn Sie fertig sind, sprechen wir darüber.«
Während Thorpe den Bericht durchblätterte, traf Smiths Sekretärin mit den Erfrischungen ein. Sie goss Smith eine Tasse Kaffee ein und Thorpe eine Tasse Tee mit Zitrone. Dann stellte sie ein Tablett mit Plätzchen zwischen die beiden Männer.
»Wo sind meine Eclairs?«, fragte Smith.
»Dr. Reynolds hat sie im Aufzug konfisziert. Er sagte, er würde Ihnen diese Woche Ihre Injektionen persönlich verabreichen, wenn er Sie beim Essen von Schokolade erwischen würde. Er meinte, er hätte noch eine stumpfe Nadel in Reserve.«
»Sie können Dr. Reynolds sagen, dass ich ihn dafür drankriegen werde.«
»Jawohl, Sir.«
Smith wandte sich Thorpe zu, der den Bericht hingelegt hatte und zusah, wie die Sekretärin das Zimmer verließ. »Was meinen Sie? Werden sie wirklich mit dem Abbau beginnen, bevor sie Avalon in den Parkorbit gebracht haben?«
»Kein Grund vorhanden, es nicht zu tun. Das Einzige, was uns davon abgehalten hat, war die Notwendigkeit, von den verschiedenen internationalen Kommissionen die Erlaubnis dafür zu bekommen. Trotzdem kamen wir mit den Vorbereitungen ziemlich weit. Avalons Crew hat mehr Zeit, als wir damals hatten, und ihre Papiere sind alle in Ordnung. Warum sollten sie sich nicht einen Teil ihrer Investitionskosten schon frühzeitig wieder zurückholen?«
»Das habe ich mir auch schon gedacht«, sagte Smith. Er reichte Thorpe einen weiteren Bericht. »Was halten Sie hiervon?«
Wieder blätterte Thorpe das Dokument durch. »Es ist eine Bekanntmachung der Astronomischen Vereinigung, einen neuen Kometen betreffend.«
»Kommt Ihnen irgendetwas daran ungewöhnlich vor?«
Thorpe zuckte mit den Achseln. »Nur dass er nahe an Jupiter vorbeifliegen wird. Sonst scheint es sich um ein ziemlich gewöhnliches Stück Himmelsschrott zu handeln.«
»Werfen Sie einen Blick auf die letzte Seite. Dort steht eine Näherungsberechnung des neuen Orbits.«
Thorpe wandte sich der genannten Seite zu und studierte die Zahlentabellen. »Ich verstehe, warum die Astronomen in Aufregung sind. Dieses Ding hat die Oort-Wolke zum letzten Mal gesehen. Von jetzt an wird es zwischen Venus und Saturn kreisen.«
»Ich überlege, ob nicht gewisse Leute einen derartigen Orbit in kommerzieller Hinsicht interessant finden könnten.«
Thorpe runzelte die Stirn. »Warum? Jeder einzelne Stein im Asteroidengürtel hat relativ zur Erde einen kleineren Geschwindigkeitsgradienten. Kein ernsthafter Planer würde diesen exzentrischen Orbit auch nur eines zweiten Blickes würdigen.«
»Das war auch mein erster Gedanke«, stimmte Smith zu. »Es ist eine haarige Sache, wenn man die physikalischen Parameter in Betracht zieht. Jedenfalls frage ich mich, wie die Medien auf die nahe Begegnung mit Jupiter reagieren werden.«
Thorpe zuckte mit den Achseln. »Sie werden es mächtig aufbauschen, denke ich.«
»Und was ist, wenn irgendein smarter Unternehmer ankündigt, dass er diesen so bekannten Kometen einfangen wird? Wird der durchschnittliche Investor klug genug sein, um zu erkennen, dass es sich dabei um einen Reklametrick handelt?«
»Nicht sehr wahrscheinlich, oder?«
»Die Chancen stehen vielleicht eins zu zehn«, erwiderte Smith. »Genug, um unsererseits aktiv zu werden.«
»Aktiv, Mr. Smith? Warum? Was geht uns das an, solange wir kein so hirnrissiges Unternehmen finanzieren?«
»Es geht uns etwas an, Thomas. Das letzte Mal, als es Gerüchte gab, dass ein Fang geplant sei, fielen unsere Aktien innerhalb von drei Tagen um siebzehn Punkte. Für das nächste Jahr stehen heikle Verhandlungen zur Refinanzierung unserer Schulden an. Jede derartige Bewegung unseres Aktienkurses würde meine Verhandlungsposition ernsthaft schwächen.«
»Wenn irgendjemand einen Fang zu organisieren versucht, bringen wir einfach die Wahrheit an die Öffentlichkeit. Das dürfte sie auf der Stelle stoppen.«
Smith schüttelte den Kopf. »Jede solche Verlautbarung würde nur weitere Aufmerksamkeit auf das Einfangprogramm lenken. Die Investoren würden glauben, wir hätten Angst vor der Konkurrenz. Wir würden die Scharlatane womöglich hoffähig machen und die Börse in helle Aufregung versetzen.«
»Aber wie wehren wir sie dann ab?«, fragte Thorpe verwirrt.
»Wir stoppen den Versuch schon im Ansatz.«
»Wie?«
»Wir erwerben die Nutzungsrechte am Kometen selbst. Wenn wir die Rechte haben, kann kein anderer etwas machen.«
»Verdammt, Mr. Smith, wir können einen zweiten Asteroiden ebenso wenig brauchen wie eine Steuerprüfung! Es gibt dort nicht einmal Metall. Wenn ich mich recht erinnere, bestehen die Kerne der meisten Kometen aus nichts als Dreck.«
»Ich habe nicht gesagt, dass wir unseren Anspruch auch ausüben würden. Ich schlage lediglich vor, dass wir ihn erwerben.«
»Aber die einzige Möglichkeit, Anspruch auf einen Himmelskörper zu erwerben, besteht darin, eine permanente Präsenz einzurichten. Die Ausrüstung einer Expedition zum Kometenkern würde ein Vermögen kosten.«
»Das ist die normale Methode, einen Anspruch geltend zu machen«, stimmte Smith zu. »Aber es ist jedenfalls nicht die einzige Methode. Im Gesetz gibt es eine bestimmte Klausel.« Smith reichte Thorpe einen Computerausdruck. »Lesen Sie den letzten Abschnitt dieser Bestimmung – den, der mit ›Entdeckungsrechte‹ überschrieben ist.«
Thorpe tat wie geheißen. Sein Stirnrunzeln verwandelte sich allmählich in einen Ausdruck des Verstehens. »Es heißt hier, dass alle Rechte an dem entdeckten Objekt für die Dauer von zehn Jahren nach der ersten Meldung an die Astronomische Vereinigung dem/der betreffenden Individuum/ Organisation zufallen. Danach tritt die Bestimmung bezüglich der ›permanenten Präsenz‹ in Kraft.«
»Sie sehen also, Thomas, dass es nicht nötig sein wird, den Kometenkern zu besetzen, um einen Anspruch darauf zu erwerben. Wir müssen lediglich den Entdeckern die Nutzungsrechte abkaufen. In diesem Fall ist das das Farside Observatorium auf Luna.«
Thorpe blickte auf den Computerausdruck des alten Gesetzestextes hinunter. »Es steht da ›Individuum/Organisation‹. Heißt das nicht, dass die Rechte diesem A. Hastings gehören?«
»Ich wünschte, es wäre so«, antwortete Smith. »Es würde billiger kommen, mit einer Einzelperson zu verhandeln als mit einem Observatorium. Die Rechtsabteilung hat jedenfalls darauf hingewiesen, dass der Astronom für das Observatorium arbeitet – dass er dort angestellt ist, genauer gesagt – und dass er sich zur Zeit der Entdeckung der Ausrüstung des Observatoriums bedient hat. Beide Gründe sprechen sehr dafür, dass das Observatorium der rechtmä- ßige Entdecker ist. Ich möchte, dass Sie nach Luna weiterreisen und über eine Option an diesen Rechten verhandeln.«
»Wäre es nicht besser, jemanden aus der Rechtsabteilung zu schicken?«
»Die könnten wohl einen Vertrag aushandeln«, stimmte Smith zu. »Aber denken Sie an unser Ziel. Wenn wir unsere Aktien schützen wollen, darf keiner einen Trick dahinter vermuten. Wenn ich wirklich interessiert wäre, würde ich einen meiner besten Technologieexperten schicken. Aus diesem Grund muss ich jetzt eben diese Person losschicken. Ihre Gegenwart auf dem Mond wird diese ganze Angelegenheit glaubhaft machen.«
»Wie viel soll ich bieten?«
»Wir müssen das erst noch berechnen. Sie bekommen eine Summe genannt, ehe Sie aufbrechen. Sie wird groß genug sein, dass niemand unsere Seriosität in Zweifel zieht – hoffe ich.«
Amber Hastings saß in ihrem Büro und sah die Daten durch, die sie über den Kometen P/2085(G) gesammelt hatte. Die neue Katalognummer war vergangene Woche von der Abteilung für Klassifizierung und Nomenklatur der Astronomischen Vereinigung zugeteilt worden. Amber kam es immer noch seltsam vor, sich auf den sich nähernden Himmelskörper unter seiner offiziellen Nummer zu beziehen. Vor seiner Registrierung hatte sie ihn einfach ›den Kometen‹ genannt oder einfach nur ›ihn‹. Andere Angestellte waren dazu übergegangen, ihn ›Ambers Unfall‹ oder ›Hastings’ Schrecken‹ zu nennen. Die letztere Bezeichnung war von einem wütenden, mit Fernbeobachtungen beschäftigten Astronomen aufgebracht worden, nachdem Amber vorgeschlagen hatte, das Große Auge aufzuteilen, um ihre Entdeckung zu untersuchen.
Normalerweise war die Registriernummer das Einzige, was einen Kometen von seinen Geschwistern unterschied. Dieser spezielle Komet jedoch war dazu bestimmt, berühmt zu werden. Dem Observatorium lagen bereits Anfragen von Nachrichtenagenturen aus dem ganzen Sonnensystem vor. Es war sogar ein Telegramm vom Herausgeber der Online-Zeitung der Forschungsstation Callisto eingetroffen. Alle hatten um weitere Informationen über den Vorbeiflug an Jupiter und die sich daraus ergebende spätere Umlaufbahn gebeten. Das Interesse der Presse hatte die Astronomische Vereinigung davon überzeugt, dass der Komet es verdiente, einen Namen zu tragen. Deshalb hatte sie, einer alten Tradition folgend, seine Entdecker um einen Vorschlag gebeten.
»Ich soll ihm einen Namen geben?«, hatte Amber Niels Grayson gefragt, als er sie von der Bitte der AV unterrichtet hatte.
»Das ist Ihr Recht als Entdeckerin. Wenn Sie keinen Vorschlag machen, werden sie vermutlich Ihren Namen als Bezeichnung auswählen.«
»Sie meinen, sie würden ihn nach mir benennen?«
»So wird es üblicherweise gemacht, das wissen Sie doch.«
»Das können sie nicht machen!«
»Warum nicht?«
»Darum.«
»Eine gute Antwort«, sagte Grayson kichernd. »Aber wenn Sie nicht mit einem besseren Vorschlag aufwarten, werden sie es tun.«
Die Vorstellung, einen Kometen P/Hastings in den astronomischen Verzeichnissen stehen zu haben, passte Amber nicht. Sie hatte Horrorstories über das Schicksal junger Astronomen gelesen, die bedeutende Entdeckungen gemacht hatten. Es war bei weitem besser, sagte sie sich, wenn sie selbst einen Namen vorschlug und sich eine Zukunft ersparte, die mit dem Neid ihrer Kollegen befrachtet war.
Bald schon fand sie heraus, dass sich die Benennung eines Kometen nicht in einem Vakuum vollzog. Dass die Situation bestens dafür geeignet war, sich Feinde zu machen, fand sie heraus, als Direktor Meinz sie in sein Büro rufen ließ.
»Sie wollten mich sprechen, Sir?«
»Ah, da sind Sie ja, Amber!«, rief Meinz. »Kommen Sie herein und setzen Sie sich. Ich möchte Ihnen zu Ihrer Entdeckung gratulieren.«
»Es war eigentlich mehr die Entdeckung des Computers als meine eigene.«
»Ja, da ist etwas daran, nicht wahr? Haben Sie sich schon Gedanken über seinen zukünftigen Namen gemacht?«
»Eigentlich noch nicht, Sir. Zu aufgeregt, vermute ich.«
»Seien Sie vorsichtig mit Ihrer Wahl«, warnte Meinz. »Schließlich handelt es sich um eine der größten Ehrungen, die unserem Beruf zuteil werden kann. Sie wollen doch bestimmt nicht, dass das Namenskomitee Ihren Vorschlag zurückweist.«
»Könnte das denn passieren, Sir?«
Er nickte. »Falls sie denken sollten, dass Sie frivol wären oder eine ungeeignete Wahl getroffen hätten. Ich würde ihn nicht unbedingt ›Butterblume‹ oder etwas ähnlich Blödsinniges taufen. Nein, das Komitee zu überzeugen, das erfordert einen Namen mit besonderer Bedeutung für die Gesamtheit der Astronomen. Die Tradition beschränkt ihre Wahl auf zwei Kategorien. Sie können ihn nach einer mythologischen Gestalt benennen, obwohl das im Falle eines Kometen selten ist. Oder aber Sie können sich dafür entscheiden, eine Person zu ehren, die bedeutende Leistungen auf diesem Feld vorzuweisen hat. Sie könnten ihn beispielsweise nach jemandem hier in unserem Observatorium benennen.«
»Sie sind der Einzige am Farside-Observatorium, der eine solche Ehre verdienen würde, Sir.«
Der Direktor erstrahlte bei Ambers Vorschlag, den sie keineswegs ernst gemeint hatte. »Komet P/Meinz, wie? Es klingt irgendwie gar nicht so übel. Aber ich will Sie natürlich nicht beeinflussen. Sie sind der offizielle Entdecker. Deshalb obliegt die Namensgebung Ihnen. Denken Sie daran, was ich Ihnen über das Komitee gesagt habe. Und für den Fall, dass Sie einen prominenten Astronomen ehren sollten – sagen wir, beispielsweise mich -, könnte es Ihrer Karriere nur nutzen.«
Nach ihrem Gespräch mit dem Direktor wurde Amber bedeutend vorsichtiger, wenn sie die Angelegenheit mit jemandem besprach. Ihre Zurückhaltung brachte den Strom der Vorschläge nicht zum Erliegen. Am Wochenende hatte sie eine Sammlung von achtundzwanzig Namensvorschlägen.
Ihr gefiel keiner davon.