11
Die Einsatzbesprechung vor dem Start der Expedition zum Kometen Hastings fand in der Zentrale von SierraCorp in San Francisco statt. In einer Stadt, wo Grundbesitz seit zwei Jahrhunderten überbewertet wurde, war Halver Smiths Lösung des Problems des Lebensraums einzigartig. Das große Erdbeben von 2016 hatte die Behörden gezwungen, das alte Bundesgefängnis auf der Insel Alcatraz niederzurei ßen. Ein halbes Jahrhundert lag der Schutt dort ungestört, abgesehen von den Ziegen, die das zähe Gras der Insel abweideten. Smith hatte die Insel während einer der periodischen Finanzkrisen der Stadt in den frühen Siebzigern auf einer Auktion gekauft und dann dort den Hauptsitz seiner Gesellschaft errichtet.
Der Hauptsitz der Sierra Corporation wurde von einem hohen nadelförmigen Turm dominiert, der sich einen halben Kilometer über die San Francisco Bay erhob. Während der in dieser Gegend häufigen Nebelperioden konnte man ihn aus der dicken weißen Decke herausragen sehen. Vier große Kuppeln, jede das Verwaltungszentrum eines anderen Zweigs von SierraCorp, umgaben den zentralen Turm. Die Insel, von der ein großer Teil in einen Park umgewandelt worden war, war mit dem Festland durch einen Unterwassertunnel verbunden.
Amber Hastings behielt die kristallenen Gebäude scharf im Auge, als sich Smiths Privathubschrauber auf eine Landeplattform an der Spitze des Mittelturms herabsenkte. Noch ehe der Rotor zur Ruhe gekommen war, hatte Smith die Luke aufgedrückt und war hinausgesprungen. Amber nahm ihre Dokumententasche und folgte ihm. Der scharfe, kalte Wind traf sie unvorbereitet. Sie versteifte sich vor Schreck, als tausend Nadelstiche über ihren Körper herfielen, und fühlte einen Moment von Panik, als sich alles um sie herum drehte. Das Nächste, was sie wusste, war, dass Smith sie mit festem Griff festhielt und sie zu einem Treppenschacht führte.
»War es schlimm?«, überschrie er das Heulen des Windes, als sie sich im Schutz der Treppe befanden.
Sie blinzelte ihn an, während sie ihr jagendes Herz zu beruhigen versuchte. »Tut mir leid. Einen Moment lang dachte ich, ich wäre in einen Aufzugschacht gefallen. Ich glaube, ich hatte einen Schwindelanfall.«
Smith glättete ihr zerzaustes Haar. »Meine Schuld. Ich habe nicht daran gedacht, Sie zu warnen. Es weht hier oben mit höchstens dreißig oder vierzig Stundenkilometern. Ich nenne das für die Verhältnisse von Frisco ein sanftes Lüftchen.«
»Einer der Gründe, warum ich zur Erde gekommen bin«, sagte sie mit einem unsicheren Lachen, »war, dass ich das Wetter erleben wollte. Ich glaube, das war es!«
»In sehr milder Form, das versichere ich Ihnen. Folgen Sie mir, damit wir nach drinnen kommen.«
Er wandte sich um und geleitete sie durch zwei hintereinanderliegende Türen, deren Anordnung Amber an eine Luftschleuse erinnerte. Dahinter lag eine glasverkleidete Aussichtsplattform, die den Turm umgab.
»Kommen Sie, und ich zeige Ihnen etwas, das Sie beim Anflug nicht gesehen haben!«
Amber folgte Smith um das Treppenhaus in der Mitte herum auf die andere Seite der Plattform. Beim Gehen fiel ihr auf, dass das ganze Gebäude von der Gewalt des Windes vibrierte. Sie fragte sich daraufhin, wie stabil es eigentlich gebaut war. Fragen wie diese waren augenblicklich vergessen, sobald sich vor ihr die Aussicht auf die Golden Gate Bridge in fünf Kilometern Entfernung öffnete.
»Das ist wunderbar!«, sagte sie leise mit vor Bewunderung gesenkter Stimme. »Es sieht genauso aus wie die Panoramawand in der Goldgräber-Grillbar in Luna City.«
»Das ist keine Panoramawand«, antwortete Smith. »Das ist die wirkliche Brücke.«
»Damals wusste man, wie man für die Ewigkeit baut, nicht wahr?«
»Das wusste man, auch wenn die Brücke andauernd ausgebessert werden muss. Ein halbes Dutzend Roboter ist ständig damit beschäftigt, die Eisenteile vor Korrosion zu bewahren. Wenn man die Pflege bedenkt, die sie bekommt, dann sollte sie noch Jahrhunderte stehen. Das heißt, es sei denn, jemand reißt sie vorher ab.«
»Oh, das würde man doch nicht tun!«
»Es hat Vorschläge gegeben, gerade das zu tun. So groß sie auch ist, die Brücke ist zu klein, als dass die größeren Schiffe unter ihr durchfahren könnten. Die Reedereien haben vorgeschlagen, sie durch einen Tunnel zu ersetzen.«
»Das wäre eine Tragödie!«, rief Amber impulsiv. Wie die meisten Lunarier, kannte sie die Erde nur von einer Reihe von Ansichten, die auf Panoramawänden dargestellt waren. Diese alte Brücke war eins ihrer Lieblingsbilder und stellte ihrer Meinung nach ein Bauwerk dar, das ebenso dauerhaft war wie die Pyramiden.
Halver Smith bemerkte den plötzlichen Ausdruck von Sorge auf ihrem Gesicht und lächelte. »Keine Angst, keiner wird sie anrühren, solange ich ein Wörtchen mitzureden habe. Aber wir sollten uns jetzt zu unserer Versammlung auf den Weg machen. Wär nicht gut, wenn der Boss zu seiner eigenen Besprechung zu spät käme.«
Smith führte sie zu dem Lift in der Mitte der Aussichtsplattform. Dreißig Sekunden später befand sie sich in der großen Rundhalle im Erdgeschoss. Der künstliche Hohlraum war mit poliertem Marmor ausgekleidet und wurde von dem Licht erhellt, das durch halb durchsichtige Fenster herabfiel. Kaum dass sie aus dem Lift getreten war, hörte sie jemanden ihren Namen rufen. Die Stimme kam ihr bekannt vor.
Sie drehte sich um und sah Tom Thorpe mit energischen Schritten die Rotunde durchqueren. Er trug einen großen Strauß roter Blumen im Arm. Mit einem Mal hatte Amber alles vergessen, was sie ihm hatte sagen wollen. Sie standen sich lange Sekunden in verlegenem Schweigen gegenüber.
»Hallo, Thomas«, sagte sie endlich.
»Hallo, du.«
»Sind die für mich?«
Er grinste und überreichte ihr die Blumen. »Sorry, beinahe hätte ich sie vergessen.«
Sie vergrub ihre Nase in den Blüten. »Hm, Rosen! Meine Lieblingsblumen.«
»Es ist schön, dich wiederzusehen.«
»Dich auch.«
»Wie wär’s, wenn wir nach der Besprechung zusammen zu Mittag essen, um uns gegenseitig auf den neuesten Stand zu bringen?«
»In Ordnung.«
Erst in diesem Moment schien Thorpe Halver Smith zu bemerken. »Äh, sie sind schon alle im Konferenzraum, Halver. Wir können loslegen.«
»Gut! Dann wollen wir mal. Wir haben noch einiges vor.« Ohne zurückzublicken, ging Smith auf eine der Doppeltüren zu, die die Peripherie der Rotunde durchbrachen.
Der Konferenzraum war kreisförmig, ebenso wie der doppelte Kreis kleiner Tische in seiner Mitte. Vor jedem Tisch standen zwei Stühle, und die Plätze waren mit farbig gekennzeichneten Namenskärtchen markiert – blau für die Expeditionsteilnehmer, weiß für die anderen. Thorpe führte Amber zu dem Sitz neben seinem. Nach einem Blick auf das blaue Schildchen mit ihrem Namen darauf gab Amber einen Kommentar über die Weitsicht desjenigen ab, der die Sitzordnung festgelegt hatte. Thorpe grinste bloß. Sie setzte sich und legte die Rosen vorsichtig vor sich ab.
Smith setzte sich ebenfalls. Bis er mehrere Notizzettel aus seiner Tasche hervorgezogen hatte, war das plötzliche Stühlescharren vorüber, und jeder saß an seinem Platz.
»Guten Morgen, meine Damen und Herren«, begann Smith mit lauter, klarer Stimme. »Wie die meisten von Ihnen bereits wissen, ich bin Halver Smith, Ihr Gastgeber. Sollte ich noch nicht die Gelegenheit dazu gehabt haben, dann möchte ich Sie jetzt in San Francisco und im Hauptsitz der Sierra Corporation willkommen heißen. Ein paar praktische Anmerkungen vorneweg: Für diese Besprechung ist eine ganze Woche angesetzt. Unser Ziel ist es, alle anstehenden Fragen hinsichtlich dieser Expedition zu klären, also zögern Sie nicht, sich zu melden, wenn Ihnen irgendetwas auf dem Herzen liegt. Erholungsräume befinden sich hinter dieser Tür rechts. Mir wurde außerdem gesagt, dass das Küchenpersonal in wenigen Minuten mit Kaffee, Tee, Brötchen und Obst eintreffen wird. Dies ist als Arbeitssitzung gedacht, deshalb zögern Sie nicht, aufzustehen und herumzulaufen, wenn Ihnen danach ist.«
Smith blickte wieder auf seine Notizen und fuhr fort: »Jetzt also ein paar Vorstellungen, ehe ich denjenigen das Wort überlasse, die die eigentliche Arbeit tun. Da ist zunächst einmal die Frau, die dies alles ermöglicht hat, Amber Elizabeth Hastings vom Farside-Observatorium, Luna. Amber, bitte erheben Sie sich und nehmen Sie unsere Reverenzen entgegen!«
Amber erhob sich in der applaudierenden Runde. Sie lächelte selbstbewusst, bedankte sich für den freundlichen Empfang, dann setzte sie sich rasch. Smith stellte als Nächsten Roland Jennings vor, den Generalkonsul der Republik Luna. Der Konsul hielt eine kurze Ansprache, in der er den Geist der Zusammenarbeit zwischen der Republik und SierraCorp betonte. Jennings stellte anschließend John Malvan vor, den Repräsentanten Lunas auf der Expedition. Der Revisor machte sich nicht die Mühe, aufzustehen. Er bedankte sich für die Vorstellung mit einer beiläufigen Handbewegung.
Als der Konsul geendet hatte, stellte Smith Tom Thorpe vor, Karin Olafson, den Kapitän der Admiral Farragut, sowie mehrere der Wissenschaftler, die an der Expedition teilnehmen würden. Der Chefwissenschaftler sollte Professor Chen Ling Tsu von der Universität Hongkong sein, ein Experte auf dem Gebiet der Asteroidenentstehung und ihrer Struktur. Sein Stellvertreter und Ambers neuer Vorgesetzter war Cragston Barnard von der Universität von Luna City. Barnards Gattin Cybil würde in der Funktion des Schiffsarztes ebenfalls dabei sein. Während Smith mit den Vorstellungen fortfuhr, wurde klar, dass die Expedition zwischen Angestellten der Sierra Corporation und Lunariern gerecht aufgeteilt werden würde. Smith beendete die Vorstellung mit den Worten: »Wir beginnen jetzt mit der offiziellen Besprechung. Ich erteile Thomas Thorpe das Wort!«
Thorpe erhob sich neben Amber. »Wir sind im Begriff, uns für einen heroischen Flug einzuschiffen, meine Damen und Herren«, begann er. »Das Unternehmen wird drei Jahre lang dauern. Unser erster Aufenthalt wird die Forschungsstation Callisto sein, wo wir die Passage des Kometen durch das Jupitersystem erwarten werden. Das wird unser letzter Kontakt mit der Zivilisation sein. Sollte nach Callisto etwas schiefgehen, wird uns keiner helfen. Vor welchen Problemen wir auch immer stehen werden, wir werden allein damit zurechtkommen müssen.
Wie Sie zweifellos bemerkt haben, besteht die Expedition zu gleichen Teilen aus Terrestriern und Lunariern. In dieser Verschiedenheit liegt unsere größte Stärke. Wir können es nicht zulassen, dass sich diese Stärke durch interplanetarische Zwistigkeiten, Parteilichkeit oder unterschwellig betriebene Erde/Mond-Konfrontationspolitik in Schwäche verwandelt. Ich bitte deshalb jeden von Ihnen darum, gleich welche Loyalitäten Sie zu dieser Expedition mitbringen, diese auf Zeit auszusetzen. Für die nächsten drei Jahre müssen Sie sich als Bürger des Weltraums und der Admiral Farragut betrachten. Damit meine ich nicht, dass Bürger Malvan nicht seinen Vorgesetzten auf Luna berichten dürfte, oder ich den meinigen auf der Erde. Was ich meine, ist, dass Sie die Belange der Expedition an erste Stelle setzen müssen. Fühlt sich jemand der Anwesenden außerstande, diese Regeln zu befolgen?«
Als sich niemand meldete, nickte Thorpe. »Sehr schön. Wir werden Ihnen im Anschluss an diese Sitzung eine allgemeine Satzung zur Unterschrift vorlegen. Aber ich fürchte, ich habe schon zu lange geredet. Wenn also keiner von Ihnen Einwände hat, dann möchte ich jetzt Miss Hastings bitten, uns über die neuesten Erkenntnisse hinsichtlich des Kometen zu unterrichten. Amber?«
»Projektor, bitte«, sagte Amber. Es gab ein kurzes surrendes Geräusch, als ein großer transparenter Kubus aus der Decke zum Vorschein kam. »Das erste Bild, bitte.«
Der Würfel füllte sich mit der Wiedergabe einer Ansammlung von Sternen und einer Aufnahme des Kometen Hastings, die das Große Auge zwei Wochen zuvor aufgenommen hatte. Die Koma des Kometen war noch immer lediglich als schwacher Lichtfleck zu sehen.
»Die Basisdaten des Kometen sind Ihnen allen vertraut«, sagte Amber mit einem Blick über die Tische. »Der Kern ist nahezu rund, mit einem Durchmesser von fünfhundert Kilometern und einer Masse von etwa sechzig Billiarden Tonnen. Messungen der Geschwindigkeit, mit der sich die Koma aufbaut, deuten darauf hin, dass die Temperatur des Kerns um die zehn Kelvin beträgt. Das ist sehr kalt für ein Objekt in einer Entfernung von einer Milliarde Kilometern von der Sonne.«
»Irgendwelche neuen Daten über die Zusammensetzung des Kometen?«, fragte Professor Chen von seinem Sessel ein halbes Dutzend Plätze rechts von Amber aus.
Sie wandte sich ihm zu. »Wir sehen noch immer die Spektrallinien von Wasser, Ammoniak, Zyan und ein paar anderen Verunreinigungen in der Koma des Kometen. Natürlich können wir die Messungen der Koma nicht dazu benutzen, den Prozentanteil des Gesteinsmaterials an der Mischung zu bestimmen. Sollte der Vergleich mit anderen Kometen gerechtfertigt sein, dann müsste etwas vorhanden sein.«
»Irgendwelche Hinweise auf freien Sauerstoff, Stickstoff oder Helium?«
»Wir haben einen größeren Gehalt an Wasserstoff und Sauerstoff in der Koma festgestellt, als aus der Photodissoziation der Wassermoleküle resultiert, außerdem sind Spuren von Stickstoff vorhanden. Wir haben jedoch keinerlei Helium gemessen. Das ist kaum eine Überraschung, denn falls es irgendwelche Lachen davon gab, wären sie während früherer Passagen durchs innere Sonnensystem verdampft.« Amber wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem ganzen Publikum zu. »Ich fürchte, die meisten Details der Zusammensetzung des Kometen werden so lange ein Rätsel bleiben, bis wir wirklich dort angekommen sind.«
Amber ließ ihr zweites Hologramm projizieren. Der Projektor zeigte nun ein dreidimensionales Diagramm der voraussichtlichen Flugbahn des Kometen. Der Orbit bestand aus einer einzelnen weißen Linie, die zum Jupiter hinführte, und einem fächerförmigen Regenbogen von Farben, der von ihm wegführte.
»Wir haben den Kometen während der letzten sechs Monate sehr genau beobachtet und verfügen über eine gute Projektion seiner gegenwärtigen Bahn. Aus dem fernen Raum kommend, wird er die Umlaufbahn des Jupiter in zweihundert Tagen schneiden. Der Abstand zum Jupiter wird zum Zeitpunkt größter Annäherung ungefähr zwei Millionen Kilometer betragen. Die Anziehungskraft des Jupiter wird den Kometen um angenähert zwanzig Grad ablenken. Die verschiedenfarbigen Linien stellen die mögliche Spannweite des resultierenden Orbits dar.«
»Diese Orbits fächern sich über vier Grad auf, Miss Hastings«, sagte Chen Ling Tsu. »Sie können sie doch bestimmt noch genauer bestimmen!«
»Ich wünschte, wir könnten es, Professor Chen. Unglücklicherweise sind mit der Beobachtung eines Objekts in solcher Entfernung bestimmte Einschränkungen verbunden. Um die Daten zu verbessern, wäre eine mehrwöchige Beobachtung des Kometen aus kurzer Distanz erforderlich.«
Amber war weitere zwanzig Minuten mit der Beantwortung von Fragen beschäftigt, die den Mechanismus gravitationeller Ablenkung betrafen. Als einer der technischen Experten SierraCorps fragte, wie die Admiral Farragut auf dem Kern landen sollte, lächelte sie. »Das ist Kapitän Olafsons Job. Sie wird die Versammlung jetzt für mich weiter leiten.«
»Wie war ich heute Morgen?«, fragte Amber am Nachmittag, als sie und Thorpe sich ein spätes Mittagessen schmecken ließen.
»Du warst gut«, versicherte er ihr.
Die Sitzung des ersten Tages hatte früh geendet, damit die Teilnehmer Gelegenheit hatten, sich auf die Sitzung des zweiten Tages vorzubereiten, den ersten von vier zermürbenden Tagen, die einer detaillierten Diskussion aller möglichen Aspekte des Einsatzplans gewidmet waren. Thorpe nutzte die Atempause, um Amber die Hafengegend von San Francisco zu zeigen. Es war schon fast fünfzehn Uhr, als sie an Bord eines nachgebauten Heckraddampfers aus dem neunzehnten Jahrhundert gingen, wo sie zu Abend essen wollten. Das nadelförmige Hauptgebäude der Sierra Corporation und die Golden Gate Bridge waren durch die Restaurantfenster deutlich zu sehen.
»Ich hoffe, dass ich nicht zu technisch war.«
Thorpe lachte. »Sogar unser Generalkonsul hat begriffen, wovon du geredet hast. Ich kenne diesen Mann. Glaub mir, Himmelsmechanik ist definitiv nicht sein Spezialgebiet.«
»Wer war der kleine Mann, mit dem du in der Pause gesprochen hast?«
»Das war Nathan Monet, Rechnungsprüfer von SierraCorp.«
»Macht er immer so ein finsteres Gesicht?«
»Das macht er, wenn es nicht nach seinem Willen geht. Monet und ich haben eine Meinungsverschiedenheit hinsichtlich des reibstoffvorrats der Admiral Farragut. Er will nur das absolute Minimum für die Durchführung der Mission bewilligen. Ich bestehe auf ausreichenden Reserven, um für unerwartete Entwicklungen gewappnet zu sein. Ich dachte schon, ich hätte ihn zu meiner Sicht der Dinge bekehrt, aber der verdammte Erbsenzähler ist ebenso dickköpfig wie kurzsichtig. Mr. Smith hat ihn schließlich angewiesen, mir das zu geben, was ich haben will. Deshalb hat er so finster geguckt.«
Sie unterhielten sich eine Weile über Nebensächlichkeiten; schließlich räusperte sich Amber. »Warum hast du mich heute Abend zum Essen eingeladen, Tom?«
»Seit wann braucht ein Mann einen Grund, wenn er eine gutaussehende Frau zum Essen einlädt?«
»Du weichst mir aus!«
»Also gut«, sagte er. »Ich wollte mit dir ausgehen, damit wir darüber sprechen können, was auf Luna passiert ist.«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ein Mann und eine Frau haben zu viel getrunken und die Nacht damit verbracht, sich miteinander zu vergnügen. So was passiert immer wieder.«
»Das ist alles, was es dir bedeutet hat? Reine Gymnastik?«
Sie lächelte humorlos. »Ist das nicht das Sprüchlein, das du von mir erwartet hast?«
»Das war eine ernsthafte Frage. Ich möchte darauf eine ernsthafte Antwort haben.«
»Die Wahrheit?«, fragte sie. »Es fällt mir schwer, mich an meine Gefühle in dieser Nacht zu erinnern. Es ist, als wäre das einer anderen Person passiert. Ich erinnere mich, dass ich schon übermütig war, bevor wir anfingen, die Bars abzuklappern. Später fühlte ich mich … zufrieden. Es kam mir so richtig vor in dem Moment, auch wenn ich wusste, dass unsere Beziehung nur von kurzer Dauer sein würde. Später stellte ich fest, dass ich dich nicht vergessen konnte. Ob bei Tag oder bei Nacht, ich musste in letzter Zeit oft an dich denken, Thomas Thorpe.«
»Mir ging’s genauso. Du glaubst nicht, es könnte Liebe sein?«
»Ich wüsste nicht, wieso«, erwiderte sie. »Wie lange waren wir zusammen? Anderthalb Tage? Man kann sich nicht so schnell verlieben, oder?«
»Ich weiß nicht. Da fehlt mir die Erfahrung.«
»Mir ebenfalls.«
»Wusstest du, dass ich dein Foto in meiner Reisetasche habe?«
»Wirklich?«
Er nickte. »Ich hab’s mir aus einer Faxstory über den Kometen ausgeschnitten. Du kennst sie bestimmt. Sie haben dein Gesicht mit einer Aufnahme des Großen Auges unterlegt.«
Amber wurde rot. Sie kannte den Artikel tatsächlich. Man hatte sie zu einer Mischung aus Albert Einstein und Corbel Van Dyke gemacht, mit einem Schuss Sir Isaac Newton. Man hatte sie deswegen wochenlang gnadenlos aufgezogen.
»Also, was fangen wir jetzt an?«, fragte er.
»Wären wir auf Luna, würde ich vorschlagen, dass du bei mir einziehst, damit wir sehen, ob wir nach einem Monat oder so immer noch das Gleiche fühlen.«
»Die Gebräuche auf der Erde sind nicht viel anders.«
»Schade, dass wir nicht auf der Erde oder auf Luna bleiben.«
»Ich kann dir nicht folgen.«
»Du hast es heute Morgen selbst gesagt. Wir werden bald Bewohner der Admiral Farragut sein. Das ändert die Lage.«
»Wie das?«, fragte er.
»An Bord des Schiffes wird es unmöglich sein, eine Affäre für sich zu behalten. Jeder wird über uns Bescheid wissen, sobald wir miteinander ins Bett gehen.«
»Ja, und?«
»Ich möchte halt nicht, dass die Leute denken, ich würde meine Stellung bei der Expedition dem verdanken, den ich jede Nacht in der Kabine besuche.«
»Verdammt, Amber, du hast den Kometen entdeckt. Warum sollte das jemand denken?«
»Ich weiß einfach, dass sie es tun würden. Das ist die menschliche Natur. Wenn wir zu achtzehnt drei Jahre lang dicht an dicht zusammenleben sollen, dann möchte ich lieber gar nicht erst anfangen, Wasser auf die Tratschmühlen zu leiten. Und du solltest das auch nicht tun. Es könnte deine Führungsautorität ernsthaft beeinträchtigen. Ich glaube, es ist am besten, wenn ich nur ein einfaches Mitglied deiner Crew bin. Wenn wir bei unserer Rückkehr immer noch das Gleiche empfinden, dann sehen wir weiter.«
»Du erwartest von mir, dass ich dich jeden Tag sehe und vorgebe, nicht von dir angezogen zu sein? Für welche Art Mann hältst du mich eigentlich?«
»Für einen, der meine Wünsche auch respektieren wird.«
»Da muss ich drüber nachdenken«, sagte er nach einer langen Pause.
»Das ist nur fair. In der Zwischenzeit, wie steht’s mit dem Nachtisch?«