10


Nachdem er die Umlaufbahn des Saturn passiert hatte, flog der Eindringling geradewegs auf das größte von Sols Kindern zu. Einhundertundelf Mal hatte er sich der Sonne genähert. Jedes Mal hatte es der Zufall gewollt, dass sich Jupiter in weiter Entfernung von seiner Bahn aufhielt. Dieses Mal war es anders. Bei dieser Annäherung zielte der Planetoid genau auf jene Welt, welche mehr planetarisches Treibgut mit ihrer Wölbung auffing als jede andere.


Tom Thorpe schwebte in jener geduckten Haltung vor dem Telefonschirm, die der menschliche Körper in der Schwerelosigkeit automatisch einnahm. In dieser Haltung schien er sich wohlzufühlen. Man hätte sich nicht stärker täuschen können. Thorpe konnte einfach nichts anderes tun, um seinen Ärger unter Kontrolle zu halten, während er darauf wartete, dass die Raum-Erde-Schaltung zustande kam.

»Mr. Monets Büro«, sagte eine junge Frau mit einer Verzögerung von einigen Sekunden.

»Ist er da?«

»Wen darf ich melden?«

»Tom Thorpe.«

»Und Ihr Anliegen, Mr. Thorpe?«

»Die Expedition zum Kometen Hastings.«

»Bitte warten Sie einen Moment.«

Thorpe starrte plötzlich auf ein computergeneriertes Lichtmuster, das beruhigend wirken sollte. In seinem Fall funktionierte es nicht.

»Ah, Mr. Thorpe«, sagte Nathan Monet, der Rechnungsprüfer von SierraCorp, als er auf dem Monitor erschien. »Was kann ich für Sie tun?«

»Sie können mir sagen, warum Sie meine Antimaterie-Bestellung storniert haben, Monet!«

»Wir von der Rechnungsprüfung haben den Eindruck, dass Sie ein wenig … sollen wir sagen, übereifrig waren?«

»Was, zum Teufel, meinen Sie damit?«

»Offen gesagt, Mr. Thorpe, meine Analytiker haben die Bestellung überprüft und dabei entdeckt, dass die von Ihnen georderte Treibstoffmenge Ihren Bedarf weit übersteigt. Ihrem eigenen Einsatzplan zufolge ist ein Verbrauch von 4,5 Gramm Antimaterie und acht Millionen Kilogramm monoatomaren Wasserstoffs zu erwarten. Dennoch verlangen Sie neun Gramm Antimaterie. Das ist genau das Doppelte Ihrer eigenen Schätzung.«

»Das weiß ich«, knurrte Thorpe.

»Wenn ich Sie daran erinnern darf, Mr. Thorpe, meine Abteilung ist dafür zuständig, die optimale Verwendung unserer beschränkten Mittel sicherzustellen. Außerdem hat Mr. Smith alle Abteilungen angewiesen, den Gürtel enger zu schnallen.«

»Ja, den Gürtel anderer enger zu schnallen. Ich brauche die Antimaterie!«

»Wir sind der Meinung, dass fünf Gramm für Ihre Zwecke mehr als ausreichend wären«, sagte Monet.

»Das läge nur zehn Prozent über unserem absoluten Mindestbedarf.«

»Elf Prozent. Meine Leute haben sich über die gängige Praxis informiert, und zehnprozentige Energiereserven sind durchaus üblich.«

»Auf der Nachtwächtertour zur Äquatorstation von Luna vielleicht. Verdammt, wir fliegen raus, um einen Kometen zu jagen! Wir müssen davon ausgehen, dass nicht alles genauso wie geplant ablaufen wird.«

»Eine Führungskraft lässt es gar nicht erst so weit kommen, Mr. Thorpe. Meine Leute haben mir versichert, dass unsere Zuteilung mehr als fair ist.«

»Ihre Leute riskieren nicht ihren verdammten Arsch! Ich hingegen schon. Und jeder Mann und jede Frau, die mit hinausfliegen, gleichermaßen. Entweder wir bekommen die ganzen neun Gramm, oder wir verlassen den Orbit nicht.«

»Mein Gott, Mann! Wissen Sie, zu welchem Preis Antimaterie heute abgeschlossen hat?«

»Ich weiß, was mir mein Leben wert ist. Und wichtiger noch, ich weiß, was Mr. Smith sagen wird, wenn er diese Frage entscheiden muss.«

Der Rechnungsprüfer versteifte sich. »Es steht Ihnen selbstverständlich frei, sich in dieser Angelegenheit an ihn zu wenden. Ich bezweifle aber, dass er der Verschwendung von Firmengeldern zustimmen wird.«

Thorpe atmete tief durch und entschloss sich, das Problem von einer anderen Seite anzugehen. »Schauen Sie, es wird doch allgemein erwartet, dass sich der Preis für Antimaterie in den nächsten paar Jahren kontinuierlich nach oben bewegen wird, richtig?«

»Das stimmt. Offenbar verbraucht das Avalon-Projekt wesentlich mehr Energie, als ursprünglich vorgesehen war.«

»Dann werden wir ganz einfach bei unserer Rückkehr den Überschuss auf dem freien Markt verkaufen. Selbst unter Berücksichtigung der Finanzierungskosten müssten wir in der Lage sein, die Kosten dabei zu decken. Wir könnten sogar einen Gewinn herausschlagen.«

Der Rechnungsprüfer blickte nachdenklich drein. Thorpe konnte fast sehen, wie er im Geiste die momentanen Kosten gegen die zukünftigen Gewinne aufwog. Schließlich sagte er: »Wir werden diese Möglichkeit ernsthaft in Erwägung ziehen, Mr. Thorpe. Versprechen kann ich natürlich noch nichts.«

»Wann kann ich mit Ihrer Entscheidung rechnen?«

»Bei der Einsatzbesprechung.«

»Schön. Dann bis übermorgen.«

Sobald der Schirm leer geworden war, murmelte Thorpe eine Obszönität und drehte sich zu der hinter ihm liegenden Luke um. Durch das Anheben der Füße suchte er sich auf dem Schott einen guten Angriffspunkt zu verschaffen und stieß sich in Richtung des Kontrollraums des Frachters ab. Karin Olafson, Kapitän des Freien Frachters Admiral Farragut, blickte auf, als er durch die Luke in den Kontrollraum gesegelt kam. Sie konnte ihm vom Gesicht ablesen, dass die Dinge nicht gut standen.

»Die Schlacht mit den Erbsenzählern ist noch nicht gewonnen, schätze ich«, sagte sie. Sie war eine untersetzte Frau mit kurzgeschnittenem blondem Haar, stets zu einem Lächeln aufgelegt und von mütterlicher Art. Mit fünfundvierzig Jahren näherte sie sich dem Ende ihrer aktiven Laufbahn als Schiffsführer. Das war einer der Gründe, warum sie ihr Schiff für die nächsten drei Jahre an Halver Smith verchartert hatte. Das Geld würde ihr zu einem angenehmen Ruhestand verhelfen. Die Aussicht auf ein Abenteuer hatte sie aber ebenfalls gereizt.

»Ich glaube, ich habe ein paar Punkte gutgemacht«, erwiderte Thorpe, während er sich zu der Beschleunigungsliege neben der des Kapitäns bewegte. Er ergriff die Armlehnen und brachte sich in eine sitzende Position. »Er möchte den Streit nicht so weit eskalieren lassen, dass er Mr. Smith zu Ohren kommt. Er weiß genau, dass er dann den Kürzeren ziehen würde. Es kam nur darauf an, eine Möglichkeit zu finden, ihn auf ehrenhafte Weise von seinem Steckenpferd absteigen zu lassen.«

»Und haben Sie sie gefunden?«

»Das erfahren wir bei der Einsatzbesprechung.«

»Hoffentlich. Ich bin nicht sonderlich begeistert davon, mich auf eine Dreijahresreise mit nur zehn Prozent Energiereserve im Toroid einzuschiffen.«

»Das werden Sie auch nicht müssen, Kapitän. Wie steht es mit den restlichen Vorbereitungen?«

»Besorgen Sie uns die Antimaterie, und wir können starten. Wie Sie beim Anflug gesehen haben, ist das Teleskop am Bug befestigt.«

»Irgendwelche Probleme dabei gehabt?«

»Das verdammte Ding ist so schwer, dass wir es direkt auf die Sockelplatte des Bugvorstoßes schweißen mussten. Wo, zum Teufel, haben Sie dieses Museumsstück eigentlich her?«

»Aus einem Museum natürlich.«

Das Sechs-Spiegel-Gerät war das erste Komposit-Teleskop, das je gebaut worden war. Vor seiner Pensionierung war es fünfundsiebzig Jahre am Mount-Hopkins-Observatorium im Einsatz gewesen. Von da an war es eines der Hauptausstellungsstücke des Astronomiemuseums der Universität von Arizona. Es zu bekommen war lächerlich einfach gewesen. Thorpe hatte lediglich erwähnt, dass es zur Beobachtung der Annäherung des Kometen Hastings an Jupiter benutzt werden würde. Die Museumsbehörde hatte sich einstimmig dafür ausgesprochen, der Expedition das Viereinhalb-Meter-Teleskop zur Verfügung zu stellen. Man hatte die veralteten Bedienungselemente durch moderne elektromechanische Justiervorrichtungen ersetzt und den schweren Sockel der Azimutlagerung entfernt. Auch so war es immer noch groß genug, dass sich Kapitän Olafson Sorgen um die stabile Lage ihres Schiffs machte.

Das Teleskop war Thorpes Idee gewesen. Es war seine Art, mit einer gewissen Astronomin Frieden zu schließen.


Amber Hastings lag mit geschlossenen Augen neben dem Swimmingpool und ließ die Sonnenwärme in ihre Haut einsickern. Neben ihr auf dem Tisch stand ein Computerterminal, das mit der großen Anlage in Halver Smiths Kellergeschoss verbunden war. Sie war seit mehreren Tagen Smiths Gast und begann sich allmählich an die Erdschwerkraft zu gewöhnen. Zwischen Besichtigungstouren arbeitete sie an dem Einsatzplan für die Expedition zu dem Kometen, der ihren Namen trug.

Acht Monate waren vergangen, seit der Observatoriumscomputer ihre Aufmerksamkeit auf den Nebelfleck am Himmel gelenkt hatte, und ein halbes Jahr, seit Luna und die Sierra Corporation übereingekommen waren, eine gemeinsame Expedition auszuschicken. In diesen sechs Monaten war viel geschehen.

SierraCorp hatte einen umgebauten Frachter gechartert, um ein Dutzend Wissenschaftler und deren Ausrüstung zum Jupiter zu transportieren. Einmal dort angekommen, würde das Schiff von der Forschungsstation auf Callisto neue Reaktionsmasse übernehmen und das Eintreffen des Kometen erwarten. Nach dem Durchgang des Kometen durch das Jupitersystem würden sie sich mit dem Kometen treffen und die folgenden achtzehn Monate mit der Erforschung seiner Oberfläche verbringen. Sie würden auf dem Kometen das Perihel durchfliegen und ihn verlassen, wenn er sich anschließend der Umlaufbahn der Venus näherte.

»Eine kleine Arbeitspause?«, fragte eine Stimme.

Als Amber ihre Augen öffnete, sah sie Halver Smith neben sich stehen. Er war mit einem Paar abgetragener Hosen bekleidet und trug ein Hemd mit mehreren Löchern. An den Schmutzflecken auf seiner Kleidung war deutlich zu erkennen, dass er im Garten gearbeitet hatte.

»Die Sonne ist so warm, dass ich dachte, ich mache mal ein Nickerchen«, sagte sie und blickte zwinkernd zu ihm auf.

»Sie haben doch nicht etwa vergessen, sich mit Sonnenöl einzureiben? Leute mit Ihrem Teint bekommen leicht einen Sonnenbrand, wissen Sie.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin von Kopf bis Fuß mit Sonnenschutzmittel eingeschmiert.«

»Ich geh reiten. Lust mitzukommen?«

Sie blinzelte überrascht. »Ich? Auf einem Pferd?«

»Warum nicht?«

Nach ihrer Ankunft auf seinem Landgut hatte er sie überall herumgeführt. Im Stall hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben ein Pferd gesehen. Die großen Tiere hatten sie fasziniert, obwohl sie all ihren Mut hatte zusammennehmen müssen, sich einem von ihnen so weit zu nähern, dass sie seine seidige braune Flanke hatte streicheln können. Der Gedanke, sich tatsächlich auf ein Pferd zu setzen, jagte ihr Schauder über den Rücken.

»Aber was ist, wenn ich runterfalle?«

Er zuckte mit den Achseln. »Dann stehen Sie auf und klettern wieder rauf. Ich bin schon Dutzende von Malen runtergefallen.«

Amber wusste nicht, was sie darauf sagen sollte. Solch ein Sturz musste bei der Erdgravitation sicherlich schreckliche Folgen haben.

»Das wäre eine Erfahrung, von der ich noch meinen Enkelkindern erzählen könnte, nehme ich an.«

»Das wäre es bestimmt. Kommen Sie! Wenn ein fetter alter Mann auf einem Pferd reiten kann, dann kann es jeder.«

Eine halbe Stunde später folgte Amber Smith über einen Reitweg, der sich durch den Wald seiner Besitzung wand. Sie hatte sich gesagt, dass sie schon nicht dabei sterben würde, und begann an der Erfahrung allmählich Gefallen zu finden, so furchteinflößend sie auch war.

»Übrigens«, sagte Smith, als sie über eine ausgedehnte Wiese voller kleiner gelber Blumen ritten, »Tom Thorpe kehrt zurück.«

»Oh?« Amber versuchte, jedes Anzeichen von Gefühl aus ihrer Stimme herauszuhalten. Trotz ihres heftigen Abschieds von Thorpe hatte sie sich während der vergangenen sechs Monate immer häufiger dabei ertappt, dass sie an ihn dachte. Wann immer sie sich an sein ansteckendes Grinsen erinnerte, fiel es ihr schwer, weiterhin wütend auf ihn zu sein.

Smith schien ihr plötzliches Erröten bei der Erwähnung von Thorpes Namen nicht zu bemerken. Er redete beinahe ohne Pause weiter. »Er hat eine Nachricht geschickt, dass er heute Abend ankommt. Er hat noch eine Menge vor der Besprechung zu erledigen, deshalb glaube ich, dass wir ihn vorher nicht mehr sehen werden.«

»Schade.«

Sie ritten mehrere Minuten lang schweigend weiter, bis Smith wieder das Wort ergriff. »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Ihnen eine persönliche Frage stelle?«

»Kommt auf die Frage an, Halver«, antwortete sie. Irgendwie kam es ihr seltsam vor, einen der zehn reichsten Männer des Sonnensystems mit dem Vornamen anzureden.

»Was ist zwischen Ihnen und Thorpe auf Luna vorgefallen?«

Amber fühlte, wie sich ihre Wangen zu röten begannen. »Was meinen Sie damit?«

»Ich meine, dass er seitdem nicht mehr derselbe ist. Er macht seine Arbeit, aber er wirkt nicht mehr so glücklich, wie er einmal war. Manchmal ertappen ihn Leute dabei, wie er in die Luft starrt und vor sich hinbrütet. Ich habe mit seinen Freunden auf dem Felsen gesprochen. Sie stimmen alle darin überein, dass er nie ein besonders nachdenklicher Mensch gewesen ist.«

»Wie kommen Sie darauf, die Veränderung könnte etwas mit mir zu tun haben?«, fragte sie.

Smith lächelte. »Wenn Sie erst einmal in meinem Alter sind, junge Frau, dann werden Sie gelernt haben, die Symptome zu erkennen.«

»Symptome?«

»Ich glaube, Mr. Thorpe ist verliebt. Irgendeine Vermutung, wer die Glückliche sein könnte?«

Amber gab keine Antwort. Sie brauchte es auch nicht. Ihre plötzlich flammend rote Haut tat es für sie.


Vom Weltraum aus betrachtet sah die Admiral Farragut aus, als habe sie ein Kind aus Teilen eines Baukastens zusammengesetzt. Der Fernfrachter war eine etwa hundertfünfzig Meter lange Ansammlung von geometrischen Formen. Das Raumschiff bestand aus drei einzelnen Teilen, die jedes für sich vom Schiff abgetrennt werden konnte, wenn es sich als notwendig erweisen sollte.

Die Antriebseinheit war ein Durcheinander von kugelförmigen Tanks und Rohrleitungen am Heck des Schiffes. Achtzehn große Kugeln – Wasserstofftanks, die in drei Gruppen zu je sechs angeordnet waren – verdeckten beinahe den zentralen Zylinder, der der Hauptenergieerzeuger der Admiral Farragut war. Ein geschwärzter Abgasstutzen entsprang der Antimaterieschubkammer, und zwischen den Treibstofftanks ragten Hochtemperaturkühler hervor.

Vor der Langstreckentankanlage wurden ein paar Meter des schweren Längsträgers sichtbar, bevor er in dem gro ßen Zylinder verschwand, der das Frachtmodul des Schiffes darstellte. Sämtliche Laderäume befanden sich in dem vierzig Meter durchmessenden Zylinder, auf dem Bündel überdimensionaler Steuerdüsen angebracht waren. Diese Düsen stabilisierten nicht nur die Lage der Admiral Farragut während des Flugs, sondern würden auch eingesetzt werden, um das Frachtmodul auf dem Kometenkern zu landen.

Das Vorderteil des Frachters enthielt den Wohnbereich, ein zwanzig Meter durchmessendes Modul, das alle zur Steuerung des Schiffes nötigen Kontrollsysteme umfasste und Passagieren sowie der Crew Lebensraum bot. Der Kontrollraum befand sich genau im Mittelpunkt des Zylinders, und die Schlafräume, Vorratsbehälter, Versorgungssysteme, Tankanlagen und Arbeitsräume waren darum herum angeordnet. Diese Kugel, die ebenfalls abgelöst werden und auf dem Kometenkern landen würde, besaß ihre eigenen Steuerdüsen und Landevorrichtungen.

Schließlich entsprang dem Bug der Admiral Farragut noch das unverkleidete Gerippe des Komposit-Teleskops. Weil das Teleskop fest mit der Hülle des Frachters verbunden war, würde man es durch Ausrichten des ganzen Schiffes justieren müssen. Da sich das Schiff während neunzig Prozent der Reise im freien Fall bewegen würde, bedeutete das kein Problem.

Tom Thorpe sah zu, wie der Frachter immer kleiner wurde, während sein Fährschiff den langen Fall zurück zur Erde begann. Er bemerkte nichts von der Hässlichkeit, die jedem, der an die schlanken Flugzeuge der Erde gewöhnt war, sofort aufgefallen wäre. Im Weltraum war die Form der Funktion untergeordnet, und die Funktion legte fest, was schön war und was nicht. Wenn die Admiral Farragut ihn dorthin bringen konnte, wo er hinwollte, so konnten Thorpe ihre ästhetischen Unzulänglichkeiten gleichgültig sein.


John Malvan war ebenfalls zur Erde unterwegs. Wie Amber hatte auch er erkennen müssen, dass die Entdeckung des Kometen Hastings unerwartete Veränderungen in seinem Leben bewirkt hatte. Eine Woche nachdem er seinen Verdacht bezüglich Tom Thorpe an John Hobart weitergegeben hatte, war Malvan angewiesen worden, nach Luna City zurückzukehren, um sich mit dem Parlamentarier zu treffen.

»Gut, dass Sie da sind, John«, hatte Hobart bei ihrem ersten Zusammentreffen gesagt. »Hatten Sie eine angenehme Reise?«

»Annehmbar«, sagte Malvan achselzuckend.

»Ich nehme an, Sie fragen sich, worum es überhaupt geht.«

»Ja, Sir.«

Hobart berichtete ihm von der Vereinbarung, die er mit Thorpe getroffen hatte. Er schloss mit den Worten: »Was würden Sie davon halten, wenn Sie Luna bei dieser Expedition verträten?«

»Ich verstehe nicht.«

»Wir möchten, dass Sie bei dieser Expedition die Interessen Lunas vertreten. Das würde eine Beförderung um drei Ränge und eine nette Gehaltssteigerung bedeuten. Noch wichtiger, es würde Ihnen Freunde im Parlament machen, deren nicht Geringster ich selbst sein würde.«

»Warum ich?«, fragte Malvan.

»Warum nicht? Sie waren vor Ihrem Unfall im Eisbergbau und waren seitdem als Rechnungsprüfer im Außendienst tätig. Sie sind ein aufrechter, hart arbeitender Mann, außerdem ein Patriot. Wer sonst hätte mich benachrichtigt, dass dieser Eisbrocken zu uns unterwegs ist?«

Malvan zuckte mit den Achseln. »Ich hielt das für meine Pflicht.«

»Da taten Sie Recht damit. Sie haben eine große Ungerechtigkeit verhütet. Ich wünschte bloß, wir hätten Luna die vollen Rechte sichern können. Jetzt brauchen wir jemanden, der unsere Interessen wahrnimmt.«

»Vertrauen Sie Halver Smith nicht?«

»Doch, das tue ich. Es liegt in ihrem eigenen Interesse, mit uns zusammenzuarbeiten. Wer sollte ihr Eis denn sonst auch kaufen? Aber ich habe schon vor langer Zeit gelernt, auf Nummer sicher zu gehen. Sollten wir herausfinden, dass wir mit SierraCorp nicht zurechtkommen, dann müssen wir den Kometen allein erschließen.«

»Wie sollen wir das anstellen, wenn uns nur die Hälfte davon gehört?«

Hobart blickte Malvan ernst an. »Das ist die Art hypothetischer Frage, die ein Politiker niemals beantwortet. Aber erinnern Sie sich, wir sind ein souveräner Staat und die nicht. Wir sind nicht an terrestrische Gesetze gebunden, sie hingegen schon. Der Komet ist wichtig für uns, wichtiger als jede Konvention über die Besitzrechte an Himmelskörpern. Wenn wir unsere Interessen bedroht sehen … nun, dann erinnern wir uns daran, dass souveräne Staaten manchmal zu militärischen Mitteln Zuflucht nehmen, um ihre Interessen zu wahren.«

»Wollen Sie damit sagen …«

»Ich sage gar nichts«, erwiderte Hobart. »Ich versuche Ihnen lediglich die Bedeutung dieser Expedition klarzumachen. Wollen Sie den Auftrag annehmen, den ich Ihnen anbiete?«

Malvan schwieg eine ganze Weile. Schließlich sagte er: »Mal so ausgedrückt, Bürger Hobart, ich sehe nicht, wie ich ablehnen könnte.«

Malvan hatte die folgenden sechs Monate damit verbracht, so viel er konnte über Kometenkerne und den wirtschaftlichen Hintergrund des Eisbergbaus zu lernen. Er hatte sich auch ausgiebig mit der Sierra Corporation befasst und sogar die geheimen nachrichtendienstlichen Wirtschaftsinformationen gelesen, die von Lunas Diplomaten auf der Erde nach Luna City geschickt wurden.

Er hatte Luna City eine Woche vor der letzten Einsatzbesprechung verlassen und war zunächst zur Äquatorialstation, dann zur Newton Station im geostationären Orbit gereist. Sein Flugplan machte einen dreitägigen Zwischenaufenthalt auf Newton erforderlich, eine Unbequemlichkeit, die ihn überhaupt nicht störte. Von allen Transitstationen bot Newton die meisten Zerstreuungen für Reisende. Malvan verbrachte die drei Tage mit Vorbereitungen für die lange Reise. Dass seine Vorbereitungen aus Besuchen der Spielhallen und Treffen mit weiblichen Unterhaltungsspezialisten bestanden, ging nur ihn allein etwas an.

An seinem dritten Tag an Bord der Station jedoch sehnte sich Malvan nach einem ruhigen Abend, um sich auszuruhen und zu erholen. Er begann den Abend damit, dass er sich eine kleine Bar suchte, die hauptsächlich von Stationspersonal frequentiert wurde. Dort bestellte er seinen Drink bei einem gutsortierten Alkoholspender, ging zu einem freien Tisch und setzte sich. Er beschäftigte sich eine halbe Stunde lang mit seinem Drink und beobachtete, wie sich die Bar nach Ende der Tagschicht allmählich füllte.

Er wollte bereits aufbrechen, als sich ihm eine hübsche junge Frau in der Uniform des Stationspersonals näherte und ihn fragte, ob sie an seinem Tisch Platz nehmen dürfe. Er sagte ihr, dass es ihm eine Ehre sei.

Seine Tischgenossin stellte sich als Barbara Martinez vor und erzählte, dass sie als Programmiererin für Sky Watch arbeite. Zu dem Zeitpunkt, als Malvan ihr erklärte, wer er war, waren sie bereits zum Du übergegangen. Sie sprachen eine Stunde miteinander. Dann, obwohl er sich geschworen hatte, seinen letzten Abend an Bord ruhig zu verbringen, schlug Malvan Barbara vor, mit ihm zusammen zu Abend zu essen. Sie nahm sein Angebot sogleich an.

Während des Essens sprachen sie hauptsächlich über die bevorstehende Expedition und wie es sein würde, auf einem Kometen durchs Sonnensystem zu fliegen. Es stellte sich heraus, dass Barbara über Kometen gut Bescheid wusste. Sie war Astrogeologin und hatte ihre Doktorarbeit über die Entstehung der Kometen geschrieben. Sie sagte ihm, wie sehr sie ihn beneidete. Während des Nachtischs lud sie ihn in ihr Apartment ein.

Ihre Zärtlichkeiten hatten keinerlei Ähnlichkeit mit den unpersönlichen gymnastischen Übungen, die er mit professionellen Freudenmädchen vollführt hatte. Eher war es ein ruhiger, entspannter gegenseitiger Austausch; etwas, das eher für zwei Menschen typisch war, die einander schon lange Zeit kennen. Irgendwann im Lauf der Nacht setzte sich Barbara rittlings auf ihn und blickte ihm in die Augen. »Wirst du an mich denken, wenn du auf dem Kometen bist?«

Er hatte gelächelt. »Diese Nacht wird mir eine unvergessliche Erinnerung sein. Es passiert nicht oft, dass ein Mann in meinem Alter die Gelegenheit geboten bekommt, mit einer jungen, wunderschönen Frau zu schlafen. Ich weiß immer noch nicht, warum du in der Bar gerade auf mich verfallen bist.«

»Ist das wichtig?« Sie ließ ihre Hüften kreisen.

»Nicht besonders. Aber man kommt einfach nicht dran vorbei, bei einem solchen Glück ein bisschen misstrauisch zu sein. So ziemlich das Einzige, was mir die Stimmung verderben könnte, wäre, wenn du mir erzählen würdest, ich erinnerte dich an deinen Vater.«

Sie lachte. »Kaum. Mein Vater ist mindestens zehn Jahre jünger als du.«

Er stöhnte. »Das wollte ich nicht unbedingt hören!«

»Willst du wirklich wissen, warum ich dich ausgesucht habe?«

Er nickte. »Ich glaube, mein Ego kann’s verkraften.«

»Du wirst mich für unmöglich halten.«

»Wart’s ab.«

»Es war dein Arm«, sagte sie und zeigte auf den Stumpf an der Stelle, wo sein rechter Arm hätte sein sollen. »Um ehrlich zu sein, ich war neugierig. Ich habe mich gefragt, wie es wohl wäre, es mit einem einarmigen Mann zu treiben.«

»Und wie war es?«

Sie zuckte mit den Achseln und bewegte ihren Körper auf ihm in einer Art und Weise, die tief in Malvan die köstliche Erregung noch mehr steigerte. »Kein großer Unterschied, würde ich sagen. Wie hast du ihn verloren?« Sie hielt mit ihrem Kreisen inne.

»Bergbauunfall. Ich wurde von einem Erdrutsch erwischt, als wir unter dem Mare Nectaris nach Eis bohrten. Ich hatte noch Glück. Die beiden Männer, die neben mir arbeiteten, kamen dabei um.«

»Wünschst du dir manchmal, es wäre nicht passiert?«

»Hat nicht viel Sinn, oder? Davon abgesehen, ich habe gelernt, damit zurechtzukommen.« Er begleitete seine Worte mit einem liebevollen Zwicken. Ihr spitzer Schrei beendete die Unterhaltung, und sie begann ihn zu reiten, immer wilder, bis sie beide kamen. Dann schliefen sie. Am Morgen machte sie Frühstück und begleitete ihn vor die Tür, als es Zeit zum Aufbruch war.

»Sehen wir uns wieder?«, fragte sie.

»Ich dürfte in drei Jahren wieder hier vorbeikommen. Ich würde mich freuen, wenn ich dich dann besuchen dürfte.«

Sie seufzte. »Dann bin ich vielleicht schon eine alte verheiratete Frau. Aber man weiß ja nie. Schau im Personalverzeichnis nach. Wenn du meinen Mädchennamen aufgeführt findest, ruf mich an!«

»Ich werde dich in jedem Fall anrufen. Wenn du verheiratet bist, lade ich dich und deinen Ehemann ins beste Lokal von Newton ein. Wenn du noch immer solo bist, wiederholen wir die vergangene Nacht, vorausgesetzt, ich bin dazu noch in der Lage.«

Sie lachte. »Nach einem Dreijahresflug? – Da würde ich drauf wetten!«

»Könntest Recht haben. Wie wär’s, wenn ich dir ein Stück vom Kometen mitbringe?«

»Das wäre schön.«


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