28


Beschädigt, doch unbesiegt, setzte der Komet seinen langen Fall ins Innere des Sonnensystems fort. Das Bemühen der Menschheit, einen Teil seiner Kruste abzusprengen, hatte wenig mehr erreicht, als der Sonne einige neue Adern zu öffnen. Die Verdampfungsrate stieg von Minute zu Minute und vergrößerte die sich entfaltende Koma und den Schweif des Kometen. Davon abgesehen, hatten die titanischen Explosionen bemerkenswert geringe Auswirkungen gehabt. Der Komet stürzte auf die Sonne zu und tauschte Lageenergie gegen Geschwindigkeit ein. Der unsichtbare Griff der Sonne bestimmte seine Flugbahn mit mathematischer Präzision. Jeder Tag brachte ihn dem Perihel und dem Moment näher, da er um die Sonne herumschwingen und unwiderruflich die Erde anvisieren würde, die Wiege der Menschheit.


Die auf den erfolglosen Versuch, Donnerschlag auf seiner Bahn zu beschleunigen, folgende Woche war schlimm für alle Beteiligten. Auf allen vier Schiffen der Flotte lagen die Nerven bloß. Es gab mehr als ein Dutzend Faustkämpfe und zwei Selbstmorde. Mittel gegen Alkoholkater waren die in den Krankenabteilungen am häufigsten ausgegebenen Medikamente.

Nur: Wenn die Dinge in der Flotte schon schlecht standen, so standen sie auf der Erde noch schlechter. Während des letzten Jahres hatte sich die Öffentlichkeit nicht viele Gedanken über den Kometen gemacht. Abgesehen von einem kurzen Aufflammen des Interesses zu der Zeit, als der Komet seinen volkstümlichen Namen bekommen hatte, hatten sich die Milliarden Erdbewohner um ihre eigenen Angelegenheiten gekümmert, im Vertrauen darauf, dass die Wissenschaftler die Lage unter Kontrolle hatten. Die meisten hatten sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Sprengungen über Holovision zu verfolgen.

Die Unglücksmeldung verbreitete sich rasch. Es hatte eine mehrere Stunden währende Ruhepause gegeben, während der die Ungeheuerlichkeit dessen, was geschehen war, allmählich begriffen wurde. Dann begannen die Unruhen.

In New York strömten Menschenmassen zu dem alten UN-Gebäude, Sitz von Sky Watch und mehreren anderen ultinationalen Behörden. In Toronto versammelten sie sich rund um das Nordamerikanische Parlament. In Den Haag wurden sie vom New Ridderzaal Tower angezogen. Überall suchten sie Trost bei den Schaltstellen der Macht, und als sie keinen bekamen, begannen sie zu randalieren. Die Unruhen, die ersten dieser Art seit Ende des zwanzigsten Jahrhunderts, trafen die Polizei zumeist unvorbereitet. Sie wüteten vier Tage lang. Dann legte sich eine trügerische Ruhe über den Planeten. Doch die Zentren jeder größeren Stadt zierten die Gerippe ausgebrannter Gebäude.

Noch während draußen der Aufruhr tobte, trat der Systemrat zu einer Krisensitzung zusammen, um zu beschlie ßen, was zu tun sei. Man blieb volle 120 Stunden zusammen und vertagte sich nur, wenn die Erschöpfung eine Unterbrechung notwendig machte. Mehr als sechzig Arbeitsgruppen waren gebildet worden, um die Lage zu wenden. Unglücklicherweise hatte niemand eine klare Vorstellung davon, wie dabei vorzugehen sei.

Die Menschen draußen auf dem Kometen taten trotz ihrer Enttäuschung und Wut ihre Pflicht. Schon nach wenigen Stunden begannen die Wissenschaftler ihre Aufzeichnungen zu studieren, um herauszufinden, was schiefgegangen war. Den ersten Hinweis bekamen sie, als sie Gelegenheit hatten, sich den Boden des Ground-Zero-Kraters anzusehen. Die Eisfläche, die schon immer von ringförmigen Rissen durchzogen gewesen war, zeigte nun ein Zickzackmuster. Die neu entstandenen Brüche wiesen eine beunruhigende Kongruenz mit unterirdischen Gesteinsadern auf, die einen Großteil des Kratergebiets durchzogen.

In der ersten Woche nach der Explosion machten die Bedingungen in und um den Krater das Landen zu einem riskanten Unternehmen. Unter der Kruste war überhitzter Dampf in Blasen eingeschlossen. Beim Abkühlen kondensierte der Dampf und ließ große, unter Vakuum stehende Leerräume zurück. Wenn diese Blasen einstürzten, lösten sie mächtige Eruptionen aus. Befanden sie sich nah genug an der Oberfläche, entstanden riesige Vertiefungen, sobald die Kruste, nachdem sie von unten plötzlich keine Stütze mehr hatte, kollabierte.

Als es endlich hieß, der Krater könne gefahrlos inspiziert werden, nutzte Thorpe seine Stellung als Expeditionsleiter, um selbst für die Bodenmannschaft eingeteilt zu werden. Er schloss sich Amos Carlton und mehreren Spezialisten auf einer der Hilfsfähren der Gargantua an. Die Gruppe landete neben einer der neuen Spalten. Immer noch dampfte Nebel von den Wänden ab, der sich auf dem Boden der Spalte sammelte und diesen verdeckte. Die Radarmessungen ergaben für den Riss eine Tiefe von fast acht Kilometern.

»Sehen Sie sich das an!«, murmelte Amos Carlton, als er sich die gegenüberliegende Wand des Cañons besah. Unten, wo die Nebelschicht begann, waren dicke Gesteinsadern zu sehen, die sich über die ganze Länge der Spalte hinzogen.

»Ich schätze, das erklärt alles«, antwortete Thorpe. »Die Wissenschaftler hatten Recht. Irgendwie hat der Fels sich wie ein Druckableiter verhalten, und der Eispfropfen ist entlang der Ader gebrochen, als wir ihn anheben wollten.«

Der kleine Erkundungstrupp verbrachte die nächsten sechs Stunden damit, Eis-und Gesteinsproben für Analysen zu sammeln. Während dieser Zeitspanne federten sie vier heftigere Erdstöße ab und ein halbes Dutzend schwächere. Es war eine erschöpfte Gruppe, die sich zurück in ihr Schiff begab, als es über dem Krater wieder einmal Nacht wurde. Und noch müder war Tom Thorpe, als er zwei Stunden darauf die Schleuse Eins der Admiral Farragut passierte.

»Wie ist es passiert?«, fragte Amber, nachdem sie ihm einen Willkommenskuss gegeben hatte. Sie und Karin Olafson waren die Einzigen in der Schleusenkammer, ein Umstand, der ihn hätte misstrauisch machen müssen. Doch wie die Dinge lagen, nahm Thorpe ihre Gegenwart hin, ohne darüber nachzudenken.

»Ungefähr so wie erwartet«, erwiderte er, während er den Raumanzug abstreifte. »Es waren definitiv die Gesteinsadern, an denen wir gescheitert sind. Außerdem glaubt Carlton, dass unsere Berechnungen der Energiefreisetzung zu optimistisch waren. Aus den Messungen geht hervor, dass sich die Antimaterie viel schneller als erwartet vernichtet hat. Der Druck baute sich zu rasch auf und zerbrach den Eispfropfen.«

»Wie konnte denn so etwas passieren?«, fragte Karin Olafson.

»Wer weiß?«, antwortete Thorpe mit einem Achselzucken. »Vielleicht hat man bei den Berechnungen auf der Erde nicht die richtige Temperatur eingesetzt. Oder vielleicht hatten wir einen Fehler in unseren Gleichungen. Achtundzwanzig Kilo Antimaterie produzieren sechsundfünfzig Kilo Masse als reine Energie. Niemals zuvor ist so viel freigesetzt worden.«

»Was nun?«, fragte Amber.

»Eine gute Frage, meine Liebe. Der Ground-Zero-Krater ist zu zerrissen, um es noch einmal zu versuchen. Und selbst wenn er es nicht wäre, wir haben nicht genug Antimaterie, um einen wirklich großen Brocken herauszubrechen. Carlton meint, wir hätten nur noch 8,2 Kilo. Er fragt bei der Erde zurück, ob sie dort irgendwelche besseren Vorschläge haben. Ehrlich gesagt, ich habe da meine Zweifel.«

»Können wir in diesem Schiff etwas tun, um zu helfen?«, fragte der Kapitän.

»Im Moment fällt mir nichts ein. Vielleicht, wenn ich drüber geschlafen hab.«

Sein Begrüßungskomitee tauschte Blicke. Dass etwas im Schwange war, das konnte er sogar durch den Nebel seiner Erschöpfung hindurch erkennen.

»Was ist los?«, fragte er.

»Die Leute haben sich beraten, Tom«, sagte Amber. »Sie wollen nach Hause.«

»Nach Hause? Aber wir sind hier draußen noch nicht fertig.«

»Sie glauben schon. Wie du selbst gesagt hast, gibt es für uns nicht mehr viel zu tun. Sie wollen vor dem Ende noch etwas Zeit mit ihren Familien verbringen.«

»Wollen Sie ebenfalls aufgeben?«, fragte er Karin Olafson.

Sie zuckte mit den Achseln. »Wenn ich sterben muss, dann schon lieber auf der Erde. Wir sind jetzt über ein Jahr unterwegs, und die aumannschaften kommen hier drau ßen allein zurecht.«

Thorpe schwieg eine Weile. Donnerschlag aufzugeben hieß, eine Niederlage einzugestehen. Aber, verdammt nochmal, es wollte ihm nichts einfallen, wie die Situation zu retten war! Er seufzte. »Lass mich drüber schlafen. Wenn mir kein gutes Gegenargument einfällt, werde ich mit Amos Carlton reden, ob er uns fliegen lässt.«


Es war ein ausgesprochen niedergeschlagener Halver Smith, der in seinem Büro stand und über die Bay nach San Francisco hinüberblickte. Die schwarze Rauchglocke, die über der Stadt geschwebt war, hatte sich weitgehend aufgelöst. Er konnte mehrere Militärgleiter erkennen, die im Geschäftsviertel patrouillierten. Sie unterstützten die Truppen, die man hierhergebracht hatte, um die Unruhen zu ersticken.

Die Unruhen hatten sich nicht auf das Stadtzentrum beschränkt. Die Tatsache, dass die Sierra Corporation die Expedition zum Kometen Hastings ausgerüstet hatte, hatte sie in den Augen der Öffentlichkeit irgendwie mitschuldig gemacht. Ein Mob hatte den Tunnel zu erstürmen versucht, der vom Festland zum Hauptsitz der Gesellschaft hinüberführte. Er war erst dann aufgehalten worden, als der Sicherheitschef angeordnet hatte, den Tunnel zu fluten.

Wenn die Irrationalität der Aufrührer Smith auch verstörte, so fand er sie zumindest verständlich. An jenem Morgen hatte er etwas gesehen, das ihm Übelkeit verursacht hatte. Die ganze letzte Woche über hatte es nichts anderes als Nachrichten über Donnerschlag gegeben, und eins der morgendlichen achrichtenprogramme hatte ein Interview mit mehreren bekannten Persönlichkeiten gebracht. Ein Holofilmstar hatte behauptet, das Ganze sei ein Trick der Großkonzerne, um die Kontrolle über die Wirtschaft zu erlangen. Ein anderer Gast, ein weltberühmter Prediger, hatte erklärt, der Komet sei Gottes Strafe für eine verkommene Menschheit. Er warnte davor, welche schrecklichen Konsequenzen es haben könne, wenn man weitere Anstrengungen unternähme, den Kometen abzulenken.

Am meisten aber deprimierte Smith die Nachricht, dass die Admiral Farragut sich auf die Heimreise gemacht hatte. Er machte den Leuten im Grund keine Vorwürfe. Aber es ging das falsche Signal davon aus. Die Menschen erwarteten sich von ihren Regierungen und dem Systemrat Hilfe. Die Rückkehr der Admiral Farragut wäre für sie das Signal, dass man jede Hoffnung aufgegeben hatte.

Smith wandte sich vom Fenster ab und blickte auf das große Hologramm, das seit sechs Monaten in seinem Büro hing. Es zeigte den Kometen aus der Sicht der Admiral Farragut. Die Koma bildete den irisierenden Hintergrund für den kraterübersäten Kern im Vordergrund. Irgendwie war es ungerecht, dass ein so unscheinbarer Himmelskörper das Werkzeug sein sollte, das die Erde zerstören würde. Während er noch das Bild anstarrte, wurde er von einem Summen der Sprechanlage auf seinem Schreibtisch abgelenkt.

»Was gibt es, Maria?«

»Constance Forbin ist am Apparat, Mr. Smith. Sie scheint aufgeregt zu sein.«

»Geben Sie sie mir.«

Smith nahm hinter seinem Schreibtisch Platz und sah sich gleich darauf der Koordinatorin gegenüber. »Guten Morgen, Constance, oder vielmehr guten Abend, wo Sie sind.«

»Morgen, Halver. Ich habe gerade erfahren, dass Ihre Leute Donnerschlag verlassen.«

»Das stimmt.«

»Sie wissen doch wohl, was für einen Eindruck das macht.«

»Ich weiß, es ist unangenehm.«

»Verdammt unangenehm!«

»Betrachten Sie es aus deren Blickwinkel. Sie sind dem verfluchten Ding hinterhergejagt, haben jeden Quadratzentimeter vermessen, sein Inneres untersucht und waren verdammt nahe daran, dabei das Leben zu verlieren. Sie sind viermal länger dort draußen als jeder andere sonst, und sie wollen nach Hause zurückkehren, bevor es zu Ende geht.«

»Ich werde ihnen befehlen, wieder umzukehren«, sagte die Koordinatorin. »Die Lage ist im Moment einfach zu prekär.«

»Sie werden nicht gehorchen. Sie können es gar nicht. Die Admiral Farragut hat vor etwa zwölf Stunden den Orbit verlassen. Das bedeutet, sie haben die eschleunigungsphase hinter sich und sind jetzt im freien Fall auf Erdkurs. Sie haben nicht mehr genug Reaktionsmasse, um kehrtzumachen. Warum nicht einen Vorteil aus der Situation ziehen? Geben Sie bekannt, dass die Expeditionsteilnehmer zu Beratungen zur Erde zurückgerufen wurden.«

»Ich schätze, genau das werde ich tun müssen«, erwiderte sie. »Noch etwas anderes, wie läuft die Antimaterieproduktion bei Sierra Skies?«

»Gut. Wir haben die dritte Beschleunigereinheit so gut wie aufgefüllt und in Betrieb.« Während der vergangenen sechs Monate hatten alle Orbitalkraftwerke ihre Antimaterie-Produktionseinheiten auf Kosten der Fernenergie mit voller Leistung betrieben. Die meisten von ihnen hatten im Schnellverfahren neue Antimaterieanlagen installiert.

»Wir werden alles, was wir bekommen können, zusammenkratzen und so bald wie möglich zur Flotte rausschaffen. Sie haben weniger als zehn Kilo, mit denen sie zurechtkommen müssen.«

»Dann wollen Sie das Gleiche noch einmal versuchen?«, fragte Smith.

»Ich weiß noch nicht. Aber wenn der Rat zu dem Schluss kommt, dass das unsere beste Option ist, wollen wir die Antimaterie dort haben, wo wir sie brauchen. Wie viel können Sie beisteuern?«

»Dreihundert Gramm ist der Stand von gestern Morgen. Wir könnten in einem Monat weitere fünfzig Gramm beisammenhaben. Wie sieht es bei den anderen Kraftwerken aus?«

»Ziemlich ähnlich. Ich schätze, wir werden zwei weitere Kilogramm zur Flotte bringen können.«

»Das ist nicht besonders viel«, sagte Smith.

»Aber es ist alles, was wir haben. Es wird reichen müssen.«


Tom Thorpe saß im Teleskopraum an Bord der Admiral Farragut und starrte auf den Monitor. In letzter Zeit hatte nicht viel Interesse an der Astronomie bestanden, und er nutzte die Lücke aus, um sämtliche im Bordcomputer gespeicherten Daten bezüglich Donnerschlag noch einmal durchzugehen. Seit ihrem Abflug vom Kometen hatte Thorpe der Gedanke verfolgt, dass sie etwas Wesentliches übersehen haben könnten. Nach vierzehn Stunden Arbeit war das Gefühl so stark wie zu Beginn.

Er beobachtete, wie der Komet in einer Computersimulation die Sonne umrundete. Die Simulation, die von der Arbeitsgruppe in New Mexico erstellt worden war, gab die Flugbahn und die Geschwindigkeit des Kometen vom Perihel bis zum Aufprall auf der nördlichen Erdhemisphäre wieder. Sie versuchte ebenfalls die Auswirkungen einer solchen Kollision zu zeigen, einschließlich der atmosphärischen Schockwellen, der kilometerhohen Flutwellen und der geborstenen Erdkruste, die die Ozeane zum Kochen bringen und die Landmassen mit weißglühendem Magma überschwemmen würden. Thorpe sah der Katastrophe bis zum Ende zu, dann löschte er angewidert den Bildschirm.

Wenn die Simulation auch eine gewisse morbide Neugier befriedigte, half sie doch nicht, das Problem zu lösen. Er musste sich vielmehr von dem Problem lösen und zu den grundlegenden Tatsachen zurückkehren. Er bat den Computer um Halver Smiths Doktorarbeit über die wirtschaftlichen Hintergründe des Asteroidenfangs. Thorpe erinnerte sich an einen Abschnitt, der sich mit den verschiedenen Methoden zur Veränderung der Umlaufbahn eines Asteroiden befasste. Innerhalb von Sekunden sah er sich dem vertrauten Text gegenüber:

… Es gibt eine Reihe von Methoden, mittels derer die notwendige Energie auf einen Asteroiden übertragen werden kann. Jede besitzt ihre Vorteile und Nachteile. Während manche von ihnen offensichtlich ungeeignet sind, die sehr großen Nickel-Eisen-Massen zu bewegen, die für den Raumbergmann von höchstem Interesse sind, haben alle ihren Platz in der großartigen Ordnung der Dinge. Jede wird weiter unten mit größerer Ausführlichkeit diskutiert …

Thorpe ließ seinen Blick über Smiths Auflistung möglicher Techniken gleiten.


… chemische, mit Kernspaltung, Kernfusion, Ionenoder ntimaterietriebwerken ausgestattete Raketen …

Thorpe suchte weiter. Raketen waren erschöpfend erörtert. Mit Ausnahme des letzten Punkts auf der Liste hatten sie sich als kläglich ungeeignet erwiesen. Die Idee, Donnerschlag mit Antimaterietriebwerken zu bewegen, hatte man einer sehr genauen Prüfung unterzogen. Sie war erst dann fallengelassen worden, als klar geworden war, dass die Antimaterievorräte der Menschheit dazu nicht annähernd ausreichten. Der kürzliche Verlust von achtundzwanzig Kilogramm des kostbaren Treibstoffs hatte nicht dazu beigetragen, die Idee reizvoller zu machen.


… Nuklearimpuls …

Thorpe musste unwillkürlich lächeln. Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts hatte jemand behauptet, ein Raumfahrzeug könne dadurch angetrieben werden, dass man unter ihm Atombomben zündete. Obwohl zu jener Zeit ernsthafte Studien durchgeführt worden waren, hatte die Idee nirgendwo hingeführt – wohl weil sich niemand finden ließ, der bereit gewesen wäre, einen derartigen Apparat zu fliegen. Die Idee war von der Arbeitsgruppe in New Mexico noch einmal kurz aufgegriffen worden. Wie im Falle der Antimaterietriebwerke, erforderte der nukleare Pulsantrieb eine weit größere Menge an Sprengmaterial, als die Menschheit besaß. Hinzu kam, dass keine Zeit blieb, die benötigte Anzahl von Bomben zu bauen, bevor Donnerschlag mit der Erde zusammenstieß.


… Auftreffen eines kleineren Himmelskörpers …

Halver Smith hatte die Methode, einen kleineren Asteroiden absichtlich mit einem größeren zur Modifizierung von dessen Orbit zusammenstoßen zu lassen, empfohlen. Diese Technik hatte als Voraussetzung, dass die Flugbahn des kleineren Asteroiden in der Nähe seines Ziels lag und so beschaffen war, dass sich durch die Kollision ein günstigerer Orbit ergab. Der Grund, warum die Crashmethode für Donnerschlag niemals in Erwägung gezogen worden war, lag darin, dass der Komet sich allein im sonnennahen Raum befand. Außerdem versuchten sie, ihn zu beschleunigen. Damit es funktionierte, hätte man einen schnelleren Himmelskörper auf die rückseitige Hemisphäre von Donnerschlag schmettern müssen. Ein solcher Kandidat existierte allerdings gar nicht.

Ein Diagramm ergänzte die Diskussion, wie das kosmische Billardspiel genutzt werden könnte, um die Flugbahn eines großen Asteroiden zu modifizieren. Thorpe starrte es mit trüben Augen lange Sekunden an. Dann begannen bei ihm die Alarmglocken zu klingeln. Unnachgiebig klammerte er sich an seine erwachende Erregung, während er die Folgerungen durchdachte.

Donnerschlag war wie ein außer Kontrolle geratener Sportwagen, der sich einer Kreuzung näherte. Aus anderen Richtungen näherten sich ein Personenwagen: Luna, und ein sehr schwerer Lastwagen: die Erde. Der Sportwagen würde den Personenwagen knapp verfehlen und auf die Fahrbahn des entgegenkommenden Lkw einschwenken. Das Ergebnis würde sein, dass der Lkw den Sportwagen rammen würde, nachdem er die Kreuzung bereits halb passiert hatte.

Bis jetzt waren alle ihre Anstrengungen darauf gerichtet gewesen, Donnerschlag zu beschleunigen. Schließlich ergab es keinen Sinn, auf die Bremse zu treten, wenn man von der Seite gerammt werden sollte. Vielmehr würde man das Gaspedal bis zum Boden durchdrücken und beten, dass der Wagen rechtzeitig aus dem Weg war.

Aber wenn der Sportwagen die Bremse betätigte, bevor er die Kreuzung erreicht hatte? Würden die beiden anderen Fahrzeuge nicht unbehelligt vorbeiziehen, ehe der Sportwagen in die Kreuzung hineinschoss? Sie hatten nie ernsthaft daran gedacht, Donnerschlag zu verlangsamen, weil er bei dem Winkel, mit dem er sich der Erde näherte, um fünfzehn Minuten verzögert werden müsste. Während alles andere gleich blieb, so war es fünfmal schwieriger, den Kometen sicher zu verlangsamen, als ihn zu beschleunigen.

Aber, fragte sich Thorpe, was wäre, wenn alles andere nicht gleich bliebe?

Donnerschlag würde den Asteroidengürtel in sieben Monaten durchfliegen. Einen wie großen Gesteinsbrocken würden sie ihm in den Weg legen müssen, um diese fünfzehn Minuten zu gewinnen?

»Wollen wir mal sehen«, murmelte Thorpe, während er die Zahlen eingab. »Der Komet erreicht den Asteroidengürtel in zweihundert Tagen. Wenn sechs mal zehn hoch sechzehn Tonnen sich zu X wie zweihundert Tage zu fünfzehn Minuten verhalten …« Ein paar rasche Tastenanschläge, und er erfuhr, dass ein passender Asteroid eine Masse von drei Billionen Tonnen haben müsste. Das war die zehnfache Größe des Felsen. Groß, dachte er, aber nicht völlig unmöglich.

Seine nächste Programmieraufgabe war schwieriger. Er musste dazu eine Programmiersprache benutzen, etwas, das er seit dem College nicht mehr getan hatte. Einen Moment lang erwog er, sich von Amber helfen zu lassen. Im Programmieren war sie wesentlich besser. Ein Blick auf die Uhr, und er entschied sich anders. Es war spät, und am Morgen bliebe noch reichlich Zeit, die Details auszuarbeiten. Im Moment wollte er lediglich herausfinden, ob die Idee durchführbar war.

Er arbeitete eine halbe Stunde daran, seine Anfrage zu formulieren: »Welche Himmelskörper von mindestens drei Billionen Tonnen Masse können mit einem Energievorrat von acht Kilogramm Antimaterie so abgelenkt werden, dass sie mit Donnerschlag kollidieren, solange er sich im Asteroidengürtel befindet?«


KEIN HIMMELSKÖRPER GENÜGT DEN GENANNTEN KRITERIEN

Er fluchte unterdrückt. Die Idee schien ihm gut zu sein. Er formulierte seine Anfrage neu. Vielleicht könnte eine Kombination von Asteroiden den gleichen Zweck erfüllen: »Welche Kombination von Himmelskörpern mit einer Gesamtmasse von drei Billionen Tonnen können so abgelenkt werden, dass sie mit Donnerschlag während seiner Passage durch den Asteroidengürtel kollidieren?«


KEIN HIMMELSKÖRPER GENÜGT DEN GENANNTEN KRITERIEN

Thorpe runzelte die Stirn. Er verlangte die Orbitalparameter der näheren Asteroiden und wurde an etwas erinnert, das er schon seit langem wusste. Seinem Namen zum Trotz bestand der Asteroidengürtel größtenteils aus leerem Raum. Die nächsten Kandidaten waren mehr als zehn Millionen Kilometer von der Flugbahn des Kometen entfernt. Diese Strecke war zu groß, um sie in nur sieben Monaten zu überbrücken.

Thorpe rieb sich die brennenden Augen und entschloss sich, es ein weiteres Mal zu versuchen. Er reduzierte seine Frage auf das absolute Minimum: »Welche Objekte befinden sich ausreichend nahe an der Flugbahn des Kometen, um sie unter Einsatz von nicht mehr als acht Kilogramm Antimaterie zur Kollision zu bringen?«

Die Antwort des Computers erfolgte augenblicklich: KP 17634 und KP 20681.

Thorpe starrte die Zahlen lange Sekunden ungläubig an. Denn obwohl sie Katalognummern aus dem Verzeichnis kleinerer Planeten waren, brauchte er sie nicht nachzuschlagen. Er erkannte sie sofort.

Es waren Avalon und der Felsen.


Загрузка...