9


Der Große Verteiler wimmelte von Menschen, als Tom Thorpe und Amber Hastings sich ihren Weg nach oben durch eine Freitag-Abend-Menge bahnten. Die Ursache für diese abwärts gerichtete Völkerwanderung konnte man vom Park unten heraufklingen hören. Das Philharmonische Orchester von Luna City hatte sich zweihundert Meter weiter unten auf dem Boden der Höhle versammelt und spielte ein Medley von Liedern aus der Revolutionszeit.

Thorpe konnte nicht anders, als seiner Begleiterin verstohlene Seitenblicke zuzuwerfen. Die Amber Hastings, die er im U-Bahnhof zurückgelassen hatte, war sichtlich mitgenommen gewesen. Ihre blutunterlaufenen Augen, das schmutzige Gesicht, das strähnige Haar und die zerknitterte Kleidung hatten von den vielen Stunden der Reise Zeugnis abgelegt. Die Amber Hastings, die ihn am Hotel abgeholt hatte, war eine andere Frau. Edelsteine waren in ihre blonden Locken gestreut, die sie auf ihrem Kopf aufgetürmt hatte. Ihr Gesicht wirkte schmaler und ihr rot geschminkter Mund größer. Ihre Haut schimmerte mit dem Glanz, der nur von den teuersten Kosmetika hervorgerufen werden konnte.

Ihr Gesicht und ihre Frisur wurden von ihrem Overall betont. Das schwarze Gewebe zeigte ein Zufallsmuster von Undurchsichtigkeit und Transparenz, das bei jeder Bewegung funkelte. Das weit ausgeschnittene Oberteil betonte ihre kaum verhüllten Brüste, während das Rückenteil des Anzugs praktisch nicht vorhanden war. Schlitze gaben den Blick auf Ambers lange Beine frei, die in Stulpenstiefeln mit Umschlag steckten. Ein Gürtel mit goldenen Gliedern und die dazu passende Halskette und Ohrringe vervollständigten ihre Kleidung.

»Mein Gott, als Sie Abendkleidung sagten, haben Sie es wirklich auch gemeint!«, war das Erste, was Thorpe zu ihr sagte.

»Gefällt es Ihnen?«, fragte sie und vollführte vor ihm eine Pirouette, damit er sie von allen Seiten betrachten konnte. »Ich hab es mir von meiner Collegefreundin ausgeliehen, bei der ich wohne.«

»Es ist wundervoll! Ich hatte keine Ahnung, dass Sie sich diese ganze Mühe machen würden. Alles, was ich habe, ist eine Jacke und Shorts.«

»Niemand achtet darauf, was ein Mann trägt.«

»Nicht, wenn er mit Ihnen in einem Raum ist«, stimmte er zu. Thorpe mochte die Art, wie sie wegen seines Kompliments errötete.

»Ich habe den Hotelportier nach ein paar Restauranttips gefragt«, sagte er. »Ich bin mir bloß nicht sicher, ob die, die er empfohlen hat, ausgefallen genug sind.«

»Ich habe schon etwas bei Luigi’s reservieren lassen«, antwortete sie. »Der Zentralcomputer hat uns für zwanzig Uhr dreißig vorgemerkt.«

»Wo liegt das Restaurant?«

»Ungefähr einen Kilometer von hier, aufwärts.«

»Dann kommen Sie«, sagte er und bot ihr seinen Arm. »Gehen wir!«

Das Luigi’s stellte sich als eine saalgroße Höhle heraus, die so gestaltet war, dass sie einer Waldlichtung auf der Erde ähnelte. Der Himmel darüber war schwarz und gesprenkelt mit Myriaden von Sternen. Tief am Horizont hob sich eine gelbe Mondsichel aus einer Lücke zwischen den Bäumen. Irgendwo im Hintergrund hörte man Wasserrauschen, vermischt mit dem Zirpen von Insekten und dem Quaken von Fröschen.

»Wunderbar!«, flüsterte Thorpe Amber zu, nachdem der Maître sie zu ihrem Tisch geleitet hatte.

»Ich dachte mir, dass Sie es mögen würden. Es ist die beste Simulation von ganz Luna.«

In der Mitte der Lichtung erblickte man eine weit entfernte weiße Stadt. Die Stadt war auf einer Reihe von Hügeln jenseits eines breiten Flusstals gelegen. Sie schimmerte im Mondlicht ohne jede Spur von künstlicher Beleuchtung, ausgenommen den flackernden gelben Schein von Öllampen hinter vielen der Fenster. Ein Teppich schmutzig weißer Felsen auf den Hügelhängen entpuppte sich als Schafherden, die sich zur Nacht hingelegt hatten. Bei jeder befand sich ein Lagerfeuer der Schäfer.

Der Maître hatte sie zu ihrem Tisch gebracht und sich dann zurückgezogen. Wer immer das Restaurant entworfen haben mochte, er hatte es irgendwie fertiggebracht, ein Panoramabild hinzubekommen und gleichzeitig alles außer den nächstgelegenen Tischen abzuschirmen. Thorpe blickte sich voller Bewunderung um. Nach einer Weile lachte er jedoch in sich hinein.

»Was ist denn?«, fragte Amber und folgte seinem Blick.

»Das dort ist falsch«, sagte er und zeigte darauf. »Dieses viereckige Bauwerk auf dem ersten Hügel ist der Parthenon, während das runde dort hinten das Kolosseum ist.«

»Und?«

»Nun, das eine befindet sich in Athen und das andere in Rom. Sie liegen gut tausend Kilometer auseinander.«

»In unmittelbarer Nachbarschaft, wenn man bedenkt, wie weit sie von hier entfernt sind.«

»Ich schätze, da haben Sie Recht«, gab Thorpe zu.

Sie begannen das Essen mit einem Champagner, der sich niemals in oder auch nur in der Nähe von Frankreich befunden hatte. Anschließend gaben sie ihre Bestellung auf. Thorpe aß Kalbfleisch mit Parmesankäse, und Amber entschied sich für Muscheltortellini. Während sie warteten, gingen sie zu Rotwein über und aßen warme Brötchen mit Butter.

Das Essen ging bei den Geschichten, die Thorpe Amber vom Leben auf dem Felsen erzählte, rasch vorbei. Ehe er sich’s versah, war er mit seiner Schüssel Spumoni fertig, und Amber leerte ihre Tasse Tee. Musik wehte durch das Restaurant, und Paare begannen sich auf die Tanzfläche zuzubewegen, die eben noch eine Bergwiese gewesen war.

»Lust zu tanzen?«

»Aber ja.«

Sie tanzten zu drei verschiedenen Melodien und wechselten dabei kaum ein Wort. Thorpe war sich Ambers Wärme und des Dufts ihres Parfüms auf schmerzhafte Weise bewusst. Sie schmiegte sich an ihn und senkte ihren Kopf auf seine Schulter. Er ließ seine Hand auf ihren Rücken hinabsinken, wo er ihre nackte Haut sanft liebkoste. Er fühlte ihr Lächeln mehr, als dass er es sah.

So ging es weiter, bis die Lautstärke der Musik beinahe bis zur Unhörbarkeit abnahm. Während der Pause seufzte Thorpe tief auf. »Ich könnte die ganze Nacht so weitermachen, aber ich glaube, wir müssen über das Geschäftliche reden.«

Amber hob ihren Kopf von seiner Schulter. »Das Geschäftliche?«

»Kommen Sie, lassen Sie uns zum Tisch zurückgehen, und ich erkläre es Ihnen.«

Sie kehrten zu ihren Plätzen zurück, wo Thorpe weiteren Wein bestellte. Als ihre Gläser wieder gefüllt waren, schnitt er das Thema an, das ihn seit Verlassen des Büros von Rektor Cummings so sehr beschäftigt hatte.

»Ich habe mit der Erde telefoniert«, log er. »Mr. Smith hat das Gesetz über Rechtsansprüche im Weltraum von der Rechtsabteilung überprüfen lassen.«

»Und?«

»Nun, im Gesetz steht, dass die Erstentdeckerrechte bei dem/der Individuum/Organisation verbleiben, welche die Entdeckung zuerst bekanntgegeben hat.«

Amber nickte. »Weshalb Sie und Direktor Meinz die Absichtserklärung unterschrieben haben.«

»Genau. Als ich von der Erde aufgebrochen bin, war die Rechtsabteilung der Meinung, alle Rechte lägen beim Observatorium. In diesem Punkt sind sie sich nicht mehr so sicher. Sie glauben, dass Sie ebenfalls Erstentdeckerrechte beanspruchen könnten.«

»Ich?«, fragte Amber verblüfft. »Aber ich habe doch gar nichts gemacht. Der Computer hat den Kometen entdeckt. Ich habe doch nur den Sichtungsbericht geschrieben.«

»Das könnte schon alles sein, was erforderlich ist. Die Frage ist, ob der Schrägstrich in Individuum/Organisation und oder oder bedeutet.«

»Aber ich bin vom Observatorium angestellt. Wie sollte ich einen Anspruch auf eine Entdeckung des Observatoriums anmelden können?«

»Ich behaupte nicht, dass Sie einen Anspruch haben. Ich sage nur, die Rechtsabteilung glaubt, Sie könnten einen haben. Sie wissen doch, wie Rechtsanwälte sind. Sie werden dafür bezahlt, dass sie mit dem Schlimmstmöglichen rechnen. Sie haben Mr. Smith geraten, dass es die Lage vereinfachen könnte, wenn wir Sie in jede Vereinbarung mit dem Observatorium einbeziehen.«

Ambers Augenbrauen zogen sich vor Verwirrung zusammen. »Ich verstehe das alles nicht.«

»Es ist wirklich ganz einfach. SierraCorp ist bereit, Ihnen 100.000 Selen zu bezahlen, wenn Sie uns eine Option auf Ihre Erstentdeckerrechte einräumen.«

»Wie viel?«

»Einhunderttausend Selen.«

Amber blinzelte verwirrt. Dann griff sie nach ihrem Weinglas und leerte es mit einem einzigen Zug. »Sagten Sie … einhundert … tausend

»Ja.«

»Wofür?«

»Für Ihre Unterschrift auf einer Absichtserklärung ähnlich der, die Direktor Meinz bereits unterzeichnet hat.«

»Aber das ist Unsinn! Ich habe keinerlei Entdeckerrechte.«

»Ob Sie welche haben oder nicht, das sollen die Rechtsanwälte klären. In der Zwischenzeit ist es Mr. Smith das Geld wert, diese offene Frage ad acta legen zu können. Glauben Sie mir, er kann es sich leisten.«

Sie füllte wieder ihr Glas und nahm einen weiteren gro ßen Schluck Wein. »Und wann soll mir dieses Geschenk Ihrer Ansicht nach in den Schoß fallen?«

»Jetzt sofort.« Thorpe griff in seine Tasche und holte zwei gleichartige Schriftsätze heraus, jeder mit dem gleichen hellblauen Einband offizieller Dokumente. Er reichte den einen Amber und behielt den anderen. »Ich wollte heute Abend eigentlich nicht damit anfangen, aber das schien mir die letzte Gelegenheit zu sein. Schließlich fahren Sie morgen nach Hause, und ich gehe demnächst zum Felsen zurück.«

Als sie mit Lesen fertig war, blickte Amber auf. »Das ist Wahnsinn!«

Er hob die Schultern. »Mein Rat lautet, nehmen Sie das Geld, ehe sich’s die Rechtsanwälte anders überlegen.«

»Aber es ist nicht recht!«

»Ich kann nicht erkennen, dass Sie mich dabei über den Tisch gezogen hätten.«

Sie kaute auf ihrer Unterlippe und äugte auf den Vertrag hinunter, den Grandstaff im Verlauf des Tages aufgesetzt hatte. »Vielleicht sollte ich das einem Rechtsanwalt zeigen.«

»Ganz wie Sie meinen. Ich möchte nur darauf hinweisen, dass das genau die gleiche Vereinbarung ist wie die, die Direktor Meinz unterzeichnet hat. Sie gibt uns lediglich das exklusive Recht, über eine Abbaukonzession zu verhandeln. Sollten Sie zu dem Schluss kommen, dass jemand anderer Ihnen ein besseres Angebot gemacht hat, dann bitten wir uns die Gelegenheit aus, damit gleichzuziehen. Oh, und falls einer von uns zu der Überzeugung gelangen sollte, dass der andere in arglistiger Absicht verhandelt, dann hat die betroffene Partei das Recht, das Internationale Schiedsgericht anzurufen.«

»Mehr bedeutet es nicht?«

»Das ist alles. Ich wäre bereit, das, was ich Ihnen gerade gesagt habe, vor Zeugen zu wiederholen, falls Sie es möchten.«

»Ist nicht nötig«, erwiderte sie.

»Ich glaube doch. Ober!«

Der Ober erschien, Thorpe erläuterte ihm sein Anliegen, und wenige Minuten später hatten sie vier Zeugen – zwei Ober, eine Kellnerin und einen Koch. Er wiederholte, was er Amber über die Absichtserklärung gesagt hatte. Anschließend bat er Amber und die Zeugen, das Dokument zu unterzeichnen, und dann benutzte er eines der Handterminals des Restaurants, um den vier Angestellten großzügige Trinkgelder zu überweisen. Als die Unterschriftsrunde beendet war, faltete Thorpe beide Kopien des Vertrages. Eine gab er Amber, die andere steckte er in seine Tasche zurück.

»Danke für Ihre Hilfe«, sagte er zu den herumstehenden Zeugen. Als diese sich zurückgezogen hatten, fragte er Amber nach ihrem Bankkonto. Dann benutzte er das Terminal, um eine Überweisung von 100.000 Selen einzugeben. Als er fertig war, reichte er Amber das Gerät, damit sie sich von der Transaktion überzeugen konnte.

Nachdem sie sich auf dem winzigen Bildschirm von ihrem Kontostand vergewissert hatte, sah sie ihn mit gro ßen Augen an. »Und mehr war nicht nötig?«

»Das war alles«, sagte Thorpe. Er hob sein Glas. »Ich finde, das sollte gefeiert werden, finden Sie nicht auch?«


»Du hast mich angelogen!«

Während ihn Ambers wütendes Gesicht vom Telefonschirm aus anstarrte, überlegte sich Tom Thorpe sorgfältig seine Antwort. Es fiel ihm jedoch ausgesprochen schwer, sich zu konzentrieren. Ein Grund dafür war das dumpfe Pochen hinter seinen Schläfen, das von den Festivitäten des vorhergehenden Abends herrührte. Ein ernsthafterer Hinderungsgrund war der Kurzschluss, der in seiner Gedankenkette auftrat, wenn er sich daran erinnerte, wie reizend Amber ausgesehen hatte und wie glücklich sie gewesen war.

Nachdem sie das Luigi’s verlassen hatten, waren sie im Großen Verteiler auf dem Rückweg zu seinem Hotel noch in mehreren Bars eingekehrt. Das Konzert im Park war schon lange zu Ende, und Amber hatte es nicht an Fremden gefehlt, mit denen sie auf ihr Glück hatte anstoßen können. Irgendwo zwischen dem dritten und vierten Halt hatte Thorpe sie für einen ersten tastenden Kuss in die Arme geschlossen.

Später hatten sie eine dunkle Ecke im Park aufgesucht, um es noch einmal zu probieren, und ihre Erkundungen waren von einer Heftigkeit gewesen, die keiner von ihnen hatte ignorieren können. Anschließend war es ganz natürlich gewesen, dass Amber ihn auf sein Zimmer begleitet hatte. Die restliche Nacht war ein Kaleidoskop von verschlungenen Gliedmaßen, suchenden Mündern und sich leidenschaftlich gegeneinander bewegenden Körpern gewesen. Endlich waren sie in gegenseitiger Umarmung eingeschlafen. Thorpe war kurz vor Mittag aufgewacht, um festzustellen, dass Amber gegangen war und auf seinem Nachttisch eine Nachricht zurückgelassen hatte:

Darling,

ich wollte dich schon aufwecken, fand aber, dass zumindest einer von uns beiden etwas zusätzlichen Schlaf bekommen sollte. Es ist sechs Uhr, und ich muss den MoonJumper erreichen. Es war ein wundervoller Abend für mich. Ich hoffe, du wirst mir ins Observatorium schreiben, wenn du erst einmal wieder auf dem Felsen bist. Vielleicht können wir nächstes Jahr zusammen Urlaub machen. Wenn du kein Interesse daran hast, unsere Beziehung fortzuführen, habe ich Verständnis dafür. Du warst wunderbar!

In Liebe


Amber

Thorpe hatte den Rest des Morgens damit zugebracht, seinen Kater zu behandeln und über das Gefühl hinwegzukommen, dass er etwas Wichtiges verloren hatte. Sobald er wieder in der Lage war, zusammenhängend zu sprechen, ließ er eine Telefonverbindung zu Halver Smith auf der Erde herstellen. Grandstaff hatte die Zentrale vom Versuch des Parlaments von Luna, sie kaltzustellen, bereits informiert. Thorpe berichtete seinem Chef von der Vereinbarung mit Amber Hastings. Dann erläuterte er die Einzelheiten seines Plans, die Absichten des Parlaments zu durchkreuzen. Smith hörte ruhig zu, stellte ein paar Fragen, dann gab er seine Zustimmung zu seinem weiteren Vorgehen.

Fünf Minuten später piepste das Telefon in Thorpes Zimmer erneut. Er griff danach, um den Anruf entgegenzunehmen, und sah sich einer wütenden Amber Hastings gegenüber.

»Du hast mich angelogen!«, wiederholte sie. »Ich habe eben mit Direktor Meinz telefoniert. Er sagt, Rektor Cummings habe sich geweigert, die Absichtserklärung zu unterschreiben. Du hast mich ausgetrickst. Warum?«

»Von wo aus rufst du an?«, fragte er, um Zeit zu gewinnen.

»Vom Raumhafen. Mein Flug wurde verschoben. Mir sind ein paar Sachen vom Observatorium eingefallen, und ich wollte mich danach erkundigen. Und da hat Direktor Meinz es mir gesagt. Warum hast du mich angelogen?«

»Ich habe dir nie gesagt, dass Cummings den Vertrag unterschrieben hätte.«

»Du hast es mich glauben lassen.«

Thorpe seufzte und nickte. »Das habe ich. Ich hatte dabei ein schlechtes Gefühl und habe jetzt sogar ein noch schlechteres. Meine einzige Entschuldigung ist, dass das, was ich getan habe, notwendig war.«

»Notwendig, warum?«

Thorpe erzählte Amber von dem Gesetz zur Nationalisierung der Ansprüche des Farside-Observatoriums, das im Parlament eingebracht worden war. »Was hätte ich denn sonst tun sollen?«, fragte er, als er damit fertig war.

Ambers Wut hatte sich, während er gesprochen hatte, sichtlich abgekühlt und einem Ausdruck Platz gemacht, den er nicht zu deuten vermochte. »Aber wie kann das Papier, das ich unterzeichnet habe, überhaupt irgendetwas ändern?«

Er machte den Mund auf, um zu antworten, wurde jedoch von einem Ton unterbrochen, der vom Telefon kam. Eine Schriftzeile lief über den unteren Bildschirmrand und informierte ihn darüber, dass John Mahew Hobart darauf wartete, mit ihm sprechen zu können.

»Hast du Direktor Meinz von unserer Vereinbarung erzählt?«, fragte er.

Amber nickte. »Vor nicht mehr als zehn Minuten.«

»Rate mal, wen er angerufen hat, sobald du aufgelegt hattest.«

»Ich verstehe nicht.«

»Macht nichts. War ein schlechter Scherz. Bleib einen Moment dran, ich habe einen anderen Anruf.«

Er schaltete um und sah sich gleich darauf dem Führer der Nationalpartei gegenüber. Hobarts Gesichtszüge waren verzerrt, weil er sich der Aufnahmeoptik zu sehr genähert hatte. Er sah ebenfalls wütend aus.

»Was, zum Teufel, höre ich da von irgendeiner Abmachung, die Sie angeblich mit Amber Hastings getroffen haben, Thorpe?«

»Sie haben richtig gehört.«

»Worauf sind Sie aus?«

»Ich wahre die Interessen meiner Gesellschaft, Bürger Hobart, so wie Sie die Rechte der Republik schützen. Wollen wir über die Angelegenheit diskutieren?«

Hobart zwinkerte einmal, dachte darüber nach, dann entfernte er sich weiter vom Telefon. Sein Stimmungsumschwung erfolgte so rasch, wie Thorpe es noch nicht schneller gesehen hatte. »Ich wäre an einem Gespräch interessiert. Wann und wo?«

»Heute Abend. Bestimmen Sie den Ort.«

»In meiner Wohnung um achtzehn Uhr.«

»Gut. Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Miss Hastings mitbringe?«

»Bringen Sie mit, wen Sie wollen.«

»Bis dann also.«

Hobart schaltete ab, wodurch automatisch wieder die Verbindung mit Amber hergestellt wurde. Er berichtete ihr von seinem Gespräch mit Hobart. »Soll ich dich abholen?«

»Ich finde den Weg allein.«

»Gut. Wir sehen uns später.«

»Darauf kannst du dich, verdammt nochmal, verlassen, dass wir uns sehen werden!«

Als Amber aufgelegt hatte, wandte sich Thorpe vom Bildschirm ab und ließ im Geiste noch einmal Revue passieren, was soeben geschehen war. Es war, sagte er sich, das Beste, was er hatte erwarten können. Er war noch nie ein Mensch gewesen, der sich mit dem abquälte, was hätte sein können. Er konzentrierte sich darauf, seine Argumente zu ordnen.


»Hallo, Mr. Thorpe. Erfreut, Sie wiederzusehen«, sagte Nadia Hobart, als sie Thorpe in ihre Wohnung geleitete. »John ist in seinem Arbeitszimmer.«

»Es ist mir ebenfalls ein Vergnügen, Sie wiederzusehen, Mrs. Hobart. Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen.«

»Unsinn«, erwiderte sie mit einem abschätzenden Blick. »Wenn man mit einem Politiker verheiratet ist, lernt man rasch, dass ein Großteil der Arbeit außerhalb der offiziellen Arbeitszeit getan wird. Wenn Sie mir also folgen wollen …«

Sie führte Thorpe in den gleichen Raum, in dem Hobart seinen Plan erläutert hatte, Eisen gegen Eis zu handeln. Als sie eintraten, war Amber bereits anwesend. Sie saß in einem von Hobarts Sesseln und nippte gerade an einem hochrandigen Glas mit einer rosafarbenen Flüssigkeit. Hobart durchquerte das Zimmer mit dem leichten, raumergreifenden Schritt des geborenen Lunariers. »Ah, Mr. Thorpe. Seien Sie willkommen!«

»Hallo«, sagte Thorpe, indem er die Hand des Parlamentariers ergriff. »Hallo, Amber.«

»Tom«, antwortete sie mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken.

»Ich bat Miss Hastings, früher zu kommen. Ich wollte herausfinden, was genau passiert ist«, erklärte Hobart. »Irgendwelche Erfrischungen?«

»Ja, bitte«, sagte Thorpe. Er nahm im Sessel neben Amber Platz. »Es tut mir leid, dass du deinen Flug verpasst hast.«

»Kein Problem«, erwiderte sie. »Mein Flug nach Miner’s Luck ist für morgen angesetzt.«

Hobart reichte Thorpe ein Glas ähnlich dem, das Amber in Händen hielt. Es war mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt. »Ich meine mich erinnern zu können, dass Sie sich bei unserer letzten Begegnung anerkennend über unseren Wodka geäußert hätten.«

Thorpe nahm den Drink in Empfang, kostete davon und gab bekannt, er sei vortrefflich. Hobart nahm in seinem Sessel Platz und lächelte in Thorpes Richtung. Es lag wenig Humor in diesem Lächeln.

»Ich weiß inzwischen, was wirklich passiert ist, Mr. Thorpe. Ich komme jedoch nicht darauf, warum es passiert ist. Außer Miss Hastings’ Bankkonto aufzustocken, kann ich keinen Sinn in Ihren Handlungen erkennen. Wenn Sie die Freundlichkeit hätten, uns aufzuklären?«

Thorpe zuckte mit den Achseln. »Als ich in Luna City ankam, erfuhr ich, dass meine Gesellschaft kaltgestellt werden sollte, was ihren Anteil am Kometen Hastings betrifft. Ich habe uns einen Rechtsanspruch gesichert, den wir nötigenfalls auch vor Gericht einklagen können. Natürlich würden wir einen Kompromiss vorziehen.«

Hobart musterte seinen Gegner lange. »Warum glauben Sie, einen Rechtsanspruch etabliert zu haben?«, fragte er endlich. »Da Miss Hastings keine Entdeckerrechte an diesem Kometen besitzt, kann sie sie wohl nicht gut an Sie verkaufen.«

»Ich glaube, sie hat welche«, erwiderte Thorpe.

»Das und ein Zehnselenstück verschafft Ihnen in jeder Apotheke der Stadt einen Liter Luft. Nach wie vor gilt, dass das Gesetz über Rechtsansprüche im Weltraum alle Rechte auf zehn Jahre der Entdeckerinstitution zuspricht, und das, Mr. Thorpe, ist das Farside-Observatorium auf Luna.«

»Das Gesetz über Rechtsansprüche im Weltraum spricht von ›einem/einer Individuum/Organisation‹. Das sind Amber und das Farside Observatorium.«

»Machen Sie sich nicht lächerlich«, erwiderte Hobart. »Sie ist Angestellte der Universität von Luna, wird aus öffentlichen Mitteln bezahlt und benutzt öffentliches Eigentum. Die Entdeckerrechte sind das ausschließliche Eigentum der Republik und ihrer Bürger.«

»Dann sollten Sie ihn vielleicht Farside-Observatorium-Komet nennen.«

Hobart konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Touché! Vielleicht sollten wir das tatsächlich. Was haben Sie in dieser Angelegenheit weiter vor?«

»Eine gütliche Vereinbarung zu erlangen, falls möglich, Bürger Hobart; oder Miss Hastings’ Rechte vor Gericht durchzusetzen, falls nötig.«

»Wie können Sie ein Recht durchsetzen, von dem sie nicht einmal glaubt, dass sie es besitzt?«

Thorpe hob die Schultern. »Das zu entscheiden ist Sache des Gerichts.«

»Glauben Sie allen Ernstes, dass es auch nur ein Gericht auf Luna gibt, das sich mit einem so aus der Luft geholten Rechtsstreit befassen würde?«

»Das bezweifle ich«, erwiderte Thorpe. »Da sich der Komet Hastings jedoch nicht in der Nähe des cislunaren Raums aufhält, fällt er nicht in die Zuständigkeit Ihrer Gerichte. Die Angelegenheit wird dem Internationalen Gerichtshof im terranischen Den Haag übertragen werden müssen.«

Hobart schwieg eine Weile, dann dämmerte ihm allmählich die Erkenntnis. »Und wie groß ist im Moment der Rückstand in Den Haag?«

»Zwölf Jahre.«

Hobart nickte. »Bis dahin sind die Entdeckerrechte des Observatoriums vollkommen wertlos. Der Kometenkern wird demjenigen überlassen werden, der als Erster eine permanente Präsenz auf seiner Oberfläche etabliert.«

»Richtig.«

Nach einer langen Pause ergriff Hobart wieder das Wort. »Sie erwähnten, glaube ich, einen Kompromiss.«

»In der Tat.«

»Woran dachten Sie dabei im Einzelnen?«

»Eine gemeinsame Expedition zur Erforschung des Kometen nach seiner Begegnung mit Jupiter«, erwiderte Thorpe.

An ihren Reaktionen war abzulesen, dass der Vorschlag sowohl Hobart als auch Amber unvorbereitet getroffen hatte. Der Parlamentarier zwinkerte vor Verblüffung, während Amber nervös auf ihrem Sessel herumrutschte.

»Verzeihen Sie bitte«, sagte Hobart.

»Wir unterstellen eine Menge, was lediglich auf einer einzigen Teleskop-Beobachtung basiert. Was ist, wenn sich herausstellt, dass die Eisvorkommen geringer sind als die Astronomen glauben, oder wenn der Komet nach dem Vorbeiflug nicht die vorhergesagte Umlaufbahn einschlägt? Ich schlage vor, dass die Republik Luna und die Sierra Corporation gemeinsam ein Schiff aussenden, das das große Los einer genauen Untersuchung unterzieht.«

»An welche Art von Vereinbarung denken Sie dabei?«

»Die Sierra Corporation könnte das Schiff zur Verfügung stellen, den größten Teil der Besatzung und einen Teil des wissenschaftlichen Personals. Sie komplettieren die Crew mit Ihren eigenen Leuten, eingeschlossen ein paar, die sich um Ihre Interessen kümmern. Und die Kosten teilen wir unter uns gleichmäßig auf.«

»Was könnte uns daran hindern, selbst eine solche Expedition auszurüsten?«, fragte Hobart. »Luna verfügt ebenfalls über Schiffe.«

»Natürlich tun Sie das. Und der größte Teil davon ist mit wichtigen Aufgaben betraut. Zweigen Sie eins davon ab, und Sie werden mit den ökonomischen Konsequenzen konfrontiert, über die wir neulich in diesem Raum gesprochen haben. Außerdem wären wir gezwungen, ein Unterlassungsurteil zu erwirken, um Sie davon abzuhalten. Wenn indes die Sierra Corporation ein geeignetes Schiff zur Verfügung stellt, wird es keine nachteiligen Auswirkungen auf Ihre Wirtschaft geben. Übrigens, wir verfügen über das Knowhow, das Sie brauchen. Das ist schließlich unser Geschäft!«

»Wer würde SierraCorp auf einer solchen Expedition vertreten?«, fragte Hobart.

»Das hängt von Mr. Smith ab«, antwortete Thorpe. »Ich habe allerdings vor, ihn darum zu bitten, mir diesen Job zu übertragen. Vielleicht könnte Amber Luna vertreten.«

»Wie steht es mit Ihnen, Miss Hastings?«

»Tut mir leid, aber ich muss ablehnen.«

»Verstehe«, sagte Hobart. »Es wird eine lange Reise werden, vielleicht eine sehr mühselige. Sie tun wahrscheinlich gut daran, nicht mitzufliegen.«

»Sie verstehen keineswegs«, erwiderte Amber. Ihre Augen leuchteten plötzlich auf, als habe sie eine wichtige Entscheidung getroffen. »Also gut, ich fliege mit. Aber ich werde mich um meine eigenen Interessen kümmern. Wenn Thomas Thorpe Recht hat, gehört mir schließlich die Hälfte des Kometen!«


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