37


Ein Hundert-Kilometer-Marsch auf der Erde bedeutete kaum mehr als zwei Tage gesunder körperlicher Ertüchtigung. Auf Luna und in Raumanzügen war es eine Expedition. Nach einer kurzen Besprechung in der Kantine zerstreuten sich Thorpe und die anderen in der Anlage, um das bevorstehende Martyrium vorzubereiten. Als Erstes sammelten und füllten sie sämtliche Luftflaschen, die sie finden konnten. Anschließend trugen sie Nahrungsmittel, Wasser, Vakuumzelte, Erste-Hilfe-Ausrüstungen und Stromgeneratoren zusammen und luden alles auf zwei Handkarren, mit denen normalerweise empfindliches Gerät im Observatorium transportiert wurde. Als sich die Handkarren als zu klein erwiesen, beauftragte Grayson drei Angestellte damit, aus Rohrstücken drei Travails genannte Schleppschlitten, wie sie die Indianer für ihre Habe benutzten, anzufertigen. Die restliche Ausrüstung wurde auf die einzelnen Personen ihren Kräften entsprechend verteilt.

Es war nahe Mitternacht, als sich alle fünfzehn in der Nissenhütte auf der Oberfläche versammelten. Jedermann trug seinen eigenen Raumanzug, hatte den Helm aber noch nicht aufgesetzt. Da Thorpes Anzug über eine Trägheitskarte verfügte, hatte man ihm die Führung übertragen. Seine erste offizielle Handlung war, jedermanns Anzug zu inspizieren.

Thorpes Anzug war ein strapazierfähiges Industriemodell, wie es von Vakuumaffen allgemein bevorzugt wurde. Desgleichen trug Amber den Luxusanzug, den sie sich für die Expedition zum Kometen gekauft hatte. Die meisten anderen Anzüge jedoch waren Modelle für Stadtbewohner – geeignet für ein paar Stunden im Vakuum, aber mit unterdimensionierten Kühlaggregaten und eingeschränkten Steuerungsmöglichkeiten des Innenklimas. Außerdem fehlten ihnen vergrößerte Wassertanks, Nahrungsschläuche und die raffinierten Abfallbeseitigungssysteme der professionellen Modelle. Schon nach wenigen Stunden mäßiger Anstrengung im Sonnenlicht konnte es in ihnen unerträglich werden.

Als er seine Inspektion beendet hatte, wandte sich Thorpe an Grayson. »Wie, in aller Welt, kommen Ihre Leute eigentlich dazu, sich so einen Mist zu kaufen?«, fragte er.

Der Direktor zuckte mit den Achseln. »Es kommt nicht oft vor, dass wir einen Abendspaziergang auf dem Mond machen.«

»Kann einer Ihrer Anzüge mit dem Satelliten Verbindung aufnehmen?«

»Leider nein. Der Satellit ist ein altes Modell, den sie wieder aus der Mottenkiste geholt haben. Er benutzt die alten Niederfrequenz-Empfangsbereiche. Alle unsere Anzugfunkgeräte sind dafür zu modern.«

»Wie niedrig ist die Frequenz?«, fragte Thorpe, plötzlich argwöhnisch geworden.

Grayson sagte es ihm.

»Verdammt! Diese Frequenz hab ich auch nicht drauf. Was ist mit dir, Amber?«

»Sorry.«

»Barnard?«

»Ich auch nicht.«

»Wunderbar!«, knurrte Thorpe sarkastisch. »Ein paarmal am Tag fliegt ein Kommunikationssatellit über uns weg, und wir können nicht mit ihm reden! Das bedeutet, dass wir taubstumm sein werden, solange wir da draußen sind.«

»Was ist mit dem Funkgerät des Observatoriums?«, fragte Amber.

Grayson schüttelte den Kopf. »Dieses Gerät haben wir uns selbst zusammengeflickt. Das komplette Ding nimmt drei Instrumentenracks ein und hat eine Nachführantenne auf der Oberfläche. Selbst wenn wir es schaffen würden, das Funkgerät zu transportieren, könnten wir doch niemals den Funkstrahl anpeilen.«

»Dann verzichten wir auf die Funkverbindung«, sagte Thorpe. »Es ist sinnlos, weitere Zeit damit zu verschwenden. Rufen wir alle für eine letzte Besprechung zusammen.«

Auf Thorpes Aufforderung hin versammelten sich alle um ihn. Er sah sie mit einem finsteren Gesichtsausdruck an. »Hört mal zu, Leute! Es ist noch drei Tage bis Sonnenaufgang, und es mangelt uns sowohl an Transportmitteln wie auch an Funkgeräten. Das heißt, dass wir den ganzen Weg bis nach Crossroads zu Fuß gehen müssen, bevor die Sonne aufgeht. Diese Anzüge, die die meisten von Ihnen haben, wären bei der ersten Überprüfung auf dem Felsen ausgemustert worden. Auf der anderen Seite sind sie das Beste, was wir haben, also müssen wir uns damit abfinden.

Das sind die Konstanten des Problems. Es hilft uns nichts, zu wünschen, es wäre anders. Um es bis Sonnenaufgang zu schaffen, werden wir rund vierzig Kilometer pro Tag zurücklegen müssen. Das heißt, dass wir nicht anhalten, bevor ich es sage. Sie werden das Tempo mithalten müssen, das ich vorgebe. Falls nicht, werden die anderen Sie tragen müssen. Offen gesagt, ich glaube nicht, dass unsere Kräfte dafür reichen. Noch irgendwelche Fragen? Falls nicht, dann machen wir uns auf den Weg.«

Alle setzten ihre Helme auf und führten einen Drucktest durch. Thorpe hörte währenddessen auf dem allgemeinen Anrufkanal zu. Diesen Trick hatte er auf dem Felsen gelernt. Was er hörte, gab ihm Anlass zu Hoffnung. Es gab eine Menge schwarzen Humor, aber kein Murren – noch nicht! Als alle signalisiert hatten, dass sie fertig waren, ordnete er an, die Luft der Hütte ins Vakuum entweichen zu lassen.

Sie brachen im Gänsemarsch auf, wobei jeder die ihm zugeteilte Menge an Vorräten schleppte. Die Orientierung erwies sich als kinderleicht. Thorpe folgte lediglich den zahlreichen Spuren, die der Rolligon die Jahre über hinterlassen hatte, wobei er darauf achtete, dass sie sich in der Mitte des breiten, improvisierten Highway hielten. Sie brauchten vier Stunden und zwei kurze Pausen, um die Höhe von Twelve Click Rise zu erreichen. An dieser Stelle rief Thorpe die erste längere Rast aus. Es waren immer noch keine Klagen laut geworden, doch hatte er während der letzten zwanzig Minuten über den freien Kanal ein Konzert zunehmend heftiger Atemgeräusche gehört.

Mehrere Mitglieder der Gruppe legten sich hin, sobald er das Signal gegeben hatte. Thorpe nahm zwei der jüngeren Männer beiseite und ließ sie eines der Zelte aufblasen. Als die halb transparente Kuppel straff war, wies er seine Schutzbefohlenen an, jeweils pärchenweise hineinzugehen. Im Innern war genug Platz, die Helme abzunehmen, volle Abfallbehälter zu entleeren, Wassertanks aufzufüllen und Nahrungsvorräte zu ergänzen. Drei Leute benötigten neue Batterien, was Thorpe Anlass zur Sorge gab, ob ihre Batterievorräte reichen würden.

Nachdem sie die Höhe erreicht hatten, befanden sie sich auf ziemlich ebenem Grund. Das Marschieren wurde zur Routine. Thorpe wurde von Amber gefolgt, den beiden Graysons, den beiden Barnards und dann von den jüngeren Technikern und Angestellten. Indem er die jüngeren Leute ans Ende der Prozession gesetzt hatte, hoffte er, die anderen davon abzuhalten, dass sie sich zerstreuten und hinterherbummelten. Dieses Ziel erreichte er nur teilweise. Als sie acht Stunden marschiert waren, waren sie nahezu dreihundert Meter auseinandergezogen. Vor ihnen lag die Sohle der Ringwand des Mendelejew-Kraters. In einer weiteren Viertelstunde würden sie mit dem Anstieg beginnen.

»Wie weit sind wir gekommen?«, fragte Amber über den privaten Kanal, den sie sich mit Thorpe teilte.

Er sah auf seiner Karte nach. »Ungefähr dreißig Kilometer.«

»Wir müssen anhalten. Niels steht kurz vor dem Zusammenbruch.«

»In Ordnung«, sagte er, nicht unglücklich darüber, dass jemand den Vorschlag machte. Durch den plumpen Raumanzug und das Gewicht der Vorräte, die er schleppte, wurde jeder Vorteil, den er durch seine erdtrainierten Muskeln in der geringen Mondschwerkraft hatte, wieder zunichte. Hinzu kam, dass sein Anzug seit mehreren Stunden scheuerte. Wenn der Marsch vorüber war, würde er tagelang komisch gehen, das wusste er jetzt schon.

»Wir schlagen das Lager auf, schlafen ein wenig und nehmen den Anstieg in Angriff, wenn wir uns ausgeruht haben. Wir liegen zehn Kilometer hinter dem Plan zurück, aber wir können die Leute ja nicht vor Erschöpfung umfallen lassen.«

Das Lager bestand aus zwei Vakuumzelten, in die die müden Wanderer hineinkrochen. Einer nach dem andern stieg aus seinem Anzug, öffnete eine kalte Konserve und schlang sie hinunter. Es herrschte ein erhebliches Durcheinander von Anzügen und Leibern, bis jeder für sich einen Platz gefunden hatte. Thorpe stellte seinen Helmwecker auf vier Stunden, schloss die Augen und war sofort eingeschlafen.


Das Summen weckte ihn pünktlich. Nachdem er eine Weile darum gekämpft hatte, wach zu werden, setzte er sich auf und streckte sich. Das erwies sich als ein Fehler, denn sämtliche Muskeln in seinem Körper protestierten dagegen. Amber erwachte neben ihm, und lange Zeit blickten sie einander in die Augen. In ihrer Nähe schliefen Niels Grayson und seine Frau in gegenseitiger Umarmung.

»Vielleicht sollten wir sie schlafen lassen«, flüsterte ihm Amber zu, als Thorpe die ausgestreckten Gestalten betrachtete.

»Ich wünschte, wir könnten es«, antwortete er. »Wir haben nicht die Zeit dazu. Besser, sie verausgaben sich, als dass sie von der Sonne gebraten werden.«

»Aus dir spricht die Stimme der Vernunft, mein Liebster.« Sie hielt ihm ihre Hand hin. »Tut es dir leid, dass du mich holen gekommen bist?«

»Bis jetzt noch nicht. Die letzten Tage über war ich glücklicher als jemals zur Zeit unserer Trennung. Aber wenn wir diese Schiffe in Luna City verpassen sollten, dann werde ich meine Meinung wohl überdenken müssen.«

»Glaubst du, wir werden? Sie verpassen, meine ich.«

Er zuckte mit den Achseln. »Unmöglich zu sagen. Falls ja, werden wir uns einfach etwas anderes ausdenken müssen, um von diesem unwirtlichen Dreckklumpen wegzukommen.«

»Vorsicht mit dem, was Sie über meine Heimatwelt sagen, Sir!«, sagte sie mit gespieltem Ernst.

»Entschuldige«, kicherte er. »Von diesem wundervollen unwirtlichen Dreckklumpen.«

»Schon besser.«

Thorpe kletterte in seinen Anzug, kein leichtes Unterfangen in dem überfüllten Zelt. Dann sendete er den Funkruf aus, der in jedem Zelt den Helmalarm auslösen würde. Alle aufzuwecken dauerte eine Viertelstunde. Das Frühstück bestand aus einem einzigen Nährriegel, der mit ein paar Schlucken lauwarmen Wassers runtergeschluckt wurde. Anschließend dauerte es noch nahezu eine Stunde, das Lager abzubauen und sich auf den zweiten Tagesmarsch vorzubereiten.


Wenn der erste Tag schlimm gewesen war, so war der zweite schlimmer. Wie viel oder wie wenig Erholung ihnen vier Stunden Schlaf auch verschafft hatten, durch den Aufstieg an der Kraterwand war sie rasch aufgebraucht. Schließlich gelangten sie zum Kamm der Erhebung und kletterten an der anderen Seite wieder hinab, wo sie auf die von Kratern zernarbte Ebene trafen, die den größten Teil des Hochlands von Farside ausmachte. Nachdem sie die Ringwand hinter sich gebracht hatten, schlängelte sie sich an Graten zwischen den Kratern entlang. Die Rolligon-Route war für leichtes Reisen ausgewählt worden, und sie kamen gut voran. Doch trotz all ihrer Bemühungen rasteten sie früher und länger als am Tag zuvor. Sechzehn Stunden nach dem Aufbruch taumelten die älteren Mitglieder ihrer Gruppe vor Erschöpfung, und die jüngeren waren auch nicht gerade fit.

Amber stellte die rituelle Frage. »Wie weit sind wir?«

Thorpe sah auf die leuchtenden Symbole im Innern seines Helms. Während der vergangenen achtundvierzig Stunden hatte er diese Anzeigen hassen gelernt. Sie veränderten sich noch langsamer, als sich die Stunden dahinschleppten, und fünf Kilometer waren eine Strecke, die man sich besser gar nicht erst vorstellte.

»Wir haben die Hälfte der Strecke vor etwa einer Stunde passiert«, sagte Thorpe. »Wir sind noch fast fünfzig Kilometer von Hadley’s entfernt.«

»Wir werden’s nicht schaffen, oder?«

»Nicht bei diesem Tempo. Nicht vor Sonnenaufgang.«

»Was, meinst du, sollen wir dann tun? Weitergehen?«

»Das können wir nicht«, sagte er. »Wenn wir noch eine Stunde so weitermachen, fangen sie an, im Stehen umzufallen. Es bleibt uns kaum etwas anderes übrig, als das Lager aufzuschlagen und mindestens sechs Stunden lang zu schlafen. Die vier Stunden letztes Mal waren nicht genug.«

»Mein Gott, Thomas, ich könnte eine Woche schlafen!«

»Ich wünschte, wir hätten die Zeit. Aber falls du es noch nicht bemerkt haben solltest, die Atemluft wird uns allmählich knapp. Das kommt von diesem andauernden Aufblasen und Ablassen der Zelte.«

»Vielleicht sollten wir die Zelte aufschlagen und dann eine kleine Gruppe um Hilfe schicken«, schlug sie vor. »Sie kämen schneller voran.«

»In normalen Zeiten hätte ich dir zugestimmt. Aber in normalen Zeiten hätten wir einfach draußen beim Observatorium kampiert und gewartet, bis sie uns einen Rolligon schicken. Was ist, wenn der Voraustrupp nach Hadley’s kommt und feststellt, dass sie nicht zurückkommen können, um die Zurückgebliebenen zu holen?«

Während sie über die verschiedenen Optionen diskutiert hatten, waren sie an eine flache Stelle gelangt, die groß genug war, um die Zelte aufzublasen. Es war so, als würden Automaten das Lager aufschlagen. Das Geplapper, das zu Beginn ihres Marsches auf dem Hauptkanal geherrscht hatte, war verstummt. Jeder tat seine Arbeit mit einem Minimum an Konversation.

Als sich die Frauen und Männer aus ihren Anzügen geschält, Proteinriegel hinuntergeschlungen hatten und dann in einen Erschöpfungsschlaf gefallen waren, dachte Thorpe noch über Möglichkeiten nach, wie er das Tempo erhöhen könnte. Ihm fiel keine ein, stattdessen ertappte er sich dabei, dass er in den Himmel hinaufschaute. Über ihm funkelten die Sterne, durch das transparente Plastik der Zeltwand verzerrt. Er betrachtete sie, bis er in einen traumlosen Schlaf fiel.

Gegen Ende des dritten Tages waren sie noch immer ein gutes Stück von Hadley’s entfernt, und die Luftsituation wurde allmählich kritisch. Sie kampierten auf einer Anhöhe, von der aus sie hinter einer ausgedehnten Senke, die einmal ein Krater gewesen, von darauffolgenden Meteoreinschlägen jedoch eingeebnet worden war, die Lichter der Oberflächeninstallationen sehen konnten. Dass sie Sichtverbindung mit ihrem Ziel hatten, erlaubte es Thorpe, mit dem Repräsentanten der Republik zu sprechen, den er zwei Wochen zuvor bei seinem kurzen Zwischenstopp kennengelernt hatte. Er richtete einen Funkstrahl auf die Siedlung, sobald sie das Vakuumzelt betreten hatten.

»Ich habe hier eine Gruppe von fünfzehn Leuten aus dem Farside-Observatorium«, berichtete er, als die Verbindung hergestellt war. »Wir sind total erschöpft. Wir brauchen Hilfe, um reinzukommen. Können Sie uns helfen?«

Mehrere Sekunden lang war in seinem Ohrhörer nur das Zischen der Sterne. Die Antwort lautete so, wie er es erwartet hatte. »Tut mir leid, nein. Wir haben keine Transportmittel hier. Sie müssen aus eigener Kraft hereinkommen.«

Thorpe erklärte, wie es um die Ausstattung der Raumanzüge seiner Leute stand und was geschehen würde, wenn die Sonne in wenigen Stunden aufginge. Der Regierungsvertreter wusste keinen Rat. Noch schlimmer, er teilte Thorpe mit, dass der nächste Zug in weniger als acht Stunden eintreffen sollte und dass er nicht wusste, ob noch ein weiterer käme.

»Verdammt«, murmelte Thorpe, als die Verbindung unterbrochen war. Er hatte einen der Kanäle benutzt, die die anderen nicht empfangen konnten.

»Was ist los?«, fragte Amber. Sie war halb aus ihrem Anzug heraus und bereitete sich darauf vor, sich für die Nacht hinzulegen.

Flüsternd sagte ihr jetzt Thorpe, was er erfahren hatte.

»Was sollen wir jetzt machen?«, fragte sie.

»Was können wir machen?«, fragte er. »Wir sind zu erschöpft, um weiterzugehen, aber wir werden es wohl müssen. Wir ruhen uns hier für eine Stunde aus, essen etwas, dann steigen wir in die Anzüge und machen uns auf nach Crossroads. Wir lassen alles zurück außer einem Zelt und dem größten Teil der Vorräte. Entweder wir schaffen es in den nächsten acht Stunden, oder wir können es ebenso gut vergessen. Wir nehmen die Karren und Travails mit. Falls jemand vor Erschöpfung oder mit einem Hitzeschlag zusammenbricht, laden wir ihn auf. Also komm, geben wir die schlechten Nachrichten bekannt.«

Er forderte alle, die in den anderen Zelten bereits ihre Anzüge abgelegt hatten, auf, ihre Helme wieder aufzusetzen. Dann erklärte er ihnen, was sie würden tun müssen, um den Zug rechtzeitig zu erreichen. Zu seiner Überraschung gab es keine Einwände. In seinem und Ambers Zelt begannen die Graysons wortlos damit, wieder in ihre Anzüge zu schlüpfen. Auch in den anderen Zelten sah er dunkle Schatten von Gestalten, die sich vor der künstlichen Beleuchtung abhoben, das Gleiche tun.

Eine Stunde später machten sie sich über den vor ihnen liegenden Hang auf den Weg hinunter zu der Senke. Als sie zwei Stunden später den ausgedehnten Boden der Mulde erreichten, wurden sie vom Sonnenaufgang überrascht. Thorpe fühlte die plötzliche Hitze und hörte, wie sich sein Kühlsystem innerhalb von Sekunden auf höchste Leistung stellte. Er konnte sich die Auswirkungen auf die anderen, deren Anzüge eine geringere Kühlkapazität hatten, lebhaft vorstellen.

Trotz eines Zustands, der wohl einer Agonie nahekam, schleppten sie sich noch zwei Stunden voran, ehe es zum ersten Ausfall kam. Dr. Dornier, der älteste der Astronomen, murmelte auf Deutsch etwas Unverständliches, bevor er nach vorne fiel und mit seiner Frontplatte im braungrauen Staub landete. Niemand sagte ein Wort. Zwei der jüngeren Angestellten eilten zu ihm hin und legten ihn auf eines der Travails. Er passte nicht ganz darauf; seine Stiefel hingen über das Ende hinaus und schleiften durch den Staub. Den Mann, der ihn zog, schien es nicht zu stören.

Sie gingen weiter, nachdem Cybil Barnard rasch durch Dorniers Visier gespäht und Hitzschlag diagnostiziert hatte. Bis zu dem Zeitpunkt, als sie bis auf zehn Kilometer an die Siedlung herangekommen waren, hatten sie drei weitere Zusammenbrüche zu verzeichnen. Drei weitere Personen meldeten, dass ihre Wasserreservoirs in den Helmen leer seien. Diese Behälter versorgten einen nicht nur mit Trinkwasser, sondern befeuchteten auch die Luft im Anzug. Die Meldungen wurden von kratzenden, heiseren Stimmen gemacht, die in der supertrockenen Luft, die sie einatmeten, bereits gelitten hatten. Die Lage wurde allmählich hoffnungslos.

Nach weiteren fünf Kilometern waren sie in Sichtweite der Türme der Einschienenbahn. Die Gruppe hatte den Punkt erreicht, wo jeder, der sich noch aufrecht hielt, einen 3usammengebrochenen hinter sich herzog. Ein junger Astronom zog zwei. Thorpe bemerkte, dass Amber ebenfalls unsicher auf den Beinen zu werden begann. Selbst ihr leistungsfähigerer Anzug vermochte die Auswirkungen von drei Tagen unaufhörlicher Anstrengung nicht zu mildern.

»Wir müssen anhalten«, sagte er zu ihr.

»Wir können nicht. Wir sind schon fast da.«

Er schüttelte den Kopf. »Bei diesem Tempo schaffen wir es nie. Wir stellen das Zelt auf und blasen es mit unseren letzten Luftreserven auf. Diese Leute müssen in den Schatten, oder sie verschmoren bei lebendigem Leib!«

»Also gut«, sagte Amber. »Wir bauen das Zelt auf und bringen die schlimmsten Fälle in den Schatten. Du gehst vor und siehst, ob du Hilfe holen kannst. Zumindest kannst du ein paar von Verns Leihanzügen mit zurückbringen. Sie sind alt und schmutzig, aber sie haben bessere Klimaaggregate als diese hier.«

Thorpe grinste im Innern seines Helms. »Da hätte ich selbst draufkommen müssen. Ich werde wohl allmählich müde.«

»Wir sind alle müde«, erwiderte Amber. »Wen willst du mitnehmen?«

»Niemanden. Wenn sie ohnmächtig werden, machen sie mich nur langsamer. Alleine schaffe ich’s schneller.«

»Nimm wenigstens einen Wagen und eine der Sauerstoffflaschen mit, für den Fall, dass es bei dir eng wird.«

»Ohne komme ich doppelt so schnell voran. Bis später.«

Er wünschte, er hätte ihr einen Kuss geben können, begnügte sich stattdessen aber mit einer zärtlichen Umarmung. Dann wandte er sich ab und machte sich auf den Weg zum Turm der Einschienenbahn. Er bewegte sich mit raumgreifenden Sprüngen vorwärts, sich der Gefahr des Stürzens bewusst, doch viel zu sehr in Angst, dass es zu spät sein könnte, wenn er sein Tempo verlangsamte.

Einmal, auf der Highschool, hatte er an einem Marathon teilgenommen. Er hatte dabei gemeint zu sterben. Die gegenwärtigen Strapazen riefen ihm dieses frühere Erlebnis ins Gedächtnis zurück. Während er über das lunare Ödland vorwärtssprang, begannen seine Muskeln von Ermüdungsgiften zu schmerzen, und er schnappte keuchend nach Luft. Der Herzschlag pochte donnernd in seinen Schläfen. Die Luft, die der Anzug auf seinen Nacken blies, erschien ihm nicht länger als kühl. Während er weitertrabte, begann die Temperatur in seinem Anzug anzusteigen. Er sehnte sich nach dem tiefen Frost der Eisebenen Donnerschlags zurück.

Noch einen Kilometer vom Ziel entfernt, entdeckte er im Augenwinkel einen schwachen Lichtschimmer. Als er in diese Richtung blickte, sah er die zwölf Kabinen der Einschienenbahn lautlos die gegenüberliegende Böschung der Senke hinunterfahren. Die Kette der Bierdosen verlangsamte und fuhr in die Station ein. Er wartete nicht länger, um mehr zu beobachten, sondern verdoppelte seine Anstrengungen und stürmte mit Riesensätzen über die felsige Landschaft. Sein Kopf wurde mit jeder Minute, die verstrich, leichter, und ihm wurde klar, dass seine Kräfte nicht mehr lange reichen würden.

Endlich gelangte Thorpe auf die Kuppe einer kleinen Erhebung und sah hundert Meter vor sich die Bahn auf ihrer einzigen dünnen Schiene liegen. Er konnte das flexible Druckrohr erkennen, das an der vorderen Luftschleuse der Bahn befestigt war, und eine Anzahl von Gestalten in Raumanzügen, die davor herumliefen.

Er rief einmal, dann fühlte er seine Beine unter sich nachgeben. Den Aufprall spürte er nicht, als er zu Boden stürzte. Stattdessen nahm er als Nächstes wahr, dass sich jemand über ihn beugte und durch sein Visier spähte.

»Mr. Thorpe, nicht wahr?«, fragte Vern Hadley, der Eigentümer der kleinen Siedlung.

Thorpe nickte.

»Wo sind die anderen?«

»Fünf Kilometer weiter draußen. Sie mussten vor der Hitze Zuflucht suchen. Ich bin gekommen, um bessere Anzüge für sie zu holen.«

Hadleys Antwort war unerwartet. Er lachte.

Das Dröhnen in Thorpes Kopf wollte nicht aufhören. »Was ist denn so lustig?«

»Tut mir leid«, antwortete der raubeinige Unternehmer aus dem Niemandsland. »Ich hätte es Ihnen früher sagen sollen. Die Bahn hat Anweisung von Luna City, auf Ihre Gruppe zu warten. Sie haben auch einen kleinen Traktor mitgebracht. Wir wollten gerade aufbrechen und Sie suchen.«


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