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NACHRICHTENMELDUNG:

UNIVERSAL FAX, DEN HAAG, VEREINTES EUROPA – 15. JAN 2086


HALVER SMITH, BEKANNTER AMERIKANISCHER UNTERNEHMER, BESUCHT HEUTE DEN HAAG. ER WIRD MIT CONSTANCE FORBIN, CHEFKOORDINATORIN DES SYSTEMRATES, IN IHREM NEUEN BÜRO IM RIDDERZAAL ZUSAMMENTREFFEN. OBWOHL DER GEGENSTAND IHRER GESPRÄCHE NICHT ÖFFENTLICH GEMACHT WURDE, VERLAUTET AUS KREISEN DER RATS-BÜROKRATIE, SMITH WERDE SICH UM DIE UNTERSTÜTZUNG DER CHEFKOORDINATORIN FÜR EINE INTERNATIONALE VEREINBARUNG ÜBER EXTRATERRESTRISCHE ZOLLGEBÜHREN BEMÜHEN, WIE SIE AUF METALLE AUS DEM ASTEROIDENBERGBAU ERHOBEN WERDEN. MAN ERWARTET KEIN KOMMUNIQUÉ IM ANSCHLUSS AN DAS TREFFEN.

ENDE

Constance Forbin saß in ihrem Büro im fünfzigsten Stock und schaute aus dem Fenster auf Den Haag hinaus. In der Ferne lag der historische Stadtkern einschließlich des Binnenhofs und des Hovijver Teichs. Der Teich war hinter den Reihen imposanter Gebäude nicht zu erkennen, doch die kahlen Äste der Bäume am Rande des Kanals reckten sich wie eine randomistische Skulptur von Anfang des Jahrhunderts in den bleiernen Himmel. Der über Nacht gefallene Schnee bedeckte die Straßen und Parks der ehemaligen Hauptstadt der Niederlande und lag in hohen Haufen, wo er vom steilen Dach der alten Burg heruntergerutscht war. An einem Dutzend Stellen in der Altstadt markierten orangefarbene Blinklichter die Positionen der Schneeräumungsroboter. Die Geräte waren die ganze Nacht unterwegs gewesen und hatten einen aussichtslosen Kampf geführt, um die Straßen freizuhalten. Jetzt, da es aufgehört hatte zu schneien, würden sie die Stadt rasch wieder ausgraben. Innerhalb von achtundvierzig Stunden würden in der Stadt alle Spuren des eben vorbeigegangenen Schneesturms beseitigt sein.

Das ansonsten tiefschwarze Haar der fünfzigjährigen Constance Forbin wies eine charakteristische graue Strähne auf. Ihr Kostüm war auf eine Art streng geschnitten, die ihrer Figur schmeichelte, die, wie selbst Constance zugeben musste, einen Anflug von Plumpheit hatte. Sie lächelte, als sie auf den Park hinunterspähte, der vor dem New Ridderzaal-Tower lag. Im Sommer war dort ein Meer von Grün, und es wimmelte von Blumenbeeten und den einfachen Grünpflanzen, mit denen die Holländer ihre Landschaft verschönerten. Im Moment war es eine öde weiße Fläche, die an den salzverkrusteten Meeresboden erinnerte, der dieses ganze Gebiet einst gewesen war. Zwei Kinder durchquerten den Park in diagonaler Richtung und hinterließen mit dem Schlitten, den sie hinter sich herzogen, eine breite Fährte. Näher dem Büroturm zu tauchte von einem Moment zum andern eine Fußgängermenge aus der U-Bahnstation. Die Mehrheit der vermummten Pendler eilte über die windgepeitschte Straße und in die Wärme des Hauptgebäudes des Systemrates für internationale und interplanetarische Angelegenheiten.

Der Rat war zur Jahrhundertwende als eine der letzten Schöpfungen der Vereinten Nationen gegründet worden, bevor sie aufgelöst wurden. Er hatte das Mandat erhalten, einen Blick auf Dinge zu werfen, die ein Jahrhundert später Bedeutung gewinnen sollten. Die Aufgabe des Rates bestand darin, Trends zu untersuchen, vorherzusagen, wohin sie führen könnten, und Empfehlungen zu geben, was, wenn überhaupt, daran zu ändern sei.

Trotz der Auflösung seiner Mutterorganisation hatte sich der Rat günstig entwickelt. Auch wenn seine Arbeit weiterhin von den größeren terrestrischen Nationen und der Republik Luna finanziert wurde, war der Rat doch niemandem verpflichtet. Für den Rat wurde man auf spezielle Einladung hin tätig. Die normale Vorgehensweise des Rats bestand darin, eine kleine Arbeitsgruppe von Experten einzurichten, die auf einem bestimmten Gebiet über Kenntnisse verfügten. Diese Gruppen wurden aus Gründen der Effizienz klein gehalten, doch sie waren groß genug, um geistige Inzucht zu verhindern. Die Gruppendiskussionen wurden für gewöhnlich mittels Konferenzschaltung und über Computernetze durchgeführt, obwohl auch persönliche Treffen nicht unüblich waren.

Wenn eine Arbeitsgruppe ihren Auftrag erfüllt hatte, wurden ihre Empfehlungen an die zentrale Datenverarbeitung übermittelt. Dort waren sie ein ganzes Jahr lang jedermann zugänglich, um den zehntausend ›Beratern‹ des Rates Gelegenheit zu Kommentaren und Kritik zu geben. Erst wenn sämtliche Vorschläge und Einwände berücksichtigt worden waren, wurde eine Empfehlung vom ganzen Rat gebilligt. In Übereinstimmung mit dem halb offiziellen Status der Organisation, war eine solche Empfehlung für niemanden verbindlich. Dennoch wurden die meisten von ihnen von zahlreichen Nationen rasch als offizielle Politik übernommen. So groß war die Autorität des Systemrates.

Constance Forbin gehörte an sich nicht dem Rat an. Genau genommen war sie eine seiner Angestellten. Sie und 3000 andere Bedienstete unterstützten die Arbeitsgruppen in dministrativen Belangen und sorgten dafür, dass sie ungestört nachdenken konnten. Als Chefkoordinatorin war es ihre Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Arbeit unparteiisch geleistet wurde, dass Meinungsverschiedenheiten offen ausdiskutiert wurden und dass Minderheitsmeinungen Gehör fanden. Sie überwachte außerdem die verschiedenen supranationalen Dienstleistungsorganisationen, die im Laufe der Zeit unter die Kontrolle des Rates gefallen waren, von denen Sky Watch und das Erdbeben-Prognose-Zentrum die wichtigsten waren. Und natürlich war es ebenfalls die Aufgabe der Chefkoordinatorin, sich um die Öffentlichkeit zu kümmern.

Constances Vergnügen an der Winterszene wurde plötzlich vom Summen der Sprechanlage gestört. »Professor Hardesty ist eingetroffen, Madame Forbin.«

»Bitte schicken Sie ihn rein.«

Die Tür öffnete sich, und ein Mann mit krummem Rücken hinkte herein. »Ein glückliches neues Jahr, Constance. Und wie geht es der Chefkoordinatorin an diesem wunderschönen Wintermorgen?«

»Nicht schlecht, Franklin. Wie geht es dem Direktor von Sky Watch?«

»Könnte nicht besser gehen«, antwortete er. »Bin gestern gerade rechtzeitig vor dem Unwetter angekommen und habe den ganzen Abend beobachtet, wie es schneit. Ich stamme aus Kalifornien, und es kommt mir immer irgendwie unnatürlich vor, weiße Flocken vom Himmel fallen zu sehen.«

»Sie sollten hier leben, so wie ich während der letzten zwanzig Jahre. Der Reiz des Neuen lässt rasch nach. Es ist schade, dass es so bedeckt ist. Die Meteorologen meinten, es würde heute aufklaren. Sieht so aus, als hätten sie sich geirrt.«

»Geschieht ihnen ganz recht. Wir haben ein paar Wettertypen an Bord der Newton Station, die eindeutig zu viel Zeit mit Selbstbeweihräucherung verbringen. Eine Portion mehr Bescheidenheit würde denen allen nicht schlecht bekommen. Also dann, warum konnten wir das nicht wie sonst über Konferenzschaltung erledigen? Was ist denn so wichtig, dass ich persönlich runterkommen musste? Ich bekomme Plattfüße von dieser Schwerkraft!«

»Ich weiß nicht. Sie haben schon von Halver Smith gehört, nicht wahr?«

»Natürlich. Seine Erztransporte verursachen mir die größten Kopfschmerzen. Haben Sie eine Ahnung, wie viel Rechenzeit wir verbrauchen, um die Flugschneisen für Smiths Koffer freizumachen? Das letzte Mal, als er eine seiner Millionen-Tonnen-Monstrositäten abgeliefert hat, waren meine Leute verdammt nahe daran, die Sicherheitszone einer dieser großen Komm-Stationen zu verletzen. Ich habe mehrere Verweise wegen dieses Vorfalls erteilt. Was ist mit Smith?«

»Wir werden ihm in ein paar Minuten begegnen«, antwortete Constance.

»Weshalb?«

»Ich wünschte, ich wüsste es. Professor Kanzler von der Universität von Kalifornien hat das Gespräch arrangiert. Er hat mich zu Hause angerufen, mir gesagt, dass ich unbedingt mit Smith sprechen müsste und darum gebeten, dass Sie persönlich anwesend sind. Kanzler legt sehr viel Wert darauf, dass die Besprechung nicht über Komm geführt wird.«

»Damit sind wir auch nicht schlauer. Immerhin, Erwin ist ein guter Mann. Ich glaube, er hätte nicht darum gebeten, wenn es nicht wichtig wäre.«

»Das dachte ich mir auch«, sagte Constance. »Ich wünschte nur, er wäre mir gegenüber etwas offener gewesen. Er war offensichtlich wegen irgendetwas aufgeregt. Ich hatte den Eindruck von noch einer anderen Emotion unter der Oberfläche. Es war beinahe so, als hätte er vor irgendetwas Angst gehabt.«


Halver Smith saß im Fond der Hotellimousine und spähte auf die schneebedeckten Straßen hinaus. Obwohl ihn die Anspannung der letzten beiden Wochen todmüde gemacht hatte, blickte er verwundert zu der schmucken holländischen Stadt unter ihrer Decke aus frisch gefallenem Weiß hinaus. Er hatte sich in letzter Zeit öfters dabei ertappt, dass er etwas mit Verwunderung betrachtete – und zwar seitdem Professor Kanzler die Voraussagen von Amber Hastings bestätigt hatte. Es war nicht sicher, ob der Komet Hastings die Erde treffen würde, doch die ahrscheinlichkeit war hoch genug, um sich deswegen Sorgen zu machen.

Das Wissen darum, dass der Planet möglicherweise verloren war, hatte auf Smith die Wirkung einer injizierten Droge. Es war, als hätte jeder einzelne seiner Sinne eine neue Schärfe erlangt. Mit einem Mal barg beinahe jeder Anblick Schönheit in sich. Mit jedem Atemzug erschnupperte er einen neuen Duft. Während der letzten Tage hatte Smith einem Kind beim Ballspiel zugeschaut, hatte angehalten, um die Rundungen einer jungen Frau zu betrachten, die über den Gehsteig gegangen war, und hatte einen Falken bewundert, der sich in den Luftströmungen vor seinem Penthouse-Büro auf und ab schwingen ließ.

»Mr. Smith?«, fragte eine ernste junge Frau in der Amtstracht der uniformierten Ratsbediensteten.

»Ja«, erwiderte er und strich sein windzerzaustes Haar zurück.

»Ich bin Mrs. Voorstadt. Koordinatorin Forbin erwartet Sie in ihrem Büro. Wenn Sie mir bitte folgen würden?«

»Natürlich.«

Die Führerin brachte ihn zu einer zentral gelegenen Fahrstuhlwand, und innerhalb von Sekunden befand sich Thorpe im fünfzigsten Stock. Zum Vorzimmer der Koordinatorin waren es nur ein Dutzend Schritte. Die Sekretärin benachrichtigte ihre Vorgesetzte, dann sagte sie ihm, er könne hineingehen.

Constance Forbin trat ihm an der Tür entgegen. Ihr Händedruck war überraschend fest. Sie führte Smith zu einem Sessel vor ihrem Schreibtisch und machte ihn mit Franklin Hardesty bekannt, Direktor von Sky Watch.

»Es war richtig von Ihnen, dass Sie mir auf Ihrem vollen Terminkalender einen Platz eingeräumt haben, Madame Forbin«, sagte Smith. »Das Gleiche gilt für Sie, Mr. Hardesty.«

»Begleitet Sie denn Professor Kanzler nicht, Mr. Smith?«, fragte Hardesty.

»Leider nein. Sein Arzt wollte ihn nicht fliegen lassen.« Smith klopfte auf die Stelle seines Anzugs, wo die Innentasche lag. »Er hat eine Aufzeichnung mit seinen Ansichten mitgeschickt.«

»Seine Ansichten worüber?«

»Also, Franklin«, sagte Constance Forbin. »Wir wollen unseren Gast doch willkommen heißen, bevor Sie ihn in die Mangel nehmen, oder? Kaffee oder Tee, Mr. Smith?«

»Nein, danke. Ich habe gerade eben gefrühstückt. Ich fürchte, ich habe mich noch nicht an die Zeitverschiebung gewöhnt.«

»Dieses Problem hatte ich nicht«, sagte Hardesty. »Die Newton Station hat Weltzeit, das auch die nächste Zeitzone im Westen ist.«

»Ja«, antwortete Smith. »Professor Kanzler sagte mir, dass Sie aus dem Orbit herunterkommen würden. Ich hoffe, wir haben Ihnen nicht allzu viele Ungelegenheiten bereitet.«

»Hängt davon ab, was Sie zu sagen haben.«

»Dann fangen wir also an?«, fragte die Koordinatorin.

Smith nahm seinen Aktenkoffer, legte ihn sich flach auf den Schoß und holte zwei dicke Stapel Papiere heraus, die in einzelnen Sicherheitsbehältern untergebracht waren. Er tippte das Passwort in die dünnen Keypads ein, die sich an der Vorderseite jedes der buchartigen Behälter befanden. Mit dem letzten Signal wurde eine elektrische Spannung an das Spezialpapier in seinem Innern angelegt, wodurch die Umhüllung zerstört wurde, die andernfalls in Flammen aufgegangen wäre, wenn man sie dem Licht ausgesetzt hätte. Nachdem er dafür gesorgt hatte, dass die Berichte in Sicherheit waren, öffnete er die Behälter mit einer schwungvollen Gebärde und reichte jedem seiner Zuhörer einen.

»Koordinatorin Forbin. Direktor Hardesty«, sagte Smith. »Wenn nichts unternommen wird, um es zu verhindern, wird der Komet Hastings am 17. Juli des nächsten Jahres auf die Erde treffen. Von Experten habe ich erfahren, dass die Wucht des Zusammenpralls alles höhere Leben auf Erden auslöschen wird.«

Es entstand ein unbehaglich langes Schweigen, das Constance Forbin als Erste brach. »Sie sind ierhergekommen, Mr. Smith, um das Ende der Welt anzukündigen

»Ich fürchte, ja.«

»Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viele Leute im Laufe der Jahrhunderte das Gleiche behauptet haben?«, fragte Hardesty. Sein Ton ließ deutlich erkennen, was er von Smiths Ankündigung hielt.

»Millionen.«

»Warum sollten wir Ihnen mehr Glauben schenken als einem von ihnen?«

»Ich kann meine Behauptung beweisen.«

»Wie?«

»Mit dem Material, das ich Ihnen soeben gegeben habe.«

Während die beiden die Berichte durchblätterten, fasste Smith die Daten für sie zusammen. Er beschrieb die enge Begegnung des Kometen mit dem Jupiter und den Orbit, in den er dadurch geworfen worden war. Er sprach von dem nahen Vorbeiflug am Mond, der dazu führen würde, dass der Kern zur Erde hin abgelenkt werden würde.

»Und das glauben Sie?«, fragte Hardesty, als Smith geendet hatte. Der Direktor von Sky Watch starrte auf eine Orbitaltabelle, auf der die relativen Positionen des Kometen Hastings und der Erde für die nächsten achtzehn Monate aufgeführt waren.

»Zunächst habe ich gezögert. Aus diesem Grund habe ich mich mit Professor Kanzler in Verbindung gesetzt. Er hat eine unabhängige Überprüfung der Daten vorgenommen und bestätigt hiermit, dass eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für eine Kollision gegeben ist.«

Hardesty fixierte Smith mehrere Sekunden lang, dann schüttelte er heftig den Kopf. »Was Sie da behaupten, ist einfach zu phantastisch. Entweder ist das der tollste Dreibanden-Billard-Stoß aller Zeiten, oder aber Gott versucht uns etwas zu sagen. Offen gestanden, mir gefällt keine der beiden Hypothesen besonders.«

»Die Zahlen liegen hier vor Ihnen.«

»Das wäre nicht das erste Mal, dass Zahlen für eine Ente frisiert werden.«

»Warum sollte ich mir einen solchen üblen Scherz erlauben?«

»Eine gute Frage«, antwortete Hardesty. »Ich habe Ihre Karriere verfolgt, Smith. Ich weiß, dass Sie durch die Publicity, die durch diese Expedition zum Kometen hervorgerufen wurde, eine Menge gewonnen haben. Vielleicht versuchen Sie, das Interesse anzufachen. Wenn Sie dieses Spiel spielen wollen, dann werden Sie der Verlierer sein. Die Manipulation von astronomischen Daten ist nicht so einfach wie die von Aktienkursen.«

»Dann können Sie die Richtigkeit dieses Materials überprüfen?«, fragte Constance, und schwenkte den Bericht vor Hardesty.

»Ganz einfach. Ich denke da an eine schnelle Überprüfung von Mr. Smiths Aufrichtigkeit, die wir hier in diesem Büro durchführen können.«

»Was meinen Sie, Franklin?«

»Um die Erde zu treffen, muss der Komet in derselben Ebene umlaufen. Wenn zwei Orbits nicht coplanar sind, können sie sich niemals überschneiden. Aus diesem Grund stellt der Halley’sche Komet keine Bedrohung für uns dar. Seine Umlaufbahn ist stark gegen die Ekliptik geneigt und überschneidet sich in keiner Weise mit der Umlaufbahn der Erde.«

»Ist das richtig, Mr. Smith? Müssen die Orbitalebenen gleich ausgerichtet sein, damit eine Kollision stattfinden kann?«

»Im Wesentlichen, ja«, antwortete Smith. »Es gibt einen Spezialfall, wo es dazu kommen kann, aber der hat für die vorliegende Situation keine Bedeutung. Der Komet Hastings läuft in der Tat in derselben Ebene um wie die Erde.«

»Das behaupten Sie«, erwiderte Hardesty. Er klopfte mit der flachen Hand auf das vor ihm liegende Diagramm. »Diesem Bild nach liegen alle Planetenumlaufbahnen in derselben Ebene. Das ist selbstverständlich falsch. Die meisten beschreiben Bahnen, die relativ zur Erde geneigt sind. Jupiter zum Beispiel bewegt sich beim Durchlaufen seines Orbits nicht weniger als siebzehn Millionen Kilometer über und unter der Ekliptik.«

»Was hat das mit Mr. Smiths Behauptung zu tun, Franklin?«

»Der Komet Hastings hat vor weniger als einem Monat Jupiter in einer Entfernung von einigen Planetendurchmessern passiert. Das bringt Jupiter in die Ebene der Umlaufbahn des Kometen. Wenn er zum Zeitpunkt des Zusammentreffens nicht gerade die Ekliptik durchflogen hat, dann bindet uns Mr. Smith einen Bären auf. Die Übereinstimmung muss übrigens vollkommen sein. Wenn sich der dicke Brocken nur ein paar Bogensekunden über oder unterhalb der Ekliptik befunden hat, dann fliegt der Komet vorbei.«

Constance Forbin lächelte. »Nun, dann lassen Sie uns herausfinden, wo sich Jupiter befunden hat.«

Hardesty erhob sich aus seinem Sessel und humpelte dorthin, wo sich neben dem Schreibtisch der Koordinatorin die Workstation befand. Nachdem er einige Sekunden lang Tasten gedrückt hatte, runzelte er die Stirn.

»Nun, Franklin?«

»Die gegenwärtige Deklination des Jupiter – seine Position relativ zur Ebene der Ekliptik – beträgt minus 0,002 Winkelgrade.«

»Wann hat er die Ekliptik tatsächlich gekreuzt?«, fragte Smith ruhig.

»Vor einem Monat«, musste Hardesty zugeben.

»Dann trifft Mr. Smiths Behauptung zu, Franklin?«

»Möglicherweise. Jedenfalls ist sie immer noch nicht sehr wahrscheinlich. Sie können sich nicht vorstellen, wie winzig ein Ziel wie die Erde ist, wenn man sich die riesige Weite des Raums vergegenwärtigt.«

»Stimmt das, Mr. Smith?«

»Vollkommen, Madame Forbin. Professor Kanzler bat mich, Folgendes zu betonen: Wir können nicht dafür garantieren, dass der Komet die Erde zu diesem Zeitpunkt treffen wird, sondern nur, dass er sie treffen könnte. Wir benötigen weitere Präzisionsmessungen der Orbitalparameter, um eine sichere Aussage machen zu können. Er schlägt vor, dass wir sie so rasch wie möglich durchführen. Wir müssen uns Sicherheit verschaffen, ehe es zu spät ist, etwas zu unternehmen.«


Donald Callas saß in seinem Büro auf dem Asteroiden Avalon und starrte zu einem schwarzen Himmel voller glitzernder Diamanten hinauf. Eines dieser Lichtpünktchen zog seine Aufmerksamkeit in besonderem Maße auf sich. Es war ein merkwürdig verlängerter Klecks, der hell genug war, um ein Nachbild zu hinterlassen. Callas stellte die Leuchtanzeigen über seinem Kopf dunkler und wühlte in den unteren Schubladen seines Schreibtischs nach seinem Fernglas. Nachdem er einen Moment lang an der Optik herumgespielt hatte, zeigte sich, dass der verlängerte Stern aus zwei nahe beieinander schwebenden Himmelskörpern bestand. Der kleinere von beiden verblasste beinahe neben dem größeren, der von leuchtender blauweißer Färbung war. Callas seufzte, während er Erde und Mond über einen Zehn-Millionen-Kilometer-Abgrund hinweg anstarrte.

Es lag fünf Jahre zurück, dass Callas das letzte Mal einen Fuß auf die Erde gesetzt hatte. Es kam ihm wie ein ganzes Leben vor. Zu dieser Zeit hatte sich Avalon kurz hinter der Umlaufbahn der Venus bewegt, wobei er sich gelegentlich dem totgeborenen Zwilling der Erde bis auf zwei Millionen Kilometer genähert hatte. Callas’ Aufgabe war es gewesen, den riesigen Asteroiden in eine Umlaufbahn zu befördern, die für den Abbau besser geeignet war. Ein halbes Jahrzehnt und ein Dutzend Kilogramm Antimaterie später kreiste Avalon in einem Abstand von 140 Millionen Kilometern um die Sonne. Die Umlaufbahn des Asteroiden bewirkte, dass er regelmäßig die Erde überholte. Avalon und das Erde-Mond-System hatten sich zweimal in Konjunktion befunden, seitdem die rbitalmodifizierung begonnen hatte. Jedes Mal waren Erde und Luna am schwarzen Himmel über Avalon größer, heller und schöner geworden.

In zwei Jahren würde sich Avalon der Erde mit ausreichend hoher Geschwindigkeit nähern, dass er den Planeten in einer sanften S-förmigen Kurve umrunden würde. Dann würde ein kompliziertes Manöver folgen, in dessen Verlauf Erde und Luna den widerspenstigen Asteroiden einfangen würden. Avalons Anfangsorbit um die Erde würde stark elliptisch sein und sich in der einen Richtung bis zum Mond erstrecken und in der anderen bis auf geosynchrone Höhe hinabkrümmen. Die dem Einfangen folgenden Monate und Jahre würde man darauf verwenden, die Umlaufbahn des Asteroiden zu runden. Keines dieser Manöver würde jedoch Callas noch im Mindesten betreffen. Sein Vertrag würde in dem Moment erfüllt sein, wenn Avalon seinen ersten Umlauf um die Erde abgeschlossen hatte. Einmal rund um Mutter Erde, und er würde als reicher Mann nach Hause zurückkehren, und niemals wieder fortgehen.

Callas starrte noch mehrere Minuten lang auf die wunderbare blauweiße Welt, die tief über dem öden Horizont des Asteroiden stand. Schließlich ließ er seufzend sein Fernglas sinken und stellte die Beleuchtung wieder hoch. Die vollkommene Schwärze hinter der Fensterscheibe kehrte zurück. Er wandte sich wieder den endlosen Mängellisten zu, die sein persönliches Fegefeuer waren.


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