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Die zweite Passage der Admiral Farragut durch den Strahlungsgürtel war bei weitem nicht so angenehm, wie es die erste gewesen war. Zum einen dauerte sie länger. Sich im Orbit über Callisto aufzuhalten bedeutete, am gemächlichen Umlauf des Mondes um den riesigen Planeten teilzunehmen. Bei Callistos Abstand von Jupiter dauerte die Passage siebzig Stunden.

Außerdem war die dreitägige Isolation im Sturmbunker nicht der einzige Unterschied. Seit alle aufgeweckt worden waren, gab es sieben Personen mehr, atmende Körper, die sich in dem engen Raum drängten. Um Platz zu schaffen, hielten sich die meisten Expeditionsteilnehmer so lange in ihren Kälteschlaftanks auf, bis sie Arbeiten zu erledigen hatten, bei denen sie sich umherbewegen mussten. Die Mahlzeiten waren ein wüstes Durcheinander, bei dem jedermann sein Essen vor Ellbogen, Knien und Hinterteilen zu schützen versuchte. Amber begann der Geruch von zu vielen Menschen und zu vielen Maschinen auf zu kleinem Raum aufzufallen. Ihre unbequeme Lage wurde durch die Essensdüfte und den unappetitlichen Geruch der einzigen Toilette noch verschlimmert.

Die letzten acht Stunden waren die schlimmsten. Jedermann beobachtete die Uhr, wie sie die Minuten bis zur Freiheit herunterzählte. Kapitän Olafsons Durchsage, dass die äußeren Strahlendetektoren endlich schwiegen, wurde von lauten Beifallrufen gefolgt. Die Echos waren kaum verhallt, als sich der Strom zerzauster Menschen auch schon in die Außendecks ergoss.

Kapitän Olafson ließ ihren Passagieren und der Crew eine Stunde Zeit, um sich zu erholen. Nach Ablauf dieser Frist hatte so gut wie jeder an Bord feuchtes Haar, trug einen frischen Overall und roch nach Seife und Creme. Auf ihrer Liege im Kontrollraum festgeschnallt, beobachtete Karin Olafson den Wasserverbrauch. Die Rückkehr zu normalen Werten war ihr Signal, die erste Beschleunigungswarnung durchzugeben. Eine Viertelstunde später wurde Callisto unter der Admiral Farragut zum letzten Mal kleiner. Der Frachter war auf dem Weg zu seinem eigentlichen Ziel, gleich hinter der Umlaufbahn des Ganymed.


»Sprechprobe, Uhrenvergleich«, sagte Amber in ihr Helmmikrofon.

Nach sieben Sekunden erreichte sie Radha Rajapurs Stimme: »Die Verständigung ist gut. Wenn ich ›jetzt‹ sage, ist es 21:16:00 Uhr. Jetzt!«

Amber blickte auf das Chronometer, addierte die dreieinhalb Sekunden Zeitverzögerung hinzu und nickte. Ein Zeitvergleich über Sprechfunk war kein Ersatz für die unaufhörlich zwischen dem Schiff und der Station hin-und hergehenden Funksignale. Aber es diente doch immerhin als Bekräftigung dafür, dass die Computer die Synchronisation auch wirklich durchgeführt hatten.

Sie bestätigte Rajapurs Durchsage, dann wandte sie sich Cragston Barnard an ihrer Seite zu. »Die Sprechverbindung ist hergestellt, Dr. Barnard.«

»Und die Datenleitung?«

Amber tippte eine Reihe von Kommandos in ihr Computerterminal und beobachtete die Reaktion auf dem Monitor. »Alle Datenverbindungen arbeiten normal«, sagte sie nach wenigen Sekunden.

»Aufzeichnungskuben?«

»Eingeschaltet. Wir arbeiten mit dreifacher Redundanz.«

»Positionsprogramm?«

»Ist geladen und kann gestartet werden.«

»Sehr schön. Lassen Sie uns ein paar manuelle Beobachtungen durchführen, bis das automatische Programm startet. Rufen Sie den Kapitän und lassen Sie sie die Kontrolle an uns übergeben.«

Amber rief den Kontrollraum und gab Barnards Bitte weiter. Nach ein paar Sekunden machte der Kapitän eine Durchsage, dass das Schiff rasche Positionswechsel vollführen würde und dass sich Passagiere und Crew mit Vorsicht bewegen sollten. Als dies getan war, teilte sie Amber mit, es stünde ihr frei, das Schiff in Rotation zu versetzen.

Zwei kurze Stöße der Manövrierdüsen richteten das Teleskop auf den Kometen aus. Ein weiterer Befehl brachte das Gesichtsfeld des Teleskops auf ein Maximum. Die geisterhafte Koma des Kometen füllte den Schirm. Während der vergangenen zwei Wochen war der milchig weiße Ball kontinuierlich heller geworden. Der Komet hielt sich schon eine ganze Weile im Jupitersystem auf und hatte die innenliegenden Umlaufbahnen von Himalia und Leda überquert, als die Admiral Farragut in den nachschleppenden Strahlungsgürtel eingedrungen war. Jetzt war er weniger als fünf Millionen Kilometer von dem riesigen Planeten entfernt, und seine sichtbare Koma war auf nahezu eine Viertelmillion Kilometer angewachsen.

»Lassen Sie uns eine Messreihe über alle Wellenlängen aufnehmen. Es sieht so aus, als ob es entlang der Vorderseite eine Störung geben würde.«

Amber gab ein, dass das ganze Spektrum des Kometen aufgezeichnet werden sollte, dann blickte sie auf den Bildschirm. Tatsächlich begann der einheitliche Gasball an den Rändern Fortsätze zu bilden. Im Vergleich zum interplanetarischen Raum war das Jupitersystem voller Atome, Moleküle, Gas-und Staubteilchen. Die Zahl der gemessenen Mikrometeoriten lag um mehrere Größenordnungen über der im freien Raum.

Je tiefer die Kometenkoma in das System eindrang, desto häufiger fanden Zusammenstöße mit Treibgut statt. Die Folge davon war eine deutliche Abflachung ihres vorderen Randes. Was eine nahezu vollkommene Kugel gewesen war, verwandelte sich rasch in eine abgestumpfte Träne. Eine dünne Druckwelle angeregter Partikel nahm 100.000 Kilometer vor dem Kometen Gestalt an. Das Verhalten dieser Druckwelle würde den beobachtenden Wissenschaftlern ebenso viel über den jupiternahen Raum verraten wie über die Struktur des entstehenden Kometen.

Als die multispektralen Aufnahmen fertiggestellt waren, ordnete Barnard an, den ersten genaueren Blick auf den Kern zu werfen. Obwohl der Komet immer noch eine Reihe von Flugstunden entfernt war, war die Zeit gekommen, sich um die Einzelheiten seiner Oberfläche zu kümmern. Wenn der Komet erst einmal hinter dem Jupiter dahinflog, würde er sich zwischen dem Schiff und der Sonne befinden. Den Astronomen an Bord der Admiral Farragut würde der Kern als winzige Sichel erscheinen, als winziger Lichtsplitter mit einer zu kleinen beleuchteten Oberfläche, um Einzelheiten darauf auszumachen.

Als Barnard die Vergrößerung des Teleskops heraufsetzte, schwoll der Lichtball an, bis seine Ränder über den Bildschirm hinausflossen. Mit der Erhöhung der Vergrößerung ging eine Verminderung der aufgefangenen Lichtmenge einher. Die automatische Kontrastregelung kompensierte einen Teil des Verlustes, konnte ein leichtes Dunklerwerden des Bildschirms jedoch nicht verhindern.

Nach dreißig Sekunden hatten sie die maximale Vergrö ßerung erreicht. In der Mitte des Bildschirms befand sich eine winzige Scheibe. Barnard tat etwas, um den Kontrast zu verbessern, und auf einmal zeigte sich auf dem Objekt ein Fleckenmuster, wo vorher keins gewesen war. Da war auch eine Andeutung von Strahlen, die vom Kern in die umgebende Gaswolke ausströmte, so als dampften von dem Eisball unsichtbare Materieströme ab.

»Da ist Ihr Namensvetter, Amber. Froh, dass Sie mitgekommen sind?«

Sie beugte sich gespannt vor, die Sitzgurte, die sie am Wegschweben hinderten, drückten an Brust und Schultern. Nachdem sie das Bild eine halbe Minute lang betrachtet hatte, seufzte sie. »Letzte Woche habe ich mich das manchmal selbst gefragt, Crag. Aber jetzt … Um nichts in aller Welt hätte ich diesen Anblick versäumen mögen!«


Während Amber und Barnard mit ihren Beobachtungen beschäftigt waren, sahen ihnen die meisten anderen Wissenschaftler dabei mittels Bord-InterKom über die Schultern. Karin Olafson nutzte die Zeit, um sich mit ihrem Ehemann im Kontrollraum zu beraten. Es ging um den Zustand ihres Schiffes nach der zweiten Passage durch die Strahlungsgürtel des Jupiter.

»Glaubst du, sie kann noch eine weitere Dosis verkraften, Stinky?«

Chefingenieur Stormgaard nickte langsam. Der Kapitän betrachtete dabei die Narbe an seiner Schläfe, wo er vor Jahren von einem explodierenden Flügelrad verletzt worden war. Seitdem war die Narbe ein verlässlicher Indikator seiner jeweiligen Stimmung. Wenn Kyle ruhig war, war die Narbe fast unsichtbar, doch wenn er aufgebracht oder besorgt war, hob sie sich blässlich von der übrigen Haut ab. Zu ihrer Erleichterung vermochte sie sie kaum zu sehen.

»Wir sind in erstaunlich guter Verfassung hindurchgekommen«, antwortete er. »Wir werden eine hübsche Anzahl von Elektronikbauteilen ersetzen müssen, wenn wir hier erst mal wohlbehalten raus sind, aber das ist nichts, womit wir nicht zurechtkämen.«

Sie waren beide durch Sicherheitsleinen lose mit ihrer jeweiligen Liege verbunden, schwebten ansonsten aber frei unter der Kuppel. Schon viele Male hatten sie sich dort auf den Liegen geliebt, über sich eine riesengroße Erde und einen bodenlos schwarzen Himmel. Schwebend hielten sie einander mit der unbewussten Entspanntheit der lange Verheirateten bei den Händen.

»Was ist mit diesen kaputten Maschinenkontrollschaltungen? Sollen wir sie ersetzen, bevor wir diesem verdammten Kometen hinterherjagen?«

Stormgaard schüttelte den Kopf. »Nein, es sei denn, wir hätten vor, noch eine weitere Runde um Jupiter zu drehen. Schmidt oder Rodriguez müssten in den Anzug und rausgehen. Ich möchte nicht draußen sein, wenn die Astronomen plötzlich beschließen, in eine andere Richtung gucken zu wollen.«

Sie nickte. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Crewmitglied von einer der Korrekturdüsen zerstrahlt werden könnte, war zu groß, um jemanden während der Teleskopbeobachtungen hinauszulassen. Bevor jemand die Sicherheit des Habitatmoduls verließ, wollte sie die Düsen erst wieder unter ihrer persönlichen Kontrolle haben.

Das Schemadiagramm auf dem Nebenschirm zeigte eine Serie von farbigen Rechtecken, die durch komplizierte Linienmuster miteinander verbunden waren. Jedes Rechteck hatte mindestens eine verborgene Bedeutung; manche hatten mehrere. Außerdem war das Diagramm nicht statisch. Sogar jetzt beim Zusehen veränderte einer der Kästen seine Farbe und erhielt einen neuen Code. Der Kapitän war relativ geschickt im Lesen der Symbole, doch der Erste Ingenieur war der Experte in der Familie.

Kyle Stormgaard hatte die Elektronikwissenschaften vor langer Zeit zu seinem Spezialgebiet gemacht, sogar bis zu dem Punkt, dass er ihre Geschichte und Entwicklung studierte. Die Geschichte der Elektronik, hatte er seiner Frau oft erklärt, war eine Entwicklung voller Widersprüche. Erfindungen von exponentiell zunehmender Komplexität hatten irgendwie immer simplere Formen der Anwendung hervorgebracht. Zu Beginn der Entwicklung des Fachs war jedes funktionelle Element durch einen einzigen diskreten Baustein repräsentiert worden. Widerstände, Kondensatoren, Spulen, Vakuumröhren, Dioden und Transformatoren waren alle mühsam von Hand zusammengebaut worden. Später hatte man die Verdrahtung von Hand durch gedruckte Schaltungen und die Vakuumröhren durch Transistoren ersetzt. Nach nur wenigen Jahrzehnten hatten die Transistoren integrierten Plastikschaltungen mit dem Aussehen von Küchenschaben Platz gemacht und danach der kurzlebigen Technologie der Oberflächenpunktierung.

Dann hatte jemand zu Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts die endgültige integrierte Schaltung entwickelt, die so programmiert werden konnte, dass sie jede beliebige Schaltung simulierte. Welche Funktion die Schaltung ausübte, hing dabei von der Software ab. Sobald diese ›virtuellen Funktionen‹ einmal in die Schaltung einprogrammiert waren, konnten sie von einem Moment zum anderen verändert werden. Damit war das ›elektronische Multifunktionsmodul‹ geboren.

Anstelle von Tausenden spezialisierter Chips bestand die elektronische Ausstattung der Admiral Farragut aus ein paar Dutzend Geräten zur Stromversorgung, die mit Millionen identischer Module verbunden waren. Der Hauptcomputer des Schiffes verfolgte in jeder Sekunde, was wohin ging, wobei er die Module je nach Bedarf programmierte und wieder umprogrammierte. Das System hatte den Vorteil, von Natur aus fehlerunempfindlich, redundant und selbstreparierend zu sein.

Dass sie überhaupt gewagt hatten, sich in die Strahlungsgürtel des Jupiter hineinzubegeben, war der grundlegenden Toleranz der Multifunktionsmodule zu verdanken. Wenn ein Modul ausfiel, sorgte der Computer automatisch für einen Ersatz, indem er andere Module umprogrammierte. Das Schiff würde so lange funktionieren, bis so viele Module beschädigt waren, dass der Computer nicht mehr in der Lage war, den Schaden zu kompensieren. Karin Olafson machte sich Sorgen, wann genau dieser Punkt erreicht sein würde.

»Wie wär’s, wenn wir eine kleine Aufräumaktion starten würden, sobald wir zu dem Kometen aufgeschlossen haben?«

»Gute Idee. Wir können die Hülle überprüfen und nachsehen, wie viele Kratzer wir beim Herumschwimmen in dieser Erbsensuppe abbekommen haben.«

»Wie lange dauert’s, bis wir wieder voll einsatzfähig sind?«

Stormgaard blickte auf die Anzeige, wo der gegenwärtige Stand der inaktiven Module aufgeführt war. »Vierzig Stunden, wenn wir uns auf die Crew verlassen. Vielleicht nicht mehr als zwanzig, wenn wir die Passagiere einspringen lassen.«

Karin Olafson nickte. »Alle außer den Astronomen. Ich habe das Gefühl, dass sie den nächsten Monat über alle Hände voll zu tun haben werden!«

Zwölf Stunden später waren Amber und Barnard mehr als beschäftigt. Sie waren aus dem Häuschen! Die Ereignisse folgten für das menschliche Begriffsvermögen zu rasch aufeinander. Wenn das Tempo einem Computer auch nur wenig ausmachte, war es doch für jeden frustrierend, der mit der Entwicklung Schritt zu halten versuchte.

Das Teleskop hatte gerade eben eine Serie von detaillierten Messungen der Kometenkoma im Infrarotbereich beendet. Fortwährende Zusammenstöße mit der dichten Umgebung des Jupiter begannen Staub und Gase zu erwärmen. Die Messungen würden später mit den Radarbildern der Forschungsstation Callisto korreliert werden, um minutiös die Auswirkungen der Passage auf die Struktur der Koma zu untersuchen.

»Achtung jetzt«, murmelte Barnard an niemanden im Besonderen gewandt, als die Serie an ihr Ende gelangte. Nach den neuesten Berechnungen betrug der kleinste Abstand zu Jupiter 1,62 Millionen Kilometer und würde in fünfzehn Minuten erreicht werden. »Wir bekommen gleich die letzten Aufnahmen vom Kern für mindestens einen Monat.«

Amber nickte. Das Bild hörte auf, von einem Punkt der gasförmigen Koma zum nächsten zu huschen. Obwohl es fest am Schiffsbug verankert war, besaß das Teleskop eine beschränkte Fähigkeit zur Verlagerung des Beobachtungswinkels, was dadurch erreicht wurde, dass die Auffangspiegel in der Mitte des wabenartigen Rahmens verstellt wurden. Um das Teleskop auf den Kern auszurichten, musste die Admiral Farragut jedoch um zehn Grad um ihre Querachse rotieren. Zunächst wurde jedermann an Bord von einem einzelnen langen Stoß der Steuerdüsen durchgerüttelt, dann ein weiteres Mal wenige Sekunden später, als der Computer die Rotation des Schiffes stoppte.

Während die durch das raue Manöver hervorgerufenen Vibrationen rasch erstarben, erschien der Kern klar und deutlich in der ildschirmmitte. Er hatte sich in einen dreiviertelvollen Miniplaneten verwandelt. Der Kopf des Kometen zwar zerschrammt, wie von riesigen Rissen durchfurcht. Auch war teilweise ein kreisförmiger Krater zu sehen. Die Risse und Krater deuteten darauf hin, dass der Komet Hastings in der Vergangenheit mit einem anderen Himmelskörper kollidiert war – irgendwann im Laufe der vergangenen Milliarden Jahre. Es konnte gut sein, dass dieser Zusammenstoß den riesigen Eisball zum ersten Mal sonnenwärts hatte taumeln lassen.

Was Amber sofort auffiel, war die Tatsache, dass die Oberfläche des Kometen immer noch unscharf war, wie durch eine Atmosphäre gedämpft. Der Effekt wurde durch die 100.000 Kilometer voller Gas und Staub bewirkt. Wenn die Koma auch ein sehr gutes Vakuum darstellte, verhüllte sie doch die kleineren Details des Kerns und ließ die Konturen der größeren verschwimmen.

»Rufen Sie Callisto und erkundigen Sie sich, wie man dort vorankommt.«

Zum zehnten Mal seit dem Umschalten auf Automatik rief Amber die Station. Auch diesmal dauerte es wieder sieben Sekunden, bis sie Antwort bekam.

»Hier Callisto, Admiral Farragut«, sagte Rajapur. »Sprechen Sie.«

»Wie kommen Ihre Bilder herein?«

»Ausgezeichnet«, schwärmte Rajapur. »Sie sollten die Wirbelmuster sehen, die wir zwischen der Koma und dem lokalen Medium erhalten. Man erkennt sogar die Kraftlinien des Magnetfeldes vom Jupiter. Wir werden den lokalen Feldgradienten genauer bestimmen können als jemals zuvor.«

»Und Ihre Entfernungsdaten?«

Die erwartete Pause verlängerte sich auf fast fünfzehn Sekunden.

»Musste die letzten Berechnungen reinholen«, erklärte er dann. »Sie können Ihren Leuten sagen, dass wir den Kern mit unserem Hochfrequenzradar innerhalb weniger Wellenlängen festgenagelt haben. Außerdem haben wir ihn kontinuierlich mit dem Normallaser bestrahlt. Das Echo kommt unterschiedlich gut, aber wenn er das System verlässt, müssten wir die Flugbahn bis auf wenige Zentimeter genau bestimmt haben. Und wie läuft es da unten, Admiral Farragut

Amber beschrieb Rajapur ihre eigenen Aufnahmen. Als sie damit fertig war, tauschten sie noch ein paar weitere Daten aus, bevor sie Schluss machten. Das ganze Gespräch, die Zeitverzögerungen mit eingeschlossen, hatte fünf Minuten gedauert.

Zehn Minuten später hatte sich das Bild auf dem Schirm deutlich verändert. Der kleine Mond war nicht mehr drei Viertel voll, sondern nur halb voll und begann zu schrumpfen. Barnard beobachtete intensiv die laufenden Ziffern in der unteren rechten Bildschirmecke.

»Das war’s!«, gab er bekannt. »Der Kern hat soeben den Punkt größter Annäherung durchflogen. Rufen Sie den Kapitän, und lassen Sie die Durchsage machen.«

Augenblicke darauf hallte Kapitän Olafsons Stimme durch das Habitatmodul: »Achtung, an alle! Dr. Barnard hat soeben bekanntgegeben, dass der Komet seine kleinste Entfernung zum Jupiter erreicht hat. Er bewegt sich von jetzt an aus dem System hinaus.«

Der Jubel war sogar durch die geschlossene Luke der Messkammer zu hören. Amber und Barnard beachteten den Lärm nicht. Sie hatten noch zu arbeiten.

Vier Stunden später starrte Cragston Barnard mit trüben Augen auf den winzigen, kleiner werdenden Flecken auf dem Bildschirm, dann wandte er sich mit dem schiefen Grinsen an Amber, das sie noch aus ihrer Universitätszeit kannte. »Das müsste es gewesen sein. Stellen Sie auf Automatik und lassen Sie uns etwas essen.«

Amber lehnte sich im Sitz zurück und streckte sich, um die Verspannungen aus ihren schmerzenden Muskeln herauszubekommen. Die Anspannung der letzten Stunden hatte ihr einen steifen Nacken eingebracht, und sie befand sich am Rande der Erschöpfung. Aber es war eine wohltuende Erschöpfung, wie sie auf eine Anstrengung folgte, die man besonders gut hinter sich gebracht hatte.

»Wie lange sollen wir noch weiter beobachten?«

»Mindestens noch zwei Stunden«, antwortete er. »Ich möchte ein paar gute Bilder von der Koma im Gegenlicht der Sonne haben. Wir können sie dann zu einer Serie zusammenfügen und den Aufbau der Turbulenzen im Gasbereich beobachten. Anschließend übergeben wir die Schiffskontrolle wieder an Kapitän Olafson, damit wir uns an die Verfolgung des Kerns machen können.«

Amber stöhnte.

Barnard runzelte die Stirn. »Was ist denn?«

»Dann müssen wir wieder in den Sturmbunker!«

Er nickte. »Es sei denn, Sie packen Ihre bleierne Unterwäsche aus.«

Sie löste den Sitzgurt und schwebte in die Luft. »Besorgen Sie sich allein etwas zu essen. Ich möchte mich frischmachen, so lange es noch geht.«


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