Kapitel 80

Eisen berühren

Ich lag wach und spürte Dennas Atem auf meinem Arm. Auch wenn ich gewollt hätte, hätte ich nicht schlafen können. Ihre Nähe erfüllte mich mit knisternder Energie und wohliger Wärme. Ich lag wach und genoss es, jeder Moment war kostbar wie ein Edelstein.

Dann hörte ich in der Ferne einen Ast brechen. Und noch einen zweiten. Kurz zuvor hatte ich nichts dringender gewollt, als dass der Draccus schnell an unserem Feuer erschiene. Jetzt aber hätte ich meine rechte Hand dafür gegeben, dass er sich noch fünf Minuten Zeit damit ließe.

Aber er kam. Ich löste mich vorsichtig von Denna. Sie regte sich kaum in ihrem Tiefschlaf. »Denna?« Ich rüttelte sie erst sacht, dann weniger sacht. Nichts. Es wunderte mich nicht. Es gibt kaum etwas Tieferes als den Schlaf der Dennerharzesser.

Ich deckte sie wieder zu und legte meinen Reisesack und den Sack mit dem Harz wie zwei Buchstützen links und rechts neben sie. Wenn sie sich im Schlaf umdrehte, würden die beiden Säcke sie aufhalten, bevor sie dem Rand des Grausteins nahe kam.

Dann ging ich zur anderen Seite des Steins und schaute nach Norden. Der Himmel war immer noch wolkenverhangen, und daher konnte ich außerhalb des Lichtkreises unseres Lagerfeuers nichts erkennen.

Vorsichtig ertastete ich die Schnur, die ich quer über die Oberseite des Steins gezogen hatte. Das andere Ende hatte ich an den Henkel des Holzeimers gebunden, der zwischen dem Feuer und den Grausteinen stand. Meine größte Sorge war, dass der Draccus den Eimer versehentlich zertrampeln könnte, bevor er dazu kam, ihn zu wittern. Falls diese Gefahr bestand, wollte ich den Eimer fortziehen und später erneut auswerfen. Denna hatte darüber gelacht und es als »Hühnerangeln« bezeichnet.

Der Draccus war nun auf der Hügelkuppe angelangt und stapfte mit viel Lärm durchs Gestrüpp. Am Rand des Lichtscheins unseres Lagerfeuers blieb er stehen. Seine dunklen Augen glühten rot, und das Rot fing sich auch auf seinen Schuppen. Er schnaufte und fing an, um das Feuer herumzuschleichen, wiegte dabei langsam den Kopf hin und her. Dann spie er einen blauen Flammenstoß, was, wie ich vermutete, als Gruß oder Herausforderung gemeint war.

Dann stürzte er in Richtung Feuer. Obwohl ich ihn nun schon geraume Zeit beobachtet hatte, war ich immer noch erstaunt, wie schnell sich diese riesenhafte Kreatur bewegen konnte. Kurz vor dem Feuer verharrte er, schnaufte noch einmal und kroch dann auf den Eimer zu. Der war zwar aus robustem Holz und fasste mindestens zwei Gallonen, sah aber neben dem riesigen Kopf des Draccus wie ein Teetässchen aus. Er schnupperte daran und stieß den Eimer dann mit der Schnauze um.

Der Eimer kullerte im Halbkreis, aber ich hatte das klebrige Harz fest hinein gepresst. Der Draccus trat einen Schritt vor, schnaubte noch einmal und nahm den Eimer ins Maul.

Ich war so erleichtert, dass ich beinahe vergessen hätte, die Schnur loszulassen. Sie wurde mir aus den Händen gerissen, als der Draccus noch ein wenig auf dem Eimer herumkaute. Dann schlang er die klebrige Masse hinunter.

Ich atmete erleichtert auf und setzte mich hin. Der Draccus schlich nun wieder um das Feuer herum. Er spie einen blauen Flammenstoß und noch einen zweiten, wälzte sich schließlich in dem Feuer und zermalmte es unter seinem massigen Leib.

Als er die Feuerstelle planiert hatte, verhielt er sich nach dem gleichen Muster wie beim letzten Mal. Er bewegte sich zu den noch brennenden Holzstücken, die rings umher verstreut lagen, wälzte sich darauf und fraß sie anschließend auf. Ich hatte beinahe bildlich vor Augen, wie jeder Stock und jeder Klotz, den er schluckte, das Dennerharz tiefer in seinen Magen hinein schob, wie sie es aufquirlten, auseinander ziehen und auflösen halfen.

Eine Viertelstunde verging, und ich sah, wie er die Feuerstelle einmal umrundete. Ich hatte gehofft, dass man ihm die Wirkung des Harzes nun langsam anmerken würde. Nach meiner Schätzung hatte er das Sechsfache einer für ihn tödlichen Dosis geschluckt. Die anfänglichen euphorischen und manischen Phasen hätten eigentlich schnell einsetzen müssen. Anschließend folgten Delirium, Lähmungen, Koma, Tod. Meinen Berechnungen nach müsste alles innerhalb einer Stunde vorbei sein, wenn alles gut lief, auch schneller.

Ich empfand ein großes Bedauern, als ich mit ansah, wie er die verstreuten kleineren Feuer erstickte. Er war ein prachtvolles Tier. Es tat mir in der Seele weh, dass ich ihn töten musste, sogar mehr noch, als dass dabei Ophalum im Wert von über sechzig Talenten vernichtet wurde. Aber es gab keinen Zweifel, was geschehen würde, wenn man den Ereignissen ihren Lauf ließ. Ich konnte es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, das Leben unschuldiger Menschen zu gefährden.

Der Draccus hörte bald auf zu fressen und wälzte sich nun nur noch auf den verstreuten Holzstücken hin und her. Er bewegte sich nun energischer, ein Zeichen, dass das Dennerharz zu wirken begann. Er fing an zu grunzen. Er grunzte, spie blaues Feuer, wälzte sich, grunzte …

Schließlich war von dem Lagerfeuer nur noch das glühende Kohlenbett übrig. Wie schon beim letzten Mal legte sich der Draccus darauf und löschte damit alles Licht auf dem Hügel.

Er lag dort einen Moment lang ganz still. Dann grunzte er wieder und spie blaues Feuer. Nun wälzte er seinen Bauch tiefer in das Kohlenbett hinein, fast als würde er nervös herumrutschen. Wenn das der Beginn der manischen Phase war, ging es für meinen Geschmack alles viel zu langsam. Ich hatte gehofft, dass er um diese Zeit schon auf dem besten Wege ins Delirium wäre. Hatte ich das Harz zu gering dosiert?

Als sich meine Augen allmählich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich, dass es noch eine weitere Lichtquelle gab. Erst dachte ich, die Wolken hätten sich verzogen, und der Mond sei aufgegangen. Doch als ich mich von dem Draccus abwandte und mich umschaute, erkannte ich, was es wirklich war.

Im Südwesten, kaum zwei Meilen entfernt, war Trebon von Feuerschein erleuchtet. Und das war nicht das Kerzenlicht aus den Fenstern, nein, überall loderten hohe Flammen empor. Für einen Moment glaubte ich, die ganze Stadt stünde in Brand.

Dann wurde mir klar, was es war: das Erntedankfest. Im Stadtzentrum brannte ein großes Feuer, und kleinere Feuer brannten vor den Häusern, vor denen man an die erschöpften Erntehelfer Apfelwein ausschenkte. Sie tranken und warfen die Butzemänner in die Flammen. Diese Puppen waren aus Weizen- oder Gerstengarben, aus Stroh und Spreu. Sie waren so geflochten, dass sie schnell in Flammen aufgingen. Es war ein Ritual, mit dem man das Ende des Jahres beging, und das Dämonen abschrecken sollte.

Hinter mir hörte ich den Draccus grunzen. Ich sah wieder zu ihm hinab, und wie auch ich zuvor blickte er in die andere Richtung, fort von Trebon und hin zu den dunklen Felsenhängen des Nordens.

Ich bin kein religiöser Mensch, aber ich gestehe, dass ich in diesem Moment anfing zu beten. Ich betete in vollem Ernst zu Tehlu und all seinen Engeln und bat darum, dass der Draccus einfach nur friedlich einschlafen möge, ohne sich noch einmal umzusehen und die Feuer der Stadt zu bemerken.

Ich wartete etliche lange Minuten. Zunächst glaubte ich, der Draccus wäre eingeschlafen, doch als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass er den Kopf immer wieder langsam hin und her wiegte. Und je besser sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnten, desto heller erschienen mir die Feuer in Trebon. Es war jetzt eine halbe Stunde her, dass er das Harz verschlungen hatte. Wieso war er immer noch am Leben?

Ich hätte ihm gern auch noch das restliche Harz hingeworfen, wagte es aber nicht. Wenn sich der Draccus zu mir umwandte, würde er nach Süden sehen, in die Richtung der Stadt. Und selbst wenn ich ihm den Sack mit dem Harz direkt vor die Schnauze warf, war nicht auszuschließen, dass er sich umblickte. Vielleicht konnte ich …

Doch da brüllte der Draccus, so tief und kräftig wie zuvor. Ich zweifelte nicht, dass es bis Trebon zu hören war. Ja, es hätte mich nicht gewundert, wenn man es in Imre gehört hätte. Ich sah zu Denna hinüber. Sie regte sich im Schlaf, wachte aber nicht auf.

Der Draccus sprang von dem Kohlenbett auf und führte sich nun auf wie ein herumtollender junger Hund. Die Kohlen glühten an einigen Stellen noch und spendeten ausreichend Licht, so dass ich sehen konnte, wie das Riesenvieh sich herumwälzte, sich auf den Rücken drehte, spielerisch nach der Luft schnappte, sich umdrehte …

»Nein«, sagte ich. »Nein, nein, nein.«

Er sah nach Trebon hinüber. Die Feuer der Stadt spiegelten sich in seinen großen Augen. Er spie noch einen mächtigen blauen Flammenstoß. Die gleiche Geste wie vorher: ein Gruß oder eine Herausforderung.

Dann rannte er los, preschte in aberwitzigem Tempo den Hang hinunter. Ich hörte, wie er eine Schneise durch den Wald schlug. Und ich hörte ihn brüllen.

Während ich meine Sympathielampe anmachte, ging ich zu Denna und rüttelte sie unsanft. »Denna. Denna! Du musst aufstehen!«

Sie ließ sich nicht wecken.

Ich zog ein Augenlid hoch und überprüfte die Pupille. Sie war nun überhaupt nicht mehr träge und zog sich im Licht schnell zusammen. Das bedeutete, dass ihr Körper das Dennerharz endlich verarbeitet hatte. Sie war nun einfach nur noch erschöpft. Um ganz sicher zu gehen, überprüfte ich beide Pupillen ein zweites Mal.

Ja. Ihre Pupillen waren in Ordnung. Sie hatte es überstanden. Wie um diese Diagnose zu bestätigen, zog Denna eine finstere Miene, wandte das Gesicht vom Licht meiner Lampe ab und murmelte etwas nicht allzu Damenhaftes. Ich verstand nicht alles, aber die Worte »Hurenbock« und »verpiss dich« kamen mehrfach darin vor.

Ich nahm sie in die Decke gehüllt auf den Arm und stieg vorsichtig mit ihr von den Steinen hinunter. Dann legte ich sie schön warm eingemummelt in den Torbogen aus Grausteinen. Während ich so mit ihr umging, schien sie einmal aufzuwachen. »Denna?«

»Moteth?«, murmelte sie sehr schläfrig, und die Augen unter ihren Lidern regten sich nur ganz leicht.

»Denna! Der Draccus ist auf dem Weg nach Trebon! Ich muss …«

Ich hielt inne. Sie war offensichtlich wieder bewusstlos geworden, und ich hatte keine Ahnung, was ich jetzt tun sollte.

Ich musste irgendetwas unternehmen. Unter normalen Umständen hätte der Draccus einen großen Bogen um eine Stadt gemacht, doch so berauscht und manisch, wie er war, konnte man nicht wissen, wie er auf die Erntedankfeuer reagieren würde. Wenn er in der Stadt herumwütete, war es meine Schuld. Ich musste etwas tun.

Ich stieg rasch auf den Torbogen hinauf, schnappte mir die beiden Säcke und flitzte wieder hinunter. Dann kippte ich den Reisesack aus. Ich nahm mir die Armbrustbolzen, wickelte sie in mein zerrissenes Hemd und stopfte sie wieder in den Sack. Ich warf auch noch die Draccusschuppe hinein, steckte die Flasche Schnaps zur Polsterung in den Sack mit dem Harz und stopfte auch diesen in meinen Reisesack.

Dann trank ich aus dem Schlauch noch schnell einen Schluck Wasser und ließ ihn für Denna zurück. Sie würde schrecklichen Durst haben, wenn sie aufwachte.

Ich schulterte meinen Reisesack, machte meine Sympathielampe an, ergriff das Beil und lief los.

Ich hatte einen Drachen zu töten.

Wie ein Wahnsinniger rannte ich durch den Wald. Das Licht meiner Sympathielampe hüpfte hin und her, und so konnte ich Hindernisse erst im letzten Augenblick erkennen. Es war kein Wunder, dass ich stürzte und Hals über Kopf den Hang hinunterpurzelte. Als ich wieder auf die Beine kam, fand ich meine Lampe schnell wieder, ließ das Beil aber liegen, da ich im Grunde wusste, dass ich damit gegen den Draccus nichts ausrichten konnte.

Ich stürzte noch zwei Mal, bis ich zur Straße kam. Dort duckte ich mich wie ein Sprinter und rannte so schnell ich konnte, auf die Lichter der Stadt zu. Mir war klar, dass der Draccus schneller war als ich, aber ich hoffte, dass der Wald ihn aufgehalten hatte und dass es mit seinem Orientierungssinn nicht mehr zum Besten stand. Wenn ich vor ihm in der Stadt eintraf, konnte ich die Leute warnen …

Doch als die Straße aus dem Wald herausführte, sah ich, dass die Feuer der Stadt nun höher und heller brannten. Ganze Gebäude standen in Flammen. Das Gebrüll des Draccus war zu hören und Rufe und schrille Schreie.

Als ich in Trebon anlangte, verlangsamte ich meine Schritte und holte ein wenig Luft. Ich kletterte an einer Hauswand hoch und von dort auf eines der wenigen etwas höher gelegenen Dächer, um mir einen Überblick über die Lage zu verschaffen.

Das große Erntedankfeuer auf dem Marktplatz war auseinandergerissen und in alle Himmelsrichtungen verstreut. Etliche nahe gelegene Häuser und Geschäfte waren dem Erdboden gleich gemacht. Auf einigen Dächern standen die Holzschindeln in Flammen. Wenn es an diesem Abend nicht geregnet hätte, wäre die ganze Stadt bereits ein einziges Flammenmeer gewesen. So brannten nur vereinzelte Gebäude. Doch es war nur ein Frage der Zeit.

Ich konnte den Draccus zwar nicht sehen, hörte aber, wie er sich in der Ruine eines brennenden Hauses wälzte. Ein blauer Flammenstoß schoss hoch über die Dächer der Stadt empor, und ich hörte ihn wieder brüllen. Bei diesem Geräusch brach mir der kalte Schweiß aus. Wer konnte schon wissen, was in seinem drogenvernebelten Hirn jetzt vor sich ging?

Überall waren Menschen. Einige standen einfach nur wie versteinert fassungslos da, andere liefen panisch zur Kirche, in der Hoffnung, in dem großen Steingebäude, an dessen Portal zum Schutz vor Dämonen das riesige Eisenrad hing, Zuflucht zu finden. Doch die Kirche war abgeschlossen, und so mussten sie anderswo Zuflucht suchen. Einige Leute sahen entsetzt und weinend von ihren Fenstern aus zu, doch erstaunlich viele hatten einen kühlen Kopf bewahrt und bereits von dem Regenwasserspeicher auf dem Dach des Rathauses eine Eimerkette zu einem brennenden Gebäude in der Nähe gebildet.

Und da wusste ich mit einem Mal, was ich zu tun hatte. Es war, als würde ich eine Bühne betreten. Das Lampenfieber war wie weggeblasen. Jetzt kam es nur noch darauf an, dass ich meine Rolle spielte.

Ich sprang auf das Nachbardach und lief von dort weiter über die Dächer, bis ich zu einem Haus in der Nähe des Marktplatzes kam, dessen Dach von den umherfliegenden Trümmern des Erntedankfeuers in Brand gesteckt war. Ich riss eine Schindel heraus, die an einer Kante brannte, und lief damit zum Dach des Rathauses.

Ich war nur noch zwei Dächer entfernt, als ich ausrutschte. Zu spät bemerkte ich, dass ich auf das Dach des Wirtshauses gesprungen war, das nicht mit Holzschindeln, sondern mit Lehmziegeln gedeckt war, die vom Regen noch rutschig waren. Ich fiel und rutschte fast bis zur Dachkante, ehe ich wieder Halt fand. Das Herz pochte mir bis zum Hals. Die brennende Schindel hielt ich immer noch in der Hand.

Atemlos riss ich mir die Stiefel von den Füßen. Nun, mit dem vertrauten Gefühl der Dächer unter den schwieligen Fußsohlen, lief ich, sprang, lief, schlitterte und sprang noch einmal. Schließlich packte ich ein Regenrohr und schwang mich auf das flache Steindach des Rathauses.

Immer noch die Schindel in der Hand, lief ich die Leiter an dem Wasserspeicher hinauf und dankte dem Himmel, dass er keine Abdeckung hatte.

Während ich über die Dächer gelaufen war, waren die Flammen auf der Schindel erloschen und hatten an der Kante nur einen schmalen Streifen Glut hinterlassen. Ich blies vorsichtig darauf, und bald brannte sie wieder lichterloh. Dann brach ich sie in der Mitte entzwei und ließ eine Hälfte auf das Flachdach fallen.

Ich ließ den Blick über die Stadt schweifen und prägte mir ein, wo die größten Feuer brannten. Es waren sechs besonders schwere Brände, die in den dunklen Himmel emporloderten. Elxa Dal hatte immer gesagt, alle Feuer seien letztlich ein Feuer, und alle Feuer gehorchten dem Willen des Sympathetikers. Also gut. Alle Feuer waren ein Feuer. Dieses Feuer. Dieses brennende Schindelstück. Ich murmelte eine Bindungsformel und besann mich auf mein Alar. Dann kratzte ich mit dem Daumennagel die Rune ule ins Holz und noch die Runen dok und pesin. Währenddessen begann das ganze Schindelstück zu schwelen und zu qualmen und wurde jetzt fast zu heiß, um es noch festzuhalten.

Ich hakte einen Fuß an einer Leitersprosse ein, beugte mich über den Rand des Wasserspeichers, steckte die Schindel tief ins Wasser und löschte sie so. Einen Moment lang spürte ich das kühle Wasser um meine Hand, doch dann wurde es schnell wärmer. Obwohl die Schindel nun unter Wasser war, sah ich an der Kante den Glutstreifen rot vor sich hin glimmen.

Ich zückte mit der anderen Hand mein Taschenmesser und steckte mit der Klinge das improvisierte Sygaldriestück unter Wasser an der Holzwand des Wasserspeichers fest. Es war zweifellos die am schnellsten hingeschluderte hitzeschluckende Bindung aller Zeiten.

Ich schwang mich zurück auf die Leiter und sah dabei über die Stadt, die in friedlichem Dunkel lag. Die Flammen waren zurückgegangen und an den meisten Stellen bis auf die Glut erloschen. Ich hatte die Brände zwar nicht gelöscht, sie aber so weit gebändigt, dass die Leute mit ihren Eimern eine Chance hatten.

Doch meine Arbeit war erst zur Hälfte getan. Ich sprang auf das Dach und schnappte mir das immer noch brennende zweite Schindelstück, das ich hatte fallen lassen. Dann rutschte ich ein Regenrohr hinunter und rannte durch die dunklen Straßen und über den Marktplatz zur Tehlanerkirche.

Unter der riesigen alten Eiche vor dem Kirchenportal, die immer noch ihr Herbstlaub trug, hielt ich an und kniete mich hin, schnürte meinen Reisesack auf und zog den Sack mit dem verbliebenen Harz heraus. Ich goss die Flasche Schnaps darüber aus und setzte alles mit der Holzschindel in Brand. Das Harz fing schnell Feuer und gab einen beißenden, süßlichen Qualm von sich.

Dann nahm ich das nicht brennende Ende der Schindel zwischen die Zähne, schwang mich auf einen der unteren Eichenäste und begann den Baum zu erklimmen. Es war einfacher, als an der Kirchenfassade hinaufzuklettern, und ich kam so schnell auf eine Höhe, von der aus ich auf einen breiten Sims am oberen Portal der Kirche springen konnte. Ich knickte einen kleinen Eichenzweig ab und steckte ihn mir in die Tasche.

Auf dem Sims ging ich bis zu der Stelle, an der das riesige Eisenrad mit Bolzen an der Steinmauer befestigt war. Das Rad ließ sich schneller besteigen als eine Leiter, auch wenn sich die eisernen Speichen unter meinen immer noch feuchten Händen eiskalt anfühlten.

Ich erklomm die Oberseite des Rads und schwang mich von dort auf das höchstgelegene Dach der Stadt. Die Feuer waren immer noch unter Kontrolle, und statt der Rufe und Schreie hörte man nun Schluchzer und ein hektisches Stimmengewirr. Ich nahm das Schindelstück aus dem Mund und blies vorsichtig auf die Glut, bis es wieder Feuer fing. Dann konzentrierte ich mich, murmelte noch eine Bindungsformel und hielt den Eichenzweig über die Flamme. Ich ließ den Blick über die Stadt schweifen und sah, dass die Feuersglut weiter eingedämmt war.

Es dauerte einen Moment, und dann stand der Eichenbaum schlagartig in Flammen. Er leuchtete heller als tausend Fackeln, als sein gesamtes Laub mit einem Schlag Feuer fing.

In diesem plötzlichen Lichtschein sah ich den Draccus zwei Straßen weiter den Kopf heben. Er brüllte, spie einen blauen Flammenstoß und kam sofort in Richtung des Feuers angerannt. An einer Ecke drehte er sich zu hastig und rammte eine Ladenfassade, die ohne viel Widerstand in sich zusammenfiel.

Als er dem Baum näherkam, verlangsamte er sein Tempo und spie immer wieder blaue Flammen. Das Laub war schnell heruntergebrannt und ließ nur abertausende kleine Glutstellen übrig, wodurch der Baum wie ein riesiger, eben gelöschter Kandelaber wirkte.

In dem schummrigen roten Licht war der Draccus kaum mehr als ein Schatten. Dennoch sah ich, dass seine Aufmerksamkeit, da nun die hellen Flammen erloschen waren, auf etwas anderes gelenkt wurde. Er wiegte den riesigen, keilförmigen Kopf hin und her, hin und her. Ich fluchte leise. Er war nicht nah genug.

Dann schnaubte der Draccus so laut, dass ich es selbst dort oben, dreißig Meter über ihm, hören konnte. Als er den qualmenden Harzsack witterte, riss er den Kopf herum. Er schnupperte und grunzte und kam noch ein Stück näher an den Sack heran. Diesmal legte er viel weniger Zurückhaltung an den Tag. Er stürzte sich förmlich auf den qualmenden Sack und schnappte ihn sich mit weit aufgerissenem Maul.

Ich atmete tief durch und schüttelte den Kopf, versuchte etwas von der Mattigkeit, die ich empfand, abzuschütteln. Ich hatte kurz nacheinander zwei doch recht ansehnliche sympathetische Leistungen vollbracht und war davon noch ziemlich benommen.

Doch wie es so schön heißt: Aller guten Dinge sind drei. Ich spaltete meinen Geist in zwei Teile auf, dann, mit einiger Mühe, in drei. Hier würde nur eine dreifache Bindung helfen können.

Während der Draccus kaute und sich mühte, das klebrige Harz hinunterzuschlingen, holte ich die schwere schwarze Schuppe aus meinem Reisesack und zog dann auch den Lodenstein aus einer Tasche meines Umhangs. Ich sprach die Bindungsformeln klar und deutlich und besann mich auf mein Alar. Dann hielt ich die Schuppe und den Stein vor mich hin, bis ich spürte, dass die Anziehungskraft zu wirken begann.

Ich konzentrierte mich auf mein Ziel.

Ich ließ den Lodenstein los. Er schoss auf die eiserne Schuppe zu. Unter meinen Füßen barst die Mauer, als das riesige Eisenrad aus seiner Verankerung riss.

Eine Tonne Schmiedeeisen stürzte in die Tiefe. Wenn jemand zugesehen hätte, hätte er bemerkt, dass das Rad schneller fiel, als es den Gesetzen der Schwerkraft entsprach. Man hätte auch bemerkt, dass es nicht senkrecht fiel, sondern schräg nach vorn, so als würde es von dem Draccus angezogen. So als schleuderte Tehlu das Rad höchstselbst mit rächender Hand auf das Untier.

Doch da war niemand, der das beobachtet hätte. Und es war auch kein Gott, der es lenkte. Nur ich.

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