Kapitel 31

Der junge Edelmann

Die zwei Talente hatten ein beruhigendes Gewicht, das nichts damit zu tun hatte, wie schwer sie waren. Jeder, der schon einmal längere Zeit ohne Geld auskommen musste, wird wissen, was ich damit meine. Meine erste Investition war ein anständiger lederner Geldbeutel. Ich trug ihn unter der Kleidung, auf der nackten Haut.

Als Nächstes gönnte ich mir ein richtiges Frühstück: einen großen Teller Rührei mit Speck, frisches Brot, ordentlich gebuttert und mit Honig bestrichen, und ein Glas frische Milch. Zusammen kostete mich das fünf Eisenpennys. Es mag durchaus das köstlichste Mahl gewesen sein, das ich je gegessen hatte.

Es war ein seltsames Gefühl, an einem Tisch zu sitzen und mit Messer und Gabel zu essen. Es war ein seltsames Gefühl, von Menschen umgeben zu sein. Und es war ein seltsames Gefühl, von jemandem bedient zu werden.

Als ich die Reste meines Frühstücks mit einem Brotkanten auftupfte, wurde mir klar, dass ich ein Problem hatte.

Selbst in diesem leicht schmuddeligen Wirtshaus in Waterside erregte ich Aufmerksamkeit. Mein Hemd war weiter nichts als ein alter Leinensack mit einem Hals- und zwei Armlöchern. Meine Hose war aus Segeltuch und mir viel zu groß. Meine Kleidung stank nach Rauch, Schmiere und Spülicht. Die Hose wurde von einem Tau gehalten, das ich aus dem Abfall gefischt hatte. Ich starrte vor Dreck, ich war barfuß, und ich stank.

Sollte ich mir Kleider kaufen, oder sollte ich ein Bad nehmen? Wenn ich erst ein Bad nahm, musste ich anschließend wieder meine alten Kleider anziehen. Wenn ich jedoch in diesem Aufzug versuchte, Kleider zu kaufen, würde man mich womöglich nicht einmal in den Laden lassen. Und ich bezweifelte, dass irgendjemand willens sein würde, Maß an mir zu nehmen.

Der Wirt kam an meinen Tisch, um meinen Teller abzuräumen, und ich beschloss, erst einmal zu baden, vor allem, weil ich es gründlich satt hatte, zu stinken wie eine schon vor Spannenfrist verreckte Ratte. Ich lächelte ihn an. »Wo kann ich denn hier in der Nähe ein Bad nehmen?«

»Hier bei uns, wenn du ein paar Penny übrig hast.« Er musterte mich. »Oder du könntest eine Stunde lang dafür arbeiten. Eine gute Stunde harte Arbeit. Der Herd könnte mal wieder geschrubbt werden.«

»Ich brauche aber viel Wasser und Seife.«

»Dann eben zwei Stunden. Der Abwasch ist auch noch zu erledigen. Erst der Herd, dann das Bad, dann der Abwasch. Abgemacht?«

Eine gute Stunde später taten mir die Schultern weh, und der Herd war sauber. Der Wirt führte mich in ein Hinterzimmer, in dem ein großer Holzbottich stand. An den Wänden gab es Kleiderhaken, und ein an die Wand genageltes Stück Weißblech diente als Spiegel.

Der Wirt brachte mir eine Bürste, einen Eimer dampfendes Wasser und ein Stück Seife. Ich schrubbte mich, bis ich rosarot war. Der Wirt brachte einen zweiten Eimer heißes Wasser, dann einen dritten. In Gedanken sprach ich ein Dankgebet dafür, dass ich offenbar keine Läuse hatte. Wahrscheinlich war ich zu dreckig gewesen, als dass eine Laus, die etwas auf sich hielt, sich auf mir niedergelassen hätte.

Als ich mich zum letzten Mal mit klarem Wasser abspülte, sah ich zu meinen abgelegten Kleidern hinüber. So sauber wie seit Jahren nicht, wollte ich sie nicht mehr anrühren, geschweige denn tragen. Und wenn ich versucht hätte, sie zu waschen, hätten sie sich wohl völlig aufgelöst.

Ich trocknete mich ab und zog mir dann mit der Bürste die Knoten aus dem Haar. Es war länger, als es mir vorgekommen war, als es noch dreckig war. Ich wischte den beschlagenen Spiegel ab und war erstaunt. Ich sah älter aus, als ich war. Und nicht nur das: Ich sah aus wie ein junger Edelmann. Mein Gesicht war mager und ebenmäßig. Mein Haar hätte etwas Pflege vertragen können, war aber schulterlang und glatt, was gegenwärtig in Mode war. Das Einzige, was mir fehlte, waren die Kleider eines Edelmanns.

Und das brachte mich auf eine Idee.

Immer noch nackt, wickelte ich mich in ein Handtuch und schlich durch die Hintertür hinaus. Ich nahm meinen Geldbeutel mit, ließ ihn aber niemanden sehen. Es war kurz vor Mittag, und es waren viele Leute unterwegs. Selbstverständlich zog ich viele Blicke auf mich. Ich achtete nicht darauf und schritt in flottem Tempo einher, versuchte nicht, mich zu verstecken. Vielmehr setzte ich eine wütende Miene auf und ließ mir keinerlei Verlegenheit anmerken.

Ich blieb bei einem Vater-und-Sohn-Gespann stehen, das Säcke auf einen Karren lud. Der Sohn war etwa vier Jahre älter als ich und einen Kopf größer. »Junge«, sagte ich barsch. »Wo kann ich hier in der Nähe Kleider kaufen?« Ich musterte demonstrativ sein Hemd. »Anständige Kleider«, fügte ich hinzu.

Er blickte mich verwirrt und verärgert an. Sein Vater nahm flugs den Hut ab und trat vor seinen Sohn. »Eure Lordschaft könnten es bei Bentley’s versuchen. Es ist nichts Besonderes, aber der Laden ist nur ein oder zwei Ecken von hier entfernt.«

Meine Miene verfinsterte sich. »Ist das der einzige Laden hier in der Nähe?«

Er starrte mich mit offenem Mund an. »Nun ja … da könnte … es gibt noch …«

Ich hieß ihn mit einem Wink schweigen. »Wo ist das? Wenn dir die Worte fehlen, zeig einfach in die Richtung.«

Er zeigte es mir, und ich schritt von dannen. Im Gehen rief ich mir einen Edelknabenpart ins Gedächtnis, den ich bei der Truppe des Öfteren gespielt hatte. Der Edelknabe hieß Dunstey und war ein unerträglich bockiger kleiner Junge mit einem wichtigen Vater. Das war genau das Richtige. Ich legte den Kopf gebieterisch auf die Seite, änderte meine Schulterhaltung ein wenig und stimmte mich auf die Rolle ein.

Ich riss die Tür auf und stürmte in den Laden. Dort stand ein Mann mit einer Lederschürze vor dem Leib. Das musste Bentley sein. Er war um die vierzig Jahre alt, schlank und hatte schütteres Haar. Er zuckte zusammen, als die Tür laut scheppernd an die Wand schlug. Mit ungläubigem Blick sah er sich zu mir um.

»Bring mir etwas anzuziehen, Dämlack. Ich bin es satt, von dir und sämtlichen Schwachköpfen angeglotzt zu werden.« Ich warf mich auf einen Sessel und schmollte. Als er sich nicht rührte, funkelte ich ihn an. »Rede ich undeutlich? Ist etwa nicht augenfällig, wessen ich bedarf?« Ich zupfte demonstrativ am Saum meines Handtuchs.

Er stand dort und starrte mich mit offenem Munde an.

Ich senkte drohend die Stimme. »Wenn du mir nicht sofort etwas zum Anziehen bringst –« Ich sprang auf und schrie: »Dann lege ich diesen Laden in Schutt und Asche! Ich lasse mir die Steine dieses Hauses von meinem Vater zum Mittwinter schenken! Und seine Hunde lasse ich deinen Leichnam bespringen! HAST DU ÜBERHAUPT EINE AHNUNG, WER ICH BIN?«

Bentley huschte von dannen, und ich warf mich wieder auf den Sessel. Ein Kunde, den ich bis dahin gar nicht bemerkt hatte, eilte aus dem Geschäft und hielt dabei nur kurz an, um sich vor mir zu verneigen.

Ich verkniff mir das Lachen.

Anschließend war es erstaunlich einfach. Ich ließ Bentley eine halbe Stunde lang springen und mir ein Kleidungsstück nach dem anderen vorlegen. Und bei allem, was er brachte, mokierte ich mich über den Stoff, den Schnitt oder die Verarbeitung. Kurz gesagt: Ich war ein richtiger Flegel.

In Wirklichkeit hätte ich gar nicht zufriedener sein können. Die Kleider waren schlicht, aber gute Qualität. Und angesichts dessen, was ich noch eine Stunde zuvor getragen hatte, wäre schließlich schon ein sauberer Leinsack ein immenser Fortschritt gewesen.

Wenn ihr nicht viel Zeit an Höfen oder in großen Städten verbracht habt, werdet Ihr kaum verstehen, warum es so einfach für mich war, das zu erreichen. Lasst mich das erklären.

Adelssöhne gehören neben Überschwemmungen und Wirbelstürmen zu den zerstörerischsten Naturgewalten. Wenn der gemeine Mann von einer solchen Katastrophe getroffen wird, kann er weiter nichts tun, als die Zähne zusammenbeißen und versuchen, den Schaden zu begrenzen.

Bentley wusste das. Er steckte das Hemd und die Hose ab und half mir wieder heraus. Ich schlüpfte zurück in den Morgenmantel, den er mir gegeben hatte, und er begann zu nähen, als wäre der Teufel höchstpersönlich hinter ihm her.

Ich warf mich wieder auf den Sessel. »Du darfst ruhig fragen. Ich merke doch, dass du vor Neugier förmlich platzt.«

Er blickte kurz von seiner Näharbeit auf. »Sir?«

»Die Umstände, die zu diesem Zustand der Entkleidung geführt haben.«

»Ach so, ja.« Er war mit dem Hemd fertig und begann nun mit der Hose. »Eine gewisse Neugier ist doch nur menschlich. Aber ich ziehe es vor, mich aus den Angelegenheiten anderer Leute herauszuhalten.«

»Ah«, sagte ich, nickte und tat enttäuscht. »Eine lobenswerte Einstellung.«

Es folgte ein längeres Schweigen. Man hörte nur, wie der Faden durch den Stoff gezogen wurde. Ich rutschte unruhig hin und her. Schließlich sagte ich, so als hätte er mich gefragt: »Eine Hure hat meine Kleider gestohlen.«

»Tatsächlich, Sir?«

»Ja, sie wollte, dass ich sie gegen meinen Geldbeutel eintausche, das Miststück.«

Bentley blickte kurz auf. »War Euer Geldbeutel denn nicht bei Euren Kleidern?«

Ich blickte entsetzt. »Natürlich nicht! ›Ein Gentleman hat seine Börse immer griffbereit‹, sagt mein Vater immer.« Um das zu unterstreichen, fuchtelte ich mit meinem Geldbeutel.

Ich merkte, dass Bentley sich das Lachen verkniff, und das freute mich. Ich ging dem Mann nun schon seit fast einer Stunde schwer auf die Nerven – da wollte ich ihm wenigstens eine Anekdote liefern, die er seinen Freunden erzählen konnte.

»Sie hat gesagt, wenn ich meine Würde wahren wolle, solle ich ihr meinen Geldbeutel geben und könne dann bekleidet nach Hause gehen.« Ich schüttelte verächtlich den Kopf. »›Hör mal zu, du Drecksnutte‹, habe ich zu ihr gesagt, ›die Würde eines Mannes hat doch mit seinen Kleidern nichts zu tun. Wenn ich meinen Geldbeutel hergeben würde, um mir eine peinliche Situation zu ersparen, dann, ja, dann würde ich damit auch meine Würde hergeben.«

Ich blickte einen Moment lang nachdenklich und sprach dann leise weiter, so als würde ich laut nachdenken. »Daraus würde ja folgen, dass die Würde eines Mannes mit seinem Geldbeutel gleichzusetzen ist.« Ich betrachtete den Beutel, den ich in der Hand hielt, und schwieg eine ganze Weile. »Ich glaube, ich habe meinen Vater kürzlich etwas in diese Richtung sagen hören.«

Bentley lachte auf, tat dann aber, als wäre es ein Husten, erhob sich und schüttelte das Hemd und die Hose aus. »So, Sir, jetzt passt es Euch wie angegossen.« Der Anflug eines Lächelns spielte um seine Lippen, als er mir die Kleider reichte.

Ich schlüpfte aus dem Morgenmantel und zog die Hose an. »Darin komme ich immerhin nach Hause. Was schulde ich dir für deine Mühe, Bentley?«, fragte ich.

Er überlegte kurz. »Eins zwei.«

Ich schnürte mein Hemd und schwieg.

»Verzeihung, Sir«, fügte er hastig hinzu. »Ich vergaß, mit wem ich es zu tun habe.« Er schluckte. »Ein Talent reicht vollkommen.«

Ich zog meinen Geldbeutel hervor, legte Bentley ein Silbertalent in die Hand und blickte ihm in die Augen. »Ich brauche etwas Kleingeld.«

Sein Mund verzog sich zu einem Strich, aber er nickte und gab mir zwei Jots heraus.

Ich steckte die Münzen ein, band mir den Geldbeutel unter dem Hemd um den Leib, warf Bentley einen bedeutsamen Blick zu und tätschelte den Beutel.

Ich sah das Lächeln wieder um seine Lippen spielen. »Auf Wiedersehen, Sir.«

Ich nahm mein Handtuch, verließ das Geschäft und ging nun erheblich unauffälliger zurück zu dem Wirtshaus, in dem ich gefrühstückt und gebadet hatte.

»Was darf ich Euch bringen, Sir?«, fragte der Wirt, als ich an den Tresen trat. Er lächelte und wischte sich die Hände an der Schürze ab.

»Einen Stapel schmutziges Geschirr und einen Lappen.«

Er blinzelte mich an und lachte dann. »Ich dachte schon, du wärst nackt davongelaufen.«

»Nicht völlig nackt.« Ich legte das Handtuch auf den Tresen.

»Du warst ja vor lauter Dreck kaum zu erkennen. Und ich hätte eine Goldmark darauf gewettet, dass du schwarze Haare hast. Du siehst wirklich völlig verwandelt aus.« Er bestaunte mich einen Moment lang stumm. »Möchtest du deine alten Kleider wiederhaben?«

Ich schüttelte den Kopf. »Werft sie weg. Nein, verbrennt sie – und achtet darauf, dass niemand versehentlich den Rauch einatmet.« Er lachte wieder. »Ich hatte aber noch ein paar andere Dinge«, erinnerte ich ihn.

Er nickte und pochte sich mit einem Finger an den Nasenflügel. »Stimmt. Einen Augenblick.« Er verschwand in einem Hinterzimmer.

Ich sah mich im Schankraum um. Er kam mir nun, da ich keine feindseligen Blicke mehr auf mich zog, ganz anders vor. Der Kamin aus Feldsteinen, in dem ein schwarzer Kessel vor sich hin köchelte, der Geruch von Holz und verschüttetem Bier, die leisen Gespräche …

Ich hatte schon immer ein Faible für Wirtshäuser. Ich glaube, das kommt daher, dass ich auf der Straße aufwuchs. Ein Wirtshaus ist ein Ort, an dem man in Sicherheit ist, eine Art Zuflucht. Ich fühlte mich in diesem Moment dort sehr wohl, und ich dachte, dass es kein schlechtes Leben wäre, wenn man selbst so etwas betreiben würde.

»Hier sind deine Sachen«, sagte der Wirt und legte drei Federn, ein Fläschchen Tinte und die Quittung aus dem Buchladen auf den Tresen. »Das hat mich fast ebenso verwirrt wie die Frage, warum du ohne deine Kleider fortgelaufen bist.«

»Ich gehe auf die Universität«, erklärte ich.

Er hob eine Augenbraue. »Bist du dazu nicht ein bisschen zu jung?«

Bei diesen Worten überlief mich ein leichter Schauder, aber ich tat es mit einem Achselzucken ab. »Die sehen das nicht so eng.«

Er nickte höflich, so als würde das erklären, warum ich barfuß und nach Gosse stinkend bei ihm angekommen war. Nachdem er einige Zeit abgewartet hatte, ob ich das weiter ausführen würde, schenkte er sich etwas zu trinken ein. »Nichts für ungut, aber jetzt siehst du nicht mehr wie jemand aus, der gerne den Abwasch übernehmen würde.«

Ich öffnete den Mund, um zu widersprechen; ein Eisenpenny für eine Stunde Arbeit war ein gutes Geschäft, das ich mir nicht entgehen lassen wollte. Für zwei Pennys bekam man schon einen Laib Brot, und ich konnte die Tage gar nicht zählen, an denen ich im vergangenen Jahr gehungert hatte.

Dann fiel mein Blick auf meine Hände, die auf dem Tresen ruhten. Sie waren rosig und sauber. Fast hätte ich sie nicht als meine eigenen erkannt.

Mir wurde klar, dass ich nicht den Abwasch machen wollte. Ich hatte Wichtigeres zu tun. Ich trat einen Schritt zurück und zog einen Penny aus meinem Geldbeutel. »Wo findet man hier eine Karawane in den Norden?«, fragte ich.

»Drover’s Lot, in Hillside. Eine Viertelmeile hinter der Mühle an der Green Street.«

Bei dem Wort Hillside überlief es mich kalt. Ich ignorierte das und nickte. »Ein schönes Wirtshaus habt Ihr hier. Ich würde mich glücklich schätzen, wenn ich auch so ein schönes Wirtshaus haben könnte, wenn ich mal groß bin.« Ich gab ihm den Penny.

Er lächelte strahlend und gab mir den Penny zurück. »Wenn du so nette Komplimente machst, bist du hier jederzeit gern gesehen.«

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