Kapitel 40

Auf die Hörner genommen

Nachdem Hemme das Seminar offiziell beendet hatte, verbreitete sich die Nachricht über das, was ich getan hatte, wie ein Lauffeuer in der ganzen Universität. Aus den Reaktionen der Studenten schloss ich, dass Meister Hemme nicht sonderlich beliebt war. Ich saß auf einer Steinbank vor dem Mews, und vorübergehende Studenten lächelten mir zu. Andere winkten oder hoben lachend den Daumen.

Derweil ich meinen Ruhm genoss, machte sich in meinem Bauch doch auch ein Gefühl von Sorge breit. Ich hatte mir einen der neun Meister zum Feind gemacht, und deshalb musste ich herausbekommen, wie groß die Schwierigkeiten waren, in denen ich nun steckte.

In der Mensa gab es zum Abendessen Schwarzbrot mit Butter, Eintopf und Bohnen. Manet war da, und mit seiner wilden Mähne sah er aus wie ein großer weißer Wolf. Simmon und Sovoy nörgelten an dem Essen herum und stellten Vermutungen darüber an, woher das Fleisch im Eintopf wohl stammen mochte. Für mich, der ich noch keine Spanne aus den Straßen von Tarbean fort war, war es ein überaus köstliches Mahl.

Dennoch verlor ich angesichts dessen, was ich von meinen Freunden erfuhr, allmählich den Appetit.

»Versteh mich bitte nicht falsch«, sagte Sovoy. »Du bist wirklich ein mutiger Kerl. Das werde ich nie bestreiten. Aber …« Er machte mit seinem Löffel eine Geste. »Für diese Geschichte werden sie dich lynchen.«

»Wenn er Glück hat«, sagte Simmon. »Ich meine, wir reden hier ja schließlich über eine Straftat, oder etwa nicht?«

»Es ist doch gar nichts passiert«, sagte ich mit mehr Zuversicht, als ich verspürte. »Ich habe ihm doch nur ein wenig den Fuß angewärmt, weiter nichts.«

»Sympathieanwendung mit Schadensfolge ist eine Straftat«, sagte Manet und fuchtelte mit einem Stück Brot in meine Richtung. »Du solltest dir sehr genau überlegen, mit wem du dich anlegst, Junge. Bei den Meistern sollte man sich bedeckt halten. Die können einem das Leben wirklich zur Hölle machen, wenn sie einen erst einmal auf dem Kieker haben.«

»Er hat angefangen«, sagte ich trotzig, den Mund voller Bohnen.

Ein Junge kam, ganz außer Atem, an unseren Tisch gelaufen. »Bist du Kvothe?«, fragte er und musterte mich.

Ich nickte, und nun wurde mir tatsächlich mulmig.

»Du sollst sofort in den Meistersaal kommen.«

»Wo ist das?«, fragte ich. »Ich bin erst seit ein paar Tagen hier.«

»Kann einer von euch es ihm zeigen?«, fragte der Junge und sah sich am Tisch um. »Ich muss zu Jamison und ihm sagen, dass ich ihn gefunden habe.«

»Ich mache das«, sagte Simmon und schob seinen Teller beiseite. »Ich habe sowieso keinen Appetit mehr.«

Jamisons Bote lief wieder fort, und Simmon machte Anstalten aufzustehen.

»Moment mal«, sagte ich und wies auf mein Tablett. »Ich habe noch nicht aufgegessen.«

Simmon blickte ungläubig. »Ich fass es nicht«, sagte er. »Ich kriege nichts mehr runter. Wie kannst du noch was essen?«

»Ich habe Hunger«, sagte ich. »Ich weiß nicht, was mir im Meistersaal bevorsteht, und ich möchte es lieber nicht auf nüchternen Magen erleben.«

»Sie werden dich auf die Hörner nehmen«, sagte Manet. »Das muss es sein, wenn sie dich zu so später Stunde noch dorthin bestellen.«

Ich wusste nicht, was er damit meinte, aber ich wollte nicht, dass der ganze Saal es bemerkte. »Die können warten, bis ich aufgegessen habe.« Ich nahm noch einen Löffel Eintopf.

Simmon setzte sich wieder und stocherte in seinem Essen herum. Ehrlich gesagt, war mir der Appetit vergangen, aber es ärgerte mich, dass man mich hier von einer Mahlzeit fortzerren wollte, nachdem ich in Tarbean so oft Hunger gelitten hatte.

Als Simmon und ich schließlich aufstanden, ebbte der übliche Lärm in der Mensa ab, und die anderen sahen uns nach. Sie wussten offenbar, wohin ich ging.

Draußen angelangt, schob sich Simmon die Hände in die Taschen und ging in Richtung Hollows los. »Scherz beiseite: Du steckst jetzt echt in Schwierigkeiten. Ist dir das klar?«

»Ich hatte gehofft, Hemme wäre die ganze Sache peinlich, und er würde das nicht mehr zur Sprache bringen«, gestand ich. »Werden hier viele Studenten rausgeschmissen?«, fragte ich und ließ es wie einen Scherz klingen.

»Dieses Trimester bisher noch keiner«, sagte Sim mit seinem scheuen Lächeln. »Aber heute ist ja auch erst der zweite Tag. Du könntest einen neuen Rekord aufstellen.«

»Das ist nicht witzig«, erwiderte ich, ertappte mich aber dennoch bei einem Grinsen.

Sim ging voran, und wir trafen für meinen Geschmack viel zu schnell im Hollows ein. Dort verabschiedete sich Sim von mir, und ich ging hinein.

Jamison empfing mich. Ihm unterstand alles, was nicht unter der direkten Leitung der Meister war: die Küchen, Wäschereien, Stallungen und Lager. Er war nervös und hatte etwas Vogelartiges an sich. Ein Mann mit einem Spatzenleib und Adleraugen.

Jamison geleitete mich in einen fensterlosen Saal, in dem ein mir schon bekannter halbmondförmiger Tisch stand. Wie schon bei der Zulassungsprüfung saß der Rektor in der Mitte. Der einzige Unterschied bestand darin, dass der Tisch hier nicht erhöht war und sich die sitzenden Meister fast auf meiner Augenhöhe befanden.

Die Blicke, die mich empfingen, waren nicht besonders freundlich. Jamison führte mich vor den Tisch. Als ich ihn aus dieser Perspektive sah, verstand ich, was Manet mit »auf die Hörner nehmen« gemeint hatte. Jamison zog sich an einen eigenen, kleineren Tisch zurück und machte eine Feder bereit zum Schreiben.

Der Rektor faltete die Hände und begann ohne Umschweife. »Am zweiten Caitelyn hat Hemme die Meister zusammengerufen.« Jamisons Feder schabte über ein Blatt Papier. Hin und wieder tunkte er sie in das Tintenfass auf dem Tisch. Der Rektor fuhr förmlich fort: »Sind die Meister vollzählig anwesend?«

»Meister der Physik«, sagte Arwyl.

»Meister der Bibliothek«, sagte Lorren, wie stets mit ausdrucksloser Miene.

»Meister der Arithmetik«, sagte Brandeur und ließ die Fingerknöchel knacken.

»Meister des Handwerks«, grummelte Kilvin, ohne von der Tischplatte aufzusehen.

»Meister der Alchemie«, sagte Mandrag.

»Meister der Rhetorik.« Hemmes Gesicht war rot und grimmig.

»Meister der Sympathie«, sagte Elxa Dal.

»Meister der Namenskunde.« Elodin lächelte mich tatsächlich an. Und es war kein beiläufiges Heben der Mundwinkel, sondern ein herzliches Lächeln.

Ich atmete erleichtert auf, froh, dass zumindest einer der Anwesenden mich nicht auf der Stelle aufhängen wollte.

»Und Meister der Sprachkunde«, sagte der Rektor. »Alle acht …« Er runzelte die Stirn. »Nein, Verzeihung. Streicht das bitte. Alle neun Meister sind anwesend. Tragt Eure Beschwerde vor, Meister Hemme.«

Hemme ließ sich nicht lange bitten. »Der Studienanfänger Kvothe, der kein Mitglied des Arkanums ist, hat heute in böswilliger Absicht sympathetische Bindungen an mir vollzogen.«

»Zwei Beschwerden wurden von Meister Hemme gegen Kvothe eingereicht«, sagte der Rektor in strengem Ton und ließ mich dabei nicht aus dem Blick. »Die erste Beschwerde: Unbefugter Einsatz von Sympathie. Was ist die ordnungsgemäße Strafe dafür, Meister Lorren?«

»Bei unbefugtem Einsatz von Sympathie mit Personenschadenfolge wird der straffällige Student gefesselt und ausgepeitscht, und zwar mit zwei bis zehn Schlägen auf den Rücken«, sagte Lorren, als würde er aus einem Kochrezept vorlesen.

»Anzahl der beantragten Hiebe?« Der Rektor sah zu Hemme hinüber.

Hemme überlegte. »Fünf.«

Ich spürte, wie mir das Blut aus dem Gesicht wich, und zwang mich, langsam und tief durch die Nase einzuatmen, um mich zu beruhigen.

»Hat einer der Meister etwas dagegen einzuwenden?« Der Rektor sah sich am Tisch um, aber alle Münder schwiegen, und alle Augen blickten streng. »Die zweite Beschwerde: Verübung einer Straftat. Meister Lorren?«

»Vier bis fünfzehn Peitschenhiebe und Ausschluss aus der Universität«, sagte Lorren in ruhigem Ton.

»Anzahl der beantragten Hiebe?«

Hemme starrte mich an. »Acht.«

Dreizehn Peitschenhiebe und Ausschluss aus der Universität. Kalter Schweiß brach mir aus, und mir wurde schlecht. Angst war mir eine alte Vertraute. In Tarbean war sie nie fern gewesen. Angst hielt einen am Leben. Doch nie zuvor hatte ich eine so verzweifelte Hilflosigkeit verspürt. Eine Angst nicht nur vor körperlichen Verletzungen, sondern davor, dass damit nun mein ganzes Leben ruiniert war. Eine leichte Benommenheit stellte sich ein.

»Verstehst du die gegen dich eingelegten Beschwerden?«, fragte der Rektor in strengem Ton.

Ich atmete tief durch. »Nicht so ganz, Sir.« Ich hasste es, wie meine Stimme klang: bebend und schwach.

Der Rektor hob eine Hand, und Jamison nahm die Feder vom Papier. »Es ist ein Verstoß gegen die Gesetze der Universität, wenn ein Student, der kein Mitglied des Arkanums ist, Sympathie einsetzt, ohne die Erlaubnis eines Meisters dafür zu haben.«

Seine Miene verdüsterte sich. »Und es ist in jedem Fall ausdrücklich verboten, mittels der Sympathie Schaden anzurichten, und schon gar, einen Meister zu schädigen. Vor einigen Jahrhunderten wurden die Arkanisten wegen derlei Dingen gejagt und verbrannt. Ein derartiges Verhalten dulden wir hier nicht.«

Der Rektor atmete tief durch. »Verstehst du es jetzt?«

Ich nickte.

Er gab Jamison ein Zeichen, der wieder zur Feder griff. »Verstehst du, Kvothe, die gegen dich eingelegten Beschwerden?«

»Ja, Sir«, sagte ich in so festem Tonfall, wie es mir nur möglich war. Mir begannen die Knie ein wenig zu schlottern. Ich versuchte sie stillzuhalten, aber das schien das Schlottern nur noch zu verstärken.

»Hast du irgendetwas zu deiner Verteidigung vorzubringen?«, fragte der Rektor.

Ich wollte nur noch weg von hier. Ich spürte die Blicke der Meister auf mir lasten. Ich hatte feuchtkalte Hände, und ich hätte wahrscheinlich den Kopf geschüttelt und wäre aus dem Saal geschlichen, hätte der Rektor nicht noch einmal gefragt.

»Also?«, fragte er gereizt. »Gar keine Verteidigung?«

Diese Worte brachten bei mir eine Saite zum Klingen. Es waren eben die Worte, die Ben beim Argumentierunterricht Hunderte Male an mich gerichtet hatte. Seine Worte fielen mir wieder ein, und sie tadelten mich: Was? Gar keine Verteidigung? Jeder meiner Schüler muss in der Lage sein, seine Gedanken gegen einen Angriff zu verteidigen. Wie auch immer du dein Leben lebst – dein Geist wird dich häufiger verteidigen als das Schwert. Erhalte ihn scharf!

Ich atmete noch einmal tief durch, schloss die Augen und konzentrierte mich. Nach einer ganzen Weile spürte ich, wie mich die kalte Teilnahmslosigkeit des Steinernen Herzens umfing. Das Zittern hörte auf.

Ich schlug die Augen auf und hörte meine Stimme sagen: »Ich hatte die Erlaubnis, Sympathie einzusetzen, Sir.«

Der Rektor sah mich mit einem langen, strengen Blick an, bevor er fragte: »Wie bitte?«

Ich hüllte mich in das Steinerne Herz wie in einen schützenden Mantel. »Meister Hemme hatte es mir erlaubt, sowohl stillschweigend als auch ausdrücklich.«

Die Meister regten sich verblüfft auf ihren Sitzen.

Der Rektor wirkte alles andere als erfreut. »Erläutere das.«

»Nach der ersten Stunde bin ich an Meister Hemme herangetreten und habe ihm gesagt, dass mir die Dinge, über die er gesprochen hatte, bereits vertraut seien. Er sagte, wir würden am nächsten Tag darüber sprechen.

Als er am nächsten Tag ins Seminar kam, verkündete er, dass ich den Unterricht leiten und die Grundlagen der Sympathie demonstrieren würde. Nachdem ich mir angesehen hatte, welche Materialien mir zur Verfügung standen, habe ich dem Seminar die erste Demonstration vorgeführt, die mein Meister mir vor langer Zeit gab.« Das entsprach natürlich nicht der Wahrheit. Wie schon erwähnt, war es bei meiner ersten Lektion um eine Handvoll Eisenmünzen gegangen. Es war gelogen, klang aber plausibel.

Den Mienen der Meister nach zu schließen war ihnen das neu. Tief im Innern des Steinernen Herzens atmete ich auf, froh darüber, dass die Verärgerung der Meister sich nun auf Hemmes verkürzte Darstellung der Ereignisse richtete.

»Du hast im Seminar eine Demonstration durchgeführt?«, fragte der Rektor, ehe ich fortfahren konnte. Er sah zu Hemme hinüber, dann wieder zu mir.

Ich spielte den Unschuldigen. »Nur eine ganze einfache. Ist das so ungewöhnlich?«

»Es ist schon ein wenig sonderbar«, sagte er und sah zu Hemme hinüber. Ich spürte seine Wut, doch nun galt sie offenbar nicht mir.

»Ich dachte, so beweist man seine Kenntnis des Stoffs und wird dann in ein fortgeschritteneres Seminar versetzt«, sagte ich ganz unschuldig. Auch das war gelogen, klang aber schlüssig.

Elxa Dal ergriff das Wort. »Was wurde bei dieser Demonstration verwendet?«

»Eine Wachspuppe, ein Haar von Meister Hemmes Kopf und eine Kerze. Ich hätte gern ein anderes Beispiel gewählt, aber meine Materialien waren beschränkt. Ich dachte, das gehört ebenfalls zu dieser Prüfung – dass man mit dem auskommt, was einem zur Verfügung steht.« Ich zuckte die Achseln. »Ich sah keine andere Möglichkeit, mit den vorhandenen Materialien alle drei Gesetze zu demonstrieren.«

Der Rektor sah zu Hemme hinüber. »Stimmt es, was der Junge sagt?«

Hemme öffnete den Mund, als wollte er es bestreiten, doch dann fiel ihm offenbar ein, dass ein ganzer Hörsaal voller Studenten Zeuge dieses Ereignisses gewesen war. Er sagte nichts.

»Verdammt noch mal, Hemme«, platzte Elxa Dal hervor. »Ihr lasst diesen Jungen ein Abbild von Euch erschaffen und legt dann gegen ihn Beschwerde ein?« Er stotterte. »Ihr habt Schlimmeres verdient, als Euch widerfahren ist.«

»Mit lediglich einer Kerze hätte E’lir Kvothe ihm nicht wehtun können«, murmelte Kilvin. Er betrachtete grübelnd seine Finger. »Nicht mit Haar und Wachs. Mit Blut und Lehm vielleicht …«

»Ruhe im Saal«, mahnte der Rektor streng. Er warf Elxa Dal und Kilvin einen Blick zu. »Kvothe, beantworte Meister Kilvins Frage.«

»Ich habe eine zweite Bindung hergestellt, zwischen der Kerze und einem Kohlenbecken, um das Gesetz der Erhaltung zu veranschaulichen.«

Kilvin sah weiter auf seine Hände. »Wachs und Haar?«, grummelte er, so als stelle ihn meine Erklärung nicht ganz zufrieden.

Ich guckte halb verwirrt, halb verlegen und sagte: »Ich verstehe es auch nicht, Sir. Ich hätte bestenfalls einen Wirkungsgrad von zehn Prozent erreichen dürfen. Es hätte niemals zu einer Brandblase führen dürfen, geschweige denn zu einer Verbrennung.«

Ich wandte mich an Hemme. »Ich wollte Euch wirklich nicht wehtun, Sir«, sagte ich in meinem besten Tonfall der Verzweiflung. »Es sollte Euch nur ein klein wenig den Fuß erwärmen, damit Ihr aufspringt. Das Feuer brannte doch erst seit fünf Minuten, und ich hätte nie gedacht, dass ein frisch entfachtes Feuer mit zehn Prozent Wirkungsgrad Euch wehtun könnte.« Ich rang sogar ein wenig die Hände, ganz der verzweifelte Student. Es war eine reife Leistung. Mein Vater wäre stolz auf mich gewesen.

»Es hat mir aber wehgetan«, klagte Hemme unerbittlich. »Und wo ist denn überhaupt die verdammte Puppe? Ich verlange, dass du sie sofort herausgibst!«

»Das kann ich leider nicht, Sir. Ich habe sie zerstört. Es wäre zu gefährlich gewesen, sie dort herumliegen zu lassen.«

Hemme sah mich prüfend an. »Es spielt eigentlich auch keine Rolle«, murmelte er.

Der Rektor nahm die Zügel wieder in die Hand. »Das ändert die Sachlage dann doch erheblich. Hemme, wollt Ihr immer noch Beschwerde gegen Kvothe einlegen?«

Hemme starrte wütend vor sich hin und schwieg.

»Ich stelle den Antrag, beide Beschwerden abzuweisen«, sagte Arwyl. »Wenn Hemme ihn vor das Seminar hingestellt hat, hat er ihm damit die Erlaubnis erteilt. Und es liegt auch keine Straftat vor, wenn man ihm ein eigenes Haar gibt und dabei zusieht, wie er es in den Kopf einer Puppe steckt.«

»Ich hatte erwartet, dass er das, was er da tut, besser unter Kontrolle hat«, sagte Hemme und warf mir einen giftigen Blick zu.

»Das ist aber keine Straftat«, beharrte Arwyl und funkelte Hemme finster an.

»Das würde eher unter fahrlässigen Einsatz der Sympathie fallen«, warf Lorren kühl dazwischen.

»Stellt das einen Antrag dar, die bisherigen Beschwerden abzuweisen und durch Beschwerden wegen fahrlässigen Einsatzes der Sympathie zu ersetzen?«, fragte der Rektor, bemüht, einen Anschein von Förmlichkeit zu wahren.

»Ja«, sagte Arwyl, der Hemme immer noch durch seine Brille anfunkelte.

»Sind alle für den Antrag?«, fragte der Rektor.

Bis auf Hemme bekundeten alle ihre Zustimmung.

»Wer ist dagegen?«

Hemme schwieg.

»Meister Lorren, welche Strafe steht auf fahrlässigen Einsatz der Sympathie?«

»Wenn jemand durch den fahrlässigen Einsatz der Sympathie zu Schaden kommt, wird der straffällige Student ausgepeitscht, mit höchstens sieben Hieben auf den Rücken.« Ich fragte mich, aus welchem Buch Meister Lorren da rezitierte.

»Anzahl der beantragten Hiebe?«

Hemme blickte den anderen Meistern ins Gesicht und merkte, dass sich das Blatt zu seinen Ungunsten gewendet hatte. »Ich habe Brandblasen die halbe Wade hinauf«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Drei Peitschenhiebe.«

Der Rektor räusperte sich. »Ist einer der Meister dagegen?«

»Ja«, sagten Elxa Dal und Kilvin wie aus einem Munde.

»Wer ist dafür, die Strafe zur Bewährung auszusetzen? Ich bitte um das Handzeichen.«

Elxa Dal, Kilvin und Arwyl hoben sofort die Hand, gefolgt von dem Rektor. Mandrag ließ die Hand unten, ebenso wie Lorren, Brandeur und Hemme. Elodin lächelte mich freundlich an, hob aber nicht die Hand. Ich verfluchte mich für den ungünstigen Eindruck, den ich bei meinem jüngsten Besuch in der Bibliothek bei Lorren hinterlassen hatte. Wenn das nicht gewesen wäre, hätte er die Dinge womöglich zum Guten für mich gewendet.

»Viereinhalb Stimmen für eine Aussetzung der Strafe«, sagte der Rektor nach kurzem Schweigen. »Damit steht die Strafe fest: Drei Peitschenhiebe, zu verabreichen morgen, am dritten Caitelyn, um zwölf Uhr mittags.«

Da ich mich tief im Steinernen Herzen befand, verspürte ich lediglich eine leichte Neugier darauf, wie es sein würde, öffentlich ausgepeitscht zu werden. Die Meister machten Anstalten, sich zu erheben, doch ehe die Sitzung geschlossen wurde, ergriff ich noch einmal das Wort. »Meister Rektor?«

Er atmete tief durch und schnaubte beim Ausatmen. »Ja?«

»Bei meiner Zulassungsprüfung sagtet Ihr, mir werde die Aufnahme in das Arkanum gewährt, wenn ich bewiese, dass ich die Grundlagen der Sympathie beherrsche.« Ich zitierte ihn beinahe wörtlich. »Stellt das nun einen Beweis dar?«

Hemme wie auch der Rektor öffneten den Mund, um etwas zu sagen, aber Hemme war lauter. »Jetzt pass mal auf, du kleiner Wicht.«

»Hemme!«, fuhr ihn der Rektor an. Dann wandte er sich an mich. »Ich fürchte, für den Nachweis der Beherrschung braucht es mehr als eine einfache sympathetische Bindung.«

»Es war eine doppelte Bindung«, verbesserte Kilvin ihn barsch.

Elodin ergriff das Wort und schien alle am Tisch damit zu erschrecken. »Mir fallen durchaus einige Studenten ein, die dem Arkanum angehören und denen es schwer fiele, eine doppelte Bindung herzustellen, ganz zu schweigen davon, einem Manne Brandblasen die halbe Wade hinauf zuzufügen.« Er lächelte mich wieder freundlich an.

Einen Moment lang herrschte stilles Nachdenken.

»Das stimmt«, gestand Elxa Dal und musterte mich.

Der Rektor starrte eine ganze Weile auf die Tischplatte. Dann zuckte er die Achseln, hob den Blick und zeigte ein überraschend unbeschwertes Lächeln. »Wer dafür ist, Kvothes fahrlässigen Einsatz der Sympathie als Beweis dafür gelten zu lassen, dass er die Grundlagen der Sympathie beherrscht, den bitte ich um das Handzeichen.«

Kilvin und Elxa Dal hoben die Hand. Arwyl schloss sich ihnen an. Elodin winkte. Einen Augenblick später hob auch der Rektor die Hand und sagte: »Fünfeinhalb Stimmen für die Aufnahme Kvothes in das Arkanum. Antrag angenommen. Die Sitzung ist geschlossen. Tehlu behüte uns, auch die Narren und die Kinder.« Das Letzte sagte er sehr leise und lehnte dabei die Stirn an seinen Handballen.

Hemme stürmte aus dem Saal, Brandeur hintendrein. Sobald sie draußen waren, hörte ich Brandeur fragen: »Habt Ihr denn gar keinen Schutz getragen?«

»Nein, habe ich nicht«, schnauzte Hemme. »Und ich verbitte mir diesen Ton, es ist ja schließlich nicht meine Schuld. Da könntet Ihr ja auch jemandem, der in einer Gasse niedergestochen wurde, vorwerfen, dass er keine Rüstung trug.«

»Wir alle sollten Vorsichtsmaßnahmen treffen«, sagte Brandeur beschwichtigend. »Das wisst Ihr so gut wie –« Dann fiel hinter ihnen die Tür ins Schloss.

Kilvin erhob sich, zuckte die Achseln, streckte sich. Dann sah er sich zu mir um, kratzte sich mit beiden Händen den buschigen Vollbart, machte ein nachdenkliches Gesicht und schlenderte zu mir herüber. »Wurdest du denn schon in die Sygaldrie eingewiesen, E’lir Kvothe?«

Ich sah ihn verständnislos an. »Meint Ihr die Runenkunde, Sir? Leider nicht.«

Kilvin strich sich nachdenklich mit den Fingern durch den Bart. »Gib dich nicht mit dem Seminar über die Grundlagen des Handwerks ab, für das du dich eingeschrieben hast. Komm statt dessen morgen in meine Werkstatt. Um zwölf Uhr mittags.«

»Ich fürchte, um zwölf habe ich bereits einen anderen Termin, Meister Kilvin.«

»Hm. Ja.« Er runzelte die Stirn. »Na dann halt um eins.«

»Ich fürchte, nach dem Auspeitschen hat der Junge einen Termin bei uns, Kilvin«, sagte Arwyl mit einem belustigten Funkeln in den Augen. »Lass dich anschließend von jemandem in die Mediho bringen, Junge. Wir flicken dich dann wieder zusammen.«

»Vielen Dank, Sir.«

Arwyl nickte und verließ den Saal.

Kilvin sah ihm nach und wandte sich dann wieder an mich. »In meiner Werkstatt. Übermorgen. Zwölf Uhr mittags.« Dem Tonfall nach war es keine Frage.

»Es wird mir eine Ehre sein, Meister Kilvin.«

Zur Antwort grunzte er nur und ging dann mit Elxa Dal hinaus.

So blieb ich mit dem Rektor, der immer noch dasaß, allein. Wir sahen einander an, während die Schritte auf dem Korridor verhallten. Ich löste mich aus dem Steinernen Herzen und verspürte bei all dem, was gerade geschehen war, eine wilde Mischung aus Vorfreude und Furcht.

»Es tut mir sehr Leid, dass ich Euch schon so bald so großen Ärger bereite, Sir«, sagte ich zögernd.

»Ach ja?«, sagte er. Da wir nun allein waren, blickte er längst nicht mehr so streng. »Wie lange hattest du denn damit warten wollen?«

»Zumindest eine Spanne, Sir.« Mir war geradezu schwindelig vor Erleichterung, und ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken.

»Zumindest eine Spanne«, murmelte er. Der Rektor rieb sich mit beiden Händen das Gesicht, hob dann den Blick und erstaunte mich mit einem schiefen Lächeln. Mir wurde klar, dass er gar nicht so alt war, wahrscheinlich gerade einmal vierzig. »Du siehst nicht wie jemand aus, der weiß, dass er morgen ausgepeitscht wird«, bemerkte er.

Ich schob den Gedanken beiseite. »Das wird schon wieder heilen, Sir.« Er sah mich mit einem seltsamen Blick an, und es dauerte einen Moment, bis ich in diesem Blick etwas wiedererkannte, an das ich mich bei der Truppe gewöhnt hatte. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ich reagierte auf die Worte, ehe er sie aussprechen konnte: »Ich bin nicht so jung, wie ich aussehe, Sir. Ich weiß das. Ich wünschte bloß, andere Leute wüssten es auch.«

»Ich denke mal, sie werden es nur allzu bald erfahren.« Er sah mich lange an, erhob sich dann und streckte mir die Hand entgegen. »Willkommen im Arkanum.«

Ich schüttelte ihm feierlich die Hand, und dann gingen wir auseinander. Als ich nach draußen kam, war ich erstaunt, dass es schon dunkel war. Ich atmete die liebliche Frühlingsluft tief ein und spürte, wie mein Lächeln zurückkehrte.

Plötzlich berührte mich jemand an der Schulter. Ich machte einen Satz, und es hätte nicht viel gefehlt, dann hätte ich mich als heulender, kratzender, beißender Wirbelwind – in Tarbean meine einzige Verteidigungsmethode – auf Simmon gestürzt.

Er wich einen Schritt zurück, erschrocken über den Ausdruck auf meinem Gesicht.

Ich versuchte mein hämmerndes Herz zu beruhigen. »Simmon. Entschuldige. Es ist nur … Schleich dich bitte nicht so an. Ich bin schreckhaft.«

»Ich auch«, murmelte er mit zittriger Stimme und wischte sich mit der Hand über die Stirn. »Aber ich kann es dir auch nicht verdenken. Das würde wohl jedem von uns so gehen, wenn man ihn gerade auf die Hörner genommen hat. Wie ist es denn gelaufen?«

»Sie werden mich auspeitschen lassen, und sie haben mich ins Arkanum aufgenommen.«

Er blickte mich forschend an, um zu sehen, ob das ein Scherz war. »Oh, das tut mir Leid. Und herzlichen Glückwunsch!« Er lächelte sein scheues Lächeln. »Soll ich dir jetzt einen Verband besorgen oder dich zu einem Bier einladen?«

Ich erwiderte das Lächeln. »Beides.«

Als ich auf die dritte Etage des Mews zurückkehrte, war mir die Nachricht von meinem Nicht-Rausschmiss und meiner Aufnahme in das Arkanum bereits vorausgeeilt. Der ganze Schlafsaal empfing mich mit Applaus. Hemme war eben nicht sehr beliebt. Einige Studenten gratulierten mir ehrfürchtig, und Basil kam und schüttelte mir die Hand.

Ich hatte mich gerade auf mein Etagenbett gesetzt und erklärte Basil den Unterschied zwischen einem normalen Peitschenhieb und dem einer neunschwänzigen Katze, als der Kämmerer der zweiten Etage mich suchen kam. Er wies mich an, meine Sachen zu packen, und erklärte, die Studenten des Arkanums seien im Westflügel untergebracht.

Alles, was ich besaß, passte immer noch bestens in meinen Reisesack, und so war da nicht viel zu tun. Als mich der Kämmerer hinausgeleitete, verabschiedeten sich die anderen Studienanfänger im Chor von mir.

Die Schlafsäle im Westflügel ähnelten denen, die ich eben hinter mir gelassen hatte. Dort standen schmale Betten aufgereiht, aber es waren einzelne, keine Etagenbetten. Und zu jedem Bett gehörte ein Spind, ein Schreibpult und eine Truhe. Es war nichts Besonderes, aber doch ein gewisser Aufstieg.

Der größte Unterschied zeigte sich im Verhalten meiner dortigen Kommilitonen. Es gab finstere und wütende Blicke, aber die meisten beachteten mich überhaupt nicht. Es war ein kühler Empfang, zumal verglichen mit dem Abschied, den man mir just zuvor bereitet hatte.

Der Grund dafür lag auf der Hand. Die meisten Studenten hatten geraume Zeit an der Universität zugebracht, bevor sie in das Arkanum aufgenommen wurden. Alle hier hatten sich auf die harte Tour hochgearbeitet. Ich nicht.

Die Betten waren nur zu drei Vierteln belegt. Ich suchte mir eines hinten in der Ecke aus, abseits der anderen, hängte mein Zweithemd und meinen Umhang in den Spind und legte meinen Reisesack in die Truhe am Fußende des Betts.

Dann legte ich mich hin und starrte an die Decke. Mein Bett befand sich außerhalb des unmittelbaren Lichtscheins der Kerzen und Sympathielampen der anderen Studenten. Endlich war ich Mitglied des Arkanums, in vieler Hinsicht genau das, was ich immer hatte werden wollen.

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