22

Ein Nachtelf schrie. Brustpanzer und Brustkorb wurden von einer Dämonenklinge gespalten. Ein anderer, der neben ihm stand, erhielt nicht einmal mehr Gelegenheit zu einem letzten Schrei, denn der Streitkolben einer Feiwache zertrümmerte ihm den Schädel.

Überall starben die Verteidiger, und Rhonin hatte bisher nichts unternehmen können, was an dieser schrecklichen Tatsache etwas geändert hätte. Trotz Lord Ravencrests mutigem Einsatz in den vorderen Reihen wurden die Nachtelfen regelrecht abgeschlachtet. Die Brennende Legion gönnte ihnen keine Verschnaufpause, sondern griff unablässig an.

Obwohl der Zauberer wusste, dass er und die anderen sterben würden, kämpfte er weiter.

Was sollte er sonst auch tun?


Die Nachricht vom Eintreffen der Verteidigungsstreitmacht hatte Lord Xavius nicht gelinde überrascht. Am Ausgang der Schlacht hegte er dennoch nicht den geringsten Zweifel. Er beobachtete, wie ein Himmelskrieger des Erhabenen nach dem anderen aus dem Portal trat und war überzeugt, dass keine Armee ihnen lange Widerstand würde leisten können. Bald schon würden die Unvollkommenen aus der Welt getilgt sein.

Mannoroth führte die Legion gegen die Narren an, während Hakkar auf der Jagd war. Der Rest lag in Lord Xavius’ fähigen Händen. Er warf rasch einen Blick in eine Nische in der Nähe des Eingangs. Dort hatte er seine neueste Trophäe abgestellt. Sobald die Verteidiger besiegt waren, würde er sich mit seinem »Gast« beschäftigen. Im Moment allerdings hatte er noch dringlichere Dinge zu erledigen.

Er richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Portal, wo eine weitere Gruppe von Feibestien auftauchte. Sie erhielt ihre Anweisungen von dem riesigen Wächter der Verdammnis, den Mannoroth zurückgelassen hatte. Dann marschierten die Ankömmlinge ihren blutrünstigen Kameraden entgegen. Immer wieder hatte sich diese Szene in den letzten Minuten wiederholt, und mit jedem Mal wurde die Zahl der Krieger größer. Jetzt füllten sie schon fast den kompletten Raum.

Als der letzte Trupp Feibestien vorbeizog, vernahm Lord Xavius Sargeras’ ruhmreiche Stimme in seinem Kopf. Das Tempo zieht an … ich bin zufrieden.

Der Nachtelf kniete nieder. »Das ehrt mich.«

Es gibt bereits Widerstand.

»Das sind nur einige Unvollkommene, die das Unvermeidliche aufschieben wollen.«

Das Portal muss geschützt werden … es muss offen bleiben und noch weiter verstärkt werden. Bald … sehr bald … werde ich hindurch treten …

Das Herz des Beraters überschlug einen Takt. Der lange erwartete Moment rückte näher!

Er erhob sich und sagte: »Ich werde dafür sorgen, dass Euch der Weg bereitet wird! Das schwöre ich!«

Er spürte eine Welle der Zufriedenheit, dann verließ Sargeras seine Gedanken.

Lord Xavius wandte sich sofort dem Diagramm zu, das den Schildzauber ermöglichte. Er hatte es bereits untersucht, nachdem der Eindringling versucht hatte es zu zerstören, aber man konnte nie gründlich genug sein.

Ja, alles war in bester Ordnung. Xavius dachte an seinen »Gast« und die Dinge, die er tun würde, wenn Sargeras endlich aus dem Portal trat. Die Königin würde sicherlich zugegen sein, außerdem musste eine Ehrengarde organisiert werden. Darum würde sich Hauptmann Varo’then kümmern. Der Berater wollte der Erste sein, der den Himmelsherrscher begrüßte. Als Geschenk, so beschloss Xavius, würde er Sargeras den Kristall mitsamt seinem Inhalt überreichen. Schließlich gehörte er zu den dreien, die Mannoroth für wichtig genug hielt, um den Herrn der Hunde ein zweites Mal auf ihre Spur zu setzen. Wie dumm würde Hakkar aus der Wäsche schauen, wenn er zurückkehrte und feststellen musste, dass der Berater bereits einen von ihnen dingfest gemacht hatte.

Lord Xavius konnte es kaum erwarten, den Gefangenen Sargeras zu präsentieren. Er war neugierig, was genau der Gott mit dem jungen Narren anstellen würde …


Sein Alptraum endete nicht.

Malfurion schwebte in dem Kristall und starrte auf den kleinen Ausschnitt des Raums, den er einsehen konnte. Man hatte ihn auf einem Regal in einer kleinen Nische abgestellt. Dadurch konnte er den Bereich neben der Tür erkennen und den nicht abreißenden Strom von dämonischen Kriegern beobachten, die vorbeizogen und in deren Gesichtern nichts als der Tod geschrieben stand. Das zog ihm das Herz noch enger zusammen, wusste er doch, dass sie jeden Nachtelf erschlagen würden, den sie fanden – und das nur, weil es Malfurion nicht gelungen war, den Schild zu zerstören.

Obwohl seine Umgebung ihm nicht verriet, wie viel Zeit verstrich, glaubte Malfurion, dass seit seiner Gefangennahme mindestens zwei Nächte vergangen waren. In seinem Geistkörper schlief er nicht, was die Zeit noch länger erscheinen ließ.

Wie töricht er gewesen war! Malfurion kannte die Geschichten über Lord Xavius’ Augen, in denen es hieß, sie könnten die Schatten der Schatten erkennen, aber er hatte nie daran geglaubt. Es war ihm nicht in den Sinn gekommen, dass die Augen, die es dem Berater erlaubten, die natürlichen Kräfte der Zauberei zu erkennen, auch dazu benutzt werden könnten, um einen Geist in einem Raum aufzuspüren.

Wie Lord Xavius gelacht hatte!

Malfurion hatte anfangs versucht, seinem Kristallgefängnis zu entkommen, aber es widerstand allen Bemühungen. Er hatte versagt. Er hatte sich selbst, seine Freunde, sein Volk … ja, seine Welt im Stich gelassen.

Jetzt bot vermutlich nur noch Lord Ravencrests Armee den Dämonen die Stirn.

Er musste etwas unternehmen.

Malfurion wappnete sich und versuchte noch einmal das umzusetzen, was ihm Cenarius beigebracht hatte. Der Kristall war ein Teil der Natur und somit für seine Zauber empfänglich. Er ließ seine Hände über die Kanten gleiten und suchte nach einer Schwachstelle. Dazu benutzte er etwas Ähnliches wie einen Druidenzauber.

Doch er konnte nichts finden.

Malfurion schrie frustriert auf. Tausende würden seines Versagens wegen sterben. Illidan würde sterben. Brox würde sterben. Tyrande – Tyrande würde sterben.

Er sah ihr Gesicht klarer in seinem Geist als jedes andere. Malfurion stellte sich vor, wie groß ihre Sorge um ihn war. Er wusste, dass sie wahrscheinlich neben seinem Körper saß und darum bemüht war, ihn zurückzuholen. Der gefangene Nachtelf konnte beinahe ihre Stimme hören.

Malfurion …

Der Nachtelf erzitterte. Offenbar begann er bereits, den Verstand zu verlieren. Es überraschte Malfurion, dass dies bereits so frühzeitig geschah, andererseits war seine Situation mehr als prekär und forderte gewiss das Hinübergleiten in den Wahnsinn …

Malfurion – kannst du mich hören?

Erneut glaubte er, Tyrandes Stimme in seinen Gedanken zu hören. Er blickte aus seinem Gefängnis, um herauszufinden, ob Lord Xavius vielleicht versuchte, ihn geistig zu foltern. Aber der Berater war nirgends zu sehen.

Nach langem Zögern erwiderte er in seinen Gedanken schließlich: Tyrande?

Malfurion! Ich hatte die Hoffnung fast aufgegeben …

Er konnte es kaum glauben. Sie war zwar eine Priesterin der Elune, aber etwas Derartiges hätte auch ihre Fähigkeiten übersteigen müssen. Tyrande – wie hast du mich gefunden?

Mit Hilfe eines anderen … er sagt, er habe nach dir gesucht.

Die Einzigen, die Malfurion dazu einfielen, waren Rhonin und Brox. Tyrande kannte den Orc jedoch. Und Brox mochte ein tapferer Krieger sein, mit Magie hatte er nichts zu schaffen. Konnte also Rhonin dahinterstecken? Auch das ergab keinen Sinn, war der Zauberer doch angeblich mit Lord Ravencrest fort geritten.

Wer?, fragte er schließlich. Wer?

Mein Name ist Krasus.

Der plötzliche Wechsel verstörte Malfurion. Die Stimme klang wie keine, die er je vernommen hatte. Allerdings erinnerte sie ihn ein wenig an Cenarius. Dieser Krasus war auf keinen Fall ein Nachtelf, sondern viel, sehr viel mehr.

Spürst du uns noch?, fragte die neue Stimme.

Das tue ich … Krasus.

Ich habe Tyrande gezeigt, wie sie die Verbindung zwischen euch nutzen kann, um deinen Geistkörper zu erreichen. Das ist nicht einfach, aber wir hoffen, dass wir es lange genug durchhalten, um dich zu befreien.

Befreien? Malfurion warf einen Blick aufs ein Gefängnis. Er bezweifelte, dass das möglich war.

Ja, das ist eine listige Falle, fuhr Krasus überraschend fort. Anscheinend konnten sie mittels die Verbindung sehen, wo ihn Lord Xavius gefangen hielt. Aber damit habe ich Erfahrung.

Malfurion begann, neue Hoffnung zu schöpfen. Was müssen wir tun?

Da wir deinen Körper bewegt haben – Ihr habt was getan? Sie hatten seinen Körper bewegt? Das Risiko war …

Mir sind die Risiken bekannt. Malfurion protestierte nicht weiter, und Krasus fuhr fort: Wir mussten ihn … näher zu einem aus unserer Gruppe bringen. Jetzt hör mir zu, denn es ist nötig, schnell zu handeln.

Der Nachtelf wartete angespannt. Er würde alles tun, was sie sagten, wenn es ihn nur befreite.

Ich muss den Kristall sehen, jeden Aspekt seines Wesens. Du bist ein Druide. Du kannst es mir zeigen.

Malfurion bestätigte, dass er verstanden hatte und studierte das Innere seiner magischen Zelle. Er nahm jede Ecke, jede Facette in Augenschein und zeigte so die Stärken des Kristalls – und seine möglichen Schwächen – auf. Nichts von dem, was er sah, erschien ihm selbst vielversprechend, aber er hoffte, dass Krasus besser wusste, wonach Ausschau zu halten war.

Da! Die körperlose Stimme ließ ihn vor einer Ecke innehalten. Malfurion hatte sie bereits früher genauer untersucht, weil ihm ein winziger Riss aufgefallen war – aber letztlich hatte er nichts damit ausrichten können.

Dies ist der Schlüssel zu deiner Flucht. Berühre ihn mit deinem Geist. Siehst du, was dieser Riss bedeutet?

Er gehorchte. Der Riss war nur ganz fein, aber dennoch hervorstechend.

Krasus befahl Malfurion, die Fähigkeiten einzusetzen, in denen ihn der Waldgott unterrichtet hatte. Damit sollte er die Länge und Breite des Risses ertasten, bis er ihn ebenso gut kannte wie sich selbst.

Jetzt solltest du die Schwachstelle erkennen, den Schlüssel, wenn du willst.

Nein … Doch! Da … ja! Er sah es! Malfurion konnte die Stelle spüren. Er drückte in seinem Drang nach Freiheit fest dagegen, doch der Kristall gab nicht nach.

Du bist stark, aber noch nicht voll ausgebildet. Öffne deine Gedanken. Lass uns hinein, egal, wie viele wir auch sein mögen. Wir werden dich mit unserer Stärke und unserem Wissen unterstützen.

Malfurion öffnete seinen Geist so gut es ging für Tyrande und den mysteriösen Krasus. Er fühlte sofort den Unterschied zwischen beiden. Tyrandes Gedanken waren besorgt, aber entschlossen, während die von Krasus weise, aber auch frustriert anmuteten. Diese Frustration hatte jedoch offenbar nichts mit Malfurions Lage zu tun.

Und jetzt versuche es noch einmal.

Der gefangene Nachtelf stellte sich vor, sein Geistkörper sei real. Er drückte gegen die Schwachstelle, als wäre sie lediglich ein schwaches Hindernis. Wenn er nur kräftig genug drückte …

Plötzlich spürte er, wie ihn die beiden unterstützten. Es war fast so, als stünden sie neben ihm.

Der Riss wurde breiter, länger …

Als der Riss sich erweiterte, entstand eine winzige Lücke.

Das ist deine Tür!, drängte Krasus. Geh hindurch!

Und Malfurions Geistkörper strömte durch die Öffnung hinaus.

Der Nachtelf wuchs, kaum dass er die Falle des Beraters hinter sich gelassen hatte, wuchs, bis er seine normale Größe erreicht hatte. Die Veränderung bezog sich nur auf seine eigene Perspektive, aber sie gefiel ihm wesentlich besser als die insektenartige Sichtweise, mit der er sich als Gefangener hatte begnügen müssen.

Nun … bevor sie dich entdecken … kehre zu uns zurück!

Doch dieses Mal widersprach Malfurion. Er war schon so weit gekommen, um sein Volk zu retten und seine Welt. Der Schildzauber musste gestoppt werden.

Malfurion!, rief Tyrande entsetzt. Nein!

Er ignorierte beide, glitt um eine Ecke … und hielt jäh inne. Lord Xavius stand auf der anderen Seite des Raumes und blickte auf ein dunkles Portal, durch das ununterbrochen Dämonen kamen. Der Berater schien mit etwas zu sprechen, das sich tief im Inneren befand, und Malfurion erschauderte, als er an das Böse erinnert wurde, das er in diesem Tor gespürt hatte.

Die augenblickliche Lage bot ihm jedoch einen Vorteil. Wenn Xavius nur noch ein paar Sekunden länger in diesen Abgrund schaute, konnte Malfurion sein Werk vollenden und sogar noch verschwinden.

Er schwebte zu dem Diagramm, wusste bereits, wie es zu zerstören war. Ein paar leichte Veränderungen würden ausreichen, um den Zauber zu unterbrechen.

Tyrande und Krasus sprachen nicht mehr zu ihm. Entweder hatten sie entschieden, ihn gewähren zu lassen, oder die Verbindung war unterbrochen. Es machte keinen Unterschied, es gab kein Zurück mehr für ihn.

Nach einem letzten Blick zum Lord-Berater griff Malfurion mit seinen magischen Kräften in das Diagramm ein. Zuerst manipulierte er einen wichtigen Bestandteil des Zaubers und sorgte so dafür, dass seine Stabilität in jedem Fall verloren ging, ganz gleich, was noch geschehen würde.

Dann beschwor Malfurion die Kraft der Welt, die Macht der Natur. Er benutzte sie, um dem Diagramm eine neue Form aufzuzwingen, eine, die seinem ursprünglichen Zweck widersprach und für seine letztendliche Auflösung sorgen würde.

Der Schutzzauber begann zu flackern …

Lord Xavius spürte sofort, dass etwas nicht stimmte. Etwas Schreckliches geschah mit seinem Schutzzauber.

Im Portal spürte auch Sargeras, dass sich etwas verändert hatte.

Suche!, befahl er seinem Werkzeug.

Der Berater fuhr herum. Seine dunklen, magischen Augen starrten auf das kostbare Diagramm – und auf den geisterhaften Eindringling, den er zuvor gefangen hatte.

Der Ungläubige mischte sich in den Zauber ein!

»Haltet ihn auf!«, brüllte Lord Xavius.

Der Schrei riss Malfurion beinahe aus seiner Konzentration. Mühsam gelang es ihm, die Kontrolle zurück zu gewinnen. Dann sah er zu Xavius, der wütend auf ihn zeigte und die Hochgeborenen und Dämonen anbrüllte. Sie wirkten verwirrt, denn sie konnten Malfurions Geistkörper weder sehen, noch berühren.

Lord Xavius jedoch vermochte beides.

Als dem königlichen Berater klar wurde, dass die anderen ihm nicht helfen konnten, warf er sich selbst auf Malfurion. Seine magischen Augen sonderten dunkle Energie ab, und Malfurion spürte den bevorstehenden Angriff. Instinktiv hob er die Hand, bat Wind und Luft um Unterstützung.

Rote Lichtblitze schossen auf den jungen Nachtelf zu. Sie hätten ihn vernichtet, hätten sie ihn getroffen. Doch nur eine Handspanne von ihm entfernt schlugen sie gegen eine unsichtbare Wand und wurden von einem starken Wind umgelenkt.

Mit tödlicher Präzision trafen die Blitze die riesigen Krieger neben dem Portal.

Die Dämonen wurden umher gewirbelt wie Blätter im Sturm. Einige krachten gegen die Wände, während zwei von ihnen mit den Zauberern, die das Portal offen hielten, zusammenstießen. Ihre Konzentration wurde unterbrochen, Chaos entstand. Das Portal ächzte, als könne es atmen, öffnete und schloss sich in wildem Wechsel.

Die hochgeborenen Zauberer kämpften um die Kontrolle des Portals. Einige Dämonen, die hindurch treten wollten, verschwanden wieder in der dahinter liegenden Dunkelheit.

Eine der großen, geflügelten Gestalten, die neben der Öffnung stand, lief auf Malfurion zu. Der gewaltige Dämon konnte den Nachtelf offensichtlich nicht sehen, schwang jedoch seine Waffe in der Hoffnung, einen zufälligen Treffer landen zu können, wild hin und her. Malfurion wich der Waffe so gut es ging aus, unsicher, ob sein Zustand als Geist ihn auch davor schützte.

Lord Xavius hatte sich unter dem umgelenkten Zauber hinweg geduckt, doch nun griff der Berater wieder in den Kampf ein. Aus einer Tasche an seiner Hüfte zog er einen weiteren Kristall.

»Aus dem wirst du nicht entkommen …«

Die magischen Augen glommen auf.

Malfurion bewegte sich schnell und brachte den Dämon zwischen sich und den Berater. Nicht das beabsichtigte Opfer, sondern der überraschte Dämon wurde auf den Kristall zugezogen. Die grässliche Gestalt brüllte vor Zorn und versuchte nach Malfurion zu greifen, wurde aber unaufhaltsam in den Kristall gerissen. Keine Gegenwehr fruchtete.

Xavius fluchte und schleuderte den Kristall von sich. Das Schicksal seines unbeabsichtigten Gefangenen interessierte ihn nicht. Seine Aufmerksamkeit richtete sich allein auf den Geistkörper, den niemand außer ihm zu sehen vermochte.

»Milord!«, schrie einer der Zauberer. »Sollen wir –«

»Unternehmt nichts! Widmet euch nur eurer Aufgabe. Achtet darauf, dass das Portal geöffnet und der Schildzauber funktionsfähig bleibt. Ich kümmere mich um den unsichtbaren Eindringling!«

Xavius bereitete einen weiteren Zauber vor. Malfurion blieb jedoch nicht untätig. Er drehte sich um und lief aus dem Raum, wurde von den Wachen noch nicht einmal bemerkt, als er durch die geschlossene, äußere Tür brach.

Der wütende Berater folgte ihm. »Öffnet die Tür!«

Die Wachen gehorchten. Xavius eilte aus dem Raum und folgte seinem Gegner die Treppe hinunter.

Malfurion hatte die Treppe allerdings gar nicht benutzt. Er befand sich in der Innenmauer des Turmes. Dort konnte er unbemerkt vom Lord-Berater abwarten, bis sich der Aufruhr legte.

Sodann kehrte Malfurion in die Kammer zurück und schwebte zum Diagramm. Er musste es schnellstens zerstören, bevor die Hochgeborenen es verstärken konnten.

Aber als er danach griff, spürte er ein vertrautes mulmiges Gefühl. Malfurion erschauderte und blickte fast gegen seinen Willen zum Portal.

Du wirst den Schild nicht berühren!, sagte die furchtbare Präsenz inmitten seines Geistes. Du willst es nicht. Du willst nur mir dienen … mich anbeten …!

Malfurion kämpfte gegen den Zwang an, der Stimme zu gehorchen. Er wusste, was mit einem jeden geschehen würde, wenn der, der zu ihm sprach, erst einmal die Welt betrat. All das Böse, das die Dämonen bisher über die Welt gebracht hatten, war nichts im Vergleich zu ihrem Herrn.

Ich werde … werde nicht zu deinem Werkzeug! Malfurion schrie beinahe, so sehr strengte es ihn an, den Blick von dem Portal abzuwenden.

Er spürte die Wut des anderen, während er um Atem rang. Das Böse konnte ihn nicht direkt angreifen, es vermochte nur mit seinen Gedanken zu spielen. Malfurion musste ihn ignorieren, musste sich stattdessen auf seine Freunde konzentrieren und darauf, was sein Versagen für sie alle zur Folge hätte.

Nur ein paar Augenblicke …

Sein Geistkörper krümmte sich zusammen, wurde plötzlich von entsetzlichem Schmerz durchdrungen. Er fuhr herum, brach in die Knie.

»Keine weiteren Spiele«, murmelte Lord Xavius, der im Türrahmen stand. Neben ihm suchten mehrere verwirrte Wachen vergeblich nach dem Eindringling, zu dem er sprach. »Keine weiteren Halbkatastrophen! Ich werde deinen Geist zerfetzen, dein Innerstes über die Welt verteilen … und erst dann werde ich dich dem Erhabenen überreichen, damit er mit dir anstellen kann, was immer ihm beliebt …«

Mit dieser Drohung zeigte er auf Malfurion.


Die Brennende Legion drängte die Reihen der Nachtelfen immer weiter zurück. Lord Ravencrest führte seine Soldaten so gut er es vermochte, aber sie konnten die Stellung nicht halten.

Ein Rammbock, von Rhonin erschaffen, prallte gegen die Dämonen. Er fegte einige zur Seite und grub sich tief in die Horde. Ihr Angriff geriet an dieser einen Stelle ins Stocken, aber an allen anderen rückte die Legion weiter vor.

Irgendwo schrie Lord Ravencrest Befehle. »Verstärkt die rechte Flanke! Bogenschützen! Kümmert euch zuerst um die geflügelten Wesen! Latosius, wo bleibt deine Mondgarde?«

Es war nicht genau auszumachen, ob der oberste Zauberer die Frage gehört hatte, aber die Mondgarde blieb, wo sie war. Latosius stand vor ihnen und befahl seinen Zauberern, auf die unterschiedlichen Situationen zu reagieren. Rhonin verzog das Gesicht. Der alte Nachtelf verstand nichts von Taktik. Er vergeudete die geringe Kraft seiner Gruppe auf wirkungslose Einzelangriffe, anstatt sie zu einem großen Zauber zusammenzufassen.

Auch Illidan bemerkte dies. »Der verfluchte alte Narr verschwendet ihre Möglichkeiten! Ich könnte sie besser anleiten.«

»Vergiss sie und konzentriere dich auf deine eigene Magie.«

Der Zauberer hatte den Satz noch nicht beendet, als Latosius plötzlich taumelte und sich an die Kehle griff. Er ging in die Knie. Blut quoll aus seinem Mund. Seine Haut wurde schwarz, als er tot zusammenbrach.

»Nein!« Rhonin blickte suchend nach vorne, entdeckte den Kriegszauberer und zeigte auf ihn. Er benutzte den gleichen Trick, den vielleicht sogar dieser Dämon vorher angewandt hatte und griff mit einem Zauber nach einigen der fliegenden Pfeilen. Sie wurden umgelenkt und schossen dem Kriegszauberer entgegen. Der sah auf, entdeckte sie und begann zu lachen. Mit einer Handbewegung erschuf er etwas, das Rhonin für einen Verteidigungsschild hielt.

Der Eredar stellte sein Gelächter jäh ein, als die Pfeile nicht nur seinen Schild, sondern auch seinen Oberkörper durchschlugen.

»Bist wohl nicht so stark, wie du dachtest«, murmelte der Zauberer mit grimmiger Zufriedenheit.

Rhonin drehte sich zu Illidan um, doch dieser stand nicht mehr neben ihm. Er entdeckte den jungen Nachtelf, wie er im wilden Galopp der Mondgarde entgegen ritt. Die Zauberer waren ohne ihren Anführer völlig in Aufruhr.

»Was will er …?« Aber Rhonin hatte keine Zeit, sich um seinen Beinahe-Schüler zu sorgen, denn er war plötzlich von fürchterlicher Hitze umgeben. Es fühlte sich an, als würde seine Haut schmelzen.

Die Eredar-Kriegszauberer hatten also doch gemerkt, dass die größte Gefahr von ihm ausging. Mehr als einer schien ihn anzugreifen. Es gelang ihm, genügend Stärke zu sammeln, um die Hitze ein wenig zu mildern, mehr aber auch nicht. Nach und nach würden sie ihn bei lebendigem Leibe rösten.

Das war es also. Er würde hier sterben, ohne jemals zu erfahren, ob seine Beteiligung an der Schlacht dafür sorgte, dass die Geschichte einigermaßen intakt blieb, oder ob er sie damit erst vollends aus den Fugen geworfen hatte …

Dann nahm der furchtbare Druck, der auf ihm lastete, plötzlich ab. Rhonin reagierte instinktiv und setzte seine Magie ein, um den gegnerischen Zauber komplett zu zerstören. Sein Blick wurde klar, und er fand den Hauptschuldigen.

»Du magst Feuer? Ich bin eher für etwas Kühleres.«

Der Zauberer kehrte den Spruch seines Gegners um und sandte ihm eine machtvolle Kältewelle entgegen.

Rhonin spürte, wie der Frost den Kriegszauberer übermannte. Der Eredar erstarrte, seine Haut wurde weiß. Sein Gesichtsausdruck fror ihm schmerzverzerrt ein.

Eine der Feibestien prallte gegen den Kriegszauberer. Die gefrorene Gestalt kippte und zerschellte auf dem Boden. Splitter dämonischen Eises verteilten sich über das Schlachtfeld.

Rhonin rang nach Atem und blickte zur Mondgarde, in die Richtung, aus der Beistand gekommen war. Seine Augen weiteten sich, als er Illidan an ihrer Spitze sah.

Der junge Nachtelf lächelte ihm zu und widmete sich dann wieder dem Kampf. Er dirigierte die altgedienten Zauberer, als sei er dazu geboren. Illidan fasste ihre Stärke zusammen und potenzierte sie noch durch seine eigene. Dann sammelte er alle Macht in sich und fokussierte sie.

Eine Explosion in der Mitte der Brennenden Legion tötete zahlreiche Dämonen. Illidan brüllte triumphierend, dabei entging ihm die Erschöpfung auf den Gesichtern der anderen Zauberer. Er hatte ihre Kräfte perfekt ausgespielt, aber wenn er diesen Vorgang noch einige Male wiederholte, würde die Mondgarde nicht mehr lange bestehen.

Doch es war Rhonin unmöglich, Illidan darauf hinzuweisen. Er war sich noch nicht einmal sicher, ob er das sollte. Falls diese Verteidigungsfront fiel, was blieb ihnen dann noch?

Wenn doch nur Malfurion nicht versagt hätte …


Mannoroth betrachtete das Schlachtfeld voller Zufriedenheit. Seine Armee fegte über das Land hinweg und stieß nur noch an einem Punkt auf Widerstand, dort wo die nutzlosen Bewohner dieser Welt sich zusammengerottet hatten, um der Legion im Kampf entgegenzutreten.

Es gefiel ihm, dass sie die Schlacht schon so früh suchten. Wenn sie besiegt waren, konnte sein Herr Sargeras endlich die Welt betreten. Sargeras würde das, was sie in seinem Namen bewirkt hatten, mit Wohlwollen betrachten. Er würde Mannoroth belohnen, war ihm dieser Sieg doch ganz ohne Archimondes Hilfe gelungen.

Ja, Mannoroth würde reich belohnt werden, würde mehr Macht und größeren Einfluss innerhalb der Legion erhalten.

Auf die Nachtelfen jedoch, die den Dämonen bis jetzt bei der Eroberung der Welt unterstützt hatten, wartete der einzige Lohn, den Sargeras für solche Diener bereit hielt.

Ihre völlige Ausrottung.

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