Du bist ein wahrer Diener, sagte der Erhabene zu Lord Xavius. Deine Belohnung wird unendlich sein … Alles, was du dir erträumst, sollst du haben … alles … und jeden.
Die magischen Augen des Nachtelfen blinzelten nicht, als er auf einem Knie vor dem feurigen Portal hockte und die Versprechen des Gottes in sich aufsog. Er war der bevorzugte Diener des Erhabenen. Er würde unvorstellbare Macht erlangen, sobald der Weg bereitet war.
Und je länger die Hochgeborenen daran scheiterten, Letzteres zu erreichen, desto mehr verzögerte sich die Ankunft des Gottes. Das frustrierte den Berater zusehends.
Dieses Gefühl teilte er mit zwei weiteren Personen. Die eine war Königin Azshara, die sich ebenso sehr nach dem Tag sehnte, an dem all die Unreinen von der Welt getilgt würden und nur die Nachtelfen übrig blieben – und auch von ihnen nur die Besten –, um über das neue Paradies zu herrschen. Sie wusste natürlich nicht, dass der Erhabene in seiner Weisheit beschlossen hatte, sie zu Xavius’ Gefährtin zu machen. Aber der Berater nahm an, dass ihre Proteste nur von kurzer Dauer sein würden, wenn ihr wundervoller Gott sie davon in Kenntnis setzte.
Auch der riesige Hakkar war von dem Mangel an Erfolg frustriert. Der Herr der Hunde wurde stets von zwei Feiwachen begleitet, wenn er die hochgeborenen Magier aufsuchte, sie auf Fehler in ihren Zaubern hinwies oder seine eigene Macht zu ihrer Unterstützung einsetzte.
Doch selbst mit seinem uralten Wissen war es ihnen gerade erst gelungen, einen kleinen Triumph zu erzielen. Jetzt hielten sich Hakkar und seine Haustiere nicht mehr allein unter den Nachtelfen auf. Zu ihnen hatten sich drei weitere gehörnte Riesen mit roten Gesichtern gesellt, die manch einer entsetzlich fand. Lord Xavius aber bewunderte sie. Sie waren mehr als neun Fuß groß und überragten die Hochgeborenen, die selbst bereits sieben Fuß maßen.
Dies waren die Abgesandten des Gottes, Himmelskrieger, deren einzige Pflicht darin bestand, jeden seiner Befehle auszuführen, egal, was es sie kostete. Jeder von ihnen war rund neun Fuß hoch, und obwohl sie seltsam dürr wirkten, hatte keine der in Flammenrüstungen gehüllten Gestalten Probleme damit, ihre massiven Schilde zu halten und den brennenden Streitkolben zu schwingen. Sie gehorchten jedem Befehl aufs Wort und behandelten den Berater mit dem gleichen Respekt, den sie Hakkar erwiesen.
Und schon bald würden weitere eintreffen. Als Xavius zurücktrat, sah er, wie das Portal aufleuchtete. Es dehnte sich aus, wurde größer und größer, bis …
… eine weiterer Feibestie – so nannte Hakkar die mächtigen Kämpfer – durch das Tor kam. Der Neuankömmling betrat die sterbliche Welt und neigte sein furchterregendes Haupt zuerst in Hakkars Richtung, dann in Xavius’.
Hakkar befahl ihm mit einer Geste, sich neben die anderen zu begeben. Dann wandte sich der Herr der Hunde an Xavius und zeigte auf die vier Krieger. »Der Erhabene hat sssein erssstes Versprechen erfüllt, Lord Nachtelf. Befiehl ihnen! Sssie werden allesss tun, wasss du von ihnen verlangssst.«
Xavius wusste genau, was sie für ihn tun sollten. »Da sie ein Geschenk für mich waren, möchte ich sie der Königin vermachen. Sie werden Azshara als würdige Leibwache dienen.«
Der Herr der Hunde nickte anerkennend. Sie beide wussten, wie wichtig es war, die Königin der Nachtelfen bei Laune zu halten, ebenso wie beide das geheime Verlangen des Beraters kannten. »Esss wird am besssten sssein, wenn Ihr ssselbssst der Königin diesssesss Geschenk überbringt, Lord Nachtelf. Wir werden die Arbeit während Eurer Abwesssenheit fortsssetzen, darauf werde ich achten.«
Der Vorschlag gefiel Xavius über die Maßen. Er verbeugte sich vor Hakkar und befahl den riesigen Kriegern mit einem Fingerschnippen, ihm zu folgen und das Turmzimmer zu verlassen. Er wusste genau, wo er Azshara um diese Zeit finden würde.
Als er sich abwandte, schaute der Herr der Hunde ihm mit glühenden Steinaugen nach.
Während ihr Berater nur wenig schlief – in der letzten Zeit so gut wie gar nicht – nahm sich Azshara als Königin das Recht heraus, zu ruhen, wann immer ihr danach war. Schließlich musste sie in jeder Hinsicht perfekt sein und auch auf ihre Schönheit achten. Daher schlief die Herrscherin der Nachtelfen meistens den ganzen Tag lang, um dem harten, brennenden Sonnenlicht zu entgehen.
Dementsprechend reagierte Azshara im ersten Moment nicht gerade freundlich, als eine verschüchterte Dienerin eintrat. Die junge Frau fiel rasch vor dem raumfüllenden runden Bett auf die Knie und verschwand beinahe hinter dem Vorhang, der es umgab.
Mit einer lässigen Handbewegung erlaubte das Licht der Lichter der Dienerin zu sprechen.
»Herrin, vergebt meiner Wenigkeit, aber der Lord-Berater bittet um eine Audienz. Er sagt, er habe etwas, das euch interessieren würde.«
Azshara konnte sich im Moment nichts vorstellen, das sie dazu bringen könnte, ihr Bett zu verlassen, auch nicht für ihren Berater. Sie spitzte die Lippen, während silbernes Haar über ihre Kissen floss, und überlegte, ob sie Xavius fortschicken sollte.
»Lass ihn fünf Minuten warten«, schnurrte sie schließlich und begann sich kunstvoll in Pose zu legen. Sie kannte Xavius’ Geschmack und wusste diesen Vorteil zu nutzen. Der Berater glaubte vielleicht, seiner Monarchin überlegen zu sein, doch als Frau war sie jedem Mann überlegen. »Dann erlaube ihm, einzutreten.«
Die Dienerin hinterfragte die Entscheidung ihrer Herrin nicht. Azshara beobachtete aus halb geschlossenen Augen, wie sie den Raum verließ. Dann streckte sie sich elegant und bereitete sich auf das Treffen mit ihrem wichtigsten Berater vor.
Die junge Dienerin kehrte nervös zurück. Xavius wartete bereits seit mehreren Minuten. Sie hielt den Kopf gesenkt, was den Ausdruck auf ihrem Gesicht verbarg, und führte den Berater durch dicke, kunstvoll bearbeitete Eichentüren in die Privatgemächer der Königin.
Nur wenige Male hatte er es gewagt, sie in diesem intimen Bereich aufzusuchen. Xavius ahnte, was ihn erwartete. Azshara würde makellos und verführerisch wirken und dabei so tun, als bemerke sie selbst nichts davon. Sie spielte dieses Spiel gern und gut, aber er war darauf vorbereitet. Er war ihr in seinem Denken stets voraus.
Tatsächlich lag die Königin der Nachtelfen ausgestreckt auf ihrem Bett, einen Arm hinter dem Kissen. Zwei in Seide gehüllte Dienerinnen knieten in ihrer Nähe. Ein silbernes Tablett mit einer smaragdgrünen Karaffe voller Wein stand in Reichweite und ein halb gefüllter Kelch verriet, dass sie ihn bereits gekostet hatte.
»Mein über alles geschätzter Lord-Berater«, hauchte sie. »Ihr müsst eine furchtbar wichtige Mitteilung für mich haben, wenn Ihr zu solcher Stunde um eine Audienz ersucht.« Das dünne, glänzende Tuch der Zudecke betonte ihren makellosen Körper.
Er legte die Faust auf sein Herz und stützte ein Knie auf den Boden. Lord Xavius blickte auf den weißen Marmorboden und antwortete: »Licht der Lichter, geliebtes Herz des Volkes, ich danke Euch für die Zeit, die Ihr mir gewährt. Es tut mir Leid, Euch jetzt zu stören, aber ich habe ein hochinteressantes Geschenk mitgebracht, ein Geschenk, das der Königin der Nachtelfen, der Königin der Welt würdig ist. Wenn ich es hereinbringen dürfte?«
Er sah auf und bemerkte, dass er ihre volle Aufmerksamkeit hatte. Ihre verschleierten Augen konnten ihre wachsende Neugier und Erwartung nicht verbergen. Azshara richtete sich halb in ihrem Bett auf. Das Tuch bedeckte ihren Oberkörper gerade eben.
»Das interessiert mich, mein lieber Xavius. Ich gewähre dir die Ehre, mir dein Geschenk zu präsentieren.«
Der große Berater erhob sich, drehte sich zur Tür und schnippte mit den Fingern.
Man hörte überraschte Rufe außerhalb des Zimmers, dann stürmten zwei aufgelöst wirkende Dienerinnen ins Innere, wo sie wohl den Schutz und die Geborgenheit ihrer Herrin suchten. Stirnrunzelnd beugte sich Azshara vor, allerdings nicht so weit, dass die Bettdecke herab fiel.
Die vier furchterregenden Krieger marschierten in einer Zweierreihe in die Privatgemächer der Königin. Sie waren so groß, dass sie sich im Türrahmen ducken mussten, um nicht mit ihren Hörnern über das Holz zu schrammen. Sie verteilten sich, nachdem sie eingetreten waren und hoben salutierend ihre Flammenschilde und brennenden Streitkolben.
Azshara betrachtete sie fasziniert. »Was sind das für Gestalten?«
»Euer, meine Königin, sie gehören fortan Euch! Der Schutz Eures Lebens ist ihre einzige Pflicht, der einzige Grund ihrer Existenz. Vor Euch steht Eure neue Leibwache, Majestät.«
Er sah, wie sehr ihr das gefiel. Es würden noch viele Himmelskrieger durch das Portal kommen, aber diese waren die ersten und er hatte sie ihr zum Geschenk gemacht. Damit waren sie etwas Besonderes.
»Wie wundervoll«, murmelte sie und streckte einen Arm nach einer Dienerin aus. Die junge Frau griff sofort nach Azsharas Robe. Die anderen Zofen bildeten mit ihren Körpern eine Wand, bis nur noch der Kopf der Königin für Xavius und die Feibestien sichtbar war. »Wie überaus passend. Euer Geschenk ist mehr als akzeptabel.«
»Es freut mich, dass es Euch gefällt.«
Die Dienerinnen traten zurück. Königin Azshara war in eine halb durchsichtige, frostfarbene Robe gekleidet, als sie sich vom Bett erhob. Mit gemessenen Schritten ging sie zu den riesenhaften Gestalten und betrachtete sie eingehend. Der Saum ihres Kleids glitt über den Marmorboden. Die Feibestien standen so regungslos, als wären sie aus Stein.
»Gibt es mehr von ihnen?«
»Es werden weitere eintreffen.«
Sie runzelte die Stirn. »Wie soll der Erhabene selbst das Portal durchschreiten, wenn wir immer nur ein paar seiner Krieger zu uns holen können?«
»Wir schöpfen so gut es geht aus der Quelle, o glorreiche Königin. Aber es gibt widerspenstige Strömungen, Reaktionen von außen, die Einflüsse anderer Zauberer …«
Wie ein Kind, das ein neues Spielzeug bewundert, streckte die Königin die Hand aus und berührte ganz leicht die brennende Rüstung eines Kriegers. Es zischte leicht. Die Königin zog ihre Finger zurück. Auf ihrem perfekten Gesicht lag ein merkwürdig zufriedener Ausdruck. »Warum habt Ihr die Quelle dann nicht von diesen äußeren Störungen getrennt? Das würde Eure Arbeit wesentlich vereinfachen.«
Lord Xavius öffnete den Mund, um ihr zu erklären, weshalb der Charakter der Zauber, die die Hochgeborenen wirkten, dies nicht zuließ, begriff dann jedoch, dass er kein wirklich gutes Gegenargument zu ihrem Einfall hatte. Theoretisch hatte Azsharas Vorschlag ungemeine Vorteile.
»Ihr seid wahrhaftig eine Königin«, sagte er schließlich.
Ihre goldenen Augen musterten ihn. »Natürlich bin ich das, mein lieber Berater. Es hat stets nur eine gegeben und es wird auch immer nur eine Azshara geben.«
Er nickte stumm.
Sie ging zurück zum Bett und setzte sich graziös auf die Kante. »Wenn das dann alles ist …«
»Für den Moment ist es das, meine Königin.«
»Dann habt Ihr jetzt doch sicher noch einiges zu erledigen.«
Lord Xavius akzeptierte den Rauswurf mit einer tiefen Verbeugung und verließ das Gemach der Königin. Ihre Haltung und königliche Überheblichkeit verdrossen ihn nicht und dass sie ihn gängelte, störte ihn nur ein bisschen.
Die Quelle von den Störungen trennen …
Es war machbar. Selbst wenn es die Hochgeborenen allein nicht vermochten, unter Hakkars Führung musste es möglich sein. Er war überzeugt, dass der Herr der Hunde wusste, wie man am besten vorging. Wenn nur noch der Palast die Quelle nutzten konnte, würde sich ihre Kraft leichter von den Hochgeborenen manipulieren und transformieren lassen.
Wen interessierte es da schon, dass beim übrigen Volk das nackte Chaos ausbrechen würde, sobald man es von dem magischen Born isolierte.
»Er ist ganz gewiss einer von uns … aus irgendeinem Grund erkenne ich das so sicher, wie mich selbst …«
Das waren vielleicht die ironischsten Worte, die jemals gesprochen wurden, zumindest erschien es Krasus in diesem Moment so. Schließlich hatte der Drache Korialstrasz, der Neueste von Alexstraszas Gefährten, sie ausgesprochen.
Gleichzeitig war er Krasus’ jüngeres Ich.
Korialstrasz erkannte sich selbst nicht, zumindest nicht bewusst. Dass Alexstrasza ihn auch nicht über die Zusammenhänge aufgeklärt hatte, warf einige Fragen auf.
Eine davon, die möglicherweise mit den anderen zusammenhing, betraf den Zustand des Drachen. Obwohl Krasus’ Erinnerung voller Lücken war, bezweifelte er, dass er eine solche Krankheit, wie sie seine frühere Inkarnation in diesem Moment durchlitt, vergessen hatte. Korialstrasz wirkte zu alt und zu schwach für sein Lebensalter. Er wirkte sogar verbrauchter als Tyran, der einige Jahrhunderte mehr als Korialstrasz gesehen hatte.
»Was kannst du sonst noch über ihn sagen?«, fragte Alexstrasza ihren Gefährten.
Der andere Drache sah Krasus durch zusammengekniffene Augen an. »Er ist alt, sehr alt.« Korialstrasz legte den Kopf schief. »Etwas in seinen Augen … seinen Augen …«
»Was ist mit ihnen?«
Der gewaltige Drache wich zurück. »Vergib mir! Mein Geist ist verwirrt. Ich bin im Moment deiner Gegenwart nicht würdig. Ich sollte mich zurückziehen …«
Doch sie ließ ihn nicht gehen. »Sieh ihn an, mein Gefährte. Ich bitte dich nur noch um eine Antwort: Trotz der geringen Kenntnis, die du über ihn hast, würdest du seinem Wort vertrauen?«
»Ich … ja, meine Alexstrasza … das würde ich.«
Plötzlich geschah etwas Seltsames mit Krasus. Während die Drachen sich über ihn unterhielten, begann er sich stärker zu fühlen, kräftiger als er sich seit seiner Ankunft in der Vergangenheit gefühlt hatte. Nicht so stark, wie er hätte sein sollen, aber wesentlich vitaler als zuvor.
Und das schien nicht nur ihm so zu ergehen. Ihm fiel auf, dass sein jüngeres Ich trotz gegenteiliger Aussage, besser aussah. Ein wenig Farbe war in seine Schuppen zurückgekehrt und Korialstrasz bewegte sich weniger schwerfällig. Seine Worte kamen auch nicht mehr stoßweise.
Alexstrasza nickte auf die Antwort ihres Gefährten hin. Dann sagte sie: »Das wollte ich hören. Es bedeutet einiges, dass du so denkst.«
»Wünschst du sonst noch etwas von mir? Meine Stärke kehrt zurück. In deiner Gegenwart zu weilen und dich zu unterstützen, scheint mir wohl zu tun.«
Ein Lächeln, das Krasus nur zu gut kannte, strich über das Gesicht der Drachenkönigin. »Stets ein Poet, mein geliebter Korialstrasz. Ja, ich wünsche viel mehr von dir. Ich weiß, es wird dir schwer fallen, aber ich muss dich um deine Begleitung bitten, wenn ich diesen hier zu den anderen Aspekten bringe.«
Es gelang ihr, beide Versionen von Krasus zu überrumpeln. Die junge Inkarnation sprach zuerst. In ihren Worten spiegelte sich die Überraschung der älteren. »Du willst zu einem Treffen der Fünf aufrufen? Wegen ihm? Warum?«
»Weil er eine Geschichte erzählt hat, die sie hören müssen, eine Geschichte, die ich dir jetzt erzähle … danach darfst du ein weiteres Mal entscheiden, ob du ihm vertraust oder nicht.«
Also würde der andere doch noch die Wahrheit erfahren. Krasus bereitete sich auf seinen Schock vor.
Doch so wie er Rhonin überrascht hatte, als er eine Geschichte erzählte, die nicht nur einen Teil der Wahrheit, sondern seine eigene Identität ausließ, so überraschte die Drachenkönigin jetzt ihn. Sie sprach über die Störungen und all die anderen Dinge, die Krasus dem Wächter berichtet hatte, ließ jedoch die wahre Identität des Magiers aus. Für ihren Gefährten war Krasus nur ein Angehöriger des roten Schwarms, einer, dessen Geist beim Angriff übermächtiger Kräfte zerrüttet worden war.
Krasus selbst versuchte nicht, sich zu erkennen zu geben. Sie war Alexstrasza, seine Liebe, sein Leben. Er war vielleicht ihr Berater, aber sie verfügte über die Weisheit eines Aspekts. Wenn sie der Meinung war, sein jüngeres Ich solle unwissend bleiben, hatte er dem nicht zu widersprechen.
»Eine bemerkenswerte Geschichte«, murmelte Korialstrasz. »Käme sie aus einem anderen Mund als dem deinen, meine Königin, würde ich sie nicht glauben.«
»Dann vertraust du ihm nicht mehr?«
Die Blicke des Jüngeren trafen die des Älteren. Auch wenn Korialstrasz sich selbst nicht erkannte, so spürte er doch die Seelenverwandtschaft. »Nein, ich vertraue ihm immer noch. Wenn du glaubst, es wäre richtig, ihn zu den anderen zu bringen, dann stimme ich dir zu.«
»Wirst du mit mir fliegen?«
»Aber ich bin keiner der Fünf … ich bin nur ich.«
Die Königin des Lebens lachte hell auf, ein melodisches Geräusch aus der Tiefe des Drachenkörpers. »Und daher bist du so viel wert wie ein jeder von uns.«
Korialstrasz fühlte sich sichtlich geschmeichelt. »Wenn ich so stark sein sollte wie heute, dann werde ich gerne an deiner Seite fliegen und mich vor die anderen Aspekte stellen.«
»Danke … das ist alles, worum ich bitte.« Sie lehnte sich vor und berührte seinen Kopf mit ihrem.
Krasus spürte eine seltsame Eifersucht. Da stand er und beobachtete die Zärtlichkeit zwischen sich selbst und seiner Gefährtin, ohne wirklich er selbst zu sein. Er wünschte sich, er könne für einen Moment den Platz mit Korialstrasz tauschen und für diesen einen wundervollen Moment wieder sein wahres Ich annehmen.
Mit einem letzten sehnsüchtigen Blick wandte sich der Drache ab und verließ die Kammer. Als Korialstrasz’ Schwanzspitze im Gang verschwand, wurde dem Magier plötzlich schwindelig. Die Schwäche kehrte mit einem Ruck zurück und ließ ihn taumeln.
Er wäre gefallen, hätte sich nicht etwas Schuppiges sanft um ihn geschlungen – Alexstraszas eigener Schwanz hatte ihn vor einem Sturz bewahrt.
»Die beiden Teile wurden zusammengefügt … zumindest für eine Weile.«
»Ich weiß nicht …« Seine Gedanken verschwammen.
»Du hast dich in seiner Gegenwart viel besser gefühlt, nicht wahr?«
»J-Ja.«
»Ich wünschte, ich wäre jetzt Nozdormu. Er würde mehr begreifen als ich. Ich denke … dass in der irdischen Welt kein Wesen neben sich selbst existieren kann. Ich glaube, dass du und er, die ja eins sind, auf die gleiche Lebenskraft zugreifen. Wenn ihr weit voneinander entfernt seid, werdet ihr halbiert, aber wenn ihr einander nah seid, so wie eben, ist der Effekt nicht so stark. Ihr helft einander.«
In ihrer sicheren Umarmung erholte sich Krasus so weit, dass er über ihre Worte nachsinnen konnte. »Deshalb hast du ihn gebeten mitzukommen.«
»Deine Geschichte muss erzählt werden und sie wird besser erzählt, wenn er nahe ist. Was deine unausgesprochene Frage angeht – weshalb ich ihm die Wahrheit verschwiegen habe –, nun, das liegt an dem, was vielleicht getan werden muss, um die Angelegenheit zu bereinigen.«
Ihr Tonfall wurde in diesem letzten Satz grimmiger, was Krasus’ eigenen Verdacht bestätigte. »Du glaubst, dass es zu einer Situation kommen könnte, in der einer von uns aus dieser Zeitperiode entfernt werden muss … auch wenn es den Tod bedeutet.«
Der Leviathan nickte zögernd. »Das befürchte ich, mein Geliebter.«
»Ich akzeptiere die Entscheidung. Das war mir von Anfang an klar.«
»Dann gibt es nur noch eines, worüber wir sprechen müssen, bevor ich die anderen kontaktiere … Was soll mit dem anderen geschehen, der dich begleitete?«
Innerlich bat Krasus Rhonin, ihm zu vergeben, aber laut sagte er ohne Zögern: »Er wird mein Schicksal teilen, wenn es denn sein muss. Auch er sorgt sich um andere. Er würde sein Leben für sie geben.«
Die Königin des Lebens nickte. »Ich vertraute deinem Rat, als es um dich ging, und nun vertraue ich ihm erneut. Sollte der andere zustimmen, wird auch er entfernt werden.« Der Gesichtsausdruck des Drachen wurde sanft. »Bitte glaube mir, dass ich auf ewig darüber trauern werde.«
»Dich trifft keine Schuld, meine Königin, mein Herz.«
»Ich muss mit den anderen sprechen. Am besten wartest du hier. An diesem Ort wirst du nicht ganz so schwach sein.«
»Du ehrst mich, meine Königin.«
»Ehren? Du bist mein Gefährte. Dir steht nicht weniger zu.«
Mit ihrem Schwanz führte sie ihn zu einem Teil des Raumes, der direkt an den Bach grenzte.
Krasus setzte sich in eine natürliche Mulde, die ihm als riesiger Stuhl diente.
Die Drachenkönigin zögerte, bevor sie den Gang betrat. »Ich hoffe, du wirst dich inmitten der Eier wohl fühlen.«
»Ich werde darauf achten, sie nicht zu berühren.« Krasus verstand den Wert, den sie darstellten.
»Ich bin mir sicher, dass du das wirst, mein Geliebter … vor allem, weil es deine sind.«
Sie ließ ihn wortlos zurück. Als sie verschwunden war, betrachtete Krasus jedes einzelne Ei. Als Gefährte hatte er sich natürlich mit der Königin fortgepflanzt. Viele seiner Kinder waren erwachsen geworden und hatten dem Schwarm Ruhm gebracht.
Er schlug mit der Faust gegen den Stein und ignorierte den Schmerz, der nach dieser dummen Tat durch seine Hand schoss. Obwohl er seiner geliebten Alexstrasza manches berichtet hatte, kannte sie doch einige wichtige Fakten noch nicht, allen voran war die bevorstehende Ankunft der Brennenden Legion. Krasus fürchtete, dass seine Königin trotz ihrer Weisheit in Versuchung geraten würde, mit der Geschichte zu spielen … und daraus konnte eine noch schrecklichere Katastrophe erwachsen.
Schlimmer war jedoch, dass Krasus ihr nichts über die Zukunft ihrer eigenen Art hatte sagen können, in der nur wenige Drachen überleben würden … eine Zukunft, in der die Nachkommen dieser und zahlreicher anderer Eier sterben würden, noch bevor sie ganz ausgewachsen waren.
Eine Zukunft, in der die Königin des Lebens zu einer Sklavin werden würde – und ihre Kinder zu den Kriegshunden eines eroberungssüchtigen Volkes.