21

Der Nachtsäbel fauchte, als Rhonin aufzusteigen versuchte. Er hielt die Zügel fest und hoffte, dass das Tier ihn auf seinem Rücken akzeptieren würde.

»Alles in Ordnung?«, fragte Illidan.

Malfurions Bruder war zu Rhonins inoffiziellem Aufpasser avanciert, eine Aufgabe, die Illidan nicht zu stören schien. Er beobachtete Rhonin ununterbrochen, als wolle er von jeder seiner Bewegungen lernen. Jedes Mal, wenn der Mensch etwas auch nur entfernt mit Magie Zusammenhängendes tat, schenkte ihm der Nachtelf seine ungeteilte Aufmerksamkeit.

Rhonin hatte schon bald erkannt, warum dem so war. Von allen Anwesenden verkörperte er die wohl mächtigste Quelle an Magie. Ungeachtet ihres arroganten Auftretens verstanden die Nachtelfen offenbar nur wenig von den Kräften, die sie einsetzten. Rhonin fiel es zwar schwerer, seine Zauber zu wirken, aber im Gegensatz zu den meisten anderen war er nicht völlig hilflos. Nur der junge Illidan konnte sich ansatzweise mit Rhonins Fähigkeiten messen.

Ich kann ihm helfen, dachte der Zauberer. Wenn er bereit ist zu lernen, kann ich ihm helfen. Auch wenn das nichts an seiner Meinung über Malfurions Zwillingsbruder änderte, sah Rhonin in Illidan einiges an Potenzial.

Er hoffte nur, dass ihnen davon etwas zur Verfügung stehen würde, sobald sie der Brennenden Legion begegneten.

Sie ritten aus Suramar heraus und, so schnell die Panther dies vermochten, Zin-Azshari entgegen. Rhonin fühlte sich nicht wohl dabei, da sich dadurch die Distanz zwischen ihm und Krasus vergrößerte. Der Zauberer war immer überzeugter, dass es sein Schicksal sein würde, nie mehr in die eigene Zeit zurückzukehren. Er konnte nur hoffen, dass Vereesa und den Kindern ein Leben vergönnt sein würde, das ihrer würdig war.

Falls sie eine Zukunft hatten.

Lord Ravencrest ließ seinen Trupp die ganze Nacht und den halben Tag hindurch reiten. Erst als die meisten Tiere nicht mehr weiter konnten, erlaubte er zögerlich eine Rast.

Ihr Trupp hatte sich vergrößert. Dank der angekündigten Vorhut waren etliche dazu gestoßen. Sie zählten jetzt mehr als tausend Kämpfer, und ständig kamen weitere hinzu. Lord Ravencrest wollte eine möglichst große Armee um sich scharen, bevor er dem Feind entgegentrat. Rhonin unterstützte diese Absicht, kannte er doch die furchtbare Macht der Dämonen.

Der Zauberer hatte beschlossen zu helfen, also begab er sich schließlich an Lord Ravencrests Seite und bot ihm sämtliches Wissen an, das er über die Brennende Legion besaß. Um seine Kenntnisse zu erklären, behauptete er, die Legion habe einst seine »weit entfernte Heimat« angegriffen und alles zerstört – zumindest Letzteres entsprach dabei völlig der Wahrheit. Rhonin berichtete auch von den Gräueln des schrecklichen Krieges und wie viel Not und Vernichtung es gegeben hatte, bis die Dämonen endlich hatten abgewehrt werden können.

Es blieb unklar, was Lord Ravencrest davon glaubte, aber zumindest nahm er Rhonins Schilderung der Dämonen ernst. Er befahl seinen Soldaten, ihre Taktik zu ändern und den Schwächen anzupassen, die er beim Gegner vermutete. Latosius und die Mondgarde erbleichten bei der Beschreibung der Feibestien, aber Ravencrest versicherte ihnen, dass ein Kontingent seiner besten Soldaten sie stets unterstützen würde. Er machte auch deutlich, dass diese zuerst auf die Tentakeln zielen würden, um die Gefahr für die Zauberer zu verringern.

Der Kommandant der Nachtelfen hegte wohl den Verdacht, dass Rhonin einiges ausgelassen hatte. Aber da er bereits wertvolle Tipps erhalten hatte, hakte er nicht weiter nach. Er nahm auch richtigerweise an, dass Rhonin das eigene Leben hoch genug schätzte, um eine Niederlage unter allen Umständen vermeiden zu wollen.

Obwohl die Armee immer größer wurde, geriet sie in ihrem Vormarsch nicht ins Stocken. Aus einer Nacht wurden zwei, dann drei.

Rhonin wob einen einfachen Zauber, der es ihm erlaubte, bei Dunkelheit klarer zu sehen, und passte sich den nächtlichen Erfordernissen rasch an. Dabei vergaß er jedoch nicht, dass es die Dämonen nicht scherte, ob die Sonne oder der Mond schien und vermittelte dies auch dem Adligen. Die monströsen Krieger der Brennenden Legion würden kämpfen, bis sie umfielen. Die Verteidiger mussten bereit sein, ihnen auch bei Tageslicht entgegen zu treten.

Als sich die Nachtelfen Zin-Azshari näherten, bemerkten sie einen seltsamen grünen Schein, der das Land vor ihnen erhellte. Das Licht schien nicht vom wolkenverhangenen Himmel, sondern von der Stadt selbst auszugehen.

»Elune, steh uns bei!«, murmelte ein Soldat.

»Bleibt ruhig«, befahl Lord Ravencrest. Er erhob sich im Sattel und blickte nach vorn. »Etwas kommt auf uns zu … sehr schnell.«

Rhonin brauchte nicht zu fragen, worum es sich dabei handelte. »Das sind sie. Sie haben gewusst, dass wir kommen und wollen uns so schnell wie möglich angreifen. Sie verschwenden niemals Zeit. Die Legion lebt einzig für den Kampf.«

Der Kommandant nickte. »Ich hätte es vorgezogen, zuerst die Umgebung zu erkunden und mir meine eigene Meinung über den Gegner zu bilden. Aber wenn sie keine Zeit verlieren wollen, werden wir sie nicht enttäuschen. Gebt das Signal!«

Hörner wurden geblasen und die Linien der Nachtelfen nahmen Kampfformation ein. Die Armee bestand jetzt aus mehreren tausend gepanzerten Reitern und Infanteristen und bot einen grandiosen Anblick. Rhonin erinnerte sich an die mächtige Armee der Allianz und wie beeindruckt er gewesen war, als er Zeuge wurde, wie sie sich auf den Kampf gegen die Dämonen-Verbündeten vorbereiteten.

Er erinnerte sich auch daran, wie die Formationen zerschlagen wurden, als die Angreifer mit monströser Wut attackierten.

Das darf … das wird nicht noch einmal geschehen! Er blickte zu Illidan, der jetzt, da der Kampf unmittelbar bevorstand, weit weniger Selbstsicherheit verströmte als zuvor.

»Verlier dich nicht in der Furcht«, sagte der Zauberer, der sehr genau wusste, wohin dies führen konnte. »Du hast ein Talent, Illidan. Ich habe dir gezeigt, wie du besser auf die Macht zugreifen kannst. Die Quelle mag unzugänglich geworden sein, aber ihre Essenz findest du überall im Land, im Himmel, in allem. Wenn du weißt, wie man sie sich erschließt, vermagst du alles zu tun, was du auch vor der Abschottung der Quelle zu tun imstande warst.«

»Ich folge deiner Weisheit, Shan’do«, erklärte der junge Nachtelf ernst.

Rhonin hatte das Wort schon einmal gehört, als Malfurion von seinem Lehrer, dem Halbgott Cenarius, sprach. Er fragte sich, wo der Herr des Waldes in diesem Augenblick war. Ein Elementarwesen wie ihn hätte man in einer Zeit wie dieser gut gebrauchen können.

Dann marschierte ihnen die erste der schrecklichen Gestalten entgegen, und Rhonins Gedanken kreisten nur mehr ums nackte Überleben.

Ums Überleben und um … Vereesa.

Bis hierhin hatte die Brennende Legion alles zerstört und sehnte sich nach noch mehr Zerstörung, noch mehr Gewalt. Die Feibestien heulten, und die Dämonentruppen hinter ihnen brüllten vor freudiger Erwartung auf, als sie die Silhouetten vor sich entdeckten. Es galt, neue Opfer abzuschlachten und neues Blut zu vergießen.

Mit einem schrecklichen Kampfschrei stürmten sie los.

Lord Ravencrest nickte.

»Bogenschützen bereit!«, rief ein Offizier.

Mehr als tausend Bögen richteten sich gen Himmel.

Der Adlige hielt seine Hand nach oben und wartete. Die Dämonenhorde rückte näher … und näher …

Ruckartig ließ er die Hand sinken.

Einem Hornissenschwarm gleich stob der Pfeilregen dem Feind entgegen. Obwohl die Brennende Legion wusste, dass sie dem Tod entgegen lief, wurde sie nicht langsamer. Ihre Gier trieb sie an.

Die Pfeile senkten sich.

Es handelte sich zwar um Dämonen, aber um Dämonen, die körperlich waren. Die erste Reihe wurde komplett aufgerieben. In einigen Kriegern steckten so viele Pfeile, dass sie nicht flach am Boden zu liegen vermochten. Überall brachen Feibestien zusammen. Einige Wächter der Verdammnis stürzten vom Himmel.

Doch die Brennende Legion trampelte einfach über ihre Gefallenen hinweg, als existierten sie gar nicht. Feibestien ignorierten ihre toten Artgenossen, heulten und bellten und näherten sich dabei unbeeindruckt weiter den gegnerischen Linien.

»Verdammt!«, fluchte Ravencrest. »Noch eine Salve. Schnell!«

Die Bogenschützen folgten dem Befehl routiniert und mit der ihnen eigenen Präzision. Der bärtige Adlige musste sie kein weiteres Mal zum Schießen auffordern.

Wieder regnete der Tod auf die Horde herab, doch dieses Mal mit weitaus geringerer Wirkung. Die Legion hatte ihre Schilde gehoben und eine effektivere Formation eingenommen.

»Das sind keine simplen Bestien«, murmelte ein Offizier neben Rhonin. »Sie lernen zu schnell.«

Lord Ravencrest ignorierte den Einwurf. »Alle Bogenschützen nach hinten. Nehmt eure Stellungen ein und haltet euch bereit, auf die Innenbereiche zu feuern. Lanzenträger! Bereit zum Angriff!«

»Milord!«, rief Rhonin. »Mit Eurer Erlaubnis?«

»Du hast meine Erlaubnis, Zauberer, ganz gleich, was du vorhast. Tu es einfach!«

Rhonin starrte auf einen Punkt unmittelbar vor der Angriffsfront der heranstürmenden Dämonen. Er konzentrierte sich, sammelte Kraft. Es war anstrengender als sonst, verhinderte aber nicht den Erfolg.

Seine Augen verengten sich.

Der Boden vor der Brennenden Legion explodierte. Dreck und Steine flogen den monströsen Kriegern wie Geschosse aus schweren Katapulten entgegen. Viele Feibestien wurden in die Luft geschleudert, andere unter tonnenschwerer Erde begraben. Ein Felsen landete auf einer Feibestie und brach ihr das Rückgrat wie einen morschen Zweig. Der Sturm der Legion geriet ins Stocken. Etliche Dämonen rannte sich gegenseitig über den Haufen.

Die Bogenschützen nutzten die Gelegenheit und schickten der eng beisammen stehenden Horde eine weitere Pfeilsalve entgegen. Zahlreiche Krieger fielen. Das Chaos nahm zu.

Während Ravencrests Soldaten jubelten, blickte die Mondgarde eher neidisch zu Rhonin hin. Latosius brüllte seine Zauberer an und trieb sie zu effektiverem Handeln an.

Das Ergebnis des anschließenden Nachtelfen-Zaubers war jedoch weit weniger spektakulärer als der von Rhonin. Die Ringe aus magischer Energie, die sich um die Brennende Legion legten, verpufften meist ohne große Wirkung. Eine Handvoll Dämonen ging zwar zu Boden, erholte sich aber auch rasch wieder.

»Sie sind nutzlos!«, schnappte Illidan.

»Sie geben ihr Bestes«, widersprach der Zauberer.

Der junge Nachtelf antwortete nicht, sondern zeigte murmelnd auf die Horde.

Tentakel aus schwarzer Energie legten sich um die Kehlen einiger Dutzend Dämonen. Sie ließen Waffen und Schilde fallen, versuchten sich von davon zu befreien – doch noch bevor ihnen das gelingen konnte, brannten sich die Tentakel durch Haut und Fleisch …

… und eliminierten ein jedes von Illidans Zielen.

Rhonin konnte seinen Ekel kaum verbergen. Illidan hatte auf eine Art und Weise angegriffen, die ihm nicht gefiel. Als Illidan ihn fragend ansah, nickte der Zauberer dennoch lobend. Er konnte den einzigen anderen Magier mit nennenswerten Fähigkeiten nicht vor den Kopf stoßen. Wenn sie überlebten, würde Rhonin Illidan humanere Methoden beibringen.

Und wenn sie nicht überlebten …

Die Brennende Legion stürmte erneut vor. Ihre Füße zermalmten die Leichen ihrer Gefallenen. Sie brüllten unablässig, schwenkten Streitkolben und andere furchterregende Waffen.

»Wir müssen zum Nahkampf übergehen«, entschied Ravencrest. »Ihr beide haltet euch hinten und tut weiter, was ihr könnt! Ihr seid die durchschlagkräftigste Waffe, die wir haben.«

Illidan neigte den Kopf vor dem Adligen. »Ich danke Euch, Milord.«

»Es ist die Wahrheit, mein Junge … nichts als die schreckliche Wahrheit.«

Der Kommandant der Nachtelfen wandte sich ab und ritt zu seinen Kriegern. Lord Ravencrest zog seine Waffe und reckte sie hoch über den Kopf.

Die Lanzenträger spannten ihre Körper an. Hinter ihnen machten sich die Fußsoldaten bereit. Und noch weiter hinten legten Bogenschützen ihre Pfeile an.

Ravencrest brachte sein Schwert schwungvoll nach unten.

Hörnerschall erklang. Die Bogenschützen schossen.

Die Nachtelfen-Streitkräfte stürmten dem Feind entgegen. Ihre Nachtsäbel fauchten.

Kurz bevor die Lanzenträger den Gegner erreichten, schlugen die ersten Pfeile ein. Die vorderen Reihen der Dämonen, die sich von dem Angriff der Reiter hatten ablenken lassen, wurden schwer getroffen. Für einen Moment herrschte helles Chaos, genau wie Lord Ravencrest es erhofft hatte.

Aufgrund der Geschwindigkeit der Nachtsäbel wurden die Lanzen tief in den Gegner getrieben. Trotz ihrer Größe hoben die Waffen einige Feibestien in die Luft, durchbohrten nicht nur die Rüstung, sondern auch alles darunter Liegende.

Der entschlossen geführte Angriff stoppte den Vorstoß der Brennenden Legion für kurze Zeit. Nachtsäbel bissen und schlugen nach den Dämonen, die sich um sie herum drängten. Fußsoldaten folgten, füllten die Lücken aus und griffen alles an, was nicht ihr Wappen trug.

Die Lanzen waren jetzt nutzlos, also ließen die Reiter sie fallen und zogen stattdessen ihre Schwerter. Hinter ihnen schossen Bogenschützen Salve um Salve auf die Dämonen ab, die noch nicht ins Kampfgetümmel eingebunden waren.

Eine zweite Reihe Reiter, unter ihnen auch Lord Ravencrest selbst, hielt sich noch zurück. Der Adlige studierte die Schlacht und suchte nach Schwachstellen.

Rhonin und Illidan waren ebenfalls nicht untätig. Der Magier wob einen Zauber, der die Luft über einem Teil der Horde härtete, sodass der Himmel wortwörtlich auf sie nieder krachte. Illidan wiederholte seinen Tentakelspruch und erwürgte mehrere Dämonen gleichzeitig.

Die Mondgarde tat, was sie konnte und brachte zumindest ein wenig Unterstützung auf die Beine. Trotz aller Anstrengung konnte sie ihre unterbrochene Verbindung zur Quelle jedoch nicht ausgleichen. Das zeigte sich auch auf ihren frustrierten Gesichtern.

Dann schrie plötzlich einer der Nachtelfen auf und strauchelte. Seine Haut fiel wie Wasser von ihm ab. Als er den Boden berührte, war von ihm nur noch ein Skelett zu sehen, das in der Pfütze seines einstigen Fleisches zum Liegen kam. Die anderen Zauberer sahen den Toten verwirrt an, bis Latosius’ sie wieder an ihre Aufgabe erinnerte.

Rhonin suchte die Legion nach dem Ursprung des Zaubers ab. Seine Blicke fanden den Schuldigen schnell, eine düster aussehende Gestalt in den hinteren Reihen. Der Zauberer erinnerte an eine Feibestie, hatte jedoch einen langen Reptilienschwanz. Außerdem trug er eine rotschwarze Robe über seiner Rüstung, und die Augen, mit denen er das Schlachtfeld sondierte, verrieten hohe Intelligenz.

Rhonin war noch nie einem Eredar-Kriegszauberer begegnet, kannte sie aber aus Erzählungen. Sie waren nicht nur die Magier der Brennenden Legion, sondern auch ihre Offiziere und Strategen.

Doch der Kriegszauberer hatte einen Fehler begangen, denn offenbar nahm er an, die Mondgarde sei für die stärksten Zauber verantwortlich. Das verschaffte Rhonin den Vorteil, den er brauchte.

Er wartete ab, bis der Kriegszauberer einen neuen Zauber wob und freisetzte. Blitzschnell nahm er den dunklen Spruch auf und schleuderte ihn gegen seinen Schöpfer.

Dem Dämon quollen die Augen heraus, als seine Haut vom Körper zu tropfen begann. Sein Mund öffnete sich zu einem unmenschlichen Schrei – und sein Blick traf den des Zauberers.

Dann ging alles blitzschnell. Sein Mund öffnete sich immer weiter, weil es nichts mehr gab, das die Kiefer gehalten hätte. Einen kurzen Moment stand die fleischlose Gestalt noch aufrecht, dann brach sie zusammen und verschwand unter den über sie hinwegtrampelnden Feibestien.

Ohne einen Kommandanten brach in diesem Teil der Legion heillose Verwirrung aus. Die Nachtelfen drängten vorwärts. Die Reihen der Dämonen zeigten erste Lücken …

»Wir besiegen sie!«, rief ein junger Offizier neben Ravencrest.

Doch die Dämonenreihen schlossen sich ebenso schnell wieder, wie sie aufgerissen waren. Entschlossen drängten sie vor. Von hinten kamen Wächter der Verdammnis, die sie mit Peitschen antrieben. Feibestien versuchten, die Verteidigungslinien zu durchbrechen und die Zauberer zu erreichen.

Nachtelfen schrien, als zwei Infernale die Reiter angriffen und sie, ebenso wie ihre Tiere, zur Seite warfen. Eine Schneise entstand, in die sich die Dämonen mit Inbrunst warfen.

»Vorwärts!«, rief Ravencrest seinen Leuten zu. »Lasst nicht zu, dass sie unsere Linien durchbrechen!«

Er und die anderen Reiter griffen die monströsen Krieger an. Ravencrest trennte die Tentakel einer Feibestie ab und stieß ihr seine Klinge in den Schädel. Ein Nachtsäbel fiel über einen der Dämonensoldaten her und zerfetzte ihn mit seinen Klauen und Zähnen.

Die Lücke wurde kleiner … und schloss sich. Die Nachtelfen kehrten in die Formation zurück.

Obwohl sie jetzt wieder eine gerade Frontlinie bildeten, wurden die Verteidiger zurück gedrängt. Für jeden der entsetzlichen Krieger, den die Nachtelfen töteten, schienen zwei neue die Reihen der Horde aufzufüllen.

Rhonin fluchte, als er einen weiteren Zauber wirkte und der Brennenden Legion tödliche Blitze entgegenschleuderte. Obwohl seine Macht immer noch groß war, wusste er, dass er mit Unterstützung der Quelle weit mehr hätte ausrichten können. Er und Illidan unterstützten die Nachtelfen zwar mit ihrer Magie, aber sie konnten nicht überall sein. Illidan bemühte sich, so viele Dämonen wie möglich umzubringen, aber er war bereits erschöpft, und Rhonin ging es nur wenig besser.

Unter lautem Geschrei wurden die Nachtelfen zurück gedrängt. Feibestien schlugen Köpfe ein und zertrümmerten Rüstungen. Ihre Höllenhunde rissen Soldaten auseinander. Wächter der Verdammnis schwangen sich über dem Schlachtfeld in die Lüfte und stießen Waffen schwingend zwischen den Nachtelfen nieder. Infernale tauchten überall auf und regneten auf die Nachtelfen nieder, so wie deren Pfeile es kurz zuvor in ihren Reihen getan hatten.

Ein weiterer Zauberer der Mondgarde brüllte auf, weil eine Feibestie durchgebrochen war. Vier Soldaten gelang es, die Tentakel zu durchtrennen und ihre Klingen in die Brust der Bestie zu stoßen.

Eine weitere Salve verließ die Bögen der Schützen. Die Pfeile machten jedoch plötzlich kehrt und flogen zurück zu ihren Absendern. Viele waren klug genug, wegzulaufen, doch einige blickten den heranrasenden Pfeilen wie erstarrt entgegen. Sie starben, als die eigenen Geschosse ihre Kehlen und Oberkörper durchschlugen.

Rhonin suchte nach dem verantwortlichen Eredar-Kriegszauberer, konnte ihn jedoch nicht entdecken. Er verfluchte erneut, dass er sich nicht an mehreren Orten gleichzeitig aufhalten konnte und dass die Taten, zu denen er fähig war, offenbar nicht ausreichten.

Wir verlieren! Trotz aller bewiesenen Entschlossenheit benötigten die Soldaten die Unterstützung der Mondgarde, um den Kampf gegen die Dämonen zu gewinnen. Die Mondgarde ihrerseits brauchte die Verbindung zur Quelle.

In Black Rook Hold hatte Malfurion behauptet, er könne den Abschirmungszauber der Hochgeborenen möglicherweise zerstören. Aber das war bereits Tage her. Rhonin musste davon ausgehen, dass die Bemühungen des jungen Nachtelfs gescheitert waren … dass Malfurion bei dem Versuch vielleicht sogar ums Leben gekommen war.

»Sie brechen durch! Gleich überrennen sie uns!«, rief jemand.

Rhonin dachte nicht mehr an Malfurion. Jetzt gab es nur noch die Schlacht … die Schlacht und Vereesa. In Gedanken verabschiedete er sich zum vielleicht letzten Mal von ihr, dann konzentrierte er sich wieder auf die endlose Flut der Dämonen. Dabei wusste er, dass auch seine besten Zauber keine Wunder wirken konnten.


»Schamanin, gibt es Neuigkeiten?«

Tyrande schüttelte den Kopf. »Nein. Der Körper atmet zwar, aber es ist kein Geist in ihm.«

Der Orc runzelte die Stirn. »Wird er sterben?«

»Ich weiß es nicht.«

Wäre es besser gewesen, sie hätte es gewusst? Sie hatte keine Ahnung. Seit drei Nächten wachte sie über Malfurions Körper, zuerst in der Kammer des Mondes, dann in einem unbewohnten Raum innerhalb des Tempels. Die Hohepriesterinnen gaben sich sehr verständnisvoll, ließen aber wenig Zweifel daran, wie klein die Chance war, noch etwas für ihren Freund bewirken zu können.

»Vielleicht schläft er für immer«, hatte eine gesagt. »Oder der Körper stirbt an Durst und Nahrungsmangel.«

Tyrande hatte versucht Malfurion zu füttern, aber der Körper war wie komplett gelähmt und reagierte nicht. Sie wagte es nicht, Wasser in seine Kehle zu träufeln, aus Sorge, er könne daran ersticken.

Vergangene Nacht hatte Brox vorsichtig den Vorschlag unterbreitet, Malfurions Leiden zu beenden, falls sich herausstellte, dass keine Hoffnung mehr für ihn bestand. Er hatte sogar angeboten, die entsprechenden Schritte selbst zu übernehmen. Für die Novizin klang das schrecklich, aber sie begriff, dass der Orc nur anbot, was er jedem guten Kameraden zu schulden glaubte. Er schätzte Malfurion.

Sie wussten nicht, was mit seinem Geistkörper geschehen war. Es war möglich, dass seine Seele um den Körper herum kreiste, aber keinen Weg mehr hinein fand. Tyrande zweifelte jedoch daran, vermutete eher, dass ihm etwas zugestoßen war, als er versucht hatte, den Abschirmungszauber zu beseitigen. Vielleicht war sein Geist bei dabei ausgelöscht worden.

Der Gedanke, Malfurion für immer zu verlieren, setzte Tyrande mehr zu, als sie jemals erwartet hätte. Selbst Illidans gefahrvolle Mission berührte sie nicht annähernd so stark. Sie machte sich zwar Sorgen um ihn, aber nicht so sehr wie um seinen Bruder, dessen Körper hier vor ihr lag.

Die Priesterin legte eine Hand auf seine Wange und dachte zum wiederholten Mal: Malfurion, komm endlich zurück zu mir.

Doch es passierte nichts.

Dicke, grüne Finger berührten sanft ihren Arm. Tyrande blickte in die besorgten Augen des Orcs. In diesem Moment wirkte er nicht hässlich auf sie, war nur eine weitere trauernde Gestalt, wie sie selbst.

»Schamanin, du hast nicht geschlafen, du hast den Raum nicht verlassen. Das ist nicht gut. Geh hinaus. Atme die Nachtluft.«

»Ich kann ihn nicht …«

Er ließ ihren Protest nicht zu. »Was willst du, was kannst du tun? Nichts. Er liegt hier. Nichts wird ihm geschehen. Er würde wünschen, das du dich erfrischst.«

Die anderen sahen in dem Orc eine barbarische Kreatur, aber Tyrande wurde immer klarer, dass der brutal aussehende Krieger einfach nur ein Wesen war, das in einer anderen Kultur aufgewachsen war. Er hatte ein Gefühl für die Bedürfnisse eines Lebewesens und ebenso für die Gefahren, wenn man diese Bedürfnisse unterdrückte oder ignorierte.

Sie konnte Malfurion nicht helfen, wenn sie selbst geschwächt war oder krank wurde. So schwierig zu akzeptieren es für Tyrande auch sein mochte, sie musste sich auch etwas Zeit für sich selbst nehmen.

»Also gut – aber nur ein paar Minuten.«

Brox half ihr beim Aufstehen. Die junge Priesterin bemerkte, dass ihre Beine steif waren und ihren Körper kaum trugen. Ihr Begleiter hatte Recht, sie musste sich dringend erfrischen, wenn sie weiterhin für Malfurion da sein wollte.

Gemeinsam mit dem Orc begab sich Tyrande zum Eingang des Tempels, wo es immer noch von verängstigten und verwirrten Bürgern wimmelte. Sie alle suchten Trost bei den Dienerinnen von Mutter Mond.

Sie fürchtete, sich mühevoll einen Weg durch die Menge bahnen zu müssen, aber die Nachtelfen wichen vor ihnen zurück, um einen Bogen um Brox zu schlagen. Ihre Ablehnung schien ihn selbst kaum zu interessieren, beschämte aber Tyrande. Elune hatte stets Respekt vor allen Geschöpfen gepredigt, dennoch tolerierten nur wenige Nachtelfen andere Völker.

Wenig später traten sie Seite an Seite auf den Platz. Eine kühle Brise streichelte Tyrande und erinnerte sie an ihre Kindheit. Sie hatte den Wind immer geliebt. Früher hatte sie sogar die Arme ausgebreitet und versucht, ihn zu umarmen. Doch heute hätte sich das wohl nicht mehr geziemt …

Minutenlang standen Tyrande und Brox einfach nur da. Dann bekam die Priesterin Schuldgefühle, denn die Gedanken an Malfurion wurden wieder alles beherrschend. Schließlich bat sie den Orc, sie zurück ins Tempelinnere zu begleiten. Brox nickte verständnisvoll und folgte ihr.

Sie hatten die Stufen des Tempels noch nicht erreicht, als einer der Suramar-Wächter nach ihr rief. Tyrande zögerte, da sie sich nicht sicher war, ob der Soldat Ärger wegen Brox machen wollte.

Doch der Offizier führte offenbar anderes im Schild. »Vergebt mir, Schwester. Ich bin Hauptmann Jarod Shadowsong.«

Sie kannte sein Gesicht, nicht aber seinen Namen. Er war nur wenig älter als sie und für einen Nachtelfen fast schon etwas rundlich. Seine Augenschlitze waren ausgeprägter als allgemein verbreitet, was ihm eine natürliche Strenge verlieh, selbst wenn er, wie in diesem Moment, eigentlich freundlich sein wollte.

»Ihr wünscht etwas von mir, Hauptmann?«

»Ein wenig von Eurer Zeit, wenn ich so dreist sein darf. Ich habe hier einen Gefangenen, der dringend Hilfe benötigt.«

Im ersten Moment wollte Tyrande ablehnen, da es sie drängte, zu Malfurion zurückzukehren. Doch dann besann sie sich ihrer Pflichten. Sie konnte sich doch nicht von einem Bedürftigen abwenden, der ihrer Hilfe bedurfte. »Also gut.«

Der Orc schloss sich ihnen ebenfalls an, was Hauptmann Shadowsong zur entsetzten Frage veranlasste: »Kommt das etwa auch mit?«

»Möchtet Ihr lieber, dass er in diesen unsicheren Zeiten unbeaufsichtigt auf dem Platz zurückbleibt?«

Der Offizier schüttelte zögernd den Kopf, womit die Angelegenheit erledigt war. Er drehte sich um und schritt vor den beiden her.

In Suramar gab es nur eine kleine Einrichtung für Gefangene. Solche, die wichtig waren, landeten ohnehin in Black Rook Hold.

Das Gebäude, zu dem Hauptmann Shadowsong sie führte, hatte man aus dem Stamm eines abgestorbenen Baumes errichtet. Die Wurzeln bildeten das Fundament des Gebäudes. Den Rest hatten die Arbeiter Stein auf Stein hinzugefügt. Außer Lord Ravencrests Festung gab es kein solideres Gebäude, und die Stadtwache von Suramar war darauf sichtlich stolz.

Tyrande betrachtete das farblose Gebäude mit Vorbehalt. Das monotone Äußere ließ darauf schließen, dass sich in seinem Inneren nur die übelsten Schurken aufhielten, und so bereitete sie sich auf das Schlimmste vor, ohne sich etwas von ihren Gedanken anmerken zu lassen, als der Hauptmann sie bat, einzutreten.

In der äußeren Kammer stand nur ein einfacher hölzerner Tisch, an dem vermutlich der diensthabende Offizier arbeitete. Da die meisten Soldaten Suramar verlassen hatten, hielten sich Hauptmann Shadowsongs Kameraden wahrscheinlich gerade draußen auf und versuchten, für Ruhe zu sorgen.

»Wir fanden ihn am gleichen Abend, an dem Lord Ravencrests Armee loszog. Die meisten Entdeckungszauber funktionieren nicht mehr, Schwester, aber manche enthalten eigene Magie. Einer dieser Zauber hat uns zu dem Eindringling geführt. Wegen der jüngsten Ereignisse …« Hauptmann Shadowsong warf dem Orc einen schnellen Blick zu. Er schien über Brox’ Bescheid zu wissen, sonst hätte er ihn sicher sofort verhaftet. »… wollten wir kein Risiko eingehen und haben sofort nachgesehen.«

»Und was hat das mit mir zu tun?«

»Der Gefangene, den wir entdeckten, war ziemlich erschöpft. Als uns klar wurde, dass er das nicht nur vortäuscht, brachten wir ihn hierher. Es geht ihm immer noch nicht besser. Aufgrund seiner seltsamen Erscheinung möchte ich, dass er überlebt, bis … nun, falls Lord Ravencrest zurückkehrt. Deshalb habe ich Euch aufgesucht.«

»Dann zeigt mir bitte, wo er ist.«

Es gab nur ein Dutzend Zellen im angrenzenden Raum. Der Offizier erwähnte jedoch, dass es tiefer unten noch eine ganze Anzahl weiterer gäbe. Sie nickte höflich und war ansonsten nur neugierig, was für ein Wesen sie wohl erwartete. Nach Brox hätte sie sich über einen weiteren Orc nicht gewundert, aber dazu passte Hauptmann Shadowsongs Reaktion nicht.

»Hier ist er.«

Die Priesterin hatte einen imposanten Krieger erwartet, aber die Gestalt in der Zelle war nicht größer als ein gewöhnlicher Nachtelf. Und sehr dünn. Unter der Kapuze der einfachen Robe sah sie ein hageres Gesicht, das fast zu einem Angehörigen ihres eigenen Volkes hätte gehören können. Es war allerdings überaus blass, fast schon geisterhaft, mit müden Augen. Die Ohren waren schmaler als bei einem Nachtelf.

»Er sieht beinahe aus wie einer von uns«, bemerkte sie.

»Wohl eher wie der Geist eines der Unsrigen«, korrigierte sie der Hauptmann.

Brox trat vor und wirkte beinahe wie hypnotisiert von der fremden Gestalt. »Elf?«

»Vielleicht …«, antwortete der Gefangene mit einer dunklen und befehlsgewohnten Stimme, die nicht zu seinem Aussehen passte. Er zeigte deutliches Interesse an dem Orc. »Und was macht ein Orc hier?«

Er wusste demzufolge, um wen es sich bei ihrem Begleiter handelte. Tyrande fand das mehr als interessant, zumal es in letzter Zeit so viele seltsame Besucher gegeben hatte.

Dann begann der Gefangene zu husten, und sie erinnerte sich an ihre Pflicht. Sie bestand darauf, dass Hauptmann Shadowsong die Tür für sie aufschloss.

Als sie sich der Matte näherte, auf der er lag, blickte die junge Priesterin erneut in sein Gesicht. Sie fand mehr darin, als sie auf den ersten Blick vermutet hätte. Eine Weisheit und Lebenserfahrung, die sie im Innersten aufwühlte. Irgendwie begriff Tyrande, dass sie einem sehr, sehr alten Wesen gegenüber stand, dessen Zustand nichts mit der langen Dauer seines Lebens zu tun hatte.

»Du bist talentiert«, flüsterte er. »Das hatte ich gehofft.«

»Was … fehlt dir?«

Er schenkte ihr ein väterliches Lächeln. »Nichts, was du heilen könntest. Ich habe den Hauptmann überredet, nach dir zu suchen, weil die Zeit knapp wird.«

»Ihr habt mich zu nichts überredet!«, protestierte Jarod Shadowsong. »Es war meine freie Entscheidung.«

»Wenn du das sagst …« Aber die Augen des Gefangenen verrieten Tyrande, dass er anderer Meinung war. Dann sah er Brox an. »Mit dir hätte ich hier nicht gerechnet, und das bereitet mir Sorge. Du solltest hier nicht sein.«

Der Orc grunzte. »Das hat der andere auch gesagt.«

»Der andere? Welcher andere?«

»Der, dessen Haare aus Feuer sind, der, der sagte …« Brox unterbrach sich und murmelte nach einem misstrauischen Blick auf den Hauptmann: »Der, der dies hier für die Vergangenheit hielt.«

Zu Tyrandes Überraschung setzte sich der Gefangene auf. Hauptmann Shadowsong machte einen Schritt nach vorn, aber die Priesterin winkte ihn zurück.

»Du hast Rhonin gesehen?«

»Ihr kennst ihn?«, fragte Tyrande.

»Wir sind zusammen hierher gekommen … ich dachte, er säße in der Falle … aber anderswo.«

»Auf der Lichtung des Cenarius«, fügte sie hinzu.

Er lachte. »Dank sei dem Schicksal, dem Zufall oder Nozdormu – wer auch immer die Ereignisse in Fluss gebracht hat. Ja, genau dort … aber woher kennst du ihn?«

»Ich bin dort gewesen … mit meinen Freunden.«

»Warst du das?« Das hagere Gesicht kam näher. »Mit Freunden?«

Tyrande war nicht sicher, was sie von ihm halten sollte. Er wusste viele Dinge, von denen gewöhnliche Nachtelfen keine Ahnung hatten. Davon war sie überzeugt. »Bevor wir weitermachen, möchte ich deinen Namen wissen.«

»Vergib meine schlechten Manieren! Du kannst mich … Krasus nennen.«

Jetzt reagierte Brox. »Krasus? Rhonin hat von Euch erzählt!« Der Orc fiel auf ein Knie nieder. »Ältester, ich bin Broxigar … dies ist die Schamanin Tyrande.«

Krasus fürchte die Stirn. »Offenbar hat Rhonin etwas viel geplaudert … und sich noch mehr eingemischt.«

Die Novizin stand auf und wandte sich an den Hauptmann. »Ich möchte ihn mit zum Tempel nehmen. Dort kann man sich besser um ihn kümmern.«

»Das geht nicht! Wenn er entkommen sollte –«

»Ich gebe Euch mein Wort, dass das nicht geschehen wird. Außerdem habt Ihr selbst gesagt, wie wichtig seine Unversehrtheit ist. Schließlich müsst Ihr ihn Lord Ravencrest vorführen …«

Der Offizier der Wache zögerte. Tyrande lächelte ihn an.

»Nun gut … aber ich muss Euch dorthin begleiten.«

»Natürlich.«

Sie drehte sich um und half Krasus, sich zu erheben. Brox unterstützte ihn von der anderen Seite. Aus den Augenwinkeln bemerkte Tyrande, dass der Gefangene versuchte, ein zufriedenes Lächeln zu verbergen.

»Freut Euch etwas?«

»Ja, zum ersten Mal seit meiner ungewollten Ankunft. Es gibt tatsächlich noch Hoffnung.«

Er erklärte nicht, was er meinte, und sie hakte nicht nach. Mit ihrer Hilfe verließ er das Hauptquartier der Stadtwache. Tyrande war sicher, dass er zumindest in einer Hinsicht nichts vortäuschte: Er war tatsächlich sehr schwach, auch wenn sie die natürliche Autorität spürte, die er ausstrahlte.

Jarod Shadowsong blieb hinter ihnen, als sie zum Tempel zurückkehrten. Erneut reichte das Auftauchen des Orcs aus, um sich den Weg zu bahnen.

Tyrande befürchtete, dass die Wachen und die Hohepriesterinnen Probleme bereiten würden, aber auch sie schienen Krasus’ Autorität zu spüren. Die Hohepriesterinnen verneigten sich sogar vor ihm, obwohl sie vielleicht selbst nicht den Grund dafür kannten.

»Elune hat gut gewählt«, bemerkte Krasus, als sie sich dem Wohnbereich näherten. »Das wusste ich sofort, als ich dich sah.«

Ihr Gesicht verdunkelte sich bei seiner Bemerkung, aber nicht, weil sie sich zu Krasus hingezogen fühlte. Tyrande hatte den Eindruck, dass sie ein Kompliment von jemandem erhalten hatte, der mindestens so wichtig wie die Hohepriesterin war.

Sie wollte ihn in einen separaten Raum bringen, betrat jedoch aus Unbedacht den, in dem Malfurion lag. Im letzten Moment wollte Tyrande zurückweichen.

»Gibt es ein Problem?«, fragte Krasus.

»Nein … dieser Raum wird nur für einen kranken Freund benutzt …«

Sie wollte weiter sprechen, aber der Gefangene löste sich aus ihrem Griff und blickte auf Malfurions reglosen Körper.

»Schicksal, Zufall oder Nozdormu, genau so ist es!«, keuchte er. »Was fehlt ihm? Rasch!«

»Ich …« Wie sollte sie es erklären?

»Er durchwanderte den Smaragdtraum«, antwortete Brox. »Er ist daraus nicht zurückgekehrt, Ältester.«

»Nicht zurückgekehrt … wonach hat er gesucht?«

Der Orc erzählte es ihm. Tyrande hätte nicht geglaubt, dass Krasus’ Gesicht noch blasser werden könne, doch genau das geschah. »Ausgerechnet dieser Ort … aber das ergibt leider Sinn. Wenn ich es nur gewusst hätte, bevor ich von dort aufbrach!«

»Ihr wart in Zin-Azshari?«, stieß Tyrande hervor.

»Ich war in den Ruinen der Stadt, aber ich bin hierher gekommen, um nach deinem Freund zu suchen.« Er betrachtete den starren Körper. »Doch wenn er hier bereits seit acht Nächten liegt, könnte es bereits zu spät sein … für uns alle

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