Eins

Beauchamp war bereit zu sterben. Er stand auf dem Hügel und starrte den weiten grünen Abhang zum Fluss hinab, der still in der mittäglichen Hitze ausgebreitet lag. Die Vögel in den Lebenseichen waren verstummt, selbst die Brise hatte sich gelegt und so ein tiefes, erwartungsvolles Schweigen geschaffen, das die gesamte Wiese unterhalb einhüllte. Die Welt schien den Atem anzuhalten.

Dann sah er sie – Soldaten in blauer Uniform, die hinter der steinernen Befestigung auf der anderen Seite des Flusses aufgereiht standen. Selbst aus dieser Entfernung konnte Beauchamp sehen, wie ihre Musketen und die Knöpfe an ihren Uniformen in der Sonne funkelten.

Einen Augenblick später griffen sie an.

Beauchamp dachte nicht nach. Er sprintete mit vollem Tempo den Hügel hinab und auf das hohe Gras am Flussufer zu. Sein Sichtfeld schwankte im Rhythmus der schnellen Schritte auf und ab und von rechts nach links. Er konnte schon das trübe Wasser des Flusses sehen, das wie zerbrochenes Glas durch das Schilf hindurchglitzerte. Grashüpfer und winzige Insekten flohen vor seinen Stiefeln. Seine Beine fühlten sich an, als ob sie sich verselbstständigt hätten, um ihn immer weiter vorwärts zu zwingen und mit langen, gierigen Schritten eine Bahn über die holprige Wiese zu fressen.

Hinter Beauchamp erhob sich ein Aufschrei, als seine Männer sich über den Kamm des Hügels schwangen, um sich seiner blindwütigen Attacke anzuschließen.

Weiter unten erhoben sich die Gewehrschützen der Unionsarmee und eröffneten vom anderen Ufer aus das Feuer. Das Krachen ihrer Gewehre erinnerte an das Geräusch schwerer Folianten, die auf den Parkettfußboden einer Bibliothek knallten.

Dann war er mittendrin.

Beauchamps Soldaten erwiderten das Feuer. Sie schossen im Laufen und stoppten nur, um ihre Büchsen nachzuladen oder wenn eines der gegnerischen Minié-Geschosse ein Ziel gefunden hatte, das mit einem unterdrückten Aufschrei in seiner Kehle für immer zu Boden gerissen wurde. Alle Männer schrien – manche den Rebellenschrei, den Rebel Yell, andere einfach nur vor Schmerz, und es war nicht immer einfach, das eine von dem anderen zu unterscheiden.

Beauchamp sprintete die letzten Meter zum Fuß des Hügels hinunter. Schwer atmend und schon etwas schwankend verlangsamte er seine Schritte, bis er nur noch trabte und schließlich mitten auf freiem Feld zum Stehen kam. Überall um ihn herum stürzten sich seine Männer jetzt auf den Feind und verwickelten ihn in harte, erbitterte Gefechte. Die Randbereiche seines Sichtfelds waren von der flirrenden, grunzenden Schwerstarbeit des Nahkampfes erfüllt. Ein Soldat flog an ihm vorbei auf den Feind zu und stürzte wie vom Blitz gefällt zu Boden, die Hand an seiner Brust.

Beauchamp wischte sich den Schweiß aus den Augen und richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf einen der Unions-Scharfschützen, der hinter dem Wall, keine zwanzig Meter von ihm entfernt, stand. Er fühlte, wie er vollkommen ruhig wurde. Die Zeit schien stillzustehen. Er konnte den Staub riechen, das Schießpulver, die Zypressen und den schlammigen Gestank des Flusses, den Rauch, den Schweiß, die Pferde und sogar den kupfrigen Geruch frischen Blutes, und all das in einer beinahe qualvollen Intensität. Alles andere – die Befehle, die man ihm gegeben hatte, die Stadt, auf deren Verteidigung man sie eingeschworen hatte, die Leben der Männer um ihn herum –, das tat nichts mehr zur Sache.

Selbst der Schlachtenlärm um ihn herum verstummte. Beauchamp konnte nur noch das Pochen seines eigenen Herzens hören.

Der Scharfschütze war ein Bauernjunge, nicht viel älter als Beauchamp selbst. Er konnte die Muskete des Yankees sehen, eine Kaliber.58 Springfield wie seine eigene. Sie zielte direkt auf ihn. Er sah, wie sich der Schütze etwas entspannte. Selbstvertrauen legte sich auf die Gesichtszüge des Jungen, als der sein Ziel ins Fadenkreuz nahm. Aus dieser Entfernung war es fast unmöglich vorbeizuschießen.

Crack!

Das war die Muskete des Yankees, begleitet vom hellen Aufblitzen des Mündungsfeuers in der Mittagshitze. Beauchamp sah eine kleine Rauchwolke aufsteigen. Lächelnd wartete er.… Und spürte nichts.

Der Unionssoldat blinzelte, wartete darauf, dass sein Opfer fiel. Aber Beauchamp holte, immer noch lächelnd, sein Bajonett hervor. Es war so scharf, dass er den Schliff der Schneide deutlich erkennen konnte. Er bewunderte die Art, wie sich das Licht darin fing.

Tue es! Tue es jetzt!

Ganz vorsichtig führte er die Spitze über sein Handgelenk, schnitt durch die Haut, sodass das Blut direkt auf die Muskete tropfte und an ihrem Lauf herunterlief. Dann legte er auf den Unionssoldaten an, nahm einen Atemzug und drückte beim Ausatmen ab. Die Muskete schlug hart gegen seine Schulter, und der Schädel des Blaurocks explodierte in einer Wolke aus Blut und Schädelfragmenten, wobei die Wucht des Treffers den ganzen Körper nach hinten umriss.

Beauchamp atmete durch.

Die Zeit begann weiterzulaufen. Die Geräusche des Tages kehrten zurück. Überall um ihn herum schrien Männer – seine Männer, die Männer des Feindes, alle Männer in dieser wahnsinnigen, blutgeschwängerten Welt. Beauchamp fühlte Schwindel und Ekstase und Trunkenheit zugleich, als sein 32. Regiment an ihm vorbeistürmte, um das Yankee-Bollwerk zu überwinden. Beauchamp hob eine Hand an die Stirn, um seine Augen gegen die blendende Sonne abzuschirmen. Weiter vorne, in Richtung Mission’s Ridge, wehte immer noch die Flagge der Konföderierten. Als er sie dort erblickte, wie sie weit ausgebreitet am blauen Himmel flatterte, wurde er von seinen Gefühlen überwältigt, sodass es ihm beinahe die Kehle zuschnürte. Beauchamp erhob seine Muskete wieder, lud aber nicht nach.

Stattdessen zielte er mit dem Lauf zur Seite. Irgendwo nach links, wo einer seiner Kameraden, ein Private namens Gamble, ihn mit offenem Mund anstarrte.

„Was …“ Gamble rang nach Atem. „Was ist passiert?“

Beauchamp grinste ihn an. Er konnte spüren, wie die Luft um sein Gesicht herum leicht zu zittern begann, beinahe so, als würde sie auf seiner Haut lebendig werden. Die geheimnisvolle Erhabenheit dieses Tages rauschte tosend durch seinen Körper. Es war ein Gefühl wie eine Adrenalinspritze direkt ins Nervenzentrum.

„Ich habe ihn erschossen.“

„Du hast ihn umgebracht?“

Beauchamps Grinsen schwand nicht.

„Ganz genau“, antwortete er.

„Aber wie?“

„War kinderleicht“, sagte Beauchamp und drehte die Muskete so, dass das Bajonett direkt auf das ungläubige Gesicht des Privates zielte. Mit einem präzisen Stoß stach er die Klinge direkt in Gambles rechtes Auge.

Der Private schrie, aber das war nicht mehr der Rebel Yell – es war ein panisches, jodelndes Kreischen voller Schmerz und Angst.

Ein Geräusch wie von einem Spanferkel unter dem Fleischermesser, sinnierte Beauchamp.

Gamble brach zusammen und rollte auf die Seite. Er hielt sich die Hände vor die Augen, während das Blut durch seine Finger strömte. Beauchamp rammte ihm das Bajonett zwischen die Rippen, drehte den Körper auf den Rücken und stach ihm dann ins Herz.

Stille.

Beauchamp sah auf.

Eisiges Schweigen hatte sich über das Feld gelegt. Nicht einmal das Flüstern einer sanften Brise war zu hören. Überall um ihn herum hatten die Männer auf beiden Seiten der Barrikade ihre Waffen gesenkt und starrten ihn vollkommen fassungslos an. Es war, als hätte Gott – oder irgendeine Gottheit – der ganzen Sache einfach den Saft abgedreht.

Von seinem Standpunkt, allein auf freiem Feld, warf Beauchamp einen Blick auf das Gelände jenseits des Walls, dorthin wo eine Reihe Sägeböcke stand, die das Schlachtfeld vom Parkplatz trennte, auf dem lange Reihen von Autos und Wohnmobilen in der Sonne funkelten. Die Zuschauer – Männer, Frauen und Kinder – starrten ihn alle an. Einige hatten sich abgewandt und hielten ihren Kindern die Augen zu.

Aus einem Radio dröhnte blecherne Musik. Er konnte die klare Stimme einer Frau hören. „Das ist echtes Blut, oder?“

„Dave …?“

Ein Mann in der Uniform und mit dem Schlapphut der Konföderierten trabte auf ihn zu, wobei ihm seine Provianttasche im Rhythmus der Schritte gegen die linke Hüfte schlug. Er hielt an, als er sah, wie Beauchamp mit Gambles blutiger Leiche zu seinen Füßen dastand. Das Gesicht des Neuankömmlings war kreidebleich, für einige Sekunden brachte er kein Wort heraus.

„Dave … Jesus … Alter … Was hast du da getan?“

Beauchamp drehte den Kopf. Er grinste noch einmal und platzierte die Spitze des Bajonetts unter seinem Kinn – so, dass er das spitze Metall an seinem weichen Fleisch spürte.

„Der Krieg ist die Hölle“, sagte er. Dann stieß er die Klinge nach oben.

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