4.

Am nächsten Morgen fanden sie den Toten. Sie waren weiter geritten - nicht, wie Skar ursprünglich vorgehabt hatte, unmittelbar nach Sonnenaufgang, sondern eine gute Stunde nach Anbruch des Tages; er hatte keinen Schlaf mehr gefunden, sondern den Rest der Nacht zuerst wortlos neben El-tra, dann mit geschlossenen Augen, aber nichtsdestominder hellwach, auf seinem Lager liegend, und die Müdigkeit war erst bei Anbruch der Dämmerung mit Macht zurückgekehrt. Zudem hatte Gowenna eine sehr unruhige Nacht hinter sich, wohl die schlimmste überhaupt seit ihrem Fortgang von Combat. Sie litt, ganz wie Skar es erwartet hatte, stumm, und nur manchmal im Schlaf entrang sich ihrer Brust ein halblautes, unterdrücktes Echo der Qual, die sie ausstehen mochte. Aber als sie am Morgen die Augen aufschlug, war ihr Blick klar, und Skar erkannte, daß sie das Schlimmste überstanden hatte.

Trotzdem waren ihre Bewegungen noch fahrig und schwach. Das Fieber hatte das bißchen Kraft, das noch in ihr gewesen sein mochte, vollends aufgezehrt, und sie besaß nicht einmal mehr die Energie, aus eigener Kraft in den Sattel zu steigen. Skar und einer der Sumpfmänner mußten ihr helfen. Aber sie würde nicht sterben; jetzt nicht mehr.

Sie ritten weiter, in der gleichen Marschordnung wie am Tage zuvor: El-tra und Skar an der Spitze, hinter ihnen die Reservepferde, dann Gowenna, gefolgt von dem zweiten Sumpfmann, der sich - wie Skar erst jetzt auffiel - immer so hielt, daß er mit seinem Körper den eisigen Wind auffing und Gowenna so wenigstens einigermaßen schützte. Wie durch ein Wunder hatten sich die Pferde in der kurzen Pause sichtlich erholt und trabten mit neuer Kraft dahin; trotzdem kamen sie nicht mehr so rasch voran wie am Tag zuvor. Irgend etwas war in dem steinernen Karree, in dessen Schutz sie die Nacht verbracht hatten, zurückgeblieben. Sie waren, wie ein Stein, der einmal geworfen und in Bewegung war, aus der unmittelbaren Umgebung Combats geflohen, aber ihr Vorwärtskommen hatte seinen Schwung verloren und war nun auch äußerlich zu dem geworden, was es vom ersten Augenblick an gewesen war: ein mühsames, nur noch von Trotz und nicht mehr von wirklicher Energie aufrechterhaltenes Voranschleppen. Die Pferde würden nicht vor ihnen sterben, das begriff Skar, als sie die Ruinen hinter sich ließen und auf den gläsernen Spiegel hinausritten. Sie waren in gewissem Sinne besser dran als ihre Reiter - an ihren Kräften zehrten nur die Kälte und der Sturm, vielleicht später auch noch der Hunger. Aber sie waren mit ihren stumpfen Sinnen und ihrem Denken, das nur von Instinkten und angeborenen Reflexen bestimmt wurde, geschützt vor der wahren Gefahr, die Tuan barg. Nur die Menschen spürten den Atem des Bösen und Toten, der über diesem Land lag.

Sie waren weniger als zwei Stunden geritten - die Glasebene hatte sich nicht, wie es am Abend zuvor erschienen war, meilenweit dahinerstreckt, sondern war bereits nach wenigen hundert Schritten wieder in den zerborstenen Boden Tuans übergegangen - als El-tra plötzlich die Hand hob und sein Pferd mit einem harten Ruck zum Stehen brachten.

Skar sah diesmal gleich, was die Aufmerksamkeit des Sumpfmannes erregt hatte. Vor ihnen, in einer Entfernung, die durch die wehenden Staub- und Schneeschleier nicht zu schätzen war, bewegte sich ein verwaschener grauer Fleck über den Horizont. Manchmal brach ein verirrter Sonnenstrahl durch die wirbelnde grauweiße Decke über ihren Köpfen und spiegelte sich in Metall, und als sie weiterritten und näher kamen, erkannte Skar, daß es ein Pferd war. Nicht irgendein Pferd - was schon ungewöhnlich genug gewesen wäre -, sondern eines der gleichen schwarzen gepanzerten Tiere, auf denen sie selbst ritten.

El-tra gab ihnen zum zweiten Mal das Zeichen, zurückzubleiben, und galoppierte in scharfem Tempo los. Skar folgte ihm, während Gowenna und der Bruder des Sumpfmannes ohne ein weiteres Wort der Verständigung zurückblieben. Skar hatte sich allmählich an den Gedanken gewöhnt, daß die beiden Männer aus Cosh nicht unbedingt miteinander reden mußten, um sich zu verständigen. Trotzdem irritierte ihn diese wortlose Art der Kommunikation immer wieder, sooft er sie erlebte.

Eine Weile schien es, als würden sie sich ihrem Ziel überhaupt nicht nähern, obwohl sie schneller ritten, als bei dem erschöpften Zustand ihrer Pferde im Grunde zu verantworten war. Dann wieder kam das fremde Pferd mit einem Ruck näher oder verschwand ganz hinter wallenden Nebel- und Schneewolken. Auch Entfernung schien in diesem Land nicht unbedingt dasselbe zu sein wie dort, wo sie herkamen. Sie trennten sich, kurz bevor sie das Pferd erreichten - Skar galoppierte weiter geradeaus, wenn auch langsamer, darauf zu, während El-tra einen weit geschwungenen Bogen in westlicher Richtung schlug, um einem eventuellen Hinterhalt auszuweichen. Trotzdem kamen sie nahezu gleichzeitig bei dem Tier an.

Skar tauschte einen raschen Blick mit El-tra; der Sumpfmann schüttelte den Kopf. Er hatte niemanden gesehen, nichts, was auf eine Falle hindeutete. Mit einer raschen Bewegung beugte er sich im Sattel vor, griff nach den Zügeln des fremden Pferdes und bog seinen Kopf zu sich herum. Es stampfte einen Moment unruhig mit den Hinterläufen, beruhigte sich dann aber erstaunlich schnell und ließ es zu, daß El-tra seinen Nacken- und Kopfpanzer löste und die schweren Lederplatten abnahm.

Skar erschrak, als er das Tier sah. Es war am Ende. Die steinharten Kanten der Panzerung hatten tiefe, eiterige Linien in sein Fell gescheuert; seine Augen waren trüb und glanzlos, und vor seinem Maul stand grauweißer, flockiger Schaum. Seine Nüstern zitterten, dünne, halb eingetrocknete Blutfäden rannen aus seinen Augenwinkeln und den Ohren. Skar begriff plötzlich, warum das Tier nicht vor ihnen geflohen war - es hatte einfach nicht die Kraft dazu gehabt. Eigentlich war es ein Wunder, daß es noch lebte.

Er sah auf. El-tras Hand lag in einer beruhigenden Geste zwischen den Ohren des Tieres, aber sein Blick irrte über die Ebene im Süden. »Dieses Pferd hatte einen Reiter«, sagte er.

Skar nickte. »Sicher. Aber sieh es dir doch an - es kann seit Tagen herrenlos hier herumirren.«

El-tra schüttelte überzeugt den Kopf. »Er ist hier«, murmelte er. »Ich weiß es. Dort.« Er löste die Hand mit einer bedächtigen Bewegung vom Kopf des Tieres und deutete nach Süden, dorthin, woher die Spuren des Pferdes kamen, Spuren, die nur hier und da als einzelner Hufabdruck in einem Häufchen pulverisierten Glases oder als halbrunder Riß im porösen Grün des Grundes sichtbar waren und trotzdem in dieser Einöde auffielen, als wären sie mit Leuchtfarbe gemalt. Skar widersprach nicht - er hatte ihr gemeinsames Erlebnis vom vergangenen Abend nicht vergessen, und das Gefühl, beobachtet zu werden, war noch immer da.

Er nickte, drängte sein Tier herum und zögerte noch einmal. »Was ist mit ihm?« fragte er mit einer Kopfbewegung auf das herrenlose Pferd.

El-tra schwieg einen Moment und zog dann sein Schwert unter dem Mantel hervor. Skar wandte sich ab. Der Sumpfmann hatte natürlich recht - sie hatten weder die Zeit noch die nötigen Mittel, um sich um das Tier zu kümmern; wenn sie es versorgten, würden sie seine Qual nur verlängern. Trotzdem schien sich in ihm etwas zu verkrampfen, als er den schneidenden Laut und den dumpfen Aufprall des schweren Körpers hörte. Er liebte Tiere, Pferde vor allem. Er war zu oft in Situationen gewesen, in denen sein Überleben einzig und allein von der Schnelligkeit und Treue seines Pferdes abgehangen hatte. Dazu kam, daß er Pferde fast mehr achtete als die meisten Menschen, die er kannte. Ein Tier - und ganz besonders ein Pferd - war ehrlich. Er hatte noch nie ein Pferd kennengelernt, das ihn betrogen hätte.

Sie galoppierten weiter, schneller als zuvor, obwohl es eigentlich keinen Grund zu solcher Eile gab. El-tra deutete auf eine Ansammlung flacher schwarzer Ruinen, ähnlich denen, in deren Schutz sie übernachtet hatten, und wich erneut in westlicher Richtung aus, um sie zu umgehen und sich ihnen von hinten zu nähern - ein im Grunde lächerliches Unterfangen, denn es gab auf der vollkommen flachen Ebene keinerlei Deckung. Aber Skar hätte auch dann nicht protestiert, wenn er noch die Energie dazu gehabt hätte.

Er ritt langsamer und ließ sein Tier die letzten hundert Fuß im Schrittempo gehen. Sein Blick tastete aufmerksam über die geschwärzten, runden Buckel, die wie steinerner Ausschlag aus dem grünlichen Glas Tuans wuchsen. Der Schneesturm hatte kleine, weiße Dreiecke in Winkeln und unter Kanten zurückgelassen und die Spuren des Pferdes - wenn es jemals hier gewesen war - längst verweht. Er stieg aus dem Sattel, schlug seinen Mantel zurück und zog das Tschekal aus der Scheide. Vorsichtig, immer wieder nach rechts und links sehend, stieg er über die kaum wadenhohe erste Mauer und drang tiefer in das steinerne Labyrinth ein. Das Feuer schien hier nicht mehr mit der gleichen Urgewalt zugeschlagen zu haben wie weiter im Norden - da und dort waren ganze Wände stehengeblieben oder wenigstens nur geringfügig beschädigt worden, an anderen Stellen brachen die dunklen Linien der Grundmauern plötzlich ab und verschwanden in runden, schimmernden Teichen, in denen der Sand wie Wasser gekocht haben mußte, ehe er zu Glas erstarrte.

Skar drang etwa zwanzig Schritte in das steinerne Labyrinth ein, ehe er stehenblieb und sich vorsichtig aufrichtete. Von El-tra war keine Spur mehr zu sehen; er mußte mittlerweile die Rückseite der Ruine erreicht haben und näherte sich nun von dort. Dann hörte er das Geräusch. Es wehte mit der Stimme des Windes zu ihm herüber, leise und kaum wahrnehmbar, aber Skars angespannten Sinne nahmen es trotzdem auf: ein leises Schaben, das Geräusch von Leder und Eisen, die über glasierten Stein schrammten, dazwischen etwas wie Schritte. Skar drehte sich einmal im Kreis. Die Ruine war leer bis auf den nie endenden Tanz von Licht und Staub, und von Zeit zu Zeit schien ein lautloses Grollen durch den Boden zu laufen. Skars Hand krampfte sich fester um das Schwert, während er sich einem der weniger zerstörten Teile des Gebäudes näherte. Er hörte das Geräusch nicht noch einmal, aber er wußte auch so, daß er sich diesmal nicht getäuscht hatte.

Gebückt duckte er sich unter einem niedrigen, halb zerschmolzenen Torbogen hindurch. Ein Schatten lag auf dem glasierten Boden dahinter, der verzerrte, graue Schatten eines Menschen ... Seine eigenen Reaktionen spielten ihm einen Streich. Er dachte nicht mehr, sondern handelte, kaum mehr Mensch, sondern ein einziger, blitzartiger Reflex. Sein Schwert zuckte hoch, beschrieb einen rasenden Halbkreis und prallte mit vernichtender Wucht gegen El-tras Klinge. Der Schlag war so gewaltig, daß der Sumpfmann drei, vier Schritte weit zurücktaumelte und mit einem unterdrückten Schmerzenslaut seine Waffe fallen ließ.

Skar blieb mitten in der Bewegung stehen, ließ das Tschekal sinken und starrte El-tra mit einer Mischung aus Verblüffung und Schrecken an. Der Sumpfmann hatte sich wieder gefangen und sein Schwert aufgehoben, schien aber nicht minder überrascht zu sein als Skar. Sein Schattengesicht kochte.

»Ich ...«, murmelte Skar verwirrt, »Verzeih. Ich sah nur einen Schatten und -«

Er brach ab, schob sein Schwert mit einer linkischen Bewegung in die Scheide zurück und trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Er hätte sich selbst ohrfeigen können - ein Fehler wie dieser war ihm noch nie unterlaufen. Hätte hinter der Mauer statt des Sumpfmannes ein normaler Mensch gestanden, wäre er jetzt tot. Nicht einmal die Reaktionen eines Satai wären schnell genug gewesen, den blitzartigen Hieb aufzufangen oder ihm auszuweichen.

»Es tut mir leid«, sagte er noch einmal.

El-tra winkte ab. »Schon gut«, murmelte er. »Aber du solltest besser auf dich selbst achtgeben.«

Skar nickte. Jeder andere hätte ihn jetzt mit Vorwürfen überhäuft, aber die ruhige, selbstverständliche Art, mit der der Sumpfmann den Zwischenfall abtat, traf ihn fast härter. Er war froh, als El-tra sich umwandte und ohne ein weiteres Wort zurück in die Richtung ging, aus der er gekommen war.

Sie überquerten einen flachen Innenhof, gingen durch eine beinahe unbeschädigt gebliebene Galerie und betraten schließlich einen trapezförmigen, an einer Seite offenen Raum, der wohl einmal Teil eines weitaus größeren Gebäudes gewesen sein mochte, jetzt jedoch als einziges Zeugnis einstiger Größe übriggeblieben war. Auch hier hatte der Sturm weiße Dünen aus Pulverschnee abgeladen und die zerborstenen Mauern mit einem schimmernden Panzer überzogen, aber im Gegensatz zu dem Teil der Ruine, den Skar bisher zu Gesicht bekommen hatte, war die Schneedecke zertrampelt und mit dunklen Flecken von Unrat und Schmutz besudelt.

In einem geschützten Winkel dicht neben dem Eingang lag ein Mann. Er war tot, das sah Skar sofort. Er lag auf dem Bauch, das Gesicht tief im weichen Schnee vergraben, die Hände blau und an den Fingerspitzen schwarz angelaufen, erfroren, zu Krallen verkrümmt, die sich tief in den Schnee gewühlt hatten, flache, blutige Krater hinterlassend. Seine Kleider waren schwarz, oder waren es einmal gewesen, bevor er sie in einem vielleicht Tage währenden Todeskampf mit Blut und seinem eigenen Schmutz besudelt hatte. Skar tauschte einen fragenden Blick mit El-tra, aber der Sumpfmann zuckte nur die Achseln. Er mußte den Toten gefunden und sofort weitergegangen sein, um Skar zu rufen.

Skar kniete zögernd neben dem Leichnam nieder. Er mußte schon lange tot sein; Tage, wenn nicht Wochen, aber die eisige Luft und der Schnee hatten den Moment seines Todes festgehalten, und Skar glaubte in seinen gebrochenen, weit aufgerissenen Augen noch die Mischung aus Unglauben und Schrecken zu lesen, die ihn überkommen hatte, als er begriff, daß er starb. Er zögerte, beugte sich dann vor und drehte den Toten auf die Seite. Die steifen, gleichermaßen von Totenstarre wie von Kälte gelähmten Glieder ließen den Leichnam zu einer grauenhaften Skulptur werden, und Skar lockerte unwillkürlich seinen Griff, als hätte er Angst, die steifen Glieder könnten bei einer zu heftigen Berührung wie sprödes Glas brechen.

El-tra kniete nieder und fuhr prüfend mit der Handfläche über den Brustpanzer des Toten; es knirschte; Metall auf Glas, nicht Fleisch auf Leder oder Eis.

Es war das erste Mal, daß Skar Gelegenheit hatte, sich einen der Krieger wirklich in Ruhe anzusehen. Es war einer von Velas Reitern, darin bestand kein Zweifel - der gleiche hochgewachsene, kräftige Typ, den die Errish für ihre Privatarmee zu bevorzugen schien, der gleiche schwarze Panzer aus Leder und hineingearbeitetem Metall, die gleiche durchbrochene Gesichtsplatte, jetzt zur Seite gerutscht und von verkrustetem Eis und Blut zu einer bizarren Larve geworden, die ihren Träger noch im Tod zu verspotten schien. Trotzdem hatte Skar das Gefühl, zum ersten Mal bewußt einen der Krieger zu sehen; während des Kampfes hatte er keine Gelegenheit gehabt, sie genau zu studieren, und als er am nächsten Morgen erwacht war, hatten die beiden Sumpfmänner die Toten längst begraben. So fiel ihm auch der bizarre Schnitt ihrer Kleidung und die außergewöhnliche Form der Waffen erst jetzt wirklich auf. Der Mann trug einen Panzer, einen Lederharnisch ähnlich dem, den auch die Satai trugen, wenn sie in den Kampf zogen, nur daß er seinen ganzen Körper einhüllte und sich die einzelnen Platten an den Kanten überlappten, so daß kaum ein Quadratzentimeter seiner Haut - einschließlich des Gesichts - ungeschützt blieb.

Aber der Panzer hatte ihm nichts genutzt, dachte Skar mit einem seltsamen Gefühl der Trauer. Er war auf einen Feind gestoßen, dem Rüstungen und Waffen keinen Widerstand entgegenbrachten. Im Gegenteil - der zentnerschwere Lederharnisch hatte seine Kräfte noch schneller versiegen und ihn eher sterben lassen.

El-tra zog seine Hand zurück und betrachtete erst die Knöchel, dann das Gesicht des Toten. »Zehn Stunden«, sagte er ruhig. »Eher weniger.«

Skar begriff nicht gleich. »Was meinst du?«

»Er ist seit zehn Stunden tot«, wiederholte El-tra. »Allerhöchstens. Aber es hat lange gedauert, bis er starb.«

Skar sah verirrt auf das eisverkrustete Gesicht des Soldaten hinab. Die Augen waren weit geöffnet und schienen ihn klagend anzusehen; dünne, glitzernde Eiskappen hatten sich wie Nickhäute über seine Augäpfel gelegt. Das Feuer Combats spiegelte sich darin.

»Aber das ist unmöglich«, widersprach er. »Wir sind mehr als zwei Tage unterwegs, und ...« Er brach ab, als ihm klar wurde, was El-tras Worte bedeuteten. Noch einmal sah er zu dem toten Krieger hinab, und diesmal schien die Gestalt nicht mehr Schmerz und Leid, sondern eine stumme Drohung auszustrahlen.

»Du meinst...«

»Ich meine nichts«, unterbrach ihn El-tra. »Ich sage nur, daß dieser Mann seit längstens zehn Stunden tot ist. Aber sein Tod kann Tage gedauert haben.«

»Zehn Stunden«, murmelte Skar. »Das würde bedeuten, daß sie den gleichen Weg genommen haben wie wir. Direkt über die Ebenen. Und damit...«

»Wissen wir, wo ihr Versteck ist«, beendete El-tra den Satz, als Skar nicht weitersprach. »Irgendwo hier.«

»Irgendwo ...« Skar hatte Mühe, ein Lachen zu unterdrücken. Das Irgendwo, von dem El-tra so selbstverständlich sprach, bedeutete ein Gebiet von dreihundert Meilen Länge und gut zweihundert Meilen Breite. Selbst wenn sie davon ausgingen, daß Vela und ihre Reiter den gleichen Weg wie sie genommen hatten, nämlich direkt nach Süden, lag vor ihnen noch immer ein Areal, das groß genug war, daß man jahrzehntelang hindurchstreifen konnte, ohne auch nur die geringste Spur der Errish zu finden. »Wir hätten gleich darauf kommen können«, murmelte er, eher wütend als überrascht. »Sie kann mit ihrem Drachen kaum über die Berge gekommen sein.«

»Sieh dir die Rüstung an«, sagte El-tra. Er wies mit einer knappen Geste auf den Brustschild des Toten, und Skar erkannte, was er meinte. Der Krieger war ein Mensch, irgendein armer Teufel vermutlich, der gleich Skar und Del in das Netz der Errish gegangen war und noch viel weniger wie sie eine Chance gehabt hatte, sich ihrem Einfluß zu entziehen. Aber seine Rüstung war nicht für einen Menschen gedacht. Sie war zu groß, zu schwer und in Form und Funktion einem Körper angepaßt, der nur ungefähr menschliche Proportionen haben konnte. Seine Kanten waren nachträglich beschnitten und mit dünnen Metalleisten begrenzt worden, und die metallenen Ösen, an denen die Halteriemen befestigt waren, hatte man mehr mit grober Gewalt als mit Geschick eingefügt. Und was für den Brustschild galt, traf auch auf die übrigen Teile der Rüstung zu: Rücken- und Beinkleider, selbst die Armschienen und Gelenkschützer waren mit großer Mühe bearbeitet und geschliffen worden, aber das Ergebnis sah ganz so aus, als hätte ein Kind versucht, die Rüstung eines Riesen auf seine Körpermaße zu stutzen. Und Skar erkannte auch, was der Sumpfmann ihm wirklich hatte zeigen wollen: Der Schnitt der Rüstung war der gleiche, den sie in dem verschütteten Kellerraum im Norden gesehen hatten. Der Mann trug eine verkleinerte Ausgabe des Panzers, den der schwarze Gigant getragen hatte.

Und jetzt, endlich, begriff er.

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