15.

Wenig später wurden sie abgeholt von zwei Abteilungen der schwarzen Krieger, die Gowenna und ihn in verschiedene Richtungen davontrieben. Zu Skars Erstaunen führte ihn seine Eskorte nicht - wie er erwartet hatte - wieder zum Krater, in dem sich Velas Truppe auf den Aufbruch vorbereitete, sondern in die entgegengesetzte Richtung, tiefer ins Herz der unterirdischen Festung hinein. Wie schon beim ersten Mal verlor er nach wenigen Augenblicken die Orientierung; keiner der Gänge und Treppen, über die sie kamen, ähnelte dem anderen, und doch schienen sie auf schwer zu bestimmende Art alle gleich zu sein, so daß Skar nicht zu sagen wußte, ob er schon einmal in diesem Teil der Festung gewesen war oder nicht.

Sie hielten vor einer hohen, aus schwarzem Eisen geschmiedeten Tür. Einer seiner Begleiter deutete mit einer stummen Geste darauf und nickte aufmunternd, als Skar zögernd die Hand nach dem Riegel ausstreckte. Dahinter lag ein langgestreckter, niedriger Raum mit schwarzen Wänden und einer schweren, in der Mitte ein wenig nach unten gewölbten Decke, die fast den Eindruck erweckte, daß sie sich im Inneren eines gewaltigen steinernen Schiffes befanden. Hunderte von unterschiedlich großen und verschieden geformten Lampen und Leuchtern verbreiteten taghelles und doch mildes Licht, und ein schwerer, süßlicher Duft hing wie der Geruch eines exotischen Parfüms in der Luft. Skar trat zögernd durch die Tür und sah sich mit einer Mischung aus Neugierde und Überraschung um. Ein Teil der Wand zur Linken war mit Vorhängen bedeckt; schwerer, wie Blei hängender Stoff, der mit kostbaren Stickereien und goldenen Borten verziert war; dahinter konnte man durch einen schmalen Spalt ein überbreites geschnitztes Bett mit weißem Laken und einer Unzahl bunter Kissen erkennen. Davor gruppierten sich Sessel und Sitzkissen und mehrere kleine, verspielte Tische in perfekt arrangierter Unordnung. Auf einem der Tische war ein Mahl vorbereitet. Es war eine winzige Insel der Behaglichkeit inmitten der bizarren Fremde der Festung, ein winziger Bereich menschlicher Zivilisation, der - trotz allem Prunk - die liebevolle Hand einer Frau erahnen ließ. »Komm näher, Skar. Aber schließ die Tür hinter dir.«

Velas Stimme klang nur gedämpft hinter dem schweren Vorhang hervor. Trotzdem fuhr er erschrocken zusammen, drehte sich mit übertriebener Hast um und zog die schwere Tür ins Schloß.

Als er sich wieder umwandte, teilte sich der Vorhang, und Vela trat hervor. Sie trug noch immer das weiße Kleid wie am Morgen, hatte aber darüber einen ebenfalls weißen, knöchellangen Mantel aus Wolfsfellen geworfen, um sich vor der Kälte, die auch hier unten noch schmerzhaft zu spüren war, zu schützen. Ihr Haar fiel lose bis weit über die Schultern herab und war jetzt bar jeden Schmuckes.

»Tritt näher«, sagte sie freundlich.

Skar zögerte. Sein Blick tastete über den Vorhang. Vela lächelte. »Wir sind allein, wenn es das ist, was du fürchtest«, sagte sie mit einer einladenden Geste. »Überzeuge dich.«

Skar löste sich von seinem Platz, ging wortlos an ihr vorbei und schlug den Vorhang beiseite. Dahinter lag eine gut zehn Fuß tiefe und dreimal so breite Nische, in der sich außer dem Bett nur ein winziges, mit Flaschen und Schälchen übersätes Tischchen und ein hölzerner Schrank befanden.

»Unter dem Bett ist auch niemand«, sagte Vela spöttisch. »Und es gibt auch keine geheimen Türen in den Wänden. Wir sind wirklich allein.«

Skar ließ den Vorhang los und wandte sich wieder zu Vela um. »Allein«, sagte er. »So viel Mut hätte ich dir gar nicht zugetraut.« Er stand auf Armlänge vor ihr. Ein rascher Schritt würde genügen, sie zu packen.

Aber Vela schien nicht einmal eine leise Spur von Furcht zu empfinden.

»Vielleicht ist es auch Dummheit«, sagte sie spöttisch. »Oder aber ein Beweis meines Vertrauens. Nimm Platz.« Sie deutete auf den Tisch, setzte sich selbst auf einen der niedrigen, bequemen Stühle und deutete auf einen anderen.

»Du mußt hungrig sein. Und ein Schluck heißer Brühe wird dich aufwärmen.« Sie mimte ein Frösteln. »Es wird Zeit, daß wir hier wegkommen«, sagte sie. »Ich weiß schon kaum mehr, wie es ist, nicht zu frieren.«

Skar trat langsam, noch immer mißtrauisch, an den Tisch, setzte sich und griff auf eine weitere auffordernde Geste Velas hin nach der Tonschale mit dampfender Suppe. Vielleicht wäre es in seiner Situation angebrachter gewesen, nicht zu trinken, aber er war nicht in der Position - und schon gar nicht in der Stimmung - sich melodramatische Gesten leisten zu können, und der Geruch der Suppe erinnerte ihn daran, daß er seit Tagen nichts Anständiges mehr gegessen hatte. Er leerte die Schale zur Hälfte, setzte sie ab und griff nach dem Brot, das daneben lag.

»Es freut mich, daß es dir mundet«, sagte Vela, nachdem sie ihm eine Zeitlang schweigend beim Essen zugesehen hatte. Sie selbst rührte nichts an, sondern trank nur von Zeit zu Zeit aus einem winzigen, kristallgesäumten Zinnbecher.

»Was willst du?« fragte Skar. »Ist das jetzt die sanfte Tour?« Vela lachte. »Wenn du es so nennen willst... Aber ich müßte mich sehr in dir täuschen, wenn ich damit wirklich etwas erreichen würde. Nein.« Sie beugte sich vor, stützte den Ellbogen auf die Tischplatte und nahm eine Frucht auf, aß jedoch noch immer nicht. Skar roch den leisen Duft ihres Parfüms, als sie sich vorbeugte. »Ich wollte nur mit dir reden, Skar. Vielleicht werden wir für lange Zeit keine Gelegenheit mehr haben, in Ruhe miteinander zu sprechen.«

»Ich wüßte nicht, was es zwischen uns zu besprechen gäbe«, sagte Skar. »Du hast gesagt, was du von mir willst. Und du kennst meine Antwort.«

Vela seufzte und biß nun doch in die Frucht. Ein winziger Tropfen rötlich schimmernden Saftes glitzerte auf ihren Lippen. Er sah aus wie Blut.

»Du bist ein seltsamer Mann, Skar«, sagte sie. »Ein Mann mit erstaunlichen Fähigkeiten, aber auch einer jener selten anzutreffenden Menschen, die ihre Grenzen kennen. Du weißt, wann du verloren hast. Warum gibst du nicht auf?«

Skar nahm sich eine weitere Scheibe Brot. Sein Hunger schien durch die wenigen Bissen, die er zu sich genommen hatte, erst richtig geweckt worden zu sein. Er sah starr an Vela vorbei zur gegenüberliegenden Seite des Raumes.

Trotz der schon fast zu hellen Beleuchtung fiel es ihm schwer, Einzelheiten zu erkennen. Ein unsichtbarer, wogender Schleier aus Nebel schien zwischen ihm und der Wand zu liegen. Es war, als wehre sich die fremdartige Architektur dieses Raumes dagegen, von Augen betrachtet zu werden, für die sie nicht geschaffen worden war.

»Es täte mir wirklich leid, wenn ich dich zerbrechen müßte, Skar«, fuhr Vela im Plauderton fort. »Aber ich muß es tun, wenn du mich dazu zwingst.«

»So wie du Gowenna zerbrochen hast?«

Velas Lächeln blieb unverändert, aber für einen kurzen Moment versteifte sich ihre Haltung. Dann hatte sie sich wieder in der Gewalt.

»Liebst du sie?« fragte sie.

Skar antwortete nicht.

»Oder glaubst du nur, sie zu lieben?« fuhr Vela fort. »Ich weiß - es geht mich nichts an, und ich werde mich auch nicht einmischen. Ich stehe zu meinem Wort - du kannst sie haben, wenn du willst. Ich schenke sie dir.«

»Hast du mich deshalb kommenlassen, um mich zu fragen, was ich haben will?« erwiderte Skar. »Ich bin nicht zu kaufen. Zumindest nicht für dich. Der Preis wäre zu hoch.«

»Das glaube ich sogar. Aber natürlich habe ich dich nicht deshalb gerufen.« Sie beugte sich noch weiter vor, schenkte Skars Becher, der halb geleert war, wieder voll und stellte den Krug mit einem Ruck auf den Tisch zurück.

»Ich habe dir ein Angebot gemacht, Skar«, begann sie, »öfter als einmal, und du hast es abgelehnt. Ich habe dich rufen lassen, um es zu wiederholen. Doch vorher möchte ich dir ein paar Dinge erzählen, die du nicht wissen kannst und die deine Entscheidung vielleicht noch beeinflussen.«

»Was?« fragte Skar. »Neue Lügen?«

»Lügen? Warum sollte ich lügen, Skar? Ich habe alles erreicht, was ich wollte. Ich habe dich, Del, den Stein - ich könnte dich zwingen, mir dienstbar zu sein, und du wärest sogar glücklich darüber. Warum also sollte ich lügen? Außerdem - ich kenne dich vielleicht besser als du dich selbst. Du bist kein Mann, den man belügen kann. Nicht auf Dauer.«

»Und warum tust du es dann nicht?« fragte Skar. »Warum zwingst du mich nicht, wenn du es angeblich kannst?«

»Hör mir zu, und du kommst vielleicht selbst auf die Antwort. Und denk auch einmal darüber nach, daß der Platz auf einem Thron sehr einsam sein kann.«

»Du hast Del.«

»Del!« Sie lachte wieder, aber diesmal klang es abfällig. »Er ist ein netter Junge, Skar, mehr aber nicht. Ich brauche einen Mann an meiner Seite.«

Skar sah an ihr vorbei auf den Vorhang, hinter der sich ihr Schlafgemach verbarg. Vela bemerkte seinen Blick. »Ja, Skar, auch dafür. Aber nicht nur.«

Es war absurd. Sie saßen hier in den Ruinen eines Volkes, das untergegangen war, bevor es Menschen gab, waren Feinde, die sich gegenseitig mit Freuden umbringen würden, wenn sie die Gelegenheit dazu hätten, und trieben Konversation. »Komm zur Sache«, sagte er. »Was genau willst du?«

Vela wirkte für die Dauer eines Lidzuckens enttäuscht, und sie gab sich nicht einmal Mühe, dieses Gefühl zu verbergen. »Ich will dir die Geschichte des Volkes von Tuan erzählen«, sagte sie nach einer Weile. »Des Volkes, das Urcôun erbaute, Combat und Tuan und viele andere Orte, die heute nur noch in Legenden leben. Manche nicht einmal mehr dort.«

»Und du glaubst, das würde mich interessieren?«

Vela überging seine Frage. »Del erzählte mir von Urcôun«, fuhr sie fort. »Wie lange wart ihr dort?«

Skar sah sie irritiert an. »Nicht ... lange«, antwortete er stockend. »Eine Nacht und einen halben Tag.«

»Aber lange genug, um zu begreifen, daß es keine Menschen waren, die diese Stadt erbauten, nicht? Sowenig, wie die Erbauer Tuans Menschen waren. Jedenfalls glaubt ihr das. Alle glauben es. Aber es stimmt nur zum Teil.«

»Legenden«, sagte Skar abfällig.

Vela lächelte. »So wie Combat und Tuan, ja. Was muß noch geschehen, bis du bereit bist, zuzugeben, daß die alten Lieder die Wahrheit sagen?«

Skar schwieg, und Vela fuhr, nach einer weiteren, lang anhaltenden Pause, fort: »Du weißt, daß wir lange nach dir gesucht haben, Skar. Nach einem Mann wie dir, um genauer zu sein. Einem Mann oder einer Frau. Zuerst war es Gowenna, die ich fand. Ich dachte, sie wäre die Richtige, aber ich habe mich geirrt. Trotzdem war sie von allen, die ich nach Combat sandte, die, die am weitesten kam. Du wirst mich verstehen, wenn ich dir die Geschichte der Alten erzähle - soweit ich sie kenne.« Sie lehnte sich, den Trinkbecher mit einer graziösen Geste haltend, zurück und machte mit der freien Hand eine weit ausholende Geste, perfekt wie die lange geübte Bewegung einer Tänzerin und doch leicht und natürlich. Wie schön sie ist, dachte Skar. »Diese Welt, Skar, war nicht immer so, wie wir sie kennen. Vor uns lebten andere Völker hier, und vor diesen wieder andere. Das Leben kommt und geht, aber ich glaube, es ist ein Naturgesetz, daß niemals Leere zurückbleibt, sondern das Alte immer wieder von neuem ersetzt wird. Unsere Geschichte reicht lange zurück, aber es gab bereits Menschen hier, lange bevor die Berge entstanden sind und die Meere sich mit Wasser gefüllt haben. Und eines dieser Völker, vielleicht das erste, vielleicht auch nur eines in einer unendlichen Kette, waren die Alten, die, die wir heute Götter nennen. Niemand weiß mehr, wie sie ausgesehen haben, wie und was sie gedacht haben. Ich habe mich lange mit ihnen beschäftigt, doch nicht einmal ich weiß wirklich, wer sie waren. Aber ich glaube, sie waren uns ähnlich. Vielleicht nicht im Aussehen, aber in ihrer Art zu leben. Sie waren ein altes Volk, Skar, alt, weise und mächtig. Ihre Macht war so groß, daß sie nach den Sternen griffen und in gewaltigen stählernen Schiffen zu ihnen hinauffuhren. Und so, wie sie dorthin gingen, kamen andere Wesen von anderen Welten hierher. Viele kamen, die meisten gingen wieder, aber einige blieben auch und bauten Städte wie Urcôun oder Tuan. Sie ... brachten ihre Welt auf die unsere, ein winziges Stückchen nur, aber genug, um hier zu leben und wenigstens die Illusion zu haben, zu Hause zu sein. Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat - vielleicht nur wenige Jahrzehnte, vielleicht Äonen. Doch irgendwann, eines Tages, geschah etwas; vielleicht war es Machtgier und Haß wie bei uns, vielleicht waren es auch Gründe, die mit ihren Städten versunken sind und uns immer verborgen bleiben werden. Es kam zum Krieg. Zum Krieg zwischen den Alten und den Wesen von jenseits der Sterne.«

Skar runzelte die Stirn. Velas Worte erschienen ihm im ersten Augenblick lachhaft, und doch ... waren nicht die Feuerkinder Combats Wesen aus Licht und Hitze, winzige Söhne und Töchter der Sonne, und war ihm nicht selbst schon der Gedanke gekommen, daß all das - Tuan, Combat, all die Dinge, die er gesehen und gespürt hatte - nichts mit dieser Welt gemein hatten? Aber er schwieg und hörte weiter zu.

»Es war ein Krieg, der mit Waffen geführt wurde, die wir uns heute nicht mehr vorzustellen vermögen. Sie setzten den Himmel in Brand und schmolzen die Sterne, und ganze Länder versanken in den Meeren. Die Alten waren stark, Skar, aber die Fremden von den Sternen waren ebenso stark, und während sie sich beide in ihren uneinnehmbaren Festungen verkrochen, verbrannte dieser Planet zu Asche. Schließlich gab es nur noch Combat, die letzte Bastion der Alten, eingekesselt von einem Belagerungsring der anderen: Tuan. Als die Alten begriffen, daß sie diesen Krieg nicht mehr gewinnen konnten, schufen sie eine letzte, finale Waffe. Sie versuchten sich an der Schöpfung selbst, und vielleicht war es das, was ihnen den Untergang brachte.«

Sie schwieg, und Skar spürte, daß sie jetzt irgendeine Frage von ihm zu erwarten schien, aber er blieb weiter stumm. Ein seltsames Gefühl des Unbehagens hatte ihn ergriffen, während er Velas Erzählung lauschte.

»Sie veränderten einige der Ihren«, berichtete Vela weiter. »Sie versuchten, Frauen ihres Volkes mit Gefangenen der Fremden zu kreuzen, um ein Wesen zu erschaffen, das gleichermaßen zu beiden Völkern gehörte - vielleicht die einzige Möglichkeit, Frieden zwischen zwei Völkern zu finden, die einander einfach zu fremd waren, um nebeneinander existieren zu können. Aber die endgültige Auseinandersetzung kam, bevor ihr Vorhaben Erfolg hatte, und beide Völker gingen unter. Du hast es gesehen. Tuan zerschmolz zu Glas, und Combat begann zu brennen.«

»Und was hat das alles mit mir zu tun?« fragte Skar. Seine Stimme klang belegt.

»Nicht alle starben«, sagte Vela. »Ein paar von ihnen überlebten. Nur wenige - vielleicht fünfzig, verteilt über den ganzen Planeten. Sie vergaßen ihr Erbe und ihre Herkunft, aber sie lebten weiter.«

Skar saß starr da, unfähig zu denken, sich zu rühren. Er wußte, was Vela sagen würde. Und er wußte, daß es die Wahrheit war. »Ihre Nachkommen lebten weiter unter den Menschen«, fuhr sie fort. »Unerkannt, ohne selbst zu wissen, welches Erbe sie in sich trugen. Aber die Alten hatten vorgesorgt - ich sagte dir, daß sie ein weises Volk waren, trotz allem. Sie sorgten dafür, daß Combats Wächter ihre Kinder erkannten. Nur einem von ihnen sollte es möglich sein, das Herz der Stadt zu stehlen. Deshalb habe ich dich gesucht, Skar, dich und andere, von denen ich glaubte, sie trügen das Erbe der Alten in sich.«

»Das ist...«

»Sag jetzt nichts«, unterbrach ihn Vela hastig. »Überlege - Del hat mir alles erzählt, alles, was euch widerfahren ist, als ihr in Urcôun und Went wart. Glaubst du wirklich, es war alles Zufall? Warum, glaubst du, warst du der erste, dem es gelang, in die Hogerhöhlen einzudringen? Der erste, der den Biß eines Khtaám überlebte? Zufall?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe viel erlebt, Skar, und ich bin zu dem Schluß gekommen, daß es so etwas wie Zufall nicht gibt. Wir mögen vieles nicht verstehen, aber es folgt alles einem Plan.«

»Unsinn«, murmelte Skar. »Das sind doch alles nur Geschichten. Ammenmärchen.« Aber seine Worte waren nur Ausdruck der Furcht, die Vela in ihm geweckt hatte. »An mir ist nichts Besonderes, Vela. Ich bin ein Mensch, mehr nicht.«

Vela trank einen Schluck und setzte den Becher ab. Ihr Wolfsfellmantel raschelte leise, und wieder spürte er den betörenden Duft ihres Parfüms.

»Ich verstehe, daß du mir nicht glaubst«, sagte sie nachsichtig. »Aber ich wollte dir all dies sagen, bevor wir aufbrechen. Ich glaube, ich war es dir schuldig.« Sie stand auf, blieb fünf, sechs Sekunden reglos neben dem Tisch stehen und ging dann, sehr langsam, auf ihr Schlafgemach zu.

»Komm«, sagte sie.

Skar erhob sich. Die Bewegung kam nicht aus ihm heraus; seine Glieder gehorchten ohne, vielleicht sogar gegen seinen Willen, und er fühlte sogar einen schwachen Anflug von Entsetzen, während er hinter Vela auf das breite Bett zuging. Trotzdem war er unfähig, sich zu wehren. Und schon nach wenigen Augenblicken wollte er es auch gar nicht mehr. Sein Widerstand schmolz dahin, mit jedem Schritt, den er ihr näher kam, und als er vor ihr stand, schien sein Denken ausgelöscht.

Sie drehte sich um, warf den Fellmantel mit einer graziösen Bewegung von den Schultern und streifte ihr Kleid ab. Darunter war sie nackt. Und sie war schön. Schöner als jede Frau, die Skar jemals zuvor erblickt hatte. Er trat auf sie zu, streckte die Hände aus und blieb in einer letzten verzweifelten Anstrengung stehen. Aber es war sinnlos.

»Wehr dich nicht, Skar«, sagte Vela leise. »In dem Wein war ein Aphrodisiakum. Nimm es als Geschenk.«

Skar schloß die Augen. Seine Hände begannen zu zittern. Er machte einen Schritt, blieb noch einmal stehen und berührte sie. Ihre Haut war kühl, glatt und so angenehm wie polierter Marmor, und ein unsichtbarer elektrischer Funke schien auf ihn überzuspringen, als er sie berührte. Sie preßte sich an ihn, löste die Spange, die seinen Umhang zusammenhielt, und tastete mit geschickten Fingern nach den Schnallen seines Harnisches. Er zitterte, gleichermaßen vor Begierde wie in dem verzweifelten und vergeblichen Versuch, sich noch zur Wehr zu setzen.

»Hexe«, murmelte er. »Du -«

Vela legte ihm den Finger auf die Lippen, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn. Ihre Arme schlossen sich um seinen Hals, zogen ihn, sanft und doch kraftvoll, zu ihr herab auf das kühle Leinen des Bettes.

Und irgendwann hörte er auf, sich zu wehren.

Загрузка...