19.

Skar schlief an diesem Abend lange nicht ein, obwohl es in seiner Hütte kein Licht gab und er müde war. Kor-tel begleitete ihn und nahm wie ein schweigender grauer Schatten neben ihm Platz. Skar wußte, daß es wenig Zweck hatte, ihn fortzuschicken. Vielleicht würde er gehen, vielleicht nicht, aber das eine wie das andere würde nichts daran ändern, daß er trotzdem in seiner Nähe war. Er war auch während seines Gespräches mit Gowenna anwesend gewesen; ein stummer schmaler Schatten, der so natürlich in seine Umgebung zu passen schien, daß Skar ihn nicht einmal bemerkt hatte. Erst später, als er zurückging, hatte er seine Schritte neben sich vernommen.

»Etwas bedrückt dich, Bruder«, sagte Kor-tel. Es war dunkel geworden, und das durchbrochene Dach der Hütte sperrte auch das spärliche Sternenlicht aus, so daß Skar den Sumpfmann auch nicht hätte sehen können, wenn er einen normalen Körper gehabt hätte. Aber allein das Wissen, daß unter seiner Kapuze nichts als wirbelnde Schatten waren, berührte Skar auf unangenehme Weise. Er setzte sich auf, sah in die Richtung, aus der Kor-tels Worte gekommen waren, und lauschte, versuchte die winzigen Geräusche zu hören, die ein Mensch immer verursacht, ob er will oder nicht: das Rascheln von Kleidung, das leise Geräusch der Atemzüge, selbst der Laut von Haar, das sich bewegte. Aber er hörte nichts. Er war, als gäbe es Kor-tel gar nicht, als wäre er wirklich nicht mehr als eine körperlose Stimme.

»Wie kommst du darauf«, fragte Skar. Es war seltsam - er war lange Wochen mit Männern aus Cosh zusammen gewesen und hatte sich an ihr schattenhaftes Wesen und ihre manchmal unverständliche Art gewöhnt - oder hatte es zumindest geglaubt -, aber jetzt, als er bei ihnen war, als er eigentlich zum ersten Mal das Gefühl hätte haben müssen, unter Freunden zu sein, begann er wieder Furcht vor ihnen zu empfinden.

»Ich spüre es«, antwortete Kor-tel nach einer langen Pause, als hätte er ihm Gelegenheit geben wollen, seinen Gedanken zu Ende zu denken. »Du bist verwirrt, und du hast Furcht in dir. Und da ist noch etwas.«

»Etwas in mir?« fragte Skar. Gegen seinen Willen klang seine Stimme lauernd, beinahe drohend.

»Etwas in dir«, bestätigte Kor-tel. »Etwas, das mich verwirrt und das mir Angst macht wie dir. Was ist es?«

Skar lächelte, und er hatte das bestimmte Gefühl, daß Kor-tel es sehen konnte, trotz der Dunkelheit.

»Weißt du, daß ich das gleiche Gespräch schon einmal geführt habe?« fragte er. »Auch mit einem Mann deines Volkes.«

»Ich weiß. Ich bin El-tra, und El-tra ist ich. Alle sind einer und einer ist alle.«

Skar seufzte. »Ich beginne es zu glauben«, murmelte er. »Doch wenn es so ist, warum stellst du die gleichen Fragen wie er?«

»Weil du auch ihm nicht geantwortet hast. Nicht wirklich Bruder«, sagte Kor-tel. »Damals wußtest du die Antwort nicht.«

»Ich weiß sie heute ebensowenig«, gab Skar zurück. »Ich weiß vieles, was ich damals nur vermuten konnte, aber es ist nicht das, was ich wissen wollte.«

»Der Stein der Macht, die alten Götter und ihre Erben«, murmelte Kor-tel. »Dein Freund hat uns alles erzählt. Doch du hast recht - die Antworten, die die Errish dir gab, sind nicht die Antworten auf deine Fragen. Sie erklären, doch sie bedeuten nichts.« Skar dachte einen Moment über den Sinn dieser Worte nach, kam jedoch zu keinem Ergebnis. Vielleicht hatten sie keinen. »Wißt ihr sie?«

»Wie können wir wissen, was nicht einmal du weißt, Bruder? Etwas ist in dir, und du tust recht daran, es zu fürchten.«

Skar hörte Geräusche, dann wurde der Vorhang vor der Tür zur Seite geschlagen, und Kor-tel erschien in der Öffnung. »Ich werde dich allein lassen«, sagte er. »Morgen, wenn die Sonne erwacht, werden wir uns um deinen Freund kümmern. Und um dich. Denk darüber nach, was in dir ist, Skar. Ich spüre eine Macht, die stark ist, unglaublich stark, stärker als alles, was Vela jemals gegen dich aufbieten könnte. Sie kann uns alle vernichten, Skar. Doch sie kann uns auch retten. Wende sie richtig an.«

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