Es hatte einmal einen Ausbilder namens Garig gegeben, der beschlossen hatte, daß der Knappe Huma die Vorbereitung auf die Ritterschaft nicht bestehen sollte. Garig war ein Ungeheuer von Mann gewesen, dessen Gestalt und Gesicht eher einem Bären geglichen hatten. Manche wunderten sich, daß er überhaupt ein Ritter war, so brutal, wie er sein konnte. Jedenfalls hatte Garig sich vorgenommen, Huma innerhalb von einem Monat kleinzukriegen. Huma jedoch blieb. Blieb, lernte und zeichnete sich aus, obwohl er eine Heidenangst vor Garig hatte. Fürst Oswal, der Oberste Kommandant, machte ihm Mut. Wie Rennard hatte Fürst Oswal in Huma etwas gesehen, das er trotz der zweifelhaften Herkunft des Jungen unbedingt kultivieren wollte. Zuletzt lehnte sich der Knappe gegen den übermächtigen Ausbilder auf und besiegte ihn eindeutig in einem Schaukampf, der diesen Namen kaum noch verdiente. Das war ebensosehr ein Sieg über seine Angst wie über Garig.
Jetzt hatte Huma wieder Angst, als er vor den Mann trat, der ihm geholfen hatte, diese Hürde zu überwinden.
Der Oberste Kommandant war trotz der späten Stunde vollständig angezogen und hellwach. Huma staunte – wie viele andere –, daß der alte Ritter nie zu schlafen schien. Der Befehlshaber der Militäraktion saß auf einem einfachen Holzstuhl, der in scharfem Kontrast zu seiner prächtigen Uniform stand. Sein Helm lag neben ihm auf dem Tisch, auf dem auch ein gutes Dutzend Karten ausgebreitet waren. Huma kam sich vor, als würde ihn auch der Helm irgendwie inspizieren.
Nur zwei weitere Ritter waren anwesend. Der eine war ein eher kleiner, rundlicher Mann, dessen äußere Erscheinung seine innere Stärke und Intelligenz verdeckte. Sein Haupt war nur von wenigen Haaren geziert: Er hatte nur einen kleinen Spitzbart und ein paar Locken am Hinterkopf. Arak Falkenauge war kein besonders humorvoller Mensch. Sein zweiter Name rührte von seiner Präzision als Bogenschütze her. Selbst die Nomadenstämme des Südens kannten Falkenauge. Im Reiten und Schießen konnte er jeden von ihnen schlagen. Es war sein persönlicher Ehrgeiz, eine Rittergruppe so auszubilden, daß sie ritt und schoß wie die Männer aus den Ebenen. Er trug die Wappen des Ordens der Krone, den er bei dieser Aktion befehligte.
Zwischen ihnen stand Bennett, Sohn des Großmeisters, Neffe des Obersten Kommandanten und Vertreter des Ordens des Schwertes. Er beachtete den jungen Ritter kaum. Bennetts Anwesenheit war der eigentliche Grund für Humas Nervosität. Bennett galt als Inbegriff der Ritterschaft und konnte jede Zeile aus jedem Band des Kodex, den Vinas Solamnus aufgestellt hatte, zitieren. Er lebte danach, und deshalb hatte Huma bis jetzt im Orden bleiben können. Trotz seines Einflusses würde Bennett nichts tun, was eindeutig gegen Kodex und Maßstab verstieß. Als die Einwände bezüglich Humas Abstammung nicht ausgereicht hatten, um den neuen Ritter abzulehnen, hatte Bennett nicht zu unangenehmeren Maßnahmen gegriffen, wie mancher andere – auch Ritter – es wohl getan hätten. Statt dessen behandelte ihn der Sohn des Großmeisters als notwendiges Übel, das man nach Möglichkeit ignorierte. Einflußreich wie Bennett war, wurde es für Huma schwierig, Freunde zu gewinnen.
Bennett glich von der Erscheinung her sehr seinem Vater und seinem Onkel, auch wenn er eindeutig mehr nach dem ersteren geraten war. Wer Fürst Trake in jungen Jahren gekannt hatte, schwor, daß es keinen Unterschied zwischen Vater und Nachwuchs gab. Beide hatten dieselben habichtartigen Gesichtszüge, das Aussehen eines Raubvogels. Das Haus Baxtrey war von uraltem königlichem Blut. Viele Adlige des Kaiserreichs Ergod wiesen die gleichen Züge auf. Als Bennett sich wegdrehte, in Gedanken wahrscheinlich bei der bevorstehenden Verhandlung, trafen sich seine und Humas Augen für einen Moment. Sein Blick war kalt.
»Du kannst gehen oder bleiben, wie du wünschst, Rennard.«
Rennard straffte sich. »Ich bleibe, wenn der Oberste Kommandant nichts dagegen hat.«
Bennett hatte ganz offensichtlich etwas dagegen. Trakes Sohn haßte Rennard fast so sehr, wie er Huma haßte, allerdings aus anderen Gründen. Nur eine Person außer Fürst Oswal konnte den Sohn des Großmeisters im Wettkampf besiegen. Und zwar gründlich. Für jemanden wie Bennett, der auf seine Perfektion so stolz war, war das unerträglich. Die beiden Rivalen starrten einander jetzt offen an, wobei Rennard jedoch wirkte, als betrachte er einen Grashalm.
Fürst Oswal wendete sich Huma zu: »Eigentlich müßte Fürst Arak deinen Bericht abnehmen, doch da wir es nun einmal mit Situationen zu tun haben, die sich von Minute zu Minute ändern, möchte ich, daß wir es alle sofort hören. Sowohl Arak als auch Bennett sind damit einverstanden.« Bennett schaute seinen Onkel an und dann wieder zur Seite. »Wenn du dann anfangen würdest?«
»Mein Fürst.« Huma mußte erst einmal schlucken. Nach den ersten paar Worten fiel die Unsicherheit von ihm ab, und er erzählte die Einzelheiten des Angriffs in kurzen, klaren Sätzen. Die drei Kommandanten hörten genau zu. Huma erwähnte auch die Anwesenheit von Magus, ließ jedoch das meiste ihrer Unterhaltung weg.
Als er fertig war, stand er schweigend da. Seine Augen blickten stur geradeaus, sein Körper stand in Habachtstellung da. Die Ritterfürsten berieten sich flüsternd untereinander, weswegen Huma nicht mitbekam, was ihnen aufgefallen war.
Fürst Falkenauge ging von den anderen beiden weg zu Rennard. »Ritter Rennard, hast du noch irgend etwas hinzuzufügen?«
»Nur daß ich den Wald von Männern nach möglichen Zeichen einer Invasion absuchen ließ und während Humas Abwesenheit einen neuen Hauptmann der Wache ernannt habe.«
Der Drang zu reagieren war fast überwältigend, doch Humas antrainierte Selbstbeherrschung half ihm zu widerstehen. Rennard hatte zu ihm gestanden.
»Aha«, sagte Fürst Oswal. »Das ist dann alles. Ritter Huma, meine Empfehlung an Fürst Arak Falkenauge ist, dir eine zweite Chance zu geben. Du hast es eindeutig mit Magie von außerordentlicher Stärke zu tun gehabt und aus diesem Grund das Lager ohne Warnung verlassen.«
Bennetts Blick hätte töten können, doch Huma war viel zu erleichtert, um sich daran zu stören.
»Danke, mein Fürst – meine Herren.«
Der Oberste Kommandant hob die Hand. »Ihr beide seid entlassen.«
Fürst Falkenauge fügte hinzu: »Ritter Huma und Ritter Rennard, ihr seid beide für diese Nacht von euren Pflichten entbunden. Legt euch schlafen.«
Rennard nickte einfach, als hätte er die ganze Zeit schon gewußt, wie das Treffen ausgehen würde. Sie gingen fort, während die drei Kommandanten wieder die Köpfe zusammensteckten. Bennetts Stimme wurde laut vor Zorn. Er fand offensichtlich, daß der Maßstab eine erheblich schärfere Bestrafung für das forderte, was in seinen Augen eindeutig eine Handlung von lebensgefährlicher Fahrlässigkeit gewesen war. Huma und Rennard waren bereits außer Hörweite, bevor eine Widerrede kam.
»Das ist noch mal gutgegangen«, bemerkte Rennard beiläufig.
Huma konnte ihn nicht ansehen. »Danke, Rennard.«
»Wofür? Dafür? Jemand muß dich vor dir selbst retten. Außerdem würde ich Bennett nicht die Genugtuung geben. Nicht einmal um des Kodexes willen. Oder des Maßstabs.«
Seine Worte ließen Huma in der Luft hängen. Rennard lebte anscheinend nach seinen eigenen Gesetzen.
Den Rest des Weges legten sie schweigend zurück.
Ein großer Bronzeturm ragte vor Huma empor. Er hing am Rande des Nichts, und dieses Nichts war der Abgrund. Der Turm war so alt, daß er bröckelte, obwohl er aus Metall war.
Huma fühlte sich ungewollt zum einzigen Tor des Turms hingezogen. Dinge, die eigentlich tot sein müßten, boten sich als Führer an. Leprakranke lächelten mit lippenlosem Mund. Ein Pestopfer – einst eine Frau – griff nach seiner Hand. Voller Entsetzen sah er, daß es seine Mutter war. Huma zuckte zusammen, und sie verschwand.
Die modrige Zugbrücke wurde für ihn heruntergelassen. Von drinnen winkte ihn eine Hand herein. Eine große Gestalt in zerlumpten Kleidern erwartete ihn. Sie trug eine rostige Krone – auf dem Kopf? Unter der Krone war kein Gesicht, nur zwei rote Kreise in einem Meer der Unendlichkeit.
Hinter ihm schloß sich leise das Tor.
Schwitzend erwachte Huma. Das Lager war noch nicht erwacht, auch wenn die Ritter sich bald regen würden. Huma war dankbar dafür. Nach diesem Traum hatte er keine Lust, wieder einzuschlafen.
So lebhafte Träume hatten ihn noch nie geplagt. Manche Leute glaubten, daß sie eine Bedeutung hatten, doch was dieser ihm mitteilen wollte, war Huma schleierhaft. Natürlich erkannte er den Bronzeturm und das Böse, das darin wohnte. Es war eine lebensechte Szene aus seiner Ausbildung, wo ein Kleriker des Paladin ihm die Götter vorgestellt hatte, die das Licht bezwingen wollten. Der Name dieses speziellen bösen Gottes war Morgion, und er lebte von der Verwesung der Welt.
Wenn je ein Gott von diesem endlosen Krieg profitiert hatte, dann war es Morgion. Verwesung war allerorts zu sehen, selbst in den Städten, die vom Krieg verschont geblieben waren – und wenn nicht körperliche Verwesung, dann moralische wie in der übersättigten Stadt des ergodianischen Kaisers, eines Mannes, der Gerüchten zufolge so verwöhnt war, daß er nicht einmal wußte, daß Krieg war.
Wo die Verwesung Überhand nahm, wurde Krankheit zur Normalität. Bei der Erinnerung an seine Mutter schlang Huma die Arme um sich. Ihr Tod durch die Pest hatte alles geändert. Allein hatte er den Ruf seines Vaters gehört, des Mannes, den er nie gekannt hatte, der jedoch sein Leben beherrschte. Der Preis allerdings…
Indem er aufstand, schüttelte er den Traum ab und rüstete sich für den bevorstehenden Tag. Rennard hatte versprochen, mit Fürst Falkenauge über ein weiteres Kommando für Huma zu sprechen. Was den ausgezehrten Ritter betraf, war der Zwischenfall mit Magus vergessen. Es gab Wichtigeres.
Ein ersticktes Stöhnen ließ ihn herunterschauen. Kaz war von den Geräuschen aufgewacht, blinzelte und öffnete seine verschlafenen Augen. Der Ausdruck ähnelte so sehr einem erwachenden Stalltier, daß Huma ein kurzes Lächeln nicht unterdrücken konnte.
Der Minotaurus legte sich wieder schlafen. Bis jetzt wußte Kaz noch nichts von den Ereignissen der Nacht. Da die Kommandanten zufrieden waren, daß sie schließlich alle nur möglichen Informationen aus ihm herausgeholt hatten, hatten sie dem Minotaurus endlich einen richtigen Nachtschlaf gestattet.
Gähnend schaute Huma über die Grenze des Lagers in die Richtung, wo sich zwischen den Bäumen der erste Schimmer der Dämmerung abzeichnete.
Seine Augen trafen auf den starren Blick der leeren Augen des Wesens, das Magus als Schreckenswolf bezeichnet hatte.
Irgendwann einmal mochte es ein wirklicher Wolf gewesen sein. Der Körperbau stimmte überein, doch es war, als hätte ihn ein perverser Nekromant von den Toten auferweckt und nur teilweise Erfolg gehabt. Nicht ein einziges Haar zierte den knochigweißen Körper. Er schien nicht einmal eine Haut zu haben. Er war wie der Geist eines toten Tieres, das sein Jäger gehäutet hatte. Auch wenn er gut zwanzig Fuß entfernt war, konnte Huma den Gestank der letzten Nacht riechen. Den Gestank nach Verwesung. Nach Tod.
Das Wesen wußte, daß er da war. Obwohl seine Augen offenbar blind waren, spürte es ihn, kannte ihn. Hinter den toten Augen steckte eine kalte, böse Intelligenz, die den Ritter zu verspotten schien.
Ohne die Augen davon zu lösen, beugte sich Huma zu dem Minotaurus hinunter. »Kaz.«
Er merkte, wie Kaz sich regte. Ein belegtes Flüstern kam zurück. »Huma?«
»Dreh dich um. Schau an mir vorbei.«
Der Minotaurus gehorchte. Seine Augen öffneten sich – ein wenig –, und zuerst sah Kaz gar nichts, so verschlafen wie er war. Erst als er es wagte, sie weiter aufzumachen, bemerkte Kaz das gräßliche Wesen. Der Gestank drang dem Minotaurus in die Nase.
»Bei meinen Ahnen«, zischte Kaz. »Ein Schreckenswolf, Huma!«
»Ich weiß.« Der Minotaurus kannte sie also. Was tat das Wolfswesen hier, fragte sich der Ritter. Magus hatte gesagt, sie würden abziehen, wenn sie feststellten, daß er fort war. Warum war die ekelhafte Kreatur immer noch da und trotzte sogar der Dämmerung? Wie war sie an den Posten vorbeigekommen?
Der Schreckenswolf fixierte Huma weiter mit seinen toten Augen. Er war seinetwegen hier, daran bestand kein Zweifel. Huma erkannte, daß er eine Art Bote sein mußte.
»Ich muß näher ran.«
Kaz war schnell auf den Beinen. Er hatte die Axt in der Hand. Das Wolfswesen beachtete Humas ungewöhnlichen Gefährten kaum. Es schien aufgeregter zu werden, als Huma ein paar zögerliche Schritte auf es zu ging.
»Huma, nicht!« Kaz redete jetzt laut. Daß kein Posten angerannt kam, beunruhigte Huma. War der Herr des Untiers so mächtig, daß er ein ganzes Lager einlullen konnte?
Huma schüttelte die Hand des Minotaurus ab und ging noch näher an den Schreckenswolf heran. Der Schwanz der Mißgeburt wedelte nachlässig hin und her. Sie öffnete die Kiefer, so daß Huma die gelben, verrotteten Zähne ausmachen konnte, die immer noch scharf genug waren, um ihm das Fleisch vom Arm zu reißen. Der Schreckenswolf leckte sich das Maul und verzog es zu Humas Schrecken zu einem wissenden Grinsen.
Als der Ritter sich bis auf zehn Fuß herangewagt hatte, öffnete die Kreatur wieder das Maul. Was herauskam, entsetzte Huma so sehr, daß er sich um ein Haar umgedreht hätte und davongerannt wäre.
»Huuuuuumaaaaa…«
Hinter ihm fluchte Kaz. Huma nahm einen festen Stand ein. Er hatte sein Schwert in der Hand, doch er wußte nicht, inwiefern ihm das gegen ein solches untotes Ding helfen würde.
»Huma.« Jetzt kam sein Name deutlicher und war von einem dunklen Gelächter gefolgt.
»Wer bist du? Was willst du?«
Der Schreckenswolf schien ihn zu betrachten, bevor er wieder redete. Als er dann sprach, war seine Belustigung mehr als deutlich. »Du hast uns eine gute Jagd geboten, Ritter von Solamnia. Hast uns auch einen treuen Diener gekostet. Wir halten dich für eine ebenso große Gefahr wie deinen verräterischen Freund Magus.«
»Magus.« Huma zeigte dem scheußlichen Wesen keine Regung. Hatten sie Magus gefangen?
»Wir wissen, wo er jetzt ist. Er wird erfahren, was es heißt, Galan Drakos zu verraten.«
Galan Drakos. Anführer der Abtrünnigen, Diener der Dunklen Königin. Huma kannte den Namen und wußte um das Böse dahinter.
Der Schreckenswolf setzte sich in verächtlicher Haltung hin. Huma fragte sich kurz, ob er irgendwelche eigenen Gedanken hatte oder ob er nur die Marionette einer beherrschenden Kraft war.
»Krynus war nach eurer kurzen Begegnung sehr angetan von dir. Er war nahe daran, deinen Freund zu erwischen, als du aufgetaucht bist. Dein guter Freund Magus hat dich als Köder benutzt, junger Ritter. War dir das klar?«
Schwere Schritte neben Huma verrieten ihm, daß Kaz näher herangetreten war. Der Schreckenswolf drehte dem Minotaurus kurz seine leeren Augen zu, dann nahm er seinen Faden wieder auf, ohne ihn weiter zu beachten.
»Es war Krynus’ Wunsch, dich persönlich aus dem Lager zu locken und in seine Zitadelle zu bringen, damit er dort mit dir kämpfen kann.«
Humas Kehle wurde trocken. »Ich habe Glück gehabt.«
»Glück ist eine Kunst. Wenn du noch länger leben würdest, könntest du das lernen.«
Ritter und Minotaurus fuhren zusammen. Beide erwarteten, daß der Wald plötzlich die geisterhaften Gestalten zahlloser Schreckenswölfe ausspuckte. Nichts geschah, und das einzelne Wesen verspottete sie wieder mit seinem fast menschlichen Lächeln.
»Von mir hast du nichts zu befürchten. Nein, wenn überhaupt, dann solltest du dich vor dir selber fürchten, Ritter der Krone. Im Moment bist du selbst dein schlimmster Feind.«
Mit neuerlichem Lachen sprang der Schreckenswolf auf die Beine. Kaz holte aus, doch die Kreatur wirbelte nur herum und jagte in die Wälder. Beide wußten, daß eine Verfolgung sinnlos war.
»Was sollte das alles?« wunderte sich der Minotaurus.
»Er kam offenbar, um mich zu verspotten.« Huma schob sein Schwert in die Scheide. »Aber warum sollte Krynus sich überhaupt mit jemandem wie mir abgeben?«
»Vielleicht ist er mehr an diesem Freund von dir interessiert. Und vielleicht ist er diesem Freund gar nicht so nah auf den Fersen, und das ist nur eine Finte. Wer ist dieser Magus?«
Huma erzählte kurz, was in der Nacht geschehen war. Das Gesicht des Minotaurus verdüsterte sich, als er erkannte, daß all das passiert war, während er geschlafen hatte. Als Huma fertig war, begannen sich ein paar der anderen Ritter zu regen.
»Was soll ich machen?«
Kaz wiegte den Kopf. »Ich weiß, was ich machen würde, aber deine Wege sind nicht die meinen, Ritter von Solamnia. Ich schlage vor, du versuchst es mit dieser wandelnden Leiche. Er scheint dein Gönner zu sein.«
Kaz hatte recht, beschloß Huma. Vielleicht konnte Rennard ihm die Worte von Galan Drakos erklären.
Plötzlich erhob sich ein starker Wind, und eine Anzahl riesiger Gestalten schien aus dem Himmel selbst zu entstehen. Im ganzen Lager schauten Ritter zu einem Anblick auf, der sie nur anspornen konnte. Majestätische, geflügelte Wesen kreisten mehrmals um das Lager. Gold, Silber, Bronze, Kupfer – die Drachen waren prachtvoll in ihrem Glanz. Auch ein paar Messingdrachen waren darunter, doch die zogen normalerweise die Wüstenhitze vor.
Huma schätzte die Zahl der Tiere auf dreißig bis vierzig – eine ziemlich gewaltige Streitmacht, besonders wenn sie organisiert war. Das war der einzige Vorteil, den sie über ihre dunklen Vettern hatten: Die Drachen von Takhisis neigten dazu, sich untereinander zu bekämpfen, manchmal sogar mitten in der Schlacht. Die Drachen des Lichts waren geschickt darin, aus solchen Zwischenfällen ihren Vorteil zu ziehen.
Durch die Ankunft der Drachen vergaß Huma kurzfristig seine Sorgen. Die Gegenwart von Drachen erfüllte ihn mit einer fast jungenhaften Begeisterung. Er lief zu ihrem Landeplatz, ohne auf Kaz’ Rufe zu achten, der keine Lust hatte, schon wieder etwas mit Drachen zu tun zu haben.
Huma war nicht der einzige, der losrannte. Selbst die Veteranen kamen angelaufen, denn die Drachen brachten oft Nachrichten von großer Bedeutung.
Als Huma den Landeplatz erreichte, sah er, daß die drei Befehlshaber der Armee bereits mit einem enormen, goldenen Drachen redeten. Trotz seiner Ausmaße sprach der Drache in ruhigem, fast gelehrsamem Ton. Die Neuigkeiten mußten jedoch besorgniserregend sein, denn Huma bemerkte den Schatten über Fürst Oswals Gesicht.
Huma sah Rennard. Der Ritter wirkte noch blasser als sonst und schien überrascht, als Huma ihn ansprach.
»Was gibt es Neues, Rennard?«
»Die östlichen Truppen sind auf dem Rückweg.«
Rennards tonlose Stimme ließ Huma das Ausmaß der Bemerkung des ausgemergelten Ritters übersehen. Als die Erkenntnis über ihn hereinbrach, konnte Huma nur mit offenem Mund dastehen, bis er irgendwann genug Luft geholt hatte, um dieselben Worte von sich zu geben, die er gerade gehört hatte. Er wiederholte sie noch einmal, dann schüttelte er den Kopf.
»Das ist nicht möglich! Eine solche Niederlage hat die Ritterschaft noch nie erlebt!«
»Jetzt schon.«
Sie waren gezwungen zu warten, während die Kommandanten und der goldene Drache ihre Diskussion fortsetzten. Kaz stellte sich neben Huma; der Ausdruck auf dem Gesicht des Minotaurus zeigte, daß er die Nachricht gehört hatte. Der junge Ritter fragte sich, wie der Hüne aus dem Osten sich dabei fühlte. Schließlich konnte der Minotaurus nicht mehr zum Feind zurückkehren, nachdem er seinen Vorgesetzten getötet hatte.
Als ob er seine Gedanken lesen konnte, sah Kaz zu Boden. »Ich habe mein Handeln nicht bereut, Huma. Es war meine Entscheidung, den Oger zu töten, und ich würde es wieder tun. Außerdem gibt es jetzt bei meinem Volk kein wirkliches Zuhause mehr für mich. Für die wäre ich ein Feigling und Schwächling, der mit Hilflosen Mitleid hat.«
Inzwischen waren die meisten anderen Drachen gelandet. Huma bemerkte einen Silberdrachen, der ihm – soweit das möglich war – vertraut schien. Er wollte diesen Gedanken gerade als lächerlich abtun, als der Drache in seine Richtung sah und nickte. Es war dasselbe Wesen, das sie in Sicherheit gebracht hatte, derselbe Drache, der sich dem tödlichen, schwarzen Ungeheuer mit dem Kriegsherrn Krynus auf dem Rücken persönlich gestellt hatte.
Ein Horn erklang aus der Richtung der Front, eine einzelne, kummervolle Klage, die langsam erstarb, als hätte der Bläser alle Hoffnung aufgegeben. Das konnte gut möglich sein.
Wieder breitete sich die Finsternis über den Himmel aus. In wenigen Minuten würde sie die ersten Reihen der Ritter verschlingen. Nur die Götter wußten, was darunter geschehen würde.
Bennett und Arak Falkenauge fluchten laut, während Fürst Oswal jetzt wirklich wie ein alter Mann aussah. Seine Schultern sackten zusammen, und er war gezwungen, sich von dem Drachen abzuwenden. Das Riesentier sagte nichts, doch sein Mitleid war offensichtlich.
»Mein Fürst!« schrie Bennett jetzt. Sehr schnell kam Wind auf. Ein paar von den Drachen schlugen nervös mit den Flügeln, vielleicht weil sie die teuflischen Kräfte fühlten, die angerufen wurden, um diese neue Bedrohung heraufzubeschwören.
Als er die Stimme seines Neffen hörte, schien Fürst Oswal sich zu fangen. Ohne weitere Zeit zu verlieren, befahl er den Männern, sich auf die Schlacht vorzubereiten und sich in der nächsten Mulde zu formieren. Das Lager würde der Gnade des Windes ausgeliefert sein. Jetzt war nicht die Zeit für Ordnung. Jetzt ging es um Leben oder Tod.
Rennard klappte sein Visier herunter und schrie: »Unser Sieg über die andere Finsternis war eine Finte. Ich wette, daß die Magier noch mehr zu kämpfen haben, wenn sie das hier zurückdrängen wollen, und ich wette, sie verlieren.«
Weil der Wind ihm den Atem nahm, folgte Huma dem Beispiel des anderen Ritters und senkte sein Visier. Er schnappte nach Luft. Kaz neben ihm war gezwungen, alles ohne Schutz auszuhalten. Huma wußte, daß die Minotauren die rauhste See durchsegeln konnten, aber dennoch hatte Kaz die Hände vor dem Gesicht und war auf die Knie gefallen.
Und immer noch wurde der Wind stärker.
Nicht festgemachte Ausrüstungsteile wehten davon. Die Pferde schnaubten wild, als ein Zelt von seinen Pflöcken gerissen wurde und zwischen ihnen herumflatterte. Huma rannte hinüber und zerrte es von den Tieren weg, konnte es aber nicht festhalten. Es wurde in die Wälder getrieben.
Das ganze Gebiet wurde für alles mögliche zur tödlichen Falle. Der Wind fachte die Lagerfeuer so an, daß sie hoch und ungebändigt aufloderten. Einige Zelte gingen in Flammen auf.
Kaz war gezwungen, seine Augen zu bedecken, damit der von der Erde aufgewirbelte Staub ihn nicht blendete. »Sargas vergib mir! Das ist der König aller Orkane, nur an Land!«
Die Worte des Minotaurus schienen es wirklich richtig zu treffen. Kein Tornado oder Sturm, den Huma je erlebt hatte, hatte solche Zerstörungskraft besessen. Die Bäume neigten sich gefährlich nah dem Boden zu. Ein bißchen mehr Druck, und sie würden aus der Erde gerissen und himmelwärts geschleudert werden. Und die höllische Finsternis schien nicht nachzulassen. Es war nur eine Frage der Zeit.
Huma kämpfte darum, das Gleichgewicht zu halten. Wie viel schrecklicher mußte es draußen an der Front sein? Nur der eine Hornstoß hatte sie gewarnt. Krynus hatte gut geplant. Galan Drakos hatte gut geplant.
Plötzlich herrschte Ruhe. Der Wind erstarb von einer Sekunde zur nächsten, und die aufgewirbelten Teile regneten vom Himmel. Kaz stand auf, und Huma öffnete sein Visier, um bessere Sicht zu haben.
»Die Zauberkundigen! Sie haben es geschafft!« Da waren sie, weit zu seiner Linken.
Es waren insgesamt zwölf, sechs von den Roten Roben, sechs von den Weißen. Selbst von seinem Platz aus konnte Huma sehen, wie angespannt sie waren. Das war nicht der gleiche Sturm wie neulich. Der war nur eine blasse Illusion gewesen, ein Test vielleicht oder sogar nur ein Trick. Was es auch war, die Zauberer hatten es nun mit einer Macht zu tun, die viel, viel stärker war, als sie erwartet hatten.
Eine der Roten Roben fiel erschöpft zu Boden.
Eine Brise kam auf.
Ein Reiter verdeckte Huma die Sicht. Huma sah zu Bennett auf, der sich und die Situation trotz des Durcheinanders voll unter Kontrolle hatte. In diesem Moment hätte er mit seinem edlen, raubvogelartigen Gesicht und der hinreißend gearbeiteten Rüstung ein Gefährte von Vinas Solamnus selbst sein können.
Bennett überschaute das Gebiet und richtete seinen Blick dann auf den jungen Ritter. »Zu den Pferden. Wenn wir sie nicht losbinden, kommen sie um, wenn die Zauberkundigen versagen.«
Während er noch sprach, wankte ein weiterer von den Roten Roben, um dann zu straucheln. Die Brise verstärkte sich zu Wind.
»Wir ziehen uns zurück!« Der Wind zwang Bennett zum Schreien. »Aber keine wilde Flucht! Wenn wir es dazu kommen lassen, steht nichts mehr zwischen den Gefolgsleuten der Königin und Burg Vingaard! Nichts!«
Die verbliebenen zehn Magier konnten ihre gemeinsame Anstrengung nicht mehr aufrechterhalten. Mehrere brachen zusammen, und die paar, die noch standen, reichten nicht aus. Mit was für einer Macht hatten sie es zu tun?
Der plötzliche, unbändige Sturm warf Huma und Kaz beinahe um. Bennett gelang es gerade noch so eben, sein Pferd unter Kontrolle zu halten. Das Streitroß war Blut und Stahl gewöhnt, aber nicht einen Wind, der so stark war, daß er dem Tier fast den Reiter vom Rücken riß. Instinktiv wollte es davongaloppieren, um Schutz zu suchen.
Bennett brüllte etwas Unverständliches und jagte dann los. Huma erinnerte sich an seine vorherigen Befehle. Halb kriechend näherte er sich den wiehernden Pferden. Kaz folgte ihm. Nachdem er sein Gleichgewicht wiedererlangt hatte, konnte er sich dank seiner Masse jetzt leichter bewegen als der Ritter.
Es erwies sich als schwierig, die Pferde zu befreien. Sie hatten sich in Panik hineingesteigert und sahen jedes sich bewegende Objekt als Bedrohung an. Die vordersten schlugen nach Huma aus, andere schnappten nach seinem Arm. Trotz der Gefahr mußte Huma näher heran, um sie loszumachen.
Als er näher kam, regneten eisenbewehrte Hufe auf ihn herab, und nur weil eine schwere Gestalt sich über ihn stellte, entging er der Verkrüppelung. Ein Huf traf seinen rechten Arm. Er streifte ihn nur, doch es reichte aus, um ihn zu betäuben.
Huma richtete sich mühsam auf und band die Zügel los. Er hatte gehofft, ein paar der Tiere beruhigen zu können und sich vielleicht auf einem in Sicherheit zu bringen, doch dazu waren sie zu verstört. Ein paar Schritte ließ er sich praktisch mitschleifen, bis er seinen gesunden Menschenverstand wieder beisammen hatte und losließ.
»Kaz!« Huma konnte den Minotaurus nicht sehen. Dann erinnerte er sich plötzlich, wie der den Angriff des vor Angst irren Streitrosses abgeschirmt hatte. Huma drehte sich um und sah die bewegungslose Gestalt. Kaz hatte die Tritte mit seinem eigenen Körper abgehalten. Der Ritter erinnerte sich an den Eid des Minotaurus und stieß einen ganz unritterlichen Fluch aus. Er wollte nicht am Tod des Minotaurus schuld sein.
»Kaz!« Er kniete sich neben seinen Retter und drehte ihn herum. Zu seiner Erleichterung öffnete der Minotaurus die Augen.
»Bist du unverletzt?« fragte die stierköpfige Kreatur.
»Das sollte ich dich fragen!« Huma lachte beinahe. Wenn Kaz noch um ihn besorgt sein konnte, dann würde er auch am Leben bleiben. Er half dem riesigen Stiermenschen auf die Beine.
»Kannst du gehen?«
Der Minotaurus beugte sich nach vorn. »Laß mir etwas Zeit. Ich fürchte, das Pferd hat alle Luft aus meinen Lungen getreten.«
Während Kaz sich sammelte, sah Huma sich um. Das Lager war verlassen. Nur ein paar Ritter kämpften im Süden noch um ihre Ausrüstung, und Huma meinte, im Osten Reiter zu sehen. Das Zelt, wo die Kleriker der Mishakal die Verwundeten versorgt hatten, war nicht mehr da. Huma konnte keine Körper sehen; wenigstens hatten die Zauberer ihnen genug Zeit zur Flucht verschafft. Er konnte nur hoffen, daß auch Gwyneth in Sicherheit war.
Und wo waren eigentlich die Drachen?
Seit Ausbruch des Sturms hatte Huma sie nicht mehr gesehen. Die immense Wand eisiger Finsternis war jetzt fast am Lager. Man konnte kaum mehr sehen als in einer mondlosen Nacht. Huma wollte nicht wissen, was in dieser Dunkelheit lauerte, doch er zwang sich hinzusehen. Als er das tat, entdeckte er endlich die Drachen des Lichts.
Er erkannte, daß sie sich zu einer ihrer Schlachtstellungen formiert hatten, eine Art Doppel-V.
Gegen die heranstürmende Gewalt wirkten sie geradezu armselig winzig.
Jetzt gesellte sich strömender Regen zu dem Wind. Kaz schnaubte wütend und brabbelte etwas über den Gestank nasser Menschen. Es ging ihm jetzt gut genug, um sich langsam, aber stetig zu bewegen. Das Unwetter erschwerte ihr Vorwärtskommen. Lieber langsam und stetig, als daß einer von beiden das Gleichgewicht verlor.
Es hätte genausogut Nacht sein können. Vom Sonnenlicht war keine Spur mehr zu sehen. Vor sich konnte Huma undeutliche Gestalten erkennen. Bei ihrem augenblicklichen Tempo würden aber auch sie verschwinden, wenn die Macht der Drachenkönigin das Licht überwältigte.
Das Licht überwältigte…
Hatten die Ritter nun doch verloren? Huma schauderte, als er sich eine Welt der Finsternis vorstellte. Eine Welt, in der die Königin regierte.
Inzwischen stammte das einzige Licht von den Blitzen, die über den Himmel zuckten. Sie schienen nicht Teil des Sturms zu sein, und Huma schaute hoch, weil er sich fragte, ob sie womöglich das Werk der Drachen waren. Hatten sie doch noch den Feind getroffen? Er wünschte – genau besehen ein verrückter Wunsch –, er könnte ihnen irgendwie helfen.
»Huma!« Das Zischen erschreckte ihn, bis er erkannte, daß es Kaz war. Die Stimme des Minotaurus kam krächzend. Die Verletzung hatte ihn stärker geschwächt, als er den Ritter hatte glauben machen wollen. »Huma! Da vorne ist ein Licht!«
Es stimmte. Nur ein schwaches Leuchten, wie von einem Nachtinsekt vielleicht, aber dennoch ein Leuchten. Sie machten sich bereits in die Richtung auf, als Huma der Schwarzmagier einfiel, der versucht hatte, sie zu umgarnen. Dieses Licht aber forderte nicht seinen Gehorsam wie jenes andere. Es schien eher dringend benötigte Hilfe zu versprechen. Um sicherzugehen, zog Huma sein Schwert.
Sie stolperten durch den Schlamm. Einmal wären sie fast hingefallen. Rutschend und schlitternd hielten sie auf das Licht zu.
Eine Weile schien das Licht nicht näher zu kommen. Allmählich jedoch verringerte sich die Entfernung, und bald erkannte Huma, daß der Schein sich auch auf sie zu bewegte. Er umklammerte sein Schwert fester. Kaz an seiner Seite war auf der Hut.
»Ich habe dich gesucht.«
Vor ihnen – scheinbar aus sich selbst heraus leuchtend und von Wind und Regen des Unwetters fast unberührt – stand Magus.