10

»Erschüttert es dich so sehr, Huma? Ich war jung. Ich wäre vielleicht auch aus anderen Gründen gegangen. Abscheu vor der Prüfung, zum Beispiel, die ich immer noch für ein barbarisches Mittel halte, um jemanden zurechtzustutzen.«

Huma sank aufs Bett zurück. Für einen, der mit den strengen Überzeugungen der Ritterschaft aufgewachsen war, war kein Zauberer vertrauenswürdig. Abtrünnige wurden als schwärzer als die Schwarzen Roben selbst angesehen, denn sie arbeiteten mit Sprüchen, vor denen selbst jene zurückschreckten.

Magus las in seinem Blick und lächelte wehmütig. »Ein Abtrünniger ist nur das, was er aus sich macht, Huma. Es gibt sehr wenige, weil es schwer ist, den Augen des Zirkels zu entkommen, aber ein paar davon sind sehr gute Menschen. Manchmal nicht mächtig genug. Hätten sie die Prüfung gemacht, so wären die meisten umgekommen. Während ihres Lebens tun sie ihr Bestes, um anderen zu helfen. Natürlich gibt es immer auch die andere Seite.«

»Galan Drakos.«

»Ja.« Magus wurde blaß. »Selbst die dunklen Kleriker der Königin fürchten ihn. Sie aber braucht ihn.«

Der Ritter richtete sich auf. »Du weißt eine ganze Menge.«

»Ich – ich habe auf meinen Reisen viel von ihm gehört. Ich dachte, er könnte mir helfen, mich beschützen. Er fürchtete die Drei Orden nicht.«

Im Nebenzimmer bewegte sich etwas. Magus trat in die Schatten zurück. »Ich glaube, wir können unsere Unterhaltung jetzt nicht fortsetzen. Versuch zu begreifen, daß ich für alles meine guten Gründen hatte. Wir reden später weiter.«

Magus verschmolz mit der Dunkelheit. Der Ritter sprang auf und streckte seine Hand in die dunkle Ecke aus. Nur Wände, wie er schon vermutet hatte. Das Portal, das Magus geöffnet hatte, hatte sich schon wieder geschlossen.

Wütend stürmte Kaz ins Zimmer. »Ich habe ihn gehört! Wo ist er?«

Überrascht über die Aufregung des Minotaurus, wich Huma zurück. »Was ist los, Kaz?«

»Das ist eine Falle, wie ich’s mir gleich gedacht habe! Meine Axt ist weg! Meine Dolche sind weg!«

»Was redest du da?« Huma griff nach seinem Schwert, das neben dem Bett hing. Allerdings…

Die Scheide hing immer noch da, doch jetzt war sie leer. Eilig sah Huma sein Zeug durch. Wie bei Kaz fehlten alle Waffen. Sie waren verschwunden, während die beiden alten Freunde sich unterhalten hatten.

Huma legte sich die Hand auf die Stirn. Das Zimmer wurde schrecklich heiß. Er merkte, wie er rot anlief. Plötzlich stand Kaz neben ihm, um ihn zu stützen.

»Was hat er mit dir gemacht? Bist du krank?«

»Es geht schon.« Er schob seinen mitfühlenden Gefährten beiseite. »Es ist nichts.«

Huma war ein Narr gewesen. Er hatte geglaubt, daß die Vergangenheit noch zählte, während es jetzt nur allzu offensichtlich war, daß der Zauberer gelogen hatte. Die Ungereimtheiten, die überlangen Erklärungen warfen mehr Fragen auf, als sie beantworteten.

Huma ergriff seine Rüstung. »Wir gehen – irgendwie.«

Kaz half ihm, sich fertig zu machen.

Die Halle war anscheinend unbewacht, auch wenn der Ritter davon überzeugt war, daß unsichtbare Diener jeden ihrer Schritte beobachteten. Er fragte sich, wie weit Magus sie kommen lassen würde.

»Das gefällt mir nicht«, murmelte Kaz. Er mißtraute den Methoden der Zauberkundigen noch mehr als der Mensch.

Sie erreichten die lange Wendeltreppe ohne Zwischenfall – was sie nur um so vorsichtiger machte. Huma streckte die Hand aus und berührte das Geländer mit einem Finger. Als nichts geschah, wagte er, es anzufassen. Er ging einen Schritt hinunter. Noch einen. Einen dritten. Kaz folgte ihm so dicht, wie es seine gewaltige Gestalt erlaubte. Unwillkürlich wurden sie schneller.

Bei der sechsten Stufe zwinkerte Huma ungläubig. Er war nicht mehr auf der Stufe, sondern wieder am Treppenabsatz. Fünf Stufen tiefer fuhr Kaz herum, um nach ihm Ausschau zu halten. Ehe Huma ihn warnen konnte, setzte der bullige Mann aus dem Osten einen Fuß auf die sechste Stufe. Huma sah Kaz nur noch kurz, ehe er verschwand, um gleich darauf neben ihm zu stehen.

»Noch mehr Tricks«, grollte Kaz.

Sie versuchten es noch einmal mit dem gleichen Ergebnis. Und wenn man seinen Fuß auf die Stufe setzte, bekam man den Transport noch nicht einmal mit. Das war Magie in ihrer kompliziertesten und verschlagensten Form.

Sie waren in einer Art Schleife gefangen. Huma gab als erster auf, weil er die Vergeblichkeit des Unterfangens erkannte. Kaz machte noch eine Zeitlang weiter in der Hoffnung, es könnte einen Ausweg geben. Schließlich gesellte sich der Minotaurus zu Huma.

»Was jetzt?«

Huma setzte sein Gepäck ab und schnallte die leere Scheide ab. »Nichts. Wir können anscheinend nirgendwo hingehen.«

»Wir können aber auch nicht hierbleiben!« Das rote Glühen kehrte in die Augen des Riesen zurück.

»Hast du eine Idee? Es gibt keine Fenster, und die Wände sind undurchdringlich. Zumindest für uns.«

»Wir könnten hinunterklettern.«

Huma nahm die Schwertscheide und ging damit zur Treppe. Er hob sie über das Geländer und ließ los.

Die Scheide verschwand.

Während Kaz ihr noch hinterher starrte, drehte sich Huma um und zeigte auf den Boden. Die leere Scheide lag hinter ihnen.

»Wir warten. Wir haben keine andere Wahl.«

Der Minotaurus ließ geschlagen seine Schultern sinken.


Es kam die Zeit, wo der Schlaf sie übermannte, obwohl sie sich alle Mühe gaben, wach zu bleiben. Huma begann zu träumen. Er träumte von Gwyneth und von einem Berg. Von einem silbernen Drachen im Flug. Von bösen Zauberern und kämpfenden Göttern. Das alles vermischte sich so unzusammenhängend, daß er nie ganz sicher war, was der Traum bedeuten sollte oder wie er eigentlich angefangen hatte.

Der Traum endete abrupt, als eine Stimme seinen Schlaf unterbrach. »Aaaauuuuffffwwwaacheennnn.«

Huma brauchte eine Weile, bis er erkannte, daß das Gelispel nicht zu seinem Traum gehörte. Statt dessen war es ein Nebelwesen, das sie holen sollte.

»Meeiiissteerr. Wwwiiill. Sssspreecheenn.«

Huma erhob sich und Kaz, der den Elementargeist ebenfalls hörte, tat das gleiche.

»Hhuuumaaa. Aaallleeiinn.«

»Ich komme mit, ob es deinem Meister nun gefällt oder nicht. Also los, oder ich atme dich ein.«

Ob der Luftelementar die Worte des Minotaurus verstand oder nicht, er schwebte jedenfalls auf die Treppe zu. Huma ging hinterher, dicht gefolgt von Kaz. Der Elementar führte sie hinunter. Huma zögerte kurz, als sie sich der Stufe näherten, die sie zuvor nicht überschreiten hatten können. Er machte einen vorsichtigen Schritt. Zu seiner großen Überraschung kam er diesmal ungehindert vorwärts. Der luftige Diener umschwirrte sie voller Ungeduld. Huma ging weiter hinunter, zuerst langsam, dann, als ihm klar wurde, daß Magus keine Fallen vorbereitet hatte, schneller.

Ein durchdringender Wutschrei veranlaßte ihn, sich nach oben umzudrehen. Während Huma ihm den Rücken zugewendet hatte, hatte Kaz ihm folgen wollen. Zum großen Ärger des Minotaurus hielt der Zauberer ihn noch immer gefangen.

Wortlos wandte sich der Ritter wieder nach vorne und folgte dem Diener die Wendeltreppe hinunter und durch Gänge, die er am Vortag nicht bemerkt hatte. Diese Korridore waren dem Hain sehr ähnlich, mancherorts dunkler, als man für möglich halten sollte. Hin und wieder huschten Dinge im flackernden Licht der paar Fackeln vorbei. Nur wenn sie an einer dieser Fackeln vorbeikamen, konnte Huma sicher sein, daß er noch immer dem Diener folgte.

»Meeiiissteerr.«

Huma verstand diesen Ruf zunächst nicht, denn der Raum, den er betrat, war ebenso finster wie die Gänge, und er sah keinen Hinweis darauf, daß er bewohnt war. Dann hörte er, wie sich etwas bewegte.

Ein Wort erklang, und der Raum wurde von Magus’ Stab erhellt. Das Geräusch, das Huma gehört hatte, war vom Aufstehen des Zauberers von seinem Stuhl verursacht worden. Als der andere sich ihm zuwandte, öffnete sich Humas Mund überrascht. Magus wirkte plötzlich fast doppelt so alt wie vorher. Man konnte kaum glauben, daß die beiden Männer gleich alt waren.

»Huma.« Die Stimme des Zauberkundigen bettelte beinahe um Freundschaft. Der ganze Zorn, der sich in Huma angestaut hatte, begann zu verfliegen, als er den verblüffenden Lebenskraftverlust wahrnahm.

»Magus, was –?«

»Ich weiß. Wann immer wir uns treffen, bleibst du mit neuen Fragen und Ängsten zurück. Ich fürchte, ich kann derzeit nicht einmal das ändern, auch wenn ich versuchen will, ein paar Dinge aufzuklären. Zunächst einmal möchte ich dir etwas zeigen.«

Der Zauberer führte ihn in den Nebenraum, wo Huma dem Erdelementar gegenüber stand, der sie durch den Hain geführt hatte. Vor dem lebenden Erdwall lag etwas beunruhigend Bekanntes.

»Ein Schreckenswolf«, konstatierte Huma.

Die Knochen waren gräßlich verdreht, und ein Bein war abgerissen. Noch seltsamer war, daß er versteinert war. Huma bückte sich und fand diese Feststellung bestätigt. Es war, als würde er einen Felsen berühren.

Die leeren Augen schienen ihn noch immer zu beobachten. Huma drehte sich hilfesuchend nach Magus um.

»Es waren noch drei, aber die sind im Hain umgekommen. Der hier jedoch hat es – zerschunden wie er war – bis zum Feld geschafft, wo er«, Magus zeigte auf den Erdelementar, »ihn erledigt hat. Doch jetzt haben wir die Bescherung. Galan Drakos weiß, wo ich bin, und wahrscheinlich auch, daß du hier bist. Ich habe keine Wahl.«

Huma hörte zu, ohne zu ahnen, worauf Magus hinaus wollte.

»Komm mit.« Sie kehrten in das andere Zimmer zurück. Magus ging zur einen Wand, an der ein hoher, goldgerahmter Spiegel hing. Er war oval und mit Zauberrunen verziert. Magus stieß seinen Stab auf den Boden und sagte: »Zeig.«

»Der. Der mittlere Gipfel.« Ein riesiger Berg erhob sich im Vordergrund. Huma erkannte ihn sofort wieder. Es war der gleiche Berg, der auf dem einen großen Wandbehang so auffällig hervortrat. »Als ich im Turm geprüft wurde, sah ich das – den Berg. Ich erinnere mich gut daran, weil es der letzte Ort war, den sie beschworen. Ich wußte nicht, daß es ihn wirklich gibt, bis ich diesen Platz hier und den Wandbehang in der Halle fand. Als ich ihn an der Wand hängen sah, erkannte ich, daß in den Szenen meiner Prüfung mehr Wahrheit gelegen hatte, als selbst meine Prüfer wußten. Dieser Berg hat etwas mit dem Krieg zu tun. Er verbirgt etwas. Er ist das einzige Puzzleteil, das ich nicht enträtseln kann. Ich kenne nicht einmal seine genaue Lage, aber er liegt westlich von hier, wahrscheinlich im Südwesten.«

Er drehte sich zu Huma um und hielt dem Ritter seine Waffen hin, obwohl seine Hand eben noch leer gewesen war. »Der Minotaurus hat ebenfalls seine Waffen zurück. Der Elementar wird euch durch unterirdische Gänge zu den Pferden führen, die ich für Notfälle bereitstehen habe.«

Plötzlich erbebte der Turm.

Magus fuhr herum und starrte in den Spiegel. »Zeig!«

Die Bergszene verschwand, um einem Bild der Zitadelle Platz zu machen. Umzingelt. Ein großer, schwarzer Drache mit einem Reiter. Andere Drachen, rote, daneben.

»Oh, ihr Monde von Krynn!« Magus lächelte bitter. »Bin ich es wert, daß Krynus selbst mich beehrt?«

»Krynus!«

Der Magier sah Huma an, und sein bitteres Lächeln wurde noch breiter. »O ja, ihr zwei seid euch begegnet. Wenn ich Zeit hätte, würde ich dir viel Wichtiges über ihn und die Schwarze Garde erzählen. Aber wie es aussieht…« Der Turm erbebte wieder, und die Decke begann zu bröckeln.

»Arion!« Auf den Ruf des Zauberers hin erschien der Nebeldiener vor ihnen. »Bring sie zu den Ställen! Schnell!«

»Meeiiissteerr.«

»Magus, laß mich dir beistehen.«

»Mir beistehen?« Der Magier lächelte. »Ich stand einst an der Seite von Galan Drakos. Ich war sein Stellvertreter in seinem Magierzirkel. Er braucht mehr als ein paar Drachen, um mich aufzuhalten.«

Ein gewaltiger Windstoß trieb Huma durch die Tür, während er noch überlegte, ob er Magus vertrauen konnte. Nicht nur bezüglich seiner Fähigkeiten, sondern auch bezüglich seiner Beweggründe. Aber würde Huma das je erfahren?

»Huma!«

»Kaz!«

Der Minotaurus kam den dunklen Korridor entlang gestürmt, ohne irgendwelche Bedrohungen zu beachten. Magus hatte Wort gehalten und dem Minotaurus seine Waffen zurückgegeben, auch die gewaltige Streitaxt.

Die ersten Worte des großen Kriegers waren leicht vorauszusehen: »Was hat er jetzt denn für einen Wahnsinn über uns gebracht?«

»Nur den Kriegsherrn, sechs Drachen und weiß Paladin was noch.«

Weitere Balken krachten zu Boden.

Kaz hob die Axt hoch über den Kopf. »Bei dreißig Generationen meiner Ahnen, ich werde nicht unter diesen Steinen sterben!«

»Duuummm! Fooollgeeennn!«

»Dieses Ding da – «

»– führt uns hier raus! Ruhe jetzt!«

Sie rannten dem Luftelementar hinterher, der jetzt ein erstaunliches Tempo vorlegte. Nunmehr glänzte er leicht silbrig, so daß sie ihn in den dunklen Fluren nicht verlieren konnten.

Der Stall war eher eine belüftete Höhle. Es gab ein halbes Dutzend Pferde in allen Größen, alle gut trainiert und elegant. Während sich die beiden ihre Reittiere aussuchten, verschwand der Elementar.

»Wo sind wir?« fragte Kaz.

Huma sprang auf das Pferd, das er gewählt hatte, eine große, silbergraue Stute, und blickte durch den Höhleneingang. »Westlich des Hains, glaube ich. Der Gang führt unter ihm hindurch.«

»Gut. Ein Problemchen weniger.« Der Minotaurus kletterte auf sein Tier, das mindestens ebenso groß war wie er selbst.

Ein neuerliches Beben ließ die Höhle erzittern. Huma befreite die anderen Tiere. Er wollte nicht, daß die Pferde umkamen, falls die Höhle einstürzte.

»Jeeeaaa!« Die Pferde waren schnell, und Huma und Kaz ritten zehn Minuten lang, ohne sich umzusehen.

Hinter sich konnten die beiden die Schreie der Drachen hören, die mit dem Herrn der Zitadelle und ihren Verteidigungsanlagen rangen.

Wozu sollte man eine Schlacht kämpfen, die nicht gewonnen werden konnte? Dennoch war Huma bewußt, daß er beim nächsten Kampf dabeisein würde.

Sie galoppierten über eine Lichtung, und Huma warf einen Blick zurück. »Reiter!«

Es waren mindestens acht mit tiefschwarzen Rüstungen und kohlrabenschwarzen Pferden. Wie Geschöpfe aus dem Abgrund. Die Schwarze Garde. Humas Hand griff nach seinem Schwert, um sich zu vergewissern, daß es noch da war.

Etwas anderes jagte hinter den Reitern her. Bleiche, hundeartige Wesen mit blicklosen, roten Augen. Sechs oder sieben vielleicht. Schreckenswölfe.

Plötzlich brach die Erde vor den dunklen Reitern mit entsetzlicher Gewalt auf. Einem gelang es, sein Gleichgewicht zu halten, und zwei schafften es, der Explosion auszuweichen, doch der Rest verschwand für den Augenblick hinter dem riesigen Hügel, in dem Huma den Luftelementar erkannte. Ein Punkt für Magus, dachte Huma. Der Zauberer hatte einen seiner treuesten Diener losgeschickt, um seinem alten Freund zu helfen.

Die Schreckenswölfe waren ausreichend gewarnt, um das Getümmel zu umgehen, auch wenn einer von einem Pferd erschlagen wurde, das sein Gleichgewicht verlor. Die anderen hetzten weiter.

Ein Baumstamm streifte Humas Arm, und er drehte sich gerade rechtzeitig um, um einem tiefhängenden Ast auszuweichen. Kaz ritt ein paar Schritte weiter rechts. Er hatte es aufgrund seiner Größe schwerer. Die Hörner auf seinem Kopf verfingen sich mit erschreckender Regelmäßigkeit in den Zweigen. Dennoch hielt er verbissen mit.

Huma schaute sich um, sooft es das Gelände erlaubte, doch jedesmal bot sich ihm das gleiche Bild. Zumindest die Schreckenswölfe bewegten sich in konstantem Tempo und schienen unermüdlich. Nur sechs der schwarzen Reiter hatten die Jagd wieder aufgenommen und konnten Schritt halten.

»Wir können nicht…« Ein Ast schlug Kaz ins Gesicht, als er zu sprechen versuchte. »Wir können nicht ewig so weitermachen. Die Pferde werden zusammenbrechen.«

Huma gab ihm recht. Sie trieben ihre Tiere zu mörderischem Tempo an. Huma fällte eine Entscheidung.

»Wir trennen uns! Reite du nach Norden!« Er mußte in die Richtung zeigen, um seine Idee verständlich zu machen. Kaz runzelte die Stirn, stimmte jedoch zu. Huma bedeutete ihm, daß er nach Süden reiten würde. Da er keinen eigenen Plan hatte, gehorchte der Minotaurus.

Als Huma das Zeichen gab, riß Kaz sein Pferd scharf nach rechts, wobei er fast seinen rechten Arm einbüßte, weil das Pferd gezwungen war, um einen Baum zu biegen. Huma sah ihn verschwinden und zügelte dann sein eigenes Pferd.

Das Tier war dem Zusammenbruch nahe. Es wurde so schnell wie möglich langsamer, wobei es mehrfach ins Straucheln geriet. Huma wartete nicht, bis es anhielt, sondern sprang einfach ab. Er landete auf den Füßen und suchte sofort zwischen den Bäumen Schutz.

Die Schreckenswölfe holten rasch auf, und Huma blieb kaum Zeit, sich bereitzumachen. In der Stallhöhle hatte er einen kleinen Holzschild gefunden, den er über seinen freien Arm gestreift hatte. Mit geschmeidiger, leiser Bewegung zog er sein Breitschwert. Er betete, daß die Schreckenswölfe erst dem Pferd nachjagen würden. Nur so hatte er eine Chance.

Er war fest entschlossen, sie so lange aufzuhalten, daß Kaz fliehen konnte. Huma wußte, daß es ihn wahrscheinlich das Leben kosten würde, doch er sah keine Möglichkeit, daß wenigstens einer entkam, wenn der andere nicht zurückblieb. Das konnte er nicht einmal von Kaz verlangen.

Der erste Schreckenswolf kam vorbeigerannt. Nur von einem Ziel besessen, folgte die grausige Kreatur dem verlassenen Pferd, das jetzt die Gefahr erkannte hatte und davonstob. Es würde nicht weit kommen, und Huma bedauerte zutiefst, daß er das Tier opfern mußte.

Zwei weitere Schreckenswölfe rannten vorbei. Noch einer folgte. Jetzt fehlten noch mindestens zwei. Huma riß sich zusammen und versuchte, geduldig zu bleiben.

Noch einer. Noch einer. Als keiner mehr kam, riskierte Huma einen Blick um den Baumstamm. Das erwies sich als Fehler, denn in diesem Augenblick tauchte der erste Reiter auf und entdeckte Huma im selben Moment.

Huma hatte diesen speziellen Baum wegen seines ausgedehnten Wurzelwerks gewählt, das sich teilweise über der Erde ausbreitete. Das erwies sich als glückliche Wahl, denn der Reiter, der als erster die Beute erreichen wollte, trieb sein Pferd zu nah heran. Der linke Vorderhuf des dunklen Tiers blieb an einer Wurzel hängen. Mit einem wilden Schrei stürzte das Tier vornüber, und der Reiter wurde weit durch die Luft geschleudert, um dann als verdrehter Haufen liegenzubleiben. Huma überzeugte sich davon, daß der Reiter tot war, und wendete sich dann zu den anderen um.

Die restlichen Reiter tauchten als geschlossene Gruppe auf. Zwischen den Bäumen war so wenig Platz, daß sie gezwungen waren, langsamer zu werden und einzeln durch den Wald zu reiten, wodurch ihre lose Formation aufbrach. Huma stieß einen Schlachtruf aus und griff an.

Den ersten Reiter der Schwarzen Garde erwischte er, als er versuchte, mit seiner Axt auszuholen, um dann festzustellen, daß sie in den Zweigen des Baumes festhing. Huma führte seinen Hieb aus, und der Mann fiel vom Pferd.

Jetzt kam ihm eine Idee. Er sprang auf das freigewordene Pferd, das ihn abzuwerfen versuchte. Ein Gegner wurde von einem schädelspaltenden Tritt getroffen, als Huma mit dem Streitroß kämpfte. Während er einen anderen Angreifer abwehrte, trieb Huma das Pferd vorwärts, diesmal nach Süden. Wie erhofft, folgten ihm die vier Reiter.

Etwas sprang ihn an. Ein weißer Blitz. Nur durch Glück konnte er mit dem Schwert zustechen, doch es gelang dem Schreckenswolf, ihm einen Teil seiner Kettenrüstung vom Bein zu reißen. Beim Weiterreiten zerrte Huma einen noch winselnden, auf seinem Schwert aufgespießten Schreckenswolf mit sich. Das Gewicht des Untiers zwang ihn, es buchstäblich mitzuschleifen, um sein Schwert zu behalten. Humas Arm schmerzte, als würde er gleich abreißen.

Die gräßlichen Kiefer schnappten nach ihm, und die leeren Augen rollten im Schädel hin und her, bis der Schreckenswolf endlich vom Schwert abrutschte und hinter Huma zusammenbrach. Zurückblickend sah Huma zu seinem Entsetzen, daß das Biest wie unverletzt aufstand. Der Schreckenswolf drehte gerade rechtzeitig den Kopf, um zu sehen, wie die Vorderhufe des ersten Pferdes der Verfolger auf ihn herabschlugen. Das untote Wesen wurde achtlos zertrampelt und vernichtet.

Sowohl sein Pferd als auch die der verbliebenen Verfolger waren am Ende ihrer Kräfte. Schaum tropfte dem Pferd aus dem Maul. Es begann, beim Rennen zu stolpern. Der Ritter hörte es hinter sich krachen und riskierte einen raschen Blick. Eines der Pferde war zusammengebrochen, ein anderes darübergestürzt.

Huma zügelte sein Roß und riß es herum. Die beiden letzten Reiter kamen von zwei Seiten auf ihn zugestürmt, um ihn zu überlisten. Der Reiter zur Rechten von Huma schwang sein Schwert zu einem gemeinen Hieb, während der Reiter zur Linken einen Augenblick später einen weiteren landen wollte. Huma reagierte blitzschnell. Den ersten wehrte er mit seinem Schild ab, und den zweiten parierte er mit solcher Exaktheit, daß sich der andere eine Blöße gab. Mit der Schwertspitze traf Huma den linken Reiter zwischen Brustpanzer und Helm. Der Reiter fiel hintenüber und wurde von seinem nichtsahnenden Pferd weitergeschleppt.

Da er nicht Mann gegen Mann kämpfen wollte, kehrte der letzte Reiter zu seinen Kameraden zurück, die zwischen den verletzten Pferden versuchten, auf die Beine zu kommen. Huma setzte ihm sofort nach und schlug wild auf ihn ein, weshalb er keinen tödlichen Schlag landete, doch der Mann fiel vom Pferd und stand nicht wieder auf.

Inzwischen waren die anderen Schreckenswölfe umgekehrt. Humas Pferd strauchelte und stürzte auf die Knie. Der Ritter sprang ab und zur Seite, bevor das Tier ihn unter sich begraben konnte. Dann stand er mit Schild und Schwert den fünf grausigen Wesen und den beiden Reitern gegenüber. Die deutliche Erkenntnis, daß er sterben würde, benebelte seinen Verstand. Als der erste Schreckenswolf ihm an die Kehle springen wollte, erwischte Huma ihn mit der geballten Kraft eines Menschen, der nur noch das Ziel hat, so viele Feinde wie möglich mit ins Grab zu nehmen. So stieß und schlug und schlachtete er fast blind drauflos, ohne etwas anderes wahrzunehmen. Sogar sein Schild wurde zur Waffe, als er ihn auf mindestens eine weiße Gestalt mit einer Kraft niedersausen ließ, die ihr den Schädel zerschmetterte.

Gelbe, geifernde Reißzähne blitzten vor seinem Gesicht auf. Stahl wollte seinen Hals aufschlitzen. Huma wehrte jeden Angriff mit einem Gegenangriff ab.

Irgendwann merkte er, daß er nur noch Luft zerschnitt. Diese Erkenntnis brachte ihn wieder zu sich. Er zwinkerte, damit der Schleier vor seinen Augen verschwand.

Die letzten beiden Angreifer waren tot, ihre Waffen lagen weit entfernt. Der Boden war blutgetränkt. Die fünf Schreckenswölfe lagen in Einzelteilen überall herum.

Plötzlich übermannte ihn eine tiefe Erschöpfung. Er fiel auf die Knie und starrte lange Zeit einfach auf das, was er angerichtet hatte.

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