24

»Wir wissen nicht, ob er wirklich gefangen ist, Huma, und selbst wenn Galan Drakos ihn hat, wäre es für uns unmöglich, ihn zu retten. Sie werden ihn direkt in der Zitadelle des Abtrünnigen festhalten«, erklärte Kaz zum hundertsten Mal.

»Unsere größte Hoffnung liegt darin, die Drachenlanzen nach Burg Vingaard zum Großmeister zu bringen«, fügte Buoron hinzu.

Huma nickte. Sie hatten natürlich beide recht, aber seine Unfähigkeit, Magus – den er fast sein ganzes Leben lang kannte – zu beschützen, nagte an ihm.

Jetzt lenkte Buoron den Wagen. Sein verwundeter Arm lag in einer Schlinge. Huma saß bei den Lanzen, so daß er das Gelände hinter dem Trio im Blick hatte. Der Silberdrache hatte angeboten, Hilfe von seinen Artgenossen zu holen, und Huma hatte zugestimmt. Nachdem Crynus vernichtet war und die Schwarze Garde einen ungeordneten Rückzug angetreten hatte, fühlten die drei sich im Augenblick sicher. Insgeheim sehnte sich Huma beinahe nach einer zweiten Begegnung.

Die nächsten Tage verstrichen ohne Zwischenfall. Die Gefährten reisten nach Solamnia zur Burg Vingaard. Es gab Zeiten, wo Huma erwachte, weil er das Heulen der Schreckenswölfe zu hören glaubte, aber von denen gab es keine Spur mehr.

Während der ganzen Zeit war der Silberdrache nicht zurückgekehrt. Niemand hatte Lust, Vermutungen darüber zu äußern, obwohl alle drei annahmen, daß es etwas mit den unablässig vorrückenden Horden der Drachenkönigin zu tun hatte. Huma rief sich Crynus’ Worte ins Gedächtnis: daß die Ritter von Solamnia praktisch besiegt waren und daß Vingaard bald fallen würde. So gerne er etwas anderes glauben wollte, sah Huma doch den Funken Wahrheit darin.

Inzwischen waren sie weit im Nordwesten von Kargod. Huma erinnerte sich an Fürst Guido Avontal und betete, daß sie die Region durchqueren würden, ohne auf den ergodianischen Befehlshaber zu treffen. Nach seinem plötzlichen Verschwinden war Huma sich nicht sicher, wie Avontal ihn aufnehmen würde. Huma war sich auch nicht sicher, was die Ergodianer tun würden, wenn sie die Drachenlanzen entdeckten.

Eigentlich ging es gut voran, doch Huma war es noch nicht schnell genug. Das Böse von Takhisis hing drohend über seiner Heimat, und Huma fühlte sich ohnmächtig.

Seit einiger Zeit war das Gelände weit und offen. So kamen sie zwar leichter vorwärts, hatten aber auch weniger Deckung.

Zwei Tagesreisen vor der Grenze sichteten sie gegen Mittag eine Patrouille, die zu weit weg war, um sie zu identifizieren. Aber die Patrouille hatte die drei offenbar ebenfalls bemerkt, denn die Soldaten schlugen ihre Richtung ein und kamen schnell näher.

Kaz machte seine Streitaxt bereit. Huma sprang vom Wagen und zog sein Schwert. Buoron blieb auf dem Karren, zog aber ebenfalls sein Schwert und beobachtete das Nahen der Patrouille.

Der bärtige Ritter war der erste, der sie erkannte. Er sagte zu Huma: »Ergodianer. Ein Teil der Nordarmee, würde ich sagen.«

Flucht war unmöglich. Aber wie würden Ergodianer reagieren, wenn sie auf einen axtschwingenden Minotaurus und zwei Ritter trafen, deren Orden weitgehend für den Niedergang des einst so mächtigen Kaiserreichs Ergod verantwortlich war?

Der Anführer der Patrouille hob die Hand, als die Truppe die drei erreichte. Der schwere Mann mit dem kleinen Bart und dem schütteren, grauen Haar musterte jeden einzelnen eingehend, wobei sein Blick an Kaz hängenblieb, der entgegen seiner Natur versuchte, möglichst harmlos auszusehen. Humas Meinung nach versagte der Minotaurus völlig.

Der Ergodianer wandte sich zuerst an Buoron: »Du bist aus einem der Forts im Süden, richtig?«

»Das stimmt.« Beide Ritter waren auf der Hut. Dieser Anführer war ein guter Beobachter.

»Dein Ritterkollege nicht?«

Huma antwortete: »Mein Fürst, ich bin Ritter Huma vom Orden der Krone.«

»Aha«, sagte der Ergodianer mit ungefähr ebensoviel Interesse, als hätte man ihm erzählt, daß in der Steppe Gras wuchs. »Und das da? Wo kommt das her? Ich habe Gerüchte gehört…«

»Ich«, verkündete der Minotaurus stolz, »bin Kaz. Ich habe mich gegen meine alten Herren aufgelehnt und folge jetzt Huma, dem edelsten und tapfersten aller Ritter.«

Das hätte einen Teil der Ergodianer zum Lächeln verleitet, wenn sie Kaz’ finsteren Gesichtsausdruck übersehen hätten, der verriet, daß er jede Silbe wörtlich meinte.

»Außerdem bin ich ein Minotaurus und kein ›das da‹.«

»Aha.« Der Kommandant setzte sich behäbig im Sattel zurecht und wandte sich dann an Huma. »Ich bin Faran, und obwohl wir uns noch nicht begegnet sind, unterstehen meine Männer und ich gegenwärtig einem deiner Bekannten: Fürst Guido Avontal.«

Huma zuckte unwillkürlich zusammen.

»Ich sehe, daß du dich erinnerst. Ich habe den Auftrag, dich zu ihm zu führen, und ich werde kein ›Nein‹ akzeptieren.«

Huma sah seine zwei Gefährten an. Die Patrouille war in der Überzahl und umfaßte eine ganze Schar Bogenschützen. Widerstand wäre töricht gewesen. Solange sie lebten, bestand Hoffnung. »Wir nehmen deinen Geleitschutz gerne an.«

Faran grinste. »Das dachte ich mir.« Er winkte, und die Patrouille teilte sich. Jede Hälfte flankierte eine Seite des Wagens. Es gab kein Entkommen. »Wir haben eine volle Tagesreise vor uns, deshalb würde ich empfehlen, keine wertvolle Zeit mehr zu verschwenden.«

»Ich muß zugeben, daß mich dein plötzliches Verschwinden in jener Nacht ausgesprochen überrascht hat«, sagte Fürst Guido Avontal.

Die drei saßen allein vor dem Oberbefehlshaber in dessen Zelt.

»Ich habe die Umstände erklärt.«

»Ja, das hast du.« Fürst Avontal setzte seinen Kelch ab. Auch den Gefährten war Wein angeboten worden, doch sie hatten abgelehnt. »Ich hätte es selbstverständlich besser wissen müssen, aber als wir dieses Pestnest entdeckten, habe ich die Hilfe des Zauberers nur zu gern in Anspruch genommen.«

Kaz verlor die Geduld und sprang wütend auf. »Wir sitzen hier schon drei Stunden, von denen wir zwei mit Warten auf Euch vergeudet haben, Herr Kommandant. Und jetzt erzählt Ihr seit einer Stunde scheinheiliges Zeug und uralte Geschichten – wie lange soll das noch so gehen? Laßt Ihr uns jetzt mit den Lanzen nach Solamnia abfahren?«

Zwei Wachen kamen hereingestürmt, doch der Kommandant winkte ab. Huma registrierte jedoch, daß sie das Zelt nicht mehr verließen.

Der Ergodianer nahm seinen Kelch wieder. »Seit ihr angekommen seid, habe ich hin und her überlegt, was ich mit euch und diesen Waffen anstellen soll. Die Antwort auf deine letzte Frage lautet, ja, ihr dürft mit den Lanzen passieren. Wozu sollte ich sie dem Kaiser ausliefern? Er würde sie nur an irgend einer Palastmauer als seine neuesten Trophäen ausstellen, ohne daran zu denken, was sie für ganz Ansalon bewirken könnten.«

Huma und Avontal starrten einander an. »Anders als ein paar Starrköpfe sind die meisten von uns realistisch genug, um sich die Wahrheit einzugestehen. Es ist nicht mehr wirklich der Kaiser, für den wir kämpfen, auch wenn das ursprünglich so gewesen sein mag. Wir kämpfen für Ergod, für unsere Heimat und unsere Familien. Das ist es, was auf lange Sicht zählt. Kaiser kommen und gehen, aber das Volk bleibt. Wir haben das irgendwann aus den Augen verloren, und ein großer Teil des Reiches beschloß, er käme gut ohne uns zurecht – aber das wißt ihr natürlich.«

»Dann«, sagte Huma ruhig, »wenn es wahr ist, was Ihr sagt, warum werden wir dann hier festgehalten?«

»Das werdet ihr nicht. Wir warten.«

»Warten auf was?«

Ein Horn kündigte an, daß jemand oder etwas ankam. Guido Avontal stand auf und lächelte wissend. »Ich denke, das werden sie sein. Kommt bitte mit.«

Sie standen auf, um dem ergodianischen Befehlshaber zu folgen. Die beiden Wachen folgten ihnen.

Als sie das Lager betreten hatten, war Huma der große, leere Platz vor dem Zelt des Befehlshabers aufgefallen. Er hatte sich über dessen Sinn und Zweck gewundert, so wie er sich bis jetzt auch darüber gewundert hatte, woher Avontal gewußt hatte, wo sie waren, und daß sie überhaupt kamen. Jetzt begriff der Ritter.

Als erstes landete seine Silberdrachenfreundin. Ihre Wunden schienen völlig geheilt zu sein, und sie begrüßte Huma mit einer solchen Begeisterung, daß er ganz überwältigt war.

»Entschuldige die Verspätung, Huma, aber es war schwieriger, als ich dachte, Hilfe zu holen. Aber ich habe sie gefunden!«

Zwei weitere Silberdrachen landeten, ein männlicher und ein weiblicher. Sie wurden als Geschwister der Drachendame vorgestellt, und beide begrüßten Huma und musterten ihn so ernst, als würden sie ihn inspizieren. Huma erwiderte ihre Begrüßung etwas unsicher.

Zuletzt landete ein Bronzedrache, der etwas kleiner war als die anderen. Was ihm an Größe fehlte, machte er jedoch an Kraft und Schnelligkeit mehr als wett. Die Menschen hatten ihm den Spitznamen Blitz gegeben, den er mit Stolz trug. Huma stellte erleichtert fest, daß sich endlich ein Seelenverwandter von Kaz gefunden hatte.

»Vier oder fünf Lanzen für jeden von uns sind kein Problem«, erklärte Humas Silberdrache.

»Der Sattel – «, setzte Huma an.

»Da habe ich schon jemanden drauf angesetzt«, warf Avontal ein. »Wir haben vier Sättel. Das sollte reichen. Und sie sind stabil genug, um die kommenden Strapazen auszuhalten.«

»Das sollten sie auch«, murmelte Kaz.

»Ihr habt ›vier‹ gesagt«, sagte Huma. »Wir sind nur drei, ohne Magus. Außer wenn Ihr meint – «

»Das tue ich nicht!« Der ergodianische Kommandant sah Huma direkt in die Augen. »Im Namen Paladins und ganz Ansalons verbiete ich dir, den Abtrünnigen anzugreifen, denn jeder Versuch, den Magier zu befreien, ist aussichtslos. Du selbst hast gesagt, wie wichtig die Drachenlanzen für unser aller Zukunft sind. Wenn du dein Leben vergeudest, lieferst du uns den finsteren Plänen der Drachenkönigin aus!«

Innerlich war Huma beschämt, weil ihn bei Avontals Worten Erleichterung überkam. Ein Teil von ihm wollte unbedingt seinen Freund retten, während ein anderer Teil nach Sicherheit für sich selbst verlangte. Huma war hin und her gerissen.

»Wer ist dann der vierte?«

»Ich.«

»Ihr?« Kaz schnaubte höhnisch. »Sind denn alle Befehlshaber der Welt verrückt geworden?«

Fürst Avontal antwortete kalt: »Faran ist absolut dazu fähig, meine Rolle zu übernehmen. Trotz seiner Abneigung gegen Solamnia ist er ein praktisch veranlagter Mensch. Er wird nichts tun, um die Situation zu verschärfen. Ich würde niemandem mehr vertrauen als ihm.«

»Was wird der Kaiser dazu sagen?« fragte Buoron, der bis jetzt geschwiegen hatte.

»Was der Kaiser zu sagen hat, soll er mir selbst mitteilen, falls ich überlebe. Wie gesagt, ich kämpfe für Ergod. Ich würde es mir nie verzeihen, jemand anders so großer Gefahr auszusetzen, auch wenn sich bestimmt viele Freiwillige melden würden. Außerdem muß jemand mit euch ziehen, um Ergod vor eurem Großmeister zu vertreten, und das kann ebensogut ich sein.«

Huma stimmte zu, wenn auch sehr zurückhaltend. Im Moment waren sie in Avontals Gewalt; sie hatten im Prinzip keine Wahl – und auf der eigenen Seite war er ein guter Mann, befand Huma.

Sie kamen überein, daß Huma wieder den Silberdrachen reiten sollte, während Buoron und Avontal die beiden jüngeren nehmen sollten. Damit blieb für Kaz der gefräßige Blitz. Wie Huma vermutet hatte, verstanden sich der Minotaurus und der Bronzedrache vom ersten Moment wie alte Kameraden. Humas einzige Befürchtung war, daß die beiden von sich aus vorwegstürmen würden, und er teilte dies der Silberdrachin mit.

Sie lachte. »Blitz und Kaz sind wirklich ein Paar für sich, aber zumindest der Drache weiß es besser – glaube ich. Ich werde ihn warnen, wenn wir erst einmal in der Luft sind.«

»Mach es so, daß beide die Warnung mitkriegen.«

»Dafür werde ich schon sorgen.«

Sie hatten ohne Fanfaren aufbrechen wollen, aber davon wollte Faran nichts hören. Der stellvertretende Kommandant hatte eine Ehrengarde zu ihrer Verabschiedung aufgestellt.

Blitz war von der Drachenlanze enorm fasziniert. Nachdem er schon ein Schrecken der Lüfte war – so bezeichnete er sich jedenfalls selbst –, fand er, daß er mit der Lanze und mit Kaz im Sattel allen Gegnern überlegen war. Die Silberdrachen konnten ihre Belustigung kaum verbergen, auch wenn Huma bald eingestehen mußte, daß der Bronzedrache nicht geprahlt hatte. Er war wirklich ein überaus starker Gegner.

Die Drachen hoben nacheinander ab, Huma mit dem Silberdrachen als erster, Kaz und Blitz zuletzt. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, doch auf dem Rücken der Drachen würden sie heute sicher noch ein gutes Stück ihres Weges hinter sich bringen.

Als die Nacht hereinbrach, hatten sie die Grenzen von Solamnia längst überflogen. Das Nieseln, das am Rande von Ergod eingesetzt hatte, hatte sich inzwischen in strömenden Regen verwandelt, so daß alle vier Reiter klatschnaß wurden. Die Drachen berührte das wenig, besonders den bronzenen, dem anscheinend sogar die Blitzschläge Spaß machten, die zweimal nur knapp an ihnen vorbeigezuckt waren. Auf Humas Drängen hin landeten sie schließlich in der Hoffnung, daß es morgen besser sein würde. Die Drachen legten sich schützend um sie herum. Dazwischen bauten die vier die beiden Zelte auf, die Fürst Avontal klugerweise mitgenommen hatte. Die Zelte hielten den Regen ab, und Huma störte es nur, daß der Geruch des nassen Minotaurus über Nacht sehr streng wurde. Am Morgen sagte Kaz allerdings dasselbe über ihn.

Der Regen hörte nicht auf, ließ aber nach. Die Reiter schützten sich mit ihren Mänteln und den paar Decken, die sie dabei hatten. Dank der Drachen würden sie innerhalb von zwei Tagen in der Nähe von Burg Vingaard sein. Ohne die Last der Lanzen wäre es sogar noch schneller gegangen.

Trotzdem war das Ziel noch lange nicht erreicht, denn sie hatten immer noch die Reihen der Drachenkönigin vor sich. Drakos’ Würgegriff bedrängte das Herz von Solamnia, denn er hatte die südlichen und nördlichen Zufahrtsstraßen nach Vingaard abgeschnitten. Dadurch war die Burg fast vollständig eingekreist. Die Versorgung wurde schwierig. In der Luft war Drakos noch lange nicht übermächtig, doch die herrschende Dämmerung beeinflußte sogar die Drachen des Lichts. Das einzige, was sie bei der Stange hielt, erklärte der Silberdrache, waren die Gerüchte von der Drachenlanze.

Der männliche Silberdrache flog an der Spitze, als sie das erste Mal die Anwesenheit des Gegners spürten. Da war jemand, der mit Zauberkraft die Luft nach Feinden absuchte. Es war nur ein kurzer Kontakt mit ihrem Geist, doch der reichte aus, um die Gruppe abrupt anhalten zu lassen.

»Zurück!« schrie das Männchen.

Die vier Riesenechsen warfen sich herum und zogen sich ein ganzes Stück wieder zurück. Während des Flugs berieten sie sich.

»Was haben wir da gespürt?« fragte Humas Drache.

»Einen Verstand. Keinen Drachenverstand, sondern einen mächtigen, menschlichen Geist. Und zwar untrainiert. Er hat in keinem Zauberorden gelernt.«

»Kein Kleriker?«

Der männliche Drache schüttelte seinen großen Kopf. »Nein, eindeutig ein Magier. Ein Abtrünniger.«

Huma sah sich nervös um. »Er ist doch bestimmt keine Bedrohung für euch.«

»Nicht körperlich, Huma.« Sein eigener Drache antwortete ihm. »Aber er könnte leicht andere warnen, daß wir kommen – wenn er das nicht schon getan hat –, und diese anderen können eine Gefahr darstellen. Seine einzige Aufgabe besteht darin, den Himmel zu überwachen.«

»Überlaßt ihn mir!« rief Blitz.

»Was hast du vor«, fragte das jüngere Weibchen, »wie willst du ihn davon abhalten, eine Nachricht loszuschicken, bevor du zuschlägst?«

Das Maul des Bronzedrachen klappte zu.

»Ich glaube«, bemerkte der männliche Silberdrache, »daß wir noch ein Schlupfloch haben. Er ist schließlich nur ein Mensch. Ich werde etwas höher hinauf fliegen als bisher. Da oben kann ich ausprobieren, ob seine Macht so hoch reicht. Ich riskiere damit natürlich, daß wir entdeckt werden.« Er fügte noch hinzu: »Wenn mein Begleiter nichts dagegen hat…«

Buoron schüttelte den Kopf, klammerte sich jedoch fester an den Sattelknauf.

»Was ist mit euch?«

Die anderen hatten keine Einwände. Da er das als Zustimmung nahm, machte das Männchen eine Wende und begann dann zu steigen. Als Buoron fest sitzen blieb, stieg der Silberdrache höher und höher, bis er in der Wolkendecke verschwand. Minutenlang warteten die anderen besorgt. Dann entdeckte Huma einen Punkt, der durch die Wolken brach.

Buoron sah ziemlich blaß aus, schien jedoch wohlauf. Sein Drache war hocherfreut. »Ich hatte recht. Ganz typisch für diese erdgebundenen Geschöpfe: Sie suchen den Himmel bis zur Wolkendecke ab, und was darüber liegt, existiert nicht mehr für sie.«

»Das hätte ich mir auch denken können!« moserte Blitz.

»Hast du aber nicht und ich auch nicht«, gab Humas Drache zurück. »Jetzt, wo ich es höre, erstaunt es mich eher. Ich hatte völlig vergessen, wie beschränkt manche Menschen denken. Trotzdem, vielleicht kommt er zufällig noch darauf, also beeilen wir uns lieber.«

Die anderen folgten Huma und seiner Gefährtin himmelwärts. Sie brausten nach oben, bis sie die Wolkendecke und den Nebel passiert hatten und auf die andere Seite durchbrachen. Von dort aus schlugen sie – so gut es ging – die Richtung Vingaard ein und setzten ihre Reise fort.

Die Drachen flogen über Nacht weiter, während ihre Reiter schliefen. Huma erwachte davon, daß Kaz von den großen Echsen verlangte, daß sie unbedingt landen müßten, bevor alle seine Muskeln steif würden, ob nun Krieg sei oder nicht Krieg. Die Drachen selbst waren sichtlich müde und wollten selbst landen, auch um ihre Position neu zu bestimmen.

Erst kreiste Blitz in schnellen Spiralen nach unten, dann die anderen. Der Bronzedrache verschwand in dem weißen Meer, gefolgt von dem anderen Drachenweibchen. Huma und seine Drachendame waren dicht hinter ihnen.

Der kalte Nebel umgab ihn, so daß er nicht einmal mehr den Kopf seines Drachen erkennen konnte. Ein lautes, rauhes Krachen erklang unter ihnen, und Huma dachte zuerst, sie würden in einen schrecklichen Sturm geraten. Dann waren sie plötzlich durch die Wolkendecke hindurch –

– und mitten im Chaos.

Sie hatten fälscherlicherweise angenommen, daß sie die feindlichen Reihen schon überflogen hatten. Vor Humas Augen spielten sich wahre Alpträume ab. Wie eng die Burg schon eingekesselt war! Und überall tobte die blutige Schlacht.

Menschen und Oger stießen aufeinander. Von oben sah es so aus, als wäre das Land da unten von Toten und Sterbenden übersät. Beide Seiten gleichzeitig rückten vor und zogen sich zurück, je nachdem, wohin Huma blickte. Es war das reine Chaos. Takhisis’ Drachen schossen ständig herab und dezimierten sowohl die gelichteten Reihen der Ritter als auch die ihrer Ogerverbündeten, falls diese zufällig zu nahe dran waren. Auch goldene, silberne, bronzene und kupferne Drachen flogen herum, waren jedoch immer in der Minderheit. Eine bösartige Stimmung lag über dem Land, gegen die all der Mut der guten Drachen nichts ausrichten konnte. Selbst hier oben, abseits vom Kampfgeschehen, konnte Huma spüren, wie Entmutigung und der Wunsch aufzugeben in seiner Seele aufstiegen.

»Takhisis ist da«, flüsterte Humas Gefährtin ihm zu. »Sie ist hier auf Krynn, um unsere Vettern mit ihrer Macht zu nähren und den Mut ihrer Feinde zu brechen. Ich wußte nicht, daß sie so viel Macht über die Ebene der Sterblichen senden kann. Es ist, als stünde sie höchstpersönlich vor uns.«

Das stimmte. Die Gegenwart der Drachenkönigin war überwältigend. Huma schauderte vor Kälte, die mehr seinen Geist als seinen Körper befiel. Wie bekämpfte man eine Göttin?

»Da vorne, Huma. Siehst du?«

Sein Blick folgte der Richtung ihres Kopfes und dann, nach mehrmaligem Augenreiben, erkannte er den winzigen Punkt am Horizont.

»Burg Vingaard!« rief Kaz von vorn. Inzwischen konnten alle die Burg sehen – und die Schlacht, die auf der ganzen Strecke bis zu ihren Mauern tobte.

Fürst Avontal schrie auf und zeigte nach rechts. Ein goldener Drache kämpfte mit zwei roten. Der Kampf war heftig, und alle drei hatten schwere Wunden davongetragen. Als klar wurde, daß der goldene Drache verlieren würde, zögerte Blitz nicht länger. Während Kaz die Drachenlanze bereitmachte, rasten die beiden in den Kampf.

Plötzlich waren überall Drachen, die meisten davon Gegner. Alle Gedanken an Schlaf und Essen verflogen. Es gab nur Klauen und Zähne, Geschrei und Gebrüll, Blut und Schmerz.

Und die Drachenlanzen.

Die dunklen Drachen wußten scheinbar nichts von den Drachenlanzen, vielleicht, weil Drakos ihnen keine Angst einjagen wollte. Sie lernten diese Angst jedoch rasch kennen, als einer nach dem anderen den Lanzenspitzen zum Opfer fiel, die beim Herausziehen makellos und ohne Kratzer aus sich selbst heraus strahlten.

Die Kinder von Takhisis begannen bald, abzudrehen und vor diesem Strahlen zu fliehen, denn sie erkannten es leicht als Zeichen von Paladin. Daraus schlossen sie, daß der Tag verloren war. Die wilde Flucht der ersten Drachen löste am Himmel bald eine Welle der Verwirrung aus, als mehr und mehr Drachen in blinder Panik flohen.

Nachdem sie nicht mehr gegen ihre Artgenossen antreten mußten, konnten die Drachen von Paladin die Ritterschaft verstärken, und die Angriffswelle am Boden begann ebenfalls abzuebben. Zuerst wendeten die westlichen, dann die östlichen Linien von Takhisis’ Streitkräften, gaben nach und lösten sich schließlich auf. Ohne die Hilfe der verbündeten Drachen verließ die Oger und Menschen, die für die dunkle Seite fochten, der Mut, und viele warfen einfach ihre Waffen weg und flohen.

Irgendwann war die Schlacht vorbei. Daß der Himmel bedrohlich grollte und die Berge im Westen von Blitzen erhellt waren, kümmerte die wenigsten. Ein Sieg – wie auch immer er aussehen sollte – war dringend nötig gewesen, und sie hatten ihn erkämpft. Im Augenblick wußte noch niemand den Grund, doch sie dankten Paladin für das Wunder und warteten dann grimmig, was wohl als nächstes kommen würde.

Am frühen Nachmittag landeten vier erschöpfte Drachen im Hof von Burg Vingaard. Auf dem Rücken trug jeder einen Reiter, der ebenfalls blaß und erschöpft war. Ein silberner Glanz umgab die Neuankömmlinge, und irgendwann erkannte jemand, daß es nicht die Drachen und ihre Reiter waren, die so göttlich strahlten, sondern die großen Lanzen.

Da breiteten sich die Gerüchte jedoch schon aus.

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