17

Humas Hand schwebte über dem Schwert. Der Glanz blieb bestehen, doch die Worte wiederholten sich nicht. Die Waffe war beeindruckend. Das Heft war hinreißend mit Edelsteinen besetzt. Von einem dicken, grünen Stein darunter schien der Glanz auszugehen. Die Klinge selbst war so scharf wie gerade erst geschmiedet. Humas Verlangen, sie zu berühren, wurde fast unbezwingbar stark. Mit diesem Schwert würde nicht einmal Wyrmvater ihn besiegen können.

Wyrmvater! Der Bann war gebrochen, als Huma der Drache einfiel. Mit dem Schwert – nein! Der Ritter zog sich davon zurück. Das Schwert war böse. Es suchte keinen Gefährten; es suchte einen Sklaven, der seinen Willen tat.

Als er sich von der Klinge abwendete, bemerkte er, daß das Licht von einer polierten Fläche in einer Ecke zurückgeworfen wurde. Huma watete durch die Münzen und Schmuckstücke, um das Ding genauer betrachten zu können.

Es war, wie er gehofft hatte. Ein exquisiter Spiegel, doppelt so groß wie Huma. Der Spiegel, von dem Wyrmvater geredet hatte. Huma rief sich die blicklosen Augen des Höhlenbewohners ins Gedächtnis und fragte sich, was ein blinder Drache mit einem Spiegel machte. Wyrmvater hatte seine Schätze eindeutig über Jahrhunderte hinweg zusammengetragen.

Spiegel. Das war der dritte. Einer gehörte der Nymphe. Ein anderer hing in Magus’ Zitadelle. Alle magisch. Stammten sie alle von demselben Handwerker? Er glaubte kaum, daß er das jemals erfahren würde.

»Menschlein, ich will mit dir reden.«

Huma zuckte zusammen, als Wyrmvaters Stimme den Raum erfüllte. Plötzlich erstrahlte die Kammer in hellem Licht, und Huma verwünschte sich, weil er seinen Fehler nicht eher erkannt hatte. Es gab keine weiteren Zugänge zu der Höhle, weil die Decke der Zugang war! Der alte Drache war dabei, den riesigen Felsbrocken beiseite zu schieben, der den Deckel seiner hausgroßen Schatztruhe darstellte. Huma überflog suchend die Unmengen von Beutestücken, doch seine Augen blieben immer wieder an der verruchten Smaragdklinge hängen.

»Menschlein.« Wyrmvater schnüffelte, wobei ein breites Lächeln über sein gräßliches Gesicht zog. »Ist der Geruch von Reichtümern nicht berauschend?«

Huma war davon überzeugt, daß er nur zehn Sekunden bis zu dem Schwert brauchte. Würde er so viel Zeit haben?

»Es hilft nichts, wenn du dich versteckst, Menschlein. Ich kann dich aufspüren. Ich kann diese Kammer in Schutt und Asche legen. Aber ich brauche dich nicht zu töten. Vielleicht gibt es eine andere Möglichkeit.«

Huma bewegte sich auf das Schwert zu. Wyrmvaters Riesenkopf drehte sich zu dem Geräusch hin.

»Ein Angebot, Ritter von Solamnia? Einen kleinen Gefallen gegen etwas aus meinem Schatz? Bestimmt habe ich ein paar Dinge, die deinen Brüdern im Laufe der Jahre verlorengegangen sind.«

Huma kamen die Überreste der alten Rüstung in den Sinn, die das geschundene Abzeichen eines Ritters der Rose trugen. Hatte Wyrmvater ihm dasselbe Angebot gemacht? Hatte er seinen Preis ausgewählt, als der Drache ihn überwältigte?

Unter Humas Fuß rutschten lose Münzen weg. Plötzlich versperrte ihm der Drachenkopf den Weg. Huma zückte sein Schwert, wobei er sehnsüchtig zu dem anderen schielte, das so nah lag. So dicht dran!

Wyrmvater schnüffelte. »Wirklich, ein solamnischer Ritter! Das Versteckspiel ist zu Ende, Menschlein! Nimmst du mein Angebot an – «, die massiven Kiefer verzerrten sich wieder zu einem Lächeln, » – oder wollen wir sehen, ob wir andere Übereinkünfte treffen können?«

»Was willst du?«

Das Ungeheuer spitzte die Ohren. »Ahhh! Er spricht! Es ist schätzungsweise dreihundert Jahre her, seit ein Eindringling es gewagt hat, mich anzusprechen, ohne gleich um Gnade zu flehen! Nach all dieser Zeit erfreut mich sogar deine Stimme!«

»Wie schön«, sagte Huma, weil ihm nichts anderes einfiel.

Bei dem darauffolgenden Gelächter mußte er sich die Ohren zuhalten. »Mutig, das Menschlein! Ich mag dich. Was sagst du zu meinem Angebot?«

»Ich will es mal anhören.«

»Wirklich mutig! Dann hör zu, Menschlein!« Das Monstrum erhob stolz sein Haupt. »Ich bin Wyrmvater, Erstgeborener und Größter unter den Kindern meiner erhabenen Herrin, der erste, der ihrem Ruf Folge leistete! Siegreich kämpfte ich für sie gegen die lächerlichen Götter des Lichts und ihre lahmen Kröten, und immer bin ich im Triumph davongezogen! Meine Macht war so groß und schrecklich, daß schließlich Kiri-Jolit selbst gegen mich antreten mußte – und zwar voller Furcht, das kann ich dir sagen!

Wir kämpften über ein Jahr lang. Berge entstanden, verschwanden, entstanden von neuem. Unser Kampf ließ das Land erbeben, die Meere schäumen. Zuletzt machte ich einen Fehler, und Kiri-Jolit bezwang mich. Der Sieg war ihm jedoch nicht genug! Aus zermalmter Erde türmte er diesen Berg über mir auf, um mich vom herrlichen Himmel fernzuhalten! Er sagte, ich würde Teil dieses Berges bleiben. Nicht der leiseste Windhauch sollte mich erreichen. Nur einer seiner eigenen Brüder könnte mich befreien, spottete er! Nur einer wie er könnte mich freilassen!«

Die blinden Augen starrten Huma bedeutsam an, welcher allmählich begriff, worauf der Drache hinaus wollte.

»Lange glaubte ich, daß er einen seiner Mitgötter meinte. Ich tobte und wütete. Dann begann ich die List in seinen Worten zu verstehen. Er meinte keinen Gott. Ein aufrechter, treuer Krieger konnte tun, was ich nicht konnte, und sind die Ritter von Solamnia nicht die Söhne Paladins? Sind sie nicht im Geiste Brüder von Kiri-Jolit?«

Huma starrte das glänzende Schwert an, das tief in einem Hügel aus Gold und Edelsteinen steckte. Die Begierde in ihm war so groß, daß er sich fast darauf stürzte. Doch dann hing plötzlich wieder das grausige Gesicht von Wyrmvater vor ihm. Der heiße, schweflige Atem biß dem Ritter in die Augen.

»Befreit mich, Ritter von Solamnia, und alles, was ich habe, gehört dir! Sogar der Spiegel, der mir so gute Dienste geleistet hat, bevor die Dunkelheit kam!«

Der Spiegel. Huma schaute ihn an. Wenn er seine Geheimnisse erfahren konnte… seine eigene Kühnheit erstaunte ihn: »Wie funktioniert er? Vielleicht überlege ich es mir.«

»Du mußt an einen Ort denken, wo du hin willst, und dann bitten – Nein! Laß mich erst frei!«

Der Berg selbst erzitterte, als Wyrmvater wieder wie besessen zu toben begann.

Das Hämmern hatte wieder eingesetzt – noch lauter, sofern das überhaupt möglich war.

Wyrmvater erhob seinen gewaltigen Kopf und kreischte: »Ich laß mich nicht noch einmal reinlegen!«

Huma rannte zu dem Schwert. Der gequälte Drache holte zornig aus und sperrte weit seine riesigen Kiefer auf, aus denen die lange, bewegliche, gespaltene Zunge herausfuhr. Wyrmvater wollte den winzigen Menschen in einem Haps verschlingen.

Humas Hand umfaßte das Heft des Schwertes. Selbst durch die Handschuhe verursachte der Griff ihm brennende Schmerzen. Trotzdem riß er es heraus und hielt es hoch, wobei seine Bewegungen von Instinkt und Meisterschaft geführt wurden.

Wyrmvaters Kiefer schlossen sich um Huma, dabei verschlang der Drache unzählige Schätze. Einen Augenblick lang verschwand Huma im Maul des Giganten.

Mit einem markerschütternden Schmerzensschrei krümmte sich das Ungeheuer. Gold, Silber, Statuen, Edelsteine und ein schlimm zugerichteter Huma purzelten aus seinem Schlund. Als der Ritter auf einen Schatzhaufen stürzte, raste der Schmerz durch seinen rechten Arm.

Über ihm warf Wyrmvater seinen Kopf hin und her, um das Schwert zu entfernen, das Huma in seinen Schädel getrieben hatte. Die Anstrengung war umsonst; sein Körper reagierte schon nur noch reflexartig. Das Gehirn des Drachen war tot, nachdem die grüne Klinge alle schützenden Schichten durchbohrt hatte. Der Todeskampf des Drachen trieb die Klinge nur immer tiefer hinein.

Huma rappelte sich gerade auf, als der Riesenkopf endgültig herunterzusinken begann. Selbst sterbend konnte Wyrmvater noch Humas Ende bedeuten. Der Ritter machte, daß er fort kam.

Haarscharf neben Huma knallte der gewaltige Schädel auf den Boden. Zusammen mit einem wahrhaft königlichen Schatz wurde der Ritter nach vorn geworfen. Seine letzten Gedanken galten Solamnia. Sein Körper traf den Spiegel –

– und landete im Matsch einer regennassen Einöde.

Sein erster panischer Gedanke galt dem Schwert. Es war im Maul des sterbenden Drachen zurückgeblieben. Huma mußte es zurückbekommen.

Aber wie? Er sah sich um – und fuhr überrascht hoch. Er war in Solamnia! Ganz in der Nähe von Burg Vingaard. Huma setzte sich hin und bedeckte mit den Händen sein Gesicht. Er hatte das Geheimnis des Spiegels entdeckt. Jetzt war er weit fort von den Bergen – und von seinen Gefährten!

Sein rechter Arm war taub und praktisch nutzlos, doch er ertastete keinen Bruch. Die momentane Lähmung würde in einigen Stunden vergehen. Sowohl er als auch seine Rüstung waren dreckverkrustet. Rasch faßte er an seinen Gürtel, woraufhin er einen kleinen Seufzer der Erleichterung ausstieß. Er hatte immer noch ein eigenes Schwert, wie mickrig es auch im Vergleich zu der wunderbaren Waffe erschien. Wenn er doch…

Ihm kam ein Gedanke.

Es war schwierig, die Richtung zu bestimmen, doch aus den wenigen Anhaltspunkten der Landschaft schloß er ziemlich sicher darauf, daß er südlich von Burg Vingaard war. Wäre es ein strahlend schöner Tag, so hätte er die mächtige Zitadelle von hier aus sehen können.

Nachdem er vergeblich versucht hatte, sich den Schmutz aus dem Gesicht zu wischen, brach Huma nach Norden auf.

Die Behausungen, an denen Huma vorbeikam, boten kaum einem wilden Tier Schutz, viel weniger noch einem Menschen. Das verrottete Fachwerk war am Vermodern. Die Strohdächer hatten den Namen Dach eigentlich nicht mehr verdient, so viele Löcher waren darin. Es gab auch kein Material mehr zum Abdichten. Der Lehm, der die Steine zusammenhielt, war an vielen Stellen so feucht, daß die Wände gänzlich auseinandergebrochen waren.

Der gehetzte Ausdruck in den Gesichtern der ausgemergelten Überlebenden in dieser armseligen Siedlung jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. Was tat die Burg gegen diesen Zustand, fragte er sich. Die Menschen vegetierten nur noch dahin. Ihre Häuser waren höchstens Unterstände, und manche hatten noch nicht einmal das. Statt dessen saßen sie im Dreck, auf der zertrampelten Erde, und starrten auf die Verwüstungen um sie herum.

Er wußte, daß die Ritterschaft sich nicht um alles kümmern konnte, aber dennoch quälte ihn der Anblick. Huma betete um irgendein Fortbewegungsmittel, mit dem er zu dem Berg zurückkehren und – wenn möglich – die Prüfungen noch einmal angehen konnte. Er sorgte sich auch um seine beiden Kameraden. Suchten sie nach ihm?

Als er das verwüstete Land betrachtete, fand Huma, die Ritter hätten den Leuten helfen müssen, ihre Dörfer wiederaufzubauen, die Wälder zu sichern und Nahrung für sich zu sammeln oder anzubauen. Nichts dergleichen…

Huma blieb kurz stehen, weil er über diese regelrecht gotteslästerlichen Vorstellungen nachdachte. Was hätte Rennard dazu gesagt, wenn er sie gehört hätte? Huma lächelte schief. Wahrscheinlich sehr wenig, befand er.

Einige Dorfbewohner kamen heraus, um Huma mit gemischten Gefühlen anzustarren – Angst, Respekt, Zorn und Abscheu. Fünf Männer stellten sich ihm in den Weg. Huma sah sie an und wartete. Die fünf wichen nicht zur Seite.

Ihr Anführer war offenbar der große, breite Mann mit schmutzigem, schwarzem Bart, etwas zurückweichendem Haaransatz, einer schiefen Nase und über zweihundert Pfund Gewicht, die einst reine Muskeln gewesen waren. Er trug die üblichen, vor Dreck starrenden Hosen und die oftmals geflickte Tunika eines Bauern. Die Kleidung war bei dem rauhen Wetter nicht gerade angemessen. Die fleischige Hand des Mannes umklammerte einen Schmiedehammer.

»Wirf dein Schwert weg, Kleiner, dann tun wir dir nichts. Wir wollen deine Sachen, nicht dich.«

Ein dünner Kerl mit teigigem Gesicht kicherte nervös. Der Junge war fast kahl und wies alle Merkmale eines Überlebenden der Pest auf, einschließlich eines Anflugs von Wahnsinn. Die anderen drei waren ziemlich farblose Überbleibsel von Männern: Gesicht und Körper waren schon lange Zeit eingefallen. Keiner der fünf war ein richtiger Räuber. Heimlich betete Huma, daß er nicht gezwungen sein würde, seine Hand gegen sie zu erheben.

»Bist du taub?«

»Ich kann euch weder meine Wertsachen noch mein Essen abgeben, wenn es das ist, was ihr wollt. Ich habe selbst sehr wenig.«

»Du hast keine Wahl.« Der große Mann schwang versuchsweise mit großer Präzision seinen Hammer in Humas Richtung. »Ich denk’ mal, du hast da was übersehen. Wir nehmen uns, was es zu holen gibt.«

Der Hammer hob sich drohend. Humas Klinge war bereit, doch er wollte sie nur sehr ungern benutzen. Die Entscheidung wurde ihm jedoch abgenommen, denn der Hammer des Räuberhauptmanns zischte knapp an Humas Gesicht vorbei.

Fünf Gestalten stürzten sich auf den einzelnen Ritter – oder versuchten es. Plötzlich traf Humas rechter Fuß einen Angreifer in den Magen. Seine freie Hand schlug den kichernden Burschen zusammen, der sich mit einem rostigen, alten Kurzschwert an ihn heranzupirschen versuchte. Mit der Breitseite seines Schwerts schlug Huma den Jungen bewußtlos. Den alten Mann mit den wäßrigen Augen entwaffnete er ohne Schwierigkeiten. Der Waffenlose zog sich hastig vom Kampf zurück, so daß Huma sich in Ruhe um die beiden übrigen kümmern konnte, besonders um den Anführer.

Voller Trauer mußte Huma erkennen, daß diese beiden nicht aufgeben wollten. Der Mann mit Schwert kämpfte mit der Kraft der Verzweiflung, was seiner ansonsten unscheinbaren Gestalt eine gefährliche Stärke verlieh. Der Räuberhauptmann lächelte böse, als er wieder und wieder angriff.

Unglücklich traf Huma seine Wahl. Vor den entsetzten Augen der Dorfbewohner durchbrach der Ritter der Krone die Deckung des Schwertkämpfers und traf ihn tief in die Brust. Der Mann gurgelte etwas und brach zusammen. Noch während dieser eine Gegner fiel, trieb Huma den Anführer Hieb um Hieb zurück. Der stämmige Wegelagerer begann, wild auf den Ritter einzuschlagen, doch Huma wartete ab. Als er seine Deckung öffnete, wie es Huma erwartet hatte, setzte ein einziger Stoß auch dem Leben des letzten dieser Bande ein Ende.

Keuchend sah Huma sich zu den Zuschauern um. Sie zeigten keine Regung. Er konnte nicht abschätzen, ob sie erfreut oder wütend waren.

Er betrachtete die drei Überlebenden. Zwei waren bewußtlos, der dritte davongelaufen. Die würden keinen Ärger mehr machen.

Angewidert wischte Huma sein Schwert ab, steckte es weg und machte sich wieder auf den Weg nach Norden. Er hatte das Dorf noch nicht hinter sich gelassen, als schon Streit ausbrach, weil die menschlichen Aasgeier um die wenigen Habseligkeiten der toten Diebe rangen.

Als er zum ersten Mal vor Burg Vingaard gestanden hatte, wo die Ritterschaft ihren Sitz hatte, seit Vinas Solamnus vor so vielen Jahrhunderten ihren Bau befohlen hatte, war sich Huma vorgekommen wie ein Staubkorn vor dem Palast der Götter.

Das Gefühl ließ nur sehr langsam nach.

Burg Vingaards Mauern waren sehr hoch. Nur wenige Angreifer wagten es, solche Mauern zu erstürmen. Die Mauern umringten die Zitadelle und hatten Zinnen für die Bogenschützen. Die einzige Öffnung der Mauer war dort, wo die massiven Eisentore den Eingang hüteten. Sie waren so dick, wie Humas Arm lang war, und konnten der Wucht eines angreifenden Drachen trotzen. Jedes Tor war mit dem dreiteiligen Symbol der Ritterschaft verziert – dem majestätischen Eisvogel mit halb ausgebreiteten Flügeln, der in seinen scharfen Krallen ein Schwert hielt, auf dem in der Mitte eine Rose abgebildet war. Über seinem Kopf hing die Krone.

Nach langem Warten im Regen kam auf Humas heiseres Rufen hin ein Wachtposten. Er spähte auf die gebeutelte Gestalt in teils solamnischer, teils ergodianischer Rüstung hinunter und rief: »Wer da? Sag deinen Namen und dein Begehr!«

Huma nahm seinen Helm ab. »Ich bin Huma, Ritter vom Orden der Krone, zurückgekehrt aus fernen Ländern. Ich muß Fürst Oswal oder sogar den Großmeister selbst sprechen! Die Sache eilt!«

»Den Großmeister?« Huma konnte das Gesicht des Mannes nicht erkennen, aber die Überraschung in seiner Stimme war überdeutlich. »Warte!«

Huma wunderte sich über die sonderbare Reaktion.

Schließlich öffneten sich langsam die Torflügel.

Derselbe Posten, der ihn befragt hatte, stand am Tor. Auf sein Zeichen folgte Huma ihm in die Burg. Der Gesichtsausdruck der Ritter, die das Tor geöffnet hatten, war derselbe wie der von Humas Führer. Es wurde immer geheimnisvoller.

Der Posten – ein junger Ritter der Krone – zog Huma aus dem beginnenden Nieselregen in eine dunkle Ecke. »Ich weiß, wer du bist, weil Meister Rennard dich im Training lobend erwähnt, darum wollte ich dich rechtzeitig warnen, bevor du einen Fehler machst.«

»Mich warnen? Wovor?«

»Erst heute morgen – «, der andere Ritter sah sich um, »– ist der Großmeister, Fürst Trake, einer heimtückischen, auszehrenden Krankheit erlegen.«

Huma hätte beinahe ›Nein!‹ gerufen. Der Großmeister tot! Trake hatte sich nie um Huma gekümmert – wie sein Sohn Bennett hatte er ihn sogar verachtet –, doch Huma fühlte dennoch dieselbe Trauer wie alle seine Kameraden angesichts des Todes des Oberhaupts der Ritterschaft.

»Das wußte ich nicht. Die Leute im Dorf wirkten unglücklich, aber sie haben nichts – «

»Sie wissen nichts!« zischte der andere Ritter. »Fürst Oswal hat verfügt, daß kein Wort aus der Burg dringen soll, bis der neue Großmeister gewählt ist! Wenn die Nachricht umgeht, daß wir in solcher Bedrängnis sind, zerfallen unsere letzten Linien!«

Letzte Linien? »Erzähl mir – «

»Garvin.«

»Garvin, erzähl mir, was passiert ist, nachdem die Finsternis unsere Linien überwältigte. Wo stehen wir jetzt?« Huma umklammerte die Arme des anderen Ritters.

»Bist du da nicht vorbeigekommen?« Garvin sah Huma neugierig an. »Die Front ist nur noch zwei Tagesritte entfernt, im Osten wie im Westen. Die Schwarze Garde des Kriegsherrn reitet unbehindert durch den Süden. Die meisten unserer Außenposten sind abgeschnitten. Wir sind abgeschnitten.«

»Gibt es keine Hoffnung?«

Garvin reckte sich. »Wir sind Ritter von Solamnia, Huma.«

Huma nickte, weil er wußte, daß sie in jedem Fall bis zum Ende kämpfen würden. Seine Gedanken schweiften zu der Höhle, den Prüfungen und vor allem dem Schwert. Jetzt verlangte es ihn danach. In seiner Hand würde es die bösen Armeen der Königin durchbrechen. Solamnia würde siegen. Huma würde vielleicht sogar ein kleines Königreich für sich selbst –

Gewaltsam schüttelte er den Kopf, woraufhin Garvin verwirrt die Stirn runzelte. Huma vertrieb die gottlosen Gedanken aus seinem Kopf. Dieses Schwert war nicht Paladins Vermächtnis an die Ritterschaft. Trotz all seiner majestätischen Macht war etwas daran, was Huma trotz seines Verlangens ganz krank machte. Es war sowieso nicht wichtig. Er hatte alles verloren, als er durch den Spiegel gefallen war. Es war hoffnungslos.

Nein! Er richtete sich auf und schenkte Garvin ein entschuldigendes Lächeln wegen seines merkwürdigen Verhaltens. Es blieb immer noch Zeit, sofern er jemanden zum Zuhören bringen konnte.

»Garvin, wo kann ich Fürst Oswal finden?«

»Jetzt?« Der andere Ritter starrte von dem Unterstand aus in den düsteren Himmel. »Das Abendessen ist schon vorbei, soviel weiß ich. Er wird in seinem Quartier sein. Er bereitet sich auf den Ritterrat von morgen abend vor.«

»Sie wollen bis morgen abend warten, um den neuen Großmeister zu wählen? Die Diener der Königin können noch heute vor unseren Toren stehen! Zumindest die Drachen!«

Garvin nickte. »Das sagte Fürst Oswal auch, aber der Rat ist der Rat.«

»Dann muß ich ihn sofort sprechen.«

Huma stürmte in den Regen hinaus.

Seit Beginn des Krieges hatte es nie so gegossen wie jetzt, fand Fürst Oswal. Bisher war es nie mehr als Sprühregen gewesen. Jetzt war es fast so, als könnte der Regen alles fortspülen.

Der Oberste Kommandant fuhr aus seinen Tagträumen auf. Er wurde wohl allmählich alt, zürnte er sich selbst, wenn er an Regen dachte, während das Schicksal der Ritterschaft und der Welt vielleicht davon abhing, daß jemand die Narren vom Rat dazu brachte, sich mit ihrer Entscheidung über den zukünftigen Großmeister zu beeilen. Er hatte seine eigenen Chancen verspielt, weil er seine Unentschlossenheit beim Rückzug eingestanden hatte. Es war nur ein kleiner Fehler gewesen, Entsetzen über die plötzliche Wendung und die Erkenntnis, daß sie diesen Angriff nicht zurückschlagen konnten. Aber es hatte hohe Verluste gegeben.

Oswals Neffe Bennett spielte sein eigenes Spiel. Er hielt sich immer innerhalb der Grenzen von Kodex und Maßstab, doch er war ehrgeizig und versuchte, die Entscheidung zu beeinflussen. Logischerweise sollte einer der drei Ordensmeister Nachfolger des Großmeisters werden. Aber Bennett fand, daß er seinem Vater folgen sollte. Trake hatte sich das immer gewünscht. Jetzt stand ihm nur Oswal im Weg.

»Fürst Oswal?«

Er blickte auf und bemerkte, daß Rennard ihn intensiv musterte. Der bleiche Ritter stand neben dem einzigen anderen Stuhl in Oswals Zimmer.

Rennard. Trotz seines kühlen Gehabes schätzte der Oberste Kommandant Rennard fast so sehr wie Huma. Nur – Huma war bei der Niederlage im Feld geblieben. Offenbar hatte er bis zuletzt die Stellung gehalten.

»Was gibt es, Rennard?«

»Ihr habt noch immer nicht gesagt, was Ihr plant. Ich fände es klug – «

Draußen entstand Lärm, als sich die zwei Wachen vor seiner Tür mit jemandem herumstritten. Der Ankömmling war hartnäckig, und seine Stimme klang überraschend vertraut.

»Rennard, was – «

Der blasse Ritter hatte die Tür geöffnet und – der alte Ritter konnte es kaum fassen – starrte jetzt mit offenem Mund den arg mitgenommenen Ritter an, der mit den zwei Wachen rang. Fürst Oswal brauchte nicht lange, um den Mann zu erkennen, woraufhin auch er in überraschtem Entzücken die Augen aufsperrte.

»Huma!«

Die Posten verstummten sofort, als sie den Tonfall ihres Vorgesetzten bemerkten. Rennard fing sich ebenfalls und sagte, gelassen wie immer, bloß: »Laßt ihn passieren.«

Der befreite Huma stürmte ins Zimmer. »Oswal, mein Fürst, Rennard – «

»Achtung, Huma!« unterbrach ihn der hagere Ritter.

Sofort nahm Huma Haltung an. Rennard drehte sich zu Oswal um, welcher nickte. Den Wachen erklärte Rennard: »Geht wieder auf eure Posten. Befehl des Obersten Kommandanten.«

Als sich die Tür geschlossen hatte, blickte Fürst Oswal den bebenden Ritter an. Huma hatte etwas zu sagen und wollte es offensichtlich sagen, bevor es den Kopf sprengte.

»Rühren, Huma. Komm, setz dich. Erzähl uns, welches Wunder dich von den Toten zurückgebracht hat.«

Huma kniete vor dem älteren Ritter. Erleichtert sprudelte er endlich seine Geschichte heraus.

Fürst Oswal und Rennard hörten gebannt zu, während Huma seine Geschichte Stück für Stück berichtete. Die Mission von Magus – die Jagd der Schwarzen Garden – die allgegenwärtigen Schreckenswölfe – die Berge, die Höhle, der Drache, das Schwert… Wäre es nicht Huma gewesen, der erzählte, so hätte keiner der beiden Ritter ein Wort geglaubt. Ihm aber glaubten sie alles.

Das gewaltige Metallgetöse, das so sehr den Klängen der burgeigenen Schmiede glich, interessierte Fürst Oswal am meisten. Er fragte Huma nach dessen Meinung über den Lärm.

»Ein Ort der Götter. Anders kann man es nicht beschreiben. Wenn es nicht Reorx selbst ist, der irgendwo in diesem Berg das Metall schmiedet… Ich kann nichts mehr hinzufügen, außer daß ich das Gefühl habe, dorthin zurückzumüssen«, sagte Huma, um gleich hinzuzufügen: »So Paladin will.«

»Gut.« Das war alles, was der Oberste Kommandant vorerst sagen konnte. Rennard nickte nur.

Fürst Oswal dachte einen Augenblick nach. »Das mit dem Schwert klingt faszinierend. Könnte es –?«

Huma unterbrach ihn auf der Stelle. »Ich fürchte, es ist für uns verloren. Wyrmvater ist sein Sarg.«

Sein Ton war vorsichtig. Er wollte, daß sie das Schwert vergaßen, nicht nur weil es ihm nicht geheuer war, sondern auch wegen Humas Versuchung, es zu ergreifen und zu schwingen.

Der Oberste Kommandant nahm seine Worte für bare Münze. »Ich vertraue deinem Urteil.« Er sah von Huma zu Rennard und wieder zurück. »Mir scheint, daß diese Angelegenheit keinen Aufschub duldet. Uns rennt die Zeit davon.«

Während er seine nervöse Begeisterung bezähmte, sagte Huma rasch: »Ich brauche nur ein Reittier. Ein Pferd – oder sind Drachen in der Nähe? Vielleicht einen von ihnen?«

Der Oberste Kommandant runzelte die Stirn. »Ich kann einfach nichts für dich tun, Huma. Noch nicht. Wenn ich dich auf eine so abenteuerliche Mission schicke, kann ich jede Chance vergessen, die Ritterschaft vor den Händen derer zu bewahren, die mehr an Macht und Ansehen als am Kodex und am Maßstab interessiert sind. Du wirst warten müssen, bis ein neuer Großmeister gewählt ist.«

Huma war überrascht. »Aber – « Huma konnte nicht glauben, daß seine Mission aus einem so lächerlichen Grund verzögert und vielleicht ganz verhindert wurde.

»Ich glaube, ich kann die Sache gewinnen, Huma. Es tut mir leid, aber du wirst warten müssen. Rennard, er gehört zu deinen Leuten. Kümmere dich darum, daß er sich waschen kann, zu essen bekommt und einen Schlafplatz erhält. Ich will einen sauberen Kopf auf seinen Schultern sehen, wenn der Tag anbricht.«

»Ja, mein Fürst.« Rennard legte Huma eine freundliche, aber feste Hand auf die Schulter. Der junge Ritter stand widerstrebend auf.

Schweigend gingen sie fort. Huma wurde immer bedrückter. Nicht nur seine Mission war bedroht, sondern auch das Leben eines Mannes, der ihm am ehesten den Vater ersetzt hatte. Niemand anders als Fürst Oswal konnte die Ritter in einer solchen Zeit anführen. Trotz all seiner Vorzüge fehlte Bennett die Erfahrung. Das wußte sogar Huma. Die Ritter von Solamnia brauchten eine starke Führung, die nur Fürst Oswal garantieren konnte. Ohne Oswal würde die Ritterschaft zerbrechen.

Wenn nicht der Oberste Kommandant das Kommando hatte, so erkannte Huma plötzlich, würde er nie zu dem Berg zurückkehren können.

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