26

»Die Drachenlanzen! Wir müssen losfliegen!« Die anderen hatten sich bereits versammelt, als Huma und seine Gefährten den Hof betraten. Bennett sah zu ihm auf wie ein Adjutant zu seinem Befehlshaber. Jetzt hatte Huma das Sagen.

Auch die Drachen waren bereit. Es war schwierig gewesen, diejenigen auszuwählen, die mit den Rittern gehen sollten. Im Gegensatz zu den Menschen hatten sich nämlich alle Drachen angeboten. Es war die silberne Drachendame, die schließlich die Wahl traf, da sie am besten mit den Lanzen vertraut war. Ihre Entscheidungen waren nicht in Frage gestellt worden, denn jeder Freiwillige wurde aufgrund früherer Taten und körperlicher Ausdauer bestimmt. Es waren silberne, bronzene – von denen Blitz der Wortführer war – und sogar ein goldener Drache.

Es waren mehr als genug Sättel hergestellt worden, und die Ritter hatten sie schon auf die Drachen gelegt. Es hatte sogar jemand daran gedacht, die kleinere Lanze an den Silberdrachen zu binden, den Huma reiten würde.

Als alles fertig war, drehte sich Huma um. Alle warteten. Dann zog er eine Grimasse, weil ihm klar wurde, daß sie seine Befehle erwarteten. Selbst Fürst Avontal, der in Humas Augen ein besserer Flugführer war, unterwarf sich ihm. Huma schaute nach vorne, überprüfte, ob alles fest saß, und trat dann den Drachen als Zeichen zum Aufbruch leicht in die Flanken.

Was für ein Anblick, dachte er, als er sich kurz umsah. Die zwanzig Drachen formierten sich zu einem Pfeil, mit Huma an der Spitze. Kaz und Blitz waren links hinter ihm, Buoron zu seiner Rechten. Fürst Avontal, der hinter ihm flog, konnte er nicht sehen.

Seine Gedanken wurden von dem Silberdrachen unterbrochen, der den Kopf wendete und sagte: »Huma, ich…« Huma sah nach vorn, weil er erwartete, daß die Kinder der Drachenkönigin durch die Finsternis brachen. »Nichts. Ich – ich wollte nur sagen, daß du in jeder Hinsicht auf mich zählen kannst.«

»Dafür werde ich dir ewig dankbar sein«, schrie er, denn jetzt brauste der Wind so stark, daß es in seinen Ohren toste, und Huma war sich nicht sicher, ob sie ihn verstanden hatte. Sie hatte sich schon wieder umgedreht.

Es war allein ein Kampf, in den schwarzen Vorhang einzudringen, den Galan Drakos’ Getreue geschaffen hatten. Der Wind war stürmisch. Die Reiter wurden heruntergedrückt und sicherten die Drachenlanzen an ihren Drachen. Huma und der Silberdrache flogen als erste hinein, und es war, als wäre Krynn ausgelöscht. Es gab nur den Ritter, seinen Drachen und seine Lanze. Nein, erkannte Huma. Es gab noch mehr. Hinter sich sah er das Leuchten der anderen Drachenlanzen. Zuerst befürchtete Huma, daß sie den Truppen von Takhisis wie Laternen den Weg weisen würden, aber dann sah er, wie die Lanzen an der Finsternis nagten und den Zauber zerstörten. Es machte nichts, ob sie gesehen wurden oder nicht. Die Finsternis hörte auf, eine Bedrohung zu sein.

»Wir sind durch!« brüllte der Silberdrache.

Die Welt war wieder da. Als Huma zu Fuß unterwegs gewesen war, war ihm die Strecke ungeheuer weit erschienen, endlose Finsternis, in der unirdische Wesen ihrer blinden Beute auflauerten.

Die feindlichen Drachen kamen über sie.

Der erste stürzte sich auf Huma und den Silberdrachen, als sie wieder ans Licht durchbrachen. Ein einzelner Reiter und Drache mußte den roten Drachen wie eine leichte Beute erscheinen, und die beiden trennten sich von ihren Brüdern, um es mit Huma aufzunehmen. Dann aber tauchten die anderen Drachenreiter hinter Huma auf, und die leichte Beute wurde zum todbringenden Jäger. Die beiden vorwitzigen Roten fielen rasch, weil sie nicht mehr rechtzeitig flüchten konnten. Die anderen, Blaue, Schwarze und Rote, näherten sich zögerlicher. Huma kam es so vor, als wenn sie nur aus Angst vor ihrer eigenen Herrin angriffen, einer Angst, die größer war als die vor den Drachenlanzen.

Einer der zwanzig, Hallerin, ein neu aufgenommener, aber wohlerprobter Ritter der Krone, stürzte ab. Der Säureatem seines Gegners hatte ihn in Brand gesetzt. Die anderen Ritter waren dem Feind vierfach überlegen, so daß der Rest der dunklen Drachen sich zurückzog, um es lieber mit dem Zorn ihrer Herrin aufzunehmen.

Ein paar Ritter wollten ihnen nachjagen, aber Huma war dagegen und behielt seinen bisherigen Kurs bei. Humas Ziel war die Quelle der wabernden Finsternis.

Mehrmals waren sie Angriffen von Luftwesen ausgesetzt. Da tauchten Drachen von jedweder Farbe auf. Einmal trafen sie auf große, vogelartige Wesen mit Löwenmäulern und drei Paar Klauen. Ein anderer Drachenreiter fiel entsetzlichen Geschöpfen zum Opfer, die nur der wahnsinnige Drakos erdacht haben konnte. Über diesen Verlust war Huma besonders unglücklich. Es handelte sich um einen narbenübersäten Veteranen der Rose namens Marik Ogerfluch. Er war einer von den kriegsversehrten Rittern gewesen und hatte sich als erster gemeldet. Jetzt waren sie nur noch achtzehn. Im Flug merkte sich Huma Ort und Umstände jedes Todes, weil er hoffte, die Tapferkeit dieser Männer später in einem Lied oder Gedicht verewigen zu können.

Sie waren nah, ganz nah am Ursprungsort des Zaubers. Huma wußte es. Er fühlte es.

»Ich kann etwas sehen, Huma«, sagte der Silberdrache.

»Wo?«

»Da unten rechts.«

Er folgte dem Blick. Da war nur ein kahler Hügel mit ein paar verkrüppelten, verfaulenden Bäumen, die ein regelrechtes Muster bildeten. Es war jedenfalls nicht das, was er erwartet hatte, und das teilte er dem Silberdrachen mit.

Dieser lächelte wissend. »Schau nicht mit deinen Augen, Huma. Schau mit der Weisheit Paladins. Hast du jemals Bäume gesehen, die in der Form eines Pentagramms wachsen?«

Der Ritter sah noch einmal hin – und erkannte dann, wie exakt das Muster war. Unter seinem Blick begannen die Bäume zu verschwimmen, als wären sie nicht echt. Sie verschwanden nicht, sondern wurden zu Gestalten in braunen Roben wie jener Magier, der Huma vor scheinbar endlosen Zeiten im Wald angegriffen hatte.

Jetzt erkannte er sie besser. Fast ein Dutzend Gestalten hockten mit gesenktem Kopf am Boden und streckten ihre Arme zur Mitte des Pentagramms aus, wo einer von ihnen mit hoch erhobenen Armen stand.

»Sollen wir sie erledigen? Sie scheinen uns nicht bemerkt zu haben«, schrie Kaz an seiner Seite. Blitz stimmte eifrig bei. »Ich will sie möglichst lebend.« Kaz schnaubte. »Möglichst?«

Blitz schoß hinunter – und konnte gerade noch eine schwere Verwundung abwenden, als etwas aufstieg und die Luftströmungen zerteilte, als wäre ein Gewitterblitz aus der Erde entfesselt worden. Kaz und Blitz warteten kreisend auf den nächsten Versuch, und als dieses Mal der Angriff kam, wich Blitz mit Leichtigkeit aus. Ein Lichtblitz spaltete den Himmel und traf den Hügel. Als sich der Rauch verzogen hatte, lag ein kleiner Krater da, wo die Gestalten gestanden hatten.

Huma drehte sich um, weil er das Lachen des Silberdrachen hörte. »Daher sein Spitzname Blitz. Alle Bronzedrachen beherrschen diesen Trick, aber nur weniger verfügen über derartige Präzision, und keiner kann ihm das Wasser reichen.«

Nachdem ihre Verteidigungsstellung zerstört war, wurden die abtrünnigen Zauberer plötzlich aktiv. Wie ein Mann standen sie auf und stellten sich den Angreifern entgegen. Auch wenn Huma es aus der Entfernung nicht genau beurteilen konnte, fand er, daß ihre Gesichter sich doch stark ähnelten. Sie hätten alle Geschwister sein können. Dann erkannte Huma, was die Gestalten so ähnlich machte. Sie handelten wie unter Bann oder mit solcher Konzentration, daß man diese aus ihren Gesichtern und Bewegungen ablesen konnte. Sie waren gewissermaßen ein einziges Wesen, und sie zeigten auf Huma und seinen Silberdrachen.

»Runter!« schrie er, doch seine Freundin hatte bereits gehandelt. Die Abtrünnigen versuchten, ihrem Kurs zu folgen, doch der Silberdrache schoß in Sturzflügen und Kehren durch die Luft. Während die Magier sich auf ihn konzentrierten, kamen die anderen Drachenreiter näher an sie heran.

Wie lange konnten die Abtrünnigen diese Verteidigung durchhalten und gleichzeitig die Finsternis aufrechterhalten, fragte sich Huma.

»Huma, da unten!«

Gleich hinter dem Hügel rückte unaufhaltsam die Ogerarmee heran. Das Land wimmelte nur so von Ogern, den verbündeten Menschen, Goblins und ein paar unidentifizierbaren Wesen – zweifellos Experimente der Zauberer. Wesen mit zu vielen Armen, zu vielen Beinen – oder gar zu vielen Körpern und Köpfen.

Die Luft selbst riß auseinander, während er noch zusah, und Huma erhaschte einen Blick auf einen Ort, den er nur aus Alpträumen und Gebeten kannte. Es war nur ein winziger Einblick, aber in eine so überwältigende Schwärze, die ihn so gern verschlingen wollte, daß er wußte, es konnte nur der Abgrund sein.

So stark waren sie. Sie hatten einen Spalt in die Ebene der Sterblichen getrieben – der ihn verschlingen würde! Huma zitterte, und selbst der Silberdrache schreckte vor diesem Anblick zurück. Der Riß schien breiter zu werden, sie konnten nirgendwohin fliehen, sich nirgends verstecken. Er kam näher – dann brach die Macht, die den Spalt offen gehalten hatte, zusammen, weil die Abtrünnigen den heranstürmenden Drachen des Lichts zum Opfer fielen. Die Magier hatten ihr höchstes Konzentrationsniveau erreicht; zu viele, zu wichtige Dinge geschahen zugleich. Als die Drachen einer nach dem anderen angriffen, stellten sich ein paar Abtrünnige zum Kampf und starben augenblicklich. Der Rest rannte auseinander, weil das geistige Band zwischen ihnen gerissen war.

Die Dunkelheit hinter ihnen löste sich auf. Mancher kreischte angesichts des Lichts vor Entsetzen auf. Die Wesen waren in völliger Dunkelheit aufgezogen worden, vielleicht sogar im Abgrund selbst. Licht bedeutete für sie den Tod. Ihre Körper konnten ohne die Finsternis nicht existieren; sie verdunsteten wie Tau und hinterließen keine sichtbaren Spuren.

Das würde jedoch nicht die gewaltige Armee abschrecken, die jetzt auf den Hügel zu marschierte, wo die Zauberer auseinandergetrieben worden waren. Die Befehlshaber der Drachenkönigin, denen die Vorstellungskraft und der Wagemut von Crynus fehlte, warfen alles, was sie hatten, in die erste Schlacht.

Der Silberdrache sprach wieder zu Huma: »Sie haben Angst, Huma. Nicht vor uns, glaube ich, sondern vor Galan Drakos und der Drachenkönigin.«

»Was können wir machen?«

»IHR KÖNNT STERBEN.«

Hinter sich hörte Huma die Rufe der anderen. Vor ihm schwebte mitten in der Luft eine Gestalt mit verschränkten Armen, die höhnisch unter einer brauen Kapuze hervorgrinste. Der Mann war groß, vielleicht noch größer als Huma, und schlank. Er wirkte eher wie ein durchtrainierter Ritter, als wie der Zauberer, der er offensichtlich war. Im Gegensatz zu seinem schlangenartigen Lächeln war das Gesicht des schwebenden Zauberkundigen kaum mehr als ein Schatten.

»Galan Drakos.« Huma flüsterte sich selbst diesen Namen zu, doch der Magier hatte ihn anscheinend verstanden, denn er nickte zustimmend mit dem Kopf.

»Du bist Huma. Durch Menschenaugen siehst du ganz anders aus. Der einzige Nachteil an den Schreckenswölfen. Man sieht so wie sie.«

Huma konnte sich kaum davon abhalten, dem Silberdrachen den Befehl zum Angriff zu erteilen. Die schwebende Gestalt war der Inbegriff von allem Bösen.

Galan Drakos lächelte breit. »Du verschwendest deine Zeit, lieber Ritter. Zugegeben, die Lanzen sind ein Vorteil gegenüber den Drachen, aber ihr habt – Verzeihung, hattet – nur zwanzig, und wir haben viel zu viele Drachen. Sieh selbst.« Der Zauberer zeigte auf den Horizont hinter sich.

Huma zuckte zusammen. Eine dunkle Wolke tauchte am Horizont auf. Zuerst hielt er sie für einen weiteren Dunkelheitszauber. Dann sah er, daß die Wolke keine Einheit war, sondern aus vielen, großen, fliegenden Kreaturen bestand.

Drachen. Die Kinder von Takhisis. Zu Hunderten.

Galan Drakos lächelte immer noch, als Huma zu ihm herumfuhr. »Mit Hilfe meiner Dunklen Herrin habe ich sie aus ganz Krynn zusammengerufen. Bis auf den letzten. Schwarze, rote, weiße, grüne – alle Arten von Drachen. Sie sind tagelang hierher geflogen, und sie sind fast da.«

Zwanzig Lanzen – jetzt noch achtzehn. Achtzehn gegen Hunderte und Aberhunderte von Drachen. Wenn sie nur mehr Lanzen hätten…

»Wenn du dich jetzt ergibst, könnte es noch ein Plätzchen für dich geben. Meine Herrin ist von deiner Fähigkeit zu überleben recht beeindruckt. Wenn du bereit bist, ihr deine Talente zur Verfügung zu stellen, wird sie sich als sehr – dankbar erweisen.« Der Abtrünnige grinste. »Du kennst schließlich nur die Finstere Kriegerin. Sie hat andere – hm, Talente – gleicher Güte.«

Der Silberdrache unter ihm stieß ein unerwartetes, wütendes Zischen aus, und Huma wurde plötzlich zum Angriff auf den Magier getragen. Seltsamerweise lachte Drakos nur, als ihn die große Echse mit aufgesperrtem Maul und ausgefahrenen Klauen ansprang.

Ihre Kiefer schlugen aufeinander.

»Illusion«, murmelte Huma.

Ein spöttisches Lachen schien in der Luft zu hängen. Die Gruppe kreiste unsicher, weil sie Humas Befehle erwartete. Er starrte weiter auf den Fleck, wo Galan Drakos’ Illusion geschwebt hatte.

Als er das Warten nicht mehr aushielt, rief irgendein Ritter hinter Huma: »Wir sind verloren!«

»Wir haben erst verloren, wenn der letzte Ritter tot ist, Derrick«, schrie Bennett den Mann an. Er flüsterte dem goldenen Drachen etwas zu, der sofort so nah zu Huma flog, daß sie miteinander reden konnten, ohne von den anderen Reitern gehört zu werden. »Was machen wir jetzt?«

Bennett fragte ihn um Rat? Wäre die ganze Lage nicht so tragisch gewesen, hätte Huma vielleicht gelacht. »Rückzug. Wir müssen die Burg warnen. Bei so wenig Lanzen sollten wir über Vingaard kreisen. Die Einnahme soll sie so teuer wie möglich zu stehen kommen.«

»Du gibst auf?«

»Absolut nicht. Im Moment ist die Verteidigung der Burg das Wichtigste.« Huma wandte sich an die anderen. »Zurück nach Vingaard!«

Huma versuchte, seine eigene Enttäuschung zu verbergen, als sie sich vor den heranrückenden Horden in Sicherheit brachten. Die Lage erschien hoffnungslos.

Da traf ein helles Glitzern seine Augen. Zuerst hielt Huma es für reflektierendes Sonnenlicht. Doch dann fiel ihm auf einmal auf, daß die Sonne nicht schien. Was ihm in die Augen schien, war Licht ohne ersichtliche Quelle.

Als Humas Augen sich auf das winzige, flackernde Licht konzentrierten, schien es zu rufen. Es war kein richtiges Licht, eher ein grünlicher Glanz. Er erinnerte Huma an den Glanz, der vom Schwert der Tränen ausging.

Der Glanz schien zur Erde zu flattern. Huma zögerte. Er machte seine silberne Freundin auf das Glitzerding aufmerksam.

»Was sagst du dazu?«

»Eine Art Bote, aber ich fürchte, sein Schöpfer trägt Schwarz. Beachte es nicht und laß uns verschwinden, bevor die Sache schlimmer wird. Ich – mir gefällt es hier nicht.« Sie verhielt sich merkwürdig, fand Huma. Seit ihrer fehlgeschlagenen Attacke gegen Drakos war sie schweigsam und fast traurig geworden. Huma stellte fest, daß es Drakos’ Hinweis auf die Verführungskünste seiner Herrin gewesen war, was sie so aufgebracht hatte. Aber warum? Hatte der Silberdrache befürchtet, er würde auf einen so trügerischen Traum hereinfallen?

Huma holte tief Luft – und schüttelte den Kopf. »Folge dem Licht nach unten.«

»Huma – «

»LOS JETZT.« Er hatte noch nie so mit ihr geredet, aber er glaubte im Moment nicht, daß er ihren Reaktionen trauen konnte. Er mußte eine Entscheidung treffen.

»Huma!« rief Kaz von vorne. Huma schüttelte den Kopf und zeigte mit ausdruckslosem Gesicht nach hinten zur Burg. Der Minotaurus sagte leise etwas zu Blitz und beobachtete dann die anderen, um zu sehen, was sie taten. Kaz rief wieder etwas. Auf jeden Fall würde der Riese aus dem Osten mit seinem Drachen warten, während der Ritter das untersuchte, was ihn so faszinierte.

Widerstrebend begann der Drache dem grünlichen Schein nach unten zu folgen. Als sie vor einem bestimmten Hügel angekommen waren, verschwand der grüne Glanz plötzlich. Der Silberdrache landete, und Huma sah sich erwartungsvoll um.

»Ich komme in Frieden, Ritter von Solamnia.« Die Stimme war leise und kratzte in den Ohren. Ihr Inhaber war ein kleiner, drahtiger Mann mit übergroßem Kopf und schmalen, fast wieselartigen Zügen. Kein einziges Haar wuchs auf seinem Kopf.

Er trug eine schwarze Robe.

»Ein Trick! Ich hab’s dir ja gesagt!« Der Silberdrache bäumte sich auf, um Huma zu verteidigen. Die Schwarze Robe duckte sich, doch in ihren Augen stand keine Angst. Huma schimpfte, bis seine Gefährtin sich wieder beruhigt hatte. Er ärgerte sich allmählich über ihre plötzliche Bockigkeit.

»Hör mir zu«, krächzte der Magier.

Huma starrte die Schwarze Robe an: »Was hast du zu sagen? Ich habe bereits mit deinem Herrn gesprochen.«

Der Zauberkundige verzog das Gesicht. »Damit bist du bereits beim Thema. Der Abtrünnige, der sich selbst zu unserem Herrn aufgeworfen hat. Dieses Aas!«

»Ihr dient beide derselben Göttin, oder?«

»Hör gut zu, Ritter von Solamnia, weil ich nicht weiß, wann dieser Teufel meine Abwesenheit bemerkt. Wir brauchen dein Einverständnis.«

»Meins?« Huma riß die Augen auf. Eine Schwarze Robe, die um seine Hilfe bat?

»Wir kennen dich – durch jemanden, der in seinem Leben viele Roben getragen hat und jetzt noch eine weitere trägt, wenn nicht körperlich, so doch im Geiste.«

»Magus!« Bei der vagen Beschreibung sprang der Ritter auf. »Wo?«

Der Zauberer gebot mit erhobener Hand Schweigen. »Dafür ist keine Zeit. Hör zu. Wir wissen jetzt, daß wir der Drachenkönigin im Falle ihres Sieges genausowenig bedeuten wie du. Drakos ist bereits jetzt ihre Stimme unter den Sterblichen, und die Welt wird unter ihm so aussehen, als wäre sie der Abgrund. Du hast seine scheußlichen Kreaturen gesehen. Möchtest du erleben, daß sie die Macht ausüben? Wir wollen uns euch anschließen. Lieber im Kampf sterben, als für immer ihrer Gnade ausgeliefert sein – und sie wird für unsere beiden Orden einen besonderen Platz haben, glaube mir.«

Ein Bündnisangebot… von einer Schwarzen Robe? »Wie soll ich dir trauen, einem der Ihren?«

Der Zauberer richtete sich auf. »Meine erste und wichtigste Verpflichtung gilt Nuitari, dem Dunklen Herrn der Magie. Wir haben uns getäuscht, als wir glaubten, wir würden ihm dienen, als wir freiwillig der dienten – ich will sie nicht seine Mutter nennen –, sagen wir mal, der, die ihn geboren hat. Nuitari jedoch ist diese Welt nicht gleichgültig. Darum haben er, Lunitari und – «, der Zauberer zögerte, den Namen auszusprechen, »– selbst Solinari vom Licht den Kampf um Krynn aufgegeben und die Orden der Zauberer als selbständige Einheit gegründet, die für die Verbreitung der Magie in der Welt sorgen sollte. Wenn Takhisis den Sieg davonträgt, wird von Krynn kaum mehr als ein kalter Fels zwischen den Sternen bleiben. Der Traum unseres Herrn wird verloren sein. Das können wir nicht zulassen.«

»Was willst du?«

»Es geht nicht so sehr darum, was wir wollen, als was wir geben können.«

»Geben?« Der Silberdrache, der die meiste Zeit geschwiegen hatte, verengte die Augen und lachte sarkastisch. »Eine Schwarze Robe schenkt nichts als Elend und Tod.«

»Ein ungerechtes Fehlurteil. In diesem Fall jedoch soll alles Elend und aller Tod, den wir bringen, gegen Drakos und sein Gesindel gerichtet sein – aber wir brauchen eine Eröffnung.«

»Eine Eröffnung? Was meinst du damit?«

»Ich kann dir nur das hier geben.« Der Magier streckte eine knochige Hand aus. Auf seiner Handfläche ruhte eine winzige, grüne Kugel. »Wenn du nicht nah genug herankommst, wirst du das Schloß von Galan Drakos nie finden. Es liegt am Rand zwischen unserer Existenzebene und dem Abgrund. Hiermit wirst du es finden können.«

Der Silberdrache fauchte verächtlich. »Und was ist mit deiner alten Herrin, der Drachenkönigin? Soll sie etwa einfach beiseite sehen, während wir den Sitz ihres vertrautesten Dieners angreifen?«

Der Zauberkundige zeigte auf die Drachenlanze. »Mir wurde gesagt, daß sie deswegen Zweifel hat. Daß sie im Schloß bleibt, in der Nähe des Weges zum Abgrund, weil sie die Macht der Drachenlanzen fürchtet.«

»Lächerlich! Huma, ich werde nicht zulassen…« Die Drachendame drehte sich beim Sprechen um und erstarrte, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. »Huma… du wirst das doch nicht glauben wollen.«

Der Ritter beachtete sie nicht. »Was werdet ihr tun, wenn wir zuschlagen – nur mal angenommen?«

»Innerhalb des Schlosses befindet sich der Rest der Schwarzen Garde und der Abtrünnigen, die Drakos bereitwillig folgen, die größte Gefahr für dich. Um die kümmern wir uns. Wenn möglich, werden wir auch versuchen, die Drachen wegzuschicken.«

»Reiner Wahnsinn!«

Ein Schatten fiel über sie. Alle drei sahen nach oben, wo Kaz und Blitz wartend kreisten. Der Minotaurus schrie ihnen zu: »Schnell! Ich sehe die Vorhut der Drachen.«

Der Zauberer drehte sich schnell wieder zu Huma. »Bei Nuitari, ich schwöre, daß mein Name Gunther ist und daß du mir vertrauen kannst. Reich mir deine Hand!«

Die Schwarze Robe hatte bei ihrem Herrn geschworen. Für die Gefolgschaft von Nuitari standen auf Eidbruch unzählige Tode. Huma streckte die Hand aus und nahm die kleine, grüne Kugel entgegen.

»Wir sind bei dir.« Der Zauberer verschwand auf der Stelle. Huma trat seinem Reittier leicht in die Seiten. Der Drache breitete seine Flügel aus und begann mit offensichtlicher Erleichterung zu steigen.

Kaz sah Humas geschlossene Faust und machte große Augen. »Was ist das?«

Huma starrte auf die heranrollende Woge der Zerstörung und überlegte, wie primitiv der Dunkelheitszauber jetzt erschien. Er betrachtete seine Hand, in der die kleine Kugel lag. »Im besten Fall ein Hoffnungsschimmer, glaube ich.«

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