Das Schloß hing wie eine schwärende Wunde an der nördlichsten Ecke des rauhen Gipfels. Schwärzer als die Nacht, schwärzer als die Rüstungen der Garde – es war so verrucht, daß es nur mit dem Abgrund aus Humas Träumen zu vergleichen war. Huma fragte sich, ob er vielleicht besser gewartet hätte, bis er mehr Lanzenreiter hatte. Doch jetzt gab es kein Zurück. Die Drachenkönigin mußte gestellt werden. »Was jetzt, Huma?« Die silberne Drachenfrau sah sich zu ihm um. Tod stand in ihren Augen – nicht für ihn, sondern eher für sich selbst. Er konnte sehen, daß sie alle Hoffnung aufgegeben hatte, sein zu werden. Der Ritter wollte etwas sagen, irgend etwas, aber er konnte es nicht. Nicht zu diesem Reptiliengesicht, das so fremd wirkte. Er fühlte Scham.
»Wir finden einen Weg hinein. Wir finden Galan Drakos.«
Aus der Nähe betrachtet war das Schloß noch scheußlicher. Es schien vor ihren Augen zu verrotten. Von Zeit zu Zeit fielen Mörtelstücke hinunter, aber dennoch ging nichts von der Substanz verloren. Dürre Weinranken bedeckten die Außenmauern, und während Huma noch überlegte, wie Wein in dieser eisigen Höhe existieren konnte, bemerkte er, daß sie schon längere Zeit verwelkt waren.
Auf den Zinnen wachten grausige Gargyle. Beim näheren Hinsehen erwiesen sie sich als die Werke eines verrückten Bildhauers, nicht als dämonische Wesen.
Zwei Türme überragten alles andere an diesem Bauwerk. Einer schien der Wachturm zu sein, denn er stand am jenseitigen Ende, vom Berg abgewandt, wodurch er denen in der Spitze einen großartigen Ausblick sowohl auf die Bergkette als auch auf die Länder im Osten gewährte.
Der andere Turm wirkte völlig fehl am Platz. Er war so breit, daß er fast ein Viertel der Innenfläche bedeckte. Während der Rest des Schlosses altersschwach wirkte, erschien dieser Turm neu und fast makellos. Huma zweifelte nicht daran, daß dort der Abtrünnige zu finden sein würde.
»Es gibt keine Wachen!« rief Bennett.
Nicht ein einziger Posten war auf den Mauern. Weder im Wachturm noch auf dem Hof waren Soldaten der Garde zu sehen. Das ganze Gebilde sah verlassen aus, doch Huma wußte, daß Galan Drakos sie erwartete.
Huma drehte sich zu den anderen um. »Verteilt euch! Ich gehe alleine rein!«
Unter ihm bebte der Silberdrache, sah jedoch stur geradeaus. Kaz konnte seinen Mund hingegen nicht halten.
»Verteilen? Bist du verrückt? Glaubst du, wir lassen dich allein?«
»Drakos will mich. So soll es denn sein.«
Bennett hatte seinen Drachen herangelenkt. »Das erlaube ich dir nicht, Huma.«
»Es ist wirklich Wahnsinn, Huma«, bemerkte der goldene Drache, der Bennett diente.
Huma konnte gerade noch nach dem Sattelknauf greifen, als der Silberdrache plötzlich und völlig unerwartet zum Schloß hinunterstieß und die anderen mit offenen Mündern zurückließ. Gwyneth hatte ihnen die Entscheidung abgenommen. Sie konnten folgen, aber sie würden sie nicht einholen können.
Der Hof lag direkt unter ihnen. Huma wunderte sich über die Größe der Burg. Galan Drakos konnte nicht so mächtig sein, daß er seine Zitadelle ständig auf einen Gipfel stellen und vor den Augen der Menschen verbergen und dabei immer noch die Kraft für all das haben konnte, was er vollbracht hatte.
Er dachte immer noch nach, als ihn und Gwyneth etwas mit gewaltiger Macht traf. Er wurde von einer Art riesiger Hand aus dem Sattel gehoben.
Die Welt vor seinen Augen verschwand.
Er erwachte in einem schmalen Gang. Nur eine einzige Fackel beleuchtete den düsteren Korridor. Die nackten Wände waren aus kaltem, feuchten Stein, und der Ort roch muffig. Huma wurde übel. Warum war er hier? Wenn es eine von Drakos geschaffene und ausgelöste Falle war, warum hatte man den Ritter dann nicht ohne Waffen und Rüstung in eine Kerkerzelle gesperrt?
Waffen. Er griff an seine Seite, wo er das Heft seines Schwertes ertastete. Nach einer kurzen Überprüfung stellte er fest, daß ihm auch seine Messer geblieben waren. Was hatte das zu bedeuten?
Metallgeschepper machte ihn auf die Anwesenheit von Gestalten in Rüstungen in einem Seitengang aufmerksam. Huma zog leise sein Schwert. Er traute diesen Korridoren nicht genug, um sie blind entlang zu rennen. Sie erinnerten ihn zu sehr an die Tunnel in der Höhle, wo Wyrmvater ihn gehetzt hatte.
Mit erhobenem Schwert und angehaltenem Atem stand er auf der rechten Seite der Biegung. Seiner Einschätzung nach waren es mindestens zwei. Er konnte hoffen, einen oder auch zwei – aber nicht drei – zu erwischen, ohne daß Alarm ausgelöst wurde.
Ein dunkler Stiefel kam in Sicht. Die bekannte ebenholzfarbene Rüstung bog nach links ab. Eine zweite Wache folgte der ersten. Huma hielt die Luft an.
Eine Hand fuhr blitzartig zu dem langen, scheußlichen Schwert, das jenem glich, das Huma zuvor in den Händen des Drachenreiterhauptmanns gesehen hatte. Die erste Wache drehte sich bei dem Geräusch um und zog ihr eigenes. Obwohl der zweite Mann Huma bemerkt hatte, konnte er sein Schwert nicht schnell genug ziehen. Huma schnitt ihm die Kehle durch, bevor die gezackte Klinge auch nur halb aus der Scheide war.
Die Wände dröhnten, nachdem Huma sich vor einem Hieb des anderen Angreifers geduckt hatte. Die Klinge der Wache schnitt tief in den Stein ein, glitt jedoch leicht wieder heraus. Huma parierte einen zweiten Schlag, um dann selbst zum Angriff überzugehen.
Sein Gegner war gut, aber nicht so gut wie ein geschulter Ritter von Solamnia. Seine Paraden wurden immer ungeschickter, als er merkte, daß er nicht gewandt genug war, um den Eindringling zu erledigen. Huma zwang das Schwert des anderen hoch und trat zu. Der Gang war so eng, daß der Mann nicht ausweichen konnte. Als Humas Gegner zurückstolperte und nach Luft schnappte, stieß der Ritter zu.
Der Lärm würde sicher jemanden herbeirufen.
Huma sah den Gang hinunter, aus dem die Wachen gekommen waren, und den, den sie an der Kreuzung eingeschlagen hatten. Beide schienen endlos weiterzugehen.
So leise wie möglich folgte er dem Gang. Es war völlig dunkel, und Huma mußte sich an den Wänden entlang tasten, um sicherzugehen, daß er keine Seitengänge oder Kreuzungen verpaßte.
Wo war der Silberdrache? Nein, wo war Gwyneth, korrigierte sich der Ritter. Welche Gestalt sie auch annahm, es war Gwyneth, soviel begriff er, auch wenn er seine eigenen Gefühle nicht wirklich verstand. Sie mußte irgendwo hier sein, überlegte Huma. Vielleicht wanderte sie wie er auf der vergeblichen Suche nach ihm ziellos durch irgendeinen finsteren Teil der Zitadelle.
Spontan zog er das Medaillon heraus und hielt es fest. Die Wärme des Medaillons erfüllte ihn. Es begann, so intensiv zu leuchten wie die Drachenlanzen. Genau in diesem Moment hallte eine Stimme durch den Gang.
Zwei Stimmen unterhielten sich wispernd. Keine Mitglieder der Schwarzen Garde des Kriegsherrn, denn die redeten selten, wie Huma aufgefallen war. Zauberer – aber waren es Abtrünnige oder jene, die geschworen hatten, der Ritterschaft zu helfen?
Er hielt sein Schwert bereit, wobei er im stillen den Mangel an Licht verfluchte. Die Dunkelheit war ein Verbündeter der Zauberer, denn diese waren wie Meuchelmörder für ihre Tricks bekannt. Huma hoffte, er würde die beiden überwältigen können.
»Es muß hier sein!«
»Warum hast du das gemacht?«
»Der Abtrünnige hatte sie beide. Er – aaahhh!«
Der vordere der beiden Zauberkundigen merkte plötzlich, daß er eine Schwertspitze unterm Kinn hatte. Sein Begleiter machte keine Anstalten, Huma anzugreifen.
»Keine falsche Bewegung«, flüsterte der Ritter.
»Er ist es!« zischte der andere Zauberer seinem Kollegen zu.
»Das sehe ich!« meinte der Magier, um dann zu Huma zu sagen: »Wir sind Verbündete! Hat Gunther dir das nicht gesagt?« Das Gesicht des Zauberkundigen war in der Dunkelheit schwer zu erkennen, aber Huma meinte zu sehen, daß seine Augen vor Furcht weit aufgerissen waren.
»Gunther?«
»Schmächtig mit tierartigem Gesicht. Kahl.«
Eine einfache, aber ziemlich zutreffende Beschreibung. Das bedeutete jedoch nicht, daß die beiden Freunde waren.
»Er hat dir eine kleine Smaragdkugel gegeben.«
»In Ordnung.« Es war riskant, aber Huma entschied sich, das Schwert zu senken. Die Zauberer atmeten hörbar auf. Beide waren normal groß, der eine ziemlich dick, doch Huma konnte kaum Einzelheiten wahrnehmen.
»Unter anderen Umständen hätten wir dir beigebracht, was es heißt, einen vom Orden Nuitaris zu bedrohen«, schimpfte der Dicke. »Aber jetzt sind wir gezwungen, dir beizustehen!«
»Das geht mir genauso wie euch.«
»Drakos wußte, daß du den leeren Hof als Einladung zum Landen ansehen würdest, aber er hatte eine Überraschung für dich vorbereitet. Wir hatten keine Zeit, euch beide zu retten, deshalb haben wir uns auf dich als den Wichtigeren konzentriert. Um zu verhindern, daß einer der Abtrünnigen dich aufspürt, mußten wir dich an einen abgelegenen Ort des Schlosses teleportieren und das Beste hoffen.«
»Ich hatte eine sehr genaue Vorstellung davon, wo du landen würdest; es gab keinen Grund zur Sorge.« Der dünnere Magier zog verächtlich die Nase hoch.
»Manche von uns haben mitunter einfach Glück.« Die Worte des untersetzten Zauberers zielten auf seinen Kollegen ab, und Huma hatte den unbestimmten Eindruck, daß sie nicht nur Ordensbrüder, sondern auch leibliche Brüder waren. »Sei es, wie es ist, wir wollen, daß du – «
»Ihr wollt?« Humas Griff um sein Schwert wurde fester, und er erhob es auf Halshöhe der Zauberer. »Von Schwarzen Roben nehme ich keine Befehle entgegen. Wir arbeiten zusammen, gut, aber als Gleiche unter Gleichen.«
Doppelseufzer. Auf solche Verbündete hätte Huma gern verzichtet, doch sie hatten ihm gerade das Leben gerettet.
»Was ist mit dem Drachen passiert, auf dem ich geritten bin?«
»Das Ungeheuer?« fragte der erste Magier. »Der ist eingefroren. Gelähmt. Galan Drakos verschwendet kein Rohmaterial.«
»Was soll das heißen?« Der Gedanke, daß in diesem Augenblick etwas Schreckliches mit Gwyneth geschehen konnte, versetzte Huma fast in Panik. Die Zauberer hielten seine Panik irrtümlich für mörderische Wut und taten rasch ihr Bestes, um ihn zu besänftigen.
»Nichts! Im Moment ist er viel zu beschäftigt! Er hat irgendeinen genialen Spruch, mit dem er Krynn angeblich für immer verändern will. Für den Drachen hat er keine Zeit.«
Huma atmete tief durch und beruhigte sich wieder. »Ihr wart mir eine unschätzbare Hilfe, aber ich fürchte, ihr habt euch kompromittiert. Inzwischen verdächtigt er doch bestimmt alle Schwarzen Roben?«
Der dünne Zauberer schniefte wieder. »Er weiß nicht, wie stark der Widerstand schon ist. Er nimmt an, daß es nur ein paar enttäuschte Mitglieder unseres Ordens sind. Deshalb hat er keine Ahnung, daß es sich um eine große Revolte handelt. Wir beugen uns nicht als Sklaven diesem Teufel und seiner Herrin.«
»Sei still«, zischte der andere. »Du erregst Ihre Aufmerksamkeit, und das ist das einzige, womit wir nicht fertig werden!«
»So?« Huma sah die beiden mit Abscheu an und wünschte sich, sie könnten seinen Gesichtsausdruck richtig sehen. »Aha. Ihr denkt also immer noch, daß ich die ganze Arbeit für euch mache. Schön. Wo geht es zu Galan Drakos?«
»So verrückt kannst du doch nicht sein!« Es war schwer zu sagen, welcher von den beiden gesprochen hatte.
»Wo lang?«
»Wir haben ihn hierher gebracht«, sagte der erste zum zweiten. »Wir können es genauso gut hinter uns bringen.«
»So war es nicht geplant.«
»Ist von Anfang an irgend etwas, was wir geplant hatten, so gelaufen, wie wir es uns gedacht hatten? Sagathanus ist gleich beim ersten Mal gestorben, als er den Abtrünnigen widersprochen hat – und er war es, der sie rekrutiert und ihnen versprochen hat, daß wir sie dulden würden! Daß sie nicht länger gejagt und vernichtet werden würden, wenn sie sich nicht den Drei Orden anschließen und die Richtlinien der Versammlung der Zauberer nicht befolgen wollen!«
»Das war unser Fehler! Wir haben ihnen die Freiheit versprochen, ihre schändlichen Experimente fortzuführen – Experimente, die sogar unsere Grenzen überschreiten.«
Huma verhinderte, daß der Streit sich ausweitete, indem er die Spitze seines Schwerts zwischen die beiden zankenden Magier hielt. Sofort wurden sie mucksmäuschenstill.
»Galan Drakos! Zum letzten Mal. Wo?«
Der dicke Zauberer ratterte eine Abfolge von Ecken und Strecken herunter, wiederholte sie noch einmal und fragte Huma dann, ob er sich alles gemerkt hatte. Das hatte er.
»Wir werden uns bemühen, den Drachen zu befreien, sofern das möglich ist. Wenn nicht…« Der Magier zuckte mit den Schultern.
»Was ist mit meinen anderen Gefährten?«
»Sie haben gewendet, als die Falle ausgelöst wurde. Ich kann nicht sagen, ob sie zurückkehren werden. Vielleicht sind sie zurück nach Vingaard geflogen.«
Huma überging den Seitenhieb. Er war sicher, daß die anderen in der Nähe einen Plan schmiedeten. Am besten nahm er sein gegenwärtiges Vorhaben wieder auf.
Schritte hallten durch den Gang. Die beiden Zauberkundigen sprangen regelrecht hoch.
»Weg«, flüsterte der Dünnere.
Mit langen Schritten entfernte sich Huma von den Schwarzen Roben. Er hörte leise ein paar Stimmen und erkannte, daß die beiden ihm soviel Vorsprang wie möglich verschaffen wollten.
Vor sich sah er die Schatten von Männern in Rüstungen. Huma huschte zurück in einen anderen Gang und wartete ab.
Sechs Wachen marschierten leise vorbei. Sie konzentrierten sich auf ihre Pflichten, was immer die auch sein mochten.
Die Schwarzen Roben steckten in größerer Gefahr, als ihnen klar war. Wenn Huma die Lage richtig beurteilte, begannen die Wachen, sie allmählich zu umzingeln – wenn sie sie nicht unverzüglich töten wollten. Dann würde Huma es allein mit Galan Drakos und der Königin der Finsternis aufnehmen müssen.
An der nächsten Biegung blieb Huma stehen: Drei hellerleuchtete Korridore lagen vor ihm. Stimmen. Huma schlich näher. Dann erstarrte er, als er die eine erkannte.
»Du weißt, was mit dem Edelstein zu tun ist, Gharis?«
»Es ist ein Platz gewählt worden, Meister Galan. Wir werden dort auf Euer Zeichen warten.«
»Es ist nur eine Sicherheitsvorkehrung, Gharis. SIE hat sie gefordert, aber du wirst meinem Zeichen gehorchen, wenn die Zeit gekommen ist. Verstanden?«
Derjenige namens Gharis antwortete nuschelnd. Huma argwöhnte, daß Drakos seinen Befehlen mit einer Art Hypnose Nachdruck verleihen mußte.
Nachdem er sichergestellt hatte, daß man ihm gehorchen würde, befahl Galan Drakos dem anderen, zu verschwinden. Huma wich rasch zurück, doch Gharis – dem Anschein nach ein Abtrünniger wie sein Meister, denn er trug eine braune Robe, keine schwarze – nahm nicht diesen Ausgang. Statt dessen verklangen seine Schritte in einer anderen Richtung.
Es gab mehr als einen Zugang zu diesem Raum. Zögernd näherte sich Huma dem Zimmer über einen weiteren Gang. Als er sich langsam herangeschlichen hatte, spähte er hinein.
Der Raum war ein Gebilde des Irrsinns, so wie der Rest der Burg. Riesige, dämonische Gestalten säumten die Wände, jede offenbar bereit, sich auf jeden unbedachten Eindringling zu stürzen. Der Gedanke ließ Huma erschauern. Das größte Kunstwerk war eine Plattform aus schwarzem Kristall, aus der sich vier Stufen erhoben. Auf der obersten von ihnen lag eine strahlende Smaragdkugel.
Der Ritter fuhr rasch zurück. Drakos war wirklich da und stand mit dem Rücken zu Huma vor der Kristallkugel. Den Magier hatte er erwartet, aber hinter der Kugel saß etwas, das dreimal so groß war wie ein Mensch und genau zusah: ein grüner Drache.
Huma hatte noch nie einen solchen Drachen gesehen und war deshalb beunruhigt.
»Du siehst jetzt, warum ich immer die obere Hand hochgehalten habe, nicht wahr, mein kleiner Freund?«
»Groß ist Meister Galan«, zischte der junge Drache. Selbst für einen seiner Rasse hatte er eine äußerst verschlagene Stimme. Das wenige, was Huma von grünen Drachen gehört hatte, beschrieb sie als gerissen, weil sie meistens mit Betrug arbeiteten. Offener Zweikampf war nicht ihre Sache, obwohl ihre körperlichen Kräfte ebenso gefürchtet waren wie ihr Verstand – ihr verdrehter, verräterischer Verstand.
»Cyan Blutgeißel lernt viel durch Zusehen, Meister Galan.«
Das Lachen des Abtrünnigen war genauso kalt wie die Stimme des jungen Drachen. »Cyan Blutgeißel wird niemals ihre volle Kraft entfalten, wenn er glaubt, mich jemals besiegen zu können. Du bist ein Experiment, Cyan. Durch mich hast du gelernt, das Denken von Menschen, Elfen, Zwergen und all den anderen Rassen besser zu verstehen als jeder andere deiner Art. Wenn du ausgewachsen bist, wird dein Name selbst ihre Träume heimsuchen – aber nicht, wenn du mich verärgerst.«
Jemand begann heftig zu husten. Huma fragte sich, ob der Drache vielleicht beschlossen hatte, den arroganten Wortschwall des Zauberers zu unterbrechen. Einen Augenblick später hörte er, wie Cyan Blutgeißel sich eilends entschuldigte.
»Meister Galan ist allmächtig! Nicht noch mal! Bitte!«
»Dein nach Chlor stinkender Atem verpestet die Luft. Raus mit dir! Ich werde dich rufen, wenn ich deine Anwesenheit wieder wünsche.«
»Meister!« Flügelschlagen. Huma erkannte, daß der Raum weiter oben eine Verbindung nach draußen haben mußte.
Der Klang von Schritten sagte ihm, daß Drakos fort ging. Huma wagte es, nochmals um die Ecke zu spähen, und sah gerade noch den Rücken des Zauberers, bevor dieser durch einen weiteren Torbogen verschwand. Die Fackeln in der Kammer schienen schwächer zu leuchten, nachdem er gegangen war.
Huma machte einen vorsichtigen Schritt in den Raum. Eigentlich rechnete er mit einer Zauberfalle, aber es flackerte noch nicht einmal etwas auf.
Mit sorgfältig bemessenen Schritten ging er zu der schwarzen Kristallplattform und starrte die große Kugel an. Vielleicht, dachte er, war es das, was seinen kleinen Führer angezogen hatte. Vielleicht versteckte Drakos damit das Schloß vor der Außenwelt – oder vielleicht…
Eine Woge der Ablehnung traf ihn, die ihn taumeln ließ, wobei er fast sein Schwert fallen gelassen hätte. Wie er mühsam erkannte, kam sie aus der Kugel selbst. Huma schloß kurz die Augen und konzentrierte sich.
Der Haß verschwand, um durch Verachtung und Belustigung ersetzt zu werden, weil jemand ihn verspottete, seine ganze Existenz verhöhnte. Huma öffnete gewaltsam wieder die Augen, obwohl er wußte, was er sehen würde, und weil er nicht verzagen wollte.
Sie war da, starrte ihn von irgendwoher an, starrte ihn durch die Kugel an.
Takhisis.
Humas erster Gedanke drehte sich komischerweise darum, ob Galan Drakos wußte, daß sie in diese Kammer gelangen konnte. Ahnte sie – wie Huma gerade zu begreifen begann –, daß Drakos etwas gegen sie ausheckte, wie man aus seinen Befehlen an den hypnotisierten Diener entnehmen konnte? Bestimmt ahnte sie, daß jemand, der so ehrgeizig war wie der Abtrünnige, nie zufrieden sein würde, bevor er alles beherrschte. War das etwa der Grund für ihr Lächeln?
Lächeln? Zuerst war kein echtes Gesicht dagewesen. Aber das hier waren die fein gemeißelten Züge einer Königin der Königinnen, einer wahrhaft Unsterblichen. Ein Mann konnte sich an eine solche Schönheit durchaus verlieren – für alle Ewigkeit. Um so einen geringen Preis. Hatte ihm die Ritterschaft denn etwas anderes gegeben als Leid? Ihretwegen hatte er seine Eltern verloren, dazu Rennard und zahllose Kameraden, einschließlich Buoron. Selbst seine Liebe war ihm genommen worden –
Lügen! Der Nebel um seinen Verstand lichtete sich, und er sah die Lügen hinter der angeblichen Wahrheit. Rennard war schon lange vor seiner Ritterschaft verloren gewesen. Humas Vater, Durak, war gestorben, als er für etwas kämpfte, an das er mit aller Inbrunst glaubte, etwas, für das er den Tod in Kauf nahm. Was Gwyneth anging – dieser Gedanke blieb offen.
Anstatt ihn niederzustrecken, lächelte die Dunkle Königin nur.
Das Gesicht verschwand. Nur ein Hauch der Bosheit, die die Drachenkönigin verkörperte, blieb zurück, um ihn daran zu erinnern, was er gerade erlebt hatte.
»Ich finde, es wird Zeit, dieses Spiel zu beenden«, bemerkte Galan Drakos plötzlich.