3

Die zwei Wanderer kamen nicht weit, bis sie rasten mußten. Huma machte sein Kopf zu schaffen, und Kaz war noch nicht ganz über die Wirkung des Mittelchens hinweg, das ihm die Goblins ins Essen gemischt hatten.

»Ich war zu dumm! Sie haben mich schlafend wie ein Neugeborenes erwischt und gleich gut verschnürt! Ich bin ja vieles, aber nicht verrückt genug, um aufzuspringen, wenn mich zwei Piken am Boden festnageln. Nicht einmal Goblins können auf die Entfernung daneben treffen.« Der letzte Satz brachte Kaz zum Lachen, während Huma die Feststellung nicht sehr komisch fand.

Sie kamen schließlich überein, an einem kleinen Hang haltzumachen, der einen gewissen Schutz bot. Es war ungünstigerweise eine sehr ähnliche Position wie die der ersten Goblinpatrouille. Dennoch war es besser als völlig offenes Terrain. Huma betete nur, daß ihm die Augen nicht zufielen, bevor er den Minotaurus für dessen Wache wecken konnte.

Sie unterhielten sich noch eine Weile, vielleicht weil keinem beim Gedanken an Schlaf wohl war. Huma erzählte von der Ritterschaft, ihren Grundüberzeugungen und ihrer Organisation. Kaz fand die Ritter von Solamnia interessant. Viele Aspekte sprachen den Mann aus dem Osten an, besonders der große Stellenwert der Ehre.

Kaz berichtete weniger detailliert von seinem eigenen Volk. Sie waren große Seefahrer, das stimmte, doch ihr Leben stand jetzt unter der Herrschaft der Oger. Sie hatten noch immer ihre Ehrenturniere, auf denen man im Rang aufstieg, wenn man seinen Gegner besiegt, doch die Oger machten sich wenig daraus und führten neue Gesetze ein, die ihnen besser paßten. Deswegen hatte sich in Kaz bereits vor dem tödlichen Zusammenstoß mit seinem Hauptmann ein gewaltiger Haß auf seine sogenannten Herren angestaut. Alles war besser, als dieser Rasse zu dienen, fand er.

Daß Huma Kaz sein Leben anvertraute, störte den Solamnier ein wenig. Er hatte bereits gesehen, wie wild der Minotaurus werden konnte. Huma hätte einem Gegner niemals mit solcher Akkuratheit – und Begeisterung – den Hals brechen können wie Kaz. Dennoch glaubte er, daß er dem Minotaurus vertrauen konnte, was dessen Wort anging. Die Debatte in Humas Kopf tobte weiter, bis ihn die Müdigkeit übermannte.

Die Nacht verlief ohne Zwischenfälle, ebenso die ersten Stunden des Tages. Sie aßen das bißchen Proviant, das Huma geblieben war. Ein kurzer Blick in die Taschen der Goblins hatte dem Ritter jeglichen Appetit auf alles Eßbare verdorben, das sie dabei haben mochten, und außerdem konnte das Goblinessen mit weiteren Mittelchen versetzt sein.

Es war ein kühler Tag. Ein kalter Wind kam auf, und Huma war dankbar für die gute, feste Polsterung unter seiner Rüstung. Kaz hingegen schien die Witterung nichts auszumachen. Er entstammte einer Rasse von Entdeckern, Seefahrern und Kriegern, und in seiner Heimat konnte es in den dunklen Monaten ausgesprochen kalt werden. Der barbrüstige Fußsoldat trug nicht einmal Stiefel. Wäre Huma so weit barfuß gelaufen, so wären seine Füße vernarbt, kaputt und blutig gewesen.

Gegen Mittag bemerkte Huma Reiter in der Ferne. Sie kamen nicht auf Huma und Kaz zu, und bald war die Gruppe nicht mehr zu sehen. Doch Huma hielt sie für Ritter aus Solamnia, und das bedeutete eine reelle Chance, daß seine Truppe – oder zumindest ein Teil davon – in der Nähe wartete.

Kaz jedoch war nicht so zuversichtlich, was die Identität der Reiter anging. Hier, so nahe der Front, konnte es jeder sein.

»Einverstanden, es waren wahrscheinlich Menschen – oder vielleicht Elfen –, aber sie können zu denen gehören, die Takhisis dienen. Du hast nie die Schwarze Garde gesehen, die Elitetruppe des Kriegsherrn. Und ebensowenig die Abtrünnigen.«

Der Minotaurus hatte dieses seltsame Wort schon zuvor benutzt. »Wer sind die Abtrünnigen?« fragte Huma.

»Verkommene Hexer. Verrückte Zauberer. Sind alle auf die eine oder andere Art den Orden der Magier entschlüpft. Nicht alle sind böse. Es heißt allerdings, daß einer mit gewaltiger Macht einen Pakt mit der Dunklen Königin persönlich geschlossen hat, und daß sie jetzt so auf den Sieg versessen ist, daß sie ihre eigenen Schwarzen Roben verstoßen hat.«

Magie. Huma wußte mehr darüber als die meisten seiner Gefährten. Er war damit aufgewachsen. Sein bester – und einziger – Freund hatte sich der Hexerei verschrieben. Von Anfang an hatte Magus Huma gesagt, daß er eines Tages ein großer, mächtiger Zauberer sein würde, auch als Huma sich der Ritterschaft zuwandte, die seiner Mutter zufolge sein Geburtsrecht war.

Der Gedanke an Magus ließ Huma an seine Jugend denken, eine Zeit, die ihm zwar in mancher Hinsicht wertvoll war, die ihn jedoch auch verbittert gemacht und verunsichert hatte. Er hatte Magus seit Jahren nicht mehr gesehen, seit dem Tag, an dem sein Freund seine Lehrzeit beendet und den Turm für die Prüfung betreten hatte, die über seine Zukunft entscheiden sollte. Genau an jenem Tag hatte Huma seine eigene Entscheidung gefällt und war losgezogen, um die Ritter von Solamnia aufzusuchen und um einen Platz in ihrer Mitte zu bitten.

Huma schüttelte die Gedanken daran ab.

Sie wanderten weiter. Kaz suchte gelegentlich den Horizont ab, doch das Gelände schien ihm fremd zu sein. Einmal fragte er: »Sind alle Länder der Menschen so wie dieses?«

»Hast du noch keins gesehen?«

»Nur die schlimmsten Gegenden. Wo sonst sollten die Oger uns hinstellen als auf die schlimmsten Posten? In gewisser Weise sind wir für sie entbehrlicher als die Goblins. Sie trauen keiner anderen Rasse über den Weg, aber sie wissen, daß sie die Goblins kontrollieren können.«

Huma nickte verständnisvoll. »Es gibt noch Länder, die vom Krieg verschont geblieben sind, aber es werden jedes Jahr weniger. Wo ich zu Hause war, ist jetzt Ödland wie hier.« Eine Welle bitterer Erinnerungen kam in ihm hoch. Er zwang sich dazu, nach vorne zu blicken. Die Vergangenheit lag hinter ihm.

Der Kopf des Minotaurus fuhr herum. »Wir bekommen Gesellschaft.«

Der Ritter zuckte zusammen. Mehr als drei Dutzend Gestalten, lauter Menschen, hielten auf sie zu. Flüchtlinge aus einem Dorf, stellte er fest. Herumirrende Überlebende augenscheinlich, mit zwei maroden Wagen, die von halbtoten Ochsen gezogen und von Männern geführt wurden, die kaum besser aussahen als ihre Tiere. Es waren auch Frauen dabei und sogar ein paar Kinder. Als sie näher kamen, merkte er plötzlich, daß die meisten seinen Begleiter anstarrten. Was in diesen Blicken zu lesen war, gefiel ihm ganz und gar nicht.

»Wir müssen uns vorsehen, Kaz.«

»Vor diesem erbärmlichen Haufen? Keine Sorge. Mit denen werde ich allein fertig.« Kaz wollte nach der Axt greifen, die an seinem Rücken hing, doch Huma hielt seinen Arm fest.

»Nein!« warnte er. »Das ist Mord!«

Der normalerweise kurz entschlossene Krieger zögerte. Der Verstand eines Minotaurus arbeitete ganz anders als der eines Menschen. Kaz sah eine Bedrohung; es waren mehr als genug Gegner da, die ihn überrennen konnten, wenn er nicht rechtzeitig handelte. In seiner Welt gab es keine Kompromisse. Man triumphierte oder starb. Huma saß zwischen den Stühlen: Er wollte nicht gegen Kaz kämpfen, doch er konnte dem Minotaurus kaum erlauben, sich auf die Flüchtlinge zu stürzen.

Obwohl Kaz die Hand senkte, war der Schaden bereits angerichtet. Die Dorfbewohner sahen nur ein Monster, das sie bedroht hatte. Sie hatten bereits mitansehen müssen, wie ihre Häuser zerstört und ihre Freunde und Nachbarn getötet wurden. Der Zorn über ihre Hilflosigkeit war größer und größer geworden. Jetzt stand ein einzelner Minotaurus vor ihnen, der alles Böse, all ihr Leiden, verkörperte.

Viele Männer und Frauen drängten vor, ein zerlumpter Mob. Sie waren blaß und verängstigt. Alles, was sie wollten, war die Chance, einmal zurückzuschlagen, bevor sie starben.

Huma war von ihrem Anblick entsetzt. Die Gruppe bewegte sich wie ein Haufen Untoter. Bäuerliche Geräte, Messer, Seile, selbst verschiedene Haushaltsgegenstände wurden als Waffen umklammert. Kaz blieb, wo er war, warf Huma jedoch einen kurzen Blick zu.

»Wenn sie noch näher kommen, schlage ich zu, egal was du sagst. Ich werde nicht dastehen und mich von ihnen umbringen lassen.« Die Augen des Minotaurus glitzerten blutunterlaufen. Er würde bald handeln. Huma sprang mit hoch erhobenem Schwert vor die Menge. »Halt! Er wird euch nichts tun!«

Es war ein lächerlicher Versuch, und das Resultat entsprach seinen Befürchtungen. Die mordlustige Menge kam zum Stehen, jedoch nur, um zu beratschlagen, was mit dem jungen Ritter geschehen sollte, der sich ihnen in den Weg gestellt hatte.

»Geh zur Seite!« schrie ein angegrauter älterer Mann. Sein eines Auge war mit einem Tuch verbunden, und der rote Fleck darauf zeugte von einer noch frischen Wunde. Seine Haut war rissig, und das spärliche Haar klebte an seinem Kopf. »Wir wollen nur ihn! Er muß dafür bezahlen, was er getan hat.«

»Er hat euch nichts getan!«

Eine Frau, die etwas älter war als Huma und einmal hübsch gewesen sein mußte, spuckte ihn an. »Er gehört zu ihnen! Was macht es schon, ob er es war, der meine Kinder getötet hat? Wenn er es hier nicht war, dann war er es woanders.«

Es war nutzlos gewesen, ihnen die Sache erklären zu wollen. Sie hätten Huma nicht zugehört, und selbst wenn, würde das nicht das Grauen aufwiegen, das sie erlebt hatten. Kaz war ihr Sündenbock.

Voller Verzweiflung zückte Huma sein Schwert. Es gab Gemurmel, und ein paar weniger beherzte Leute traten zurück, doch der offensichtliche Verrat eines Ritters von Solamnia gegen seine eigene Rasse war mehr, als die anderen ertragen konnten. Der Mob kam wieder näher, doch dieses Mal war eindeutig auch Huma das Ziel.

Hinter sich hörte er, wie sein massiger Gefährte die Axt herauszog. »Keine Angst, Huma. Wir werden sie zermalmen.«

Jetzt lag noch mehr Vorfreude in den Worten als beim ersten Mal.

Nicht einmal der Anblick eines wütenden Minotaurus mit einer riesigen Streitaxt in der einen, gigantischen Hand reichte aus, um die Dorfbewohner zurückweichen zu lassen. Dürre, knochige Arme, an denen Kleiderfetzen herunterhingen, erhoben sich. Einige Hände waren leer, andere wollten mit dem zuschlagen, was ihnen zufällig in die Finger gekommen war. Huma trat einige Schritte zurück.

Wollte er wirklich diese Menschen töten, um jemanden zu beschützen, der bis vor wenigen Tagen sein Feind gewesen war? Kein Ritter würde so handeln. Huma wußte das sehr wohl. Aber er konnte ihnen Kaz nicht einfach überlassen.

»Kaz, lauf weg!«

»Sie werden dich umbringen, Huma. Weil du mir geholfen hast. Lieber hierbleiben und kämpfen.«

Das war das letzte, was Huma wollte, doch er schien keine Wahl zu haben. Entweder trat er beiseite und verriet den Minotaurus, oder er blieb stehen und verriet diejenigen, die er zu beschützen gelobt hatte. Sein Schwert zitterte.

Ein starker Wind kam hinter ihnen her.

Der Mob erstarrte, und alle Augen gingen nach oben. Hinter sich hörte Huma, wie Kaz herumfuhr und fluchte.

»Ein Drache!«

Eine Staubwolke wirbelte auf, die Huma die Sicht nahm, als er sich umdrehte. Er konnte große Schwingen schlagen hören, als der Drache zur Landung ansetzte. In seiner Phantasie sah er einen der tödlichen, schwarzen Drachen oder vielleicht einen riesigen roten, der gekommen war, um sie alle zu vernichten. Sein Schwert würde weniger als nutzlos sein.

Noch bevor der Staub sich gelegt hatte, griff Kaz an. Ob Drache der Finsternis oder des Lichts war ihm ziemlich egal. Sein Schicksal war in jedem Fall besiegelt. Er hoffte nur, etwas Schaden anzurichten, bevor das Ungetüm ihn zerquetschte. Der Minotaurus brüllte einen Schlachtruf, als er losrannte und die Axt über seinem Kopf schwang. Huma erhaschte den ersten Blick auf den Drachen, als Kaz zuschlug.

Der Ritter riß die Hand hoch und schrie, obwohl er wußte, daß es bereits viel zu spät war. »NEIN!«

Die Kraft eines Minotaurus war wahrhaft beeindruckend. Es hieß, daß eine Axt in der Hand eines Minotaurus Felsen spalten konnte. Hätte Kaz zugeschlagen, so hätte er durchaus siegen können. Statt dessen gefror er abrupt mitten im Schlag, und sein gewaltiger Schwung schmiß ihn kopfüber auf den Boden unter das große Drachenmaul.

Der Drache warf nur einen kurzen Blick auf den gestürzten Berserker und sah dann auf, um den Menschen zu mustern. Huma starrte zurück. Als Ritter war er an das Kommen und Gehen der Drachen des Lichts gewöhnt. Sie dienten als Wächter und Boten, doch er hatte noch keinen aus solcher Nähe gesehen.

Das Tier war groß und schlank. Der ganze Körper war silbern, die beiden Augen strahlten wie Sonnenlicht. Instinktiv wußte er, daß der Drache ein Weibchen war, auch wenn er große Mühe haben würde, das zu erklären. Die Kiefer waren länger als sein Arm, und die Zähne so lang, daß der Drache Humas Kopf leicht mit einmaligem Zuschnappen abbeißen konnte. Die Schnauze war lang und spitz zulaufend.

Im Gegensatz zur Erscheinung des Giganten klang die Drachenstimme tief, aber melodisch. »Ein Ritter von Solamnia? Was machst du hier draußen? Du bist weit von deinen Kameraden entfernt. Suchst du dieses Ungeziefer hier? Sei beruhigt, der Minotaurus kann sich nicht bewegen. Nicht solange meine Willenskraft ihn festhält.«

Huma senkte seine Waffe. Die Dörfler hatten sich irgendwo hinter ihm versteckt, obwohl sie kaum in Gefahr waren.

»Geht es dir gut?« Die Frage erschien angebracht. Der silberne Drache war wirklich besorgt.

»Bitte«, stieß Huma aus. »Tu ihm nichts! Es ist nicht so, wie du denkst.«

Die schimmernden Augen des Drachen schienen ihn zu taxieren. Das Ungeheuer war neugierig. »Warum willst du dieser Kreatur das Leben schenken? Gibt es dir Informationen, die du brauchst? Ich kann sie leicht aus ihm herausholen.«

Der Drache wartete mit der Geduld eines Wesens, das die Zeit in Jahrhunderten mißt, nicht in Minuten.

»Er ist mein Gefährte. Er hat sich vom Bösen der Finsteren Königin abgewendet.«

Hätte jemand Huma erzählt, daß ein Drachengesicht menschliche Überraschung ausdrücken konnte, dann hätte er darüber gespottet. Genau das war jedoch jetzt der Fall. Er blieb still, während der Drache diese ungewöhnliche Mitteilung verdaute.

»Der Minotaurus wollte mich angreifen. Er war offensichtlich darauf aus, mich schwer zu verletzen. Wie kann ich dann deine Behauptungen überprüfen?«

Huma straffte sich. »Du mußt mit meinem Wort vorliebnehmen. Ich habe keinen Beweis.«

Er lächelte regelrecht darüber. Bei einem Drachen war selbst ein Lächeln furchterregend. Fürst Oswal hatte einst gesagt, daß ein Drachenlächeln wie das eines Fuchses sei, der sich darauf freut, das Huhn zu verspeisen.

»Ich bitte um Verzeihung, Ritter von Solamnia. Ich wollte nicht sagen, daß ich deinen Worten nicht traue. Du mußt zugeben, daß es nicht alle Tage vorkommt, daß ein Minotaurus Seite an Seite mit einem der Deinen kämpft.«

»Ist schon gut.«

»Was ist mit denen da?«

Huma drehte sich nicht um. Er erinnerte sich noch gut an seine Unentschlossenheit und was ums Haar daraus geworden wäre. »Ihre Angst und Wut ist verständlich. Sie haben viel durchgemacht. Ich trage ihnen nichts nach.«

Sie nahm seine Antwort mit einer geschmeidigen Drehung ihres langen, schmalen Halses hin. Zu den Dorfbewohnern sagte sie: »Ihr seid vom Weg abgekommen. Geht nach Südwesten. Dort sind Kleriker der Mishakal, die sich um eure Verwundeten kümmern können und euch Essen geben werden. Sagt das auch den anderen, die ihr unterwegs trefft.«

Es gab keine Widerrede, wofür Huma ziemlich dankbar war. Der weibliche Drache schaute zu, wie die Flüchtlinge die richtige Richtung einschlugen. Dann blickte sie mit Abscheu auf Kaz hinunter.

»Wenn ich den da freilasse, ist sein Wohlergehen deine Sache. Ich hege genausowenig Sympathie für seine Rasse wie diese Unglückseligen dort.«

Huma zögerte noch. »Ich kann mich nicht dafür verbürgen, was er tut, wenn du ihn freiläßt. Er ist jähzornig.«

»Eine Eigenart der Minotauren. Wenn sie einander nicht unablässig in ihren Wettkämpfen umbringen würden, hätten sie Ansalon wohl schon viel früher überrannt.« Sie seufzte, woraufhin Huma die Augen schließen mußte, weil heiße Luft über sein Gesicht strömte. »Na schön.«

Bei diesen Worten rappelte sich der Minotaurus plötzlich wieder auf. Er machte keinen neuerlichen Angriff, sondern hielt sich lieber – mit kampfbereiter Axt – in einiger Entfernung von Drache und Ritter. Mißtrauisch beäugte er die Drachendame.

Sie erwiderte seinen Blick mit einer gewissen Verachtung. »Du hast alles gehört.«

Das war keine Frage, und der Gesichtsausdruck des großen Kriegers zeigte Huma, daß Kaz alles nur zu gut gehört hatte. Er traute jedoch immer noch keinem von beiden.

»Ich habe es gehört. Ich weiß nicht, was ich glauben soll.«

»Ich hätte dich leicht zerquetschen können, Minotaurus.« Zum Beweis hob der Silberdrache eine gewaltige Klaue. Wenn einer von ihnen die Kraft dahinter zu spüren bekommen hätte, wäre wenig zu betrauern geblieben.

Kaz schaute Huma an. »Du hast mir schon einmal das Leben gerettet, Ritter Huma. Es sieht so aus, als wenn es dir erneut gelungen ist, nur dieses Mal mit Worten.« Der Minotaurus schüttelte den Kopf. »Es wird mir nie gelingen, diese Schuld angemessen zu begleichen.«

Huma runzelte die Stirn. Schon wieder Schuld! »Ich will nichts anderes von dir als Frieden. Steckst du die Axt weg?«

Der Minotaurus richtete sich auf, warf einen letzten Blick auf das turmhohe Geschöpf vor sich und steckte zögernd die Axt an ihren Platz zurück. »Wie ich schon sagte, ich kann nicht zurück. Was soll aus mir werden?«

Der Drache schnaubte, wobei kleine Rauchwölkchen aufstiegen. »Ich habe kein Interesse an dir. Huma ist es, der entscheiden sollte.«

»Ich?«

»Du hast bisher ein ausgezeichnetes Urteilsvermögen bewiesen. Würden doch mehr von den irdischen Rassen so viel Verstand zeigen.« Es lag kein Spott in der Stimme des Drachen.

Huma war höchst erfreut über das Kompliment, das schließlich von einem so majestätischen Wesen wie dem silbernen Drachen kam. Er dachte ein Weilchen sorgfältig nach, wobei er verschiedene Ideen verwarf, die ihm während der Wanderung gekommen waren. Dann wendete er sich an den Minotaurus: »Wir müssen uns meiner Truppe anschließen. Wenn du dich wirklich vor anderen als vor mir bewähren willst, dann mußt du ihnen alles sagen, was du über die Vorgehensweise der Oger weißt, und sie dazu bringen, dir zu glauben.« Huma hielt inne. »Du weißt doch etwas, was ihnen von Nutzen sein kann, oder?«

Kaz dachte lange darüber nach und raunzte dann. »Ich weiß mehr, als ich wissen sollte. Wenn du sie überreden kannst, mich nicht gleich abzuschlachten, werde ich tun, was du sagst. Vielleicht kann mein bißchen Hilfe den Tag näherbringen, an dem mein Volk wieder frei sein wird.«

»Du mußt mir deine Axt geben.«

Der Minotaurus stieß einen Wutschrei aus. »Ich kann nicht unbewaffnet vor sie hintreten! Ich würde mein Gesicht verlieren! Das ist nicht unsere Art!«

Huma wurde zornig. »Du bist nicht bei deinen Leuten! Du bist bei meinen! Wenn du mit dieser Axt vor sie trittst, besteht keine Aussicht auf einen Kompromiß. Im besten Fall nehmen sie dich gefangen. Im schlimmsten Fall bist du tot.«

Der Drache funkelte den Minotaurus durchdringend an. »Die Einschätzung des Ritters ist überaus realistisch. Du solltest lieber auf ihn hören.«

Kaz schnaubte und grollte und rief die Namen von sechs oder sieben berühmten Vorfahren an, doch am Ende war er einverstanden, Huma zu gegebener Zeit seine Waffe auszuliefern.

Der Silberdrache breitete seine großen Flügel aus. Er war ein hinreißendes Wesen, der Inbegriff der Vereinigung von Kraft und Schönheit. Huma hatte Wandbehänge, Holzschnitzereien und Skulpturen in Burg Vingaard gesehen, in denen versucht worden war, den Glanz der Drachen festzuhalten. Sie alle verblaßten im Vergleich zu ihrem Vorbild.

»Ich war unterwegs zu meinen Vettern im nördlichen Ergod, als ich euch gesichtet habe. Es war eine Situation, die mich interessierte, darum bin ich gelandet«, erzählte die Drachendame. »Ich sollte weiterfliegen, aber es wird kein großer Umweg sein, wenn ich euch zwei zu eurem Ziel bringe.«

Der Gedanke daran, auf dem Rücken eines der legendären Drachen durch den Himmel zu brausen, war für Huma einfach überwältigend. Er wußte, daß es Ritter gab, die vom Rücken der gewaltigen Tiere aus kämpften, doch Huma hatte dieses Privileg noch nie genossen.

»Wie sollen wir uns festhalten?«

»Wenn ich langsam fliege, sollte es euch nicht schwerfallen, euch mit Armen und Beinen festzuklammern. Das haben schon viele getan, auch wenn ihr die ersten seid, die mit mir fliegen. Es wird euch viel Zeit und Mühe ersparen.« Der Drache senkte den Kopf, so daß er mit seinem auf einer Höhe war.

Huma würde fliegen! Magus hatte einst gesagt, daß dies einer seiner wichtigsten Gründe sei, sich einem Zauberorden anzuschließen – zwischen den Wolken zu schweben.

Huma erkletterte den langen, sehnigen Hals genau über den Schultern und lächelte unwillkürlich den Drachen an, der ihm den Kopf zuwandte. Er wußte, daß dieser seine Begeisterung nur zu gut verstand. Leicht rot angelaufen streckte er Kaz die Hand entgegen. Der Minotaurus starrte die dargebotene Hand und dann den Rücken des Drachen an.

Er schüttelte heftig den Kopf. »Mein Volk bringt Landratten und Seefahrer hervor. Aber wir sind keine Vögel.«

»Es ist absolut sicher.« Der Drache wirkte gekränkt. »Selbst ein Baby könnte ohne Furcht auf mir reiten.«

»Ein Baby wäre dumm genug. Ich aber nicht.«

»Keine Angst, Kaz.«

Humas Bemerkung packte den Minotaurus bei seinem Stolz. Wenn ein gewöhnlicher Mensch dieses Wagnis auf sich nahm, dann konnte er, der Minotaurus, das auch. Mit wütendem Schnauben ergriff er Humas Hand und kletterte hoch. Wortlos setzte er sich genau hinter den Ritter, wobei sich jeder Muskel in seinem Körper anspannte. Mit Händen und Beinen umklammerte er den Drachenhals.

»Seid ihr fertig?«

Huma drehte sich um zu Kaz, der geradeaus in Leere starrte. Der Ritter wandte sich zurück. »So gut es geht, glaube ich.« Sein Herz klopfte, und er kam sich eher vor wie ein kleines Kind als wie ein Ritter von Solamnia. »Werden wir hoch fliegen?«

Der Silberdrache lachte regelrecht, ein tiefes, kehliges Lachen. »Nicht so hoch, wie du es dir vielleicht wünschst, aber du wirst wohl auch nicht enttäuscht sein.«

Der Drache warf einen letzten amüsierten Blick auf den Minotaurus und begann dann mit den Flügeln zu schlagen. Huma sah fasziniert zu, wie der Boden unter ihnen zurückwich. Innerhalb von Sekunden schraubte sich der Silberdrache hoch in den Himmel. Huma klappte sein Visier herunter, um den Wind etwas von seinem Gesicht abzuhalten. Kaz klammerte sich zu Tode verängstigt fest und änderte seine Haltung auch nicht, als der silberne Gigant aufhörte zu steigen und schließlich in einen langsamen, gleichmäßigen Flug überging.

Huma klappte das Visier hoch und lehnte sich so nah wie möglich zum Kopf des Drachen hin. »Das – das ist phantastisch!«

»Vielleicht hättest du selber ein Drache werden sollen!« gab er zurück. »Wenn du die Welt nur so sehen könntest wie ich!«

Er versuchte nicht, das zu erklären, und Huma bat ihn auch nicht darum. Für kurze Zeit waren der Krieg, die Ritterschaft und all seine Probleme vergessen.

Huma setzte sich auf und sog die herrlichen Eindrücke in sich auf.

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