25

»Sie haben mir gesagt, daß du es bist, aber ich konnte es nicht glauben. Nicht nach all den Geschichten, die überall die Runde machen.«

»Geschichten?« Huma und seine Kameraden waren von den Drachen gestiegen, wo sie sofort von Rittern und gemeinem Volk umringt gewesen wären, hätte Fürst Grendal, dem die Verteidigung der Burg oblag, nicht eingegriffen. Innerhalb der ersten Minute nach ihrer Landung war eine Gruppe erprobter Veteranen aus Grendals Truppe draußen gewesen und hatte die Reisenden schützend umstellt.

Fürst Oswal, der Großmeister, zeigte auf Huma. »Du weißt, wovon ich rede. Die Geschichte von deinem Kampf mit dem Dämon, der Pest und Zwietracht im Land gesät hat.«

»Rennard?«

»Rennard. Erstaunlich, wie kurz das Gedächtnis der Leute sein kann. Als man ihn entlarvte und du ihn dort im Kampf geschlagen hast, vergaßen sie schnell, wie gern sie die Gerüchte geglaubt haben, die er immer verbreitet hat. Sie nannten ihn einen bösen Dämon oder Kleriker – was weiß ich. Dann, zur Krönung des Ganzen, sollst du dich wie Paladin persönlich in Luft aufgelöst haben.«

Humas Gesicht wurde dunkelrot. »Der Teil mit meinem Verschwinden stimmt, aber ich kann meinem Fürsten nur versichern, daß das nicht in meiner Macht stand.«

»Allerdings.« Fürst Oswals Augen schweiften zu den Drachenlanzen, und sein Körper schien kurz zu erbeben. »Ist es das, was du gesucht hast? Was wir so dringend brauchen?«

»Ja, mein Fürst. Die Drachenlanzen. Wir wären früher da gewesen, aber wir wurden in die Schlacht verwickelt.«

»Das kann man wohl sagen. Ich habe Menschen und Drachen davon erzählen hören, wie ihr acht aus dem Nichts aufgetaucht seid und die Lakaien der Drachenkönigin das Fürchten gelehrt habt. Vielleicht haben sie recht; vielleicht bist du wirklich Paladin, der als Sterblicher nach Krynn gekommen ist.«

»Fürst Oswal!«

Der Großmeister lachte. »So weit bin ich noch nicht, Huma. Noch nicht.« Trotz seines offensichtlichen Verlangens, die Lanzen zu untersuchen, wandte sich Oswal zuerst den anderen aus Humas Gruppe zu. »Ich erkenne dich wieder, Minotaurus, und freue mich, daß ich dir vertraut habe. Du bist ein lebendes Beispiel für das Gute, was ich über deine Rasse gehört habe. Ich danke dir für deine Hilfe.«

Kaz war seltsam still. »Ich habe nur getan, was von mir verlangt wurde. Ich habe Huma einen Eid geleistet.«

»Mehr war es nicht?« Der Großmeister lächelte und wendete sich den anderen zu, zunächst Fürst Avontal. Ein Hauch von Kälte lag im Ton des Großmeisters. »Ich heiße Euch als Ritterkameraden willkommen, Befehlshaber von Ergod. Ich nehme nicht an, daß Ihr Eure Armee mitgebracht habt?«

»Als wir uns damals trafen, Großmeister, wußte ich, daß Ihr eines Tages diesen Titel tragen würdet, aber ich hatte gehofft, er würde Euch milder stimmen, bevor wir einander wiedersehen.«

Oswal nahm den versteckten Tadel mit einem aufrichtigen Lächeln hin. »Verzeiht, wenn ich hin und wieder vergesse, daß ich vor einem Kleriker Paladins stehe.«

Huma, Kaz und Buoron sahen einander an. Sie respektierten Fürst Avontal zwar, hätten ihn aber nie für einen Kleriker von Paladin gehalten. Aber wer konnte schon bestimmen, wie ein Kleriker auszusehen hatte, solange sein Glaube und seine Handlungen seinen Lehren nicht widersprachen.

»Ihr habt mein Geheimnis preisgegeben. Nun, was soll’s. Vielleicht begreift Huma jetzt, warum ich wollte, daß er mich nach Kargod begleitet. Als ich das Zeichen von Morgion an einem so offensichtlich rechtschaffenen Ritter entdeckte, fürchtete ich, er wäre für irgendeine ruchlose Tat bestimmt.« Avontal lächelte Huma an.

Der Großmeister ging von Avontal weiter zu Buoron. Mit seinem buschigen Bart fiel der Ritter aus dem Südwesten auf. Buoron zitterte angesichts des Großmeisters.

»Du bist…«

Der Ritter mußte mehrmals ansetzen, bevor er seinen Namen herausbrachte. »Buoron, mein Fürst!«

»Von einem unserer fernen Außenposten in Ergod, vermute ich.«

»Ja, mein Fürst.« Buoron war erbleicht.

»Guter Mann.« Fürst Oswal wandte sich ab. Buoron atmete erleichtert auf und lächelte erschöpft.

»Also dann, Huma«, sagte der Großmeister plötzlich ernst. »Wenn ihr so freundlich sein wollt, dann wünsche ich, daß du und deine Gefährten mit in mein Quartier kommen. Ich möchte alles erfahren.«

»Ja, mein Fürst, aber die Drachenlanzen – «

»Werden gut behandelt und an einem sicheren Ort aufbewahrt, bis wir entschieden haben, was wir mit ihnen machen sollen. Komm jetzt. Ich denke, daß ihr alle etwas zu trinken gebrauchen könnt. Nach der heutigen Beinahe-Katastrophe geht mir das jedenfalls so.«

Humas Bericht wurde hin und wieder von dem Gewitter unterbrochen, das sich über den Bergen im Westen austobte. Kaz meinte, daß Takhisis wohl ihre Wut an denen ausließ, die sie enttäuscht hatten. Vielleicht zürnte auch Galan Drakos über die vergeblichen Versuche seiner Männer, die Drachenlanzen zu erbeuten.

Fürst Oswal trommelte mit den Fingern auf dem Tisch, während er alles auf sich einwirken ließ, was Huma erzählt hatte. »Bei Paladin! Wenn du es nicht wärst, hätte ich das alles nie geglaubt – und daß du sie wirklich gesehen hast! Du machst einen alten Mann stolz, Huma. Durak wäre stolz auf dich, das weiß ich.«

»Danke, mein Fürst.« Dieses Lob bedeutete ihm mehr als alles andere.

»Aus Drachensilber geschmiedet von einem Schmied mit einem Silberarm, der selbst einen göttlichen Hammer schwingt.«

Huma war baff. »Das habe ich nicht erzählt.«

Der Großmeister lächelte wissend. »Ich kenne mich gut mit den alten Sagen aus, Huma. Das ist ein Grund, warum ich dir die ganze Zeit geglaubt habe. Wenn dieser Schmied so aussieht, wie du ihn beschrieben hast, muß er einen Hammer haben, den Reorx selbst hergestellt hat. Ich bin froh, daß unsere alten Schriften doch die Wahrheit sagen und daß du kamst, um uns diese Waffe zu bringen.«

Huma dachte nach. Schließlich erhob er sich. »Mein Fürst, ich habe eine Bitte. Ich weiß das zu schätzen, was Ihr gesagt habt, und weiß, daß es noch viel zu erzählen gäbe. Aber jetzt haben wir die Drachenlanzen, und ich muß eine Bitte loswerden. Es sind zwanzig Lanzen, die am Himmel benutzt werden können. Gebt mir nur eine Lanze, damit ich zum Stützpunkt von Galan Drakos und seiner verruchten Herrin fliegen kann. Ich muß Magus befreien!«

»Ritter Huma.« Die Stimme des Großmeisters war tonlos und ähnelte erschreckend der von Rennard. Fürst Oswal starrte ihn an, bis Huma sich wieder setzte. »Ein Mensch, ob Gefährte, Geliebte oder Verwandter, ist nicht das Leben von Hunderten wert – und das gilt auch für mich, wenn ich denn dieser eine wäre. Du kannst anderer Meinung sein, und das ist dein Recht – unter uns. Aber wir kämpfen für Solamnia, für ganz Ansalon, wenn nicht ganz Krynn. Ich kann deine Bitte nicht gewähren.«

»Er wurde gefangengenommen, während er die Lanzen verteidigt hat.« Aus Humas Stimme sprach Bitterkeit.

»Ich verstehe das, Ritter Huma, so wie ich die Gefahr für dich besser verstehe als du selbst. Meine Antwort bleibt dieselbe. Verstanden?«

Huma sagte nichts.

»Also dann, ihr habt einundzwanzig Lanzen, von denen eine deiner Aussage nach für einen Fußsoldaten ist.«

»Ja.«

»Zwanzig Lanzen reichen kaum aus. Wir haben dieses Mal Glück gehabt, weil die Drachen euch nicht erwartet haben und euer plötzliches Auftauchen sie in Verwirrung gestürzt hat.«

»Sie sind mit eingekniffenem Schwanz geflohen«, bemerkte Kaz tief befriedigt.

»Dieses Mal. Wenn sie wieder kommen – und glaubt nicht, daß sie das nicht tun –, werden sie klüger und mutiger vorgehen, und vier Lanzen oder auch zwanzig werden nicht ausreichen.«

»Ihr tut so, als sei der Kampf schon verloren. Das hätte ich vom Großmeister der Ritter von Solamnia nicht erwartet«, schaltete sich Fürst Avontal ein.

Der Großmeister beachtete den verächtlichen Gesichtsausdruck des Ergodianers nicht, sondern fixierte Huma. »Wer das als Eingeständnis unserer Niederlage ansieht, hatte keine Zeit zuzuhören. Was jetzt ansteht, ist, alles andere aus der Schmiede zu räumen und genauso gute Lanzen zu schmieden wie die Originale.«

Guido Avontals Augen wurden zu Schlitzen, und ein dünnes Lächeln spielte um seine Lippen. Kaz und Buoron tauschten verwunderte Blicke. Huma zögerte. Dann merkte er, worauf der erfahrene Ritter hinaus wollte.

»Eine Kriegslist! Wir wollen sie mit einem Riesenbluff täuschen!«

Fürst Oswal lächelte angespannt. »Ein Bluff. Genau. Wir haben alles da, was man zur Herstellung normaler Lanzen braucht. Jetzt müssen wir so viele gut gefälschte Drachenlanzen wie möglich herstellen.«

»Wie lange wird das dauern?« fragte Avontal. »Wie Ihr schon sagtet, sie werden sicher bald wieder angreifen.«

»Metallverarbeitung jeglicher Art ist bei uns eine Kunst, Kommandant. Es ist ein Teil unseres Erfolgsgeheimnisses. Schlechte Waffen und Rüstungen sind etwas für schlechte Armeen – so könnte man den Kodex zitieren. In nur zwei Tagen werden wir über hundert Lanzen haben. Sie werden, wie gesagt, Fälschungen sein, Kopien der echten Drachenlanzen. Die Nachricht hat sich zweifellos schon bis zum letzten Mann ausgebreitet. Wenn wir ihnen nächstes Mal gegenüberstehen, hoffe ich, mindestens hundert Lanzen bereit zu halten. Wenn die Drachen von Takhisis kommen, werden sie mit einem eindrucksvollen Ausfall der Kavallerie rechnen müssen. Damit haben wir das Überraschungselement. Ich hoffe, daß einhundert angeblich echte Drachenlanzen Panik unter ihnen verursachen. Während die Drachen in Schach gehalten werden, können unsere Truppen vorrücken und die Oger angreifen.«

»Das ist mehr als ein Bluff. Ihr wollt gewinnen, ob mit oder ohne Drachenlanzen. Ein interessanter Plan. Glaubt Ihr daran? Wirklich?«

»Als Kleriker Paladins solltest du das wissen. Außerdem glaube ich mehr an meine Männer als an den Plan. Schließlich sind wir die Ritter von Solamnia.«

»Huma.«

Er war allein herumgelaufen, um alles zu begreifen, was geschehen war. Magus, die Drachenlanzen, Galan Drakos, Gwyneth –

»Huma?«

Er fuhr herum. Da stand sie im Schatten des Stalls. Sie trug eine fließende, silbrig blaue Robe, die ihre schlanke Figur teilweise preisgab, als sie auf ihn zukam. Huma stand nur noch mit offenem Mund da.

»Gwyneth?«

Sie lächelte. »Hast du jemand anders erwartet?«

»Nein!«

»Ich wollte schon eher zu dir kommen, aber das ging nicht. Ich habe da – ein paar Dinge zu bedenken. Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn ich dir Gesellschaft leiste?«

»Nein. Ganz und gar nicht.«

Gwyneth hakte sich bei ihm ein, und die beiden spazierten langsam um den Hof. Es war, solange Huma zurückdenken konnte, die erste Nacht, in der der Himmel etwas klarer war. Die Wolkendecke war an einigen Stellen aufgebrochen.

Huma konnte kaum hoffen, daß sie ganz verschwinden würde. Nur eines konnte dazu führen: der endgültige Sieg über die Drachenkönigin.

Er brauchte eine Weile, um Mut zu fassen, doch schließlich fragte Huma: »Wie bist du hierhergekommen?«

Sie drehte ihr Gesicht zur Seite. »Frag jetzt bitte nicht danach. Ich verspreche dir, daß ich es dir bald sagen werde.«

»Na gut. Ich freue mich einfach, dich zu sehen.«

Bei diesen Worten wandte sie sich ihm wieder zu. »Das ist schön. Dann lohnt sich das alles.« Gwyneths Miene verdüsterte sich plötzlich. »Ich habe Gerüchte gehört, daß du Magus auf eigene Faust befreien wolltest.«

»Der Großmeister hat es verboten.«

»Was wirst du tun?«

»Ich gehorche dem Großmeister. Das ist meine Pflicht.«

Sie schwiegen. Gwyneth hatte die Hand auf Humas Arm gelegt, und während sie gingen, überraschte ihn die Stärke in dieser Hand. Es gab so vieles, was er nicht über sie wußte, einschließlich ihrer Verbindung mit der Drachenlanze. Sie mußte eine Klerikerin sein, überlegte er, doch er wußte nicht, von welchem Gott.

Gwyneth starrte mit einem Mal erschreckt geradeaus. Huma folgte ihrem Blick und entdeckte einen unbekannten Mann etwa in seinem Alter. Der Mann war wie ein Dorfbewohner gekleidet – viele hatten sich gerade noch nach Burg Vingaard gerettet, bevor der Krieg ihre Häuser erreichte –, doch er wirkte nicht wie einer von ihnen. Sein Gesicht war im Schatten verborgen, doch Huma hätte schwören können, daß seine Augen glühten. Nachdem er die beiden angestarrt hatte, verschwand der Fremde um eine Ecke.

»Wer ist das?« Humas Hand glitt zum Heft seines Schwertes. Wenn jemand Gwyneth auflauerte…

»Niemand«, antwortete sie viel zu schnell. Gwyneth ließ Humas Arm los. »Ich muß jetzt gehen. Wir sehen uns später, das verspreche ich.«

Sie eilte in die Richtung davon, aus der sie gekommen waren. Huma wollte ihr zuerst nachlaufen, aber sie war fast augenblicklich verschwunden. Der Ritter zwinkerte. Er konnte sich nicht erinnern, wann oder wo sie abgebogen war.

Die Reaktion auf die Drachenlanzen war nicht so, wie es Huma und die anderen erwartet hatten.

Er hatte angeboten, zu zeigen, wie man die Lanze benutzte. Zu seinem Erstaunen kam nur eine Handvoll Ritter zum Zuschauen. Einer davon enthüllte den Grund für die überraschende Lethargie seiner Brüder. Verblüfft erzählte Huma den anderen, was der Ritter gesagt hatte und wie weit dieses Gefühl in der Ritterschaft verbreitet war.

»Die Zeit der Wunder ist vorbei. Sie werden nicht an den Zauber der Lanzen glauben, und wer kann sie dafür tadeln? Wir verlangen von ihnen, ihr Leben sinnlos aufs Spiel zu setzen, soweit sie das beurteilen können. Die mit den echten Drachenlanzen werden den Hauptangriff abfangen und dann versuchen, durchzubrechen und das Herz des Bösen zu treffen: Galan Drakos und seine grausame Herrin. Aber Selbstmord ist gegen den Kodex. Und außerdem haben nur wenige wahres Vertrauen zu Paladin. Man hat mir gesagt, daß manche glauben, ich hätte die Lanzen selbst geschmiedet. Sie wollen wissen, warum sie ihr Leben so nutzlos in Gefahr bringen sollen, wenn sie genauso gut hier mit ihren Kameraden einen sichtbaren Gegner zu ebenbürtigen Bedingungen bekämpfen könnten. Mit Drachen zu kämpfen, ist eine Sache; die Drachenkönigin persönlich anzugreifen ist verrückt. Diese Einstellung hat man mir mehr als einmal verkündet.«

Jetzt sprang Fürst Oswal auf. »Sie werden es riskieren, verdammt noch mal! Es sind Ritter, keine Drückeberger! Ich werde ihnen befehlen, die Lanzen zu nehmen und sie auch zu benutzen!«

»Und sie werden sterben«, warf Avontal ein.

»Was soll das heißen?« Die beiden Kommandanten maßen einander mit Blicken.

»Sie werden sterben, Großmeister. Mit schwachem oder gar keinem Glauben werden sie einfach sterben. Es geht nicht darum, ob Paladins Macht in den Drachenlanzen steckt. Die Hand, die die Waffe führt, muß ebenfalls daran glauben, sonst sind die Reaktionen ein Quentchen zu langsam, ein bißchen zu ungenau. Sie müssen daran glauben wie wir, sonst verlieren sie, weil sie diese Lanzen wie jede andere Lanze ansehen werden – als ein Ding, das an der Haut der dunklen Drachen abprallt oder zerbricht.«

»Aber eine Drachenlanze – «

Der ergodianische Kleriker gebot ihm mit erhobener Hand zu schweigen. »Wir haben zwanzig Drachenlanzen, richtig?«

»Plus die Lanze für den Fußsoldaten«, fügte Huma rasch hinzu.

»Zwanzig Lanzen. Dann brauchen wir nur zwanzig Männer. Ich glaube, daß Paladin über uns wacht. Wenn es nur zwanzig Drachenlanzen gibt, dann gibt es einen Grund dafür. Wenn wir mehr haben sollten, würde Paladin sie uns verschaffen. Wenn unser Glaube stark ist, werden wir siegen, ob mit zwanzig Lanzen oder mit tausend.«

Fürst Oswal sah Huma an. »Er hat recht.«

Huma musterte die anderen Anwesenden. Kaz, Buoron und Avontal würden mit ihm kommen. Er brauchte noch sechzehn zusätzliche Männer. »Also nur zwanzig.«

Mehr als eine Augenbraue wurde dabei hochgezogen. Huma wartete keine Frage ab, sondern spann sofort seine Gedanken weiter.

»Buoron, Kaz, Fürst Avontal. Ich weiß, daß ihr drei mir folgen werdet. Ihr kennt die Drachenlanze, ihr wißt, was sie vermag. Wenn nur zwanzig Lanzen zwischen uns und dem Sieg der Dunklen Herrn stehen, dann sollten wir Paladin danken, daß wir die paar haben, und sie bestmöglich nutzen.«

»Du hättest Kleriker werden sollen, Huma, denn dein Glaube ist der stärkste, den ich je gesehen habe.« In Fürst Guidos Stimme lag kein Spott.

Es klopfte an der Tür des Großmeisters, und einer der Ritter der Rose aus seiner Leibwache trat ein.

»Großmeister, Ritter Bennett möchte Euch sprechen.«

»Ich habe ihn schon vor einer ganzen Weile von den Burgmauern hierher gerufen. Wo hat er gesteckt?«

»Das hat er nicht gesagt, mein Fürst.«

Fürst Oswal warf Huma einen Blick zu und nickte langsam. »Laß ihn eintreten.«

»Mein Fürst.« Die Wache redete mit jemandem im Gang und nahm dann Haltung an. Bennett, der mehr denn je seinem Vater ähnelte, stürmte herrisch in den Raum. Er salutierte respektvoll vor seinem Onkel und nahm die anderen höflich zur Kenntnis, auch wenn er den ergodianischen Befehlshaber lange und durchdringend anstarrte.

»Was gibt es, Bennett?«

»Onk – Großmeister, ich habe die Drachenlanzen untersucht.«

Die Miene des alten Ritters wurde finster. »Wer hat dir die Erlaubnis dazu gegeben?«

Ein Teil der Selbstherrlichkeit verschwand. »Ich habe es auf eigene Faust getan. Ich konnte nicht anders, nachdem du mir nach Humas – nach seinem Verschwinden davon erzählt hast.«

Bennett sah Huma beim Sprechen an, doch dieser konnte aus den beherrschten, habichtartigen Gesichtszügen nichts herauslesen.

»Und?«

Die Augen seines Neffen wurden groß, die Maske fiel, und sowohl Huma als auch Fürst Oswal staunten über das Strahlen, das beim Sprechen über Bennetts Gesicht ging. »Wenn man sie anfaßt, sind sie ganz glatt – so glatt, daß sie widerstandslos durch die Luft sausen können. Ich habe noch nie eine so scharfe Spitze gesehen oder ein so strahlendes, richtig lebendiges Metall. Ich habe gehört, daß viele die Echtheit der Lanzen anzweifeln, aber ich glaube fest daran, daß Paladin sie uns durch seinen Helden geschickt hat.«

Zum allerersten Mal fühlte Huma, daß ihm der Neffe des Großmeisters Respekt entgegenbrachte.

Fürst Oswal war nicht weniger überrascht. Kaz schnaubte leise vor Spott, doch der Blick, den Bennett ihm zuwarf, ließ ihn sofort verstummen.

»Ich möchte dazu gehören, Großmeister. Ich habe zwanzig gezählt und weiß nicht, ob wir noch mehr bekommen, aber ich möchte dabei sein. Das ist es, wofür ich ausgebildet wurde – dem Triumvirat und Paladin zu dienen. Ich werde jede Prüfung auf mich nehmen, falls ich beweisen muß, daß ich es wert bin.« Bennett atmete aus, und seine Schultern sackten herunter. Er hatte vor allen Anwesenden sein Herz geöffnet und erwartete nun sein Urteil.

Der Großmeister sah von Huma zu Avontal und dann zurück zu seinem Neffen.

»Ritter Bennett, ich erkenne, daß du der Sohn meines Bruders bist – wie mein Bruder war, bevor uns die Aufgaben der Führungsrolle entzweit haben. Wenn du nur so bleibst, wie du jetzt bist, wird das wahr, woran viele schon immer glaubten – daß du einer der Allerbesten unter uns sein wirst.« Bennetts Schultern strafften sich in unverhohlenem Stolz. Oswal fuhr fort: »Wenn du wirklich sein willst, wonach wir alle streben, dann schlage ich vor, daß du dir diesen Ritter hier zum Vorbild nimmst« – er zeigte auf einen sprachlosen Huma –, »denn er ist der Inbegriff all unserer Lehren, ob er selber das weiß oder nicht.«

»Bin ich dann – «

»Du bist, und ich übertrage dir eine besondere Aufgabe: Suche andere wie dich aus allen drei Orden, fünfzehn an der Zahl, die bereit sind, an die Macht und den Willen Paladins zu glauben und die mit der Drachenlanze in der Hand durch die Lüfte reiten wollen.«

Bennett taumelte beinahe zur Tür, um sich dort noch einmal zu seinem Onkel umzudrehen. Fürst Oswal verabschiedete ihn mit einem Wink. Hastig rannte der Ritter der Rose davon.

Bennett tat genau das, was ihm befohlen worden war. Er suchte sich Freiwillige aus allen drei Orden und wählte nach Verdienst und Glauben aus, nicht danach, ob sie ihm treu ergeben waren, wie er es vor dem Tod seines Vaters noch getan hätte. Unter den Freiwilligen waren altgediente und noch sehr unerfahrene Ritter. Überraschenderweise nahm Bennett auch drei Ritter, denen infolge des Krieges Gliedmaßen fehlten oder die dauerhaft behindert waren. In Friedenszeiten hätte Fürst Oswal diesen Männern Arbeit in der Burg zugeteilt, um sie zu beschäftigen, aber gleichzeitig von schwierigen Situationen fernzuhalten. Jetzt aber kam es auf jeden an, der kämpfen konnte. Männer, die ein Bein verloren hatten, konnten immer noch reiten und ein Schwert schwingen. Ein nutzloser Arm bedeutete, daß der Ritter immer noch den anderen verwenden konnte. Ein Ritter von Solamnia gab erst auf, wenn er gesiegt hatte oder wenn er tot war. Hätten sie solche Männer aus ihren Reihen ausgeschlossen, so wären die verfügbaren Truppen der Burg um fast ein Viertel geschrumpft.

Mit dem Rückzug der feindlichen Armeen aus der Umgebung der Burg waren die Nachschublinien wieder offen, wenn auch nur zeitweise. Bei der ersten Gelegenheit lieferten die Ritter aus dem Süden Nahrungsmittel und Rohstoffe. Es war ein gefährliches Unterfangen, denn die Oger und Drachen belauerten immer noch die Wege, und manche Wagen kamen nie an.

Die Berge im Westen waren verdächtig ruhig. Magus war immer noch da draußen, und Huma verspürte immer noch den Wunsch, einen Rettungsversuch zu starten. Es fuchste ihn, daß er in der Burg abwarten mußte, was Galan Drakos und seine Herrin ausheckten.

Es wäre leichter gewesen, wenn Gwyneth bei ihm gewesen wäre, aber sie war seit jener Nacht nicht zurückgekehrt. Huma war statt dessen dazu übergegangen, sich mit dem Silberdrachen zu unterhalten. Sie redeten nur, wenn sie alleine waren, denn die Gegenwart der anderen Drachen, die die Burg bewachten – besonders der zwei Geschwister des Silberdrachen, die Huma stets scharf beobachteten –, war ihm peinlich.

Die Drachendame lauschte jedem seiner Worte und beantwortete seine Fragen so eifrig, daß er oft vergessen konnte, daß er mit einem Wesen sprach, daß viel größer und älter war als er. Gleichzeitig war sie von einer Traurigkeit erfüllt, deren tieferen Grund Huma nie herausfinden konnte. Er hatte sie nur ein einziges Mal darauf angesprochen. Doch Huma war zu weit gegangen; der große Drache hatte sich umgedreht und war wortlos verschwunden.

Huma konnte das Gefühl nicht erklären, das ihn da überkam, aber irgendwie wußte er, daß die Traurigkeit, die sich so tief in der Riesin eingenistet hatte, mit ihm zu tun hatte.

Er sprach das Thema nie wieder an, weil er sich vor der Wahrheit fürchtete, die er dahinter entdecken könnte.

Drei Tage vergingen, dann war es, als ob der Himmel selbst zerbarst. Die Ritter in der Burg zeigten nach oben und begannen zu flüstern. Auch wenn sie keine Furcht zugeben würden, wurden viele blaß, weil sie sich an das letzte Mal erinnerten, als der Himmel so ausgesehen hatte.

Huma eilte zu den Zinnen, gefolgt von Kaz und Buoron. Huma und der Minotaurus starrten mit zusammengekniffenen Augen auf das Grauen vor ihnen. Buoron war wegen seiner Stationierung im Südwesten damals nicht dabei gewesen, doch er schaute sich alles an und drehte sich dann zu seinen Gefährten um. Da erst sah er ihren Gesichtsausdruck.

Während er selbst erblaßte, fragte er: »Was hat das zu bedeuten? Warum wird es so dunkel?«

Die heranrollende Finsternis, die die Ritter in jener früheren Schlacht fast besiegt hätte, schob sich langsam zu den äußersten Verteidigungslinien vor. Der Wind um die Burg steigerte sich zum Orkan.

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